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In der Zwischenzeit ist bereits ein Beamter an diesem Zug entlang gegangen, hat von dem jedem Wagen aufgeklebten Zettel seinen Bestimmungsort abgelesen und eine entsprechende Nummer mit Kreide an eine Seitenwand geschrieben. Es ist dies die Nummer des Richtungsgeleises, in das der Wagen eingelassen werden soll. Zugleich werden sämtliche Kupplungen zwischen den Wagen lose geschraubt, aber nicht von den Haken gelöst.

Die Spitze des Zugs, also dasjenige Ende, an dem sich jetzt keine Lokomotive befindet, steht dicht vor dem Ablaufberg. Es ist dies ein Sandhügel, zu dem das Gleis an der einen Seite sanft hinaufführt, während es drüben steil hinunterfällt. In einiger Entfernung von dem Berg spaltet sich das Ablaufgleis alsdann in eine größere Zahl von Richtungsgeleisen, die wie die Saiten einer Harfe nebeneinanderliegen. Am Verzweigungspunkt liegt ein Stellwerk, durch dessen Hebel die Weichen zum wechselnden Einlaß in die verschiedenen Richtungsgeleise gestellt werden können.

Am Fuß des Ablaufbergs ist ein Wärter aufgestellt, der neben sich einen Befehlsapparat hat, ähnlich dem des Schiffskapitäns auf der Kommandobrücke. Durch Drehen einer Kurbel kann er den Zeiger eines Zifferblatts auf verschiedene Zahlen einstellen, die den Nummern der Richtungsgeleise entsprechen. Im Stellwerk ist ein ebensolches Zifferblatt angebracht, auf dem der Zeiger in gleicher Weise einspielt. Auf diese Art vermag der Wärter am Ablaufberg dem Stellwerkswärter die Einstellung bestimmter Fahrstraßen zu befehlen.

Der Mann am Ablaufberg stellt das dicht vor diesen gesetzte, eigentümlich geformte Signal auf rasche Fahrt, das heißt senkrecht nach unten, worauf die Verschiebelokomotive geschwind den Zug so weit vordrückt, daß der erste Wagen schon den Fuß des Ablaufbergs berührt. Sobald die Hebung beginnt, drücken sich die Puffer der beiden ersten Wagen etwas zusammen, die Kupplung wird ganz schlaff und kann nun durch einen hölzernen Hebel von der Seite her leicht vom Haken abgeworfen werden. Darauf geht das Ablauf-Signal in schräge Stellung, was langsame Fahrt bedeutet, und vorsichtig steigt der erste Wagen bis zur Spitze des Hügels empor. Währenddessen liest der Wärter die mit Kreide seitlich angeschriebene Nummer des Richtungsgleises, in das der Wagen laufen soll, und teilt diese Nummer mit Hilfe des elektrischen Meldeapparats dem Stellwerk mit. Dieses richtet die Weichen demgemäß. Vom Hügel fährt nun der erste Wagen mit ziemlicher Geschwindigkeit hinunter und in sein Richtungsgleis ein.

Die Schiebelokomotive drückt in ganz langsamer, aber ununterbrochener Fahrt – und das ist ein großer Vorzug des Ablaufbergbetriebs – einen Wagen nach dem andern auf die Kuppe des Hügels; jedesmal wird vorher die Kupplung abgeworfen, die Gleisnummer gemeldet, die Weichenlage richtig besorgt. Es ist ein prachtvoller Anblick, die mächtigen Fahrzeuge nach allen Seiten in die große Harfe einlaufen zu sehen. Bald rennt ein Wagen nach rechts hinüber, bald nach links, bald in ein Zwischengleis, überall sieht man ein lebhaftes Treiben rollender Fahrzeuge; die Weichen werden unausgesetzt umgestellt, und schon nach wenigen Minuten ist ein langer Güterzug zerlegt. Sogleich kommt ein zweiter daran, und so läuft der Betrieb auf einem großen Verschiebebahnhof ununterbrochen den ganzen Tag. Es vergehen, solange es hell ist, oft aber auch in der Nacht, kaum ein paar Minuten, ohne daß sich ein Wagen auf dem Berg von seinem Genossen ablöst und eine Sonderfahrt in sein Richtungsgleis antritt.

So vorzüglich die Einrichtung des Ablaufbergs wirkt, ist sie dennoch nicht ohne besondere Schutzvorkehrungen zu benutzen. Die Wucht, mit der die Wagen ablaufen, ist durchaus nicht immer die gleiche. Sie ist vielmehr in starkem Maße abhängig von der Witterung, ferner von der Bauart der Wagen und von dem Gewicht ihrer Ladung. Im Sommer, wenn die Geleise blank und sauber sind, wird ein Wagen mit größerer Geschwindigkeit hinunterlaufen als im Winter, wenn Eis und Schnee auf den Schienen liegen und die Schmiermittel durch die Kälte weniger wirksam sind. Weht der Wind der Ablaufrichtung entgegen, so hält er die Wagen in ihrem Lauf auf; im entgegengesetzten Fall beflügelt er sie. Ein bedeckter Wagen wird vom Wind weit mehr beeinflußt als ein offener; ein schwer beladener Wagen läuft mit größerer Geschwindigkeit ab als ein leerer.

Die Vorschrift sagt, daß die Wagen in den Richtungsgeleisen nur so weit laufen sollen, daß sie etwa ein Meter vor dem ersten darin bereits stehenden Wagen zum Halten kommen. Das Anstoßen, das die Wagenbauten und auch die Ladungen so stark erschüttert, soll vermieden werden. Aus diesem Grund steht neben jedem Richtungsgleis ein Wärter, der in genügender Entfernung von dem ersten feststehenden Wagen einen Hemmschuh auf das Gleis legt. Der anrollende Wagen läuft auf diesen auf und kommt nach kurzem Schleifen des Hemmschuhs über die Schiene zum Stehen. Je mehr Wagen abgelaufen sind, desto kürzer wird die freie Fahrstrecke in jedem Richtungsgleis, und desto mehr müssen die Hemmschuhe vorgerückt werden. Die Geschwindigkeit, mit der die Wagen in die Richtungsgeleise laufen, muß jedoch einigermaßen gleichmäßig sein, damit die Hemmschuhe richtig wirken. All das zusammen macht es notwendig, eine Vorrichtung anzubringen, welche gestattet, die Ablaufgeschwindigkeit vom Berg her für jeden einzelnen Wagen zu regeln.

Auf die grundverschiedenen Verhältnisse, die im Sommer und im Winter herrschen, wird an vielen Stellen dadurch Rücksicht genommen, daß man nebeneinander einen Sommerberg und einen Winterberg aufbaut. Der letzte ist etwas höher, so daß bei seiner Benutzung die Grundgeschwindigkeiten größer werden; hierdurch wird den durch Schnee und Verdickung der Schmiermittel eintretenden Hemmungen entgegengewirkt.

Eine Einzelregelung aber kann naturgemäß hierdurch nicht herbeigeführt werden. Diese tritt erst durch das Anbringen der Gleisbremse auf dem Gleisstück ein, das zwischen dem Ablaufberg und der Spitze der ersten Verteilungsweiche liegt.

Diese Bremsung wird gleichfalls durch einen Schuh hervorgerufen, den man auf eine Schiene legt. Da es sich hier jedoch nicht, wie am Ende des freien Raums in den Richtungsgeleisen, um das Festhalten von Wagen, sondern nur um eine Geschwindigkeitsregelung handelt, so muß dafür gesorgt werden, daß der Schuh nur für kurze Zeit den Umlauf der vorderen Achse hemmt, alsdann jedoch diese selbsttätig wieder freigibt. Die Schiene, auf welcher der Schuh schleift, ist deshalb an einer Stelle nach außen abgebogen. Unter Einhaltung eines schmalen Zwischenraums setzt an der Ausbiegungsstelle ein der Weichenzunge ähnliches, aber festliegendes Stück an, das in das gerade Gleis weiterführt. An der gegenüberliegenden Schiene ist an dieser Stelle ein Radlenker angebracht. Die ganze Vorrichtung wirkt nun so, daß beim Vorbeigehen an der Zungenspitze der Wagen im geraden Gleis bleibt, der Schuh aber selbsttätig auf der Ausbiegung weggeschleudert wird. Fortab läuft der Wagen ohne Hemmschuh weiter, bis er im Richtungsgleis angehalten wird.

Der Mann, der die Gleisbremse auslegt, kann nun jeden Wagen mehr oder weniger stark hemmen, je nachdem er den Schuh weit vor die Auswerfstelle oder dicht vor diese legt. Der Hemmungsgrad wird ihm von dem Wärter am Ablaufberg anbefohlen, der die langsam hinaufsteigenden Wagen nach ihrer Art und Ladung zu beurteilen vermag. Demgemäß gibt er mit Hilfe eines Druckknopfs dem Gleisbremswärter ein, zwei oder drei Klingelzeichen, die kurze, längere oder besonders lange Hemmung anordnen.

Der Mann, der die Bremse bedient, muß rasch entschlossen und unerschrocken sein. Wenn er das Klingelzeichen vernimmt, hat der zu hemmende Wagen gewöhnlich schon die Hügelkuppe überschritten. Er rollt donnernd und mit furchtbarer Gewalt heran. Unmittelbar vor seine erste Achse legt der Wärter den Schuh, und kaum hat er seine Hand zurückgezogen, dann tönt auch schon das gellende Kreischen des auf der Schiene schleifenden Eisens. Das gehemmte Rad dreht sich noch ein wenig auf dem Schuh, denn so stark ist die Wucht des von der Erhöhung herabkommenden Wagens, daß die Achse nicht sofort zum Stillstand kommt. Sobald das ausbiegende Gleisstück erreicht ist, fliegt der Schuh mit geschoßähnlicher Geschwindigkeit von der Schiene und schlägt dröhnend in einen Blechkasten. Der Wagen aber rollt verlangsamt weiter.

In neuerer Zeit hat die Firma Siemens & Halske eine Ablaufanlage hergestellt, in der die Verteilung der Wagen ohne Mitwirkung eines von Hand betätigten Stellwerks fast ganz oder auch vollständig selbsttätig erfolgt. Jeder Wagen stellt bei seinem Lauf die Weichen so um, wie es für ihn erforderlich ist. Wer die Anordnung nicht genauer kennt, vermöchte zu glauben, daß der Wagen jedesmal, wenn er sich einer Weichenzunge nähert, überlegt, ob er sie umstellen oder liegen lassen muß, um sein vorgeschriebenes Gleis zu erreichen, und dann entsprechend dieser Überlegung handelt. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als befände man sich in einem stählernen Zaubergarten.

In Wirklichkeit denkt natürlich nicht der Wagen, sondern der beaufsichtigende Mensch. Das Stellwerk am Ablaufberg ist verschwunden. An seiner Stelle befindet sich nur ein einfacher Aufenthaltsraum für den Wärter. Dieser hat an Stelle des Gleismelders eine Druckknopfreihe zur Verfügung, die soviel Knöpfe enthält, wie Richtungsgeleise vorhanden sind. Beim Auftauchen jedes neuen Wagens auf der Hügelkuppe drückt der Wärter den Knopf nieder, welcher der an dem Fahrzeug angeschriebenen Gleisnummer entspricht. Beim weiteren Lauf des Wagens stellen sich nun die mit elektrischem Antrieb ausgerüsteten Weichen selbsttätig stets so um, daß das vorgeschriebene Gleis erreicht wird.

Eine solche Wirkung zu erzielen wäre noch verhältnismäßig leicht, wenn beim Druck auf den Knopf alle Weichen ihre richtige Lage zu gleicher Zeit einnehmen würden. Dies darf jedoch nicht sein. Bei gleichzeitiger Umstellung aller zehn oder zwölf Weichen, die manchmal zwischen Ablaufberg und dem zu erreichenden Gleis liegen, müßte jeder folgende Wagen warten, bis der vorhergehende die ganze Weichenstraße durchlaufen hat. Die Pausen zwischen den einzelnen Wagenläufen würden sehr groß werden, die Lokomotive könnte nicht mehr ununterbrochen den Zug über den Berg drücken, die ganze Verschiebearbeit müßte sich arg verzögern. Da dies bei den scharfen Ansprüchen an die Ausnutzung der Ablaufanlage auf großen Bahnhöfen nicht angängig ist, muß die Einrichtung so getroffen sein, daß der Druck auf den Knopf nur die Einleitung zur Herbeiführung der richtigen Weichenlagen bildet, das Umlegen oder Liegenlassen der Zungen an jeder Weiche aber erst dann bewirkt wird, wenn der Wagen sich kurz davor befindet. Eine sehr fein ausgearbeitete Schaltanlage ist notwendig, um dieses Ergebnis herbeizuführen.

 

Schließlich ist es auch möglich, selbst den Wärter am Ablaufberg zu entbehren. Der Zugführer hat in seinem Buch sämtliche Wagen seines Zugs und ihre Reiseziele verzeichnet. Mit Hilfe dieser Aufschreibung stellt er eine Karte her, auf der in senkrechten Linien die Wagen und in wagerechten Linien die Ablaufgeleise verzeichnet sind. Mit einem Stanzapparat locht er jede senkrechte Wagenlinie dort, wo sie die Linie des Geleises schneidet, in das der Wagen auf dem Verschiebebahnhof hineinlaufen soll. Vor Beginn des Abdrückens wird die Karte in einen Schaltapparat gesteckt, wo sie jedesmal nach Ablaufen eines Wagens um eine Reihe vorrückt. Das Ablaufgeschäft kann nun ohne alle menschliche Mitwirkung erledigt werden, nur die Gleisbremse muß selbstverständlich weiter in Tätigkeit treten.

Nachdem durch Verarbeitung der angekommenen Fernzüge die Richtungsgeleise gefüllt sind, befinden sich in jedem von ihnen die Wagen für einen Nah-Güterzug. Aber sie stehen noch bunt durcheinander. Um sie bahnhofsweis zu reihen, wie es ja notwendig ist, muß jede Wagengruppe noch einmal geordnet werden. Dies geschieht mit Hilfe eines zweiten Ablaufbergs, der am andern Ende der Richtungsgeleise liegt, und hinter dem sich die Harfe der Bahnhofsgeleise ausbreitet.

Wiederum drückt eine Schiebemaschine die Wagen über den Berg; jeder von ihnen läuft in ein Bahnhofsgleis. Ist dieses geschehen, dann setzt sich die Lokomotive vor die Wagen, die für den nächsten Bahnhof bestimmt sind, zieht sie heraus, holt alsdann die Wagen für den nächsten Bahnhof usw., bis der Nah-Güterzug fertig ist. Dieser wird alsdann in eins der Ausfahrgeleise gesetzt, der Packwagen wird davorgestellt, und alsbald kommt aus dem Schuppen die Lokomotive herbei, die den Zug über die Strecke zu führen hat. Nachdem das Ausfahrsignal gezogen ist, kann sich der Nah-Güterzug in Bewegung setzen, um in den einzelnen Bahnhöfen der Linie Wagen abzusetzen.

Auf den Güterbahnhöfen, die von den Verschiebebahnhöfen wohl zu unterscheiden sind, an den meisten Stellen jedoch zu einer zusammenhängenden Gruppe mit diesen vereinigt zu sein pflegen, müssen Gleisanlagen zur Aufstellung der Wagen vorhanden sein, die zu beladen und zu entladen sind. Die ankommenden und abgehenden Güter bestehen aus zwei Hauptarten: den Stückgütern und den Wagenladungsgütern.

Stückgüter werden von der Eisenbahnverwaltung ab- und aufgeladen und in verschließbaren Schuppen aufbewahrt, bis sie von den Empfängern abgerufen werden, oder bis nach erfolgter Einlieferung die Wagen für das Einladen zur Verfügung stehen. Die Wagenladungsgüter werden von den Empfängern unmittelbar vom Wagen auf Straßenfuhrwerke genommen und in umgekehrter Weise von den Versendern aufgegeben. Zur Erledigung derartiger Geschäfte müssen Freiladegeleise vorhanden sein, die an Freiladestraßen liegen. Mancherlei Vorrichtungen sind hier anzubringen. Rampen führen in sanftem Anstieg von der Straßenfläche bis zur Höhe der Wagenböden hinauf, damit die Güter von hier aus ohne Anheben in die Wagen geschafft werden können. Man unterscheidet Seitenrampen und Kopframpen. Die letzten werden besonders nutzbringend für das Einladen von Kraftwagen, Möbelwagen und ähnlichen Gegenständen benutzt, bei denen eine Seitenbewegung schwierig ist. Um Tiere in die Wagen zu schaffen, werden häufig fahrbare Rampen vorrätig gehalten, die an einzelne Wagen angelegt werden können. Rutschen für körnige oder stückige Massengüter und Krane dienen weiter zur Erleichterung des Ladegeschäfts.

Bei der Behandlung der Außenbahnhöfe ist noch kurz auf den Verwendungszweck der hohen Bauten hinzuweisen, die man häufig auf ihrem Gelände emporragen sieht. Es sind dies die Wassertürme. Zu dem in ihrem höchsten Stockwerk untergebrachten Behälter wird das Wasser hinaufgepumpt, das die Bahnen fast stets in eigenen Anlagen gewinnen, da der Bedarf hierfür auf jedem großen Bahnhof recht bedeutend ist. Die anspruchvollsten Verbraucher sind die Lokomotivkessel, die des Wassers zu ihrer Speisung bedürfen; dann aber wird es auch zum Auswaschen der Lokomotiven, zum Reinigen von Wagen, insbesondere von gebrauchten Viehwagen, zu Feuerlöschzwecken, zum Naßhalten von Kohlenlagerplätzen, bei denen immer eine gewisse Selbstentzündungsgefahr besteht, ferner in den Werkstätten und für Trinkzwecke gebraucht.

Der Abstand, in dem Wasserentnahmestellen auf einer Strecke anzulegen sind, hat sich nach dem Bedarf der Lokomotiven zu richten. Güterzug-Tender-Lokomotiven, die nur kleine Behälter seitlich des Kessels besitzen und oft sehr angestrengt arbeiten, müssen ihren Wasservorrat alle 20 bis 30 Kilometer ergänzen. Das ist für die Abstände ausschlaggebend, und es nützt nichts, daß Güterzug-Lokomotiven mit Schlepptender nur etwa alle 60, Schnellzug-Lokomotiven alle 180 Kilometer Wasser zu nehmen brauchen. In der letzten Zeit vor dem Krieg hat es in Deutschland sogar eine ununterbrochene Schnellzugfahrt von 314 Kilometern Länge, nämlich von Halle nach Nürnberg, gegeben. Die Tender der für diese Fahrt verwendeten Lokomotiven mußten groß genug ausgebildet sein, um genügend Wasser fassen zu können.

Da die auf den Wassertürmen untergebrachten Behälter höher liegen als alle anderen Anlagen des zugehörigen Bahnhofs, so fließt das Wasser aus ihnen bequem allen Gebrauchsstellen zu. Die Verteilungsleitungen bringen es unter anderem auch zu den bekannten Schwenkkränen, die zur Füllung der Tenderbehälter dienen. Wenn sie nicht benutzt werden, stehen ihre Ausleger gleich gerichtet mit dem Gleis; zum Füllen werden sie herumgeschwenkt. Nach Öffnen eines Abschlußschiebers stürzt das Wasser hinaus. Je größer die lichte Weite der Zuführungsrohre gehalten ist, desto mehr Wasser kann in einer Minute in den Tender gefüllt werden. Heute pflegen in dem genannten Zeitraum etwa fünf Kubikmeter aus den Schwenkkränen zu fließen. Eine Schnellzug-Lokomotive kann deshalb ihren Wasservorrat schon in zwei bis drei Minuten ergänzen.

Das für die Speisung der Lokomotivkessel verwendete Wasser muß von Verunreinigungen frei sein und möglichst wenig Kalk und andere Salze in Auflösung enthalten, weil diese sich beim Verdampfen auf den Röhren niederschlagen und Bildung von Kesselstein herbeiführen. Es ist darum meist notwendig, das Wasser vor dem Einpumpen in den Hochbehälter mechanisch und oft auch chemisch zu reinigen.

Bei der baulichen Ausgestaltung der Wassertürme ist früher sehr viel gesündigt worden. Es gibt heute noch Bauten dieser Art, die wahre Ungetüme darstellen. Manchmal sehen sie wie große Luftballons von Blech aus, die durch eiserne Stangen am Boden festgehalten werden. Oft sind es Wellblechgehäuse mit Formen, die in keinen Stil hineinpassen. Das ist um so schlimmer, als solch ein Wasserturm meist schon aus weiter Entfernung zu sehen ist und die Landschaft beherrscht. Heute nimmt man durch Ausbildung wohlgefälliger Steinbauten hierauf Rücksicht. An manchen Orten bilden die Eisenbahnwassertürme deshalb Wahrzeichen, welche die Gegend nicht mehr verschandeln, sondern zu ihrem Schmuck beitragen, indem sie sich den ortseingesessenen Bauformen anpassen.

20. Die gastlichen Hallen

Einige der in Abschnitt 1 genannten Zahlen haben uns bereits darüber belehrt, daß der Güterumlauf auf den Eisenbahnen eine sehr viel wichtigere Rolle spielt als der Personenverkehr. Die Gewinne, welche die Staaten oder die Eisenbahngesellschaften aus der Güterbeförderung ziehen, sind weit größer als die Überschüsse, die sich aus den Personengeld-Einnahmen ergeben. Auch die Zahl der Güterzugläufe und der vorhandenen Güterwagen überragt die entsprechenden Aufwendungen für den Personenverkehr ganz bedeutend, und dementsprechend sind auch die Bahnhofsanlagen, die dem Güterverkehr dienen, sehr viel weiter gedehnt.

Trotzdem wird der äußere Eindruck, den jede Bahnlinie macht, unbedingt von dem Aussehen der Bahnhöfe für Personenverkehr beherrscht. Diese sind zugleich die einzigen Stätten, an denen der nicht im Bahnbetrieb Beschäftigte aufs innigste mit diesem in Berührung kommt. Hier sieht er Züge in nächster Nähe aus- und einfahren, er darf sich an den Rändern der Geleise tummeln, was ihm sonst streng verboten ist, hier allein kann sich der Fremde inmitten des Bahnbetriebs bewegen, ohne in die vier Wände eines Wagenkastens fest eingeschlossen zu sein.

Die auffallende Gestaltung der Personenbahnhöfe, ihre Ausstattung mit mächtigen Häusern, die besondere Sorgfalt, welche man ihrer Durchbildung im Gegensatz zu den sehr viel einfacher gestalteten Güteranlagen zuteil werden läßt, erklärt sich aus dem Umstand, daß hier ein Gut besonderer Art zu behandeln ist: nämlich Menschen. Diese lassen sich nicht so bequem und willenlos in die Wagen schaffen, wie die toten Gegenstände in den Güterschuppen und auf den Ladestraßen. Sie verlangen, eigene Wege machen zu dürfen, wollen aber doch durch die ganze Anlage so geführt werden, daß sie keinen Schaden an Leib und Leben erleiden. Ferner aber wünschen die hier zu befördernden Edelgüter, im Bereich der Eisenbahn möglichst freundliche Aufenthaltsorte zu finden; sie wollen auf dem Weg vom und zum Zug oder beim Umsteigen vom schlechten Wetter nicht belästigt werden – kurz, sie sind sich durchaus nicht bewußt, daß sie wegen der geringeren Einnahmen, die sie den Eisenbahnen gewähren, eigentlich weit bescheidener auftreten müßten als die gewöhnlichen Güter. Sie sind unendlich viel anspruchsvoller als diese.

Den Eisenbahnen ist nichts anderes übriggeblieben, als diesen Wünschen der menschlichen Fracht zu entsprechen. Namentlich in den letzten Jahrzehnten sind in Deutschland viele gewaltige Bauten für Personenbahnhöfe entstanden, deren künstlerische Schönheit leider manchmal zweifelhaft ist, die aber an stolzer Pracht und vornehmer Weiträumigkeit kaum etwas zu wünschen übriglassen. In den großen Städten empfangen unsere Eisenbahnen heute ihre Gäste in wahren Schlössern und mit einer Freudigkeit, an die man früher nicht zu denken wagte.

Noch stehen deutlich in unserer Erinnerung die alten Bahnhofsbauten in Hamburg und in Leipzig. Sie waren infolge des langsamen Entstehens der sehr ausgedehnten Neubauten gewissermaßen als Denkmäler einer längst vergangenen Zeit bis in unsere Tage stehen geblieben. Wenn man einen dieser Bahnhöfe berühren mußte, hatte man das Gefühl, daß in keiner anderen deutschen Stadt so wenig gereist werden müßte wie in Hamburg und in Leipzig. Solche Bahnhofshäuser wären, so meinte man, wohl geeignet, selbst den Reiselustigsten von dem Antritt einer Fahrt zurückzuhalten. Diese grauschwarzen Mauern mit den spärlich eingesetzten, kläglich bunten Fensterchen, diese niedrigen, düsteren Hallen, die Engbrüstigkeit der Bahnsteige, die jämmerlich kleinen und kaum auffindbaren Anlagen für Fahrkartenentnahme und Gepäckbeförderung wirkten zusammen, um einen geradezu niederschlagenden Eindruck hervorzubringen. Man hätte meinen können, daß sich niemand in dieses traurige Gemäuer hineinbegäbe, der hierzu nicht unbedingt gezwungen wäre.

Wie anders sieht es heute auf den neuen Bahnhöfen dieser Städte aus! Da sind heiter geschmückte Stirnwände, prunkende Vorräume von großartiger Weiträumigkeit; mächtig sich emporwölbende Hallen überspannen die Geleise, das Licht flutet voll herab auf die breiten, wohlgeordneten Bahnsteige, alles lockt und ladet dazu ein, das großartige Verkehrswerkzeug zu benutzen, das hier seine Empfangsstelle hat. Es gibt keine Zahlenaufstellung, die den Einfluß von Bahnhofsbauten auf die Reisefreudigkeit erkennen läßt. Doch ist es nicht zweifelhaft, daß die prachtvollen Bauten neuerer Zeit anfeuernd hierauf einwirken.

Der beherrschende Eindruck, den die Personenbahnhöfe auf das Angesicht der ganzen Strecke ausüben, wird dadurch verstärkt, daß sie den Städten immer sehr nahe liegen, möglichst sogar tief in diese hineingerückt sind, während man die übrigen Anlagen, namentlich wenn sie sehr ausgedehnt sind, gern weiter draußen ansiedelt. Reine Betriebseinrichtungen, wie Abstell- und Verschiebebahnhöfe, befinden sich oft weit entfernt in sonst unbewohnten Gegenden, die Güterbahnhöfe pflegt man meist nicht so weit abzurücken, um die Wege für die Frachtfuhrwerke nicht allzu lang zu machen.

 

In den Personenbahnhöfen lösen sich die ganz wenigen von der Strecke hineinlaufenden Schienenpfade in eine große Zahl von Geleisen auf. Mit mehr oder weniger scharfen Krümmungen erstrecken sie sich gleich Mündungsarmen eines großen Flusses nach rechts und nach links. Es ist jedoch streng darauf zu achten, daß die Hauptgeleise glatt und möglichst gerade durch die ganze Anlage durchgeführt werden. Sie heißen durchgehende Geleise und heischen das Vermeiden scharfer Krümmungen und allzuvieler Überkreuzungen, damit der durchgehende Verkehr sich möglichst hemmungslos abspielen kann, nichthaltende Schnellzüge mit kaum verminderter Geschwindigkeit durchzufahren vermögen.

Das Zusammenführen vieler Strecken in den Bahnhöfen großer Knotenpunkte macht außerordentliche bautechnische Schwierigkeiten. Von den verschiedensten Seiten ziehen die Schienenpfade herbei; sie müssen in die Hallen in ganz anderer Ordnung eingeführt werden, als sie draußen zueinander liegen. Das ist besonders deshalb eine schwer zu lösende Aufgabe, weil höhengleiche Kreuzungen auf offener Strecke unerwünscht sind, und auch das Zusammenführen von Linien vor dem Bahnhof vermieden werden muß. Jede Strecke wird heute einzeln bis in den Bahnhof hineingeleitet, damit seitliches Anfahren ausgeschlossen ist. Die Kreuzungsstellen draußen erfordern oft umfangreiche Bauten zur Herbeiführung einer höhenungleichen Überführung der einen Strecke über die andere. Diese Kreuzungen in verschiedenen Höhenlagen sind nicht nur aus Sicherheitsgründen unbedingt erforderlich, sie fördern auch die Schnelligkeit des Zugumlaufs sehr bedeutend. Ist es doch auf diese Weise nicht nötig, daß der Zug der einen Strecke warten muß, bis der andere eingelaufen ist; die Fahrpläne der verschiedenen Linien können ohne Rücksicht aufeinander aufgestellt werden.

Wo zwei Bahnlinien einander kreuzen, da wird man natürlich nach Möglichkeit auch eine Zusammenführung der Geleise anordnen, um Zugübergänge zu ermöglichen. Dazu ist aber, nach dem vorher Gesagten, die Anlage eines Bahnhofs mit seiner Steigerung der Sicherheitsanlagen und der mit ihm verbundenen erhöhten Aufsicht notwendig. Öfter sind solche Kreuzungsstellen die Urzellen zur Entstehung ganz neuer Orte geworden. Als die Ostbahn von Berlin nach Schneidemühl gebaut wurde, da kreuzte sie die Strecke Stargard-Posen an einer menschenleeren Stelle. Es entstand die Bahnhofsanlage „Ostbahn-Kreuz“, an deren Stelle heute der Ort Kreuz liegt.

Die Bahnhöfe werden betriebstechnisch in Haltepunkte, kleine, mittlere und große Bahnhöfe eingeteilt. Haltepunkte sind Anlagen ohne Weichen. Wo nur eine einzige Weiche vorhanden ist, spricht man betriebstechnisch bereits von einem Bahnhof. Die Unterscheidung der einzelnen Bahnhofsklassen ist nicht scharf umrissen. Im allgemeinen kann man sagen, daß an kleinen Bahnhöfen weder Schnell- noch Eilzüge anhalten, an den mittleren Bahnhöfen einige der wichtigeren Durchgangszüge, während in den großen Bahnhöfen in der Regel alle Züge Aufenthalt nehmen.

Eine Einteilung der Personenbahnhöfe ergibt sich auch aus der Lage der Geleise in ihnen und der Art des Betriebs, der sich darauf abspielt. Man unterscheidet:

Endbahnhöfe,

Zwischenbahnhöfe,

Anschlußbahnhöfe,

Kreuzungsbahnhöfe.

Endbahnhöfe entstehen dort, wo eine Eisenbahnlinie endigt, entweder weil Bodengestaltung oder mangelndes Verkehrsbedürfnis eine Weiterführung unvorteilhaft erscheinen lassen, weil die Meeresküste oder das Ufer eines großen Binnenwassers erreicht ist, oder weil eine große Stadt sich vor die Linie legt. In besonders reicher Zahl findet man Endbahnhöfe in Berlin, wo sämtliche Fernbahnhöfe, die nicht durch die Stadtbahn miteinander verbunden sind, dieser Gattung angehören, nämlich der Anhalter, der Görlitzer, Stettiner, Lehrter und Potsdamer Bahnhof. Hier endigen sämtliche einlaufenden Züge ohne Ausnahme.

Am häufigsten von allen Arten findet man die Zwischenbahnhöfe. Sie sind nichts weiter als Fahrtunterbrechungsstellen, die Gelegenheit zum Aus- und Einsteigen von Reisenden geben. Anschlußbahnhöfe nennt man Anlagen, bei denen von einer durchlaufenden Linie eine oder mehrere Strecken seitlich abschwenken. Kreuzungsbahnhöfe sind Stellen, an denen zwei oder mehrere Linien einander treffen und überkreuzen, das heißt ebenso gesondert weiterlaufen, wie sie einzeln herangekommen sind.

Die Endbahnhöfe haben naturgemäß stets Kopfform, das heißt alle Geleise enden in ihnen stumpf. Bei den Zwischenbahnhöfen herrscht weitaus die Durchgangsform vor, bei der die an der einen Seite hineinlaufenden Geleise drüben wieder hinausgeführt sind.

Bei Anschluß- und Kreuzungsbahnhöfen findet man beide Formen. Wenn auch bei den allermeisten von ihnen die Geleise in geradliniger Erstreckung durchgehen, so sind doch auch viele mit endigenden Geleisen durchgebildet. Das ist namentlich dort der Fall, wo sich früher reine Endbahnhöfe befanden, bei denen sich erst später ein Übergangsverkehr von einer der einmündenden Linien zur anderen ausgebildet hat. An solchen Stellen müssen alle durchgehenden Züge gewendet werden, sie müssen „Kopf machen“. Das ist z. B. der Fall in Leipzig, Frankfurt a. M., Braunschweig, Wiesbaden, Altona.

Derartige Durchgangsbahnhöfe in Kopfform sind für den Betrieb recht unbequem. Die Überführung der Züge von dem Ankunftsgleis auf das Abfahrgleis, das ja notwendigerweise stets ein anderes sein muß, macht viele höhengleiche Kreuzungen notwendig. Will man nicht an den Bahnsteigenden, also meist in unmittelbarer Nähe des Empfangsgebäudes, viele Weichen oder Drehscheiben anordnen, so ist stets Maschinenwechsel erforderlich. Das Übersetzen der Kurswagen ist gleichfalls beschwerlich. So ist die Entstehung der meisten Kopfbahnhöfe nur aus der schon erwähnten geschichtlichen Entwicklung zu verstehen. Hier und da aber kommt auch einmal eine Neuanlage dieser Art vor, wovon der Leipziger Hauptbahnhof ja das sprechendste Beispiel ist. Er mußte in Kopfform durchgebildet werden, weil man ihn tief in die Stadt hineingezogen hat.

Eine in Deutschland nicht sehr häufig vorkommende Mischung von Kopf- und Durchgangsbahnhof stellt der Dresdner Hauptbahnhof dar. Die endigenden Züge laufen hier in Straßenhöhe auf Stumpfgeleisen ein, während die anderen auf erhöhter Fahrbahn durchgeführt werden.

Dort, wo zwei Strecken einander in einem Bahnhof kreuzen, wird meistens dafür Sorge getragen, die Linien vor dem Bahnhof gleich zu richten und sie alsdann in Einer Ebene einzuführen. Hierdurch entstehen große Betriebsbequemlichkeiten, indem die Übergänge ganzer Züge oder einzelner Wagen von einer Strecke auf die andere aufs einfachste über Weichen hinweg stattfinden können. An nicht wenigen Stellen aber finden wir in Deutschland auch heute noch Kreuzungsbahnhöfe, in denen die Strecken in sehr steilem Winkel zusammentreffen und in verschiedenen Höhen eingeführt sind.

Solche Turmbahnhöfe sind in der Zeit der Privatbahnen vielfach entstanden, weil man damals noch nicht an eine Betriebsmittelgemeinschaft dachte. Jede Strecke wurde als selbständiges Ganzes betrachtet. Der Turmbahnhof ist für die heutige Zeit, die allerorten Übergangsmöglichkeiten herbeizuführen sucht, eine sehr unbequeme Bauart. Wird doch hier der Einbau vieler, für den eigentlichen Zugbetrieb unnötiger Anlagen erforderlich, weil Wagenübergänge von der einen Gleislage zur anderen nur durch Einschaltung besonderer Verbindungsgeleise stattfinden können, die lang genug sind, um ohne allzu schroffe Steigungen die Überwindung des Höhenunterschieds zu gestatten. Viele verlorene Fahrten müssen infolge des erschwerten Übergangs stattfinden. Solche Turmbahnhöfe, wie sie heute nicht mehr angelegt werden, findet man als Reste ehemaliger Eisenbahnkleinstaaterei z. B. noch in Küstrin, Osnabrück, Dobrilugk-Kirchhain, Delitzsch.

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