Der ultimative Jimi Hendrix Guide

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Jeder kennt sie – dieselbe alte Story

Rhythm and Blues rekonfiguriert

Hendrix’ Erbe wird aus den verschiedensten Gründen (positiver und negativer Natur) von Journalisten, Sensationssüchtigen und Konservativen unterschiedlich dargestellt. Der Musiker, das extravagante Sexsymbol, die Galionsfigur einer Drogengeneration, die das erntete, was sie säte – das sind all die verschiedenen Ausprägungen von Jimi Hendrix, die die Welt heute kennt. Jung und schön gestorben, ist er immer noch vermarktbar und klar erkennbar und kann zum Verkauf von Musikprodukten und Laptops genutzt werden. Da er aufgrund von Drogen so jung verstarb, eignet er sich aber auch als warnendes Beispiel.

Was dabei meist verlorengeht, sind die facettenreichen musikalischen Innovationen. Er verschob die Grenzen des Aufnahmestudios hinsichtlich des Einfangens von bislang unbekannten Klängen, seine Musik war ein Laboratorium, in dem Rock, Blues und Jazz kollidierten und somit den Grundstein für Heavy Metal sowie Fusion legten – nicht zu vergessen die Wurzeln des Rap. Darüber hinaus definierte er das Konzerterlebnis neu.

Was im Trott der Zeit verlorenging, in der sich stetig verändernden Erinnerung, ist die manifeste Kraft von Hendrix’ persönlichen, aber trotzdem universellen Texten und seine fast unheimliche Fähigkeit, die Zeilen anderer verständlich zu machen, speziell von Bob Dylan. Ein Großteil der Texte der späten Sechziger haben sich im Verlauf der Jahre nicht gut gehalten, aber die von Hendrix sind in Würde gealtert, da sie sich vier Kategorien zuordnen lassen, die immer noch relevant sind:

1. Rhythm and Blues

2. Science Fiction und Fantasy

3. Realismus

4. Klassische Elemente

Im Folgenden werden wir uns die Pfeiler von Hendrix’ Œuvre näher anschauen, beginnend mit dem Rhythm and Blues.

Als Chandler von Jimi Hendrix verlangte, eigenes Material zu komponieren, war es offensichtlich, dass dieser sich an dem orientierte, was er kannte: die Reimpaare tausender von Rhythm-and-Blues-Songs, die er als Begleitmusiker auf den Ochsentouren musikalisch untermalte oder zwischen 1963 und 1966 in verschiedenen Studios hörte. Vor dem Zwischenspiel mit Cream und der Idee, sich als Leader eines Trios zu verwirklichen, schwebte Hendrix eine neunköpfige Rhythm-and-Blues-Revue vor.

Der deutlichste Beleg für die musikalischen Lehrstunden des Musikers findet sich auf der ersten CD von West Coast Seattle Boy, einer von Sony Legacy veröffentlichten Anthologie aus vier CDs. Auf dieser CD sind Beispiele von Hendrix-Aufnahmen zu hören, die er als Session-Musiker für andere Rhythm-and-Blues-Sänger und diverse weitere Künstler machte. Dazu zählen die Isley Brothers, Don Covay, Little Richard und King Curtis. Das alles gleicht einer Art Soundtrack für Jackie Brown, an den Regisseur Quentin Tarantino niemals gedacht hätte. Diese Zeitkapsel im CD-Format vermittelt eine Vorstellung, von welchem Song „Foxy Lady“ (an dieser Stelle wähle ich wieder die allgemein gültige Schreibweise) inspiriert wurde („(My Girl) She’s A Fox“ von den Icemen) oder wie der Isley-Brothers-Track „Have You Ever Been Disappointed“ (auch ohne ein Fragezeichen, ähnlich dem Debüt) Hendrix dazu brachte, dem Zuhörer eine ähnliche Frage im Fall von Electric Ladyland zu stellen.

(Da ich die einzigartige CD nur einmal in diesem Buch erwähne und darauf eingehe, möchte ich betonen, dass während dieser Lebensphase der Grundstein für seinen Durchbruch auf der „6-Saitigen“ gelegt wurde. Der Fan wird schnell erkennen, wie Hendrix’ Session-Arbeit die eigenen Aufnahmen nur wenige Jahre später prägte. Ray Sharpes „Help Me“ lässt eine Rhythmus-Gitarre ähnlich der von der „Gloria“-Version der Experience erkennen, der Gitarren-Sound von Jimmy Normans „That Little Old Groove Maker“ deutet auf „Come On (Part 1)“ hin, und in Hendrix’ Spiel auf dem bereits genannten „Have You Ever Been Disappointed“ lässt sich klar die Melodie von „Drifting“ ausmachen.)

Jimi Hendrix hat den Rhythm and Blues neu definiert, und das werde ich in diesem Kapitel erforschen. Dank der Nutzung etablierter Song-Strukturen, der Ermutigung eines Managers, Gitarre zu spielen, so wie er es wollte, und eines Hauchs autobiografischer Erlebnisse in seinen Texten personalisierte und verwandelte er einen häufig genutzten und originären musikalischen Zweig, den man ursprünglich „Rassenmusik“ nannte, also Musik, die zu Beginn fast ausschließlich von Schwarzen gespielt wurde.

„Stone Free“

Als sich Chas Chandler mit „Hey Joe“ zufrieden zeigte („diesem Cowboy-Song“, wie ihn Jimi nannte), drehten sich seine Gedanken um die B-Seite der ersten Single der Jimi Hendrix Experience. Jimi wollte die Komposition eines anderen Musikers umsetzen und schlug Don Covays „Mercy, Mercy“ vor oder Howlin’ Wolfs „Killing Floor“ (den Titel, der Clapton einige Monate vorher „geplättet hatte“) oder sogar „Land Of 1.000 Dances“, eine Nummer, kurz zuvor von Wilson Picket populär gemacht. Die Experience kannte den Hit schon, da sie ihn bei den ersten Jams zum „Antesten“ gespielt hatte, bei denen Hendrix die neuen Mitmusiker auswählte.

Chandler wollte davon nichts hören. Da er keinen einzigen Cent Tantiemen an den vielen Coverversionen der Animals verdiente, aus denen die Gruppe die ultimativen Versionen herausgekitzelt hatten, wusste er, dass der eigentliche Verdienst für den Musiker (und seinen Manager) sich durch die Aufnahme von Eigenkompositionen ergeben würde. Chandler gab sich hinsichtlich der B-Seite unnachgiebig: Sie musste unbedingt ein Originalsong von Hendrix sein.

Und so schrieb der Musiker „Stone Free“ im Zimmer des von ihm bewohnten Hyde Park Towers Hotel. Nach Proben in Clubs in der ganzen Stadt und dem Aberbach Publishing House nahm man Jeff Becks Lieblingssong von Hendrix in den De Lane Lea Studios am 2. November 1966 auf und mischte ihn. Nur wenige Overdubs – Percussion, Hendrix’ zweite Stimme und eine zweite Gitarren-Spur – kamen dabei zur Geltung, da die Experience live im Studio spielte.

Mit seiner ersten Eigenkomposition versinnbildlichte Hendrix sein Leben als Rhythm-and-Blues-Musiker, wobei er von der Freiheit sang, die nur ein tourender Musiker genießen kann. Sein Lebensstil ist sorgenfrei, denn er zieht jeden Tag weiter, die Frauen können ihn nicht an sich binden, und die „normalen“ Menschen zeigen mit dem Finger auf ihn. Die Sprache des Texts drückt aber auch eine bestimmte Härte aus. Das lyrische Ich wird mit einem Hund verglichen und klingt wie ein gehetztes Tier, das kurz davor ist, gefangen zu werden. Der Protagonist prahlt dann aber mit „Stone free, to ride the breeze!“ und davon, weiterzuziehen („Goin’ down the highway“), ähnlich dem „Highway Chile“, von dem er auf der B-Seite seiner dritten Single singt.

Die im Text angesprochene Freiheit wird auch durch den Sound der Experience artikuliert, und darum stellte die Musik eine Art Offenbarung für den Fan dar, wenn er sich die Rückseite der „Hey Joe“-Single anhörte. Trotz des ungewohnten Umgangs mit dem für ihn neuen Instrument wirkt Reddings Bassspiel auf den frühen Aufnahmen kraftvoll. Er zieht zusammen mit Mitch Mitchells Kuhglocken-Spiel das Tempo an und drückt damit die Vorwärtsbewegung des Protagonisten im Song aus.

„Can You See Me“

Obwohl Chandler unter extremen Finanzproblemen litt, ließ er es nicht zu, dass davon die Aufnahmen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das kam den frühen Tontechnikern der Experience zugute. „Can You See Me“ wurde bei der „Stone Free“-Session als Demo eingespielt und dann erneut in den CBS- und Olympic-Studios weiterentwickelt. Amerikaner empfanden das Stück als eine obskure Aufnahme – und aufgrund der Inklusion auf Smash Hits, einer von Reprise im Juli 1969 veröffentlichten Greatest-Hits-Compilation, die zur Überbrückung bis zur Fertigstellung des vierten (und niemals veröffentlichten) Albums dienen sollte, möglicherweise sogar als B-Seite. Allerdings stammt der Track von der UK-Version des Debüts der Band.

Im Text nimmt Hendrix die Rolle eines Mannes ein, der seine Freundin verlässt und eine Rückkehr ganz klar verneint – das wird niemals geschehen. Hinsichtlich der Struktur folgt der Musiker dem Rhythm-and-Blues-Standard-Muster, bekannt als AAB. (Jimi benutzte es regelmäßig in so grundsätzlich unterschiedlichen Songs wie „Red House“, „Lover Man“ und „In From The Storm“.) Das AAB-Muster besteht aus einer ersten Zeile (A), die durch minimale, jedoch signifikante Modifizierungen verändert (A) und dann durch eine Pointe (B) komplementiert wird.

Die Pointen zum Beispiel bei „Red House“ sind cleverer gesetzt. Wahrscheinlich spielt Hendrix deswegen hier eine wiederkehrende Note auf der Gitarre – nämlich zur Ausschmückung der Pointe. Dabei wird aus dem Gitarren-Part der wichtigste und erinnerungswürdigste Teil des Stücks. Hendrix wendet sich an das Mädchen, will wissen, ob sie hören könne, dass er wegen der Trennung weine, fragt sie erneut und schließt dann mit folgendem Satz ab: „If you can hear me doing that/you can hear a freight train coming from a thousand miles.“ Bang!

„Remember“

Bei „Remember“ gibt es kein „Bang!“ oder einen anderen eindeutigen Beleg, um den Song als eine Nummer der Jimi Hendrix Experience zu identifizieren. Im Vergleich zu allen anderen von Hendrix geschriebenen und aufgenommenen Titeln weicht dieser am stärksten ab. Er klingt wie eine Soul-Nummer von Stax und sticht auf der UK-Version von Are You Experienced nur heraus, weil er zwischen ein Science-Fiction-Spektakulum („3rd Stone From The Sun“) und ein „psychedelisches“ Meisterwerk („Are You Experienced“) eingebettet ist.

Das Stück ähnelt dem Soul-Rock eines Otis Redding und nicht den Klangexkursionen von Hendrix. Von einer Spottdrossel zu singen, die verstummt ist, seit seine Freundin ihn verlassen hat („since my baby left me“) ist mehr als ungewöhnlich. Es ist einer der wenigen Songs, in denen Hendrix die Frau anfleht, zu ihm zurückzukehren. Bedenkt man zudem die Rotkehlhüttensänger („bluebirds“!) und die Honigbienen („honey bees“) findet sich der Musiker in einer ausgesprochen ländlichen Idylle wieder.

 

Zu den erinnerungswürdigsten Auftritten, die das Monterey Pop Festival kennzeichneten, zählt Otis Reddings Performance, der damit den Samstagabend beschloss. Bekannt für seine Coverversion der Rolling Stones („(I Can’t Get No) Satisfaction“) wie auch für das eigene „Sitting By The Dock Of The Bay“, sah sich der Musiker gezwungen, den Auftritt wegen einer zeitlichen Beschränkung auf nur fünf Songs zu reduzieren. Sie finden sich auf der zweiten Seite eines Albums, das das – wenn auch geschnittene – Konzert der Experience präsentierte.

Historic Performances Recorded At The Monterey International Pop Festival kam am 26. August 1970 auf den Markt, ein Zeitpunkt, zu dem niemand Hendrix’ Tod im folgenden Monat hätte vorhersagen können. Otis Redding war da schon bei einem Flugzeugabsturz am 10. Dezember 1967 ums Leben gekommen.

„Up From The Skies“

Man würde nicht unbedingt einen erdigen Sound erwarten (Hendrix an der Wah-Wah-Gitarre und Mitch Mitchell beim Spiel mit Drum-Besen) bei einem aus der Perspektive von Außerirdischen erzählten Stück. Doch jeder Hörer von Axis: Bold As Love erkannte 1967, das sich Hendrix, verglichen mit dem Debüt, für eine radikal andere Farbpalette entschieden hatte. Der erste Song des Albums – das Intro „EXP“ ist eigentlich ein klanglich modulierter Sprachteil mit einem Feedback-Coda – hat eine entspannte, Jazz-angehauchte Grundstimmung, die nicht dem brachialen Sound-Orkan von „Foxy Lady“ oder dem maskulinen Riff von „Purple Haze“ gleicht, mit denen die UK- und USA-Version von Are You Experienced eröffnet werden.

Zwar war Hendrix kein Hippie, aber der Text impliziert dennoch eine flehentliche Bitte (im New-Age-Kontext), die Welt zu retten. Der außerirdische Erzähler ist ein wiedergekehrter Besucher, der vor der Eiszeit auf der Erde lebte und sich nun bestürzt zeigt von dem, was er wiederfindet. Er beobachtet Menschen, die „in großen und kalten Gefängnissen leben“ („living in cages tall and cold“) und nimmt „den Geruch einer verbrannten Welt“ wahr („the smell of a world that’s burned“). Sheila Whitley schrieb 1990 in Popular Music, dass die im Song erwähnten „sich nach oben bewegenden Figuren Flug und Desorientierung“ ausdrückten.

Hendrix sah „Up From The Skies“ als einen Versuch, die Augen der Menschen für einen neuen Umgang mit der Erde und einen anderen Lebensstil zu öffnen. „Die Gebäude werden nicht lange an ihrem Platz stehen“, meinte er in Rock: A World As Bold As Love, „und warum sollte man so leben?“

Die nur selten aufgeführte Nummer wurde am 26. Februar 1968 als Single mit der B-Seite „One Rainy Wish“ veröffentlicht. Sie erreichte Platz 82 und hielt sich nur vier Wochen in den Charts. Als Misserfolg kategorisiert, verwundert es umso mehr, dass man so einen offensichtlichen Album-Track ursprünglich als Single ausgewählt hatte.

„Wait Until Tomorrow“

Schusswaffen blitzen regelmäßig im Werk von Jimi Hendrix auf. Bei „Hey Joe“ zieht der beschriebene Joe mit einer Waffe in seiner Hand durch die Straßen, was allgemein als lebendiges Bild empfunden wird. „Machine Gun“ beschreibt bildhaft Soldaten, die in einem Kampfgebiet auf Bauern schießen. In „Freedom“ zückt der Sänger seine Knarre, wohingegen „Wait Until Tomorrow“ einen seine Waffe tragenden Vater porträtiert, der einen ausreißenden Bräutigam niederstrecken will.

Trotz des brutalen Endes gleicht „Wait Until Tomorrow“ einer Art Komödie – eine von Chandler bestätigte Interpretation, der meinte, „dass es als eine Art Scherz geschrieben wurde. Als (Hendrix) damit experimentierte, empfanden wir es als Witz, fast schon als einen komödienhaften Song“. Noel Redding parodiert die Kommentare der „liebestollen“ Dolly Mae und singt dabei mit Falsett-Stimme.

„Have You Ever Been (To Electric Ladyland)“

Zu den Gitarristen, deren Stil Hendrix absorbierte, gehört Curtis Mayfield, selbst ein höchst individueller Sänger und Gitarrist. Durch die große Eigenständigkeit und damit Wiedererkennbarkeit lässt sich sein Einfluss auf bestimmten Hendrix-Aufnahmen nicht von der Hand weisen.

Mayfield wurde im selben Jahr wie Hendrix geboren, doch ihm gelang der Mainstream-Erfolg wesentlich früher, und zwar mit seiner Gruppe Impressions. Sie hatte 1958 mit „For Your Precious Love“ den ersten Hit, bei dem aber noch Jerry Butler die Leadstimme sang. Der erste Hit mit Mayfields Falsett-Gesang war „Gypsy Woman“ aus dem Jahr 1961. Der Falsetto-Gesang war ein wichtiges Stilmerkmal Mayfields, ebenso wie auch sein Gitarrenspiel, da er das Instrument nach den schwarzen Tasten eines Klaviers stimmte.

Während der ersten Hälfte der Sechzigerjahre kreuzten sich die Wege der beiden Musiker auf der sogenannten Ochsentour. Einmal „lieh“ sich Hendrix Mayfields Verstärker ohne dessen Einwilligung aus, den er aufgrund der übermäßigen Lautstärke beschädigte, was dazu führte, dass man ihn noch während der laufenden Tournee rauswarf. Somit wirkt es ironisch, dass Mayfields Einfluss bei den sanfteren Hendrix-Songs liegt, zu hören beim Titeltrack von Electric Ladyland und dem wunderschönen „Little Wing“.

Mayfield verließ dann die Impressions, um sich einer Solokarriere zu widmen. Wie bei vielen Künstlern um das Jahr 1970 herum lässt sich in seiner Musik ein neues Bewusstsein für soziale Belange erkennen. Zu dem Zeitpunkt hörte Mayfield die Musik von Hendrix und war wahrscheinlich mit dem Repertoire der Band of Gypsys vertraut, das eher auf einen Konfrontationskurs abzielte, im Vergleich zu den Stücken der Experience.

In Bezug auf Hendrix erklärte Mayfield Chuck Philips von der Los Angeles Times 1989: „Jimis musikalischer Ansatz transzendierte Rassenschranken. Seine Vorstellungskraft kommunizierte mit den Menschen auf einer grundlegenderen Ebene. Bedenkt man die psychedelischen Elemente, entsprach er beinahe einem Wissenschaftler, der die Effekte studierte.“

Hier zeigt sich das perfekte Verständnis von „Have You Ever Been (To Electric Ladyland)“, denn wie auch schon in „Up From The Skies“ vom vorhergehenden Album findet im ersten Song von Electric Ladyland das Fliegen Erwähnung: Hendrix deutet auf einen magischen Teppich hin, von dem er will, dass der Hörer ihn „mit Klängen und Bewegungen fliegt“ („with sound and motions“). Dann regt er die Erkenntnisfähigkeit des Zuhörers an: Er soll sehen, dass „Gut und Böse nebeneinanderliegen, während elektrische Liebe den Himmel durchdringt“ („good and evil lay side by side while electric love penetrates the sky“).

„Who Knows“

Das „Frage und Antwort“-Spiel ist ein musikalisches Muster, so alt wie die Berge und das Meer. Es lassen sich dementsprechende Beispiele in den bei der Feldarbeit gesungenen Sklaven-Songs nachweisen und auch bei Seemannsliedern. Das Muster findet sich allgemein in afroamerikanischen Musikstilen wie Gospel, Blues und Rhythm and Blues und kommt auch in dem gut ein Dutzend Originalkompositionen vor, die von Hendrix’ schwarzem Trio, der Band of Gypsys, stammen.

Die „Frage und Antwort“-Passagen von Hendrix und Drummer Buddy Miles bei dieser Aufnahme vom Album Band Of Gypsys verschleiern die Tatsache, dass der Track im negativen Aspekt der Beziehung zwischen dem Gitarren-Genie und Devon Wilson wurzelt. Fast alle Stücke aus den Jahren 1969 und 1970 mit dem Thema Partnerschaft drehen sich um das unglückliche Verhältnis, aus dem er sich bis zu seinem Tod zu lösen versuchte. Bei „Who Knows“ ist der Musiker aus „Stone Free“ von den Tourneen zurückgekehrt und muss herausfinden, dass seine Freundin nicht mehr auf ihn wartet. Die Rollen haben sich ins Gegenteil verkehrt, und nun schläft sie sich durch fremde Betten, und der Protagonist muss „Ketten [ertragen], die um seinen Kopf herum angebracht sind“ („chains attached to [his] head“).

Die Live-Aufnahme von der ersten Show im Fillmore East am Neujahrstag 1970 lässt sich laut Charles Shaar Murray als „brandneuer Funk [beschreiben], [dem sich Hendrix] niemals in einer anderen Formation näherte“. Beinahe 20 Jahre später wurde der Song geschickt von Digital Underground als zweiter Track von Sex Packets gesampelt („The Way We Swing“), wodurch viele Hip-Hopper die Musik von Jimi Hendrix kennenlernten.

„(Here He Comes) Lover Man“

Es gibt keinen von Hendrix komponierten Song, der ihm mehr Ärger bereitete. „Lover Man“, inspiriert von B.B. Kings „Rock Me Baby“, wurde von der Experience beim Monterey International Pop Festival aufgeführt. Dem voraus ging jedoch schon ein erster Versuch, das Stück aufzunehmen, und zwar am 4. April 1967 in den Olympic Studios. Trotz der energiereichen Fassung, die man einfing, wurde der schlussendliche Take aber nicht bei Are You Experienced berücksichtigt.

Allerdings tauchte die Nummer im Laufe der Karriere der Experience auf unzähligen Set-Listen auf. Tatsächlich wurde das Stück nach Hendrix’ Durchbruch von jeder Besetzung aufgeführt. Laut der bedeutenden Hendrix-Aufnahme-Bibel From the Benjamin Franklin Studios von Gary Geldeart und Steve Rodham waren 2008 ganze 48 Versionen des Stücks verfügbar, das zu Hendrix’ Lebzeiten unveröffentlicht blieb.

Bezüglich des Textes findet sich das bereits angesprochene AAB-Gesangsmuster, wobei die Ausdrucksebene eher schlicht bleibt. Verwirrend ist das Konzept, dass der Erzähler „dein Liebhaber“ ist („your lover man“) und gleichzeitig versucht, den Kopf von diesem Kissen zu heben („head from this pillow“), oder um seine Laufschuhe bittet. Jedoch entschädigt die Gitarrenarbeit in vollen Umfang, welche offensichtlich aber nie den hohen Standard von Hendrix’ Veröffentlichungspolitik erfüllte.

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Verlockungen und Gelüste

Freundinnen und Groupies

Jimi Hendrix mochte die Damenwelt – „elektrische Ladys“ und andere! Obwohl er Frauen in seinen Songs meist idealisierte, lässt sich sein realer Umgang als leichtfertig und unbekümmert beschreiben. Er war dafür bekannt, auf einer Tournee die am fertigsten aussehende oder verrückteste Frau auszuwählen, wonach er mit ihr schlief und sie dann aus dem Zimmer warf. In Biografien über ihn werden gelegentlich Listen veröffentlicht, die hinsichtlich des Umfangs einem Medikamenten-Beipackzettel gleichen. Während seiner Teenagerjahren in Seattle, einer Zeit, in der er introvertiert und arm war und sich nur für die Gitarre interessierte, zählten Carmen Goody und Betty Jean Morgan zu seinen Freundinnen. In Nashville gab es eine gewisse Joyce Lucas, eine Kosmetikerin und Inhaberin des Joyce’s House of Glamour, sowie die Barfrau Verdell Barlow. In New York City fanden sich das Harlem-Groupie Lithofayne „Fayne“ Pridgeon und Carol Shiroky. Seine Londoner Beziehung mit Kathy Etchingham verlief meist monogam, abgesehen von der Zeit, in der er auf Tour war. (Dann ließen es beide hoch hergehen.)

Hendrix drückte häufig seine Abneigung gegen die Ehe in Interviews aus und in Songs wie „51st Anniversary“ mit seinen Beschreibungen der negativen Seite des „Bundes fürs Leben“, nicht zu vergessen ­„Castles Made Of Sand“, wo sich ein verheiratetes Paar auf offener Straße streitet und der Mann klagt: „Was geschah nur mit der innigen Liebe zwischen uns?“ („What happened to the sweet love you and me had?“) Die Heirat stellte eine Kette dar, an die sich Hendrix klugerweise nicht fesseln wollte. Auch schien ihn das Ehegelübde anderer nicht sonderlich zu kümmern, da man weiß, dass er mit zahlreichen Frauen bzw. Freundinnen von Musikern schlief, darunter die von Eric Burdon und Dallas Taylor, der auf Crosby, Stills, Nash und Youngs Déjà Vu trommelte und zu ihrer Tourneeband gehörte.

Nach seiner Rückkehr in die USA führte er ernsthafte Beziehungen mit Devon Wilson und dem Playboy-Häschen Carmen Borrero. Kurz vor seinem Tod waren schon zwei Vaterschaftsklagen bei Gericht eingereicht worden, die als begründet anerkannt wurden. Hendrix hatte einen Sohn mit einer schwedischen Frau namens Eva Sundquist und davor (sogar noch vor seiner Karriere) eine Tochter mit der New Yorker Prostituierten Diana Carpenter, einer Freundin von ihm.

All diese Frauen ließen sich von Hendrix’ gutmütigem Charakter und seiner sanften und leisen Stimme verführen. Nachdem aus ihm ein umherreisender Musiker geworden war, wurden die Vertreterinnen des holden Geschlechts von seinem Gitarrenspiel und der reiferen Sexualität angezogen. Angeblich drückte ihm einen Reihe von Frauen in Nashville den Spitznamen „Buttons“ („Knöpfe“) auf, da sie immer die wenigen Kleidungsstücke flicken mussten, die er besaß. Die Frauen, denen er zwischen 1963 und 1966 begegnete, mussten oftmals seine Gitarre aus dem Leih- und Pfandhaus auslösen.

 

Mit Blick auf all die „Mädels“, mit denen er flirtete, Partys feierte oder schlief, die beiden „Damen“, denen er angeblich Wochen vor seinem Tod einen Heiratsantrag machte, und sogar „Bil aus einer Stadt in England“, der er teilweise Electric Ladyland widmete, gab es jedoch nur drei in seinem Leben, die ihm tatsächlich nahestanden. Die beiden ersten versprachen ihm eine ganz unterschiedliche Zukunft.

Betty Jean Morgan

Die Tatsache, dass Hendrix nur ein Mal eine Gitarre nach einer Frau benannte und dabei sogar so weit ging, den Namen „Betty Jean“ in großen weißen Buchstaben auf seine rote Silvertone Danelectro zu malen, beweist, dass er es mit Betty Jean Morgan, seiner Freundin aus Seattle, ernst meinte. Sie begegneten sich im Herbst 1958 an der Garfield-Highschool. Trotz aller Prahlerei gegenüber seinem Kindheitsfreund Jimmy Williams war die Beziehung wohl kaum sexueller Natur. Die beiden lassen sich als schüchterne Teenager aus Seattle beschreiben. Da Hendrix aus einer verarmten Familie stammte, verbrachten die beiden ihre Zeit mit Streifzügen durch den nahegelegenen Leschi Park. Hendrix besuchte die Morgans auch zu den Familien-Mahlzeiten – er verstand sich prächtig mit Betty Jeans Mutter, ähnlich wie auch mit den „Mums“ von Noel Redding und Kathy Etchingham – und versuchte danach, die Angebetete mit seinem Gitarrenspiel auf der Veranda zu umwerben.

Hendrix datete Betty Jean während der High-School-Jahre, deren Zahl sich für ihn im Vergleich mit anderen Schülern reduzierte, da er bereits im Oktober 1960 abging. Die beiden sahen sich auch noch weiterhin, während Hendrix nachts in lokalen Bands spielte und am Tag seinem Vater bei der Gärtnerarbeit half. Später erzählte der Musiker, dass sein Vater den Schulabgang gewollt habe. Zwar zeigte sich Hendrix auf der Highschool nicht sonderlich interessiert, doch er beschwerte sich, dass sich der Vater das gesamte mit der Gartenarbeit verdiente Geld einstecke.

Im Zeitraum von nur vier Tagen im Mai 1961 wurde Hendrix zwei Mal aufgrund von Spritztouren mit gestohlenen Autos festgenommen. Er erzählte seinen späteren Interviewpartnern, dass er freiwillig zur Armee gegangen sei, um einer Zwangsrekrutierung und dem damit verbundenen Auslandseinsatz zu entgehen, aber das ist eins seiner Lügenmärchen, die die frühen Biografen jedoch ernst nahmen. Es ist weitaus wahrscheinlicher, dass er gegenüber dem ihm zur Verfügung gestellten Pflichtverteidiger sein Interesse an einer Anwerbung bekundete, um damit einer möglichen Haftstrafe zu entkommen.

Hendrix äußerte sogar den Wunsch, die Laufbahn eines Fallschirmjägers der in Nashville, Kentucky, stationierten berühmten 101st Airborne-Einheit einzuschlagen, da Fred Rollins, der Chef seiner Band Rocking Kings dort schon diente. Wenn Rollins während seines Urlaubs Seattle besuchte, zeigten sich alle von seinem Uniform-Aufnäher beeindruckt, der einen schreienden Adler zeigte. Auch die Tatsache, dass Fallschirmjäger einen höheren Sold erhielten als andere Soldaten, gefiel dem ständig klammen Musiker.

Nachdem er seinen Namen auf die gestrichelte Linie des Anwerbungs-Formulars gesetzt hatte, wurde Hendrix instruiert, sich in Fort Ord zu melden, ganz in der Nähe von Salinas, Kalifornien. (Fort Ord lag ungefähr 25 Meilen von Monterey entfernt, der Stadt, wo die Jimi Hendrix Experience ihr legendäres Debüt auf dem ebenso legendären International Pop Festival geben sollte.) Hendrix meldete sich am 31. Mai zum Dienst. Kurz vor seiner Abreise verlobte er sich mit Betty Jean und überreichte ihr einen billigen Ring aus Rheinkiesel, direkt nach seinem letzten Auftritt mit den Velvetones in Seattle. Er vertraute ihr zudem seine Gitarre an, sich dessen bewusst, dass sie bei ihr sicherer war als bei seinem Vater.

Allen Berichten nach blieb auch Hendrix nicht von dem „in der Ferne schmerzt das Herz“-Syndom verschont, weshalb er regelmäßig mit Betty Jean und anderen Mitgliedern ihrer Familie korrespondierte. Zwei Monate nach seiner Ankunft im Bootcamp schrieb er sogar seinem Vater und bat ihn, ihm Betty Jean zu schicken – die Gitarre, nicht die Freundin. Jimi plagte Heimweh. Betty Jeans Briefe waren hochemotional und von einer starken Eifersucht geprägt. Laut Harry Shapiros Biografie warnte sie ihn davor, „die Finger von den Schlampen zu lassen“. Es ist nicht klar, was sie zu so einem Kommentar bewegte.

Trotz des Verlobungsrings und der vielen schwärmerischen Briefe sah sich das Teenager-Pärchen nach Hendrix’ Dienstantritt nur selten. Allen Aussagen nach besuchte er Seattle nur ein einziges Mal während eines Urlaubs, bevor man ihn nach Fort Campbell in Kentucky versetzte. Von dort aus schrieb er seiner Freundin weiterhin Briefe.

Hendrix gelang es, sich vorzeitig wieder vom Militärdienst befreien zu lassen, und zwar wegen angeblich psychischer Probleme, die er einem Militärpsychologen glaubhaft vorspielte. Es war jedenfalls nicht der gebrochene Knöchel, von dem er Journalisten so häufig erzählte. Sein dringlichster Wunsch bestand darin, in Clarksville, Kentucky, in einen Greyhound-Bus zu steigen und so schnell wie möglich nach Seattle zurückzukehren, wo ihn Betty Jean, eine Hochzeit und die Aussicht auf harte körperliche Arbeit erwarteten.

Mit 400 Dollar in seiner Tasche hielt er bei einer Bar an und spendierte großzügig Runde nach Runde. Es war eine Art Vorspiel der Tage, in denen Hendrix die Rechnung für die ganzen „Abhänger“ beglich, die sich um ihn scharten. Er bezahlte Drinks und verlieh Geld, bis ihm nur noch 14 Dollar übrig blieben – womit 26 Dollar fehlten, um das 40 Dollar teure Ticket für den Bus nach Seattle zu bezahlen. Sich vor der blamablen Situation fürchtend, seinem Vater von der Geldverschwendung erzählen zu müssen, entschied sich Hendrix, mit der Gitarre einige Dollar zu verdienen und sein Glück zu versuchen. Er hatte sie zuvor einem Armeeangehörigen verkauft und holte sie entweder zurück oder stahl sie (was zutrifft, war nicht eindeutig zu klären). Der befreundete Soldat Billy Cox stand kurz vor seinem Dienstende, und so hoffte Hendrix, mit ihm eine Band zu gründen.

Obwohl er Betty Jean aus ganzem Herzen liebte, vertraute er der UPI-Journalistin Sharon Lawrence später an, dass sie „es nicht gerne hörte, wenn ich darüber sprach, in Städte wie Los Angeles oder New York zu ziehen“.

Was Hendrix im Fall der ersten seiner drei ernsthaften Beziehungen erwartete, war die Aussicht auf die gleichen Erwartungen, die schon sein Vater geäußert hatte: Vergiss all den Unsinn mit der Gitarre, und gib die Idee auf, Musiker werden zu wollen. Wie Betty Jean in zahlreichen Briefen bemerkt hatte, war der Lockruf der Musik für Hendrix immer wichtiger geworden. Vielleicht schlug er dank seines „ausweichenden“ Verhaltens – als er das Geld in Clarksville verschleuderte – unterbewusst den für ihn richtigen Weg ein.

Kathy Etchingham

Jimi Hendrix erzählte einem Londoner Reporter zu Beginn des Jahres 1969 von Kathy Etchingham: „Kathy ist meine verflossene Freundin, meine aktuelle Freundin und möglicherweise meine zukünftige Freundin.“ Kathy Etchingham hatte einen langen Weg zurückgelegt, und zwar von der Freundin, die Manager Chas Chandler noch zwei Jahre zuvor verstecken wollte bzw. von der er hoffte, dass sie im günstigsten Fall verschwände, bis zur festen Freundin von Hendrix. Zwischenzeitlich war Chandler selbst verschwunden, und sie freute sich, nicht im Küchenschrank der gemeinsamen Wohnung der beiden in der Brook Street versteckt zu sein. Etchingham lässt sich im Grunde genommen als bodenständige Frau beschreiben, und sie fand, dass sich Hendrix gegenüber dem Schreiberling „sentimental-kitschig“ geäußert habe. (Mittlerweile wurde an der Fassade des Hauses Brook Street 23 eine Gedenktafel angebracht – maßgeblich aufgrund der Bemühungen von Etchingham, die nicht wusste, dass sich ihre Beziehung zur Zeit des Interviews bereits in einer Abwärtsspirale befand.)