Lebendige Seelsorge 3/2014

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Regina Polak

geb. 1967, Dr. theol., Mag. phil., Mag. theol., MAS (Master of Advanced Studies; Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess), seit 2013 Associate Professor am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien.

LITERATUR

Aigner, Anton, Die Kunst des Leitens. Erfahrungen – Einsichten – Hinweise (= Ignatianische Impulse Nr. 48), Würzburg 2011.

Eigenmann, Urs, Das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit für die Erde. Die andere Vision vom Leben, Luzern 1998.

Hallermann, Heribert, Mehr als Strukturen. Chancen für Vielfalt und Kooperation. Beitrag im Rahmen der Tagung „Lebendige Kirche in neuen Strukturen. Herausforderungen und Chancen“, Schloss Hirschberg am 30. September 2013 (erscheint 2014).

Jacobs, Christoph, Moses: Führen als Berufung. Skizzen zu einer Führungsspiritualität, in: Meier, Uto / Sill, Bernhard (Hg.), Führung. Macht. Sinn. Ethos und Ethik für Entscheider in Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche, Regensburg 2010.

Kiechle, Stefan, Macht ausüben (= Ignatianische Impulse Nr. 13), Würzburg 2010.

Krobath, Thomas / Heller, Andreas (Hg.), Ethik organisieren. Handbuch der Organisationsethik, Freiburg i.Br. 2010.

Lohfink, Norbert, Das Königtum Gottes und die politische Macht, in: ders., Das Jüdische am Christentum. Die verlorene Dimension, Freiburg i.B. 1987.

Meier, Uto / Sill, Bernhard (Hg.), Führung. Macht. Sinn. Ethos und Ethik für Entscheider in Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche, Regensburg 2010.

Polak, Regina / Jäggle, Martin, Diversität und Convivenz: Miteinander Lebensräume gestalten – Miteinander Lernprozesse in Gang setzen, in: Schinkele, Brigitte u.a. (Hg.), Recht. Religion. Kultur. Festschrift für Richard Potz zum 70. Geburtstag, Wien 2014.

Ruggieri, Guiseppe, Zeichen der Zeit. Herkunft und Bedeutung einer christlich-hermeneutischen Chiffre der Geschichte, in: Hünermann, Peter (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit, Freiburg i.Br. 2006.

Tillich, Paul, Liebe Macht Gerechtigkeit, Berlin 1991 [1954].

Vanoni, Gottfried / Heininger, Bernhard, Das Reich Gottes. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments. Die neue Echter Bibel – Themen. Band 4, Würzburg 2002.

Zulehner, Paul M. / Rossberg, Eckehard / Hennersperger, Anna, Mit Freuden ernten. Biblisches Saatgut für Zeiten und Prozesse des Übergangs, Ostfildern 2013.

Interaktive Wertschätzung – Kirche innovationsgerichtet führen

Nicht nur führungstheoretische Forschung, Organisationstheorie und Wirtschaftspsychologie liefern wichtige Anhaltspunkte für kirchliche Führungskultur. Das betriebs- und ingenieurwissenschaftliche Technologiemanagement wartet mit starken Impulsen auf und bietet vorteilhafte, überraschend präzise Werkzeuge, um einen Stil „dienender Führung“ als Vollzugsgestalt kirchlichen Innovationsmanagements zu erschließen. Florian Sobetzko

Beginnen wir in ungewohnter Sprache. Beginnen wir mit dem, was Nachwuchsführungskräfte des Technologie- und Innovationsmanagements (TIM) als Lösungsraumerweiterung lernen, um komplexe Probleme durch eine sogenannte „erweiterte Löserbasis“ bearbeiten zu lassen, die online per „Broadcast Search“ (Offener Aufruf zur Mitarbeit) veröffentlicht und von einer möglicherweise breiten Masse auch unbekannter „Solver“ (Problemlöser) mit Ideen traktiert werden sollen. Wie bitte?

Der Lösungsraum (Gesamtheit möglicher Lösungen) wird erweitert, wo organisationsexterne Experten in Innovationsprozesse integriert werden. Sie liefern möglicherweise völlig neue Ideen, an die intern niemand gedacht hätte. Wenn etwa ein Flugzeugbauer auf der Suche nach schonenden Entfärbungsverfahren für sensible Flugzeugaußenwände nicht nur die eigenen Ingenieure konsultiert, sondern auch Lösungsvorschläge von Restaurateuren kunsthistorisch wertvoller Bilderrahmen studiert. Er verbreitert auf diese Weise seine „Problemlöserbasis“ – traditionelle Organisationsgrenzen werden verflüssigt.

KIRCHLICH UNGEWOHNT: GEHEIMES WISSEN HERAUSRÜCKEN

Das ist nicht nur kirchlich ungewohnt, man spricht auch im TIM vom „not-invented-here“-Syndrom. Damit ist gemeint, dass externe Ideen in Unternehmen oft nachrangig behandelt werden: „Nicht bei uns erfunden – lässt sich schlecht integrieren – ist nicht von uns – müssen wir Lizenzgebühren für zahlen – passt hier nicht.“ Führung in innovationsgetriebenen Unternehmen basiert aber auf der Einsicht, dass wichtige Produkt- und Prozessinnovationen von außen kommen können – auch von anonymen Partnern (siehe etwa innocentive.com). Firmen rücken dafür sogar bislang geheimes Wissen heraus und transferieren relevante Werkzeuge in externe Domänen, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Damit andere mir kreativ beim Kochen helfen können, brauchen sie Zugang zu meinen Töpfen. Interaktive Wertschöpfung (IW) nennt man das, und es reicht erheblich weiter als das selbständige Ausdrucken von Kontoauszügen am Bankautomaten. Zwei wesentliche Ausprägungen sind zu unterscheiden: Open Innovation und Mass Customization.

NICHT GANZ SO UNGEWOHNT: UNZUFRIEDENE KUNDEN

Open Innovation beschreibt die Vergabe einer Aufgabe an ein undefiniertes, großes Netzwerk von externen Akteuren (vgl. Reichwald/Piller 2009, 51). Typisch hierfür ist etwa ein Ideenwettbewerb. IW verfolgt dabei regelmäßig auch sogenannte Lead-User-Strategien der Kundeninnovation. Hierbei werden vor allem unzufriedene, lösungskreative NutzerInnen identifiziert, weil deren Unzufriedenheit oft Wege freiräumt für neue, überraschende Lösungen. Ein bekanntes Beispiel für eine derartige Kundeninnovation ist die Erfindung des Rollkoffers durch einen schleppfaulen amerikanischen Piloten in den 1980er Jahren.

Weniger auf das externe Lösungs- als vielmehr auf das Bedürfniswissen richtet sich IW als Mass Customization (kundenindividuelle Massenfertigung). Traditionell bewegt sich unternehmerisches Handeln zwischen einerseits Preisstrategien durch skalierbare Massenfertigung und andererseits Differenzierungsstrategien durch kundenindividuelle Maßanfertigung bzw. Dienstleistung. Die kundenindividuelle Massenfertigung ist eine Hybridstrategie: Skalierungsund Differenzierungsvorteile werden verheiratet, wo Kunden z.B. per „Konfigurator“ im Netz ihr Wunschauto oder ihren perfekten Schuh konfigurieren und gar abonnieren, nachdem ihr Fuß im Laden vermessen wurde. Der Lösungsraum (die Zahl der Farben, Ausstattungs- und Erweiterungsmerkmale) ist hier erweitert, aber begrenzt. Statt per Marktforschung immer besser zu erraten, welchen Schuh der Käufer morgen möchte, lässt der Hersteller ihn sein Bedürfniswissen aktiv einbringen und lernt zugleich viel für die nächsten Serienmodelle.

In der Aufsicht begegnet solch ein Unternehmen der Bedürfnisvielfalt auf Kundenseite nicht nur nicht bewertend („Relativismus, Individualismus, Konsumismus“), sondern mit merkantiler Kreativität. Es nutzt Kommunikationstechnologien zur intelligenten Nutzung externen Bedürfniswissens.

INNOVATION ALS NORMALFALL VON KIRCHE

Die kirchliche Startposition für interaktive Wertschöpfung erscheint eigentlich optimal, denn das Konzept aktiviert theologisch alle Register: man lese Propheten und Ordensgründer nur einmal als unzufriedene Nutzer (Lead User) und pastorale Innovateure, interpretiere Jesu Zusammenarbeit mit Zöllnern, Sündern, Prostituierten und Kranken oder auch die apostolische Heidenmission als Verbreiterung der Löserbasis. Man lese can. 212–214 CIC als Aufruf zur Aktivierung externer Expertise und entwickle ein interaktionales Kirchenbild entlang des Glaubenssinnes des Volkes (LG 12), des gemeinsamen Priestertums (LG 10) und der Adaptionslogiken von GS 44, wo Kirche als Co-Kreation aufscheint, zu deren Kennzeichen Löserbasiserweiterungen in der Verkündigung (AA 1) oder aber der Liturgie (SC 14) stilbildend gehören.

UND INNOVATIONSMANAGEMENT?

Kirche vollzieht sich, „indem sie sich selbst unter der Führung des Heiligen Geistes unaufhörlich erneuert und läutert“ (GS 21), Innovation (Erneuerung) und Exnovation (Läuterung) sind nachgerade dogmatischer Normalfall von Kirche. Eine Binsenweisheit des Innovationsmanagements scheint hier provokant auf: unternehmerische Produktzyklen beinhalten nicht nur die Ankündigung von Neuheiten, sondern auch die Abkündigung (Exnovation) stagnierender Leistungserbringung. Der Maschinenbauer weiß: wenn ich die alte R1600 nicht abkündige, werden die Kunden die neue R12 nicht kaufen, auch wenn sie mehr kann. Denn die Kunden denken: bei der R1600 weiß man, was man hat. Die können wir selber reparieren, wir kennen ihre Macken, die reicht uns. Doch von vorne: was hat das Technologiemanagement mit den Herausforderungslagen kirchlicher Führung zu tun?

GESUCHT: KIRCHLICHE FÜHRUNGSKRAFT

Die aktuellen Handlungsforderungen an kirchliche Entscheider sind signifikant. Der Erfolg unzähliger auf Führungsthemen fokussierter Lern- und Beratungsangebote ist ein Indikator dafür. Ebenso erwähnenswert sind aber auch Gründungen wie das Bochumer Zentrum für angewandte Pastoralforschung (www.zap-bochum.de) mit seinem pragmatischen Anspruch, nicht nur Diagnosen, sondern demnächst auch Lösungsvektoren zur Bearbeitung pastoraler Komplexität zu liefern. Es gibt den Bedarf von Führungsverantwortlichen und Gremien aus allen Etagen der deutschsprachigen Kirche, in der zur Zeit Umbrüche zu beobachten sind, die vor kurzem noch undenkbar schienen – die Projekte des ZAP markieren sämtlich führungsrelevante Themen als Joint Ventures zwischen Bistumsleitungen und Ruhr-Universität.

 

KONTROLLE ABGEBEN, FÜHRUNG WAHREN

Im Kontext freiheitlicher Selbstbestimmung kann jeder herrschaftlich prädizierte Leitungsanspruch nur floppen. Gesellschaftlich honoriert werden Kulturanbieter, die sich dem Co-Design verschrieben haben und ihre Kunden bzw. Mitglieder nicht als reine Leistungsempfänger betrachten. Benutzergenerierter Inhalt tritt im Web 2.0 wie im physischen Leben an die Stelle interner Expertise. Die Crowd (die Menge) wird nicht mehr nur für den Chorschluss gebraucht („So etwas haben wir noch nie gesehen“, Mk 2,12), sie wird selbst zum Co-Autor. Organisationale Interaktionskompetenz ist dafür gefragt: die Fähigkeit, externes Bedürfnis- und Lösungswissen zu absorbieren. Der betriebswirtschaftliche Diskurs arbeitet heraus, dass es zum Überlebenskriterium wird, ob Organisationen im Gestaltungswillen ihrer Kunden bzw. Mitglieder Bedrohung oder Chance erkennen – und eben im Paradigma der Offenheit oder der Geschlossenheit agieren.

KIRCHENFÜHRUNG: PASTORALPRODUKTIV ODER KUNSTHISTORISCH?

Auch wenn die Kirchen in Deutschland eben noch fulminante Steuereinnahmen verzeichneten: Demographie und Abwesenheit von Interesse seitens überwältigender Mehrheiten der Kirchensteuerzahler lassen erahnen, dass kirchliche Führung bald zur Suchaufgabe werden könnte – nach Geführten. Gemeindefusionen erzeugen dabei schlimmstenfalls quantitative Kontinuitätsfiktionen („die Kirche ist voll“) auf Leitungsebene, Pfarrer und Bistumsleitungen sind versucht, sich eine Personalgemeinde zu konfigurieren – aus kirchlichem Personal.

Dies führt SeelsorgerInnen in eine kognitive Dissonanz, wo sie für stagnierende familiaristische Gemeindekonzepte dienstverpflichtet immer mehr Energie aufwenden müssen, um zu verdrängen, dass sich das auch finanziell einfach nicht rechnen kann. Ist meine Arbeit das Geld wert, das sie kostet? PastoralassistentInnen wie SeelsorgeamtsleiterInnen fragen sich: machen wir noch ein paar Jahre so weiter und dann das Licht aus, oder schaffen wir es, unserem Führungsauftrag nachzukommen?

Alle Beteiligten teilen die Intuition, dass von der Führungsfrage die Zukunft der institutionellen Kirche abhängt: wie gelingt organisiertes Christsein zwischen Tradition, Transformation und Innovation, wenn nicht durch effektive Führung? Und wie sieht diese aus, wenn sie sowohl Sachstand der führungstheoretischen Forschung als auch kirchliche Expertise in Theologie und pastoraler Praxis produktiv kombinieren und synthetisieren soll?

FÜHRUNGSTHEORETISCHE ANHALTSPUNKTE

Die führungstheoretische Forschung, schon früh erahnbar in Plutarchs Parallelbiographien, hat ein breites interdisziplinäres Fundament vor allem in den zurückliegenden einhundert Jahren entwickelt und präsentiert Führung als komplexen Gegenstand: sie ist „ein soziales Phänomen, das nicht ‚da draußen’ unabhängig existiert und auf seine vollständige Entdeckung wartet, sondern fortwährend, den sich ändernden Umständen folgend, neu geschaffen wird“ (Neuberger 2002, 6). Gute Führung ist also in diesem Sinne kulturbedürftig wie gute Verkündigung im Sinne von GS 44. Wie sehen aktuell relevante Linien aus?

TRANSFORMATIONALE FÜHRUNG: DAS „LEADERSHIP-DING“

Es ist James McGregor Burns, der in den ausgehenden 1970ern in Politik und Ökonomie das Konzept der „transaktionalen Führung“ diagnostiziert und durch die Idee der „transformationalen Führung“ erweitert (Burns 1978). Transaktional ist Führung, insofern es zu einem Austausch von Leistungen kommt. Zielvereinbarungen, Aufgaben, Delegationen von Verantwortung, Leistungskontrolle, Belohnung, negative Belohnung, Anreizsysteme prägen diesen Führungsstil. Als er dies neocharismatisch fortschreibt zur transformationalen Führung, die den Geführten Sinn und Zweck der organisationalen Zielsetzungen durch mitreißendes und motivierendes Leitungsverhalten verinnerlichen will, lenkt er den Fokus nachhaltig auf Führung als Beziehungsphänomen und bereitet der bald um sich greifenden Unterscheidung zwischen Manager und Leader den Boden: der eine ist eher Verwalter, der andere eher Visionär und Inspirator (vgl. etwa Zaleznik 1977; Kotter 1990). Kirchlich ist das relevant, weil etwa eine ländervergleichende Analyse hervorbringt, dass die zuletzt immer interessierter beobachtete Pastoral des US-amerikanischen Kulturraums stark von diesem Denken durchzogen ist: „Könnte es sein, dass wir Amerikaner sehr fixiert sind auf die Rekrutierung ehrenamtlicher Leader, während Ihr Deutschen eher auf der Suche nach Followern seid?“, fragt der amerikanische Pfarrer mich während meiner Exposure-Erfahrung in der Ortskirche von Chicago. Und die Willow Creek Megachurch, zu deren deutschem Leitungskongress mittlerweile tausende Protestanten und Katholiken strömen, atmet Transformation: „Lead where you are“ (Führe, wo du bist) heißt das Credo. Führen heißt hier: sich durch Gottes Führung verwandeln (transformieren) lassen, um dann Welt zu verwandeln. Das ist interessant für eine Kirche, der die Führungskräfte abhanden kommen. Lässt sich hier lernen, Menschen zu gewinnen, die auf Sendung gehen und nicht nur zuhören möchten?

FÜHRUNG UNTER MANIPULATIONSVERDACHT

Der bis in die Weber’schen Einsichten zu Amt, Herrschaft und Charisma zurückreichende Führungstrend weckt im hiesigen Denken und Fühlen Widerstände: er erinnert zu sehr an die unheiligen Führer des 20. Jahrhunderts. Die Idee, die Werte und Einstellungen von Mitarbeitern zu beeinflussen, um statt einer transaktional extrinsischen nunmehr eine transformational intrinsische Motivation zu erzeugen, lässt Manipulationsverdachte einrasten. Es überrascht nicht, wenn der Leadershipgedanke hier lange hinter systemischen und elaboriert transaktionalen Konzepten zurückstand.

In seiner bemerkenswerten Ekklesiologie illustriert nun Michael Böhnke, anknüpfend an die führungstheoretische Studie von Wolfgang Pax, wie transformationale Führung in der neueren Wirtschaftspsychologie wie in biblisch-urkirchlicher Perspektive produktiv durch einen sozial ausgerichteten, situativen Charismenbegriff erschlossen wird (Böhnke 2013, 240ff.). Charisma ist hier nicht genialisches Persönlichkeitsmerkmal, sondern kontext- und kommunikationsbezogen. Dies deckt sich auch mit dem soziologischen Befund der imposant skalierten GLOBE Study (House 2004), die für das interkulturelle Management erschließt, wie divers sich „Leadership“ in den Kultur- und Sprachräumen skizziert. Wie könnte eine katholisch kompatible Enkulturationsform für unseren Sprachraum aussehen?

DIENENDE FÜHRUNG – LEADING LIKE JESUS?

Die Konzeption der „dienenden Führung“ bzw. „Servant Leadership“ (Greenleaf 1970) weckt Interesse, insofern sie als Variante der transformationalen Führung enorme Passung sowohl in kirchlichen Kontexten wie in unternehmerischen Umgebungen verspricht, denen sie eigentlich entstammt. Der im deutschen Sprachraum erstaunlich unbeachtete Ansatz hat in den USA sowohl aufgrund seiner Semantik als auch aufgrund zahlreicher typisch amerikanischer Erfolgsgeschichten wachsende Rezeption in kirchlichen Kontexten gefunden. Zugleich trifft man neuerdings deutsche KCG-Forscher (Kleine Christliche Gemeinschaften) bei Servant-Leadership-Kursen auf den Philippinen. Worum geht es dabei?

Die dienende Führungskraft führt vor allem transformational, richtet aber den Fokus nicht auf die Ziele der Organisation, sondern auf Bedürfnisse und Charismen der Geführten. Durch vorbildhaft dienendes Verhalten will sie zur Nachahmung anstiften und damit erzeugen, was die Arbeits- und Organisationspsychologie „Organizational Citizenship Behaviour“ (OCB) nennt: Helfen, Initiieren, Beifall geben, Wirtschaften, Partizipation, Teilhabe, Selbst-Entwicklung.

Kirchliche Führung muss dazu, wie alle Verkündigung, „sowohl dem Verständnis aller als auch berechtigten Ansprüchen der Gebildeten angemessen“ (GS 44) sein und sich produktiv enkulturieren lassen. Ihre Plausibilität erschließt sich optimalerweise dem Messdienergruppenleiter so leicht wie dem Pfarrer, dem Schulleiter wie dem Schüler, dem Bischofskaplan wie dem Heiligen Vater. Es darf nicht vieler Prämissen bedürfen, damit katholische und städtische SchulleiterInnen, Seelsorgeamts- und OrdnungsamtsleiterInnen sich auf Augenhöhe über gute Führung austauschen können.

Eine kirchliche Führungskonzeption wird nicht historisierend antike Führungsvorbilder adaptieren können, dringlicher noch: sich zu hüten haben vor der Taufe nur phänotypisch biblisch fundierten Führungsverhaltens. Die Euphorie mancher Ratgeberliteratur lässt vermuten, man könnte tatsächlich führen wie der Heiland. Aber auch mit größerer Nüchternheit dockt Servant Leadership offenbar produktiv an biblischem Dienstverständnis an.

Vor dem Hintergrund der Herausforderungslage muss eine kirchliche Führungskultur sich überdies daran messen lassen, inwieweit sie auch Führungskräfte oder nur Follower anzieht. Das fordert heraus, insofern es in der Frage aufgipfelt, wer nach uns führen wird.

DIENENDE FÜHRUNG ALS „INTERAKTIVE WERTSCHÄTZUNG“

Doch das Konzept verspricht mehr: ich schlage vor, es im Sinne einer „interaktiven Wertschätzung“ produktiv in den Horizont des Innovationsmanagements hinein zu entfalten: wo Unternehmen die Expertise vormaliger Nur-Leistungsempfänger in die Wertschöpfungskette integrieren und aus dem Modus der Publikation in den Modus der Interaktion wechseln, ist kirchliches Führen mit andienendem Lächeln herausgefordert, aus den Angebots- und Versorgungslogiken der Hintergrunderfüllung zum subsidiären Dienst-Leister kokreativer Kirchenentwicklung zu werden. Kirche dienend führen heißt dann: eine organisationsvertikal stringente Kultur der Fach- und Führungskräfteentwicklung zu etablieren, in Haupt- und Ehrenamt. Von professionell innovierenden Unternehmen lernt sie dabei, dass jahrzehntelang gleichbesetzte Leitungspositionen aller Ebenen auf junge Talente extrem abschreckend wirken: wer möchte nach seinem Studium 30 Jahre auf die erste Führungsverantwortung warten? Oder umgekehrt: was passiert in Organisationen, in denen vorwiegend Mitarbeiter mit dieser Bereitschaft anzutreffen sind? Führung als Interaktive Wertschätzung wird diese Samuel-Effekte (1Sam 3) nicht nur zum Gegenstand geistlicher Einkehrtage machen, sondern präzisionsscharfe Werkzeuge entwickeln wollen, Bedürfnis- und Lösungsexpertise nicht abperlen zu lassen.

Dienende Führung im Sinne interaktiver Wertschätzung bedeutet auch, dass die für kundenindividuelle Dienstleistung bedeutsamen Prozesse durch konsequente Nutzung von Kommunikationstechnologien erlernt werden. Praktisch wird das zum Beispiel dort, wo Diözesen, Pfarreien, Einrichtungen es meistern, mit bei Dienstleistern oder etwa auch bei missio üblichen CRM-Systemen (technisch gestütztes Kundenbeziehungsmanagement) zu arbeiten, die echte Kunden- oder Mitgliederorientierung in Großpfarreien ohne Überanstrengung erst ermöglichen.

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