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Ähnliche Nachweisungen, wie sie für die Wagen vorhanden sind, gibt es auch für die Laufschilder, welche an diesen befestigt werden. Es ist möglich, den Verbleib jedes einzelnen Schilds im Bereich aller deutschen Bahnen genau zu verfolgen.

Das vorhin angeführte Bildungsbeispiel für die Züge D 37 und D 38 hat bereits erkennen lassen, daß in einem und demselben Zug Wagen durcheinanderlaufen können, die verschiedenen Verwaltungen gehören. Das setzt natürlich eine Verständigung zwischen den einzelnen Wageneigentümern voraus. Alljährlich zweimal, im Frühjahr für den Sommerdienst, im Spätsommer für den Winterdienst, finden Wagenbeistellungs-Beratungen statt. In ihnen setzen die hierzu abgeordneten Vertreter der deutschen Verwaltungen fest, wo durchlaufende Züge oder, bei geringerem Verkehr, durchlaufende Wagen geführt werden sollen. In Friedenszeiten beteiligen sich auch außerdeutsche Bahnverwaltungen an diesen Beratungen, und ihr Ergebnis ist dann jedesmal der europäische Wagenbeistellungs-Plan, auf Grund dessen die großen zwischenstaatlichen Zugläufe bestimmt werden, der aber auch die durchgehenden Zugläufe im Reich in sich schließt.

Jedes Kilometer, das ein Wagen im Bereich einer fremden Verwaltung durchfährt, wird dieser auf Rechnung gestellt. Jeder Wageneigentümer rechnet nach bestimmten Zeiten aus, wieviel Kilometer seine Fahrzeuge nach dem Wagenbeistellungs-Plan für die übrigen Verwaltungen geleistet haben. Alle diese Aufstellungen werden dann einer Vermittlungsstelle, nämlich dem Eisenbahnzentralamt in Berlin, übersandt, und dieses sucht nun nach Möglichkeit einen Naturausgleich zu schaffen. Dies will sagen, daß die Schuld, die eine Verwaltung der anderen gegenüber angesammelt hat, nicht in bar, sondern wieder in Wagenachs-Kilometern ausgeglichen wird und das unter Anwendung einer Gesamtaufrechnung. Ist z. B. die Verwaltung A der Verwaltung B Wagenachs-Kilometer schuldig, während sie gegenüber der Verwaltung C einen Überschuß hat, so wird das durch Verrechnung zwischen B und C ausgeglichen. Selbstverständlich kommt es kaum jemals vor, daß die Zahlen sich zu Null ergänzen; die Ausgleichstelle sorgt jedoch dafür, daß keine Rechnung allzuhoch anschwillt.

Wenn ein Personenzug auf dem für seinen Lauf festgesetzten Endbahnhof angekommen, der letzte Fahrgast ausgestiegen ist und die Wagen in die abgelegenen Gefilde des Abstellbahnhofs geschafft sind, dann nimmt der Zug alsbald ein ganz anderes Gesicht an. Er ist nicht mehr ein vornehmer Herr, der mit steifer Gelassenheit Gäste empfängt, sondern gleicht mehr einem Burschen, der nach langer Reise heimkehrt und nichts anderes im Sinn hat, als sich zunächst einmal ordentlich zu säubern.

Zunächst drückt der Zug seine Absicht, längere Zeit an seinem Abstellort zu verweilen, dadurch aus, daß er sogleich die Lokomotive fortschickt, die ihn vielleicht hundert Kilometer weit bis hierher gezogen hat. An ihre Stelle tritt eine gemütliche Verschiebe-Lokomotive, die ihn in den Reinigungsschuppen bringt. Dort drinnen wird er bereits von einer dienstbereiten Schar erwartet. Sie stürzt sich auf ihn, und nun werden die Wagendächer abgefegt, die Wasserablaufrinnen gesäubert, mit nassen Tüchern und Besen werden die Außenwände von Ruß und Schmutz befreit, die Lager, Untergestelle und Einsteigtritte vom Staub und Sand gesäubert, im Winter werden die Eiskrusten weggeschlagen. Darauf sind aus jedem Abteil die darin liegengebliebenen Gegenstände aufzulesen, das Papier in bereitgestellte Körbe zu werfen. Alsdann wird nach Entfernung der Fußdecken ausgefegt, die Polster werden geklopft oder durch Staubsauger gereinigt. Die Heizkörper sind abzustauben, die Aschenbecher zu reinigen, die Spucknäpfe sauber auszuwaschen. Die Fenstervorhänge und die Stoffblenden an den Lampen sind auszubürsten, die Lüftungsschieber von Flugasche zu befreien.

Nachdem die ganz groben Arbeiten erledigt sind, geht es an das Putzen der Fenster, der Spiegel und der blanken Teile. Sobald das letzte Stäubchen entfernt ist, kommt wieder eine Verschiebe-Lokomotive heran, zieht den Zug in ein Ausziehgleis und ordnet durch zahlreiche Bewegungen die Wagen so, daß sie für die nächste Fahrt die richtige Reihenfolge nach der Vorschrift des Zugsbildungsplans haben. Darauf wird der Zug in ein Gleis für fertige Züge geschoben, wo die Achsbehälter mit neuem Schmierstoff versehen, der Gasvorrat ergänzt wird. Im Winter findet auch ein Vorheizen aus ortsfesten Dampfanlagen statt. Die Wasserbehälter in den Aborten mit Wascheinrichtungen werden gefüllt, die hierzu vorgesehenen Behälter mit Handtüchern und Seife neu ausgestattet. Aufsichtsbeamte sehen die Laufwerke noch einmal gründlich daraufhin nach, ob an ihnen irgendein betriebsgefährlicher Schaden wahrzunehmen ist.

Manchmal treffen auf einem Abstellbahnhof auch Wagen ein, deren Säuberung so rasch nicht vorgenommen werden kann. In gewöhnlichen Zeiten rollen die deutschen Personenwagen ja vielfach über die Landesgrenzen, und dort kommen sie öfter in die Gefahr, mit Ungeziefer behaftet zu werden. Wird ein Wagen entdeckt, dem ein solches Mißgeschick widerfahren ist, so darf er nicht wieder in Betrieb genommen werden, bevor die unliebsamen Gäste mit Sicherheit getötet und entfernt sind.

Eine solche Wagenreinigung war nun früher nicht anders möglich, als daß zunächst einmal sämtliche Polsterteile und auch die Wandbekleidungen abgenommen wurden. Hierdurch entstanden viel Zeitverlust und Kosten, und es war stets die Gefahr vorhanden, daß die reinigende Werkstatt gleichfalls vom Ungeziefer befallen wurde. Die Firma Julius Pintsch hat eine in den letzten Jahren viel verwendete Vorrichtung geschaffen, die das Abtöten der Tiere bewirkt, ohne daß besondere Maßnahmen am Wagen selbst notwendig sind. Es wird zu diesem Zweck auf dem Abstellbahnhof eine gewaltige Röhre aufgebaut, die aus einzelnen gußeisernen Ringen von etwa fünf Metern Durchmesser besteht. Die hintere Öffnung wird fest abgeschlossen, die vordere erhält eine aufschiebbare Tür, die an den Rohrkörper luftdicht angepreßt werden kann. Der zu reinigende Wagen wird hineingeschoben, die Tür geschlossen, und alsdann wird der ganze Raum durch ein innen angebrachtes, mit Dampf beschicktes Röhrennetz bis auf 50 Grad erwärmt. Eine Luftpumpe führt darauf eine sehr starke Luftverdünnung in dem Rohr herbei, und hierdurch wird das sichere Abtöten der Insekten bewirkt. Falls man annimmt, daß der Wagen auch noch Krankheitsstoffe enthält, so wird der Raum nunmehr mit Formalin-Dämpfen erfüllt, die ein Entseuchen mit Sicherheit bewirken, da bei der vorhandenen Luftverdünnung das Formalin in die kleinsten Öffnungen eindringt.

Die Lokomotive ist indessen geradenwegs zur Kohlenlagerstelle gefahren. Hier wird der Vorrat auf dem Tender mittels Handkörben oder unter Benutzung eines Krans ergänzt. Zu gleicher Zeit wird Wasser nachgefüllt. Nun begibt sich die Lokomotive zur Feuerreinigungsstelle. Zwischen den beiden Schienen ist hier eine tiefe, ummauerte Grube vorgesehen, in die Stufen hinabführen. Ein Schuppenfeuermann steigt, mit seltsamen Werkzeugen beladen, auf die Lokomotive. Seine Aufgabe ist es, die Schlackenschicht, welche sich während der langen Fahrt auf dem Rost gebildet hat, zu entfernen, die Feuerung wieder in guten Zustand zu bringen. Der Mann reißt die Feuertür auf und fährt zunächst mit einer Krücke hinein, die einen viele Meter langen Stiel hat. Er kann mit ihrer Hilfe auch die hintersten Teile des Rosts unter dem Feuerschirm erreichen. Hackend und kratzend lockert er die Schlacke auf, so daß sie nicht mehr an den Eisenteilen festbackt, sondern leicht entfernt werden kann. Zu diesem Zweck fährt er nach Entfernung der Krücke mit einer ebenso lang gestielten Schaufel hinein und bringt eine Last Höllenglut nach der anderen heraus, um sie nebenan auf den Sand zu werfen; bei ganz großen Maschinen, wo das Ausschlacken in dieser Art zu schwer sein würde, kann mit einer großen Zange in die Feuerung hineingegangen werden, um mehrere der nur lose eingelegten Roststäbe in der Mitte herauszuziehen. Da vorher schon der Aschkasten entfernt worden ist, fällt die Schlacke nunmehr durch den Rost hindurch in die Grube.

Nachdem er die Feuerung so in Ordnung gebracht hat, liegt es dem Feuermann noch ob, die Rauchkammer zu leeren und zu säubern. Er öffnet mit Hilfe des großen, vor der Brust der Lokomotive angebrachten Handrads die vordere Drehtür und schaufelt die auf dem Boden der Rauchkammer angesammelte Lösche hinaus.

Heizer und Lokomotivführer, die ausdrücklich von diesem schweren Geschäft der Feuerungsreinigung befreit sind, sehen indessen die Lokomotive in allen ihren Teilen nach, ölen sie ab, ziehen lose gewordene Schrauben an, prüfen das ganze Gebäude von allen Seiten und auch von unten her, indem sie in die Grube hinuntersteigen. Darauf darf die Maschine in den Schuppen fahren, wo der Dienst, wenn sie nur einfache Besetzung hat, nun für einige Zeit zu Ende ist. Das Feuer erlischt dann allmählich.

Schon mehrere Stunden vor der neuen Abfahrtszeit wird die Maschine von Schuppenleuten frisch angeheizt. Mindestens zwei Stunden vor Zugabgang sind auch Führer und Heizer wieder zur Stelle, um das richtige Dampfmachen zu überwachen, die letzten Ausbesserungen vorzunehmen. Zu genau festgesetzter Minute verläßt die Lokomotive den Schuppen und legt sich vor den Zug, der bereits vorher von einer Verschiebelokomotive an den Bahnsteig gebracht worden ist. —

In ganz anderer Weise, als wir es bei den Personenwagen gesehen haben, gehen Zugbildung und Zugläufe im Bereich des Güterverkehrs vor sich. Hier herrschen Verhältnisse, die mit jenen im Bezirk der Personenbeförderung nur noch wenig Ähnlichkeit haben. Eine einfache Überlegung schon zeigt, daß im Güterverkehr mit festen Zugbildungsplänen und Heimatbahnhöfen nichts anzufangen ist.

Die Personenzüge laufen innerhalb eines Fahrplanabschnitts täglich in gleicher Form. Die Anforderungen, die an sie gestellt werden, sind immer dieselben, wenn man von einigen Unregelmäßigkeiten absieht, die leicht zu bewältigen sind. Monatelang können die Personenzüge daher in der ein für alle Male festgesetzten Form gefahren werden.

 

Im Güterverkehr aber herrscht ein täglicher Wechsel. Jeder Tag stellt infolge der ganz unregelmäßig auftretenden Wünsche der Versender andere Anforderungen an den Wagenpark. Es ändert sich unausgesetzt nicht nur die Zahl der zur Bewältigung des Verkehrs nötigen Wagen sondern auch ihre Art. Jede der verschiedenen Gütersorten verlangt anders gebaute, nur für sie passende Fahrzeuge. Für Massengüter müssen offene, für Getreide oder Vieh gedeckte, für Papier-, Hohl-, Glas- oder Strohwaren großräumige, für chemische Erzeugnisse Kesselwagen usw. zur Verfügung gestellt werden. Gewisse sehr lebhafte Verkehrsarten treten nur zu bestimmten Jahreszeiten auf, so die Versendung von Kali und Zuckerrüben.

Dann gibt es Gegenden, die weit mehr versenden, als sie empfangen, wie insbesondere die Kohlenbezirke, und Stellen, bei denen der Empfang überwiegt, wie die Großstädte. Hierdurch allein schon ist ein nutzbringendes, einfaches Hin- und Rücklaufen der Wagen ausgeschlossen.

Die Schwierigkeiten der Regelung werden um so größer, als die einzelnen Verwaltungsbezirke nicht mehr wie bei den Personenwagen in der Hauptsache ihre eigenen Fahrzeuge benutzen, sondern in sehr viel größerem Umfang fremde Wagen zu verarbeiten haben. In bezug auf die Güterwagen besteht heute bereits eine annähernde Reichseinheit, indem sämtliche deutsche Staatsbahnen sich seit 1909 zum Deutschen Staatsbahnwagen-Verband zusammengeschlossen haben. Auch ein großer Teil der Privatbahnen ist durch Einstellen ihrer Wagen in den Park einer Staatsbahn dem Verband beigetreten. Seitdem wird fast der gesamte Güterwagenpark Deutschlands – mit Ausnahme der Spezialwagen – als einheitliches Ganzes behandelt.

Durch diese großzügige Vereinbarung ist es möglich geworden, bedeutende Ersparnisse zu erzielen, indem eine sehr große Anzahl von Wagenleerläufen fortgefallen ist. Früher mußte jeder beladen eintreffende Güterwagen einer anderen Verwaltung alsbald in deren Bezirk zurückgesendet werden, auch wenn keine Ladung für den Rücklauf in dieser Richtung vorhanden war. Hierdurch wurden nutzlose Beförderungskosten von bedeutender Höhe verursacht. Desgleichen war ein geradezu ungeheuerliches Schreibwerk für Abrechnung erforderlich. Heute dürfen – immer mit Ausnahme der Spezialwagen – sämtliche Güterwagen der dem Staatsbahnwagen-Verband angehörigen Verwaltungen von jeder anderen Verwaltung wie eigene behandelt und nach jeder Richtung hin versendet werden. Die Abrechnung erfolgt nach Pauschbeträgen im Verhältnis der Wagenachsbestände bei jeder einzelnen Verwaltung.

Infolge dieses äußerst nutzbringenden Zusammenschlusses erwächst jedoch nunmehr die fast abenteuerliche Aufgabe, täglich von neuem über den gesamten deutschen Güterwagenpark – das sind mehr als 600 000 Fahrzeuge – so zu verfügen, daß jedem einzelnen der vielen tausend Bahnhöfe, von denen aus ein Versand stattfindet, möglichst die von ihm als notwendig bezeichnete Wagenzahl und auch in der gewünschten Art zur Verfügung steht. Zu diesem Zweck ist eine Einrichtung geschaffen, die an Großartigkeit ihresgleichen kaum hat, eine Leitstelle, von der aus zuletzt eine einzige Hand die täglichen Güterwagenumläufe im ganzen Deutschen Reich lenkt.

Sämtliche deutschen Bahnhöfe stellen täglich einmal den Bestand fest, den sie an Güterwagen haben, und den Bedarf, der im Lauf der nächsten 24 Stunden voraussichtlich bei ihnen auftreten wird. Jeder Bahnhof gibt alsdann eine telegraphische Meldung hierüber auf, überall verstreute Sammelstellen sichten diese Depeschen, stellen aus ihnen Bestand und Bedarf ihres Bezirks zusammen und geben diese Meldungen alsdann an eine ganz geringe Zahl von Amtsstellen weiter. Jede von diesen entwirft nun ein Bild des Bestands und Bedarfs von noch größerem Umfang. Nachdem die ursprünglichen Bahnhofstelegramme so zweimal zusammengemahlen und gemengt worden sind, erhält die oberste Leitstelle telegraphisch die Gesamtübersicht zugestellt.

Sofort setzt sie mit ihrer allumfassenden Arbeit ein. Nach genauer Betrachtung des Bedarfs im ganzen Reich, der ihr allein bekannt ist, gibt die Leitstelle jedem Bezirk bindende Anweisung, wie er seinen Bestand auszuteilen hat, wieviele und wie geartete Wagen er selbst behalten darf, wieviele er anderen Bezirken zusenden muß und läßt ihm Mitteilung darüber zukommen, was ihm von dort wiederum zufließen wird. Bereits zu einer frühen Nachmittagsstunde jedes Werktags sind alle Bahnhöfe bis zur letzten Haltestelle mit Güterverkehr darüber unterrichtet, wie sie ihre Bestände an Güterwagen zu behandeln haben, und was ihnen innerhalb der nächsten 24 Stunden zur Befriedigung des eigenen Bedarfs zur Verfügung stehen wird.

Die mächtige Leitstelle, deren Anweisungen den gesamten deutschen Eisenbahnverkehr täglich bis in die tiefsten Tiefen beeinflussen, ist das Hauptwagenamt in Berlin, das dem Eisenbahnzentralamt angegliedert ist. Die Tätigkeit dieser Amtsstelle für den deutschen Eisenbahnkörper ist etwa mit der des Herzens zu vergleichen. Jeder Güterwagen ist ein Blutstropfen, der immer wieder zum Herzen fließt und von dort auf die verschiedenen Blutbahnen verteilt wird. Wenn ein Körperteil besonders schwer zu arbeiten hat, so wird ihm von dem hochempfindlichen Herzen mehr Blut zugepreßt; er läßt dann auch entsprechend mehr abfließen. In gleicher Weise verstärkt das Hauptwagenamt die Ströme nach scharf beanspruchten Bahnpunkten und läßt sie nach beendeter Arbeit wieder zurückebben.

Freilich weiß der nervöse Steuerungsapparat des Herzens nichts davon, ob z. B. eine Fingerspitze besonders starke Zufuhr nötig hat. Wäre der Hauptleitstelle im menschlichen Körper die Blutumlaufsregelung bis zu jeder feinsten Verästelung übertragen, so würde sie mit Melde- und Befehlsleitungen so überlastet sein, daß ein folgerichtiges Arbeiten gar nicht möglich wäre. Dementsprechend sind auch vor das Hauptwagenamt zahlreiche andere Ämter geschaltet, denen die Einzelmeldungen zugehen. Von hier aus werden die Stellen nächsthöherer Ordnung benachrichtigt, und diese erst lassen dem Hauptwagenamt ihre Meldungen zugehen.

Die Arbeit des täglichen Güterwagenausgleichs in Deutschland vollzieht sich tatsächlich in folgenden Formen.

Am Vormittag werden sämtliche Geleise jedes Bahnhofs von Beamten abgeschritten, die jeden vorhandenen Güterwagen aufschreiben. Ferner wird an Hand von eingegangenen Mitteilungen geschätzt, was im Lauf des Nachmittags und der Nacht noch an solchen Wagen eintreffen wird, die bis zum nächsten Mittag entladen, also zur Weiterbenutzung verfügbar sein werden. Weiter sind die Wagen aufzunehmen, die im Lauf des Tags aus den Werkstätten und Entseuchungsanlagen kommen werden. Die Gesamtsumme der Zuflüsse aus allen diesen Quellen bildet den Bestand. Andererseits ist festzustellen, wieviel Wagen von Gewerbetreibenden bestellt sind, wieviel für die Abfuhr von Stückgütern, für den inneren Dienst, als Schutzwagen, Postbeiwagen usw. gebraucht werden. Hieraus ergibt sich der Bedarf. Bestand und Bedarf sind dann bis zur Mittagsstunde, nach Wagengattungen geordnet, dem zuständigen Wagenbüro mitzuteilen.

Dies ist die Hauptmeldung.

Eine solche telegraphische Hauptmeldung sieht etwa so aus:

• Bd G 10 00 3 SSl 1 Veg 2

• Bst N 2 G 1 R HHsz 1 0m 25.

Hierin bedeutet:

• Bd Bedarf,

• G zwei- oder dreiachsige bedeckte Güterwagen (von denen 10 vorhanden sind),

• 00 vierachsige offene Güterwagen mit Wänden von mehr als 0,40 Meter Höhe,

• SSl Schienenwagen mit mehr als 12 Meter Länge der Ladefläche,

• Veg bedeckte Viehwagen mit Zwischenboden für Gänsebeförderung,

• Bst Bestand,

• N bedeckte Güterwagen mit Luftbremse oder Luftleitung, zur Benutzung in schnellfahrenden Zügen geeignet,

• R offene Wagen von mindestens 9,9 Meter Länge der Ladefläche mit langen, hölzernen Seitenpfosten (Rungen),

• HHsz Holzwagenpaar, ausgerüstet mit Kuppelstangen und mit Zinken auf den Wendeschemeln,

• 0m offene Güterwagen von mindestens 15 000, aber weniger als 20 000 Kilogramm Ladegewicht.

Jedes Wagenbüro empfängt ein starkes Bündel solcher Hauptmeldungen, dazu noch eine ganze Reihe von Nebenmeldungen und stellt daraus die Bedarfs- und Bestandszahlen der einzelnen Wagengattungen schleunigst zusammen. Es meldet sie für seinen ganzen Bezirk umgehend der Gruppen-Ausgleichstelle. Dort müssen die Telegramme bis 114 Uhr eingetroffen sein.

Solcher Gruppen-Ausgleichstellen gibt es im ganzen Deutschen Reich nur zehn:


Aus dieser Zusammenstellung ersieht man, in welcher Weise große Gebiete immer in einer Ausgleichstelle zusammengefaßt sind. Das Hauptwagenamt in Berlin ist gleichzeitig Ausgleichstelle für Gruppe III, die den besonders wichtigen Bezirk Berlin umfaßt. Hierdurch wird seine Übersicht über das Ganze wesentlich erleichtert.

Nachdem die Gruppen-Ausgleichstellen die von den Wagenbüros zusammengestellten Meldungen erhalten haben, fertigen sie nunmehr eine Übersicht über ihren ganzen Ausgleichbezirk an und übermitteln diesen telegraphisch dem Hauptwagenamt. Dort treffen die Meldungen bis 2 Uhr ein.

Das Hauptwagenamt behandelt die ihm zugeflossenen zehn Meldungen zusammen mit den Nachrichten, die bei ihm sonst über den Verkehrszustand und die Verkehrsanforderungen eingetroffen sind, so, daß es einen möglichst klaren Überblick erhält, welche Gegenden besonders gründlich zu versorgen sind, woher viel entnommen werden kann usw. usw. Den einzelnen Gruppenausgleichstellen werden dann die Wagen so zugeteilt, daß ein möglichst glatter Umlauf entsteht. Oft ist es in Rücksichtnahme auf das höhere Ganze notwendig, einer Ausgleichstelle „trotz eigenen Bedarfs“ Wagen für eine andere fortzunehmen. Das Hauptwagenamt hat eben in jedem Augenblick die wichtigsten Verkehrsarten besonders zu bedenken, und nur diese Stelle allein kann das tun, da ausschließlich sie es ist, die das Ganze überschaut.

Nachdem der Hauptausgleich vorgenommen ist, drahtet das Hauptwagenamt die Wagenabnahmen und – zuweisungen an die Gruppen-Ausgleichstellen. Jede von diesen nimmt demzufolge den endgültigen Ausgleich für den Bereich jedes ihr unterstellten Wagenbüros vor und teilt diesen Stellen das Ergebnis bis 334 Uhr mit. Am frühen Nachmittag sind bereits alle Bahnhöfe unterrichtet, und sofort kann damit begonnen werden, die leeren Wagen in der angeordneten Weise in Bewegung zu setzen.

Die hier geschilderte Art der Verteilung bezieht sich jedoch in der Hauptsache nur auf bedeckte Wagen. Die offenen Güterwagen für Kohle- und Koksbeförderung nehmen eine Ausnahmestellung ein. Sie werden in außerordentlich großer Zahl ständig in den Hauptkohlebezirken, also in Oberschlesien, Niederschlesien, im Ruhr- und Saargebiet gebraucht. Da also nach dorthin ständig Rückläufe leerer Wagen stattfinden müssen, so besteht für bestimmte Bezirke, nach denen die Kohle regelmäßig in großen Mengen versendet wird, allgemein die Anordnung, die entladenen Kohlenwagen an bestimmte Orte in den genannten Bezirken zurücklaufen zu lassen. Diese selbsttätig arbeitenden „Zuführungsgebiete“ sind scharf umrissen, so daß man in Schlesien, an der Ruhr und an der Saar täglich auf eine sehr große Zahl eingehender Leerwagen rechnen kann.

Es gibt eine ganze Reihe von Güterwagen, die besondere Formen und Vorrichtungen besitzen. Diese sind gewöhnlich den Bedürfnissen eines bestimmten Bezirks angepaßt, und hier besteht immer ein besonderer Wunsch, sie ladebereit zur Hand zu haben. So hat z. B. eine Gegend, in der viele Fabriken für Hohlglaswaren sich befinden, einen starken Bedarf an großräumigen Wagen, Bezirke mit einem ausgedehnten chemischen Gewerbe brauchen viele Kesselwagen, andere in reichem Maß Fahrzeuge für Kalkbeförderung usw. Viele der in besonderer Weise ausgebildeten Wagen tragen darum die Bezeichnung „Spezialwagen“.

Derartige Fahrzeuge dürfen an ihrer Ankunftsstelle nur dann neu beladen werden, wenn die Waren nach dem Heimatbezirk eines solchen Wagens oder nach einem Ort bestimmt sind, der in der Richtung zu diesem Heimatbezirk liegt. Ist keine geeignete neue Ladung vorhanden, so müssen Spezialwagen leer zurückgesendet werden. Das gleiche gilt sinngemäß für die „Stationswagen“, die auf einem bestimmten Bahnhof mit Sonderbedürfnis beheimatet sind.

Durch diese Anordnung wird die Zahl der Leerläufe erhöht, und es besteht das Bestreben, die Zahl der Spezialwagen immer mehr zu vermindern. Je ausgedehnter der Wagenpark der deutschen Bahnen wird, je mehr Wagen jeder Gattung also vorhanden sind, um so geringer darf die Zahl der nicht ganz freizügigen Spezialwagen werden.

 

Die Schwankungen im Güterverkehr der deutschen Eisenbahnen sind außerordentlich groß. Im Frühjahr und Herbst werden oft stoßweis außerordentliche Mengen von Wagen aller Art angefordert, im Sommer dagegen stehen zuzeiten 60 000 bis 80 000 Wagen unbenutzt da, so daß sich trotz der ausgedehnten Vorkehrungen ein Mangel an Aufstellgeleisen bemerkbar macht. Will man unter diesen Umständen ein wirtschaftliches Ergebnis aus dem Güterwagenumlauf erzielen, was ja auch bei den Staatsbahnen als den Hauptstützen der Staatshaushalte notwendig ist, so kann der Wagenpark nicht gut so weit vermehrt werden, daß er dem höchsten Tagesbedarf, der vielleicht nur sieben- oder achtmal im Jahr eintritt, zu genügen vermag. Wenn so viele Wagen tatsächlich vorhanden wären, wie an solchen Tagen gebraucht werden, so würde während eines großen Teils des Jahrs eine gewaltige Geldsumme ungenutzt bleiben.

Es ist daher nicht gut möglich, das Gespenst des Wagenmangels vollständig zu bannen. Immerhin betrachten es die deutschen Bahnen als ihre Aufgabe, den Wagenpark ständig so weit zu vermehren, daß Schädigungen einzelner Gewerbe durch länger andauernden Wagenmangel vermieden werden. Meistens handelt es sich bei Wagenausfällen nur um kürzere, zeitliche Verschiebungen. Die Fahrzeuge, die heute nicht zur Verfügung stehen, sind in zwei oder drei Tagen meistens schon zur Stelle. Die großen Gewerbe, in deren Natur ein stoßweis anschwellendes Versandbedürfnis liegt, könnten freilich den Bahnverwaltungen auch dadurch mehr entgegenkommen, daß sie eine bessere zeitliche Verteilung ihres Warenversands vornähmen, als dieses bis heute geschieht. Lagerstellen an zerstreut im Reich liegenden Orten, die vorzeitig versorgt werden könnten, sind noch in viel zu geringer Zahl vorhanden. Ihre weitere Ausbildung würde den Wagenumlauf und damit die Verzinsung der in den Eisenbahnmitteln untergebrachten öffentlichen Gelder sehr günstig beeinflussen.

Nach Maßgabe der geschilderten großzügigen Verteilung rollen täglich die zahllosen Güterzüge über die deutschen Bahnen. Die Zusammensetzung jedes einzelnen ist stets eine andere, eine immer wiederkehrende Erscheinung ist meist nur der Packwagen, der auch in allen Güterzügen läuft. Er dient hier jedoch nicht mehr zur Aufnahme von Ladung, sondern zum Unterbringen der begleitenden Mannschaft, des Zugführers und der Packmeister. Gewöhnlich steht der Wagen ganz vorn im Zug, damit der Zugführer und die Lokomotivmannschaft sich beim Anhalten des Zugs rasch miteinander verständigen können.

Um den Verkehr der beladenen und leeren Güterwagen möglichst bequem und leichtflüssig zu machen, werden drei Arten von Güterzügen unterschieden: Fern-Güterzüge, Durchgangs-Güterzüge und Nah-Güterzüge.

Die Fern-Güterzüge dienen insbesondere der Beförderung von Massengütern, wie Kohle, Erz, chemische Erzeugnisse, und dem Rücklauf leerer Wagen. Sie durchfahren sehr weite Strecken, ohne ihren Bestand zu ändern. Aus diesem Grund können die Wagen ohne besondere Ordnung in sie eingestellt werden; sie laufen „bunt“, wie der Fachmann sagt. Am Zielbahnhof werden die Fern-Güterzüge aufgelöst, und die von ihnen mitgebrachten Wagen dienen, soweit sie nicht für den Zielbahnhof selbst bestimmt sind, nun zur Bildung von Durchgangs- und Nah-Güterzügen.

Die Durchgangs-Güterzüge haben die Aufgabe, den Verkehr zwischen den großen Bahnhöfen eines Bezirks, insbesondere den Hauptknotenpunkten, zu vermitteln. Sie pflegen deshalb auch nur dort anzuhalten und dann ihren Bestand gruppenweis zu ändern. Die kleinen Bahnhöfe schließlich werden von Nah-Güterzügen versorgt, die überall anhalten, an allen Orten einzelne Wagen ein- und aussetzen.

Damit dieses Geschäft rasch und unter möglichst geringer Vergeudung von Lokomotivkraft erledigt werden kann, werden die Wagen in den Nah-Güterzügen gleich am Abgangsbahnhof in bestimmter Ordnung eingestellt. Hinter die Lokomotive kommt zuerst der Packwagen, dann folgen die Wagen für den nächsten Bahnhof, darauf die für den zweitnächsten und so fort bis zum Schluß, wo die für den Zielbahnhof bestimmten Wagen stehen. Die Züge sind „bahnhofsweis geordnet“. Kommt der Zug auf einem Zwischenbahnhof an, so bringt die Lokomotive die vordersten Wagen auf ein Nebengleis, setzt neu einzustellende Wagen, die meist bis zum nächsten Knotenpunkt und darüber hinaus zu laufen haben, an das Ende des Zugs, worauf dieser dann weiterfahren kann.

Fast gar kein Wagenwechsel findet bei Stückgüterzügen statt, die keine geschlossenen Wagenladungen zu befördern haben. Sie führen Einzelsendungen, die in den Wagen gestapelt sind. Die einzelnen Ballen, Kisten usw. werden auf den angegebenen Bestimmungsorten in Schuppen oder in bereitstehende Bahnhofswagen ausgeladen.

Güter, für die eine besonders rasche Beförderung vorgeschrieben oder notwendig ist, so unter anderem auch Wagen mit lebendem Vieh, werden in Eilgüterzügen befördert. Diese haben eine sehr viel geringere Wagenzahl, sind mit durchgehenden Bremsen ausgerüstet und können mit annähernder Personenzug-Geschwindigkeit gefahren werden. Dienen Züge außer zur Güter- auch zur Personenbeförderung, indem geeignete Wagen in sie eingestellt werden, so nennt man sie gemischte Züge.

Zur Bildung der Güterzüge sind an den großen Knotenpunkten umfangreiche Anlagen notwendig. Äußerst zahlreiche Verschiebe-Bewegungen müssen ausgeführt werden, bis die Wagen in jedem einzelnen Zug richtig gereiht sind. Damit dieses vielgestaltige Geschäft möglichst ungestört durch andere Dienste vor sich gehen kann, sind besondere Verschiebebahnhöfe angelegt, in denen nichts anderes vorgenommen wird als nur das Reihen der Güterzüge. Das Bewegen der Wagen wird an solchen Orten heute fast ausnahmslos unter Zuhilfenahme der Schwerkraft ausgeführt.

Früher geschah das Verschieben der Wagen ausschließlich durch Hin- und Herfahren der Lokomotiven und Abstoßen. Wenn die Wagen eines ankommenden Zugs auf verschiedene Geleise verteilt werden mußten, so wurden sie nacheinander von der hinter den Zug gesetzten Verschiebelokomotive dort hineingestoßen. Das fortgesetzte Hin- und Herfahren und immer wiederkehrende plötzliche Bremsen nutzte die Wagen stark ab, die Kupplungen wurden oft zerrissen, Puffer verbogen und das Bremsgestänge übermäßig in Anspruch genommen. Auch die Ladungen litten unter den stoßweisen Bewegungen. Ferner gingen durch das häufige Hin- und Zurückfahren auch viel Zeit und Kraft unnötig verloren.

An vereinzelten Stellen ist man dann dazu übergegangen, ganze Verschiebebahnhöfe in Gefälle zu legen, so daß die Wagen von den hochliegenden Einfahrgeleisen aus selbsttätig in die Einzelgeleise ablaufen. Diese Anordnung wird jetzt seltener ausgeführt, da jeder im Bahnhof stehende Wagen festgehalten werden muß und Verschiebe-Bewegungen in der Gegenrichtung äußerst unbequem sind. Als vorzügliches Mittel hat sich jedoch der Ablaufberg oder Eselsrücken bewährt.

Um die neuzeitliche Verschiebearbeit mit Benutzung des Ablaufbergs kennenzulernen, begeben wir uns auf einen großen Bahnhof, der damit ausgerüstet ist. Er möge eine Anordnung haben, wie sie auf dargestellt ist. Wir nehmen an, daß auf den Strecken a, b, c und d Fern-Güterzüge ankommen; sie bringen von weither Wagen für die verschiedenen Bahnhöfe, die im Nahbereich der hier dargestellten Verschiebeanlage liegen. Die Fernzüge sind also aufzulösen, und es müssen aus ihnen Nah-Güterzüge mit Bahnhofsordnung gebildet werden. Bei unserer Ankunft laufen nacheinander in den Einfahrgeleisen vier Fern-Güterzüge ein. Sogleich wird von jedem Zug die Lokomotive abgekuppelt, und jede Maschine fährt über das Lokomotivgleis zu ihrem Schuppen. Alsbald kommt eine Verschiebelokomotive herbei und setzt sich hinter einen der angekommenen Züge.

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