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Reise zur deutschen Front

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Seit dem Frühjahr scheint sich die schlanke Gestalt des jungen Heerführers, den wir Deutschen jetzt den Sieger von Longwy nennen, noch gestreckt zu haben. Auch in ihm wirken die starken Mächte der großen Zeit. Die Sonne des Sommerfeldzuges und Wind und Wetter des Winters haben sein frisches, gesundes Gesicht gebräunt. Und seine frohen Augen glänzen in Freude – kann er doch dem Vater von einem großen Erfolge der letzten Nacht erzählen. »Ein festes Stück vorwärts gekommen, und zwölfhundert Franzosen gefangen!« Die müssen auf dem Marsche zur Bahn in einer Stunde da vorbei kommen.

Mir hämmert es in der Brust. Eine Siegesnachricht, die so warm und neu aus dem Schützengraben heraufschnellt, wirkt wesentlich anders, als wenn man sie daheim an der Mauer oder in der Zeitung liest. Man hat auch da seine heiße Freude. Aber wie frischer, um so besser.

Die gute Nachricht belebt und erwärmt die Stimmung am Frühstückstisch. Dem Kaiser schmeckt das Mahl, und scherzend sagt er zum Kronprinzen: »Bei dir ißt man besser als bei mir. Ich muß mir das überlegen, ob ich nicht deinen Koch requirieren lasse?«

Kaum ist an der Tafel das Obst gereicht, da heißt es: »Sie kommen!«

Die Straße hat sich schon zu beiden Seiten mit langen und dichten Reihen der Feldgrauen gefüllt. Durch diese Soldatengasse bewegt sich ein Zug von seltsam aussehenden Gestalten einher. Franzosen? Wo ist denn die berühmte rote Sache, die man die Hose von Frankreich nennt? Davon ist nichts zu sehen. Ein bißchen Blau sieht man, ein dunkles Blau, alles andere an diesen Kommenden ist gelb. So tappen und taumeln sie durch die Gasse her. Und ein Photograph hat sich auch schon eingefunden; glückselig dreht er die Kurbel seines Kinokastens, immer mit dem Objektiv gegen den Kaiser hin. Der sieht es, wird sehr unwillig, deutet auf den näherkommenden Zug der Gefangenen und ruft dem Photographen zu: »Sie! Photographieren Sie doch das da! Die Soldaten! Nicht immer mich!« Ich habe selten einen verlegeneren und hilfloseren Menschen gesehen als diesen aus allen Himmeln gerissenen Filmkünstler. Er dattert mit dem Apparat, rutscht hin und her, dreht an der Kurbel, stockt wieder – und ich besorge, der Film ist gründlich mißlungen. Und wenn die deutschen Fürstenkritiker diese zerrupfte Sache sehen, werden sie sagen: »Wenn sich der Kaiser schon immer photographieren lassen will, soll er sich wenigstens einen geschickteren Photographen aussuchen.« So entsteht, was man als gerechtes und objektives Urteil bezeichnet. Es ist, wie im großen so auch im kleinen, immer wieder die Geschichte von Helgoland und Sansibar.

Die heitere Stimmung, in die ich geraten bin, schlägt mir plötzlich um in eine schwere und tiefe Erschütterung. Mir scheint, ich muß mich erst an den Krieg gewöhnen. Unpolitisches Erbarmen ließ mich für einen Augenblick vergessen, daß ich Deutscher bin und daß diese Gelben, die da vorüberwandern, unsere erbitterten Feinde sind, die auf deutsche Soldaten schossen und stachen und schlugen. Das vergaß ich für einen Augenblick, weil die meisten dieser Menschen da grauenhaft aussehen, herzergreifend. Sehen so auch die Unseren im Schützengraben aus? Dann wissen wir in der Heimat noch immer nicht, was Krieg ist, und was unsere lieben, treuen Feldgrauen um unserer Sicherheit willen ertragen müssen.

Was wir in der Heimat an Gefangenen sehen, ist etwas ganz anderes als hier; bis sie hinauskommen zu uns, hatten sie schon viele Tage Zeit, sich zu erholen, sind gut ausgeschlafen, sind gekräftigt, ordentlich genährt, sind gewaschen und gereinigt. Aber hier, im Felde, wo sie vor wenigen Stunden erst aus den Schützengräben herausgefischt wurden, stecken die meisten in Kleidern, die nimmer als soldatische Uniform zu erkennen sind, sondern von Nässe klatschen und von den Stiefeln bis hinauf zur Brust so dick mit Kot und Lehmklumpen behangen sind, daß alles gelb ist an ihnen. Einige sehen wohl besser und frischer aus, bewegen sich leicht und lebhaft, lassen sich ihr Pfeifchen oder die Zigarette schmecken und können sogar lachen, hochmütig und spöttisch. Aber die meisten sind schwer erschöpft, schleppen sich mühsam unter der Last dieses nassen Dreckes an ihrem Leib, sind bleich und verstört, haben abgezehrte Wangen und eingesunkene, trauervolle Augen. In vielen Gesichtern ist der seelenlose Stumpfsinn, den ein monatelanges Leiden in ihnen erzeugte. Einige sind leicht verwundet, schon verbunden. Viele gehen Arm in Arm gehängt, die noch Kräftigeren stützen die Schwächeren. Unter dem Tausend sind kaum hundert hoch und gut gewachsene Leute, von denen wir Deutschen sagen würden: Das sind Mannsbilder. Alle anderen sind klein, zart und schwächlich von Natur, dazu noch zerrieben von der Mühsal des Krieges, viele unterhalb unseres Militärmaßes, sogar von zwerghaft zurückgebliebenem Wuchs.

So wandern sie vorbei – nicht verspottet und verhöhnt, nicht beschimpft und mißhandelt, nicht bespien und mit Fußtritten regaliert, wie es deutschen Gefangenen in Frankreich erging. Unsre Feldgrauen stehen ernst und schweigsam, sie reden und lachen nicht. Und viele von ihnen, die doch unter dem Kugelregen der Franzosen gestanden und bedroht waren von Wunden und Tod – vielen kann ich es an den Augen ansehen, daß in ihren »Hunnenseelen« das gleiche menschliche Erbarmen ist wie in mir, der ich mich an solche Bilder des Krieges erst noch gewöhnen muß und noch keine von seinen Gefahren verschmeckte.

Während die Gefangenen am Kaiser und der Gruppe seiner Offiziere vorüberkommen, reden wunderlich verschiedene Dinge aus diesen französischen Augen: Gleichgültigkeit und Neugier, Hohn oder Haß. Aber es sind doch auch manche dabei, in denen der Zorn und die Pein der Stunde nicht völlig die Züge soldatischer Ritterlichkeit ersticken kann. Ob sie den Kaiser und den Kronprinzen erkennen? Oder ob sie nur glauben: das sind Generäle? Sie salutieren oder ziehen das Käppi herunter, und der Kaiser dankt.

Die letzten verschwinden, und eine Gruppe von deutschen Lanzenreitern klirrt hinter ihnen her.

Das Bild, das ich gesehen, beschäftigt mich noch lange, während die Fahrt im Auto gegen Süden geht. Der Kronprinz begleitet seinen kaiserlichen Vater eine Strecke Weges, will ihm eine Stelle mit weiter Fernsicht gegen die Argonnen zeigen. Das Gespräch der beiden, das sich immer um Dinge des Krieges dreht, ist ernst, aber die Stimmen bleiben durchhaucht von einer warmen Herzlichkeit.

Nach einer halben Stunde hält das Auto. Mitten aus der welligen Landschaft erhebt sich ein großer, steiler Hügel, ein Kalvarienberg, gekrönt von einem mächtigen Kreuzbild.

Der Weg da hinauf ist mit Schwierigkeiten verknüpft, denn die Regengüsse vieler Wochen haben den lehmigen Steilhang so durchweicht und versumpft, daß jeder Schritt ein Glitschen und Rutschen wird. Aber die Kletterei belohnt sich. Droben eine meilenweite, wundervolle Rundschau! Das große Stück Welt, das zu sehen ist, gleicht einem in den Wolken schwimmenden Riesenteller, der belegt ist mit Wäldern und Feldern, mit Städten und Dörfern, mit Strömen und Bächen. Und alles ist Land, das die Deutschen eroberten! Und gegen Südosten zieht sich durch das Grau des fernen Horizonts etwas hin, das einer schwarzen, langgestreckten Gigantenschlange gleicht. Das ist der Argonnenwald, der unserem Heere so blutig zu schaffen macht. Immer klingt aus jener Ferne ein dumpfes Murren her, ganz leise, kaum noch zu hören im Brausen des Windes, der den Hügel überweht. In der Höhe jagen zerrissene Wolken; und sieht man empor zu ihrem Flug, so scheint das mächtige Kreuzbild sich herabzuneigen, als möcht' es in Barmherzigkeit das Menschengeschlecht der Erde umarmen.

Beim Niederstieg erweist sich der glitschige Boden noch feindseliger. Ich frage den Kaiser, ob ich ihn stützen darf. »Ja! Kommen Sie her!« Er faßt mich an der Schulter. So geht es langsam hinunter, und ich haue bei jedem Schritt den Stiefelhacken ein, wie bei Glatteis auf einer Gemsbirsche. Halb sind wir schon drunten. Da rutsche ich selber aus. Und der Kaiser mit seiner starken Faust hält mich aufrecht. Meinen etwas verlegenen Dank erwidert er mit dem lachenden Wort: »Soldat und Bürger, die beiden müssen einander helfen, so gut sie können!« —

Während der Rückfahrt durch die sinkende Dämmerung spinnen sich in meiner Seele hundert Gedanken und Bilder um dieses vieldeutige Wort des Kaisers. —

Und ich glaube, daß man uns Deutschen in dieser Zeit von heute keine stärkere und tiefere Mahnung sagen kann als dieses Kaiserwort: »Soldat und Bürger, die beiden müssen einander helfen, so gut sie können!«

Geschieht es so – nicht nur im ersten Feuerstrom des alle Herzen durchflammenden nationalen Glaubens, sondern auch in allen Wechselfällen eines langen und zähen Kampfes, der von Bürger und Soldat das letzte der deutschen Kraft verlangt – dann werden wir als Volk nicht niedergleiten in Schmutz und Tiefe. Wir werden aufrecht stehen! Und gleich den gläubigen Magiern aus dem Morgenlande, die geführt wurden von ihrem leuchtenden Sterne, werden wir alle Tücke und Hinterlist des Herodes, der uns in Neid erwürgen will, zuschanden machen!

5

22. Januar 1915.

Wir leben in einer gerechten Zeit, die es sich angelegen sein läßt, allerlei unzutreffende Urteile in den Köpfen und Herzen des deutschen Volkes richtigzustellen. Jetzt wissen wir, daß unser Entrüstungssturm über Zabern keine völlig objektive Sache war; daß uns eine kleine, wieder deutsch gewordene Insel in der Nordsee viel schutzreichere Dienste leistete als jenes größere Inselland an der ostafrikanischen Küste, dessen Abtausch an England wir mit leidenschaftlichem Kummer beklagten und als Diebstahl an der Schatztruhe des deutschen Michels bezeichneten; und seit unsere jungen Offiziere das Monokel fallen ließen und, ein befeuerndes Vorbild für die Mannschaft, mit Heldenruhe und heiligem Opfermut in den Bleihagel der Feinde schritten, wissen wir auch, daß wir alle Ursache haben, den Typus des deutschen Leutnants wesentlich anders und unabhängiger von Äußerlichkeiten zu konturieren, als dies noch in der letzten Juliwoche des vergangenen Jahres geschehen ist.

 

Ein langer Friede, und mag er an sich die schönste und begehrenswerteste Sache sein, ist doch auch ein diplomierter Pädagoge für Erziehung ungerechter Nörgelsucht, skrupellosen Haders und ausartenden Mißtrauens; unter der Engelsmaske schneidet sein Gesicht die Grimassen eines Verleumders und Lügners; mit dem Motto »Verwirf das Gute und begehre das Bessere!« zerbröselt er jene menschlichen Werte, deren wir in stürmischen Zeiten am dringendsten bedürfen, und die – das mag zu seiner Entschuldigung gesagt sein – auch nur in der Morgenröte großer Ereignisse ihre wahre Gestalt und ihr innerstes Wesen zu zeigen vermögen. Deutschland wäre ärmer geblieben um einen genialen Feldherrn, wenn es nicht reicher geworden wäre um diesen heiligen Krieg.

Gewiß sind Witz und Satire zwei völlig unentbehrliche Waffen jeder Kultur, jeder ethischen und nationalen Entwickelung. Aber künstlerische Schöpferkraft ist nur dann in ihnen, wenn sie die Größe fördern und bejahen, die sie zu befehden scheinen. Fehlt es ihrem Maßstab an gerechtem Gewissen, verliert ihr Scheinbild jede Beziehung zum Bilde der Wirklichkeit, jeden positiven Boden, und wird es zur augenlosen Negation, die à la mode einen vergnüglich mundenden Kaviar für das Volk bereitet, dann ist es mit Witz und Satire die gleiche Sache, wie wenn die völkerrechtlich zulässigen Mantelgeschosse durch sträfliche Manipulationen zu mörderisch wirkenden Dum-Dum-Kugeln verzwickt werden.

Man verzeihe mir dieses etwas philosophisch angehauchte Vorspiel. Es begann in mir zu klingen, als ich am dritten Tage meines Aufenthaltes im Großen Hauptquartier einen für uns Deutsche gerade jetzt sehr wichtigen Mann kennen und in gesteigertem Maße ehren lernte – einen Mann, den wir immer als »Philosophen« zu besteckbriefen liebten – wenigstens bis zu jenen Augusttagen, die uns eine gerechtere Meinung von ihm beibrachten. Ich hab ihn früher niemals so Aug' in Auge gesehen, immer nur aus der Ferne, wie auch Millionen andere ihn sahen. Nah und genau betrachtet, sieht er ganz anders aus. Ich muß gestehen, daß ich noch nie einen so krassen Widerspruch zwischen Lebenswahrheit und landläufiger Karikaturtype beobachtete.

Die Natur hat diesen Mann nicht mit zwölf Kopflängen ausgestattet, wie den roten Theaterprinzen von Arkadien, und hat ihn auch nicht so hopfenstangenmager gebildet, wie er immer gezeichnet wird. Er sieht viel eher wie ein fester, wohlproportionierter, derbgesunder und breitschulteriger Forstmann aus, der seine Galauniform genau so bequem und selbstverständlich trägt wie sonst seine Waldjoppe. Dazu ein wuchtiger, strenggeschnittener Kopf, unter dessen hartknochiger Stirnwölbung sich kein Versteck für nebulose Theorien vermuten läßt. Was edles Metall ist, prägt sich anders als lindes Blei; und klare Formen sind immer eine Gewähr für die Eigenschaften des Inhalts. Bei seiner umfassenden Geistesbildung mag dieser kraftvoll aussehende Mann wohl mehr von philosophischen Dingen wissen als mancher unter jenen, die ihm den »Philosophen« anzukreiden pflegen. Aber er ist weder menschenferne und trocken wie der große Weise von Königsberg, noch gallig und moros wie Schopenhauer, noch ein wortschwelgerischer Systematikus wie Hegel, noch dithyrambisch-bärbeißig oder entrückt-melancholisch wie Nietzsche. Er ist und blickt und redet und geht und steht wie ein prachtvoll natürlicher Mensch, der ohne Mittel, nur durch sich selbst und durch die ruhige Festigkeit seines persönlichen Wesens gewinnt und erobert – wenn man sich nicht gewaltsam und eigensinnig dagegen sträubt, wie die meisten von uns Deutschen es getan haben, seit der ersten Stunde seiner Amtsführung. Aber dieser Widerstand ist wohl erledigt seit dem erhebenden Augusttage, an dem unser Reichskanzler sprach, was allen Deutschen aus der Seele gesprochen war, und an dem er sich als eine tragende Säule der festen, raschen und entscheidenden Tat erwies, die notwendig war für die Sicherheit und den Fortbestand unseres Reiches. Und nun wollen wir Deutschen das niemals wieder vergessen: daß Mißtrauen und anspruchsvolle Ungeduld aus Vergleichsmanie gefährliche und lähmende Kräfte sind. Das willige Vertrauen des Volkes formt den begabten Staatsmann, wie die Gelegenheit des Krieges den geborenen Feldherrn erscheinen und erkennen läßt. Wir von heute wissen, wie das deutsche Volk seinen Bismarck auf der Höhe seiner reifen Kraft und seines Erfolges nahm; aber nicht alle erinnern sich daran, wie er in den Jahren seiner Entwicklung genommen wurde, und daß man den Abgeordneten von Bismarck-Schönhausen bei seiner Jungfernrede verhöhnte und auslachte. Übrigens – damals wurde viel davon gesprochen, was mit Polen geschehen soll. Was Bismarck in der Magdeburger Zeitung aussprach, und was in der Paulskirche der junge Dichter Wilhelm Jordan über Polen sagte, das sollte man heute nachlesen, sehr aufmerksam. Vieles davon stimmt auch heute noch und kann Wege zeigen. —

Das Auswärtige Amt ist im Großen Hauptquartier untergebracht in dem Gartenhaus eines Bankiers, von dem es ebenfalls heißt: »Il est parti!« – zu deutsch: verduftet! Aber in dem Hause, aus dem er entfloh, ist ein Odeur seiner seltsam träumerischen Seele zurückgeblieben. Die Wohlhabenheit seines Besitzes läßt vermuten, daß er in seinem Bureau ein tüchtiger Finanzmann war. Doch in der Seele dieses erfolgreichen Geldsammlers muß ein Winkelchen gewesen sein, das angefüllt war: mit märchenzärtlicher Romantik. Das beweist die ganze Ausstattung seines Hauses, und vor allem beweist es der große, jetzt zur Arbeitskarte des deutschen Auswärtigen Amtes umgewandelte Salon, dessen wunderlichen Schmuck allerlei mechanische Spielwerke bilden. Der Träumer brauchte da nur in seinen Mußestunden ein paar Schlüssel zu drehen und ein paar stählerne Federn aufzuziehen: dann tanzte eine Bajadere, ein schöner Türke machte Gebetsverbeugungen, ein Schlangenbändiger gab eine Vorstellung und ein Affe fing zu klettern an und produzierte seine drolligen Kapriolen.

Jetzt stehen diese Spielwerke still. Der deutsche Reichskanzler hat in dem okkupierten Salon viel notwendigere Dinge zu tun als Affen klettern und Bajaderen tanzen zu lassen. Doch ist zu vermuten, daß er wirksam damit beschäftigt ist, die giftige Schlangenschar der von unseren Feinden in die Welt geworfenen Lügen zu bändigen – wobei das deutsche Heer mit nie ermüdendem Fleiß den Eisenschlüssel dreht und die stählernen Federn aufzieht.

Zwischen den ruhenden Spielwerken stehen die Schreibtische, denen man es ansieht, wie ruhelos hier gearbeitet wird. In der Mitte des Raumes befindet sich der Schreibtisch des Reichskanzlers – und unter den Büchern, die da liegen, gewahre ich einen Band Satiren von Ludwig Thoma. Es macht mir Freude, das Wohlgefallen des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg am süddeutschen Klang bestätigt zu sehen. Ich äußere das, und er sagt in seiner warmen, freundlichen Art: »Ja, das ist im Feld und zwischen der Arbeit meine Lieblingslektüre. Dabei erhole ich mich und werde ruhig.«

Ein Jagdausflug, den der Reichskanzler im Herbste 1913 nach Linderhof machte, gibt Veranlassung, von meiner Heimat, ihren Bergen und ihrem Volk zu sprechen. Wieder höre ich die gleiche Anerkennung der verläßlichen Tüchtigkeit unseres Bayernheeres, wie schon der Kaiser sie mir mitgeteilt hatte. Und das Gespräch leitet über auf den Gang der Dinge zu Hause, auf die Opferwilligkeit und auch auf die nervöse Ungeduld der Daheimgebliebenen, auf schwer fühlbare Härten der Zeit, auf akute Probleme der Industrie, des von Schwierigkeiten bedrückten geschäftlichen Verkehrs und der reichen vaterländischen Fürsorge. Was ich im Verlaufe dieses Gespräches hörte, läßt sich zusammenfassen in die Worte:

»Bewundernswert ist es, was zu Hause an Opferwilligkeit geleistet wird! Aber die Unruhe, die sich daheim in manchen Erscheinungen äußert, begreift man hier im Felde nicht ganz. Zu irgendwelcher Unruhe ist doch nicht der geringste Grund vorhanden. Eine Zeit wie die jetzige ist immer schwer, für alle und für jeden. Das muß eben überwunden werden. Und wir werden es überwinden. Dann wird das Verlorene sich wieder ersetzen, doppelt. Wie es hier im Felde steht, das werden Sie mit eigenen Augen sehen. Erzählen Sie es nur daheim! Überall geht's voran, manchmal für die Ungeduld zu Hause nicht schnell genug, aber man muß einem zähen Feinde gegenüber vorsichtig sein und unnötige Opfer vermeiden, um Kraft für entscheidende Stunden zu sparen. Wenn man sieht, wie tüchtig und beharrlich im Felde gearbeitet wird, nicht nur an der Front, sondern auch hinter der Front und zwischen den Kämpfen, dann wird man ruhig, fühlt sich sicher und wird vertrauensvoll, auch in nötigem Maße geduldig.«

Wenn man unseren Reichskanzler schon einen »Philosophen« nennt, so ist das eine Philosophie, die wir Deutschen uns alle zu eigen machen sollten, bis sie Stein und Bein in uns geworden. Ich habe vor kurzer Frist in der »Frankfurter Zeitung« ein starkes und tiefes Wort von Theobald Ziegler gelesen: »Der Sieg ist unser Schicksal, dem wir entgegenreifen.« Und neben dieses Wort will ich einen japanischen Ausspruch stellen, von dem wir in diesen Tagen gehört haben: »Wer im Kriege die Hilfe der anderen braucht, hat schon verloren.« Zwei Worte – in dem einen kristallisiert sich der Glaube, im anderen der Beweis. Bei uns ist die Kraft, bei uns der Sieg. Da sollte uns das bißchen Warten und Geduld doch so leicht werden wie ein Spiel, dessen stählerne Feder man mit keinem Schlüssel aufzuziehen braucht!

– (Während ich das niederschreibe, marschiert unter meinem Fenster zu Peronne ein Bataillon des Münchner Leibregiments vorüber, marschiert in sausendem Wind und unter strömendem Regen zur Ablösung in die Schützengräben. An die tausend Feldgraue sind es. Und sie singen! Diese prächtigen Menschen! Ihr, die ihr zu Hause seid, ihr hört ja diese Lieder unter eueren Fenstern auch, fast täglich! Das klingt auch in der Heimat schön – und dennoch anders! Hier, während in geringer Ferne die große Trommel der Geschütze dröhnt, klingt dieses kraftvolle Lied so ruhig und heiter, so gläubig und zuversichtlich, daß ich es nicht zu schildern vermag. Die Wirkung ist so mächtig – man kann es nicht sagen, nur fühlen. Etwas Starkes und überwältigend Frohes ist in mir – aber ich muß für eine Weile die Feder fortlegen, weil ich zum Schreiben nimmer sehe.) —

– Laßt mich wieder erzählen!

Der klärende und erhebende Eindruck, den ich aus dem französischen Gartenhaus des deutschen Reichskanzlers mit mir fortnahm, sollte noch ein tragendes Fundament am Abend finden, als ich wieder in dem kleinen Wintergarten der stillen Villa war, im Kreise der den Kaiser umgebenden Offiziere.

Ich sah und hörte da ein für uns alle sehr lehrreiches Beispiel von des Kaisers Geduld und Ruhe gegenüber den Verleumdungsbomben, die von unseren vielen Feinden mit sehr übel riechendem Pulver gegen uns abgeschossen werden. Diese Dinge erbittern ihn, daß ihm die Stirne brennt. Aber auch in der heißesten Erregung verliert er nie die Herrschaft über sein Wort. Ich hörte den Kaiser in einem solchen Falle sagen: »Das ist stark! Aber dumm ist es auch! Ein Glück, daß die Wahrheit auf die Dauer immer klüger ist und die schnelleren Beine hat.«

Ritterliches Verhalten einzelner Gegner erfreut ihn. Und noch kaum einen zweiten Deutschen hab' ich über gute Eigenschaften, über zähe Tapferkeit und kriegstechnische Leistungen unserer Feinde so objektiv, so gerecht und anerkennend urteilen hören wie den Deutschen Kaiser. Das sollten einmal jene von ihm hören, die alle feindliche Welt jetzt erfüllen mit ihren urteilslosen Pamphleten wider ihn, mit den aberwitzigsten Karikaturen und den niedrigsten Beschimpfungen.

Auch gegen England hörte ich vom Kaiser kein im Zorn maßloses Wort. Jedes Urteil, das er da ausspricht, bleibt doch, so streng es auch manchmal klingt, immer innerhalb der Grenzen einer vornehmen Zurückhaltung. Doch hört man, wenn von den Germanenvettern über dem Kanal die Rede ist, aus seiner Stimme ein leises, kaum merkliches Vibrieren. Dabei mischt sich seine Rede mit Bildern von scharfer Prägung, mit Gleichnissen von schlagender Kraft.

Im Gespräch mit dem Vertreter eines neutralen Staates sagte der Kaiser: »Sie sind doch Sportsmann? Wenn bei einem Wettrennen nach und nach alle schwächeren Konkurrenten ausscheiden, und es ringen nur noch die zwei stärksten Pferde um den Sieg – haben Sie es da schon einmal gesehen, daß der Jockei des Pferdes, welches nachzulassen droht, mit der Peitsche nach dem Jockei des Pferdes schlägt, das ehrgeiziger und besser bei Kräften ist?« Ein Kopfschütteln des Sportsmannes. »Nun? Warum schlägt dann England nach uns? Warum schlägt es nicht auf seinen faulwerdenden Gaul?«

 

Und noch ein anderes Kaiserwort, von dem ich glaube, daß es festgehalten werden muß:

»Viele von den Leuten, die uns Deutsche immer nach Äußerlichkeiten des Schliffes beurteilen und uns immer Barbaren nennen, scheinen nicht zu wissen, daß zwischen Zivilisation und Kultur ein großer Unterschied ist. England ist gewiß eine höchst zivilisierte Nation. Im Salon merkt man das immer. Aber Kultur haben, bedeutet: tiefstes Gewissen und höchste Moral besitzen. Moral und Gewissen haben meine Deutschen. Wenn man im Ausland von mir sagt, ich hätte die Absicht, ein Weltreich zu gründen, so ist das der heiterste Unsinn, der je über mich geredet wurde. Aber in der Moral, im Gewissen und im Fleiß der Deutschen steckt eine erobernde Kraft, die sich die Welt erschließen wird!«

Unser Kaiser ist ein Deutscher im Sinne seines eigenen Wortes.

Das alles durfte ich erzählen und glaubte es erzählen zu müssen. Wird auch den toll gewordenen Lästerhähnen aller uns feindlichen Länder der »zweite Attila« vorerst nicht auszureden sein, so werden diese Charakterzüge und Worte des Kaisers doch dazu beitragen, daß wir Deutschen sein innerstes Wesen richtig erkennen.

Dieser Abend in dem kleinen französischen Wintergarten – es waren außer dem Großadmiral von Tirpitz als Gäste noch zwei Offiziere da, von denen der eine als Kurier aus Konstantinopel, der andere als Kurier aus dem Osten, vom Heere des Feldmarschalls Hindenburg, gekommen war – dieser Abend gab mir auch noch andere Dinge zu hören, sehr erfreuliche und verheißungsvolle! Die muß ich in mir verschließen. Nur dieses eine darf ich sagen: Als ich an diesem Abend unter rauschenden Regengüssen zu meinem engen Grillenhäuschen heimwanderte durch die finstere Nacht, da sah ich unsere deutsche Sonne glänzen, groß und schön!