Destination Berlin

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

How I Met The Uschi

Samstag, 13. Juli 2013

Es ist ein recht warmer und sonniger Sommerabend.

Seit Wochen hatte ich mir vorgenommen, mir mal noch die eine oder andere Location in Forchheim anzuschauen, die ich noch nicht kenne. Nicht, dass es in Forchheim allzu viele sehenswerte Locations geben würde.

Ansonsten war ich als Gewohnheitstier immer nur im „Schlawiner“ oder im „Saitensprung“, dessen Namen so mancher aufgrund fehlenden Intellekts falsch interpretiert hat. Und das, obwohl über dem Eingang extra eine übergroße, leuchtende Gitarre hing. Leider ein verschwendeter Hinweis für die Personen, die bisher - im Gegensatz zu dieser Gitarre - noch keinerlei Erleuchtung in ihrem Leben erfahren haben.

Schließlich habe ich mich aufgrund geografischer Bequemlichkeit für die heimische Bar (meinem Wohnzimmer) entschieden.

Zwei Huppendorfer, einen Whiskey-Cola und einer albernen Komödie später konnte mir die Welt an diesem Abend eigentlich gestohlen bleiben.

Aber irgendetwas hatte dieser noch recht frühe Abend an sich, dass ich nicht komplett zu Hause hocken wollte. Irgendwas lag in der Luft. Und da ich noch nicht in der Hauptstadt wohnte (und daran auch noch lange nicht zu denken war), war es definitiv kein Pfefferminzlikör.

Unter der Woche bin ich um diese Uhrzeit immer eine Runde mit dem Fahrrad Richtung „Sportinsel“ gefahren. Und an diesem Samstagabend drängte mich irgendetwas dazu, diese Regel zu brechen und an einem Samstag (what?!?) diese kleine 30-45-Minuten-Tour anzutreten.

Als ich mein Fahrrad aus dem Schuppen (einen ehemaligen Waschraum mit Waschtrog) holte, lief mir mein Nachbar Jochen über dem Weg, der mir beiläufig erzählte, dass es beim „Arbeiter-Turn-und-Sportverein Forchheim„ (kurz: ATSV Forchheim) heute irgendeine Open-Air-Veranstaltung geben würde.

Aha. Da wir uns in Forchheim befinden, kann das ja nichts besonders aufregendes sein - dachte ich mir zumindest.

Ich drehte also meine übliche - bzw. für diesen Wochentag eher unübliche - Runde mit dem Fahrrad und dachte mir auf dem Rückweg, dass ich ja mal kurz beim ATSV einschlänkern könnte.

Und tatsächlich: Musik - und zwar „richtige“ Partymucke.

Wieder zu Hause angekommen beschloss ich dann ungewöhnlich spontan, an diesen Abend doch noch auszugehen. Immerhin lag der ATSV nur wenige Gehminuten von meiner Wohnung entfernt. So what (says „Red Zac“).

Nach einer kurzen Dusche und ca. 30 Minuten später war ich also am umzäunten Sportgelände und hörte statt Musik nur irgendwelchen Hip Hop. Gaaanz toll.

Aber für solche Fälle habe ich ja meine „3-Runden-Regel“:

Ich drehe drei Runden um den Veranstaltungsort (meistens genügend Zeit, um einschätzen zu können, ob da auch noch andere Musik gespielt wird) und wenn mir die Musik dann immer noch nicht gefällt, dann geh ich wieder heim. Diese Regel hat sich schon bei so mancher Open-Air-Veranstaltung und Discotheken-Besuch bewährt.

Nach der dritten Runde wurde zwar kein Hip Hop mehr gespielt, aber musiktechnisch war das irgendwie immer noch nicht so das Gelbe vom Ei.

Aber eine innere Stimme hielt mich trotzdem vom Heimweg ab. Stattdessen begab ich mich genau in die entgegengesetzte Richtung.

Am Stadtrand Richtung Autobahn gab es - so hatte ich es zumindest einige Wochen zuvor gelesen - eine Bar. Dorthin musste ich zwar gut 25 Minuten laufen, aber da ich mich an diesem Abend ohnehin schon von meinem gemütlichen Sofa aufgerafft hatte, konnte ich diesen kleinen Umweg nun auch noch in Kauf nehmen - und vielleicht würde es sich ja lohnen.

Spoiler: Nein, tat es nicht! Zumindest nicht direkt, sondern über Umwege …

Ich war der einzige Gast und nach einem Bier wollte der Betreiber die Bar dann gegen 22:30 Uhr schließen. Immerhin konnte ich einen Haken hinter „mal eine neue Bar ausprobiert“ setzen.

Da das Veranstaltungsgelände des ATSV ohnehin auf dem Heimweg lag, wollte ich noch einmal kurz vorbeischauen, ob da überhaupt noch etwas los wäre - immerhin war es schon fast 23 Uhr und somit eigentliches Ende jeglicher Open-Air-Veranstaltung in Forchheim.

Nachdem ich mich einige Minuten in der Nähe des Eingangs aufgehalten und nun den nötigen Schwung für den restlichen Heimweg hatte, sprach mich aus dem Dunkel plötzlich eine junge Dame an.

„Entschuldigung, weißt Du zufällig was das hier für eine Veranstaltung ist?“

Erst wollte ich instinktiv meine Arme nach oben reißen und ihr meinen Geldbeutel übergeben.

Wir kamen schließlich ins Gespräch und sie erzählte mir, dass Sie mit dem Fahrrad eigentlich auf eine Geburtstagsfeier einer Freundin fahren wollte und beim Vorbeifahren hier Musik gehört hätte.

Sie war 19 und ich noch keine 30. Und es war Sommer.

Überraschenderweise unterhielt ich mich - anders als sonst mit mir unbekannten Menschen - normal mit ihr, ohne ihr als Abwehrreaktion schlechte Witze oder dämliche Sprüche um die Ohren zu hauen.

Ok, als sie mir ihren Namen („Ursula, aber alle nennen mich Uschi“) genannt hatte, konnte ich mir ein „Darauf reimt sich ja gar nichts - außer Sushi“ nicht verkneifen - aber das schien sie zumindest nicht abzuschrecken. Interessant …

Stattdessen kam von ihr der Vorschlag, ob wir uns das Ganze Spektakel denn nicht mal gemeinsam von innen (also dem inneren Außen) anschauen wollen. Ich mag Frauen, die den ersten Schritt wagen - denn hierfür fehlt mir jegliche Begabung, manch einer würde auch sagen: Mut

Zu meiner großen Überraschung war die Veranstaltung noch - ganz forchheim-untypisch - bis in die frühen Morgenstunden geplant und natürlich ging der Eintritt und das erste Bier Teilzeit-Gentleman-like auf mich.

Und was soll ich sagen: Wir haben uns gute 4 Stunden über alle möglichen Themen unterhalten, u.a. auch über Politik, Religion, dem Sinn des Lebens - also alle Themen, die man bei einem ersten Treffen eigentlich vermeiden sollte.

Aber irgendwie hat sich dabei ein teilweise recht tiefsinniges Gespräch ergeben. Und ich hatte sie schon mal vorsorglich zu meiner nächsten Geburtstagsfeier eingeladen.

In acht Monaten! Planung ist alles …

So gegen halb vier Uhr morgens wurden die Gäste dann so langsam musikalisch zum gehen „motiviert“ und wer sich von der Rausschmeißer-Musik nicht zum Gehen bewegen ließ, tat dies wohl spätestens nach der Schließung der Bar.

Als Gentleman habe ich sie noch zu ihrem Fahrrad begleitet, mich für den tollen Abend bedankt, ihr eine gute Heimfahrt gewünscht und ´nen Drückerchen gab´s von ihr auch noch.

Ich mag zwar keine Umarmungen, aber in diesem Fall war es irgendwie ok für mich.

Auf dem Heimweg fiel mir dann auch prompt ein, was ich vergessen hatte: Sie nach ihrer verdammten Telefonnummer zu fragen! So ein verdammter Mist!

Bis zur Ankunft an meiner Wohnung fielen mir noch zahlreiche weitere (meist nicht jugendfreie) Schimpfwörter für mich selbst ein.

Zu diesem Zeitpunkt war mir natürlich noch nicht klar, wie unglaublich einfach es sein würde, sie ausfindig zu machen und welche Unruhen sie acht Monate später auf meiner Geburtstagsfeier auslösen würde …

 78

Der Fluch der vier (Bluts-)Brüder

Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder, den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter.

Die Mutter, das war (oder ist - keine Ahnung, ob sie noch lebt) die Mutter meines Erzeugers: Hilde

Ich vermeide mittlerweile bei ihr den Begriff „Oma“, ähnlich wie bei meinem Erzeuger den Begriff „Vater“.

Die vier Kinder sind Georg (mein Erzeuger), Mike, Udo und Anders - und jeder von ihnen ist tatsächlich in einer anderen Jahreszeit geboren worden.

Udo (aufgrund seiner Statur hinter vorgehaltener Hand auch „Specki“ genannt) hat einen Sohn und eine Tochter - die einzige Enkelin von Hilde und dadurch ihr ganzer Stolz.

Seine Frau heißt Karin und kommt ursprünglich aus Berlin. Wahrscheinlich bin ich über sie das erste Mal direkt mit dem Berliner Dialekt in Berührung gekommen.

Er, bzw. sie hatte auch das muntere Partner-wechsle-dich-Spielchen eingeläutet, was sich letztendlich fast auf die ganze Familie ausbreiten sollte.

Die Trennung zwischen Karin und Udo erfolgte 2002 oder 2003. Sie nahm den Sohn mit und die Tochter blieb bei Udo.

Fun Fact: Er und Peggy wurden schließlich nach der Trennung von meinem Erzeuger ein Paar - man könnte also sagen:

Sie blieb in der Familie.

Ach so, falls ihr euch fragt: „Wer ist denn eigentlich Peggy?“ - Dazu komme ich später noch …

Mein Erzeuger Georg ist der jüngste der vier Brüder, hat zwei Söhne (meine Wenigkeit und meinen Bruder), hat 1993 eine kleine Firma übernommen und aus diesem kleinen, miesen Saftladen einen etwas größeren … ähh … naja ... gemacht.

Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich an das Ende sehe …

Er nahm sich wohl seinen Bruder Udo zum Vorbild und trennte sich 2004 von seiner Frau, also meiner Mutter.

Mike hat zwei Kinder, davon eines mit seiner Frau, die ebenfalls Karin heißt. Er war wohl früher dem Alkohol nicht gerade abgeneigt (hat das Ganze aber mittlerweile seit vielen Jahren im Griff), ist der älteste der vier Brüder, ein Spaßvogel, aber nicht unbedingt der mit dem ausgeprägtesten Rückgrat.

Sein Sohn Mark heiratete jung (weil ein Kind unterwegs war), trennte sich aber wenig später wieder von seiner Frau.

Mike und Karin haben sich wohl Jahre später ebenfalls scheiden lassen ...

Anders ist das schwarze Schaf der Familie. Er ist ebenfalls Alkoholiker, hat weder Frau noch Job und kommt jeden Sonntag zum Essen zu seiner Mutter Hilde.

 

Er und mein Erzeuger liegen seit Jahren im Clinch - warum weiß eigentlich keiner mehr so genau. Diverse Schlichtungsversuche blieben erfolglos und Familientreffen werden meistens so gelegt, dass einer der beiden nicht anwesend ist, oder sie sich zumindest in verschiedenen Räumen aufhalten können.

Zumindest was Scheidungen betrifft, hat er eine weiße Weste - er war nie verheiratet.

Mit „Oma“ Hilde habe ich seit etwa 2007 keinen Kontakt mehr. Nicht, weil sie die Mutter meines Erzeugers ist, sondern weil sie meint, hinter meinem Rücken Unsinn und Unwahrheiten erzählen zu müssen.

Das kann man einer älteren Frau sicherlich schon mal verziehen - aber nicht, wenn es quasi zum normalen Umgang wird und nicht etwa auf das Alter oder einer Demenz zurückzuführen ist.

Gegen die ganzen Aktionen meines Erzeugers und dessen familiärer Gefolgschaft, hatte sie offensichtlich auch keine Einwände oder Bedenken gehabt.

Sind die Äpfel also nicht weit vom Stamm gefallen? Ist sie (mit) der Grund, warum alle ihre Söhne einem gewissen Wahnsinn und (bis auf Udo) dem Alkohol verfallen sind?

Ist dieser Teil der Familie nur so verkorkst geworden, weil es zu den ganzen Trennungen gekommen ist, oder kam es zu den Trennungen, weil die Blutlinie der Familie so verkorkst ist?

Und welche Auswirkungen wird diese Blutlinie noch auf mich und meine eventuellen Kinder haben?

Ist Kinderlosigkeit eigentlich vererbbar?

 28

Das Imperium der Wölfe schlägt zurück

Mittwoch, 18. Juli 2007

Es sind nun 5 Tage seit meiner kleinen „RTLzwei-Andreas-Halt-Stop-Aktion“ vergangen und es ist ruhig - zu ruhig.

Ich habe seitdem keinen Mucks von meinem Erzeuger gehört. Nicht, dass es mich sonderlich stören würde, aber es irritiert mich schon ein wenig.

Eigentlich hatte ich zumindest mit einer kleinen Suff-Nachricht oder einem abendlichen Dauerklingeln an der Tür gerechnet.

Sollte er tatsächlich die Botschaft verstanden haben?

Oder kommt da noch was, sobald ich mich in trügerischer Sicherheit wiege?

Ha, ich habe Dich durchschaut - mögen die Spiele beginnen!

Als ich zum Wochenbeginn das Haus auf dem Weg zur Arbeit verließ, schaute ich zur Sicherheit mit einem prüfenden Blick unter mein Auto, bevor ich einstieg und losfuhr.

Man weiß ja nie. So eine Bremsleitung ist schließlich schnell mal durchgeschnitten und mit manipulierten Autos hatte mein Erzeuger und sein Gefolge ja bereits zu tun gehabt.

Am Mittwoch fuhr ich schließlich mit dem Rad zur Arbeit - immerhin war es Sommer (nicht das erste Mal im Leben) und zumindest auf dem Hinweg ging es größtenteils bergab, was den Heimweg zwar nicht gerade leicht machen sollte, mich aber morgens noch nicht kümmerte.

Ohnehin war der Heimweg diesmal etwas anders als sonst, jedoch wusste ich morgens natürlich noch nichts von der kleinen „Überraschungsparty“, die mich am Nachmittag erwarten sollte.

An diesem Nachmittag fuhr ich zum ersten - und auch letzten Mal - zusammen mit einer Kollegin den großen Bogen vom Fahrradabstellplatz einmal um die ganze Lagerhallte herum durch das Ausgangstor - als plötzlich ca. drei Meter danach ein Bauch in meinem Sichtfeld auftauchte und ich samt Fahrrad plötzlich am Boden lag.

Erst nach meinem reflexartigen „bist-Du-bescheuert“-Ausruf während des Aufstehens, realisierte ich, dass es sich bei dem ominösen Bauch um den Bauch meines Onkels Udo handelte.

Meine Kollegin stand geschockt daneben und wusste nicht so recht, was dann da gerade passierte.

Nun, ich auch (noch) nicht.

Udo blaffte sie nur an, dass sie weiterfahren solle und schob ein pseudo-beruhigendes „alles in Ordnung, ich bin sein Onkel“ hinterher. Nach einem prüfenden Blickkontakt mit mir, ein „alles in Ordnung, fahr ruhig“ meinerseits und einem kurzen Überlegen ihrerseits, fuhr sie schließlich - immer noch recht irritiert - davon.

Was sollte mir schon passieren? Immerhin war das hier keine dunkle Gasse, sondern ein öffentlicher Bereich, in dem permanent LKWs rein und Kollegen in Feierabendlaune hinaus fahren würden.

„Du hast ja keine Ahnung, wie viele Leute Du gegen Dich aufgebracht hast!“, wetterte Rumpelstilzchen-Udo und machte eine winkende Geste zu dem noch leeren Bereich hinter sich.

Plötzlich tauchten ca. 20 Leute auf, die fast in Zeitlupe auf mich zukamen. Es fehlte nur noch etwas Bodennebel und eine Steppenhexe, die durch die Szenerie rollt. Das Ganze wirkte etwas wie eine Low-Budget-Movie-Produktion der „Lebenshilfe e.V.“.

Udo wiederholte grinsend: „Schau, die ganzen Leute hast Du gegen Dich aufgebracht!“

Hmm, da waren mein Onkel Mike, seine Frau, ein paar ehemalige Kollegen, die Geliebte meines Erzeugers, zwei Kinder (die vermutlich die Reihen etwas auffüllen sollten) und etliche Leute, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.

Mein Erzeuger war natürlich nicht dabei.

Mike kam auf mich zu und murmelte einen offensichtlich zuvor auswendig gelernten Satz, an dem ich mich gar nicht mehr erinnern kann - obwohl er ihn sogar mehrfach wiederholte. Boah, muss DER Satz wichtig gewesen sein.

Meine Tante hielt auch eine kurze Rede, auf die ich mich aber nicht wirklich konzentrieren konnte, weil plötzlich neben mir so ein Typ aufgetaucht war und mich mit nicht unerheblich russischen Dialekt fragte: „Kennt Du Russenmafia?“

Anscheinend ein Statist mit nur einen Satz, denn auch nach mehrfachen nachfragen meinerseits „Wer bist Du überhaupt?“, kam als Antwort immer nur wieder der Satz mit der Russenmafia.

Zwischenzeitlich hielt eine Kollegin mit dem Auto an und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich bejahte und rief ihr noch ein leicht locker gekünzeltes „bis morgen“ entgegen.

Nachdem dann jeder aus der Gruppe (wie an einem Familien-Weihnachtsfest vor der Bescherung) sein Sätzlein aufgesagt hatte, standen wir nun so da und keiner wusste so recht, wie es denn nun eigentlich weitergehen sollte.

Was für ein schlechtes Drehbuch.

Zugegeben, mein Herzschlag war deutlich erhöht, aber anscheinend konnte ich meine innere Aufregung ganz gut verbergen, denn Udo schien sichtlich irritiert von meiner (gespielten) Gelassenheit.

Das nutzte ich zu meinem Vorteil und preschte mit einem halbwegs gelassen und fast schon arrogant klingenden „Und nun?“ vor.

Udo erwiderte: „Vielleicht solltest Du Dir nochmal genau überlegen, ob Du Dich mit all den Leuten hier wirklich anlegen willst.“

Aus dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie „Russenmafia-Ralle“ erneut zu seinem Standardsatz ausholen wollte, aber von meiner Tante zurück gehalten wurde. Braves Schoßhündchen. Der gehört definitiv zu den Leuten meines Erzeugers.

Apropos Schoßhündchen: Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund folgte Udo unverzüglich meiner Aufforderung, die durch den Sturz abgesprungene Fahrradkette wieder aufzulegen.

Vielleicht, weil er da schon merkte, dass er durch diese Aktion mehr Schaden angerichtet hatte, als sein eigentliches Ziel zu erreichen: mich einzuschüchtern

Als jemand mit Anstand bedankte ich mich (höhnisch) grinsend und fragte fast schon spöttisch:

„Ist noch irgendwas, oder darf ich jetzt fahren?“

Mit einer etwas widerwilligen Geste ließ er mich gewähren und murmelte noch ein mittlerweile deutlich kleinlauter klingendes „Überlegs Dir!“.

Spätestens jetzt war klar, dass er sich die Situation in der Theorie wohl ganz anders vorgestellt hatte. Das stachelte mich nur dazu an, beim Vorbeifahren den Leuten zuzuwinken und mich mit einem „Tschüss, bis zum nächsten Mal“ und einem fetten Grinsen zu verabschieden.

Ja, mein Herzschlag war immer noch stark beschleunigt, aber ich spürte eine gewisse Überlegenheit über diese Knallköpfe, die dumm genug waren, so eine Aktion so derart öffentlich und somit vor zahlreichen potenziellen Zeugen durchzuführen.

Immerhin sollte mein Onkel Udo in diesem Punkt noch dazu lernen.

Ich für meinen Teil war an diesen Tag erstmal erleichtert, als ich in meiner sicheren Wohnung ankam.

Doch sollte ich sie und vor allem meinen Erzeuger damit durchkommen lassen?

Wohl eher nicht …

 37

Der Rosen(montags)krieg (oder: Türkisch für Anfänger)

Montag, 23. Februar 2004

Welches Ereignis verändert einen Menschen am meisten? Die Pubertät? Geld? Macht? Der erste Döner?

Das Ereignis, dass sich ohne Übertreibung als einer der wichtigsten Wendepunkte in meinem Leben bezeichnen lässt, wurde am Rosenmontag 2004 eingeleitet.

Ein Tag, an dem ich begann, einige Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, das Vorhandensein potenzieller Fehlbarkeit von Elternteilen langsam aus dem Unterbewusstsein in das Bewusstsein wechselte und eine Kette von Ereignissen ausgelöst wurde, die mich letztendlich auch mit zu einem Menschen gemacht hatten, den es 11 Jahre später in seine neue Wahlheimat nach Berlin ziehen würde.

Eigentlich war es ein ganz normaler Tag. Ich war junge 18 Jahre alt, war mit der Schule fertig, durfte Auto fahren, begann langsam das Nachtleben für mich zu entdecken, wohnte noch bei meinen Eltern in Unterleinleiter - und arbeitete als Selbstständiger für die Firma meines Erzeugers in Forchheim, für den ich damals noch das „V-Wort“ verwendete.

Mike, Udo und Mike´s Karin arbeiteten ebenfalls für ihn - also ein richtiger Familienbetrieb mit noch einigen zusätzlichen Angestellten.

Ich hatte dort mit meiner Einmann-Firma (die hauptsächlich für ihn gearbeitet hatte) ein eigenes kleines Büro und arbeitete i.d.R. von 7 bis 17 Uhr - mein Erzeuger kam und ging meistens vor und nach mir. Zumindest bis zu diesem Tag …

Kurz vor 17 Uhr kam mein Onkel Mike in mein Büro und fragte, ob ich wüsste wo der „Meister“ (so nannten einige damals in der Firma meinen Erzeuger) wäre. Er hätte sich vor einer halben Stunde bei ihm für heute verabschiedet und meine Mutter hätte angerufen und gemeint, dass er sie angerufen hätte, total seltsam gewesen wäre und gemeint hätte, nicht mehr nach Hause zu kommen.

Obwohl der „große Meister“ streckenweise einen noch seltsameren Humor hatte als ich, kam mir die Situation etwas eigenartig vor, wobei ich das Ganze zunächst trotzdem nicht besonders ernst nahm. Vielleicht wollte er eine kleine Überraschung für meine Mutter vorbereiten und daher rechnete ich fest damit, dass er vor mir zu Hause wäre.

Also eine Überraschung gab es tatsächlich … Nur nicht eine ganz so kleine!

Zuhause angekommen war da: Mein kleiner Bruder und meine Mutter, die mir genau das erzählte, was mir Mike zuvor erzählt hatte. Was zum Teufel war denn jetzt auf einmal los hier? Ein doch sehr schlechter Scherz von ihm - so war ich nach wie vor überzeugt.

Als dann gut zwei Stunden später - pünktlich zu „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ - zu Abend gegessen wurde, mein Erzeuger immer noch nicht aufgetaucht war und mein kleiner Bruder (damals noch 4 Jahre alt) meine Mutter ständig nach dem Papa fragte und sie nur etwas forsch meinte „der Papa kommt nicht mehr“, realisierte ich langsam, dass da etwas ganz anderes als ein schlechter Scherz in der Luft hing.

Kurzfassung: Firmenchef bekommt Midlife-Krise und fängt Affäre mit Mitarbeiterin an, Mama „not amused“, Ehemann der Mitarbeiterin (sie Deutsche - er Türke) erst recht nicht „amused“, Erzeuger provoziert Türke, Türke droht Erzeuger und dann kommen ja auch noch die Russen, die Sache mit den „angeschossenen“ Autos und einer der lächerlichsten Selbstmorddrohungen, die sogar für „Mitten im Leben“ zu unglaubwürdig gewesen wäre … und dann war ja noch die Sache mit dem vollgepissten Teppich.

Ups … Spoileralarm … Sorry …

Aber der Reihe nach!

Am nächsten Morgen fand ich den werten Herrn in der Dachkammer seiner Firma vor - zerfließend im Selbstmitleid gestand er mir, dass er nicht mehr mit meiner Mutter zusammenleben könne und auch schon „eine Neue“ hätte.

Wen, wollte er mir natürlich nicht verraten.

Aber da ich mehr mitbekomme, als mir auch schon damals die meisten zugetraut hätten, erinnerte ich mich an ein sehr intensives und mehr oder weniger (eher weniger) „geheimes“ Gespräch zwischen ihm und einer seiner Mitarbeiterinnen (Peggy) am Vortag.

Darauf angesprochen bestätigte mir sein erstaunter Gesichtsausdruck meine These. Nicht das letzte Mal, an dem er mich unterschätzen sollte …

 

Natürlich musste ich ihm hoch und (schein)heilig versprechen, dass ich es für mich behalten würde - nur damit ich nach ca. einer Woche erfahren sollte, dass es eigentlich so ziemlich jeder schon inoffiziell wusste, weil die anderen ebenso wenig dämlich waren wie ich.

Zumindest in diesem Punkt - aber dazu später mehr.

Meine Mutter blieb für die Rolle der gehörnten Ehefrau der Situation entsprechend erstaunlich gelassen.

Die deutsch-türkische Freundschaft dagegen erlitt einen schweren Dämpfer, als auch Peggy´s Ehemann Mohammed Wind von der ganzen Sache bekam und mein Erzeuger obendrein meinte, ihn unter Einfluss des wohl (wieder) lieb gewonnenen flüssigen Berauschungsmittels auch noch provozieren zu müssen - und dafür blieb Mohammed der Situation entsprechend wiederrum erstaunlich gelassen.

Das Ganze erreichte schließlich seinen vorläufigen Höhepunkt, als wenige Wochen später meine Mutter zusammen mit meinem Bruder und dem untreuen Ehemann einen Versuch unternehmen wollte, der Noch-Ehe mit einem gemeinsamen Wochenendausflug neues Leben einzuhauchen.

Da mein Erzeuger an diesen Samstag natürlich plötzlich arbeiten musste, fuhr meine Mutter mit meinem Bruder vormittags schon mal vor und mein Erzeuger versprach, am frühen Nachmittag hinterher zu kommen.

Ich durfte an diesem Wochenende endlich einmal wieder die Stille eines in den letzten Wochen etwas lauter gewordenen Zuhauses genießen - zumindest war das der Plan.

Gegen 15 Uhr rief mich mein Erzeuger an und erzählte mir, dass er sich - falls meine Mutter fragen würde wo er bleibt - total verfahren hätte. Im Hintergrund war Verkehrslärm zu hören. Nur blöd, dass er nicht daran gedacht hatte, von seinem Handy aus anzurufen und ich ihn verwundert fragte, warum denn die Firmennummer im Display angezeigt wird, obwohl er doch schon unterwegs sei.

Erst kam er mit irgendeiner „wahrscheinlich-Umleitungs-bla-bla“-Ausrede, aber dann fiel ihm wohl plötzlich wieder ein, dass er mich nicht zum ersten Mal unterschätzt hatte und gab schließlich recht schnell zu, noch gar nicht losgefahren zu sein. Er wollte sich erst noch mit Mohammed treffen und mit ihm die Angelegenheit klären, bevor dessen Drohungen noch mehr eskalieren würden (tja, Wespennest und so, wa?).

Und weil ja ein Wochenende Zuhause in Ruhe und Frieden viel zu langweilig gewesen wäre, bekam ich ca. eine Stunde später von meinem Erzeuger den Auftrag, ihn jede halbe Stunde auf dem Handy anzurufen, damit Mohammed „nicht auf dumme Gedanken kommt“ - ein ziemlich sinnloser Plan, da er mir nicht verraten wollte, wo sie sich denn überhaupt treffen würden.

Im Laufe des späten Nachmittags und frühen Abends rief ich ihn also als treusorgender Sohn (der ich damals noch war) pünktlich jede halbe Stunde an und bemerkte mit jedem Anruf auch seinen stetigen alkoholbedingt eingeleiteten Sprachverlust.

Hmm … Wie er wohl sein Versprechen halten will und sich noch mit meiner Mutter zum Wochenendausflug treffen will? Zumindest glaubt er immer noch fest daran, dass sie nicht schon längst realisiert hätte, dass er nicht mehr kommen würde. Und warum sollte ich sie dahingehend anlügen?

So gegen 19 Uhr (pünktlich zum halbstündigen Kontrollanruf) war er dann nicht mehr in der Lage, selbst an sein Telefon zu gehen, was stattdessen Mohammed für ihn erledigte - und angestrengt versuchte, das Gelalle meines Erzeugers für mich zu übersetzen.

Mohammed und ich vereinbarten, dass er ihn und sein Auto nun nach Hause bringen würde (den Autoschlüssel hatte er ihm wohl schon längst abgenommen) und ich dafür Mohammed anschließend zu seinem Auto fahre.

Seltsam, keinerlei Drohungen oder irgendeine Art von bösem Wort - dafür, dass mein Erzeuger ihm die Frau ausgespannt und ihn in den letzten Wochen dauernd provoziert hatte, war er unglaublich entspannt. Ich an seiner Stelle hätte meinen Erzeuger wohl einfach in der Bar, in der sie sich getroffen hatten sitzen gelassen und ihm gewünscht, dass er betrunken gegen den nächsten Baum fährt.

Gut 20 Minuten später klingelte es an der Tür und Mohammed brachte meinen Erzeuger - der neben seiner sprachlichen, auch die Fähigkeit der selbstständigen Fortbewegung verloren hatte (mal von seiner Würde ganz zu schweigen) - in die Wohnung.

Da ich damals noch um das Wohlergehen meines Erzeugers besorgt war und fürchtete, dass er entweder beim kläglichen Versuch der selbstständigen Fortbewegung die Treppen hinunter, oder wahlweise durch die alternativ zur Sicherheit geschlossenen Glastür fallen könnte, beschloss ich kurzerhand meine Tante Karin anzurufen, damit sie in der Zeit, in der ich meinen Erzeuger alleine lasse um Mohammed zu seinem Auto zu bringen, auf meinen Erzeuger aufpasst.

Da sie damals nur wenige Minuten entfernt wohnte und über die Situation durch meine Mutter größtenteils ohnehin schon informiert war, war sie wenige Minuten später vor Ort und ich konnte Mohammed nach einem auch für ihn langen und stressigen Samstag endlich zu seinem Auto bringen.

Wieder Zuhause angekommen war zwischenzeitlich auch meine Mutter mit meinem Bruder wieder zurück. An ihrer Stelle hätte ich stattdessen lieber das Wochenende jenseits der eigenen vier Wände ohne meinen Erzeuger genossen.

Ach ja, von ihm wurde ich am nächsten Tag natürlich angemault, weil ich meiner Tante Bescheid gegeben hatte, damit sie aufpasst, dass ihm im Suff nichts passiert.

„Erzähl es doch gleich im ganzen Dorf rum!“ - nun, das wäre eigentlich keine schlechte Idee gewesen.

Das war das erste Mal, dass mich sein Rumgemaule komplett kalt gelassen hatte …

Aber es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein …

 46

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?