Comanchen Mond Band 2

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Aus der Reihe: Comanchen Mond #2
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Der Oberstleutnant überhörte den Tadel; ja, ihm war durchaus bewusst, dass es stimmte. Mitten in seinen Überlegungen unterbrochen, schreckte er hoch. Sein Gesicht, das eine dunkelrote Farbe angenommen hatte, war völlig erstarrt. Ja, genau das Gleiche hatte er eben auch gedacht. Das bringt meine ganze Taktik durcheinander, wurde ihm endgültig klar. Es musste ihm etwas anderes einfallen – sofort. „Das wissen wir nicht genau, First Lieutenant Stones“, sagte er deshalb, um Zeit zu gewinnen. „Ich an Ihrer Stelle würde mich mit solchen Mutmaßungen zurückhalten – das kann Sie Ihre Stelle kosten.“ In hoch aufgerichteter, stolzer Haltung – der teure Sattel machte es möglich – wies er seinen Untergebenen zurecht. Glaubte er selber noch, was er da sagte?

Der First Lieutenant jedenfalls zog wütend seine Stirn in Falten. Smith konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er an seinen Fähigkeiten zweifelte. Einen Blick auf den Trompeter neben ihnen werfend und einen auf seinen Vorgesetzten, presste Stones, sich kaum noch beherrschen könnend, zwischen nur leicht geöffneten Lippen hervor: „Ist mir scheißegal, was es mich kostet, Oberstleutnant. Wir sollten etwas unternehmen, bevor die verdammten Krieger auf ihren Mustangs sitzen und uns überrennen! Es ist schon viel zu viel Zeit vergangen. Beordert Ihr uns jetzt zum Fluss, der ganz anders verläuft, als wir bisher glaubten, werden wir von unserer eigenen Artillerie beschossen.“

Während er das sagte, krampften sich seine Hände um den Zügel. Es juckte ihn in den Fingern, diesem arroganten Fatzke von Oberstleutnant seine Faust ins Gesicht zu schlagen. Er hatte leichtsinnig das Leben seiner Kameraden in Gefahr gebracht, und mit seinem Zögern tat er das noch immer. Auch er – genau wie die halbe Kavallerie – hatte ja die Wasserfontäne gesehen und seine Schlüsse gezogen. Plötzlich hatten sich die Verhältnisse umgekehrt. Begriff Smith das denn nicht? Sie mussten sich der neuen Situation anpassen. Der Captain der Artillerie jedenfalls würde das tun; dessen war er sich sicher.

„Die Geschütze – sie müssen weiter den Fluss hinauf, egal, wie viele Biegungen er auch noch macht“, rief Smith, ihn ignorierend, und schaute sich suchend nach einem Mann um, der diesen Befehl hinüber zur Artillerie bringen konnte.

„Er windet sich wie eine Schlange“, fiel sein First Lieutenant ihm ins Wort. Dann, richtig wütend: „Ihr wollt doch jetzt nicht etwa jemanden mit diesem Befehl da rüberschicken? Und uns solange hier tatenlos schmoren lassen? Der Captain wird seine Geschütze flussaufwärts schicken. Besser wäre es, Ihr ließet die Artillerie schweigen und uns zum Fluss hinüberreiten, um das Ufer nach den verdammten Rothäuten abzusuchen. Vor allem nach den Tipis, die die Pawnee Euch ja gemeldet haben.“

Diese Maßregelung seines Vorgesetzten war gewagt, aber das war dem Mann jetzt egal. Seine Finger öffneten und schlossen sich unaufhörlich, während er auf die Reaktion des Oberstleutnants wartete.

Bewundernswert ruhig reagierte Smith. Um einen sachlichen Ton bemüht, sagte er lediglich: „Warten wir noch einen Moment, Stones. Wir stehen hier gut. Die Artillerie schießt schließlich nicht in den Wald, sondern auf das Flussufer. Die vermaledeiten Rothäute müssen aus ihren verlausten Tipis hervorgekrochen kommen. Diese Aufgabe wird die Artillerie meistern – glaubt es mir.“

„Wenn die Haubitzen nur einen Strich weit abweichen, könnten sie uns …“, verkniff sich der First Lieutenant die nächsten Worte, da der Adjutant plötzlich auftauchte.

„Die Comanchen könnten auch über den Fluss auf die andere Seite wechseln – was dann?“, sagte er, an seinen Vorgesetzten gewandt. Er hatte die Beiden wohl gehört.

Mitten in den erneuten Beschuss hinein rief ihm Smith zu: „Das haben wir doch alles bereits besprochen – oder etwa nicht? Und wir waren uns darüber einig, dass sie das wegen des Beschusses nicht können. Also, Mann, haltet Eure Klappe!“

Der Adjutant biss sich auf die Unterlippe. Er wusste es besser. Allein die Tatsache, dass der Fluss hier eine große Biegung machte, änderte alles. Es war durchaus vorstellbar, dass die Comanchen unbemerkt auf die andere Seite entkamen. Für die Krieger wäre das ein Leichtes. Allein die Tatsache, dass sie ihre Familien bei sich hatten, sprach dagegen.

Smith blickte zuerst seinen Adjutanten und dann den First Lieutenant an. Die Artillerie wird die Comanchen aufscheuchen und uns in die Arme treiben, sagte er sich wieder. Er würde sich nicht anders entscheiden. Sein Adjutant sah stur an ihm vorbei und schwieg. Er wendete sein Pferd und entfernte sich. Der First Lieutenant blickte ihm enttäuscht nach. Der Befehl – und damit die Verantwortung – lag einzig und allein bei Smith. Die Disziplin musste gewahrt werden. Er war nicht bereit, seinen Irrtum, was den Flussverlauf und damit die Konsequenzen betraf, einzugestehen. Es waren die Pawnees, die ihn falsch unterrichtet hatten. Doch statt sich der neuen Situation zu stellen, hielt er hartnäckig das Fernrohr an sein Auge gepresst. ‚Erwartete er etwa, flüchtende Comanchen zu sehen?‘, fragte sich sein First Lieutenant.

Ja, Oberstleutnant Smith erwartete genau das. Egal, ob die Artillerie nun in den Fluss oder daneben geschossen hatte – auf jeden Fall sollten sie die Indianer aufgeschreckt haben. Wieder zog er seine Uhr zu Rate. Zehn Minuten. Seit zehn Minuten tat sich nichts. Abermals strich er mit seinem Fernrohr über die Bäume, die den Fluss vor seinen Blicken abschirmten – dann noch einmal hinüber zu dem seltsamen Pfad. Als hätte es die vorangegangene Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen nicht gegeben, reichte er seinem First Lieutenant das Glas. „Seht Ihr dieses kleine Stück ausgetretenen Weg?“, fragte er, mit dem Zeigefinger deutend. „Dort irgendwo sind sie – ich kann sie förmlich riechen!“

First Lieutenant Stones, ein hartnäckiger Mann, wagte erneut einen Vorstoß. „Mit den Geschützen kommen wir nicht weiter, Sir. Zum Fluss reiten können wir wegen des Beschusses nicht. Noch einmal mein Vorschlag: Schickt jemanden hinüber, und lasst die Geschütze schweigen. Dann sollten wir mit der Kavallerie von hier aus zum Fluss vorrücken, um dort nach den Comanchen zu suchen. Wenn die Artillerie sie aufgeschreckt hat, dann haben wir gute Chancen, sie zu erwischen, bevor sie über alle Berge sind.“

‚Egal‘, sagte er sich, wenn ich mir ihn damit auch nicht zum Freund mache, meine Kameraden sind mir wichtiger! Die Zeit saß ihm im Nacken. Er hatte schon gegen Comanchen gekämpft und wusste, was sie erwartete, wenn sie zu lange zögerten. Es war so, als stocherte man mit bloßen Händen in einem Hornissennest herum.

„Ihr müsst mir nicht sagen, was ich zu tun habe“, maßregelte ihn Smith barsch.

Stones ließ sich nicht einschüchtern. „Wenn die Artillerie noch länger wahllos herumballert, ohne ein direktes Ziel zu haben, müssen wir mit einem Angriff rechnen. Inzwischen werden sich die Krieger formieren, ohne dass Ihr das durch das Fernrohr sehen könnt. Und das, Oberstleutnant, wird gar nicht lustig werden.“ Während er das ziemlich gefasst hervorbrachte, hätte er seinen Vorgesetzten erwürgen können. Oberstleutnant Smith dagegen musterte ihn nur hoheitsvoll. Wagte der Mann es doch tatsächlich, ihn mitten im Kampfeinsatz zu kritisieren?

Den Blick zurück auf seine wartenden Kameraden gerichtet, hatte dieser trotzdem kein schlechtes Gewissen. Wenn Smith nicht mit Kritik umgehen konnte, dann war das sein Problem. Vielleicht würde ihn das einen Verweis kosten, vielleicht aber auch nicht. Männer wie er waren rar im Westen. Das Wohl seiner Leute ging bei ihm über die Befindlichkeit eines Vorgesetzten. Ohne sich weiter um Smiths wütendes Gesicht zu kümmern, harrte er der Dinge auf seinem Pferd. Und doch – seine wartenden Männer betrachtend, beschlich ihn das Gefühl, versagt zu haben, denn erreicht hatte er nichts. Hilflos hob er die Schultern und ließ das Kinn schwer atmend auf die Brust sinken. Seine langjährige Erfahrung als Indianerkämpfer ließ ihn frösteln.

Smiths Gesicht war nach seiner letzten Bemerkung wieder puterrot angelaufen. Vor Wut, weil er nicht gleich eine Antwort wusste, pumpte er Luft.

Der Adjutant, der sich seit seinem Abgang nicht weit entfernt hatte, lenkte sein Pferd neben das des First Lieutenant. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Bevor er jedoch nur ein einziges Wort sagen konnte, bellte Smith ihn an: „Wollt Ihr Euch etwa auch noch erdreisten, mich zu belehren?“ Die Hand auf dem Säbelknauf, betrachtete er ihn herablassend.

Der so Angeherrschte verbiss sich die Frage, die er stellen wollte. Kurz streifte sein Blick den First Lieutenant, dann schaute er wieder zu Smith. Die Männer hinter ihnen wurden langsam unruhig, zumal die Artillerie weiter schoss und sie hier untätig herumstanden. Dass die Stimmung zwischen ihren Vorgesetzten nicht gerade die beste war, konnte man sehen und sogar hören. Die ganze Situation verlangte nach einer Entscheidung. Smiths Position als Befehlshaber hatte empfindliche Risse bekommen.

„Noch einmal zum Mitschreiben“, sagte er, sowohl an den First Lieutenant als auch an den Adjutanten gewandt. „Die Späher haben mir berichtet, dass das verdammte Comanchenlager dort ist, wo die Artillerie jetzt hinschießt. Sie belegen das Ufer, und es kann nicht mehr lange dauern, bis wir diese Kreaturen zu sehen bekommen – und zwar flüchtend!“

Entschlossen, stur seinen Plan weiterzuverfolgen, duldete er keinen Widerspruch. Mit diesem First Lieutenant würde er nachher ein Wörtchen reden müssen – und zwar vor versammelter Mannschaft. Ein solches Verhalten konnte er nicht einfach so hinnehmen – nicht bei einem so wichtigen Einsatz. Wohl hatte er die Blicke der ihm zunächststehenden Männer bemerkt. Es würde sich herumsprechen, wenn er Schwäche zeigte. Das ganze Schlamassel, in dem er jetzt steckte, hatte er den verdammten Pawnee zu verdanken. Sie hätten das Gelände vor ihnen gründlicher auskundschaften sollen, anstatt sich vorzeitig zu entfernen. Wo in aller Welt, steckten sie? Dann ging ihm auf, dass er sie ja höchstpersönlich fortgeschickt hatte. Nach einem tiefen Seufzer wandte er sich an seinen Adjutanten: „Kein Comanche wird uns entkommen, dafür werde ich sorgen. Nicht nur, dass wir in der Überzahl sind – auch unseren Waffen können sie nicht viel entgegensetzen.“

 

Immer noch schweigend nickte sein Adjutant, mit einer Hand den Knauf seines Säbels tätschelnd.

First Lieutenant Stones bewegte kaum merklich den Kopf hin und her. Wie hatte sich Smith das denn gedacht? Da warteten sie hier wie die Katze vor dem Mauseloch, und die Mäuse entkamen durch die Speisekammer. Entschlossen schob der Oberstleutnant das Fernrohr zusammen. Er hatte endlich einen Einfall.

„Nun gut, wir können nicht näher an den Fluss heran, ohne von unserer eigenen Artillerie getroffen zu werden. Da die Comanchen ja sowieso schon wissen, dass wir hier sind: Trompeter, gebt das Zeichen zum Angriff. Unsere Leute werden aus diesem Wald hier herausreiten, weg vom Fluss. Es sieht ganz danach aus, als befände sich hinter diesem vermaledeiten Wald eine große, freie Fläche, dort vor den Hügeln. Während die Artillerie weiter den Fluss hinauf marschiert, wird sie uns den Gegner zutreiben.“ Inständig hoffte er, dass das so einfach wäre.

Ein erleichtertes Raunen ging durch die Reihen der Männer. Endlich hatte das Warten ein Ende. Der First Lieutenant biss sich auf die Unterlippe. Dieser Befehl war schon lange überfällig. Er jedoch hätte die Artillerie schweigen lassen und wäre mit der Kavallerie zum Fluss gestürmt. Seinem Pferd in die Seiten tretend, machte er sich zu seinen Leuten auf.

Oberstleutnant Smith hob die Hand, und einer der beiden Trompeter schmetterte los. Das Signal war noch nicht halb verklungen, als sich die Kavallerie bereits in Bewegung setzte. Ohne den Tross, der zurückblieb, verließen sie zügig den sich lichtenden Wald. Vierzehn Minuten waren seit den ersten Salven vergangen. Smith zögerte, dann winkte er den jüngeren der beiden Trompeter zu sich. „Wir bleiben hier“, befahl er mit einem Blick auf die abziehenden Männer. „Wenigstens bis ich weiß, was der Captain vorhat. Ich habe die Gatling noch nicht gehört, eigentlich hätte sie längst zum Einsatz kommen müssen. Da drüben am Fluss sind Comanchen – ich weiß es. Der Captain soll sie gefälligst vom Fluss wegscheuchen und unseren Männern den Rest der Arbeit überlassen.“ Smith kniff die Augen zusammen, erneut sein Fernrohr ansetzend. Dichter Rauch zog den Fluss entlang und hing schwer über den Bäumen.

6. Kapitel

Die sechsläufige Gatling, ein Überbleibsel aus dem Bürgerkrieg, in dem die US-Armee zwölf Stück im Einsatz an der Front bei Petersburg hatte, stand noch immer unbenutzt und abgedeckt hinter dem Versorgungswagen. Man brauchte vier Männer, um sie zu bedienen.

Nach jeder Salve aus den beiden Haubitzen brachten die Männer die Geschütze ein wenig weiter nach vorn. Dort, wo die Treffer einschlugen, prasselte ein Regen aus Erde, Steinen, Ästen herunter und begrub alles unter sich. Bald konnten die Schützen das Gelände vor ihnen kaum noch erkennen. Nicht mehr lange, und sie würden auf ihre eigene Verwüstung stoßen. Ohne Informationen von Seiten der Kavallerie, die unterdessen zu den Hügeln im Osten ritt, fragte sich der Captain, ob er weiterschießen oder die nächsten Befehle abwarten sollte. Zumal ihm klar war, dass sie jetzt, wo sie den Flussbiegungen folgten, näher als ursprünglich gedacht an die Kavallerie herankamen. Ein einziger Fehlschuss würde die eigenen Leute treffen. ‚Hoffentlich haben sie das schon selber gemerkt und machen sich aus dem Staub‘, dachte er. Doch konnte er sich auf diesen Mann, diesen unfähigen Oberstleutnant überhaupt verlassen? Sollte er den Befehl, mit dem Beschuss innezuhalten erteilen, bis er Genaueres wusste? Was für ihn noch viel schwerer wog, war die Tatsache, dass sie bis jetzt keine Indianer gesichtet hatten. Wir ballern hier in der Gegend rum, sagte er sich wütend, ohne rechtes Ziel. Was ist, wenn die Comanchen irgendwo dort vorn sind, statt hier am Fluss, und die Kavallerie mit ihren Kriegern empfangen?

Entgegen seiner Überzeugung gab er den erneuten Befehl zum Schießen.

Dichte Rauchschwaden hingen über den Bäumen am Fluss. First Lieutenant Stones sah diese Zerstörung mit gemischten Gefühlen. Bis jetzt hatte die Artillerie nichts erreicht. Sie waren auf ihrem Ritt durch den sich lichtenden Wald und dann hier in der Ebene auf keinen einzigen flüchtenden Indianer gestoßen. Er schwenkte mit seinen Männern von den Hügeln weg – jeden Moment darauf gefasst, flüchtende Comanchen aus Richtung Fluss auftauchen zu sehen.

Plötzlich waren sie da. Frauen, Kinder, Travois, beladene Pferde. Sie kamen in Scharen vom Fluss herüber, einen ausgetretenen Weg entlang, der sich bis jetzt ihren Blicken entzogen hatte. Na also. First Lieutenant Stones, dem bei diesem Anblick kurz der Atem stockte, zog den Revolver und spornte sein Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Da rissen die Männer vor ihm ihre Pferde herum, so dass die nachfolgenden ausweichen mussten. Von einem Moment auf den anderen kamen ihre geordneten Reihen durcheinander. Männer, die eben noch vor ihm ritten, duckten sich, von Pfeilen getroffen in ihren Sätteln zusammen. Verwirrt stoppte die erste Reihe. Pferde stiegen, gingen zu Boden, rafften sich wieder ausschlagend auf, manchen Reiter unter sich begrabend. Die Männer – harte, erprobte Indianerkämpfer, die Stones ganz vorn bei sich hatte – preschten mit ihm weiter. Rechts von ihnen, vom Fluss her, kam das laute Donnern der Kanonen immer näher. Dann wurde dieser ihnen vertraute Ton von einem anderen überlagert. Einigen stellten sich die Nackenhaare auf, anderen lief es eiskalt den Rücken hinunter. Ein grässliches Gefühl, dem sich niemand entziehen konnte, ließ sie auf dem Rücken ihrer Pferde erstarren. Furchterregendes Geschrei – mehr ein Kreischen – ließ die Luft vibrieren. Dagegen war das, was die Rebellen im Bürgerkrieg nachzuahmen versucht hatten, geradezu ein Wiegenlied.

Während die Kavallerie nach dem ersten Erschrecken versuchte, die Reihen wieder zu schließen, rasten halbnackte Krieger in gewagten Manövern an ihnen vorbei und verschwanden hinter den Hügeln wie ein Spuk. Ungläubig starrten die Männer, die zum ersten Mal mit Indianern in Berührung kamen, ihnen nach. Die erfahrenen Kämpfer unter ihnen wussten, dass dieser Spuk gerade erst begonnen hatte. Einige Verwundete hingen stöhnend in ihren Sätteln. Nein – so hatten sie sich das nicht vorgestellt. Irgendjemand brüllte laut Befehle. Das Signalhorn schmetterte die Tonleiter rauf und runter: Angriff!

Dann kamen die Comanchen über die Hügel zurück.

Oberstleutnant Smith, neben dem Trompeter auf seinem Pferd sitzend, trieb es aufgeregt nach vorn, um besser sehen zu können. Auch von dieser Position aus konnte er das Geschehen vor sich nur erahnen. In dem Geräusch der Geschütze vom Fluss her und den Einschlägen ging alles andere unter.

Im nächsten Moment übertönte der Kriegsruf der Comanchen alles.

Für Smith war es das erste Mal, dass er diese Art, über den Gegner Angst und Schrecken zu verbreiten, erlebte. Denn das war es, was ihm die Härchen auf den Armen sich aufstellen ließ. Nackte Angst. Unwillkürlich bekreuzigte er sich und blickte zu dem jungen Trompeter, dem das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. Seine Uniformjacke hatte vorn und auf dem Rücken vom Schweiß dunkle Flecken bekommen. Im Schritt war seine ausgebleichte Hose verdächtig feucht. Smith sah es mit gemischten Gefühlen. Beklommen öffnete er die obersten Knöpfe seiner Uniformjacke. Wieder zum Fluss hin blickend, konnte er jetzt ein Stück offenes Wasser erkennen. Die Geschütze hatten ganze Arbeit geleistet. Ein Gefühl der Überlegenheit ergriff von ihm Besitz, machte ihn sicher. Wir kämpfen hier gegen primitive Wilde, sagte er sich. Mit Pfeil und Bogen haben sie gegen unsere Kanonen und Gewehre keine Chance. So sah er das noch immer. ‚Es müsste ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir diese Rothäute, die ihre Frauen und Kinder an der Backe haben, nicht besiegen könnten!‘ Schwer atmend stützte er sich mit einer Hand auf den Sattelknauf, mit der anderen führte er das Fernrohr wieder an sein Auge.

Durch den Rauch, der sich nur langsam lichtete, hatte der Captain einen besseren Blick auf das vor ihnen liegende Ufergelände. Da waren sie endlich, die Tipis. Manche bereits halb abgebrochen, so dass nur noch die Gerüste standen, andere schon auf Travois geladen. Frauen liefen eilig neben vollbepackten Pferden her; Kinder halfen, wo sie konnten. Kurzum, er sah – seinem Empfinden nach – ein heilloses Durcheinander. Eine Schar halbwüchsiger Kinder lief gerade in Richtung Fluss und verschwand hinter Bäumen. Als sie wieder auftauchten, saßen diese kleinen Mistkerle, von denen zwei noch kaum laufen konnten, mit ihren nackten Hintern auf Pferden, weitere Tiere geschickt im Schlepp an langen Leinen führend. Wie machten sie das nur?

Widerwillig musste er zugeben, dass ihm das imponierte. Sein Herz krampfte sich zusammenn und er bekam weiche Knie. Kurz zuvor hatte er noch überlegt, die Gatling einzusetzen; jetzt aber verwarf er diesen Gedanken ganz schnell wieder. Nicht, dass die Entfernung zu ihnen ein Hindernis gewesen wäre. Nein, die Reichweite stimmte. Plötzlich hatte er Hemmungen, auf wehrlose Kinder und Frauen zu schießen. Das würde ein Blutbad geben, sagte er sich schaudernd. Wieder blickte er in die Richtung, wo er eben noch die Kinder gesehen hatte; da waren sie verschwunden. Gottlob. Verdammt, was war nur mit ihm los?

Smith hatte bei ihrer letzten Besprechung noch gesagt: Wenn sie sich nicht freiwillig ergeben, dann machen wir sie alle nieder – alle, keine Gefangenen; wir vertilgen sie von der Erde. Jetzt musste er sich die Frage stellen, ob er ihnen diese Möglichkeit des Kapitulierens denn überhaupt gelassen hätte. Er selber war dieses Tötens müde. All die Jahre unter Mackenzie hatte er nur gegen Krieger gekämpft.

Frauen und Kinder wurden weitestgehend verschont, wenn es nur irgendwie ging. Aber das hier?

Erwartete Smith etwa von ihm, mit den Geschützen direkt auf Frauen und Kinder zu schießen? Bisher hatten sie nur auf Tipis mit der Absicht, sie von dort aufzuscheuchen, gezielt. Ihm machte es nichts aus, Krieger zu verfolgen, um sie zu töten. Sie oder ich – leben oder sterben. Während ihm das jetzt durch den Kopf ging, warteten seine Männer auf den nächsten Befehl. Die Frauen und Kinder vor ihnen waren nicht zu übersehen. Kinder, deren kleine Hände sich in die Mähne ihrer Pferde krallten.

„Wartet, bis sich die Rohre abgekühlt haben“, sagte der Captain und bedeckte mit einer Hand die drei goldenen Balken auf seiner Schulter. Auf einmal schien alle Kraft aus ihm gewichen zu sein. War das hier noch sein Kampf? Sein Leben? Müde blickte er sich um. Die Männer sahen aus wie die Schweine: schwarz verschmiert, verschwitzt, einige bluteten, ihre Gesichter und die Hände zum Teil mit Brandwunden bedeckt. Nein, sie hatten sich nicht geschont. Auch die Pferde standen erschöpft an der Seite. Sie alle hatten getan, was sie konnten, um – ja, was?

Er holte tief Luft. Um Menschen umzubringen. Das hier sollte sein letzter Einsatz sein, schwor er sich.

Oberstleutnant Smith fragte sich indessen ziemlich erbost, warum die Gatling noch immer nicht zum Einsatz kam. Durch sein Fernrohr hatte er eine flüchtende Schar Frauen mit Kindern gesehen und fluchte erneut. Irgendwie kam er sich wie ein Befehlshaber auf verlorenem Posten vor und wollte doch jemand sein, der seine Truppen zum Sieg führte. Entschlossen wandte er sich an seinen Trompeter, um ihn zur Artillerie hinüberzuschicken. Der Junge, nicht älter als vielleicht sechzehn Jahre, sollte dem Captain den Einsatz der Gatling eindringlich befehlen. Ungeduldig blickte er ihm nach. Dann bugsierte er sein Pferd mit einem leichten Schenkeldruck hinter eine Baumgruppe aus schlanken Erlen. Die Gatling blieb noch immer stumm, jetzt ebenfalls die beiden Haubitzen. Nun ja, sie mussten neu bestückt werden. Vielleicht waren auch die Rohre inzwischen zu heiß geworden.

Der Trompeter kam zurück. Smith nahm seine Antwort, die Gatling hätte Ladehemmung, als das hin, was sie war: eine Lüge. Ladehemmung? Dafür hätte sie erst einmal schießen müssen. Doch was sollte er machen? Die 80 Männer, die der Captain um sich hatte, waren eine eingeschworene Truppe. Sie würden ausnahmslos zu ihm halten. Erneut hob er sein Fernrohr ans Auge. Ich sollte diesen Wald verlassen und nachschauen, was meine Männer inzwischen erreicht haben, dachte er, da lief ihm ein Schauer über den Rücken. Das Geschrei der Comanchen übertönte erneut sämtliche andere Geräusche. Nervös suchte er die Gegend vor sich noch einmal ab. Rauchschwaden lösten sich in Richtung Fluss nur langsam auf. Die Bäume, die noch standen, hatten ein weiß-grau-schwarzes Aussehen angenommen, als läge alles unter einer riesigen wabernden, nebelhaften Glocke.

 

Um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, musste er näher heran. Ein seltsames Gefühl stieg in ihm hoch – Vorahnung? Da winkte er dem Trompeter, ihm zu folgen. Sie beide waren die Einzigen, die noch hier waren. Langsam ritten sie durch den sich vor ihnen lichtenden Wald. Die kurz zuvor dort entlanggekommene Kavallerie machte es ihnen leicht. Dann standen sie vor einer weiten Ebene, die sich vom Fluss bis in die Hügel hinzog. Durch sein Fernrohr betrachtete er mit klopfendem Herzen das Kampfgeschehen vor ihm. Da begannen seine Hände zu zittern.

Eine lebendige wogende Masse, bestehend aus Mustangs und Kriegern, ließ den Boden erbeben.

Er sah Arme, die Bogen spannten, eingelegte Pfeile, wieder andere Arme, sehnig, kraftvoll – in der Beuge Gewehre, Lanzen, auf dem Rücken prall gefüllte Köcher mit Pfeilen, glänzende, scharf geschliffene Kriegsbeile, die Griffe mit Bast umwickelt. Mustangs, die Nüstern aufgerissen und mit Augen, in denen das Weiße leuchtete, bleckten die Zähne, waren eins mit ihren Reitern. Grasfetzen, von wirbelnden Hufen hochgerissen, stoben nach allen Seiten.

Ungläubig starrte Smith auf Pferdeköpfe mit geknoteten Halftern, die so schnell dahingaloppierten, dass es einfach nicht sein konnte. Krieger, fast nackt, nur mit Waffen als Schmuck, hielten sich auf ihnen, als wären sie mit ihnen verwachsen. Der Begriff Zentaur fiel ihm ein. Vor seinen Augen wirbelte all das wild durcheinander. Wie versteinert saß er auf seinem Pferd. Ungläubig – in der Überzeugung, sich täuschen zu müssen – riss er erneut das Fernrohr ans Auge. Er war kurzsichtig und konnte ohne diese Hilfe nicht weit sehen. Doch das Bild veränderte sich nicht.

Augenblicke später war diese Masse aus Pferden und menschlichen Leibern bereits dabei, sich aus seinem Blickfeld zu entfernen. Unwillkürlich hatte er die Luft angehalten. Erneut setzte er das Fernrohr ab, um es sich gleich darauf wieder ans Auge zu reißen. Wo waren sie hin? Verdammt auch! Da – sie kamen wieder. Sie hatten ihre Mustangs nur gewendet und waren zurück. Aufgescheucht winkte er dem jungen Trompeter, der die ganze Zeit neben ihm geblieben war. Wo waren seine Männer – verdammt noch mal? „Angriff!“, brüllte er überflüssigerweise in den Lärm hinein und gestikulierte wild mit den Händen. Niemand hörte ihn. Der Trompeter riss sein Signalhorn an die Lippen und schmetterte den Befehl.

Da sah er seine Kavallerie inmitten dieser Teufel. Uniformen, in überwältigender Überzahl. Sie ritten, was das Zeug hielt, stoppten, versuchten auszuweichen, hielten auf die leichten wendigen Mustangs zu, verschwanden im Kampfgewühl, tauchten wieder auf. Ein riesiges Knäuel gegeneinander kämpfender Massen – uniformierter und halbnackter. Eine Abteilung Kavallerie – plötzlich wieder geordnet – sammelte sich, saß ab. Dann hoben die Männer ihre 16-schüssigen Remington-Gewehre, feuerten, was sie konnten, wurden mit Pfeilen, Lanzen, gegnerischen Gewehren attackiert. Harrten aus, schossen weiter, während schreiende, todesverachtende Krieger erneut auf sie einstürmten.

Die Mehrheit der Kavallerie konnte ihnen nicht helfen; sie hatten selber genug zu tun. Aus einer wirbelnden Masse reitender Comanchen, scheinbar ungeordnet und undiszipliniert, löste sich eine umgekehrt V-artige Formation und durchtrennte die Reihen der Kavallerie. Das geschah so plötzlich, dass es fast schon Zauberei war. Alles sah so leicht und einfach aus, so spielerisch und gekonnt, dass es dem Oberstleutnant die Sprache verschlug. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Sein Pferd tänzelte unter ihm wie von Sinnen; er versuchte, es zu zügeln – es stieg und warf ihn beinahe ab. Endlich brachte er es wieder unter Kontrolle. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Inzwischen hatte sich das Kampfgeschehen näher an ihn heran verlagert, so dass ihm der Pulverdampf in die Nase stieg. Die Luft war träge und schwer. Er ließ sein Pferd rückwärts in den Wald verschwinden, und auch der Trompeterjunge tat es ihm gleich.

Noch immer krachten Schüsse – dem Klang nach waren das seine Männer. Pfeile surrten, trafen lautlos und blieben in den Uniformen stecken. Stumme Waffen, dachte er irgendwie irritiert, doch genauso tödlich wie laute Gewehre. Pferde wieherten – das mussten die ihren sein. Irrwitzigerweise glaubte er nicht, dass Comanchenpferde überhaupt wiehern konnten. Oder doch? War er verwirrt? Das Ganze dort erschien ihm irgendwie unwirklich, hatte nichts mehr mit dem Hochgefühl zu tun, das ihn beim Anblick der ersten Tipis ergriffen hatte.

Menschen schrien. Stimmen erklangen in seiner Sprache. Jemand brüllte Befehle. Ein Trompetensignal ertönte. Geschütze krachten, das Bellen der Gatling zerriss endlich die Luft. Alles zusammen, alles auf einmal. Krieg, dachte er nur noch – das ist Krieg. Endlich – es waren nur Augenblicke vergangen, die ihm wie die längsten in seinem Leben vorkamen – löste sich die Starre von ihm. Entschlossen gab er seinem Pferd die Schenkel zu spüren und wandte sich in Richtung Artillerie. Ungefragt folgte ihm der junge Trompeter. Den kürzesten Weg einschlagend, erreichten sie die berittene Batterie Artillerie mit ihrem Captain. Der stand neben der feuerspeienden Trommel der Gatling und blickte ihm grimmig entgegen. Dort, wo er die ganze Zeit hinzielte, war kein einziger Mensch zu sehen.

„Die Gatling umdrehen, sofort – die Gatling rum“, brüllte Smith ihn an, wohl ahnend, was sich hier abspielte. Wenn es nach den Männern um ihren Captain ging, dann sollte sich das auch nicht ändern. Widerwillig, doch gehorsam, kam man seinem Befehl schleppend nach. Was nun passieren würde, hatte er nicht zu verantworten, sagte ihm der Blick des Captains. Die Gatling schwenkte auf dem eingeölten Standbein herum. Wild gestikulierend deutete der Oberstleutnant nach Osten. Wohin sollten sie zielen? Erst in diesem Moment begriff es der Captain. Hatte dieser Mensch denn völlig den Verstand verloren? Hart nach dem herunterhängenden Zügel des Pferdes, auf dem der Oberstleutnant saß, greifend, starrte ihn der Captain entsetzt an. Smith hatte die Augen wütend zusammengekniffen. Die des Captains der Artillerie waren blutunterlaufen und brannten vom vielen Rauch. Wenn sie jetzt die Gatling einsetzten – in dieser Richtung – dann würden sie die eigenen Leute treffen, ihre Pferde niedermähen, Menschen aus den Sätteln holen; es würde unnütze Verluste geben, viel zu viele Tote.

Smith atmete durch. In seinen Füßen kribbelte es bis in den Rücken hinauf. Er blinzelte. War er denn schon so verzweifelt, dass er das Leben seiner eigenen Leute aufs Spiel setzte? Den Kopf schüttelnd, um klarer denken zu können, riss er sich zusammen. Was war nur in ihn gefahren?

Als er die Veränderung in den Zügen seines Kommandanten sah, ließ der Captain erleichtert die Zügel los. Zugleich mit Smith wandte er sich in Richtung des Kampfgeschehens. Das Kriegsgeschrei schien näherzukommen. Den Männern der Artillerie machte das nichts aus, sie ignorierten es einfach. Aus ihren vom Pulver geschwärzten Gesichtern leuchteten die hellen Augen wie Irrlichter. Die Zunächststehenden hatten sehr wohl die stumme Zwiesprache zwischen Smith und ihrem Captain beobachtet.