Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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Bis in die letzten Lebensjahre blieb Galilei wissenschaftlich tätig. Da er nicht mehr schreiben konnte, diktierte er oder machte mündliche Mitteilungen. Namentlich war es der junge Viviani, der ihm bis zuletzt treu zur Seite stand, dem wir seine erste Biographie verdanken, und der noch manchen bedeutsamen Gedanken des großen Mannes der Vergessenheit entriss. Am 8. Januar 1642, in dem Jahre, wo Newton geboren wurde, starb Galilei in Gegenwart seines Sohnes Vincenzo, seiner Schwiegertochter, seiner Schüler Viviani und Torricelli, des Pfarrers und zweier Vertreter des h. Officiums. Auch über seine Bestattung entspann sich noch ein hässlicher Streit; schließlich wurde er in aller Stille in einer Nebenkapelle der Kirche Santa Croce zu Florenz beigesetzt. Im Jahre 1737 wurden seine Gebeine in das linke Seitenschiff der Kirche übergeführt, wo sie neben denen Vivianis ruhen; ein prächtiges Denkmal entschädigt den Toten für die grausame Verfolgung, die er als Lebender erlitten.

1Vgl. Favaro, Galileo Galilei e lo studio di Padova. (Firenze 1883). Vol. I. p. 5.

2Op. XV, 332.

3Wir besitzen über diesen Apparat eine kleine Abhandlung Galileis, die erst nach seinem Tode gedruckt wurde: La bilancetta, nella quale, ad imitazione d’Archimede nel problema della corona, s’insegna a trovare la proporzione del misto di due metalli, e la fabbrica dello strumento. Op. XIV, 199–205.

4Op. XV, 15.

5Christoph Clavius, geboren 1537 zu Bamberg, ist am bekanntesten durch seine Wirksamkeit zu Gunsten der gregorianischen Kalenderreform, die in Italien im Jahre 1582 eingeführt wurde.

6Der Titel der mir vorliegenden 3. Auflage lautet: Christophori Clavii Bambergensis ex societate Jesu in sphaeram Ioannis de Sacro Bosco Commentarius. Nunc tertio ab ipso auctore recognitus, plerisque in locis locupletatus. Romae, ex officina Dominici Basae MDLXXXV.

7Giovanni Battista Benedetti (1530–1590), Venetianer von Geburt, war in wichtigen Fragen der Mechanik ein Vorläufer Galileis. Auch er war leidenschaftlicher Gegner der Peripatetiker. Sein Hauptwerk: Diversarum speculationum math. et physicarum liber. Taurini 1585.

8Darauf hatW o h l w i l laufmerksam gemacht (Die Entdeckung des Beharrungsgesetzes, Weimar 1884. p. 31 ff.), dem wir uns in unserer Darstellung auch sonst bisweilen anschließen.

9Op. XI, 11.

10Op. XI, 18.

11Dagegen wird der averroistische Peripatetiker Girolamo Borro zitiert; auf ihn nimmt auch der Dialog über die Weltsysteme Bezug. Übrigens zitiert Galilei überhaupt wenig, und seine Zitate sind nicht selten formell wie sachlich ungenau.

12Man vgl. XI, 13–15 mit Dial. 253–257.

13Vgl. Op. XI, 18 und Dial. 338 f.

14Dial. p. 381.

15Favaro, Galileo Galilei e lo studio di Padova I, 42.

16Einzelne Philosophen der pythagoreischen Schule, wie Philolaus, Heraclides, Ecphantus sprachen allerdings von einer Bewegung der Erde, aber in so unbestimmter Weise und in so ungenügender Begründung, dass man sie als wirkliche Vorläufer des Kopernikus nicht ansehen darf, wiewohl Kopernikus selbst sie als solche nennt. Anders steht es mit Aristarch aus Samos, der in der Tat das Richtige mit großer Bestimmtheit aussprach und dessen Lehre daher auch im Altertume ebenso verketzert wurde wie im Jahre 1616 die des Frauenburger Domherrn. (Vgl. Plut. de fac. in orbe lunae VI, 3.)

17Als kenntnisreicher Astronom, dessen Beobachtungen Beachtung verdienten, wurde K. übrigens in Italien bisweilen anerkannt, so vonM a g i n i .(Vgl. Libri hist. des sciences math. en Italie IV, 43.)

18Der Titel des im Todesjahre des Verfassers erschienenen Werkes lautet: Nicolai Copernici Torinensis De Revolutionibus Orbium cœlestium Libri VI. Habes in hoc opere iam recens nato, et ædito, studiose lector, motus stellarum. tam fixarum quam errantium, cum ex ueteribus, tum etiam ex recentibus obseruationibus restitutos: et nouis insuper ac admirabilibus hypothesibus ornatos. Habes etiam Tabulas expeditissimas, ex quibus eosdem ad quoduis tempus quam facillime calculare poteris. Igitur eme, lege, fruere. Ἀγεωμέτρητος οὐδεὶς εἰσίτω. Norimbergae apud Joh. Petreium, Anno MDXLIII.

19Vgl. Dial. p. 231 f.

20Op. III, 18.

21Op. II, 1.

22Op. VI, 11.

23So der verdienstvolle Jesuitenpater Angelo Secchi, so der Dominikaner Olivieri (S. Favaro, G. G. e lo studio di Padova I, 166).

24Op. VI, 11.

25Dial. 125 ff.

26Op. VI, 98.

27Vgl. oben p. 40.

28Op. VI, 20.

29Dial. 546 f. und Op. XIII, 181.

30Op. VI, 24.

31S. oben p. 40.

32Op. XI, 74.

33Dial. 127 ff. und Op. XIII, 156.

34Es käme allenfalls noch die Stelle Dial. 295 f. in Betracht, doch sagt auch diese nichts über die Geschwindigkeit der Beharrungsbewegung aus.

35Op. XIII, 201.

36Wohlwill, l. c. p. 112.

37Vgl.Wo h l w i l l ,Beharrungsgesetz p. 77.

38Favaro, G. G. e lo studio di Padova II, 189. Dial. 261 ff., 275 f.

39Dial. 498-512.

40Op. III, 98.

41Dial. 168 ff.

42Op. III, 72, 73.

43Op. III, 382 und Dial. 445.

44Op. VI, 124.

45Op. VI, 135.

46Kepler, Opera ed. Frisch. VI, 117; Chr. Clavii Opera mathematica. Mogunt. 1612. III, 75.

47Op. VIII, 224.

48Op. XII, 9.

49Op. VIII, 142.

50Am eingehendsten Dial. 223.

51S. Trattato dei Gallegianti Op. XII, 10.

52Abgedruckt Op. II, 339 ff.

53Op. X, 67 u. 234.

54Rosa Ursina (Bracciani 1626–30) Vorrede. – Neuerdings stellt v.B r a u n m ü h l(Christoph Scheiner, Bamberg 1891) die Ansicht auf, dass die Beobachtungen Sch.s im März unabhängig von Galilei angestellt wurden, die im Oktober hingegen durch Guldins Nachrichten veranlasst wurden. – Sch. hat aber offenbar jenen ersten Beobachtungen sehr wenig Beachtung geschenkt.

55Vgl. Dial. 159 f. und Op. III, 501.

56Diese Abhandlung setzt sich aus drei weiteren an Welser gerichteten Briefen (vom 16. Januar, 14. April und 25. Juli 1612) zusammen.

57Op. III, 507.

58Op. III, 382.

59Op. Vb, 637 f.

60Op. II, 6–13.

61B e r t i ,Copernico e le vicende del sistema copernicano in Italia nella seconda metà del secolo XVI e nella prima del secolo XVII (Roma 1876) p. 121. – Übersetzt bei Reusch, der Proceß Galileis und die Jesuiten (Bonn 1879) p. 62 ff.

 

62Op. II, 14.

63Op. VIII, 352, 355.

64Op. II, 43, 45. Dial. 160.

65G e b l e r ,die Akten des galileischen Processes. (Stuttgart 1877) p. 47 f.

66G e b l e r ,Akten p. 48 f.

67G e b l e r ,Akten p. 50.

68R e u s c h ,der Process Galileis p. 133, der seinerseits Grisar zitiert.

69G e b l e r ,Akten p. 91.

70Op. IV, 154.

71Op. VI, 278.

72Op. IX, 176.

73Disq. math. p. 65.

74Abgedruckt Op. IV, 1–14.

75Abgedruckt Op. IV, 15–60.

76Op. IV, 20.

77Op. IV, 52; 54.

78Op. IV, 40; III, 73; Dial. 181 f., 435 ff.

79Abgedruckt Op. IV, 61–121.

80Vgl. Dial. 176, 435, 539.

81Op. IV, 172, 182, 278, 304.

82Dial. 497.

83Op. IX, 25.

84Op. IX, 176.

85Diese bisher noch ungedruckte, als Manuskript in der Vatikanbibliothek aufbewahrte Schrift führt den Titel: De situ et quiete Terrae contra Copernici systema disputatio. Ihre Veröffentlichung durch Favaro steht bevor, der auch eine EntgegnungK e p l e r sauf die Schrift Ingolis herausgeben wird. Rendi conti della R. Accademia dei Lincei 1891. vol. VII, 18.

86Vgl. II, 73 mit Dial. 143, 420.

87Vgl. II, 79 mit Dial. 458 ff.

88Op. II, 86.

89Disq. math. p. 28; Dial. 470.

90Vgl. II, 96–103 mit Dial. 242 ff.

91W o h l w i l l ,Beharrungsgesetz p. 71.

92II, 99.

93Dial. 248 f.

94II, 101 f. und Dial. 290 f.

95Vgl. zu Dial. 472.

96Vgl. Op. II, 105–107 mit Dial. 472–476.

97Op. II, 108; IV, 304; Dial. 497.

98Vgl. oben p. 46.

99Op. II, 112; Dial. 125 ff.

100 Op. II, 114 und Dial. 369.

101 Die erste Veröffentlichung fand erst im Jahre 1812 im Giornale Enciclopedico di Firenze statt.

102 Dial. 440.

103 Vgl. z. B. Dial. 455.

104 Op. VI, 300.

105 Dial. 280, 282, 353 ff.

106 Op. VI, 333.

107 Favaro, Gal. Galilei e lo stud. di Padova II, 426.

108 Favaro, 1. c. I, 195; Op. XI, 377.

109 Dial. 548 ff.

110 Dial. 372, 557.

111 Näheres darüber zu Dial. p. 268.

112 Op. VI, 314.

113 Vgl. Op. VI, 309. Die Note Alberis ist unrichtig.

114 Op. VI, 202.

115 Op. IV, 171. Vgl. Dial. 381 f.

116 Op. VI, 310.

117 Op. Suppl. 227.

118 Op. VI, 327; IX, 147.

119 Op. IV, 150.

120 Dial. 446 ff.

121 Vgl. zu Dial. 446.

122 Vgl. das Facsimile des Titelblattes der Originalausgabe.

123 Die rechtliche Ungültigkeit des römischen Imprimatur dokumentiert sich schon in dem Mangel des Datums.

124 Vgl. den Brief Riccardis an den toskanischen Gesandten Niccolini vom 28. April 1631. Op. IX, 243.

125 Op. VI, 375 und IX, 209.

126 Gebler, Akten p. 57.

127 Gebler, Akten p. 58.

128 Gebler, Akten p. 62.

129 Vgl. das beigegebene Facsimile.

130 Op. VII, 8.

131 Op. VII, 47.

132 Gebler, Akten p. 56.

133 Dial. p. 207 f.

134 Dial. p. 232 f.

135 Reusch zitiert J. Clarus L. V. § Haeresis p. 368: »Si haereticus nolit ad fidem ecclesiae redire, tunc de consuetudine igne comburitur.«

136 Gebler, Akten p. 114.

137 Darauf hat zuerst M. Cantor aufmerksam gemacht. Zeitschrift f. Math. u. Phys. 9. Jahrg. 3. Heft. p. 194.

138 Die Übersetzung nach Reusch, der Proceß Galileis und die Jesuiten (Bonn 1879) p. 325 ff.

139 Im Original steht »der Erde«.

140 Die übersetzung im Wesentlichen nach Reusch, a. a. O. p. 329 ff.

141 Galilei hatte drei uneheliche Kinder, einen Sohn, Vincenzo, und zwei Töchter.

142 A n t o n i oF a v a r o ,Le Aggiunte Autografe di Galileo al Dialogo sopra i due Massimi Sistemi nell’ Esemplare posseduto dalla Biblioteca del Seminario di Padova. Modena 1880.

143 Op. VII, 49.

144 Systema Cosmicum, Authore Galilaeo Galilaei Lynceo, Academiae Pisanae Mathematico extraordinario, Serenissimi Magni-Ducis Hetruriae Philosopho et Mathematico Primario. In quo Quatuor Dialogis, De Duobus Maximis Mundi Systematibus, Ptolemaico & Copernicano, Utriusque rationibus Philosophicis ac Naturalibus indefinite propositis, disseritur. Ex Italica lingua Latine conuersum. Accedit Appendix gemina, qua SS. Scripturae dicta cum Terrae mobilitate conciliantur. Augustae Treboc. Impensis Elzeviriorum, Typis Davidis Hautti. Anno 1635. Dieselbe Übersetzung erschien mehrfach mit verändertem Titel.


DIALOGO
DI
GALILEO GALILEI LINCEO
MATEMATICO SOPRAORDINARIO
DELLO STVDIO DI PISA.

E Filosofo, e Matematico primario del

SERENISSIMO

GR. DVCA DI TOSCANA.

Doue ne i congressi di quattro giornate si discorre

sopra i due

MASSIMI SISTEMI DEL MONDO

TOLEMAICO, E COPERNICANO;

Proponendo indeterminatamente le ragioni Filosofiche, e Naturali tanto per l’vna, quanto per l’altra parte.


IN FIORENZA, Per Gio: Batista Landini MDCXXXII.

CON LICENZA DE’ SVPERIORI.

Imprimatur si videbitur Reuerendiß. P. Magistro Sacri Palatij Apostolici.

A. Episcopus Bellicastensis Vicesgerens.

Imprimatur

Fr. Nicolaus Riccardius

Sacri Palatij Apostolici Magister.

Imprimatur Florentiae ordinibus consuetis seruatis.

II. Septembris 1630.

Petrus Nicolinus Vic. Gener. Florentiae.

Imprimatur die II. Septembris 1630.

Fr. Clemens Egidius Inqu. Gener. Florentiae.

Stampisi adi 12. di Settembre 1630.

Niccolò dell’ Altella.

DURCHLAUCHTIGSTER
GROSSHERZOG1

So sehr der Mensch von jeglichem anderen Geschöpfe sich unterscheiden mag, so wäre doch die Behauptung nicht eben ungereimt, dass die Menschen untereinander kaum minder verschieden sind. Was will eins gegen tausend heißen? Doch aber pflegt man zu sagen, dass ein Mann für tausend gilt, wo tausend nicht für einen gelten. Solche Wertverschiedenheit schreibt sich her von der Ungleichheit in der geistigen Befähigung des Menschen; oder, was meines Bedünkens dasselbe ist, davon, ob man Philosoph ist oder nicht: Denn die Philosophie, als eigentliche Geistesnahrung, erhebt den, der sie genießen kann, mehr oder minder hoch über den gemeinen Haufen des Volks, je nach der verschiedenen Beschaffenheit dieser Speise. Wer nach höherem Ziele trachtet, nimmt den höheren Rang ein; das rechte Mittel aber, den Blick aufwärts zu lenken, liegt in der Beschäftigung mit dem großen Buche der Natur, dem eigentlichen Gegenstande der Philosophie. Obgleich alles, was in diesem Buche zu lesen steht, das Erzeugnis eines allmächtigen Künstlers und somit aufs Angemessenste gegliedert ist, so ist doch dasjenige das Nächste und Erforschenswerteste, was uns das Werk und die darauf verwendete Kunst von der erhabensten Seite zeigt. Der Bau des Weltalls verdient daher nach meiner Ansicht an erster Stelle genannt zu werden. Denn wie er allumfassend alles Andere an Größe übertrifft, so muss er auch, als Richtschnur und Stütze für jegliches Einzelding, dem Range nach diesen vorangehen. Wenn es daher je einem Menschen gelang, sich geistig vor der übrigen Menschheit ungewöhnlich hervorzutun, so war dies mit Ptolemäus und Kopernikus der Fall, die so erhabene Gedanken im Weltenbau zu lesen, zu schauen, zu erforschen wussten. Um die Werke dieser Männer drehen sich wesentlich meine vorliegenden Gespräche; ich glaubte daher, sie keinem Anderen widmen zu dürfen als Eurer Hoheit. Gleichwie ihr Inhalt nämlich auf den Leistungen dieser beiden beruht, meines Erachtens der größten Geister, welche uns in ihren Werken dergleichen Untersuchungen hinterlassen haben, so ziemte es sich, um der Bedeutung des Gegenstandes nicht Abbruch zu tun, sie zu stützen auf die Gunst des Größten, den ich kenne, auf dass sie Ruhm und Schutz durch ihn gewinnen möchten. Und wenn jene beiden mein Denken so erleuchtet haben, dass mein vorliegendes Werk großenteils als das ihre gelten kann, so darf es auch als geistiges Eigentum Eurer Hoheit angesehen werden, die in der Fülle Ihrer Großmut mir Muße und Ruhe zur Abfassung meines Buches gegeben und, nimmer müde mich zu ehren, mit wirksamer Unterstützung schließlich die Veröffentlichung desselben ermöglicht hat. Möge daher Eure Hoheit es mit gewohnter Güte entgegennehmen, und wenn sich Etliches darin findet, was den Freunden der Wahrheit Erkenntnis und Vergnügen bereiten sollte, so möge solches gelten als das Werk Eurer Hoheit, die durch Ihre Hilfsbereitschaft bewirkt hat, dass in Dero glücklichem Reiche Niemand etwas verspürt von den gewöhnlichen Nöten der Welt. Indem ich den Segen des Himmels auf Eure Hoheit herabflehe, auf dass diese fromme und hochherzige Gepflogenheit allzeit mehr sich bewähren könne, versichere ich Eure Hoheit meiner demütigsten Ergebenheit.

 

Eurer Durchlauchtigsten Hoheit

demütigster und ergebenster Diener und Vasall

Galileo Galilei.

AN DEN GENEIGTEN LESER2

In den letzten Jahren erließ man in Rom ein heilsames Edikt, welches den gefährlichen Ärgernissen der Gegenwart begegnen sollte und der pythagoreischen Ansicht, dass die Erde sich bewege, rechtzeitiges Schweigen auferlegte. Es fehlte nicht an Stimmen, welche in den Tag hinein behaupteten, jener Beschluss verdanke seine Entstehung nicht einer sachverständigen Prüfung, sondern sei hervorgegangen aus Parteileidenschaft, der nicht genügende Kenntnisse zur Seite stünden. Es wurden Klagen laut, dass Konsultoren, welche mit dem Stande der astronomischen Wissenschaft völlig unbekannt seien, durch ein plötzliches Verbot den forschenden Geistern die Flügel nicht hätten stutzen sollen. Unmöglich konnte mein Eifer beim Anhören so leichtfertiger Beschwerden stille bleiben. Wohlvertraut mit jenem so weisen Beschlusse, entschied ich mich dafür, auf der Schaubühne der Welt als Zeuge aufrichtiger Wahrheit aufzutreten. Ich war damals in Rom anwesend; ich hatte die höchsten geistlichen Würdenträger des dortigen Hofes nicht nur zu Zuhörern, sondern fand auch ihren Beifall. So erfolgte denn die Veröffentlichung jenes Dekrets nicht, ohne dass man mich vorher einigermaßen davon in Kenntnis gesetzt hätte. Darum ist meine Absicht in vorliegender mühevoller Arbeit, den fremden Nationen zu beweisen, dass man in Italien und insbesondere in Rom über diese Materie ebenso viel weiß, als nur immer die Forschung des Auslandes darüber ermittelt haben mag. Durch Zusammenstellung aller eigenen Untersuchungen über das kopernikanische System will ich zeigen, dass die Erkenntnis von alle dem der römischen Zensur voranging, dass mithin dieser Himmelsstrich nicht nur die Heimat der Dogmen für das Seelenheil ist, sondern dass auch die scharfsinnigen Entdeckungen zur Vergnügung der Geister von ihm ausgehen.

Zu diesem Zwecke habe ich im Laufe der Unterredung die Partei des Kopernikus ergriffen, wobei ich von seinem System ganz nach mathematischer Weise als von einer Voraussetzung ausgehe und mit Hilfe aller möglichen Kunstgriffe nachzuweisen suche, dass dieses System dem von der Unbewegtheit der Erde zwar nicht schlechthin überlegen ist, wohl aber in Ansehung der Gegengründe, die von den zünftigen Peripatetikern vorgebracht werden. Diese Leute geben sich zufrieden, im Widerspruch mit ihrem Namen3, Gespenster zu verehren, ohne umherzuwandeln; sie suchen nicht vermöge eigenen Nachdenkens die Wahrheit zu erforschen, sondern einzig und allein mittels der Erinnerung an vier mißverstandene Prinzipien.

Drei Hauptpunkte werden erörtert werden. Zuerst werde ich zu beweisen suchen, dass alle auf Erden anstellbaren Versuche ungenügende Mittel sind, um deren Bewegung darzutun, dass solche vielmehr unterschiedslos ebenso wohl mit der Bewegung wie mit der Ruhe der Erde vereinbar sind; bei diesem Anlass werden, wie ich hoffe, viele dem Altertum unbekannte Beobachtungen zur Sprache kommen. Zweitens werden die Himmelserscheinungen einer Prüfung unterzogen werden, welche so sehr zu Gunsten der kopernikanischen Annahme ausfällt, als ob diese durchaus siegreich daraus hervorgehen sollte; dabei werden neue Forschungen vorgeführt werden, die als astronomische Hilfsmittel zu betrachten sind, nicht aber als tatsächlich gültige Naturgesetze. Drittens werde ich eine geistreiche Phantasie zur Sprache bringen. Ich habe vor vielen Jahren einmal ausgesprochen, dass auf das dunkle Problem von Ebbe und Flut einiges Licht fallen könnte, sobald man die Bewegung der Erde einräumen wollte. Dieser mein Ausspruch verbreitete sich von Mund zu Mund, und es fanden sich barmherzige Pflegeväter4, welche die arme Waise als Kind ihres eigenen Geistes annahmen. Damit nun nicht dereinst ein Fremder, mit unseren eigenen Waffen kämpfend, vor uns hintrete und uns schelte wegen der geringen Aufmerksamkeit, die wir einer so wichtigen Naturerscheinung gewidmet hätten, habe ich es für richtig gehalten, die Gründe darzulegen, welche die Sache plausibel machen unter der Annahme, dass die Erde sich bewege. Diese Untersuchungen werden hoffentlich der Welt beweisen, dass andere Nationen zwar in größerem Umfange Schiffahrt betreiben mögen, dass wir ihnen aber in wissenschaftlicher Forschung nichts nachgeben; dass, wenn wir uns bescheiden die Unbeweglichkeit der Erde zu behaupten und die gegenteilige Annahme nur als eine mathematische Grille betrachten, dies nicht aus Unkenntnis der Ideen anderer geschieht; dass wir vielmehr, von anderem abgesehen, dies aus den Gründen tun, welche die Frömmigkeit, die Religion, die Erkenntnis der göttlichen Allmacht und das Bewusstsein von der Unzulänglichkeit des Menschengeistes uns an die Hand geben.

Ich dachte weiter, es sei von großem Vorteil, diese Gedanken in Form eines Gesprächs zu entwickeln, weil ein solches nicht an die strenge Innehaltung der mathematischen Gesetze gebunden ist und hie und da zu Abschweifungen Gelegenheit bietet, die nicht minder interessant sind als der Hauptgegenstand.

Ich besuchte vor vielen Jahren des Öfteren die Wunderstadt Venedig und verkehrte daselbst mit dem Signore Giovan Francesco Sagredo5, einem Manne von vornehmster Abkunft und ausgezeichnetem Scharfsinn. Eben dahin kam aus Florenz Signore Filippo Salviati, dessen geringster Ruhm sein edles Blut und sein glänzender Reichtum war; ein erhabener Geist, der nach keinem Genusse mehr trachtete als nach dem des Forschens und Denkens. Mit diesen beiden unterhielt ich mich oft über die erwähnten Fragen und zwar im Beisein eines peripatetischen Philosophen, dem scheinbar nichts so sehr die Erkenntnis der Wahrheit erschwerte, als der Ruhm, den er durch seine Auslegungen des Aristoteles erworben hatte.

Jetzt, nachdem der grausame Tod den Städten Venedig und Florenz jene beiden erleuchteten Männer in der Blüte ihrer Jahre geraubt hat, habe ich versucht, soweit meine schwachen Kräfte es vermögen, sie zu ihrem Ruhme auf diesen Blättern fortleben zu lassen, indem ich sie als redende Personen an den vorliegenden Gesprächen sich beteiligen lasse. Auch der wackere Peripatetiker soll nicht fehlen; wegen seiner übermäßigen Vorliebe für die Kommentare des Simplicius schien es passend unter Verschweigung seines wahren Namens ihm den seines Lieblingsautors zu belassen. Mögen die Seelen jener beiden großen Männer, die meinem Herzen stets verehrungswürdig bleiben werden, das öffentliche Denkmal meiner nie ersterbenden Liebe hinnehmen; möge das Andenken an ihre Beredsamkeit mir behilflich sein, der Nachwelt die versprochenen Untersuchungen klar darzulegen.

Es hatten gelegentlich allerlei Unterredungen zwischen genannten Herren stattgefunden, die, wie es zu gehen pflegt, willkürlich herausgegriffene Punkte betrafen. Dadurch aber wurde der Durst nach Erkenntnis in ihren Geistern nur entflammt, nicht gelöscht. Sie fassten daher den klugen Entschluss, sich an einigen Tagen zusammenzufinden, um unter Ausschluss jedes anderen Geschäftes in geordneterer Weise der Betrachtung und Verehrung der himmlischen und irdischen Wunderwerke Gottes obzuliegen. Als die Gesellschaft im Palaste des erlauchten S. Sagredo beisammen war, hub nach den üblichen, aber kurzen Begrüßungszeremonien S. Salviati folgendermaßen an: