BLUT, SCHWEISS UND TRÄNEN (The End 5)

Text
Aus der Reihe: The End #5
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Komm doch rein«, sagte sie.

Nelson trat über die Schwelle in den Flur hinein.

Luke legte den Revolver verstohlen zurück und stellte sich dann dicht neben den Mann.

Dieser zog seine abgetragene Baseballmütze aus und strich sich mit den Fingern die langen Haare zurück. »Ich bin sofort zu euch gekommen, als ich es erfahren habe.«

Diese Andeutung machte Samantha Angst.

Als er bemerkte, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte, schlug er einen weniger bedenklichen Ton an. »Es hat nichts mit Gordon zu tun, ihm geht es gut. Äh, können wir kurz unter vier Augen miteinander reden?«

»Aber sicher. Haley gehst du bitte mit Luke in dein Zimmer zurück und liest ein bisschen?«

»Ich will aber auch wissen, was Onkel Nelson zu sagen hat«, beharrte das Mädchen.

»Nein, geh jetzt. Ich komme gleich hinterher und dann lesen wir noch eine Geschichte gemeinsam.« Samantha schob Haley von ihrem Schoß hinunter.

»Na gut, aber das ist unfair.« Die Nase des Kindes kräuselte sich, bevor es aus dem Zimmer stapfte und Luke folgte.

»Lass uns doch hinters Haus gehen«, schlug Nelson vor.

Die beiden betraten die Terrasse.

Samantha bot ihm an, sich hinzusetzen, doch er zeigte auf eine Stelle weiter hinten in dem großen Garten.

»Was soll denn diese Geheimnistuerei?«, fragte sie.

Er erklärte leise: »Ich will bloß nicht, dass uns die Kids belauschen.«

Sie durchquerten den Garten und nahmen schließlich auf einem dicken Granitfelsen vor einer Gruppe Espen Platz.

»Also, was ist denn so dringend und geheim?«, erkundigte sich Sam.

»Entschuldige bitte, dass ich ein solches Theater mache, aber Gordon hat mich ausdrücklich darum gebeten, die Kinder nicht aufzuwühlen oder zu beunruhigen.«

»Etwa indem du mir sagst, es sei so wichtig, dass wir uns verstecken müssen, bevor du es mir erzählst? Nein, das beunruhigt sie bestimmt ganz und gar nicht«, höhnte Samantha, während sie sich die Arme rieb, weil es draußen so kühl war.

»Du kennst deinen Mann, er ist sehr pingelig, und ich möchte bestimmt nicht schuld daran sein, dass sich die Kinder fürchten.«

»Ach quatsch, er würde es dir doch nicht nachtragen.«

»Soll das ein Scherz sein? Er hat sich in letzter Zeit ein wenig verändert, er ist …« Nelson brach ab. Er schaute in Richtung Osten.

»Er ist was?«

»Seit Sebastian umgebracht worden ist, ist er zurückhaltend, verbittert und wütend, sogar noch mehr als wegen Hunters Tod.«

Samantha seufzte, weil sie insgeheim wusste, dass er recht hatte.

»Er ist leicht verstört, heißt es«, fügte Nelson hinzu.

»Wer behauptet das?«

»Leute.«

»Wer genau?«

Nelson legte seinen Kopf leicht schief. »Leute eben. Ich will nicht näher darauf eingehen.«

»Nelson Wagner, du zählst zu seinen ältesten und engsten Freunden! Willst du mir etwa etwas vorenthalten, um jemanden zu schützen? Oder glaubst du es etwa auch?«

Er schnaubte. »Bis zu einem gewissen Grad glaube ich es. Mensch, ich habe schließlich gesehen, wie schlecht es ihm geht, seit Sebastian umgebracht worden ist.«

Samantha sah sich dazu veranlasst, ihren Mann in Schutz zu nehmen. »Wütend zu sein ist doch wohl sein gutes Recht. Er hat schließlich bereits Freunde verloren, dann einen Sohn und jetzt auch noch seinen Bruder. Da darf er sich doch wohl mit Fug und Recht aufregen.«

»Das stelle ich ja gar nicht in Abrede, aber er hat bestimmte Dinge getan …«

»Die da wären?«

»Hör mir zu, ich bin nicht zum Streiten, geschweige denn zum Diskutieren hierhergekommen. Es geht um etwas anderes.«

»Was hat Gordon getan, das so schlimm ist? Antworte schon.«

»Heute kam es zu einem Gefecht … Er und die Armee haben sich durchgesetzt. Sie haben die Luftwaffenbasis Mountain Home erobert, doch dann hat er etwas getan, das einige wirklich ungeheuerlich und abscheulich fanden.«

»Was denn? Verflucht hör endlich auf, um den heißen Brei herumzureden!«

»Er hat mehrere amerikanische Offiziere exekutiert, die sich bereits friedlich ergeben hatten.«

Samantha hielt einen Moment lang inne. Dann erwiderte sie gleichmütig: »Na und? Wir führen schließlich einen Krieg.«

»Spiel das nicht so herunter! Taten ziehen immer Konsequenzen nach sich, und er muss sich jetzt unter politischen Gesichtspunkten damit auseinandersetzen«, verlieh Nelson dem Ganzen Nachdruck. »Doch, das muss er, auch wenn ich es hasse, das zu sagen.«

»Nein, das muss er nicht. Das Einzige, was er muss, ist gewinnen.« Daraufhin stand Samantha auf, ging ein Stück weiter und schaute hinaus auf die Bergzüge im Osten.

»Sam das ist kein Pappenstiel. Gordon sollte niemanden grundlos hinrichten. Er muss demonstrieren, dass er als Führungskraft auch mitfühlen und Gerechtigkeit walten lassen kann. Außerdem hat er einen unbewaffneten Mann mit bloßen Händen getötet; ihn einfach erschlagen.«

»Ich höre dir nicht mehr zu. Dafür gab es bestimmt triftige Gründe, dessen bin ich mir sicher. Wer auch immer dieser Mann gewesen ist, muss etwas Schlimmes verbrochen haben.«

Nelson erhob sich ebenfalls und ging zu Samantha. »Das hat er tatsächlich, aber man hätte ihm trotzdem den Prozess machen müssen. Wir können keinen neuen Staat gründen, wenn sich der Oberbefehlshaber unseres Militärs genauso benimmt wie die Tyrannen, von denen wir uns abgrenzen wollen.«

Nun fuhr Sam herum und schnauzte ihn an: »Wage es bloß nicht, Gordon mit Conner und vor allem mit diesem Barbaren Schmidt zu vergleichen!«

Nelson senkte den Blick. Er hasste Konflikte, hatte sich aber soeben mitten in einen solchen hineingeritten. Samanthas Reaktion sollte ihn eigentlich nicht überraschen, denn immerhin war sie Gordons Ehefrau.

»Ich vergleiche sie ja nicht miteinander, doch diejenigen, die ihn nicht mögen – und du weißt, dass die Drahtzieher an dem Tag auf den Plan traten, als er sich auf diesen Panzer stellte, zumal er sowieso schon politische Feinde hatte –, werden dies als perfekte Begründung benutzen. Ich wollte dich nur darum bitten, ihn bei der nächsten Gelegenheit darum zu bitten, gründlicher nachzudenken, bevor er solche Entscheidungen trifft.«

»Du machst mich echt sauer! Ich habe dich bisher immer für seinen Freund gehalten.«

Nelson ging an ihr vorbei und baute sich vor ihr auf. »Ich bin sein bester Freund und handele auch als solcher, wenn ich dafür eintrete, dass er sich sowohl hier als auch in Olympia im besten Licht zeigen soll.«

»Dann beweise es.«

Er schüttelte den Kopf. Sie wollte ihm partout nicht zuhören, was ihn ziemlich frustrierte. Mit der Einsicht, in eine Sackgasse geraten zu sein, ging er zum nächsten Thema über, das ihm am Herzen lag. »Sam, mir ist klar, dass du nicht hören willst, was ich über Gordon zu sagen habe, doch wir müssen darauf gefasst sein, dass er Staub aufgewirbelt hat, insbesondere wegen der Sache heute in Olympia.«

»Und was heißt das?«

»Die Stadt wurde heute überfallen. US-Truppen haben sie eingenommen. Dem Rat und dem Ausschuss gelang allerdings die Flucht. Sie sind unterwegs hierher, aber die Gerüchteküche brodelt schon, und wie bei allem, was mit Politik zusammenhängt, sucht man bereits einen Sündenbock. Und ich wette, dass Gordon derjenige ist, den sie dafür an den Pranger stellen wollen.«

Samantha massierte ihre Schläfen, weil sich langsam aber sicher eine Migräne bei ihr anbahnte. »Natürlich tun sie das, was will man denn sonst von Politikern erwarten? Sie sitzen doch gerne mit mahnendem Zeigefinger auf ihrem hohen Ross – deshalb haben sie auch so fette Ärsche – und ergehen sich in Schuldzuweisungen.«

»Wir sollten uns darauf einstellen und auch die anderen mobilmachen, um Gordon Rückendeckung geben zu können. Michael hält schon den Kopf für ihn hin, weil er Charles' Anrufe abwimmelt, um Smiths Einheiten von Yakima abzurücken und stattdessen Olympia zu attackieren.«

Das alles verwirrte Samantha so sehr, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sie zu dem Granitfelsen zurückgewichen war. »Und Gordon meldet sich überhaupt nicht?«

»Nein, er hat Smiths Truppe befohlen, sich wieder nach McCall zu begeben, und hält sicherheitshalber dort die Stellung, falls Conner mit seiner Armee nach Osten rückt.«

Fassungslos wegen der schlechten Neuigkeiten, die gar kein Ende zu nehmen schienen, lachte Sam bitter auf und fragte: »Willst du wissen, was Haley vorhin zu mir gesagt hat?«

»Was?«

»Dass ich sie nicht zu belügen bräuchte. Ich sage ihr immerzu, dass alles gut werde, doch sie durchschaut den ganzen Unsinn. Das Kind ist noch so jung, aber im Verhältnis dazu unheimlich klug.«

»Sie muss ja keine heiklen Einzelheiten erfahren, doch vielleicht ist es jetzt an der Zeit, ihr zu erklären, dass nicht immer alles eitel Sonnenschein ist.«

»Das bringe ich aber nicht fertig. Meine Aufgabe als Erziehungsberechtigte besteht darin, meinen Kindern Zuversicht zu schenken, verstehst du? Das bedeutet zwar nicht, dass ich ihnen Gefahren vorenthalten will, doch wenn ich ihr das alles erzähle, ist sie hinterher weder schlauer noch besser vorbereitet.«

Nelson nickte.

»Eine Zeit lang habe ich mich dazu verleitet gesehen, mein Geschwätz selbst zu glauben.«

»Und jetzt?«

»Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob alles gut wird und ob wir das Ganze überleben werden.«

Cheyenne, Wyoming, Vereinigte Staaten

»Sie sagen mir also, dass dies nur ein halber Sieg für uns ist?«, fragte Conner, während er den Lagebericht aus Mountain Home überflog.

»Richtig, Sir«, antwortete Baxter.

»Überlassen wir ihnen doch den Stützpunkt; dafür gehört uns jetzt ihre Hauptstadt«, erwiderte der Präsident und erhob sich merklich aufgeregt wegen der Neuigkeiten aus Olympia von seinem Schreibtisch. Er drehte sich zum Fenster um und wollte hinausschauen, stutzte aber, als er sein Spiegelbild in der Scheibe sah. Der Stress, unter dem er aufgrund der unaufhörlichen Kämpfe schon seit einer geraumen Weile stand, hatte seine Spuren hinterlassen. Sein einst fülliges Gesicht war mittlerweile eingefallen und gealtert. Tiefe Falten durchzogen nun seine Haut und die dunklen Flecken darauf fielen jetzt so drastisch auf, wie nie zuvor. Es war nichts mehr übrig geblieben von dem sanftmütigen, pummeligen Mann, der einstmals als Sprecher des Abgeordnetenhauses gearbeitet hatte. Weil er nicht darüber nachdenken wollte, warum seine Haut so ungesund aussah, wandte er sich wieder vom Fenster ab und Baxter zu. »Das ist ein Tag zum Feiern. Wir haben ihre Hauptstadt und bald werden wir Sturm gegen McCall laufen, um einen Schlussstrich zu ziehen.«

 

»Sir, wann können wir denn mit der Bombardierung anfangen?«, fragte Schmidt. Sein äußeres Erscheinungsbild hatte sich seit seiner Begegnung mit Gordon vollkommen verändert. Nichts erinnerte mehr an die vormals muskulöse Figur, denn er war nun abgemagert und wirkte nahezu gebrechlich. In Anbetracht dieses drastischen Wandels fragte sich Conner allmählich, ob der Major vielleicht krank war.

»Ich weiß, Sie brennen darauf, McCall zurück in die Steinzeit zu bomben, aber das will ich nicht. Wir können diese Aufständischen auch schlagen, ohne Kollateralschäden anzurichten und Unschuldige zu töten. Ihre bisherige Vorgehensweise führte lediglich zu Unmut innerhalb der Zivilbevölkerung, die sich schließlich sogar gegen Sie auflehnte.«

»Und warum greifen wir dann nicht einfach seine Streitkräfte in Mountain Home an?«, drängte ihn Schmidt.

»Major muss ich mich wiederholen? Dort leben Tausende Flüchtlinge«, machte ihm Conner deutlich. »Das Risiko, diejenigen zu treffen, die wir gar nicht treffen sollten, ist viel zu hoch. Ich darf nicht noch einmal vor der Öffentlichkeit in Erklärungsnot geraten. Mal ganz davon abgesehen sind diese Streitkräfte überschaubar. Er verfügt über Lastwagen, alte PKWs und nur ein paar Tausend Mann. Das genügt nicht, um uns Bauchschmerzen zu bereiten, und glauben Sie mir, sollte er uns auf die Pelle rücken, geben wir ihm Saures.«

Der Präsident hätte liebend gerne alles gegen Gordon aufgeboten, was die Air Force hergab, wollte dieses Mittel aber natürlich auch nicht erschöpfen, solange die Aussicht bestand, die kaskadische Armee mit herkömmlichen Bodentruppen besiegen zu können. General Baxter hatte es gemeinsam mit den Frauen und Männern am Luftwaffenstützpunkt Warren geschafft, Jets, Hubschrauber und Drohnen instand zu setzen. Doch der Spielraum mit diesen Einheiten war äußerst begrenzt, auch weil man andere Fluggeräte ausgeschlachtet hatte, um sie auf Vordermann zu bringen. In ihrer ohnehin beschränkten Hilfsbereitschaft waren andere Nationen zusehends verhaltener geworden, sodass sie sich jetzt in erster Linie auf humanitäre Leistungen beschränkte. Die beiden Marineverbände, die sich von der Ostküste abgesetzt hatten, befanden sich gerade vor Olympia im Einsatz, und neben dem anderen großen, stehenden Heer – einer Streitmacht, die ungefähr so groß wie die von Gordon war – blieb Conner nur noch eine zahlenmäßig ebenbürtige Armee von Bürgern, die er kurzerhand mobilisiert hatte. Es juckte ihn in den Fingern, zur Luftwaffe zu greifen, doch es war auch wichtig, den Politiker zu spielen, und sein hartes Durchgreifen gegen die anderen sezessionistischen Gruppen war nach hinten losgegangen und in Cheyenne mit einem Aufschrei der Empörung quittiert worden. Der Widerstand gegen seine Militärkampagnen ergab sich vorwiegend daraus, dass sie Verletzte und Tote unter den Normalbürgern nach sich zogen. Also vermied er Luftangriffe nunmehr weitestgehend, um die Lage erst einmal zu entspannen.

»Sir, um meine Entscheidungen zu verteidigen, möchte ich gerne daran erinnern, dass ich all das mit Ihrer Erlaubnis getan habe, was ich für notwendig gehalten habe.«

»Damit meinte ich aber bestimmt nicht, dass sie Morde begehen und alles niederbrennen sollten«, beschwerte sich Conner.

»Trotzdem hatte ich Ihre Erlaubnis, Sir«, beharrte der Major.

In Baxters Anwesenheit wollte der Präsident nicht zugeben, dass er Schmidt buchstäblich befohlen hatte, alles Notwendige zu unternehmen, um die Sezessionisten zu zerschlagen.

»Major, Sie können von Glück reden, dass ich Sie nicht vor ein Kriegsgericht stellen lasse. Jetzt bleiben Sie gefälligst auf dem Teppich und halten Sie den Mund.«

Schmidt rutschte auf seinem Platz hin und her. Dieser Anschiss hatte zweifelsohne gesessen.

Ihm war nicht wohl zumute, weil er wusste, dass Conner log und teilweise immer noch mit harten Bandagen kämpfte, wenn auch wesentlich seltener und so, dass er es im Ernstfall glaubwürdig leugnen könnte.

»Die Marines haben ewig gebraucht, um endlich etwas zu bewegen.« Damit bezog sich der Präsident auf die von der Ostküste abbestellten Marineverbände. Ursprünglich waren diese auf Colonel Barone angesetzt worden, aber dann, als sich dieses Problem erledigt hatte, waren sie weiter nach Norden gefahren, um Olympia einzunehmen, ohne dort auf nennenswerten Widerstand zu stoßen.

»Und ich kann gar nicht sagen, wie stolz ich auf sie bin«, meinte Baxter freudestrahlend.

»Wissen Sie schon, wann Korps I in Fort Lewis ausrücken kann, um die Marines in Olympia zu unterstützen?«

Dabei handelte es sich um Soldaten der US-Army, die im besagten Fort in der Nähe von Tacoma stationiert waren, also nicht weit von Olympia entfernt.

»Das war eine wirklich haarige Situation für uns«, begann Baxter. »Es hat damals mehr als fünfundachtzig Prozent seiner Männer verloren. Und mit diesen Deserteuren auch noch wertvolles Rüstzeug. Uns bleibt nur noch eine kleine Einheit, die in zwei Wochen einsatzbereit losziehen könnte.«

»Und wie geht die Rekrutierung der Einheimischen für die Bürgerarmee voran?«, erkundigte sich Conner. Er hatte nämlich ein Gesetz verabschiedet, das alle tauglichen Männer zwischen achtzehn und fünfunddreißig Jahren automatisch zu Wehrpflichtigen machte, die sich für die Miliz einziehen und mustern lassen mussten.

»Es möchte bestimmt nicht jeder Dienst leisten«, antwortete Baxter.

»Wir sollten doch imstande sein, dieses Gesetz durchzusetzen«, erwiderte Schmidt. Seine Stirn glänzte vor Schweiß.

»Sie sehen so aus, als fühlen Sie sich nicht wohl, Major«, sagte der Präsident.

Schmidt setzte sich wieder gerade hin und versicherte ihm: »Mir geht es gut, Sir.«

»Falls nötig, lassen Sie sich bitte krankschreiben. Sie arbeiten schon längere Zeit rund um die Uhr.«

Als jemand anklopfte, schauten alle drei zur Tür.

Sie ging auf und Wilbur trat ein. Sie keuchte angestrengt, nachdem sie herbeigeeilt war, und nahm schnell neben Schmidt Platz. »Ich bedauere es zutiefst, dass ich mich verspätet habe.«

»Verspätet?«, wiederholte Conner. »Herrje, Sie haben fast die gesamte Besprechung verpasst.«

»Tut mir leid, aber es ging nicht anders«, entschuldigte sie sich. Als Staatssekretärin hatte sich ihr Aufgabenfeld mit der Zeit immer mehr ausgeweitet und umfasste nun auch alles, was mit der Flüchtlingsfrage zusammenhing. Diese früher eher nebensächliche Baustelle für Cheyenne und Conners Regierung war mittlerweile zu einer schwierigen humanitären Bewährungsprobe geworden, da die Zahl der Flüchtlinge tagtäglich um einige Tausende zunahm.

»Wenn wir hier fertig sind, wird Baxter Sie über alles ins Bild setzen, was wir bislang besprochen haben«, sagte der Präsident. »Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie mir etwas zeigen möchten?«

»Äh, ja, Sir, das will ich«, bestätigte sie und nahm einen Stoß Papiere sowie einen Ordner aus ihrer ledernen Aktentasche.

Conner lehnte sich an die Kante des Schreibtischs und verschränkte seine Arme vor der Brust. »Ich bin ganz Ohr.«

»Sie haben uns ein Team zusammenstellen lassen, dass Tests durchführen sollte, um herauszufinden, woran sie erkranken.«

Er nickte und fragte: »Ist es NARS?«

»Nein.«

»Was ist es denn dann?«, warf Baxter ein.

Plötzlich hustete Schmidt laut und bekam einen erneuten Schweißausbruch.

Wilbur, die neben ihm saß, lehnte sich unwillkürlich zur Seite, als er anfing, immer heftiger zu husten.

Conner schaute auf seine Uhr und wurde ungeduldig. »Bitte fahren Sie fort.«

Mit einem Seitenblick auf den Major hielt sie Blickkontakt zum Präsidenten und antwortete betrübt: »Sie sterben alle an einer schweren Strahlenvergiftung.«

»Strahlung? Woher denn?«, fragte Conner irritiert, obwohl er den Ursprung bereits erahnte.

»Die betroffenen Flüchtlinge stammen alle aus dem Osten. Sie müssen wahrscheinlich durch verstrahltes Gebiet in der Nähe der Atomkraftwerke gezogen sein, in denen eine Kernschmelze aufgetreten ist.«

»Genau so, wie wir es schon im Vorfeld befürchtet haben«, antwortete Conner.

»Es war nur eine Frage der Zeit«, schob Baxter hinterher.

»Ich schlage Folgendes vor …« Wilbur nahm einen Notizblock heraus und gab ihn dem Präsidenten.

Er blätterte die beschriebenen Blätter rasch durch.

»Das ist mir jetzt zu viel zum Lesen, was genau legen sie uns nahe?«

»Die Kranken sofort in einem getrennten Lager unter Quarantäne zu stellen«, antwortete Wilbur.

»So einfach geht das nicht. Was tun wir denn in diesem Fall mit ihren Angehörigen?«, wollte Baxter wissen.

»Sie dürfen sie begleiten, wenn sie wollen«, meinte die Staatssekretärin, »doch die Kranken mit dem Rest zusammenleben zu lassen, wird unweigerlich zu Schwierigkeiten führen und vor allem den gesunden Teil der Bewohner stören.«

Conner kippelte mit seinem Stuhl vor und zurück, während er über eine mögliche Lösung nachdachte. »Tun sie es«, entschied er schließlich. »Richten Sie ein Quarantänelager ein, und zwar schnellstmöglich. Wir müssen die Zootiere ja nicht noch aggressiver machen, als sie es sowieso schon sind.«

Wilbur grinste den Präsidenten unverbindlich an. »Ich mache mich sofort an die Arbeit«, sagte sie dann.

Auch Baxter meldete sich noch einmal zu Wort: »Ach, Sir, wegen der Rekrutierung …« Sie hatten das Thema bisher nur kurz angeschnitten.

»Ja, was ist damit?«

»Wie ich bereits erklärt habe, geht sie nur sehr schleppend voran«, rekapitulierte der General. »Ihr alter Freund, dem das Café gehört, hat mittlerweile zum Protest aufgerufen und erhält stetig Zulauf.«

Der besagte alte Freund war Pat, der Besitzer von Pats Coffee Shop im Zentrum von Cheyenne. Während Conners Anfangszeit in der Stadt hatten sich die beiden einander angenähert, aber dann wieder entfremdet, als der Präsident dazu übergegangen war, Abtrünnige und vermeintliche Staatsfeinde brutal aus dem Weg zu räumen. Er hatte den Ausnahmezustand vor Ort wiederholt ausgerufen und dann wieder außer Kraft gesetzt, um hitzige Demonstrationen gegen ihn und seine Regierung aufzulösen. Der wachsende Unmut unter vielen Bürgern und Bewohnern der umgebenden Camps ging mit Conners Beschluss einher, das Projekt Kongress zu verhindern. Dies war auch für Pat der Tropfen gewesen, der das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht hatte.

»Erst Dylan, und jetzt auch noch er«, sagte Conner traurig seufzend wegen des Verlustes zweier bewährter Freunde.

»Möchten Sie, dass ich ihn festnehme?«, bot Schmidt ihm an.

»Nein. Gott, nein, das würde die Gerüchte, ich sei zum Diktator geworden, doch bloß noch weiter schüren. Offengestanden erwäge ich sogar seit einiger Zeit, meine Anordnung, was Proteste betrifft, wieder zurückzuziehen. Sollen die Bürger doch ruhig auf die Straße gehen. Geben wir ihnen doch einfach die Möglichkeit ihre Meinung zu äußern.«

»Und was geschieht, wenn sie gewalttätig werden?«, fragte der Major.

»Gewalt werden wir selbstverständlich nicht dulden«, stellte der Präsident klar. »Sollte jemand ausfällig werden, verweisen wir ihn in seine Schranken. Tragen Sie einfach Sorge dafür, dass es nicht aus dem Ruder läuft.«

Schmidt richtete sich wieder auf und wirkte nun ein wenig größer, da er jetzt auf die Gelegenheit hoffen durfte, aufsässige Demonstranten zu bekämpfen.

Baxter hingegen verzog sein Gesicht. »Verzeihung, Major, aber finden Sie nicht, dass jemand anderes, als Sie, dieser Aufgabe eher gewachsen wäre?«

Nun schaute Schmidt ihn überrascht an. »Was soll das denn heißen?«, erwiderte er.

 

»Nur dass Sie einen äußerst ungesunden Eindruck auf mich machen. Ich möchte Sie nur ungern ausschließen, Major, aber Sie sind krank, und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es nur die Grippe ist.«

»Sie sehen wirklich nicht gut aus«, stimmte auch der Präsident zu.

»Mir geht es aber gut«, hielt Schmidt dagegen, »und ich bin durchaus fähig, die Verantwortung für die Sicherheit jeglicher Demonstrationen zu übernehmen.«

»Niemand hier stellt Ihre Fähigkeiten infrage, mit brenzligen Situationen fertig zu werden, wir machen uns doch bloß Sorgen um Sie. Ich will, dass Sie sich heute noch von meinem Arzt auf der Basis der Air Force untersuchen lassen.«

»Aber Sir«, fing Schmidt wieder an.

»Kein Aber. Gehen Sie heute noch zu ihm, das ist ein Befehl«, verlangte Conner.

»In Ordnung Sir«, murrte der Major kleinlaut.

»Falls das alles war, beenden wir jetzt diese Sitzung«, entgegnete der Präsident. »Wir haben schließlich alle Wichtiges zu erledigen.«

»Sir ich würde gerne noch einen letzten Punkt ansprechen«, meinte Wilbur.

»Bitte.«

Sie schaute Schmidt und Baxter nervös an, bevor sie sich wieder an Conner richtete, der gelassen sitzen blieb und wartete, dass sie etwas sagte. »Es hängt mit den Demonstranten zusammen, genauer gesagt mit den unterschiedlichen separatistischen Bewegungen überall im Land.«

»So viele sind gar nicht mehr übrig. Die Leiter der Dixie-Föderation haben wir abgesetzt, Mr. Faye in Arizona ist uns genauso unterlegen gewesen wie die Lakotahs und Colonel Barone. Nicht zu vergessen das panamerikanische Imperium, das wir vernichtend geschlagen haben. Bleiben eigentlich nur noch Mr. Van Zandt und seine Kaskadier …«

Baxter unterbrach ihn. »Sie haben Texas und Oklahoma also komplett abgeschrieben?« Die Frage zielte auf den Vertrag ab, den Conner mit den beiden Vereinigungen geschlossen hatte, um Zugang zum Hafen von Houston zu erhalten; Autonomie gegen uneingeschränkte Nutzung.

»Ja und nein. Dieser Verräter werde ich mich annehmen, sobald wir stärker sind, und bevor Sie nachhaken: Hawaii und Alaska sind zu weit weg, als dass wir in absehbarer Zeit mit ihnen verhandeln könnten, und sie bleiben uns bedauerlicherweise womöglich auch dauerhaft verwehrt.«

»Hmm«, brummte Baxter, ohne etwas zu entgegnen.

»Sir, die Sache ist die: Major Schmidt würde mir bestimmt zustimmen, wenn er den Mut hätte, Ihnen die Tatsachen zu nennen. Wir haben vielleicht die Drahtzieher hinter diesen Bewegungen unterdrückt, doch an der Gesinnung der Menschen in den besagten Regionen haben wir nicht das Geringste ändern können. Ihr rebellischer Geist ist noch immer nicht gebrochen, und bald schon wird sich ein neuer Anführer hervortun, um das Heft zu übernehmen und ihre Ideen weiter voranzutreiben. Ich fürchte, wir werden uns auf einen langen Kampf einstellen müssen.«

»Was meinen Sie, Wilbur? Fassen Sie sich bitte dieses Mal kurz«, bat Conner.

»Ich finde, wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, diesen Menschen zu gewähren, was sie wollen: Unabhängigkeit!«

Nun fuhr der Präsident hoch und knurrte: »Nur über meine Leiche!«

»Aber Sir, wir können eigentlich nur gewinnen. Denn wenn wir die Macht in diesen Gegenden übernehmen, bedeutet es gleichzeitig, dass wir dort präsent sein müssen. Wir haben uns nach Kräften bemüht, die Zivilisten mit einzubeziehen, die uns noch gewogen sind, doch das genügt bei Weitem nicht, und Ihre Strategie, aus allen Rohren zu feuern, hat die Lage nur noch verschlimmert.«

»Zurückstecken ist also in Ihren Augen ein angemessenes Verhalten gegenüber diesen Rebellen und gottverdammten Verrätern«, echauffierte sich Schmidt.

»Es hat doch nichts mit Zurückstecken zu tun. Wir müssen uns nur eingestehen, wie es momentan wirklich aussieht, Major. Wir haben nicht genug Personal, Mittel und Waffen, um diese Staaten zu behalten, während ihre Regierungen damit beschäftigt sind, die Ordnung zu wahren. Einige davon sind schon so gut wie zusammengebrochen und in vielen Großstädten regieren der Pöbel und Verbrecherbanden. Es ähnelt einem Kampf gegen Windmühlen.«

»Wie feige kann man denn nur sein?«, rief Schmidt außer sich vor Wut.

»Ich bin nicht feige. Ich will diese Gegenden auch nicht aufgeben, aber es lässt sich wohl leider nicht vermeiden. Machen wir doch das Beste für uns daraus, indem wir ihnen die Freiheit schenken, und sie so als Verbündete behalten.«

»Sie sind sehr wohl feige«, fuhr Schmidt fort, »weil sie bereitwillig aufgeben würden, was noch von den Vereinigten Staaten übrig ist.«

»Schluss jetzt«, lenkte Conner ein. »Wir werden weder zurückstecken noch einen Waffenstillstand mit diesen Aufständischen aushandeln, der auch nur einen Quadratzoll US-Boden an sie abtritt.« Er machte nun eine kurze Pause, um tief durchzuatmen. »In anderen Teilen des Landes bestehen weiterhin Probleme, die wir aber beheben werden. Hier in Cheyenne und der Umgebung geht es relativ friedlich zu. Wir beugen jeder Unzufriedenheit vor Ort direkt vor und kümmern uns gleichzeitig um die Sezessionisten. All das braucht natürlich Zeit, doch am Ende werden wir uns durchsetzen.«

»Sir, als mein Team die Gesundheitsuntersuchungen in den Lagern durchgeführt hat, hat es uns von der großen Enttäuschung und der Wut erzählt, die sich größtenteils gegen uns richtet«, sagte Wilbur.

»Ich weiß, dass die Menschen frustriert und ungeduldig sind, aber wir müssen sichergehen, dass das Ganze funktioniert. Aufzugeben steht außer Frage. Es ist gerade eine schwierige Zeit, aber wir können es schaffen, das weiß ich genau.« Conner versuchte mit allen Mitteln, seinen Stab anzuspornen. Als er sich umschaute, stellte er fest, dass es nicht funktionierte. Während der langen Monate, in denen die Wiederherstellung an auch nur annähernd frühere Zustände lediglich träge vorangegangen war, hatten sie ihre positive Einstellung nach und nach verloren. Sogar der Präsident selbst tat sich schwer damit, seine eigenen Versprechen noch zu glauben. »Also gut, ich möchte, dass Sie jetzt dort hinausgehen und einen Anfang machen. Wenden Sie sich an Ihre Leute und versichern Sie ihnen, dass wir es schaffen werden und dass wir durchhalten.«

Schmidt erwiderte: »Sir, ich habe eine Idee.«

»Und die lautet?«, erkundigte sich Conner.

»Meines Erachtens nach sollten Sie eine Rede vor der Stadtbevölkerung halten und ihr so zeigen, dass Sie sich Gedanken machen. Kündigen Sie ihnen an, dass Demonstrationen fortan erlaubt sind, dass das Kriegsrecht nicht mehr gilt und …«

Wilbur fiel ihm ins Wort: »… und erklären Sie sich dazu bereit, das Projekt Kongress wieder aufzugreifen.«

Baxter riss die Augen auf, als sie dieses abgebrochene und umstrittene Unterfangen abermals erwähnte.

Der Major schaute sie ebenfalls verärgert an, weil sie ihn abgewürgt hatte.

Conner kratzte sich am Kinn und überlegte. Dann ging er zu einem Beistelltisch, auf dem eine Karte der Vereinigten Staaten lag. Die roten und grünen Linien, die er bei einem Meeting Monate zuvor eingezeichnet hatten, brachten das, was sie alle gerade beschäftigte, genau auf den Punkt. Er hob das Papier an und betrachtete die Markierungen. Gerade als er es wieder hinlegen wollte, fiel ihm ein Stapel Blätter auf einem Klemmbrett ins Auge. Es hatte ursprünglich einmal Dylan gehört. Er hatte gar nicht gewusst, dass es während all der Monate dort unter der Karte verborgen gewesen war. Dies verdeutlichte ihm noch einmal, wie lange er solchen Dingen schon keine Beachtung mehr geschenkt hatte. Plötzlich wurde ihm etwas bewusst: Er führte nicht nur Krieg gegen zahlreiche Splittergruppen, sondern rang auch mit denjenigen, die den Vereinigten Staaten gegenüber noch Loyalität bewiesen. Auch ihnen musste er klarmachen, dass er nicht das Monster war, als das ihn Typen wie Pat gerne hinstellten, sondern dass er ein gutmütiger Regent war, der sich um sein Volk sorgte und den Willen besaß, auch schwierige Entscheidungen zu fällen, um ihre Sicherheit gewährleisten zu können. Er drehte sich schwungvoll um und sagte: »Sie haben beide recht. Ich muss tatsächlich eine nachdrückliche Rede halten. Dabei werde ich das Ende des Ausnahmezustands verkünden, und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, wird das Projekt Kongress fortgesetzt. Außerdem werde ich sechs Monate nach der Rede eine Wahl anberaumen. Daraus werden die Menschen Hoffnung schöpfen können und etwas haben, worauf sie sich konzentrieren können.«