DIE ÜBERLEBENDEN (The End 7)

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Aus der Reihe: The End #7
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McCall, Idaho, Republik Kaskadien

Samantha verschränkte die Arme, doch das genügte nicht, um die Kälte abzuwehren. »Brrr, hier ist es eisig«, sagte sie, während sie in der Garage stand und beobachtete, wie Luke an dem Motorschlitten herumfummelte.

»Dann geh wieder rein. Ich bin alt genug, um die Schlitten startklar zu machen«, erwiderte er.

»Ich weiß, du bist alt genug. Es ist bloß … Keine Ahnung, mir ist unwohl dabei, dass du heute hinausfährst.« Damit bezog sich Samantha auf einen Albtraum in der Nacht zuvor, der Luke gegolten hatte.

Der Junge nahm ihre Gefühle ernst, weshalb er mit seinen Vorbereitungen aufhörte und zu ihr hinüberging. »Mom, mir passiert nichts. Lance Corporal Sanchez und ich fahren alle zwei Tage auf Patrouille. Das ist nichts Besonderes.«

»Schon klar, aber aus irgendeinem Grund bin ich heute beunruhigt.«

Luke legte beide Arme um ihren Oberkörper und drückte sie. »Ich hab dich lieb. Jetzt geh bitte schnell wieder rein, bevor du dich erkältest.«

»Du bist warm. Lass nicht los.« Samantha kicherte.

»Mom, geh ins Haus. Mir geschieht schon nichts. Außerdem soll Lance Corporal Sanchez, wenn er kommt, nicht sehen, dass du auf mich aufpasst wie eine Henne auf ihre Küken.«

»Mir ist egal, was er denkt, das ist meine Pflicht«, konstatierte Samantha. »Ist er übrigens nicht befördert worden?«

»Ich kann es mir einfach nicht merken – Corporal Sanchez, ups.« Luke kehrte zum Schlitten zurück.

»Kommst du zur gleichen Zeit zurück wie immer?«, fragte Sam.

»Mom, es reicht. Die Patrouillen dauern acht Stunden. Ich bin in neun wieder da, weil wir jeweils eine halbe Stunde brauchen, um zu unserem Ausgangspunkt zu gelangen.«

Von einer Seite des Hauses her knatterte nun ein Zweitaktmotor.

Luke schaute auf, als Sanchez von der verschneiten Einfahrt her auf sie zukam. Der Junge lief noch einmal zu Sam und gab ihr einen Kuss. »Hab dich lieb, bis später.«

»Hast du auch was zum Lunch und genug Wasser eingepackt?«, vergewisserte sie sich.

»Ja.«

»Ein Erste-Hilfe-Set und zusätzliches Benzin?«

»Ja.« Er bestieg den Schlitten und setzte seinen Helm auf.

»Oh, noch etwas: Reservemunition?«

»Ja, für beide Kanonen«, bestätigte Luke, womit er seine Glock 27 vom Kaliber .40 und das M16-A2-Gewehr meinte, das er neulich bekommen hatte.

»Dann bist du wohl bereit«, schlussfolgerte Sam.

Sanchez wendete in der Einfahrt, bevor er anhielt. Er klappte sein Visier hoch und rief: »Fertig, Kleiner?«

»Aber hallo«, entgegnete Luke. Er drehte den Schlüssel auf On um. Daraufhin leuchtete das kleine Armaturenbrett bunt auf. Mit der rechten Hand zog er kräftig am Starthebel, bis der Motor ansprang. Dann ließ er langsam los und gab Gas. Der Zweitakter des Polaris Rush 600 knackte und knallte. Lukes Herz schlug höher. Mit Motorschlitten zu fahren begeisterte ihn, doch was er noch mehr liebte, war die Gelegenheit, dies im Dienst für sein neues Land zu tun.

Sanchez winkte Samantha. »Hi, Mrs. V.«

Sie verstand die Worte nicht, weil ein Motor lauter brauste als der andere, winkte aber zurück.

Luke glitt aus der Garage und blieb neben Sanchez stehen.

»Alles klar mit deinem Headset?«, fragte der Ältere.

»Ja.«

Sanchez schaltete sein Funkgerät ein und sagte: »Übertragungstest.«

»Ich höre dich klar und deutlich«, bestätigte Luke durch das Mikrofon, das in den Helm integriert war.

»Ich dich auch«, gab Sanchez zurück. »Packen wir's.«

»Ich bin bereit«, sagte Luke.

Sanchez raste los, sauste durch den Hof neben dem Haus und auf den Jughandle Mountain zu.

Luke war dicht hinter ihm.

Samantha schloss das Garagentor und kehrte in die Wohnung zurück. Durch das große Fenster, das nach Osten zeigte, beobachtete sie, wie die beiden auf den weiten Feldern auf und nieder gingen, bis sie außer Sichtweite waren. Sie nicht mehr zu sehen versetzte ihr einen leisen Stich, doch sie schalt sich, eine überängstliche Mutter zu sein.

Haley kam ins Zimmer. »Mama, ich hab Hunger.«

»Dann setz dich schon mal, Schatz. Ich mach dir was zu essen.« Allerdings tat sich Samantha schwer damit, sich vom Fenster abzuwenden. Noch einmal schaute sie hinaus, um nach den beiden zu sehen, doch sie waren verschwunden.

***

»Heute wird's interessant«, kündigte Sanchez über Funk an.

»Ach ja?« Dies zu hören freute Luke über alle Maßen.

»Ja, irgendwo hier treiben sich ein paar böse Jungs rum, also sei auf der Hut. Da draußen erwarten uns achtzehn feindliche Ziele, weshalb du mir sofort Bescheid geben musst, wenn dir etwas Verdächtiges auffällt.«

»Roger. Ich bin bereit für etwas Action«, sagte Luke. Er fühlte sich dabei mittlerweile sehr wohl; der Militärjargon war ihm sogar quasi in Fleisch und Blut übergegangen.

»Nur nicht zu übermütig. Diese Typen sollen eine Familie in New Meadows umgebracht haben. Wir dürfen sie nicht unterschätzen.«

»Dafür bin ich gewappnet«, prahlte Luke.

»Werd bloß nicht draufgängerisch, Kleiner. Wenn ich im Laufe meiner zwanzig-plus Lebensjahre eines gelernt habe, dann dass es immer jemanden gibt, der schneller, gewiefter und imstande ist, mir die Hölle heißzumachen.«

Mit seinem Ratschlag bewirkte Sanchez das Gegenteil dessen bei Luke, was er beabsichtigt hatte: Statt ihn vorsichtig zu machen, spornte er ihn noch mehr an. Der lange, ebene Streckenabschnitt vor ihnen kam einer Aufforderung gleich. Im Sog seines Enthusiasmus gab Luke Gas und fuhr ruckartig voraus.

»Hey, wo willst du hin?«, fragte Sanchez.

»Da sind achtzehn böse Jungs, die gestellt werden wollen. Machen wir uns also auf die Suche.« Luke lachte, während er seinen Vorsprung vergrößerte.

Südlich von Joseph, Oregon, Republik Kaskadien

Der Wind peitschte durchs Tal und ließ einen kalten Schauer über Lexis Rücken laufen. Sie schaute auf die Kleider an der Wäscheleine und grummelte: »Scheiß drauf, ich greif mir die einfach und leg sie drinnen zusammen.« Sie hängte die steifen Textilen rasch ab, warf sie in einen Korb und lief ins Haus.

Drinnen duftete es nach frischgebackenen Weißbrötchen. »Wow, die riechen fantastisch.«

»Ich hoffe, du hast Hunger«, rief Katie aus der Küche. »Dosenrindfleisch mit Soße ist gleich fertig.«

Lexi stellte den Korb auf das Esstischchen und begann mit dem Zusammenlegen der Wäsche. »Sorry, aber draußen ist es zu kalt dafür.«

Katie achtete nicht darauf. »Wir müssen es genießen, denn ich habe vorhin die letzte Dose Rindfleisch aufgemacht.«

»Na, hoffentlich ist es genug für drei, weil ich für zwei essen werde«, scherzte Lexi.

»Keine Sorge, meine Liebe«, erwiderte Katie, während sie die Soße umrührte.

Lexi hielt inne und schaute zu ihr hinüber. Katie lächelte verhalten. Lexi war ungeheuer froh um ihre Gesellschaft und dankbar für alles, was Katie für sie und ihr Baby getan hatte. Ohne sie hätte sie vielleicht nicht überlebt. Lexis Vertrauen zu gewinnen war schwierig, doch Katie hatte es rasch geschafft.

»Okay, Essen ist fertig. Stell die Klamotten beiseite, und lass uns reinhauen.« Katie klang heiter, während sie das sagte, wobei sie die Soße vom Herd nahm und über die aufgeschnittenen Brötchen goss.

In ihrer Vorfreude aufs Essen lief Lexi das Wasser im Mund zusammen.

Katie stellte einen voll beladenen Teller vor sie. Die Soße dampfte heiß, und die Schwaden waberten Lexi ins Gesicht. »Gott, das duftet himmlisch.«

»Lass es dir schmecken«, sagte Katie beim Füllen ihres Tellers.

»Ich warte auf dich«, antwortete Lexi aus Rücksicht auf ihre Freundin und Gastgeberin.

Nachdem sich Katie zu ihr an den Tisch gesetzt hatte, sprach sie wie immer, bevor sie aß, ein Gebet.

Lexi war kein religiöser Mensch, weshalb sie Katie bislang immer nur dabei zugeschaut hatte. Jetzt tat sie es ihr gleich und betete mit.

»Amen«, sagte Katie schließlich.

»Amen«, wiederholte Lexi.

»Oh, fast vergessen.« Katie sprang von ihrem Platz auf und lief in ihr Schlafzimmer.

»Aber dein Essen wird kalt«, rief Lexi mit vollem Mund.

Als Katie wieder zurückkam, hielt sie eine Hand hinter ihren Rücken. »Mach die Augen zu.«

»Hä?«

»Mach schon, ich hab eine Überraschung für dich.«

Lexi grinste und kam der Aufforderung nach. Sie kniff ihre Lider fest zusammen, kaute jedoch weiter, was sie sich gerade in den Mund gesteckt hatte.

»Jetzt darfst du sie öffnen«, säuselte Katie melodisch.

Lexi tat es. Vor ihr auf dem Tisch stand eine in Papier eingeschlagene Schachtel. »Was ist das?«

»Ein Geschenk.«

»Ein Geschenk? Wofür?«

»Einfach so«, antwortete Katie und klatschte aufgeregt in die Hände. »Schnell, mach's auf.«

Lexi hatte seit einer gefühlten Ewigkeit kein verpacktes Geschenk mehr bekommen. Zudem fühlte sie sich seltsam, wenn sie beschenkt wurde, zumal es keinen Anlass gab.

»Jetzt reiß es schon auf.«

Lexi nahm das Päckchen und wickelte das Papier ab. Es war ein Geschenkkarton für Kleider von Dillard. »Hatten die neulich Schlussverkauf?«, feixte Lexi.

»Ha, sehr witzig.«

Sie nahm den Deckel ab und die Papierfüllung heraus. Darunter verbargen sich eine Strickmütze, ein Sweater, eine Hose und ein Paar Strumpfschuhe, alle in Säuglingsgröße. »Ach je, das ist unheimlich lieb von dir«, seufzte Lexi gerührt, während sie die Sachen herausnahm. Dann besah sie ein Stück nach dem anderen.

 

»Gefallen sie dir?«

»Natürlich, die sind toll, danke dir«, antwortete Lexi, wobei ihr Tränen kamen.

»Ich habe Braun gewählt, weil das ein mehr oder weniger neutraler Ton ist. Wenn wir wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, stricke ich mehr in der passenden Farbe.«

Lexi legte die Kleider nieder, stand auf und ging zu Katie, die stehen geblieben war. Sie umarmte und drückte sie fest. »Dankeschön. Vielen Dank. Du bist mir eine wunderbare Freundin gewesen, und ich muss zugeben, dass ich durch dich meinen Glauben an die Menschheit wiedergefunden habe.« Jetzt ließ sie den Tränen freien Lauf; es machte ihr nichts aus, weil sie sich zutiefst dankbar fühlte.

Auch Katie fing zu weinen an und drückte Lexi genauso innig. »Das ist so was von selbstverständlich. Ich bin froh, dass du bei mir bist. Gott weiß, ich kann eine Nervensäge sein, auch wegen meines Ordnungsfimmels, aber du wirst gut mit mir fertig.«

Lexi entzog sich und fragte: »Ich werde mit dir fertig? Du bist doch unkompliziert.«

»Wir dürfen uns beide glücklich schätzen. Dass wir einander gefunden haben, ist ein Segen Gottes.«

»Das Baby wird in diesen Sachen hübsch aussehen und es warm haben«, sagte Lexi. »Danke.« Sie kehrte zu ihrem Stuhl zurück und setzte sich.

»Ich kann kaum erwarten, dass es auf die Welt kommt. Es wird so großartig sein, ein kleines Kind hier zu haben.« Katie nahm ebenfalls wieder am Tisch Platz.

»Äh, ich hab bisher nicht danach gefragt«, hob Lexi an, »aber ist Katie die Kurzform für Katherine?«

»Mein richtiger Name lautet Katelyn.«

»Ein sehr schöner Name.«

»Danke.«

»Na, ich wollte das wissen, weil ich das Baby, falls es ein Mädchen wird, gerne Carrie Katelyn nennen würde«, sagte Lexi und stocherte dabei nervös in ihrer Mahlzeit herum.

»Das wäre mir eine Ehre, danke«, erwiderte Katie.

»Ach was, mir auch.«

Die beiden unterhielten sich weiter, bis sie aufgegessen hatten.

Dann schickte sich Katie zum Geschirrspülen an, während Lexi weiter die Wäsche zusammenlegte.

Ihr lag seit Langem etwas auf dem Herzen, das sie nun endlich loswerden musste. »Katie, darf ich dir noch eine Frage stellen?«

»Sicher, nur zu.«

»Dein Ehemann, er könnte ja durchaus wieder auftauchen«, begann Lexi. »Falls er zurückkommt, muss ich dann verschwinden?«

Katie unterbrach sich bei dem, was sie gerade tat, und antwortete: »Ach, meine Liebe, das beschäftigt dich schon eine ganze Weile, nicht wahr? Du darfst davon ausgehen, dass ich wohl, da Conrad noch nicht nach Hause gekommen ist, vergeblich auf ihn warte, aber ich gebe meine Hoffnung nicht auf. Er ist ein guter Mensch, bloß nachdem du mir beschrieben hast, wie es jetzt auf der Welt zugeht … Nun ja, sagen wir, er hat Hilfe beim Auswechseln einer Glühbirne gebraucht.«

»Also, ich wünsche mir für dich, dass er zurückkehrt.«

Katie trat vor und fuhr fort: »Um deine Frage zu beantworten – falls er zurückkehrt, bleibst du natürlich. Das hier ist jetzt auch dein Zuhause.«

»Ich weiß nicht …«

»Nein, du bist jetzt ebenfalls hier daheim, Punkt. Ich werde, nein könnte nicht damit leben, dich und dieses ungeborene Kind wieder dort hinauszuschicken.«

»In Ordnung. Danke.«

»Keine Ursache.« Katie widmete sich wieder dem Abwasch.

Lexi griff zu einem Shirt und begann es zu falten. Dabei sah sie ihre Freundin liebevoll an und schob nach: »Du bist ein lieber Mensch, Katie, und wenn ich so etwas sage, will das eine Menge heißen.«

McCall, Idaho, Republik Kaskadien

Gordon bog in die Einfahrt ein und trat kräftig auf die Bremse, sodass er nur wenige Schritte vor der Wachverstärkung stehen blieb, die November Three geschickt hatte. Nachdem er hinausgesprungen war, lief er zum Haus.

»Samantha!«, rief er.

»Ja?«, antwortete sie aus dem Elternschlafzimmer.

Gordon ging bis nach hinten durch und trat ein. Als er sie sah, fragte er: »Wo warst du?«

Sam lag im Bett, und neben ihr schlief Haley. Sie hob eine Hand und hielt sich den Zeigefinger vor den Mund, um ihm zu verstehen zu geben, er möge leise sein.

Er senkte seine Stimme und fragte weiter: »Wieso bist du nicht ans Telefon gegangen?«

Sie schaute auf den Nachttisch, wo jedoch kein Telefon lag. Gordons Tonfall und Benehmen ängstigten sie. »Luke, ist ihm etwas zugestoßen?«

»Bestimmt nicht«, erwiderte Gordon. »Wo ist er?«

Samantha rutschte behutsam von der Matratze und verließ das Zimmer.

Gordon folgte ihr und schloss die Tür hinter sich. »Sam, du hast mich beunruhigt.«

»Warum, was ist los?«

»Heute hat sich eine Patrouille in New Meadows bei uns gemeldet. Dort hat man eine Familie gefunden, die regelrecht hingerichtet worden ist. Ich brauche dir das nicht im Einzelnen zu beschreiben, doch die Täter haben in Jacques' Auftrag gehandelt. Zwei von ihnen haben wir geschnappt, und einer hat gestanden, dass sie geschickt wurden, um uns zu töten – uns alle.«

»Hört das denn nie auf?«, fragte Samantha. Die Nachricht beunruhigte sie, auch wenn sie nicht geschockt reagierte.

»Hör zu, achtzehn von ihnen schleichen nach wie vor durch die Gegend; jüngsten Berichten zufolge sind sie auf dem Weg hierher.«

»Luke begleitet Corporal Sanchez auf Patrouille«, erzählte Sam. »Ist er in Gefahr?«

»Ich bin mir sicher, dass er nichts zu befürchten hat, werde Sanchez aber kontaktieren und bitten, ihn schleunigst zurückzubringen. Jetzt sag, wo hast du dein Telefon liegen lassen? Ich mag es nicht, wenn ich dich nicht erreichen kann.«

Samantha betrat das Wohnzimmer, wobei sie nervös Fingernägel kaute. Diesem Laster verfiel sie schon, so lange sie denken konnte, wenn sie unter Stress stand.

Gordon bemerkte ihre Nervosität und fragte: »Machst du dir wirklich solche Sorgen um Luke? Ihm wird nichts passieren.«

»Gestern Nacht hatte ich einen schlechten Traum mit ihm«, erklärte sie.

Gordon trat zu ihr und rieb ihre Schultern. »Er kommt unversehrt zurück. Sanchez ist ein ausgezeichneter Marine. Bei ihm ist der Junge sicher.«

»Tu's sofort; kontaktiere Sanchez jetzt gleich«, flehte Samantha. »Er soll Luke nach Hause bringen.«

Gordon gab ihrer Bitte nach. »Na gut.«

Da bemerkte Sam Blut an seinem Hals. »Hast du dir wehgetan?«

»Hm?«

»Das Blut an deinem Hals und deinen Kleidern – ist es deines?«

»Äh, nein«, antwortete er.

»Wessen dann?«, fragte sie weiter.

»Es ist von einem von Jacques' Männern«, sagte Gordon.

Samantha nahm Abstand und drehte sich von ihm weg. »Bitte verständige Sanchez einfach, und schaff Luke her; danach wasch dich. Ich möchte nicht, dass Haley das sieht.«

Gordon nickte und ging, um Funkkontakt zu Sanchez herzustellen.

***

»Das ist nicht fair, total ungerecht!«, rief Luke und warf seinen Helm auf die Werkbank in der Garage.

»Schrei mich nicht an«, mahnte Gordon. »Da sind ein paar üble Gestalten unterwegs. Sie haben den Auftrag, uns zu töten – uns alle, auch dich.«

»Aber ich bin alt genug, und Sanchez ist ein guter Partner. Er wird mir helfen.« Luke zeigte auf den Soldaten, der nachdenklich dastand und darauf wartete, dass Gordon ihn wegtreten ließ.

»Dein Dad hat recht«, bemerkte Sanchez.

»Nein, hat er nicht«, widersprach der Junge wütend.

»Luke, ich gönne dir von ganzem Herzen, dass du dich einer Aufgabe widmest«, räumte Gordon ein, »bin aber der gleichen Meinung wie deine Mutter: Da draußen ist es nicht sicher, solange diese Leute auf freiem Fuß sind.«

»Du weißt gar nicht, wie dumm du dich anhörst, oder?«, fragte Luke. »Ich bin die ganze Woche da draußen, und wir könnten jeden Tag üblem Gesindel begegnen, aber jetzt, da du diese Information bekommen hast, soll ich nicht mehr auf Patrouille dürfen?«

Gordon hatte Verständnis für solche Empörung und sah ein, dass der Junge nicht im Unrecht war, doch Samantha bestand darauf, ihn nicht mehr patrouillieren zu lassen. Zudem musste Gordon in zwei Tagen abreisen, um seine Armee nach Norden zu führen und dort Jacques zu konfrontieren. Er wollte nicht, dass Samantha nervös oder aufgeregt war.

»Mir ist klar, dass dir das nicht gefällt, und rate mal was: Du hast nichts zu melden, was unsere Entscheidung betrifft. Da du noch ein Kind bist und unter meinem Dach wohnst, hältst du dich an meine Regeln, fertig.« Gordon sagte das kurz und bündig.

»Was für ein Quatsch!«, schimpfte Luke und stapfte davon.

»Geh dich waschen. Mom wartet mit dem Abendessen«, rief Gordon, während der Junge das Haus betrat.

Als die Tür zufiel, kehrte er sich Sanchez zu. »Danke, dass Sie sich seiner annehmen.«

»Ist doch selbstverständlich, Sir«, entgegnete der Soldat.

»Ich breche übermorgen wieder auf. Wann ich zurückkomme, weiß ich nicht genau, und Sie sind bestimmt enttäuscht, weil Sie uns nicht begleiten können, aber Ihr Platz befindet sich hier bei meiner Familie und vor allem Luke. Er hat nicht viele Freunde; wahrscheinlich könnte man Sie als seinen einzigen richtigen bezeichnen. Außerdem seien Sie sich bewusst, dass Sie diesen jungen Mann zu einem Krieger machen und darauf vorbereiten, was ihn unter den vorherrschenden Umständen auf der Welt erwartet. Dafür stehe ich auf ewig in Ihrer Schuld.«

»Es ist mir ein Vergnügen, Sir.«

»Ach, wie dem auch sei, Sie dürfen jetzt verschwinden. Bitte schauen Sie hier vorbei, und fahren Sie mit seiner Ausbildung fort, während ich weg bin«, sagte Gordon.

»Jawohl, Sir«, entgegnete Sanchez und drehte sich zum Gehen um, stockte aber und fügte hinzu: »Mr. President, danke für die Beförderung.«

»Die haben Sie nicht mir zu verdanken, sondern selbst verdient«, stellte Gordon klar.

»Trotzdem danke.« Damit brach Sanchez auf.

Gordon ging zu Lukes Schlitten hinüber und hockte sich auf den kalten Sattel. Er nahm dem Jungen ungern etwas weg, das dieser lieb gewonnen hatte, doch in diesem Fall führte kein Weg daran vorbei. Ihm fiel ein, was Samantha zuvor gesagt hatte: »Hört das denn nie auf?« Die Worte rüttelten ihn auf, weil er sich diese Frage in letzter Zeit oft selbst stellte. Angefangen mit Lukes Zorn, mit dem er sich herumschlagen musste, über das Mordkommando, das dort draußen lauerte, bis zu dem Dämpfer mit Cruz, der sich nicht bereit erklärt hatte, ihm militärische Unterstützung zu schicken, sah es ganz so aus, als folge auf eine Hürde stets eine weitere. Werden wir jemals Frieden finden? Können wir diesen Krieg gewinnen?

Nach der Lösung einer Schwierigkeit standen sie gleich vor der nächsten, und manche ergaben sich für ihn aus vorangegangenen. Dass sich Cruz aus ihrem Abkommen zurückgezogen hatte, war äußerst folgenschwer und für Gordon sowie den Rat zu einem erheblichen politischen Problem geworden. Diese eine Komplikation hatte die Mitglieder in hellen Aufruhr versetzt und erbitterten Widerstand gegen seinen Plan ausgelöst, Jacques anzugreifen. Er konnte Cruz nicht verübeln, ihm Hilfe verweigert zu haben, da die Vereinigten Staaten gegen wieder emporgekommene Separatisten in Dakota und Arizona vorgehen mussten, die Cruz politisch ins Straucheln brachten. Sein Kabinett nahm insbesondere daran Anstoß, dass er einem Gegner – Kaskadien – Waffen zur Hand geben und Beistand leisten würde.

Gordon nahm sich vor, den Präsidenten bald zur Rede zu stellen. Er musste noch einen Vorstoß wagen und die Luftwaffe der Vereinigten Staaten für sich gewinnen, doch falls ihm das nicht gelang, würde er dennoch nach Norden gehen. Morgen war ein großer Tag für ihn. Er wollte sich bemühen, eine Einigung mit Cruz zu finden, und hinterher galt es, dem Rat seine endgültige Strategie zu präsentieren.

Er war müde, nicht nur nach diesem langen Tag, sondern auch schlichtweg von den endlosen Kämpfen. Darum betete er, der bevorstehende sei sein letzter, damit seine Familie und er endlich zur Ruhe kommen konnten.

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