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Reise zur deutschen Front

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Im »Offizierskasino« noch ein kurzer Schwatz und ein Schlummertrunk. Im Felde nennt man ihn »heißes Wasser«. Natürlich ist etwas drin, etwas sehr Kräftiges!

Und jetzt – ins Bett. † † † Gott beschütze mich!

Eine freundliche Ordonnanz zieht mir die zehn Pfund schweren Lehmgebilde von den Beinen herunter. »Gut Nacht, Herr Doktor!« Dann bin ich allein auf einer »Flur«, die alles andere ist, nur nicht »weit«. Das Lehmherdchen glutet noch ein bißchen und raucht sehr heftig. Also die Tür auf! Aber es hat zu regnen begonnen, und ein ungemütlicher Wind peitscht die Traufenfäden herein. Also die Tür wieder zu! Und in den Kleidern auf die Pritsche! Bevor ich das Kerzenstümpfchen auslösche, seh' ich noch etwas sehr Schönes: die ganze Bretterdecke meines Unterschlupfes ist behängt mit großen, blitzenden Diamanten. Jetzt lieg' ich im Dunkeln. Da fängt es auch schon zu tropfen an. Pitsch, pitsch, pitsch, pitsch! Ich ziehe, wie ich es bei den Soldaten gesehen, die Zeltbahn über den Kopf. Nach einer Viertelstunde bricht mir am ganzen Leib der Schweiß aus. Ich entkleide mich und krieche wieder unter das raschelnde Segeltuch. Pitsch, pitsch, pitsch, pitsch! Nach einer halben Stunde friere ich, daß mir die Zähne klappern. Ich ziehe mich wieder an, und weil mir vom Rauch, der nach Erlöschen jeglicher Wärme reichlich zurückblieb, die Augen heftig brennen, mache ich wieder die Tür auf, drücke sie aber sofort sehr energisch zu. Ich liege wieder, und trotz der Dunkelheit bemerke ich an meinem nachlassenden Hustenreiz, daß der Rauch verschwindet. Aber das andere bleibt: Pitschpitschpitschpitschpitschpitsch … jetzt klingt es viel schneller und ununterbrochen. Nicht nur von oben kommt der feuchte Segen, auch von unten her. Schon will ich in einem drohenden Tobsuchtsanfall fluchen wie ein Berserker. Aber da muß ich denken: »So machen es unsere Feldgrauen seit sechzig oder siebzig Nächten durch!« Wobei noch zu berücksichtigen ist, daß ich als Gast ein »Kavalierhüttl« bekam, also eine Sache, die so gut ist, wie sie sonst kein anderer hat! Ein Wunder geschieht – ich, das nervöseste von allen nervösen Äsern, ich werde plötzlich so geduldig wie ein Lamm, drehe mich still auf die Seite und fange, um den Schlaf herbeizuschmeicheln, die fallenden Tropfen zu zählen an: Pitsch, pitsch, pitsch, pitsch …

Ich glaube, bis nah' an siebenhundert kam ich. Ja, wahrhaftiger Gott: gegen drei Uhr bin ich zufrieden eingeschlafen. Ein paarmal erwachte ich, hatte rückwärts das Gefühl einer immer feuchter werdenden Unterlage und im Hirn eine seltsame Idiosynkrasie: ich vermutete immer, daß vor meinem Kavaliershüttl irgend jemand Holz hacke. Es waren die Gewehrschüsse, die vom Schützengraben herunterklangen. Und einmal fuhr ich sehr heftig auf und hörte noch ein doppeltes Rollen – es war ein Granatenpärchen in den Wald geflogen. Ich drehte mich um und schlief wieder ein. Und habe geschlafen, bis im Ergrauen des Tages die Ordonnanz mich weckte und meine schöngeschmierten Stiefel brachte: »No, Herr Doktor, wie war's?«

»Ganz gut! Ein bisserl feucht halt!«

»Mein, da haben wir's jetzt noch wie im Himmel! Aber die vorig' Woch', da haben wir sechs Nächt lang im Wasser hocken müssen. Niederlegen hat man sich gar nimmer können. Auf'm Tornister hat man halt sitzen müssen. Da hat's die meisten von uns a bißl verdrossen. Alle haben wir g'schimpft, ja! Bloß an einziger is zufrieden g'wesen. Dös war a Tölzer Floßknecht. Der hat allweil g'sagt: >Dös bin i g'wohnt!< – Da haben wir uns a guts Beispiel g'nommen.«

Draußen rauschte der schwere Regen.

Heißer Tee. Fünf Tassen. Dann hinauf in den Schützengraben. Hier sind im Morgengrau schon alle bei der Arbeit. Fast durch die ganze Länge des Grabens liegen die Lehmwände niedergebrochen. Alles, was Boden heißt, ist verschlammt und überschwemmt. Und den schanzenden Soldaten rinnt das Wasser über Gesichter, Rock und Hosen herunter. Und immer noch schwatzen sie lustig und machen jene kleinen, netten Späße, in denen eine große, tiefe Seele steckt – die Seele des deutschen Volkes!

Ist der Krieg im Regen ertrunken? Kein Schuß mehr. Den ganzen Vormittag bleibt es still. Doch am Nachmittage, während ich durch die klatschenden Regengüsse und unter peitschenden Windstößen zurückwandere zu meinem Fürstenfeldbrucker Philosophen, beginnen die Haubitzen wieder zu donnern, und von überall klingt das Knallen, das die pfeifenden Vögelchen fliegen macht.

Mein ganzes Denken ist ein einziges heißes, inbrünstiges Gebet zur Sonne:

»Komm! Und scheine den Unseren! Meinetwegen auch den andern! Wenn nur die Unseren trocken werden und sich wärmen können!«

10

7. Februar 1915.

Einen Tag lang war herrliches Wetter. Alles funkelte von Sonne. Die reinste Frühlingsstimmung! Dachte man an die Truppen, so fühlte man immer den gleichen Gedanken: »Gott sei Dank, jetzt werden sie trocken!« Wie eine tiefe Wohltat war's, mir vorzustellen, daß unsere Feldgrauen vor Wärme dampfen. Und mit Lachen mußte ich besonders an einen denken. Den hatte ich in seinem triefenden Schützengrabenhöhlchen knien sehen, mit einer ganz sonderbar verbuckelten Gestalt. »Um Gottes willen, was ist denn mit Ihnen?« hatte ich erschrocken gefragt, denn ich hielt ihn für einen Schwerverwundeten im Notverband. Aber nun kam eine heitere Lösung. Der kluge Mann hatte, um sich gegen die von unten heraufquellende Nässe zu schützen, sieben wollene Liebesgabenbauchbinden hinten herumgebunden. Er behauptete: das bewahre ihn bis zum Morgen vor dem tieferen Eindringen jeglicher Feuchtigkeit. Weil die äußerste dieser sieben wollenen Sitzfleischhäute zinnoberrot war – möglicherweise aus dem ehemaligen Unterrock einer Dorfschönen geschnitten – glich der Eingewickelte einem Pavian in der Paarungszeit. Wie feucht die sieben konträr verwendeten Bauchbinden auch geworden sein mögen – jetzt konnte er sie einen Tag lang in die freundliche Sonne hängen.

Die drollige Episode ist auch ein ernster Beweis für die opulente Liebesgabenfülle, mit der unsere Feldgrauen von der Heimat aus bedacht werden. Was sie mehrfach bekommen, wird oft in höchst sinniger Weise aufgebraucht. Einen sah ich, der vier Paar Kniewärmer zu ganz famosen, tütenförmig übereinandergreifenden Gamaschen zusammengenäht hatte; der Mann muß übrigens auch künstlerischen Geschmack haben, weil er bei Erzeugung dieses Meisterwerkes der Feldflickerei die Farben harmonisch gliederte: grau, braun, grau, braun. Überzählige Schlipse werden häufig als Lehmhindernisse oben um die Stiefelröhren herumgewickelt; entbehrliche Pulswärmer finden Verwendung als Zehenfutterale, und Kopfschläuche werden zu »Kniehösln« degradiert. Einstimmig ist bei allen Feldgrauen die dankbare Anerkennung der Liebesgabenmenge. Zu Dutzend Malen hörte ich in wechselnden Worten den gleichen Sinn: »Die Leut daheim sind so viel gut! Jetzt haben wir's oft besser wie in der Friedenszeit.«

Die segensreichste von allen Liebesgabenspenderinnen ist aber doch die warme Sonne. Sie macht überflüssig, was Wolle heißt, und legt die Soldaten trocken wie liebe Kinderchen. Nur die Kanonen macht sie nervös; denn wenn die Nebel verschwinden und der Himmel blau wird, erscheinen die feindlichen Flieger. Vorgestern hörte man fast ununterbrochen vom Morgen bis zum Abend die Schrapnellschüsse krachen, die den Fliegern entgegenflammten und hinter ihnen herjagten. Das ist ein aufregendes Bild: wenn hoch droben im Blau dieser winzig aussehende Menschenvogel kreist, den das unbewaffnete Auge erst nach langem Spähen zu entdecken vermag. In so großer Höhe ist seine Bewegung eine kaum merkliche: oft scheint er völlig stillzustehen wie ein Falke, der auf seine Beute lauert. Und dann plötzlich springen aus dem blauen Himmel, während herunten auf der Welt die Schüsse krachen, kleine silbergraue kuglige Wölklein heraus, immer wieder und wieder eins, hinter dem Vogel, vor ihm, über ihm, unter ihm – die Rauchklumpen der platzenden Schrapnellgeschosse. Ganz ruhig bleiben sie hängen im Blau, erweitern sich ein bißchen, werden zu weißen Himmelsschäfchen – und wenn der Flieger schon lange verschwunden ist, hängen sie noch immer da droben und bezeichnen den Weg, den der feindliche Menschenvogel genommen hat.

Schwebt der Flieger in zwei- bis dreitausend Meter Höhe, so ist er fast völlig sicher. Nur bei ganz besonderem Glücksfall – der feindliche Vogel würde sich natürlich anders ausdrücken – kann ihn ein Schuß herunterholen. Freilich, je höher der Flug, um so bescheidener auch das Resultat der Erkundung, trotz Photographie und Funkenspruch. Die vielen Schrapnellschüsse, die man hinaufschickt, bringen also immerhin den Gewinn, daß der französische Flieger, dem die glückliche Heimkehr wesentlich sympathischer als der Absturz ist, außerhalb einer ergebnisreicheren Spähweite gehalten wird. Trifft ein Schuß, so geht's dem Flugzeug noch lange nicht ans Leben; die Stellen, wo es sterblich ist, sind keine Scheunentore, sondern kleine Achillesfersen. Jeder Doppeldecker der deutschen Fliegerabteilung zu H., bei der ich einen mir unvergeßlichen Tag verbrachte, ist ausgezeichnet durch die Ehrenmale vieler Schußnarben; neben jenen ausgeheilten Wunden, die für das Flugzeug lebensgefährlich waren, steht unter dem Bild des Eisernen Kreuzes der sieghafte Tag angeschrieben, an welchem deutsche Unerschrockenheit und Geistesgegenwart eine drohende Todesstunde überstanden. Mit dankbarer Bewunderung hab' ich das Eiserne Kreuz erster Klasse unseres kühnen Fliegeroffiziers betrachtet, der auf einem ebenso verwegenen wie ergebnisreichen Erkundungsfluge schwer verwundet wurde und noch in äußerster Erschöpfung, auf dem Verdeck des Flugzeuges stehend, ein Schußloch des rinnenden Benzinbehälters so lange mit dem Daumen verstopfte, bis der Doppeldecker innerhalb der deutschen Stellung glücklich zu landen vermochte.

Der Satz, den ich da niedergeschrieben habe, ist schnell gelesen. Doch wer die Ewigkeitsminuten eines solchen Nervenkampfes in den Lüften auszudenken vermag, wird einen atembeklemmenden Schauder empfinden und sich dabei doch aufrichten in deutschem Stolz. Vor Beginn des Krieges hatte das französische Flugwesen gegen das deutsche eine siebenfache Übermacht. Unsere Flieger haben sie ausgeglichen durch zähe Schulung und technisches Geschick, durch stählerne Herzhaftigkeit und erhöhten Mut. Wie man von altersher sagte: »Ein Mann, ein Wort« – so wird man sagen: »Ein deutscher Flieger, ein deutscher Held!« – Bei uns ist die Kraft, bei uns der Sieg! Alles was ich sehe und erlebe im Feld, klingt mir immer wieder aus in diesen herrlich läutenden Refrain.

 

Neuer Nebel und Regen brachte mich gestern um den Anblick eines Geschwaderfluges der Unseren. Ein solcher Flug war geplant zur Begrüßung unseres Königs, der die bayerischen Armeeverbände an der Front besichtigte. Wetter und Wind verriegelten die Fliegerschuppen. Aber der Vorbeimarsch unseres Leibregiments sowie der anderen, auf Ablösung in den Stadtquartieren weilenden Truppen war auf dem großen Stadtplatz trotz Nebelreißen und spritzenden Pfützen eine ganz prachtvolle Sache. Jede Schießscharte in unseren Schützengräben ist Schulter an Schulter besetzt – und hinter der Front dieses fast unübersehbare Gewimmel unserer gesunden, hochgewachsenen, kraftvollen und tadellos ausgerüsteten Soldaten! Im Gefühl der Zuversicht, die dieses Bild und der klingende Taktschritt vieler Tausende von festen deutschen Beinen mir einflößte, hätt' ich vor Freude immer schreien mögen. Das verbot nicht nur der militärische Ernst der Stunde, auch jeder Blick auf die Einheimischen, die in dichten Gruppen umherstanden; sie sprachen kein lautes, vernehmbares Wort; entweder blieben sie stumm oder flüsterten ganz leise miteinander; immer unruhiger irrten ihre Augen über diese festgefügten Soldatenzüge hin, und in ihren Gesichtern wurden Schreck und Staunen immer größer, je länger der Vorbeimarsch der Bataillone und Batterien dauerte. – Neulich, als große Rekrutennachschübe hier eintrafen, tuschelten die Einheimischen mit glänzenden Augen einander zu: das wären fliehende, von den Franzosen aus den Schützengräben verjagte Deutsche. Gestern begriffen sie die Wahrheit und bekamen eine erschreckende Vorstellung von Deutschlands unerschöpflichem Menschenbrunnen. Und da war in ihren Augen die Trauer des Wissens: daß der Sieg ein unentreißbarer Besitz der Deutschen ist. Wenn die Franzosen zittern und Unruhe und Verzagtheit fühlen, so haben sie Grund dazu!

Immer war im Blick und im Lachen unseres Königs die Freude zu sehen, die ihm das straffe Bild seiner Truppen bereitete. Bei dem Festmahl, dem als Gast der Generalfeldmarschall von Bülow beiwohnte, war der König in einer Stimmung, die ihn zu verjüngen schien. Aus seiner heiteren, lebhaften Unterhaltung war herauszuhören, was dieser von Kraft klirrende Tag ihm gezeigt hatte. Im Anschluß an ein Gespräch über meine Schilderungen des Hauptquartiers sagte der König: »Wann dieser Krieg zu Ende sein wird, ob später oder früher, das weiß heute mit Sicherheit kein Mensch auf Erden. Aber wie er ausgehen wird, das wissen wir doch alle. Da kann man ruhig sein.«

Vorhin gebrauchte ich das Wort »Festmahl«. Das klingt ein bißchen wunderlich: ein Festmahl im Kriegslager. Man muß da nur wissen, wie es war. Eine Stimmung von festlicher Gehobenheit, gewiß! Aber dieses Mittagessen, an dem der König teilnahm, fand im zweiten Stockwerk eines hohen, schmalbrüstigen Hauses statt, dessen rechte Mauerseite ungestützt und ein bißchen schief in der Luft hängt. Das Nachbarhaus, das diese Mauer vor einigen Monaten noch tragen half, die Präfektur, ist niedergebrannt und in einen Schutthaufen verwandelt – nicht von den Deutschen in Trümmer geschossen, sondern vor ihrem Einmarsch abgebrannt, nachdem die Staatsgelder, wie hier erzählt wird, auf unerklärliche Weise verschwunden waren. In diesem schmalbrüstigen, von seiner staatlichen Stütze jetzt völlig verlassenen Hause wurde im Juli des vergangenen Jahres, kurz vor Ausbruch des Krieges, ein Galadiner zu Ehren des Präsidenten der französischen Republik abgehalten. Von der Herrlichkeit dieses peronnesischen Nationalfestes unter Monsieur Poincarés Vorsitz ist nur das künstlerisch verzierte Menü noch übrig geblieben: ein Dutzend der leckersten Gänge mit einer Himmelsleiter aller besten französischen Weine! Bei dem Mittagessen, das gestern für unseren König und seine Offiziere gerichtet war, ging es einfacher zu; man trank dabei Bayerisches Bier und ein paar Gläser Sekt. Und als von der freihängenden Wand gesprochen wurde, die bei jedem schweren Kanonendonner sehr merklich wackelt, sagte der König lachend: »Wo Deutsche sitzen, da hält schon alles!«

Ja! Wir Deutschen sitzen hier in erobertem Land! Und das hält. Sicher und fest.

Es war um die elfte Nachtstunde. Und plötzlich hörte ich ein Lied von vielen Soldaten, hörte den stahlfesten Hammerschlag marschierender Schritte, warf die Feder weg und sprang an das Fenster und riß die Scheiben auf.

Über der laternenlosen Straße hing eine schwarze, finstere Nacht, in der mein Blick nur mühsam die Umrisse der gegenüberliegenden Hausdächer unterschied. Und ein heulender Sturmwind peitschte mir den Regen ins Gesicht.

In solcher Nacht kamen sie heranmarschiert und sangen, kamen aus der Stadt und stampften hinaus zu den Schützengräben. Es müssen zwei Bataillone des Leibregiments gewesen sein. So finster war es, daß ich einzelne Gestalten nicht auszunehmen vermochte. Nur die großen, dichten Menschenklumpen unterschied ich. Das einzig Helle und deutlich Sichtbare waren die wehenden Glutfunken, die von den Zigarren oder aus den brennenden Pfeifen im Sturmwind davonflogen.

Immer sangen die Soldaten, immer das gleiche Lied:

 
»In der Heimat, in der Heimat,
Da gibt's ein Wiedersehn!«
 

Und dann kam etwas, was ich von singenden Soldaten noch nie gehört habe: als sie schon außerhalb der Stadt waren, außerhalb der alten, zerbrochenen Festungswerke, verwandelte sich das Ende ihres Liedes in ein mit wirren und hohen Stimmen durcheinanderklingendes Jauchzen und Jodeln, wie wir es kennen von unseren Hochlandsfesten bei strahlender Morgensonne.

Ein Gedanke sagte mir noch: Du irrst dich, es hat nur der Sturmwind ihr Lied zerrissen, und drum tönt es so, wie wirr durcheinanderklingende Schreie! – Aber nein! Ganz deutlich, jeder Täuschung entrückt, wahr und wirklich, klang es nun abermals durch die Finsternis aus der Ferne zu mir her! Sie jauchzten und jodelten wie junge Menschen in froher Trunkenheit! Und da war es in mir wie ein klares Sehen, wie ein festes und heiliges Wissen: daß Soldaten, die mit solchem Liede und mit solchem Jauchzen in eine stürmische Nacht hinausmarschieren, der Gefahr und dem drohenden Tod entgegen – daß solche Soldaten siegen müssen! Gleichviel, wann!

11

16. Februar 1915.

Vor wenigen Tagen war es. Niemand sprach davon, daß man einen Angriff der Franzosen erwarte. Aber es lag was in der Luft, nicht nur deshalb, weil die feindlichen Geschütze seit zwei Tagen lebhafter als sonst über die fernen Waldhügel herüberdonnerten. Auch am Verhalten der Feldgrauen fiel mir etwas auf. Ich glaube, militärisch nennt man es »erhöhte Bereitschaft«.

Mit Anbruch der Nacht war für mich der Besuch einer weit entlegenen Artilleriestellung verabredet, zu der es am Tage keine Zufahrt gibt. – Acht Uhr vorüber. Ich saß in einer engen, finsteren Sache, wie ein Sträfling in seinem Zellenwagen. Das kleine Kupee hatte keine Glasscheiben, sondern Brettfensterchen mit winzigen Ausschnitten, durch die ich manchmal ein wässeriges Sternchen flüchtig aufschimmern sah.

Nach zwei Stunden hält der Wagen. Ich bin im Hof einer großen Ferme. Alle Läden geschlossen, nirgends ein Licht. Nur droben am klar gewordenen Himmel brennen die vielen Sterne. Die Haustür wird geöffnet, und die freundlichen Stimmen dunkler Gestalten begrüßen mich. Dann sitzen wir in der etwas schummerigen Stube, und der Zigarrenrauch schwimmt in geschlängelten Fäden um das sparsame Flämmchen der Petroleumlampe. Die Offiziere sind heiter wie sonst; in dieser Heiterkeit ist eine Ruhe, die alle Spannung meiner Nerven beschwichtigt. Mir ist sehr wohl an diesem Tisch. Im Geplauder frag' ich einmal: »Da ist doch hier in der Gegend eine von den Franzosen kaputt geschossene Villa, deren Turm neulich noch ganz war? Da droben sitzt doch immer ein Beobachter. Steht der Turm noch? Oder …« Um den Tisch geht ein Lachen herum. Und der junge Artilleriehauptmann schmunzelt: »Gott sei Dank, er steht noch! Da droben sitze doch ich immer! Wenn Sie morgen nachmittag zu mir hinaufkommen wollen? Ich denke, da werden Sie etwas sehen!«

Während wir weiterschwatzen, hör' ich etwas: manchmal klingt es wie eine Karfreitagsklapper; dann wieder, als kollerten viele Holzkugeln über eine steile Treppe herunter; oder als würden hundert Teppiche geklopft. Jede Sekunde klingt es anders und bleibt doch immer das gleiche. »Was ist das?« – »Noch ist es kein Angriff. Aber möglich, daß es einer wird.«

Wir treten in den schwarzen, vom Sternenhimmel überfunkelten Hof hinaus. Nun vernehm' ich es deutlich. So hatt' ich es noch nie gehört, auch nicht im Schützengraben. Was da so unregelmäßig hämmert in der Nacht, ist wie das Zähneklappern eines frierenden Riesen. Hoch über uns fahren kurze Zischlaute durch die Luft: die »Hochgänger«, die von den zerrissenen Salven der Franzosen zwei Kilometer weit über den schwarzen Waldgrat herüberfliegen. Auf dem Dach geht eine Schieferplatte in Scherben, und die Splitter bröseln in den Hof herunter. Dieses ziellose Gepulver in der Finsternis hat etwas unsagbar Aberwitziges. »Schießen denn da die Unseren auch?« – »Nein. Die warten, bis es notwendig wird.« – »Aber auf was schießen denn die Franzosen, jetzt, in der Nacht?« – Ein Lachen. »Auf nichts. Vielleicht glauben sie, eine Patrouille zu sehen. Oder es ist wieder ein Bluff, mit dem sie uns herauslocken möchten. So machen sie es oft. Aber die Unseren sitzen fest und warten ruhig, bis die Franzosen kommen. Dann kracht es bei uns. Das hat einen ganz anderen Ton!« —

Diese Erklärung gab mir ein äußerst behagliches Zufriedenheitsgefühl. Mit ihm vereinigte sich das Bild der Schützengräben, die ich gesehen – und die deutsche Seßhaftigkeit in diesem Maulwurfskriege begann mir als etwas sehr Notwendiges und Vorteilhaftes einzuleuchten. Bei gleichen Kräften eine unzerbrechbare Mauer verteidigen, ist schon der Sieg – mit dem Kopf gegen unbeugsame Steine rennen zu müssen, ist schon die Niederlage, noch ehe der letzte Kampf beginnt. Die festen Stellungen, die hier seit Monaten geschaffen und mit jedem Tage stärker ausgebaut wurden, können nur durch eine große Übermacht überrannt werden. Eine solche Übermacht werden die Franzosen auch mit englischer Hilfe niemals wieder haben! Aber wir werden sie haben! Bald! Dann wird die Stunde der Entscheidung im Westen gekommen sein! —

Am Morgen schien die Sonne aus blauem Himmel heraus. War dem frierenden Riesen warm geworden? Er hatte seinen klapprigen Zähneschauer eingestellt. Nur ab und zu noch klangen einzelne Schüsse von der feindlichen Stellung herüber.

Die Offiziere waren aus der Ferme verschwunden; ein junger Doktor sollte mich führen. Vor dem Hause ging es lebhaft zu. Feldgraue kamen über die Lehmwege hergewatet, jeder mit sechs kleinen Kesseln, um von der Feldküche das Frühstück für die Kameraden im Schützengraben zu holen. Die Schüsse, die sich noch hören ließen, wurden übertönt vom friedlichen Geräusch einer Dreschmaschine, die den französischen Weizen für den deutschen Appetit ausklopfte. Zwölf Bauernweiber lupften die Garben, bedienten die Maschinen und banden das ausgedroschene Stroh. Bei ihnen stand zur Aufsicht ein braunbärtiger deutscher Unteroffizier, der sein Pfeiflein rauchte und gemütlich dreinguckte, solange die Weiber tüchtig schafften; wurden sie faul, dann nahm er die Pfeife aus den Zähnen und sagte energisch: »Trawalliöh!« Worauf die Weiber wieder sehr fleißig wurden. – Besser so, als daß ein französischer Korporal unseren deutschen Bauernfrauen befehlen dürfte: »Harbeiiitet!«

Manchmal donnerte irgendwo ein Kanonenschuß, während wir in den glänzenden Vormittag hinauswanderten. Wir mußten gedeckte Schleichwege suchen, durch Pfützen waten, durch dornige Wäldchen kriechen. Auf einem großen Teiche sahen wir ein deutsches Idyll: eine mit Weizengarben beladene Zille kam auf dem Wasser herangeglitten; vier Feldgraue saßen auf der Strohladung des Schiffleins, und zu dieser netten Fahrt blies einer die Mundharmonika; warme Sonne umglänzte das hübsche Bild, das doppelt zu sehen war: in der Luft und im spiegelnden Wasser. Dazu der französische Kontrast: ein grauenvoll verwüstetes Gehöft! Welch ein entzückendes Landhaus mit Obstwiese und Blumengarten, mit Fischzucht und Weihern, mit Rosenhecken und Lauben muß das gewesen sein, ehe der Krieg begann! Und jetzt ein wüstes Durcheinander von verkohlten Balken, von Brandschutt und zerstückelten Mauern!

 

Ein Rauschen in den Lüften – ein Flieger! Ich fand ihn mit dem Glas. Ein deutscher Doppeldecker! Wie etwas ganz Feines und Zierliches flog er zweitausend Meter hoch im Blau. Da begann auch schon die Kanonade von der französischen Stellung her, ein feindliches Maschinengewehr erhob seine langsame Unkenstimme: »Tack, tack, tack, tack …«, und neben der Sonne pufften in langer Reihe die grauen Kugelwölklein der Schrapnellschüsse aus dem blauen Nichts heraus. In meiner Seele war ein heißer Schrei: »Fliege, fliege, du deutscher Bruder da droben, erfülle deine kühne Pflicht, laß dich nicht herunterholen vom Haß deiner Feinde!« Er flog und flog, immer blieben die Explosionswölklein weit hinter ihm zurück. Geradhin und ruhig segelte er wie ein wilder Schwan, der die Tiefe verachtet. Keiner von den hundert Schüssen, die nach ihm abgefeuert wurden, konnte ihn auch nur zum leisesten Ausbiegen von der Richtung seines Erkundungsfluges zwingen. Im Glanz der Sonne, den meine Augen nimmer ertrugen, verschwand er. Ich mußte zwei Worte flüstern: »Deutscher Flug!« Aus diesen Silben und ihren Bildern wuchsen mir stolze, hoffnungsfrohe Gedanken heraus. —

Ein zerrissener Wald, in den die Mittagssonne steil herunterglänzte. Hier sah ich etwas Neues: einen von den großen Mörsern, die vor wenigen Tagen hierhergebracht wurden. Steht ein Mensch neben solch einem metallenen Ungetüm, so sieht er aus wie ein Zwerg neben einem Nashorn. An der Kugel, die dieser deutsche Kampfgigant über zehn Kilometer schleudert, haben vier Feldgraue zu schleppen. Und solcher Kugeln stehen Hunderte aufgeschichtet, jede in ihrem binsenen Moseskörbchen! Ich frage: »Wird geschossen?« – »Vor dem Abend kaum. Der Feuerbefehl muß von der Turmstelle kommen.« Also von dort, wo ich in einer Stunde sein werde!

Bei dem weiten Umweg über die Felder zappelt mir die Ungeduld in den Beinen. Hinter einer Deckung erwarten uns die beiden Pferde. Wir reiten los. Da beginnt auf einem langgestreckten Höhenzuge der frierende Riese heftig mit den Zähnen zu klappern. Immer rascher klingt es ineinander, fast ist es schon ein ununterbrochenes Salvenrollen. Und in vielen Richtungen fangen die Geschütze zu dröhnen an, vorerst nur französische. Jeder Schuß ist ein doppelter Donner: Abschuß und Granatenschlag. Wir lassen die Pferde rennen, um so rasch wie möglich unser Ziel zu erreichen. – Da ist es!

Auf einem von winzigen Waldflecken umhuschelten Hügel stand einmal ein kleines Dorf. Jetzt ist es ein Schutthaufen, den alles Leben verlassen hat. Nicht weit davon liegt die Trümmerstätte der kastellartigen Villa mit dem hohen Turme, der noch immer steht. Wer diesen Turm erbauen ließ, muß Ritterträume gehabt haben à la Don Quixote! Vom Haus ist nimmer viel übrig, und auch der Turm ist ausgebrannt bis in die zerrissene Blechkuppel hinauf. Sein Inneres ist eng und dunkel; von den vier verbrannten Turmböden sind nur noch ein paar verkohlte Balkenstümpfe vorhanden. In diesem leeren Mauerdarme haben die deutschen Pioniere acht Leitern hin und her übereinander gebunden. Draußen der ruhelose Geschützdonner, im Turme das Schweigen. Aber ganz in der Kuppel droben trillert ununterbrochen die Klingel eines Telephons. Und ruhige Stimmen tönen herunter; immer wieder höre ich die beiden Worte: »Turmstelle hier!«

Während der Doktor die beiden Pferde irgendwo versorgt, beginn' ich zu klettern. Durch schießschartenähnliche Fensterchen fällt spärliches Licht herein; das hilft mir, die Leitergriffe zu finden. In der dunklen Höhe stoße ich mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Über mir eine lachende Stimme: »Herein!« Ein schmales Falltürchen wird geöffnet. Zwei feste Hände greifen herunter und ziehen mich vollends hinauf. Ein freundlicher, aber kurzer Gruß des jungen Hauptmanns – ich bekomme in dem kleinen Dachkäfig ein Winkelchen, wo ich stehen muß, ohne mich viel rühren zu können – dann geht die ernste militärische Arbeit weiter, mit raschen und knappen Schlagworten, die mir, da fast immer in Zahlen geredet wird, eine unverständliche Sprache sind. Außer dem Hauptmann ist noch ein Leutnant da, ein Unteroffizier zur Bedienung des Telephons und einer zur Meßarbeit auf der Karte, die über ein Brett gespannt ist. Zwischen dem Mauerbord und der Dachkuppel ist eine handbreite Lücke; da kann man hinausgucken, kann sogar den Feldstecher dazwischenstecken. Und während bei jedem schweren Granatenschlag das Gemäuer des Turmes leise schüttert, beginne ich zu schauen, durchwühlt von einer heißen Erregung, die mir fast den Atem erwürgt.

Was ich sehe, ist ein Bild von unsagbarer Schönheit, ein wundervolles, im Gold der Abendsonne leuchtendes Land. Als ich noch da drunten war, da sah ich Hügel und Wälder; jetzt seh' ich nur einen ebenen Felderschild mit dunklen Flecken, aus denen sich höhere Bäume zierlich oder seltsam geformt herausheben. Zerstörte Dörfer und zertrümmerte Gehöfte sehen aus wie kleine, gesprenkelte, sonderbare Blumen. Gleich den niederen Versatzstücken einer Theaterdekoration schieben sich die Konturen von Gehölzen und Ortschaften durch- und hintereinander, alles wie niedliches Spielzeug. Ich sehe geschlängelte Bäche und schnurgerade Straßenzüge, sehe weit in südlicher Ferne den blitzenden Lauf der Somme mit ihren Sümpfen und Kanälen, und sehe – vergleichbar einem endlosen, vielgewundenen, doppelten Kupferkettchen – die von Osten kommenden und gegen Norden ziehenden Linien der deutschen und feindlichen Schützengräben. Über allem der blaue Himmel mit seiner niedersteigenden Sonne; und in der Tiefe ein feines, wunderlich zu Streifen gestaltetes Nebelziehen, das sich unter dem ruhelosen Donner des Geschützkampfes mehr und mehr zu verstärken scheint.

Dieses herrliche Land da drunten? Ist das ein Herzogtum ohne Volk? Nirgends ist ein Mensch zu entdecken, nirgends ein Bauer auf den Feldern, nirgends ein Wagen, der sich bewegt, nirgends ein Tier der Erde! Alle Schönheit da drunten ist leer und öde. Nur manchmal, unter dem aufschreckenden Granatendröhnen, flattern braune, dichte Schwärme von Wandervögeln nahe bei meinem Ausguck vorüber, wie Wolken von dürren Blättchen, die der Sturmwind treibt.

Mir werden Lippen und Zunge trocken, und vor Erregung fiebert mir jeder Nerv im Leib. Immer spähe ich durch das Glas nach den Schützengräben, bei denen der Riese mit den Zähnen schauert. Ich gewahre nichts, nichts, nichts, keinen Rauch, keinen Feuerblitz, keine Bewegung, nichts! Und immer dieses Donnern und Brüllen in der Luft! Gierig suche ich mit dem Glas die bald umschleierte, bald wieder von Sonne leuchtende Leere ab. In weiter Ferne, auf etwa vierzehn Kilometer, gewahre ich vor einem Waldstreif vier kleine, weiße Punkte, als hätte man da ein paar Taschentücher zum Trocknen aufgehängt. Jetzt bewegen sie sich langsam und schweben aufwärts und werden größer, ein feindlicher Flieger. Das Telephon klingelt und die ruhige Stimme des jungen Hauptmanns, der beim Scherenfernrohr sitzt, gibt eine Meldung in Ziffern. Der Flieger, den ich mit dem Glas beobachte, macht plötzlich eine Schwenkung, und ich sehe einen zweiten erscheinen. Ist das ein Deutscher? Der den Franzosen verfolgt? Beide verschwinden im Dunst. Während ich suche, kommt mir eine kleine blaugraue Kugel mit langem Schwänzlein ins Glas: ein französischer Fesselballon. Unbeweglich hängt er in der Luft, etwa zwölf Kilometer von uns entfernt. Nun gleitet er zur Erde hinunter und verschwindet hinter einem Waldstreif. Beim Scherenfernrohr ein kurzes, heiteres Lachen: »Dem war unser Flieger nicht geheuer!«

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