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Werner von Siemens

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Die erste Anwendung, die Werner Siemens von der neu erfundenen Maschine machte, war die Konstruktion eines Zündapparats für Sprengkapseln. Verbesserte Vorrichtungen dieser Art werden noch heute zu tausenden in Bergwerken und bei der Armee angewendet. Am 10. Juli 1868 wurde dann zum erstenmal auf dem Artillerieschießplatz bei Berlin das elektrische Licht eines Scheinwerfers durch einen Strom erzeugt, der von einer Dynamomaschine herrührte. Alsdann mehrten sich die Anwendungen außerordentlich rasch.

Auch der große und für die Jetztzeit so überaus wichtige Gedanke der Übertragung von Kraft, die durch die Dynamomaschine erzeugt wird, über weite Strecken wurde nicht sehr viel später gefaßt. Es ist Wilhelm Siemens, der ihn im Jahre 1877 wohl zum erstenmal ausgesprochen hat. Er war damals zum Präsidenten des Iron and Steel Institute gewählt worden und wies in seiner Antrittsrede darauf hin, daß für eine gewisse spätere Zeit eine Abnahme der Kohle drohe, und daß man rechtzeitig dafür Sorge tragen müsse, sie durch Wasserkräfte zu ersetzen. Er machte dabei insbesondere auf die Niagarafälle als eine riesenhafte natürliche Kraftquelle aufmerksam und sagte:

»Die Wassermasse, die stündlich über diesen Fall hinwegstürzt, ist auf 100 Millionen Tonnen geschätzt worden, und die senkrechte Tiefe kann man auf 150 Fuß veranschlagen, die Stromschnellen noch nicht gerechnet, die einen ferneren Höhenabfall von 150 Fuß repräsentieren, was einen Gesamtabfall von 300 Fuß zwischen See und See ausmacht. Die Kraft, die der Hauptfall allein darstellt, beträgt 16800000 Pferdekräfte, eine Kraftmenge, die, wenn sie durch Dampf erzeugt werden sollte, die Verausgabung von nicht weniger als jährlich 266000000 Tonnen Kohlen benötigen würde, wenn man den Kohlenverbrauch auf stündlich vier Pfund pro Pferdekraft berechnet. Mit anderen Worten, die gesamte Kohlenmenge, die auf der ganzen Welt zutage gefördert wird, würde kaum genügen zur Erzeugung der Kraftmenge, die bei diesem einen großen Wasserfalle beständig nutzlos vergeudet wird.

»Es würde in der Tat nicht schwierig sein, einen großen Teil der auf diese Weise verloren gehenden Kraft mit Hilfe von Turbinen und Wasserrädern nutzbar zu machen, die an den Ufern des Flusses unterhalb der Fälle errichtet und durch Gräben längs der Uferränder gespeist würden. Dagegen würde es unmöglich sein, die Kraft an Ort und Stelle auszunützen, da der Bezirk keinen Reichtum an Mineralien oder anderen Naturprodukten besitzt, welche die Errichtung vorteilhaft erscheinen ließen …

»Im Lauf der Zeit dürften sich wohl wirksame Mittel finden lassen, um Kraft auf große Entfernungen zu übertragen; doch kann ich nicht umhin, schon jetzt auf ein Mittel aufmerksam zu machen, das meines Erachtens wohl der Beachtung würdig ist, nämlich auf den elektrischen Leiter. Man nehme an, Wasserkraft werde verwendet, um eine dynamo-elektrische Maschine in Bewegung zu setzen, so würde ein sehr starker elektrischer Strom erzeugt werden, der durch einen metallischen Leiter von größeren Dimensionen auf eine bedeutende Entfernung fortgeleitet und dann wiederum benutzt werden könnte, um elektromagnetische Maschinen zu treiben und die Kohlenspitzen elektrischer Lampen zum Glühen zu bringen oder die Scheidung von Metallen aus ihren Verbindungen zu bewirken. Ein Kupferleiter von 3 Zoll Durchmesser würde imstande sein, 1000 Pferdekräfte auf eine Entfernung von etwa 50 Kilometern zu übertragen, und diese Kraftmenge würde genügen, um Leuchtkraft von einer Viertelmillion Normalkerzen zu liefern, womit eine mittelgroße Stadt erleuchtet werden könnte.«

Pole schreibt in seiner Schilderung des Lebens von Wilhelm Siemens, daß diese Äußerung die Zuhörer in höchstem Grad überrascht habe, und daß diese Zukunftshoffnungen nur mit einem Lächeln des Unglaubens aufgenommen worden seien. Wir wissen heute, in wie großartiger Weise die Erfindung von Werner Siemens die Hoffnungen seines Bruders auch auf dem Gebiet der Kraftübertragung erfüllt hat.

Die erste Dynamomaschine, die Werner Siemens baute, war noch mit seinem Doppel-T-Anker ausgerüstet. Antonio Pacinotti hatte aber schon 1860 für die magnet-elektrische Maschine den Ringanker erfunden, der eine gründlichere Ausnutzung der Induktion gestattete. Er ist unter dem Namen Grammescher Ring weit verbreitet gewesen, weil der Belgier Zenobius Gramme es war, der die Pacinottische Erfindung in die Praxis übertrug.

Ein weiterer wichtiger Schritt in der Ausbildung der Dynamomaschine geschah, als der Leiter des Konstruktionsbureaus der Firma Siemens & Halske, Friedrich von Hefner-Alteneck, den Trommelanker konstruierte, der gewissermaßen die Vorteile des Doppel-T-Induktors und des Pacinottischen Rings vereinigte. Bei dem Trommelanker sind die Wicklungen über den Mantel eines Zylinders so gezogen, daß die erregende Einwirkung der Polmagnete fast vollständig ausgenutzt werden kann.

Mit diesem »Wunderknäuel«, wie man Hefner-Altenecks Erfindung bei ihrem ersten Auftreten nannte, hatte die Dynamomaschine die Form bekommen, in der sie noch heute benutzt wird. Die Abmessungen aber, wie sie in unseren Tagen bei den gewaltigen Turbogeneratoren erreicht worden sind, hat wohl auch Werner Siemens noch in seinen letzten Lebensjahren kaum geahnt.

Elektrische Bahnen

Die Übertragungsfähigkeit der elektrischen Energie, der Wilhelm Siemens bald nach Erfindung der Dynamomaschine eine so große Zukunft vorausgesagt hatte, sollte wirklich bald in besonderer Weise ausgenutzt werden.

Die Dynamomaschine hat den außerordentlichen Vorzug, daß sie umkehrbar ist. Im Anker wird Strom erzeugt, wenn man ihn gewaltsam innerhalb des Felds der feststehenden Polmagnete dreht. Führt man aber dem Anker von außen her Strom zu, so setzt er sich mit bedeutender Kraft in Bewegung und ist imstande, Maschinen zu drehen. Man sprach im Beginn von »sekundären Dynamomaschinen«, denen man Strom zuführte; heute nennen wir diese Maschinen Elektromotoren. Setzt man einen solchen Elektromotor auf ein Fahrgestell, so vermag er, sobald man ihm Strom zuführt, die Räder des Fahrgestells in Bewegung zu setzen und kann auf diese Weise Wagen befördern.

Die erste Anregung zur Herstellung elektrischer Bahnen wurde indirekt durch den im vorigen Abschnitt erwähnten Vortrag von Wilhelm Siemens gegeben.

Der Baumeister Westphal in Kottbus hatte von dem Vorschlag Wilhelm Siemens' gehört, die Kraft der Niagarafälle zu übertragen. Er war nicht so skeptisch wie die Engländer und fragte darum bei Werner Siemens in Berlin an, ob es nicht möglich wäre, die Energie verbrennender Braunkohle aus seinem Wohnbezirk nach Berlin zu übertragen. Hiermit wurde ein Gedanke ausgesprochen, der ja heute eine sehr bedeutende praktische Nutzanwendung gefunden hat. Aber damals waren noch keine Möglichkeiten vorhanden, eine ökonomische Fernleitung elektrischer Energie über so weite Strecken herzustellen, da man die Vorzüge der Hochspannung noch nicht kannte und sie technisch auch nicht hätte beherrschen können. Aber aus den Verhandlungen mit Werner Siemens entstand schließlich die Idee, die elektrische Kraftübertragung wenigstens dazu zu benutzen, um die Kohle mittels elektrischer Kraft auf Schienen über das Grubengebiet des Herrn Westphal selbst zu transportieren.

Werner Siemens ging gleich daran, eine kleine, schmalspurige elektrische Bahn zu konstruieren. Sie ist niemals in einer Kohlengrube gefahren, aber sie wurde doch die erste elektrische Bahn der Welt, die in Betrieb gesetzt wurde.

Schon im Jahre 1834 hatte Jacobi in Petersburg versucht, ein Boot mittels einer magnet-elektrischen Maschine anzutreiben. Der Strom wurde einer Batterie entnommen. Aber das Zink, das hierbei elektrolytisch verbraucht wurde, war ein viel zu teures Brennmaterial. 1835 konstruierten dann die Ingenieure Strathing und Becker in Gröningen eine magnet-elektrische Lokomotive. Auch diese Versuche führten zu keinem Ergebnis. 1841 erließ der Deutsche Bund ein Preisausschreiben für die Konstruktion einer elektrischen Lokomotive. Ein Erfolg konnte hier ebenfalls nicht erzielt werden, weil die geeignete Antriebsmaschine noch fehlte. Erst die Dynamo schuf auch hier eine fördernde Möglichkeit.

Im Jahre 1879 fand in Berlin eine Gewerbeausstellung statt. Werner Siemens, der möglichst schnell das hochinteressante Zusammenarbeiten einer primären mit einer sekundären Dynamomaschine zeigen wollte, benutzte die Anlage, die er eigentlich für die Braunkohlengrube in Kottbus gebaut hatte, dazu, um auf dem Ausstellungsgelände eine elektrische Bahn einzurichten. Es wurde ein in sich geschlossenes ovales Gleis von 600 Metern Länge hergerichtet. Darauf verkehrte ein Zug, der aus drei offenen Wagen bestand; auf jedem von ihnen fanden acht Personen Platz. Zum Antrieb wurde eine kleine vierrädrige elektrische Lokomotive benutzt, die nur aus dem Fahrgestell und dem darauf liegenden Elektromotor bestand. Auf dessen Rücken befand sich der gleichfalls offene Führersitz.

Die Bahn fuhr mit einer Stundengeschwindigkeit von 24 Kilometern. Der Strom wurde mittels Schleiffedern von einer mittleren Schiene abgenommen. Die Fahrschienen dienten als Rückleitung.

Der kleine elektrische Zug lief ganz vorzüglich. Aber selbst in Fachkreisen erkannte man die Wichtigkeit dieses Versuchs nicht. Die Zeitschrift »Der Techniker« schrieb im Jahre 1880 am Schluß ihrer Schilderung der Siemensschen elektrischen Bahn: »Als ausgeführtes Beispiel der Umwandlung von mechanischer Kraft in elektrische und zurück in mechanische Kraft war die elektrische Eisenbahn interessant, wenn wir auch sonst vorderhand noch keinen weittragenden Nutzen ersehen.« Und dieses Urteil wurde ausgesprochen, obgleich die Bahn in der Zeit vom 31. Mai bis zum 30. September 1879 86398 Fahrgäste befördert hatte.

Werner Siemens dachte jedoch mit seinem weit vorausschauenden Geist ganz anders über die Zukunft dieser seiner Schöpfung. Er wollte sie sofort auf das gründlichste in einer umfangreichen Anlage ausnutzen. Schon im Jahre 1880 reichte er den Entwurf für eine große Hochbahnlinie in Berlin ein.

 

In Ney York waren damals gerade die ersten Hochbahnen in Betrieb genommen worden, weil es dort nicht mehr möglich war, den gesamten Verkehr durch Bahnen in Straßenhöhe zu bewältigen. Die Züge wurden auf den Viadukten von Dampflokomotiven gezogen. Werner Siemens sah klar ein, daß der elektrische Antrieb innerhalb einer Stadt große Vorteile bieten mußte, weil die Belästigung der Straßenanwohner durch den Rauch und der Passanten durch herabtropfendes Wasser sowie das puffende Geräusch des ausgestoßenen Dampfs hier fortfallen mußten. In einem Vortrag, den er am 27. Januar 1880 im Elektrotechnischen Verein zu Berlin hielt, sagte er:

»Meinerseits halte ich es für eine Großstadt für eine absolute Notwendigkeit, außer den Straßenflächen für die Wagen und Fußgänger noch eine zweite Kommunikationsetage für den schnellen Verkehr zu haben. Sie sehen, wie mit dem steigenden Verkehr sich unsere belebteren Straßen schon jetzt täglich mehr verstopfen; es ist oft kaum mehr durchzukommen, und kein Konstabler kann das ändern. Wie soll das werden nach 10, 20, 50 Jahren!

»Die Statistik über die Zunahme des Verkehrs berechtigt uns, mit der vollsten Bestimmtheit zu sagen, daß die Straßenfläche demselben schon in der nächsten Zeit nicht mehr genügen kann. Eine Abhilfe muß gefunden werden, wenn das auf wachsenden Verkehr sich gründende großstädtische Leben nicht verkümmern und die weitere Entwicklung der Reichshauptstadt nicht vollständig gehemmt werden soll.

»Es muß also notwendig für Berlin ein neues Kommunikationsnetz für schnellen Personen- und Güterverkehr geschaffen werden, welches den Straßenverkehr nicht hindert und durch ihn nicht gehindert wird …

»Berlin ist die Geburtsstätte der dynamo-elektrischen Maschine und der elektrischen Eisenbahn – es sollte daher auch der Welt mit der Anlage eines Systems elektrischer Hochbahnen vorangehen, dem es sich auf die Dauer doch nicht wird entziehen können! Ich bitte Sie, meine Herren, zur Realisierung dieses Vorschlages mitzuwirken!«

Er empfahl nun, die Stadtbahn, die damals gerade gebaut wurde, durch ein Netz von nordsüdlich gerichteten, elektrisch betriebenen Radiallinien auf eisernen Viadukten zu ergänzen. Die erste und Hauptlinie sollte durch die Friedrichstraße hindurchgeführt werden. Hier sollten an den Bordschwellen auf beiden Seiten der Straße eiserne Säulen errichtet werden, die eine schmale Fahrbahn, nicht breiter als das Gleis selbst, tragen sollten. Siemens drückte sich sehr optimistisch über die Geringfügigkeit des Geräuschs aus, das die fahrenden Züge entwickeln würden, und befürchtete auch keine besondere Verunstaltung der Straßen.

Aber das Projekt scheiterte an dem Widerspruch der Hausbesitzer. Der Kaiser legte gleichfalls sein Veto ein, insbesondere, weil die Hochbahnkreuzung die Straße Unter den Linden, diese historische Via triumphalis, für immer verunstaltet hätte.

Der Plan blieb unausgeführt, und erst im Jahre 1896 begann man in Berlin mit dem Bau von Schnellbahnen. Es war die Firma Siemens & Halske, die damals die erste Hochbahnlinie im Osten der Stadt anlegte. 1902 wurde sie eröffnet, und daran schloß sich der bekannte rasche Ausbau des Berliner Schnellbahnnetzes über und unter der Erde.

Dem damaligen Stand der Technik entsprechend, war Werner Siemens der Meinung gewesen, daß in dem höchst ungeeigneten Boden von Berlin Untergrundbahnen niemals würden angelegt werden können. »Sehen wir auf Berlin,« sagte er, »so müssen wir sagen, unsere Urväter, die Fischer, die in den Dörfern Berlin und Kölln lebten, haben insofern eine schlechte Wahl getroffen, als sie sich an einem Platz niedergelassen haben, wo der Grundwasserstand sehr hoch liegt. Ein paar Fuß unter der Erde stoßen wir auf Grundwasser. An einem solchen Orte sollte eigentlich keine große Stadt angelegt werden; man sollte eine solche immer in einer solchen Höhe anlegen, daß ein gutes unterirdisches Kommunikationsnetz sich schaffen ließe. Könnten wir das, so wäre alle Not vorüber, und Berlin könnte sich unbehindert weiter entwickeln. Das ist uns aber abgeschnitten; kein Baumeister wird so kühn sein und im Grundwasser ein Eisenbahnnetz ausführen wollen durch Bauten wie der Themsetunnel; das würde unermeßliche Kosten machen und doch nicht vollständig durchführbar sein.« Hier hat sich der große Mann über die Zukunftsmöglichkeiten getäuscht.

Damals machte Werner Siemens gleich noch einen zweiten Vorschlag für die Anwendung des Elektromotors im Bahnbetrieb. Auch für diesen ist erst die heutige Zeit reif geworden. Er wollte schmale, niedrige Tunnel neben den Eisenbahnlinien herrichten, in denen die Post auf kleinen elektrisch angetriebenen Wägelchen ihre Sendungen unabhängig von der Bahn befördern sollte. Die Post würde dadurch vom Zugverkehr unabhängig geworden sein, und es wäre ein häufigerer Austausch von Briefen zwischen den verschiedenen Orten möglich geworden. Heute besteht in der Tat der bereits ziemlich greifbar gewordene Plan, solche Posttunnel für elektrischen Betrieb unter dem Berliner Pflaster einzurichten. Vermutlich werden die ersten Linien in nicht allzu ferner Zeit gebaut werden.

Die Möglichkeit, die erste elektrische Bahn für praktischen Betrieb innerhalb Berlins zu erbauen, war Werner Siemens also genommen. Er stand deshalb jedoch nicht davon ab, einen Versuch mit der neuen Einrichtung, wenn auch in kleinerem Maßstab, zu machen.

Am 12. Mai 1881 wurde die erste elektrische Bahn auf der Erde eröffnet, die dem öffentlichen Verkehr diente. Die Linie führte von der Hauptkadettenanstalt in Lichterfelde nach dem Bahnhof der Anhaltischen Bahn in diesem Ort. Auch diesmal fehlte es nicht an ironischem Spott kurzsichtiger Leute. Eine Zeitschrift schrieb, der einzige Zweck dieser merkwürdigen Bahnanlage sei, die künftigen preußischen Feldmarschälle durch den märkischen Sand zu fahren. Daß sie die Urzelle einer unabsehbaren Entwicklung sein würde, sah der überlegen denkende Verfasser nicht.

Die Linie war auf einem eigenen Bahnkörper geführt. Zur Hin- und Rückleitung des Stroms diente je eine der Fahrschienen. Sie waren ohne weitere Isolierung auf hölzernen Querschwellen verlegt, obgleich die Spannung des Stroms 180 Volt betrug. Der Motor war bei dieser Bahn bereits unter dem Wagenkasten aufgehängt, die Kraft wurde von der Motorwelle durch Spiralschnüre auf beide Radachsen übertragen. An den Wochentagen wurde die Linie nicht sehr stark in Anspruch genommen, aber am Sonntag hatte sie einen sehr lebhaften Verkehr, weil die Berliner neugierig hinausströmten, um auch einmal eine Fahrt auf diesem abenteuerlichen Verkehrsmittel, in diesem »Wagen ohne Pferde« zu machen.

In demselben Jahr noch wurde ein bedeutender Fortschritt auf dem Gebiet der elektrischen Bahnen getan. Siemens erbaute eine solche Bahn auch auf der Weltausstellung in Paris, und hier kam zum erstenmal die oberirdische Stromzuführung in Anwendung.

Durch diese Anordnung erst wurde es möglich, die elektrisch angetriebenen Bahnen auch über öffentliche Straßen zu führen. Denn nun bestand nicht mehr die Gefahr, daß Menschen oder Tiere dadurch verletzt werden könnten, daß sie bei gleichzeitiger Berührung von zwei stromführenden Schienen in die Spannung gerieten. Jene erste »Oberleitung« hatte eine recht schwerfällige Form. Sie bestand nämlich aus einem unten aufgeschlitzten Rohr, in das ein Kontaktstück eingelegt war. Dieses wurde vom Wagen nachgezogen.

Als im nächsten Jahr Groß-Berlin durch Siemens & Halske seine erste elektrische Straßenbahn erhielt – es war dies die Linie Charlottenburg-Spandauer Berg – war die oberirdische Leitungsführung wieder geändert. Man hatte hier zur Seite der eingleisigen Bahn an Telegraphenstangen zwei starke Kupferdrahtseile nebeneinander aufgehängt. Auf diesen Seilen lief ein kleiner vierrädriger Wagen; von diesem führte eine biegsame Doppelleitung zum Dach des Wagens hinunter, der an diesen Leitungen zugleich den Kontaktwagen hinter sich herzog.

Beide Oberleitungsarten wirkten sehr unschön. Sie verunstalteten die Straßen erheblich und sind die Ursache gewesen, daß die Weiterentwicklung der elektrischen Bahnen trotz einzelner weiterer Versuche in Europa sehr bald ins Stocken geriet. Amerika nahm sich dieses Verkehrsmittels jedoch sehr energisch an, und hier wurde zum erstenmal die Stromabnahme durch einen schräg gestellten Arm mit Kontaktrolle eingeführt. Erst viele Jahre später begann man, unter der Führung Emil Rathenaus, die elektrischen Bahnen in ihrem Ursprungsland weiter auszubauen, obgleich Werner Siemens schon im Jahre 1887 den Gleitbügel erfunden hatte.

Von ihm wurde auch die erste Grubenbahn in dem Bergwerk Zauckerode erbaut, und seine Firma führte im Jahre 1889 die erste Straßenbahn mit unterirdischer Stromzuführung in Budapest aus.

Welche Bedeutung die elektrischen Bahnen, deren Urheber Werner Siemens ist, heute erlangt haben, ist bekannt. Der Nutzen der Straßenbahnen beschränkt sich aber nicht darauf, daß sie eine schnellere Beförderung als die Pferdebahnen ermöglichen, sondern sie üben auch auf den Ausbau der Weltstädte, ihre Wohnungsverhältnisse, die Gesundheit ihrer Einwohner einen außerordentlich fördernden und bessernden Einfluß aus. Niemals hätten die Weltstädte ihre Straßen über ein so weites Gebiet erstrecken können, wenn nicht die bequeme und schnelle Beförderung nach dem Mittelpunkt durch die elektrischen Bahnen möglich gewesen wäre. Das billige und schnelle Verkehrsmittel gestattet auch den Minderbemittelten ein Wohnen in luftigen Außenbezirken, weitab von ihrem Arbeitsort. Die volkshygienisch so wichtige Gartenstadtbewegung hängt eng mit dem Ausbau der elektrischen Bahnen zusammen.

Diese beschränken sich heute schon nicht mehr auf den Kleinverkehr in den Straßen, sondern die elektrische Lokomotive hat sich jetzt bereits auch die Fernbahnen erobert. In allen Ländern, auch in Preußen, sind ausgedehnte Versuche mit elektrischer Zugförderung auf großen Fernbahnstrecken gemacht worden, und man kann heute schon sagen, daß der elektrische Betrieb ökonomisch und technisch dem Dampfbetrieb auch auf großen Linien überlegen ist. Länder, die reich an Wasserkräften sind, wie Schweden und die Schweiz, bauen in größerem Maßstab ihr Bahnsystem für elektrischen Antrieb um, weil sie auf diese Weise die billig zur Verfügung stehende Naturkraft des fallenden Wassers ausnutzen können.

Im Jahre 1906 wurde durch einen epochalen Versuch gezeigt, daß mit elektrischem Antrieb Fahrgeschwindigkeiten erreicht werden können, welche die Dampflokomotive nicht zu leisten vermag. Damals taten sich die führenden elektrischen Firmen Deutschlands, Siemens & Halske und die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, zu Schnellfahrversuchen zusammen, für welche die Verwaltung der preußischen Staatsbahnen die Strecke Marienfelde-Zossen zur Verfügung gestellt hatte. Es wurden hier Geschwindigkeiten von über 200 Kilometern in der Stunde erreicht und damit bewiesen, daß der Elektromotor fähig ist, Züge mit einer so außerordentlichen Schnelligkeit über die Strecke zu befördern. Das Ergebnis dieses Versuchs ist bis heute noch nicht praktisch ausgenutzt worden, aber es schlummern in ihm große Zukunftsmöglichkeiten.

Sobald das Verkehrsbedürfnis es erfordern wird, dürften besondere, mit nur sehr schwachen Krümmungen versehene Strecken erbaut werden, und auf ihnen wird ein Zugverkehr mit dem Doppelten der heute üblichen Schnellzugsgeschwindigkeit stattfinden können. Die großen Verkehrszentren werden dann einander außerordentlich viel näher rücken.

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