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Dantons Tod

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Sechste Szene

Ein Zimmer.

Robespierre. Danton. Paris.

Robespierre. Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind – seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu verteidigen, tötet mich so gut, als wenn er mich angriffe.

Danton. Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.

Robespierre. Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muß sich an die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muß bestraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrschen.

Danton. Ich verstehe das Wort Strafe nicht. – Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. – Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lügst, du lügst!?

Robespierre. Mein Gewissen ist rein.

Danton. Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich, wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der Mühe wert, sich darüber in den Haaren zu liegen! Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren, so herumzugehn, hast du deswegen das Recht, sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebensogut mitansehn als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen.

Robespierre. Du leugnest die Tugend?

Danton. Und das Laster. Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß, d.h. er tut, was ihm wohltut. – Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?

Robespierre. Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.

Danton. Du darfst es nicht proskribieren, ums Himmels willen nicht, das wäre undankbar; du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast nämlich. – Übrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unsere Streiche müssen der Republik nützlich sein, man darf die Unschuldigen nicht mit den Schuldigen treffen.

Robespierre. Wer sagt dir denn, daß ein Unschuldiger getroffen worden sei?

Danton. Hörst du, Fabricius? Es starb kein Unschuldiger! Er geht; im Hinausgehn zu Paris. Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wir müssen uns zeigen! Danton und Paris ab.

Robespierre allein. Geh nur! Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen, wie ein Kutscher seine dressierten Gäule; sie werden Kraft genug haben, ihn zum Revolutionsplatz zu schleifen. Mir die Absätze von den Schuhen treten! Um bei deinen Begriffen zu bleiben! – Halt! Halt! Ist’s das eigentlich? – Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich hätte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen. – Und wenn sie recht hätten? – Ist’s denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muß weg. Es ist lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen. – Er muß weg. Wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehen bleibt, leistet so gut Widerstand, als trät er ihr entgegen: er wird zertreten. Wir werden das Schiff der Revolution nicht auf den seichten Berechnungen und den Schlammbänken dieser Leute stranden lassen; wir müssen die Hand abhauen, die es zu halten wagt – und wenn er es mit den Zähnen packte! Weg mit einer Gesellschaft, die der toten Aristokratie die Kleider ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat! Keine Tugend! Die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen Begriffen! – Wie das immer wiederkommt. – Warum kann ich den Gedanken nicht loswerden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln, als ich will, das Blut schlägt immer durch. – Nach einer Pause. Ich weiß nicht, was in mir das andere belügt. Er tritt ans Fenster. Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. Sie öffnen die Türen, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. – Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum? sind wir nicht Nachtwandler? ist nicht unser Handeln wie das im Traum, nur deutlicher, bestimmter, durchgeführter? Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper nachspielt, das ist Zufall.

St. Just tritt ein.

Robespierre. He, wer da im Finstern? He, Licht, Licht!

St. Just. Kennst du meine Stimme?

Robespierre. Ah du, St. Just! Eine Dienerin bringt Licht.

St. Just. Warst du allein?

Robespierre. Eben ging Danton weg.

St. Just. Ich traf ihn unterwegs im Palais-Royal. Er machte seine revolutionäre Stirn und sprach in Epigrammen; er duzte sich mit den Ohnehosen, die Grisetten liefen hinter seinen Waden drein, und die Leute blieben stehn und zischelten sich in die Ohren, was er gesagt hatte. – Wir werden den Vorteil des Angriffs verlieren. Willst du noch länger zaudern? Wir werden ohne dich handeln. Wir sind entschlossen.

Robespierre. Was wollt ihr tun?

St. Just. Wir berufen den Gesetzgebungs–, den Sicherheits- und den Wohlfahrtsausschuß zu feierlicher Sitzung.

Robespierre. Viel Umstände.

St. Just. Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Mörder; wir dürfen sie nicht verstümmeln, alle ihre Glieder müssen mit hinunter.

Robespierre. Sprich deutlicher!

St. Just. Wir müssen ihn in seiner vollen Waffenrüstung beisetzen und seine Pferde und Sklaven auf seinem Grabhügel schlachten: Lacroix –

Robespierre. Ein ausgemachter Spitzbube, gewesener Advokatenschreiber, gegenwärtig Generalleutnant von Frankreich. Weiter!

St. Just. Hérault-Séchelles.

Robespierre. Ein schöner Kopf!

St. Just. Er war der schöngemalte Anfangsbuchstaben der Konstitutionsakte; wir haben dergleichen Zierat nicht mehr nötig, er wird ausgewischt. – Philippeau. – Camille.

Robespierre. Auch der?

St. Just überreicht ihm ein Papier. Das dacht ich. Da lies!

Robespierre. Aha, ›Der alte Franziskaner‹! Sonst nichts? Er ist ein Kind, er hat über euch gelacht.

St. Just. Lies hier, hier! Er zeigt ihm eine Stelle.

Robespierre liest. ›Dieser Blutmessias Robespierre auf seinem Kalvarienberge zwischen den beiden Schächern Couthon und Collot, auf dem er opfert und nicht geopfert wird. Die Guillotinen- Betschwestern stehen wie Maria und Magdalena unten. St. Just liegt ihm wie Johannes am Herzen und macht den Konvent mit den apokalyptischen Offenbarungen des Meisters bekannt; er trägt seinen Kopf wie eine Monstranz.‹

St. Just. Ich will ihn den seinigen wie St. Denis tragen machen.

Robespierre liest weiter. ›Sollte man glauben, daß der saubere Frack des Messias das Leichenhemd Frankreichs ist, und daß seine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden Finger Guillotinenmesser sind? – Und du, Barère, der du gesagt hast, auf dem Revolutionsplatz werde Münze geschlagen! Doch – ich will den alten Sack nicht aufwühlen. Er ist eine Witwe, die schon ein halb Dutzend Männer hatte und sie alle begraben half. Wer kann was dafür? Das ist so eine Gabe, er sieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem Tode das hippokratische Gesicht an. Wer mag sich auch zu Leichen setzen und den Gestank riechen?‹

Also auch du, Camille? – Weg mit ihnen! Rasch! Nur die Toten kommen nicht wieder. Hast du die Anklage bereit?

St. Just. Es macht sich leicht. Du hast die Andeutungen bei den Jakobinern gemacht.

Robespierre. Ich wollte sie schrecken.

St. Just. Ich brauche nur durchzuführen; die Fälscher geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. – Sie sterben an der Mahlzeit, ich gebe dir mein Wort.

Robespierre. Dann rasch, morgen! Keinen langen Todeskampf! Ich bin empfindlich seit einigen Tagen. – Nur rasch! St. Just ab.

Robespierre allein. Jawohl, Blutmessias, der opfert und nicht geopfert wird. – Er hat sie mit seinem Blut erlöst, und ich erlöse sie mit ihrem eignen. Er hat sie sündigen gemacht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die Wollust des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat sich mehr verleugnet, ich oder er? – Und doch ist was von Narrheit in dem Gedanken. – Was sehen wir nur immer nach dem Einen? Wahrlich, der Menschensohn wird in uns allen gekreuzigt, wir ringen alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst keiner den andern mit seinen Wunden.

 

Mein Camille! – Sie gehen alle von mir – es ist alles wüst und leer – ich bin allein.

Zweiter Akt

Erste Szene

Ein Zimmer.

Danton, Lacroix, Philippeau, Paris, Camille Desmoulins.

Camille. Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!

Danton er kleidet sich an. Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder heraus zu kriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so daß alles doppelt geschieht – das ist sehr traurig.

Camille. Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.

Danton. Sterbende werden oft kindisch.

Lacroix. Du stürzest dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißest alle deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, daß es Zeit ist, sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom Berge auf! Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribunen erschrecken und selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Héberts bedroht! Du mußt dich deinem Zorn überlassen. Laßt uns wenigstens nicht entwaffnet und erniedrigt wie der schändliche Hébert sterben!

Danton. Du hast ein schlechtes Gedächtnis, du nanntest mich einen toten Heiligen. Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest recht.

Lacroix. Warum hast du es dazu kommen lassen?

Danton. Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! – ‘s ist nicht zum Aushalten. Ich wollte mir’s bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte. Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es läßt sich an den Fingern herzählen: die Jakobiner haben erklärt, daß die Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent – das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht. Und wenn es ginge – ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür – aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten!

Camille. Pathetischer gesagt, würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder: wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? oder: wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?

Danton. Du bist ein starkes Echo.

Camille. Nicht wahr, ein Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben.

Philippeau. Und Frankreich bleibt seinen Henkern?

Danton. Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? – Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen hören. Das ist ganz artig und paßt für uns; wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden. Es ist recht gut, daß die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? ‘s ist Zeit, daß man das bißchen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus Likörgläschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen. Endlich – ich müßte schreien; das ist mir der Mühe zuviel, das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.

Paris. So flieh, Danton!

Danton. Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit? Und endlich – und das ist die Hauptsache: sie werden’s nicht wagen. Zu Camille. Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden’s nicht wagen. Adieu, adieu! Danton und Camille ab.

Philippeau. Da geht er hin.

Lacroix. Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! Er will sich lieber guillotinieren lassen als eine Rede halten.

Paris. Was tun?

Lacroix. Heimgehn und als Lukretia auf einen anständigen Fall studieren.

Zweite Szene

Eine Promenade.

Spaziergänger.

Ein Bürger. Meine gute Jacqueline – ich wollte sagen Korn ... wollt ich: Kor ...

Simon. Kornelia, Bürger, Kornelia.

Bürger. Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut.

Simon. Hat der Republik einen Sohn geboren.

Bürger. Der Republik, das lautet zu allgemein; man könnte sagen ...

Simon. Das ist’s gerade, das Einzelne muß sich dem Allgemeinen ...

Bürger. Ach ja, das sagt meine Frau auch.

Bänkelsänger singt.

 
Was doch ist, was doch ist
Aller Männer Freud und Lüst?
 

Bürger. Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins reine.

Simon. Tauf ihn Pike, Marat!

Bänkelsänger.

 
Unter Kummer, unter Sorgen
Sich bemühn vom frühen Morgen,
Bis der Tag vorüber ist.
 

Bürger. Ich hätte gern drei – es ist doch was mit der Zahl Drei – und dann was Nützliches und was Rechtliches; jetzt hab ich’s: Pflug, Robespierre. Und dann das dritte?

Simon. Pike.

Bürger. Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche Namen, das macht sich schön.

Simon. Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der römischen Wölfin – nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das geht nicht. Gehn vorbei.

Ein bettler singt. ›Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos ...‹ Liebe Herren, schöne Damen!

Erster herr. Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus!

Zweiter herr. Da! Er gibt ihm Geld. Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist unverschämt.

Bettler. Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?

Zweiter herr. Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben; ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne ...

Bettler. Herr, warum habt Ihr gearbeitet?

Zweiter herr. Narr, um den Rock zu haben.

Bettler. Ihr habt Euch gequält, um einen Genuß zu haben; denn so ein Rock ist ein Genuß, ein Lumpen tut’s auch.

Zweiter herr. Freilich, sonst geht’s nicht.

Bettler. Daß ich ein Narr wäre! Das hebt einander. Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz leicht. Singt. ›Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos ...‹

Rosalie zu Adelaiden. Mach fort, da kommen Soldaten! Wir haben seit gestern nichts Warmes in den Leib gekriegt.

Bettler. ›Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!‹ Meine Herren, meine Damen!

Soldat. Halt! Wo hinaus, meine Kinder? Zu Rosalie . Wie alt bist du?

Rosalie. So alt wie mein kleiner Finger.

Soldat. Du bist sehr spitz.

Rosalie. Und du sehr stumpf.

Soldat. So will ich mich an dir wetzen. Er singt.

 
Christinlein, lieb Christinlein mein,
Tut dir der Schaden weh, Schaden weh,
Schaden weh, Schaden weh?
 

Rosalie singt.

 
Ach nein, ihr Herrn Soldaten,
Ich hätt es gerne meh, gerne meh,
Gerne meh, gerne meh!
 

Danton und Camille treten auf.

Danton. Geht das nicht lustig? – Ich wittre was in der Atmosphäre; es ist, als brüte die Sonne Unzucht aus. – Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse? Gehn vorbei.

Junger Herr. Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Bäumen, das Blinken eines Sterns ...

Madame. Der Duft einer Blume! Diese natürlichen Freuden, dieser reine Genuß der Natur! Zu ihrer Tochter. Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen dafür.

Eugenie küßt ihrer Mutter die Hand. Ach, Mama, ich sehe nur Sie.

Madame. Gutes Kind!

Junger Herr zischelt Eugenien ins Ohr. Sehen Sie dort die hübsche Dame mit dem alten Herrn?

Eugenie. Ich kenne sie.

Junger Herr. Man sagt, ihr Friseur habe sie à l’enfant frisiert.

Eugenie lacht. Böse Zunge!

Junger Herr. Der alte Herr geht nebenbei; er sieht das Knöspchen schwellen und führt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen, der es habe wachsen machen.

Eugenie. Wie unanständig! Ich hätte Lust, rot zu werden.

Junger Herr. Das könnte mich blaß machen. Gehn ab.

Danton zu Camille. Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehen bleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie müßten zu den Fenstern und zu den Gräbern herauslachen, und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen. Gehn ab.

Erster herr. Ich versichre Sie, eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen Künste bekommen dadurch eine andere Physiognomie. Die Menschheit eilt mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen.

Zweiter herr. Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen, und das alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf. Er bleibt verlegen stehn.

Erster herr. Was haben Sie denn?

Zweiter herr. Ach, nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfütze – so! Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbei; das konnte gefährlich werden!

Erster herr. Sie fürchteten doch nicht?

Zweiter herr. Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. – Man muß mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen!