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Werner von Siemens

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Der glänzende Erfolg, den die Frankfurter Telegraphenlinie hatte, führte dazu, daß Siemens sogleich einen weiteren großen Auftrag erhielt, nämlich den, eine Leitung von Berlin nach Köln und dann weiter an die belgische Grenze bis Verviers zu verlegen. Auch hier wurde er aller Schwierigkeiten rasch Herr, und als der Anschluß an die inzwischen gebaute belgische Telegraphenlinie in Verviers erreicht war, erhielt er eine Einladung nach Brüssel, um dort vor dem König Leopold und der ganzen königlichen Familie einen Vortrag über elektrische Telegraphie zu halten.

Die so entstandene Linie Köln-Brüssel zerstörte schonungslos das blühende Geschäft eines Manns, der bis dahin eine Taubenpost zwischen den beiden Orten unterhalten hatte. Der Mann hieß Reuter. Als er und seine Frau sich bei Siemens darüber beklagten, daß ihre Existenz nun vernichtet sei, erzählte dieser ihnen, daß ein Herr Wolff soeben in Berlin mit Hilfe seines Vetters, des schon erwähnten Justizrats Siemens, ein Depeschenvermittlungsbureau begründet habe. Sie sollten doch nach London gehen und dort ein gleiches Bureau eröffnen. Das Ehepaar folgte diesem Rat, und das Unternehmen hatte den denkbar größten Erfolg. Wem früher in Deutschland das Reutersche Telegraphenbureau nicht bekannt gewesen ist, der hat es während des Weltkriegs sicher zur Genüge kennen gelernt.

Der Bau der Linie von Köln zur belgischen Grenze machte es auch notwendig, ein Telegraphenkabel durch den Rhein zu legen. Bei dem regen Schiffsverkehr auf diesem Strom schien eine einfache Umwehrung der Leitung mit eisernen Drähten nicht genügend, da die Gefahr vorlag, daß schleppende Anker großer Schiffe sie zerreißen könnten. Siemens ließ daher für den Rhein eine biegsame Eisenröhre herstellen, die aus einzelnen Gliedern bestand; durch das Innere der Röhre wurde die isolierte Leitung hindurchgezogen. Vor die Röhrenkette wurde eine schwere Ankerkette gespannt, die schleppende Anker aufhalten sollte. Es war die erste größere Flußüberquerung durch den Telegraphen, die hier hergestellt wurde, und sie hat sich so vorzüglich bewährt, daß sie noch vollkommen brauchbar war, als sie nach vielen Jahren aufgenommen wurde, nachdem man eine neue Leitung über die inzwischen errichtete feste Eisenbahnbrücke gelegt hatte. An der Schutzkette fand man eine Menge abgerissener Schiffsanker hängen; die Sicherung hatte also vollständig ihre Schuldigkeit getan.

Da Aufträge zur Einrichtung von telegraphischen Leitungen an Siemens jetzt in immer größerer Zahl herantraten, so mußte er sich nunmehr dazu entschließen, seinen Abschied vom Militär zu nehmen. Er erhielt ihn als Premierleutnant »mit der Erlaubnis, die Uniform als Armeeoffizier mit den vorschriftsmäßigen Abzeichen für Verabschiedete zu tragen«. Die Genehmigung des Abschiedsgesuchs enthielt eine tadelnde Bemerkung, weil Siemens sich eines Formfehlers schuldig gemacht hatte. Da er sich trotz mancherlei Krankheitsanfällen, denen er damals unterworfen war, kräftig genug fühlte, ganz auf eigenen Füßen zu stehen, so verzichtete er auf die ihm nach zwölfjährigem Offiziersdienst zustehende Pension. Dem schaffensstarken Mann, der wohl dunkel fühlte, daß er am Anfang einer großen Laufbahn stand, paßte es nicht, ein vorschriftsmäßiges Invaliditätsattest einzureichen. »Mit leeren Händen, wie ich in den Dienst gegangen bin,« so schreibt er damals in einem Brief, »habe ich ihn auch wieder verlassen und bin zufrieden damit.« Aus dieser Äußerung geht auch hervor, daß das Geschäft bis dahin geldlich nicht sehr erfolgreich gewesen war, und so ist es auch noch längere Zeit hindurch geblieben.

Siemens war sich jetzt auch schon der Bedeutung dessen, was er auf dem Gebiet der Telegraphie bisher geleistet hatte, so weit bewußt, daß er eine zusammenfassende Abhandlung darüber verfaßte. Er legte sie im April 1850 unter dem Titel »Mémoire sur la télégraphie électrique« der Pariser Akademie der Wissenschaften vor, deren Votum ja damals eine überragende Bedeutung besaß. Es waren sehr bedeutende Männer, die handelnd in der Sitzung auftraten, in welcher das Siemenssche Memoire vorgelegt wurde. Regnault erstattete den Bericht; Du Bois-Reymond und der Autor selbst waren als Gäste zugegen. Als Opponent trat Leverrier, der große Errechner des Neptuns, auf, während Arago als Sécrétaire perpétuel den Vorsitz führte. Die Arbeit wurde für würdig erachtet, in die »Savants étrangers« aufgenommen zu werden.

Im Vaterland aber gab es gerade zu dieser Zeit schwere Mißhelligkeiten, die eine Zeitlang drohten, das junge, von Siemens ins Leben gerufene Unternehmen zu vernichten.

Nachdem nämlich die von ihm gelegten unterirdischen Leitungen eine Weile die besten Dienste getan hatten, begannen sie plötzlich zu versagen. Überall zeigten sich Leitungsstörungen. Siemens erkannte den Grund sofort, ja er sah nur die Voraussage erfüllt, die er gleich zu Beginn der Leitungslegung gemacht hatte.

Er war damals, wie wir wissen, wider seinen Willen von der Telegraphenverwaltung hart bedrängt worden, so schnell wie möglich die Verbindungen herzustellen. Schützende Umhüllungen über der Guttapercha anzubringen, hatte man ihm trotz seines dringenden Vorschlags wegen der zu hohen Kosten verwehrt. Die Leitungen waren auch nur in geringe Tiefen unter dem Boden eingesenkt und noch dazu mit einer isolierenden Masse umgeben, die durch Schwefelbeimischung verschlechtert war. Nun waren an vielen Orten die Leitungen von Eisenbahnarbeitern beschädigt worden, und man hatte die Fehlerstellen nur unsachgemäß ausgebessert, da kein geschultes Personal hierfür zur Verfügung gestellt wurde. Nagetiere hatten vielfach die Drähte angefressen. Kurz, es begann ein sicherer Verfall der gesamten Anlagen.

Die Telegraphenverwaltung mit Herrn Nottebohm an der Spitze schob die ganze Schuld auf den technischen Leiter. Da setzte sich Werner Siemens zur Wehr und schrieb eine umfassende Broschüre mit dem Titel: »Kurze Darstellung der an den preußischen Telegraphenlinien mit unterirdischen Leitungen gemachten Erfahrungen«. Er wies darin nach, daß die Störungen notwendigerweise eintreten mußten, weil man seinerzeit seine Wünsche und Ermahnungen nicht beachtet hatte. Damit wurde indirekt ausgedrückt, daß die Verwaltung schwere Fehler gemacht hatte, und die Folge war, daß der Telegraphenbauanstalt von Siemens & Halske für viele Jahre alle Staatsaufträge entzogen wurden. Das hätte zu einer Katastrophe für das junge Unternehmen führen müssen, wenn nicht die damals noch nicht verstaatlichten Eisenbahnen größere Bestellungen auf Telegraphenleitungen und elektrische Läutewerke gemacht hätten. Außerdem aber wurde Siemens nun auch mehr gezwungen, sich um Aufträge aus dem Ausland zu bemühen, und das legte den Grund für die künftige Ausbreitung des Geschäfts über die ganze Erde.

Ein besonders interessanter und wichtiger Auftrag kam jedoch gerade in dieser Zeit, nämlich im Jahre 1851, aus nächster Nähe, aus Berlin. Hier wollte man den inzwischen schon bewährten Telegraphen für eine große Sicherheitsanlage nutzbar machen. Siemens & Halske bauten damals die erste Feuermeldeanlage für Berlin, die zugleich mit einem Polizeitelegraphen verbunden war. Die Aufgabe war mit ihren mannigfachen technischen Ansprüchen interessant, und sie wurde vorzüglich gelöst. Es waren 45 Stationen einzurichten und 6 Meilen Leitung zu verlegen. Zum erstenmal wurden hierbei die Drähte in nahtlose Bleimäntel eingeschlossen, was heute ja bei Kabeln allgemein üblich ist. Freilich geschieht die Herstellung des Bleimantels in jetziger Zeit nach einer anderen Methode. Für die ganze Anlage erhielt die Firma die Summe von 34000 Talern.

Im gleichen Jahr wurde die erste in London veranstaltete Ausstellung beschickt. Siemens & Halske wurden durch die »Council medal« belohnt, eine Auszeichnung, die außer ihnen nur noch zehn Aussteller aus dem Gebiet des Deutschen Zollvereins erhielten.

Doch was Siemens so gern wollte, nämlich seinen Fabrikaten Eingang in England zu verschaffen, gelang trotzdem nicht. Er vermochte gegen die Electric Telegraph Company nicht aufzukommen.

Aber aus Rußland kamen bald sehr wertvolle Aufträge. Dieses Land hat Siemens Gelegenheit zu einer technisch und wissenschaftlich gleich bedeutenden Betätigung gegeben. Andererseits verdankte damals Rußland dem Deutschen die Ausrüstung mit einem so vorzüglichen Telegraphensystem, wie es von keiner anderen Stelle her zu erlangen gewesen wäre.

Bevor Werner Siemens zum erstenmal russischen Boden betrat, warb er auf der Reise dorthin in Königsberg um die Hand seiner Kusine Mathilde Drumann, die er vor Jahren in Berlin kennen gelernt hatte, als ihre Mutter dort plötzlich auf der Durchreise verschieden war, und die er seither im Herzen behalten hatte. Am 1. Oktober 1852 fand die Hochzeit statt. Doch schon nach wenigen Jahren wurde die sehr glückliche Ehe durch das Dahinscheiden der jungen Gattin zerstört.

Bauten in Rußland

Schon seit dem Jahre 1848 hatte die russische Regierung mit Siemens & Halske über den Ankauf von Telegraphenapparaten verhandelt. Drei Jahre später erwarb die Regierung 75 Apparate für die erste in Rußland gebaute Telegraphenlinie von Petersburg nach Moskau. Nun begab sich Werner Siemens nach Petersburg, um weitere Verhandlungen zu führen.

Die Reise dorthin entbehrte durchaus jeglicher Bequemlichkeit. In den »Lebenserinnerungen« heißt es: »Es gab damals noch keine andere Reiseform in Rußland als die Extrapost. Diese war auf den Hauptstraßen recht gut organisiert, natürlich den Verhältnissen entsprechend. Durchschnittlich alle zwanzig bis dreißig Werst – eine Werst ist etwas mehr als ein Kilometer – waren auf den Poststraßen feste Häuser mit Stallungen gebaut, in denen man Unterkunft und Pferde fand, wenn solche disponibel waren und man einen Regierungsbefehl an die Posthalter hatte, durch den sie angewiesen wurden, dem Reisenden gegen Zahlung der Taxe Postpferde für eine bestimmte Reise zu geben.

 

»War man im Besitz einer solchen Order – Podoroschna genannt – so erhielt man, falls man keine eigene Equipage hatte, einen kleinen vierräderigen Bauernwagen ohne Federn, Überdeck oder sonstigen Luxus, bespannt mit drei, gewöhnlich nicht schlechten Pferden, von denen das mittlere in eine Gabeldeichsel eingeschirrt, und die beiden äußeren mit einer Wendung nach außen angespannt waren …

»Eine solche Postreise will erst gelernt sein. Man muß ganz frei und stark vorgebeugt auf seinem Koffer sitzen, damit das eigene Rückgrat die Feder bilde, die das Gehirn vor den heftigen Stößen der Räder auf den meist nicht allzu guten Straßen schützt. Versäumt man diese Vorsicht, so bekommt man unfehlbar bald heftige Kopfschmerzen. Man gewöhnt sich jedoch ziemlich schnell an diese Reiseform, die auch ihre Reize hat, lernt es sogar bald, ganz fest in der wiegenden Stellung zu schlafen, und begegnet dabei instinktiv allen Unbilden der Straße durch zweckmäßige Gegenbewegungen.

»Wenn zwei Reisende eine solche »Telega« benutzen, pflegen sie sich durch einen Gurt zusammenzuschnüren, damit ihre Schwankungen so reguliert werden, daß sie nicht mit den Köpfen aneinander stoßen. Ich habe übrigens gefunden, daß das Telegenreisen ganz gut bekommt, wenn man es nicht übertreibt. Freilich Kurieren, die wochenlang ohne Unterbrechung Tag und Nacht auf der Telega sitzen müssen, sollen diese Reisen oft den Tod gebracht haben.«

Kaum in Petersburg angekommen, erkrankte Siemens schwer an den Masern, denen eine heftige Nierenentzündung folgte; diese hielt ihn für längere Zeit ans Bett gefesselt. Geschäftlich aber hatte er Glück, denn es gelang, den Auftrag für eine unterirdische Telegraphenlinie von Petersburg nach Oranienbaum zu erhalten, an die sich ein Kabel durch den Finnischen Meerbusen nach Kronstadt anschließen sollte. Der Bau wurde bis zum Herbst des Jahres 1853 zur größten Zufriedenheit des damals unter der Regierung des Kaisers Nikolaus I. allmächtigen Ministers der Wege und Kommunikationen, des Grafen Kleinmichel, vollendet. Das Kronstadter Kabel nennt Siemens selbst die erste submarine Telegraphenlinie auf der Erde, die brauchbar geblieben ist. In Wirklichkeit aber war schon zwei Jahre vorher von Crampton ein Kabel durch den englischen Kanal gelegt worden, das gleichfalls mit Eisendrähten armiert gewesen ist und recht gut gehalten hat. Jedenfalls aber tritt hier der künftige geistige Schöpfer der Unterseetelegraphie zum erstenmal mit der großen Aufgabe in Berührung, die er ganz selbständig löst.

Im Jahre 1853 wurde der Firma Siemens & Halske gleich eine weitere Telegraphenlinie in Auftrag gegeben, die von Warschau zur preußischen Grenze führen sollte. Als Werner Siemens sich bei dieser Gelegenheit zum zweitenmal nach Rußland begab, lernte er die dort herrschenden politischen Zustände gründlich kennen.

Schon in Berlin hatte er zu seiner Verwunderung Mühe, das Visum seines Passes von der russischen Gesandtschaft zu erhalten. Als er an der russischen Grenzstation anlangte, wurde sein Gepäck nach Abfertigung aller übrigen Reisenden mit einer höchst verletzenden Sorgfalt durchsucht, und er überhaupt wie ein Verdächtiger behandelt. Als Siemens daraufhin sein Gepäck zurückverlangte, um nach Haus umzukehren, weil ihm eine solche Behandlung nicht paßte, erklärte man ihm, daß dies nicht anginge; er müsse vielmehr nach Warschau weiterreisen. Er war also russischer Staatsgefangener. Erst auf seine Beschwerde von Warschau aus durfte er nach Petersburg fahren, und dort erfuhr er vom Grafen Kleinmichel, daß aus Kopenhagen eine Meldung eingelaufen sei, die ihn als einen politisch verdächtigen Menschen kennzeichnete. Siemens meint, daß diese Kopenhagener Anzeige wohl der Dank der Dänen für die Minenlegung im Kieler Hafen und den Bau der Eckernförder Batterie gewesen sei.

In späterer Zeit wurde er noch einmal von der brutalen russischen Gewalt in ähnlicher Weise angepackt. Als er in Petersburg mit dem allmächtigen Minister den Bau einer besonders wichtigen Linie besprochen hatte, wollte ihn dieser einfach nicht mehr fortlassen, bis die Linie beendet wäre. Man hatte also die Absicht, ihn für absehbare Zeit einfach in der russischen Hauptstadt zu internieren. Zum Glück kam damals der Prinz von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I., zum Besuch an den Zarenhof. Werner Siemens suchte um eine Audienz nach und wurde von dem Prinzen sehr freundlich empfangen. Dieser sagte, daß ihm die Pfosten der neuerbauten Telegraphenlinie von der Grenze bis Petersburg das Geleit gegeben und ihm die freudige Gewißheit verschafft hätten, daß er mit der Heimat in ständiger Verbindung sei. Der Erfolg der Audienz war, daß nun der Paß für die Rückreise sofort ausgestellt wurde.

Schon die Linie Warschau-Preußische Grenze machte es notwendig, ein besonderes Petersburger Bureau einzurichten. An seine Spitze wurde Karl Siemens gestellt, der vorher bereits für die Firma in Paris tätig gewesen war und sich dort vorzüglich bewährt hatte.

Als der damals erst vierundzwanzigjährige Karl in Petersburg ankam, war Graf Kleinmichel über diesen neuen Leiter des wichtigen Telegraphenbaus sehr enttäuscht. Um die Fähigkeiten des jungen Manns zu prüfen, stellte er ihm sofort eine Aufgabe.

Karl Siemens sollte ausfindig machen, wie man die Telegraphenlinie von Oranienbaum her in das Turmzimmer des Kaiserlichen Winterpalais einführen könnte, ohne an dem prächtigen Gebäude störende Arbeiten vorzunehmen. An dieser Stelle war bisher die Endstation des optischen Telegraphen gewesen. Die russischen Offiziere hatten keinen anderen Rat für die Emporführung der nun erforderlichen Drahtleitung zu geben gewußt als den, daß man große Rinnen in das Mauerwerk schlagen sollte.

Karl betrachtete den turmartig ausgebauten Erker, und es fiel ihm sofort auf, daß in einer der Turmecken keine Wasserrinne niederführte. Er erklärte dem Grafen Kleinmichel, daß man in dieser leeren Ecke nur ein ebensolches Regenrohr anzubringen brauche, wie es in den anderen Ecken niederlaufe, um dann in diesem die isolierte Telegraphenleitung unsichtbar hinaufzuführen. Das imponierte dem Grafen sehr. Er schimpfte auf seine Offiziere, die keine Lösung gewußt hätten, und sagte: »Nun muß so ein junger, bartloser Mensch kommen, und sieht auf den ersten Blick, wie leicht die Sache zu machen ist.« Fortab hatte Karl das Vertrauen des Ministers im höchsten Grad gewonnen und ward sein Vertrauter. Kleinmichel tat bald nichts mehr ohne den »Prußky Ingener Siemens«.

Ein großes politisches Ereignis brachte neue umfangreiche Aufträge. Im Jahre 1854 brach der Krimkrieg aus, in dem Rußland gegen die Türkei und deren Verbündete, England, Frankreich und das Königreich Sardinien, kämpfen mußte. Nun hatte das Zarenreich den dringenden Wunsch, den Willen der Zentralverwaltung rasch überallhin übermitteln zu können, und wollte möglichst schnell weitere Telegraphenlinien ausgebaut haben. Zunächst sollte Gatschina und damit Petersburg mit Warschau verbunden werden. Werner Siemens stellte einen sorgfältig durchdachten Plan für die Leitungslegung auf, und zur nicht geringen Verwunderung der Russen, die an gut organisierte Arbeit nicht gewöhnt waren, wurde die 1100 Werst lange Strecke in sechs Wochen fertiggestellt. Als man dem Grafen Kleinmichel die Meldung von der Vollendung der Linie zur versprochenen Zeit brachte, wollte er die Nachricht nicht glauben. Er begab sich sofort selbst zu der Station im Telegraphenturm des Winterpalais und ließ sich mit dem Stationschef in Warschau verbinden. Erst als dieser augenblicklich Antwort gab, glaubte der Minister an die Fertigstellung der Leitung und erstattete dem Zaren darüber Bericht. Auf dieser Linie gelangte zum erstenmal das von Werner erfundene automatische Schnelltelegraphensystem mit dem Dreitastenlocher zur Anwendung.

Die glückliche Vollendung dieser Linie brachte weitere große Bestellungen, die infolge der durch den Krieg geschaffenen Lage nur mit unsäglichen Schwierigkeiten ausgeführt werden konnten. Am fatalsten war ein Auftrag, der die Legung einer Telegraphenlinie bis in die bereits belagerte Festung Sebastopol verlangte.

Um Mitternacht wurde Werner Siemens von einem Gehilfen des Grafen Kleinmichel aufgesucht, der ihm eröffnete, der Kaiser habe den Bau einer telegraphischen Verbindung mit Sebastopol befohlen, und der Minister wünsche Angabe der Kosten und des Vollendungstermins bis zum nächsten Morgen um sieben Uhr. Als Siemens nach durcharbeiteter Nacht zur angegebenen Zeit bei dem Grafen Kleinmichel erschien, wurde ihm mitgeteilt, daß dieser bereits eine Stunde vorher dem Kaiser Bericht erstattet und ihm mitgeteilt habe, die Festung würde in sechs Wochen an das Telegraphennetz angeschlossen sein. Alle Hinweise darauf, daß es fast unmöglich sei, in dieser schwierigen Situation die Materialien rechtzeitig heranzuschaffen, halfen nichts. Es hieß einfach: »Der Kaiser will es!« Und dieses in Rußland so vielbewährte Zauberwort half auch hier. Die Linie wurde, wenn auch mit einiger Verzögerung, noch so rechtzeitig fertiggestellt, daß der bald zu erwartende Fall von Sebastopol auf telegraphischem Weg von der Festung nach Petersburg gemeldet werden konnte.

Es war kein Wunder, daß die so ausgezeichnet arbeitende deutsche Firma immer weitere Aufträge zum Ausbau des Telegraphennetzes in dem riesigen russischen Reich erhielt. Da die oberirdisch geführten Leitungen vielfach beschädigt wurden oder von selbst brachen, so war eine sorgfältige Kontrolle zur Aufrechterhaltung eines regelmäßigen Dienstes notwendig. Graf Kleinmichel übertrug die Überwachung der Leitungen zunächst den Verwaltungen der Chausseen, an deren Rand die Leitungen hinliefen. Aber die damit beauftragten gänzlich sachunkundigen Leute, die wohl auch nach echt russischer Art der Neuerung nicht sehr freundlich gegenüberstanden, machten ihre Arbeit herzlich schlecht. Schließlich mußten Siemens & Halske auch diese Überwachung oder Remonte, wie man den Dienst damals nannte, übernehmen.

Es gelang hierdurch, einen schönen Gewinn zu erzielen, da Werner Siemens sofort ein auf wissenschaftlicher Grundlage beruhendes elektrisches Überwachungssystem erdachte, das eine ständige Begehung der Strecken unnötig machte und daher sehr viel Personal ersparte. Es wurden an den Linien Wachtbuden errichtet, die immer 50 Werst voneinander entfernt waren. Der darin aufgestellte Wächter hatte darauf zu achten, ob das in die Leitung eingeschaltete Galvanoskop längere Zeit stillstand. War dies der Fall, so mußte er seine Kontrollstelle mit Hilfe einer einfachen Vorrichtung an die Erde schalten und die Nummer seiner Bude telegraphieren. Aus den Nummern, die sie so zugesprochen erhielt, konnte die nächste Telegraphenstation genau erkennen, zwischen welchen Wachtbuden der Fehler lag. Ein mit den Wiederherstellungsarbeiten betrauter Mechaniker mußte dann sofort Extrapost nehmen und zur Fehlerstelle fahren. Der Leitungsschaden konnte auf diese Weise stets in kürzester Zeit beseitigt werden.

Die großen Telegraphenbauten, welche die Firma in Rußland ausgeführt hatte, und die Remonteverwaltung verschafften ihr bald eine ganz besondere Stellung im Reich. Siemens & Halske erhielten den Titel »Kontrahenten für den Bau und die Remonte der Kaiserlich russischen Telegraphenlinien«.

Da den Russen auch damals schon diejenigen Leute am meisten imponierten, die Uniformen trugen, so ließ Werner Siemens von einem tüchtigen Künstler Dienstkleidungen für seine Leute entwerfen; es waren hechtgraue Röcke mit blauen Vorstößen sowie breite russische Mützen. Graf Kleinmichel wollte zunächst das geheiligte Tragen der Uniformen den Telegraphenbeamten nicht bewilligen, aber als er die in einer Mappe vereinigten schönen Bilder sah, gab er nach und erwirkte vom Kaiser die Genehmigung zum Anlegen der Dienstkleidung.

Allmählich war nun die Werdezeit der telegraphischen Technik überwunden. Sowohl die ferner in Rußland wie auch in Preußen und anderen Ländern herzustellenden Linien boten meist kein besonderes technisch-wissenschaftliches Interesse mehr. Sie konnten nach den von Werner Siemens in jahrelanger Geistesarbeit geschaffenen Grundsätzen schematisch ausgeführt werden. Sein Interesse daran minderte sich also – abgesehen von dem geschäftlichen Nutzen, den die Bauten abwarfen – sehr erheblich. 1857 schreibt er: »Das Telegraphengeschäft ist sehr langweilig geworden und kommt mir vor wie ein Leierkasten, den ich zu drehen verpflichtet bin.« Siemens sah sich nun nach einer anderen großen Aufgabe um, und er fand sie im Ausbau der Telegraphie durch die Meere.

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