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Die Welt auf Schienen

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Zu diesem Zweck wird nach Erreichung des Druckausgleichs zwischen dem Hilfsluftbehälter und dem Einkammerzylinder selbsttätig ein Ventil geöffnet, welches den Rest der im Hilfsluftbehälter eingeschlossenen Druckluft ins Freie entweichen läßt. Der Kolben im Hilfsluftbehälter kommt dann unter dem Druck der Steuerkammerseite zum Anliegen an das Bremsgestänge, so daß auf dieses jetzt zwei Kolben wirken, und die Bremskraft entsprechend verstärkt wird. Diese zusätzliche Kraft wird an den Güterwagen benutzt, um auch das Ladegewicht abzubremsen.

Wenn nämlich ein Güterwagen voll beladen ist, so muß, um ihn von voller Fahrt zum Stillstand zu bringen, natürlich eine weit größere lebendige Kraft vernichtet werden, als wenn er leer läuft. Eigentlich müßte also jeder leere Wagen anders abgebremst werden als ein beladener. Das war nun von den Handbremsern niemals mit genügender Genauigkeit zu erreichen. Auch keine Luftsauge- oder Druckluftbremsart besaß bisher diese Veränderlichkeit. Erst die Kunze-Knorr-Bremse gestattet eine Doppeleinstellung an jedem einzelnen Wagen.

Es wird sich nach ihrem Einbau an den beiden Längsseiten jedes Güterwagens je ein besonderer Handgriff befinden. Ist der Wagen unbeladen, so wird der Hebel nach links, auf Bremsung für den leeren Wagen, ist das Gefährt belastet, so wird der Griff nach rechts, auf Bremsung für den beladenen Wagen, eingestellt. Im ersten Fall wirkt nur der Kolben des Einkammer-Zylinders, im zweiten auch noch derjenige des Zweikammer-Hilfsluftbehälters auf das Bremsgestänge ein. Der beladene Wagen wird also weit kräftiger abgebremst als der leere. Freilich wird durch diese Einrichtung die Abfertigung der Güterzüge mit einer neuen Verrichtung, nämlich der Einstellung des Bremsgriffs, belastet. Aber das will herzlich wenig bedeuten gegenüber den außerordentlich großen Vorteilen, die hierdurch beim Bremsen der Züge entstehen.

Durch ein besonderes Entgegenkommen der preußischen Eisenbahnverwaltung hatte der Verfasser Gelegenheit, eine der letzten Fahrten zur Ausprobung der Kunze-Knorr-Bremse mitzumachen. Als Erprobungsstrecke war eine Linie mit besonders steilen Gefällen, nämlich die Strecke zwischen Arnstadt und Suhl, gewählt. Über seine Eindrücke bei dieser Fahrt berichtete der Verfasser in der „Frankfurter Zeitung“:

Am Morgen eines Herbsttags fuhren wir vom Hauptbahnhof des thüringischen Örtchens Arnstadt aus. Es war für die Versuchsfahrten ein Güterzug von 120 Achsen zusammengestellt, der eine Länge von fast 700 Metern hatte. Vorn zog eine starke Lokomotive und hinten waren zwei Schiebemaschinen angesetzt, denn bald hinter Arnstadt, von Gräfenroda ab, steigt die Strecke im Verhältnis von 1: 50 an.

Der höchste Punkt der thüringischen Strecke liegt ungefähr in der Mitte des großen, mehr als drei Kilometer langen Brandleite-Tunnels, unmittelbar vor dem Bahnhof Oberhof. Von dort ab geht es über Zella-St. Blasii bis Suhl ebenso steil hinab, und in dem Gefälle zwischen Oberhof und Suhl, also auf einer für den Bremsbetrieb besonders beschwerlichen Strecke, sollten die Versuche stattfinden. Es ist selbstverständlich, daß eine Bremse, die einen schweren Zug in so starkem Gefälle zu meistern vermag, auch auf den Flachlandstrecken allen Anforderungen genügen wird.

Als Beobachtungsstelle für die Versuchsfahrten war hinten an den Güterzug ein Saalwagen gehängt, in dem ein großer Tisch mit Meßvorrichtungen aufgestellt war. In dem Wagen befanden sich die mit der Leitung der Versuche beauftragten Beamten des preußischen Eisenbahnzentralamts, sowie Vertreter anderer deutscher Eisenbahnverwaltungen. Die Schiebemaschinen blieben vor dem Tunnel zurück, so daß für die eigentlichen Meßfahrten von Oberhof hinab nach Suhl nur die eine Lokomotive an der Spitze, die ziehende Lokomotive, verwendet wurde.

Der letzte Wagen des Zugs war für die Beobachtung und die Messungen am geeignetsten, weil ja hier allein, im weitesten Abstand vom Führerbremsventil auf der Lokomotive, die Bremswirkung durch den ganzen Zug genau festgestellt werden konnte. Jede Bewegung des Führerbremsventils auf der Maschine, das durch ein Kabel mit dem Meßtisch verbunden war, verursachte in dem Meßwagen besondere Kontaktschlüsse, so daß die erreichten Bremswege, die Durchschlagszeiten der Bremswirkung und die Vorgänge in den Bremszylindern und Luftbehältern selbsttätig aufgezeichnet wurden. Für die Beobachtungen im Zug waren noch drei andere Meßwagen auf die ganze Länge des Zugs gleichmäßig verteilt, die mit Beamten besetzt und an das zwischen dem letzten Meßwagen und der Lokomotive über die Dächer hinlaufende Telephonkabel angeschaltet waren; hierdurch konnten bestimmte Versuche durch Fernspruch nach Belieben angeordnet werden.

Die Strecke hat viele enge Krümmungen, und an einer dieser Biegungen genoß ich beim Hinaussehen aus einem geöffneten Fenster des Beobachtungswagens einen Anblick, der höchst neuartig war. Der ganze, endlos lange Zug war bis zur Maschine vollständig zu überschauen. Wir fuhren mit einer Geschwindigkeit von etwa 60 Kilometern in der Stunde bergab, und doch befand sich kein einziger Bremser im ganzen Zug. Mit einem kleinen Ventilhebel, der so bescheiden aussieht wie ein Türgriff, beherrschte der Lokomotivführer das riesige Zuggewicht; er vermochte, den wechselnden telephonischen Befehlen vom letzten Wagen her folgend, dem Zug trotz des starken Gefälles jede gewünschte Geschwindigkeit zu geben, ja ihn auf wenige hundert Meter zum Halten zu bringen. Den Fahrgästen in den auf dem anderen Gleis vorübereilenden Personenzügen wird unser Probezug nicht als etwas Besonderes aufgefallen sein. In Wirklichkeit stellte er durch die ausgezeichnete Wirkung der neuen Bremse über eine Zuglänge von fast 700 Metern ein höchst erstaunliches technisches Kunstwerk dar.

Wir hatten zu beobachten, ob der Zug mit Hilfe seiner Bremse imstande sein würde, im Gefälle jede gewünschte Geschwindigkeit innezuhalten und von jeder Geschwindigkeit aus rasch genug zum Stehen gebracht werden könnte. Es gelang alles überraschend gut, so daß diese Versuchsfahrt als eine der letzten angesehen, und die Bauart der neuen Bremse als gelungen betrachtet werden konnte.

Auf Befehl brachte der Lokomotivführer die Fahrt des Zugs von 60 auf 30 und später auf 10 Kilometer hinunter und fuhr so, während der Zeiger des Geschwindigkeitsmessers sich beständig auf 10 einspielte, über mehrere Kilometer den steilen Berg hinab. Das ist angesichts des Zuggewichts und des Neigungswinkels der Strecke eine richtige technische Kunstleistung. Bei dieser Regelung und auch bei der Schnellbremsung aus 60 Kilometern Stundengeschwindigkeit auf Stillstand empfand man im Zug keine Schwankung, keinen Ruck oder Stoß, was ganz besonders beachtenswert ist. Niemals noch ist ein Güterzug so weich abgebremst worden.

Später weilte ich bei gleichen Versuchen, die auf der langen Gefällstrecke von Oberhof nach Gräfenroda stattfanden, auf der Lokomotive, um die Tätigkeit des Führers bei den Bremsungen beobachten zu können. Es war eine ganz gewöhnliche Güterzuglokomotive, an deren Handgriffen nichts geändert worden war. Den telephonischen Anordnungen folgend, meisterte der Führer den Zug mit größter Sicherheit und Leichtigkeit. Er war gar nicht anders in Anspruch genommen als sonst, hatte reichlich Zeit, die Dampfregelungsventile zu betätigen und in Ruhe die Signale zu beachten. Er äußerte auf meine Frage seine Freude darüber, daß es dem Lokomotivlenker fortab auch bei Güterzügen möglich sein würde, den ganzen Zug selbst zu beeinflussen, und daß er nicht mehr von dem guten Willen der weit entfernten einzelnen Bremser abhängig zu sein brauchte. Er betrachtete das, gerade wie die Aufsichtsbeamten, als eine Erleichterung des Dienstes und zugleich als eine starke Erhöhung der Sicherheit auf der Strecke.

Die Vorteile, die nach Einführung der neuen Kunze-Knorr-Bremse eintreten werden, sind, um sie noch einmal zusammenzufassen, folgende:

Die Handbremsen der Güterzüge mußten bis jetzt mit Bremsern besetzt werden, weil die bisherigen Bauarten durchgehender Bremsen für lange Züge ungeeignet waren. Die neue Bremse bewirkt dadurch, daß diese Bremser fortab fehlen können, eine sehr bedeutende Verbilligung des Güterzugbetriebs. Jede Bremsung kann nach rückwärts abgestuft werden. Vor allem aber steigt trotz Erhöhung der Geschwindigkeit die Betriebssicherheit der Güterzugfahrten infolge zuverlässiger und gleichmäßiger Abbremsung von einer einzigen Stelle aus. Der Lokomotivführer beherrscht den ganzen Zug mit eigener Hand und trägt die gesamte Verantwortung für ihn. Die Geschwindigkeit der Güterzüge kann erheblich gesteigert werden. Daraus folgt eine durchgreifende Entlastung der Strecken, so daß der Neubau dritter und vierter Geleise an sehr vielen Stellen überflüssig wird und viele hundert Millionen gespart werden können. Die freilich auch nicht geringe Ausgabe für den Einbau der neuen Bremse selbst tritt hiergegen zurück. Güterwagen und Personenwagen können fortab in gemischten Zügen weiter leichter durcheinander eingestellt werden. Infolge der durchlaufenden Bremsleitung kann kein Zerreißen eines Zugs mehr stattfinden, ohne daß der Lokomotivführer dies durch das selbsttätige Anschlagen der Bremsen sofort merkt. Es findet gleichmäßig wirkende Bremsung leerer und beladener Güterwagen durch die Einstellbarkeit der neuen Bremse statt.

Hiernach wird man es verstehen, daß auch die „Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen“ die Schaffung der neuen Bremse als den „für die nächsten Jahrzehnte vielleicht bedeutungsvollsten Fortschritt zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit und Betriebssicherheit der Eisenbahnen“, als einen „Markstein in der Geschichte des Eisenbahnwesens“ bezeichnet.

19. Der Ursprung

Wir haben nunmehr sämtliche Teile betrachtet, aus denen unser Schnellzug Berlin-München zusammengesetzt ist und auch die anderen auf demselben Gleis rollenden Züge gebildet zu sein pflegen. Auch die Teile der Teile haben wir uns angesehen, soweit sie einen wesentlichen Einfluß auf die Zugfahrt zu üben vermögen.

 

Nunmehr ist es Zeit, den eiligen Läufer als Ganzes ins Auge zu fassen. Da drängen sich uns zunächst die Fragen auf: Woher kam der Zug, den wir fertig gebildet aus dem Gleisgewirr des Außenbezirks in die Halle des Anhalter Bahnhofs einfahren sahen? Wie sieht die Stelle aus, an der er seinen Ursprung hatte? Welche Handlungen sind notwendig, damit im Lauf von 24 Stunden alle die unzähligen Züge fertig gebildet in den Bahnhöfen zur Verfügung stehen?

Zur Beantwortung dieser Fragen müssen wir ein Gebiet betreten, das abseits der von den Reisenden durchzogenen großen Eisenbahnstraßen liegt. Es ist dazu verurteilt, den Fahrgästen unbekannt zu bleiben.

Der Ursprung eines jeden Personenzugs ist die Zugbildungsstelle. Wichtigste Vorgänge vollziehen sich hier, von denen keine Kunde nach außen dringt. Es gibt noch manche andere solcher geheimnisvollen Stätten im Eisenbahnbetrieb, und daher erscheint dieser dem Außenstehenden sehr viel einfacher als er in Wirklichkeit ist. Der Fahrgast sieht nur den scharf geregelten, glatten Ablauf des Verkehrs und ist bei oberflächlicher Betrachtung leicht der Meinung, daß dieser sich ohne sonderliche Bemühungen abzuspielen vermag. Aber gerade damit eine störungsfreie Abwicklung der Zugfahrten möglich wird, sind außerordentliche Veranstaltungen abseits von jenen Stätten notwendig, die von den Reisenden und auch von den Auflieferern der Güter betreten werden.

Es geht in der Welt auf Schienen ähnlich zu wie in der Welt des Theaters. Wenn der Vorhang sich hebt, steht der Schauplatz fertig da, die Schauspieler treten, wie selbstverständlich, zur rechten Zeit auf, die Musik setzt im gegebenen Augenblick ein, es wird zur richtigen Zeit hell oder dunkel auf der Bühne, und auch das Gewitter läßt keinesfalls auf sich warten, wenn es nach des Dichters Vorschrift sich abspielen muß. Aber hier weiß selbst der unbefangenste Zuschauer, daß sich vorher hinter den Kulissen eine rege Arbeitstätigkeit abgespielt hat, daß Anordnungen und Verabredungen vielfältiger Art haben vorangehen müssen, damit die Aufzüge glatt heruntergespielt werden können.

Solche Tätigkeiten „hinter den Kulissen“ gibt es auch bei der Eisenbahn in sehr großer Zahl. Die Voraussicht der Spielleiter muß aber hier sehr viel weitergehend sein als auf der Bühne, denn in diesem Bereich handelt es sich nicht um Scheinvorführungen, sondern um hartes Leben, nicht darum, den Schauplatz für ein Dichtwerk zu bereiten, sondern die stürmischen Erscheinungen der Züge glatt und stoßlos über weite Landstrecken zu führen.

Man kann den Eisenbahnverkehr auch mit einem Riesenuhrwerk vergleichen, bei dem die Zähne aller Räder genau ineinander greifen. Es genügt aber nicht, daß die oberste Leitung diese gewaltige Uhr einfach aufzieht, die Arbeit der einzelnen Teile muß in jedem Augenblick sorgfältig überwacht und immer wieder aufs genaueste in zwangläufige Übereinstimmung gebracht werden.

Auch bei der Bildung der Personen- und Güterzüge ist stets nach fest umrissenen Vorschriften zu handeln. Diese sind das Ergebnis sehr eingehender, oft langwieriger Erwägungen und Verhandlungen im Schoß der leitenden Behörde. Die Fahrpläne bilden die Grundlage der Vorschriften für die Zusammenfügung der einzelnen Wagen zu Zügen, deren regelmäßiger Lauf ja der Zweck all der ungeheuren Einrichtungen ist.

Über die Fahrplanrücksichten hinaus unterliegt die Länge der Züge einer Begrenzung aus einem uns bereits bekannten, rein technischen Grund. Die Bremsen besitzen nur eine bestimmte höchste Durchschlagsgeschwindigkeit, weshalb die Wagen nicht in willkürlicher Zahl aneinandergereiht werden dürfen. Die „Fahrdienstvorschriften“ setzen die Stärke der Züge nach verschiedenen Gattungen und Geschwindigkeiten fest. Da die Länge der Wagenkasten sehr stark wechselt, so werden nicht Meterzahlen, sondern Achszahlen angegeben, die einen gleichmäßigeren Maßstab darstellen.

In dem Abschnitt „Bildung der Züge“ sagen die Fahrdienstvorschriften, daß Personenzüge auf Hauptbahnen bei Geschwindigkeiten

bis zu 50 Kilometern nicht über 80 Wagenachsen

bis zu 60 Kilometern nicht über 60 Wagenachsen

bis zu 80 Kilometern nicht über 52 Wagenachsen

darüber hinaus nicht mehr als 44 Wagenachsen

stark sein dürfen. In Schnellzügen, die sechsachsige Wagen führen, dürfen diese Achszahlen für jeden solcher Wagen um zwei Achsen überschritten werden, jedoch nur bis zur Höchstzahl von 60 und 52 Achsen in den beiden letztgenannten Fällen.

Güterzüge dürfen auf Hauptbahnen bei Geschwindigkeiten

bis zu 45 Kilometern nicht über 120 Wagenachsen

bis zu 50 Kilometern nicht über 100 Wagenachsen

bis zu 55 Kilometern nicht über 80 Wagenachsen

bis zu 60 Kilometern nicht über 60 Wagenachsen

stark sein. Auf Strecken, die besonders günstige Neigungs- und Krümmungsverhältnisse, sowie genügend ausgedehnte Bahnhofsanlagen besitzen, kann die Eisenbahndirektion mit Genehmigung der Landesaufsichtsbehörde für Güterzüge mit Geschwindigkeiten bis zu 45 Kilometern 150 Wagenachsen als Höchstzahl zulassen.

Wagen mit Gegenständen, die leicht Feuer fangen, dürfen nicht in unmittelbare Nähe der Lokomotive oder von Wagen mit Ofenheizung gestellt werden. Ganz besondere Vorsichtsmaßregeln sind bei solchen Wagen anzuwenden, die Sprengstoffladung enthalten.

Da die Erfahrung gezeigt hat, daß bei Unfällen der erste hinter der Lokomotive laufende Wagen gewöhnlich die schwersten Beschädigungen erleidet, so ist vorgeschrieben, daß in allen zur Personenbeförderung bestimmten Zügen, die eine größere Stundengeschwindigkeit als 50 Kilometer haben, der erste Wagen mit Reisenden nicht besetzt werden darf, sondern als Schutzwagen laufen muß. Wo ein Packwagen im Zug ist, wird dieser als Schutzwagen eingestellt. Die Postwagen sollen diesem Zweck nur dienen, wenn es unvermeidbar ist. Diese Notwendigkeit tritt z. B. ein, wenn ein Zug unterwegs in einem Kopfbahnhof gewendet wird. Es ist in solchem Fall meistens weder Zeit noch Gelegenheit, den Packwagen an das andere Ende des Zugs zu bringen. Der Postwagen läuft alsdann bis zur Wendestelle als letzter Wagen, von hier an als erster. Um die Beamten der Fahrpost nach Möglichkeit zu sichern, werden, wie bereits erwähnt wurde, in den neueren Postwagen an beiden Stirnseiten besonders widerstandsfähig ausgebildete Abteile eingerichtet, die unbesetzt bleiben müssen.

Es ist uns gleichfalls bereits bekannt, daß in Schnellzüge zweiachsige Wagen nicht oder doch nur auf ganz besondere Anordnung eingestellt werden dürfen. Ferner dürfen zwischen Wagen mit Drehgestellen Wagen anderer Bauart nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Eisenbahndirektion laufen. Die Verwendung dreiachsiger Wagen in Schnell- und Eilzügen ist gleichfalls beschränkt; sie dürfen hierzu nur benutzt werden, wenn sie einen Achsstand von mindestens sechs Metern und 16 000 Kilogramm Eigengewicht haben.

Für die Anordnung der Abteile gilt folgendes.

In den Personenzügen ist die Hälfte der Abteile erster, zweiter und dritter Klasse, ohne Einrechnung der Frauenabteile, für Nichtraucher zu bestimmen. Nichtraucherabteile dürfen innerhalb der vorgeschriebenen Zahl nicht zu Raucherabteilen umgewandelt werden, auch wenn die Raucherabteile nicht ausreichen. Bei Schnell- und Eilzügen soll von jedem Abteil aus ein Abort zugänglich sein. Ein Abteil erster oder zweiter Klasse darf, auch wenn der Zug nur diese Klassen führt, nicht als Dienstabteil für die Zugbegleitbeamten eingerichtet werden.

Die in den Personenzügen laufenden Wagen werden unterschieden in Stammwagen, das heißt solche Wagen, die ständig auf der ganzen, vom Zug durchfahrenen Strecke laufen und über diese Strecke nicht hinausgehen; Kurswagen, die auf eine Anschlußstrecke übergehen oder von einer solchen herankommen; Verstärkungswagen, die außer dem Stamm des Zugs nur an bestimmten Tagen oder nur auf einer Teilstrecke laufen; Bereitschaftswagen, die zur außergewöhnlichen Verstärkung der Züge oder als Ersatz für schadhafte und untersuchungspflichtige Wagen bereitgehalten werden.

Um den Reisenden das Aufsuchen der Plätze zu erleichtern, pflegt man die Wagen mit Abteilen gleicher Klasse möglichst zusammenzustellen. Das ist aber vollkommen nur innerhalb des Stamms der Züge durchzuführen. Kurswagen müssen so eingestellt werden, daß sie auf einfachste Weise vom Zug losgelöst werden können; sie werden also meist am Ende laufen, so daß oft Abteile erster und zweiter Klasse hinter einer ganzen Reihe von Wagen mit dritter Klasse neu auftauchen.

Den Zugbildungsstellen stehen ständig so viele Wagen zur Verfügung, wie sie für das Zusammenfügen der abgehenden Züge brauchen. Ferner sind ihnen Verstärkungs- und Bereitschaftswagen in genügender Zahl zugeteilt.

Damit die Zugbildungsstellen die notwendigen Wagen stets zur Hand haben, müssen sie ständig und ununterbrochen damit versorgt werden. Es findet ein fortwährendes Abfließen nach der Strecke hin statt, dem ein Nachschub in umgekehrter Richtung entgegenwirken muß. Denn die Quelle der Wagen ist ja nicht die Werkstatt, aus der immer neue Fahrzeuge ausgespien werden, sondern die Wagen kehren aus dem vollen Leben der Strecke stets von neuem in die verhältnismäßige Einsamkeit der Zugbildungsstelle zurück. Diese oder ihre nächste Nachbarschaft dient zugleich als Abstellbahnhof für die Züge, deren Lauf beendet ist, und hier werden die Wagen auch gereinigt und nachgesehen.

Niemand wird zweifeln, daß besonders klug erdachte, sorgfältig erwogene und haarscharf mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmende Vorschriften erlassen sein müssen, damit auf allen Zugbildungsstellen in jedem Augenblick die erforderlichen Wagen vorhanden sind. Da die Fahrdienstvorschriften soweit gehen, daß sie für jeden Zug nicht nur die Zahl seiner Wagen, sondern auch die Art der Abteile angeben, die er enthalten muß, so würde es nicht genügen, wenn die Zugbildungsstellen fortwährend einen neuen Wust von Wagen erhielten, aus denen sie sich nun die am besten brauchbaren heraussuchen müßten. Es ist vielmehr dafür zu sorgen, daß zu bestimmten Stunden immer wieder ganz bestimmte Wagen eintreffen.

Wenn man nun bedenkt, wie groß die Zahl der Züge ist, die ständig in Deutschland durcheinander fahren, wenn man im Auge behält, daß manche Züge nur über ganz kurze Strecken rollen, andere zwölf und mehr Stunden bis zur Ankunft am Bestimmungsort brauchen, wenn man in Betracht zieht, daß zahllose Züge unterwegs zerlegt werden, Teile sogar über die Reichsgrenzen hinausgehen, so muß es fast unmöglich dünken, daß der einzelne Wagen ständig in seinem Lauf verfolgt werden, daß in jedem Augenblick sein Aufenthaltsort festgestellt werden kann. Die Aufgabe scheint einer solchen zu gleichen, die verlangt, daß aus einem durcheinanderquirlenden Ameisenhaufen eine ganz bestimmte Ameise herausgesucht werden soll.

Dennoch steht jeder Wagen genau zur vorgeschriebenen Zeit stets von neuem zur Verfügung. Dies wird hauptsächlich durch eine grundlegende Festsetzung bewirkt: ein jeder Personenwagen hat einen ganz bestimmten Heimatbahnhof, zu dem er immer wieder zurückkehrt.

Wie die Natur dem Menschen die Sehnsucht nach der Heimat ins Gemüt gepflanzt hat, so bewirken die Fahrdienstvorschriften, daß auch jeder Personenwagen immer wieder dem heimatlichen Bahnhof zustrebt, ihn nach Beendigung seines Reiseauftrags stets aufs schnellste zu erreichen sucht. Hier ist der Ort, wo er gewissermaßen liebevoll empfangen wird, wo man sich seiner annimmt, ihn pflegt, indem man genau nachforscht, ob er sich unterwegs vielleicht irgendein Leiden zugezogen hat, das geheilt werden muß, wo man seine Achslager besonders sorgfältig mit neuem Schmierstoff versieht, ihn vom Reisestaub befreit und sauber putzt.

Zur Erzielung eines glatten Rücklaufs in die Heimat wird möglichst je ein Wagensatz, der den Stamm darstellt, für einen hin- und rücklaufenden Zug benutzt. Diese beiden Züge nennt man dann ein Zugpaar. Die Wagen laufen von der Zugbildungsstelle bis zur Wendestelle und gehen alsdann möglichst bald wieder auf den umgekehrten Weg. Bei Aufstellung der Fahrpläne ist auf diesen Stammwagen-Umlauf sorgfältig Rücksicht zu nehmen. Der Gegenzug zu demjenigen Zug, der die Stammwagengruppe zur Wendestelle bringt, darf erst zu einer Zeit abgehen, die von der Ankunftszeit an der Wendestelle so weit abliegt, daß auch im Fall einer Verspätung des ankommenden Zugs die Wagen für den abgehenden Zug mit Bestimmtheit zur Stelle sind, und daß Zeit zum Reinigen der Wagen, sowie zur Instandsetzung und der meist nötigen Umstellung der Gruppe bleibt.

Wenn die Zugfahrt bis zur Wendestelle nicht länger als zehn Stunden währt, kommt man mit Einem Wagensatz aus. Sonst müssen für denselben Zug deren mehrere vorhanden sein. Bei kürzeren Fahrzeiten kann ein Wagensatz mehrere Hin- und Herfahrten innerhalb eines Tags ausführen, oder man benutzt ihn für zwei bis drei aneinanderschließende Zugläufe. Immer aber muß er zuletzt wieder im Heimatbahnhof eintreffen.

 

Für die Kurswagen müssen ähnliche Umlaufspläne aufgestellt werden. Hier handelt es sich oft um außerordentlich lange Läufe, welche die Wagen viele Tage lang von der Heimat fernhalten. Man denke nur an die durchlaufenden Wagen Berlin-Rom oder Berlin-Marseille. Damit auch hier eine Übersicht in bequemer Weise gewonnen wird, behandelt man jeden Kurswagen so, als wäre er ein ganzer Wagensatz. Entsprechendes gilt für die Sonderwagen, welche die Züge entweder nur am Tag oder nur in der Nacht begleiten: die Speise- und Schlafwagen.

Die Zusammensetzung jedes einzelnen Personenzugs wird den Zugbildungsstellen beim Wirkungsbeginn jedes neuen Fahrplans vorgeschrieben. Es geschieht dies durch die Zugbildungspläne.

Jeder von diesen enthält zwei Abschnitte. Der erste, Ordnungsplan genannt, führt jeden Zug mit seiner Nummer auf und nennt dann die Wagenklassen, Bremsgattung und Heizungsart, die der Zug führen soll; hierauf werden die Wagen genau in der Reihenfolge angegeben, wie sie, von der Lokomotive angefangen, in den Zug einzustellen sind. Mit diesem Ordnungsplan, den jeder Direktionsbezirk für sich aufstellt, werden alle Züge während ihres Umlaufs innerhalb des Bezirks verfolgt. Abteilung 2, Wagenumlaufsplan, enthält, nach Zugbildungsstellen geordnet, Abgangs- und Ankunftszeiten jedes Wagensatzes, sowie die gleichen Angaben für dessen Wendestelle. Wie beide Teile des Zugsbildungsplans zusammenarbeiten, wird aus den folgenden Darlegungen hervorgehen.

Für die Aufstellungen im Zugbildungsplan werden Abkürzungen verwendet, die vom telegraphischen Verkehr herstammen. Es ist selbstverständlich, daß trotz aller sorgfältig abgewogenen Zuweisungen unausgesetzt telegraphische Anweisungen über Wagenläufe an die Zugbildungsstellen zu geben sind, und daß auch diese oft Anforderungen zu machen haben. Schwankungen im Verkehr, größere Wagenausfälle oder Stauungen aus unvorhergesehenen Ursachen treten ja öfter ein und müssen ausgeglichen werden. Es wäre nun höchst umständlich, jede Wagenart im Telegramm stets ausführlich zu benennen. Vereinbarte Kürzungen ersparen viel Zeit und Telegraphierarbeit. Wenn ein Bahnhof z. B. einen D-Wagen haben will, der Abteile zweiter und dritter Klasse enthalten soll, ferner einen Abteilwagen mit erster und zweiter Klasse und einen Wagen vierter Klasse, so braucht er dies nach den Vereinbarungen nicht ausführlich an die Zuteilungsstelle zu telegraphieren. Er drahtet vielmehr nur: aus den und den Gründen erwünscht BCCü, AB, D.

Die Lösung dieses Buchstabenrätsels ergibt sich aus folgendem. Bei Personenwagen werden die vier Klassen mit den Buchstaben A, B, C, D bezeichnet. Hat der Wagen mehr als drei Achsen, also vier oder sechs, ist er folglich ein Drehgestellwagen, so wird der letzte Buchstabe verdoppelt. Packwagen heißen P, vierachsige Packwagen PP. Bahnpostwagen werden mit Post bezeichnet; wenn sie die besondere Länge von 17 Metern haben, tritt noch eine 17 hinzu. EK sind Eilgut-Kurswagen.

Weiter sind als Zusätze üblich: ü für Wagen mit Durchgang und Übergangsbrücken, die durch Faltenbälge geschützt sind (D-Wagen); i für Wagen mit Durchgang (meist Mitteldurchgang) und offenen Übergangsbrücken; post für Wagen mit Postraum.

Danach bedeutet z. B.:

AB einen zwei- oder dreiachsigen Wagen mit Abteilen erster und zweiter Klasse

ABB einen vier- oder sechsachsigen Wagen mit erster und zweiter Klasse

C einen zwei- oder dreiachsigen Wagen mit Abteilen dritter Klasse

CC einen vier- oder sechsachsigen Wagen dritter Klasse

D einen Wagen vierter Klasse

ABCC einen vier- oder sechsachsigen Wagen mit Abteilen erster bis dritter Klasse

ABCCü einen ebensolchen D-Wagen CCü einen D-Wagen dritter Klasse

Ppost einen Packwagen mit Postraum.

Angaben des Ordnungsplans der Eisenbahndirektion Halle sehen z. B. folgendermaßen aus:


Es handelt sich hier um ein Zugpaar mit erster bis dritter Klasse. Die Wagen haben Westinghouse-Bremse und Dampfheizung. Die Fahrzeuge sind sämtlich D-Wagen, die in der angegebenen Reihenfolge, von der Lokomotive an gerechnet, aufgestellt sind. Der Stamm des Zugs läuft von Berlin nach Stuttgart und zurück. Ein Wagen mit erster, zweiter und dritter Klasse jedoch läuft zwischen Berlin und Saarbrücken. Die Wagen, aus denen die Zugbildungsstelle in Berlin den D 38 bildet, entnimmt sie dem ankommenden D 37. Nach Beendigung der Fahrt von D 38 gehen die Wagen an den Endstellen wieder in D 37 über, um von neuem nach Berlin zu laufen. Man sieht schon aus diesem Beispiel, daß auf den Zugbildungsstellen viele Verschiebebewegungen auszuführen sind, weniger freilich als im Güterzugverkehr.

Spalte 9 des Ordnungsplans weist auf den Abschnitt 2 des Zugbildungsplans, den Wagenumlaufsplan, hin. Hier heißt es unter den Nummern 49 und 50, die für die Zugbildungsstelle Berlin-Anhalter Bahnhof aufgestellt sind:



Hier kann man unter Nr. 49 zunächst den Lauf des Zugstamms verfolgen. Er fährt um 7 Uhr 54 Min. abends aus Berlin mit D 38 ab und trifft um 9 Uhr 58 Min. morgens in Stuttgart ein. Dort wird er – nach dem Wagenumlaufsplan für die Zugbildungsstelle Stuttgart – umgereiht, fährt um 8 Uhr 23 Min. abends wieder aus Stuttgart fort, und zwar mit D 37, kommt 9 Uhr 48 Min. morgens in Berlin an. In Stuttgart und in Berlin findet je eine Hauptreinigung statt, Gasfüllung jedoch nur auf dem Heimatbahnhof in Berlin. Da die Wagengruppe zwei Umlaufstage hat, so muß sie auf der Zugbildungsstelle zweimal vorhanden sein, was durch Doppelaufzählung der Wagen ausgedrückt wird. Die Kürzung Mitropa sagt, daß die Schlafwagen von der Mitteleuropäischen Schlafwagen- und Speisewagen-Aktien-Gesellschaft gestellt werden.

Der Lauf des Kurswagens Berlin-Saarbrücken, den die pfälzische Eisenbahndirektion Ludwigshafen stellt, ist aus Nr. 50 des Wagenumlaufsplans zu ersehen. Die darin enthaltenen Angaben erklären sich aus dem vorher Gesagten.

Es sei noch der Ordnungsplan eines Personenzugs angeführt, aus dem man ersehen kann, wie vielfältig der Lauf der einzelnen Wagen sein kann, aus denen ein geschlossener Zug gebildet ist:



Besonders übersichtlich sind die bildlichen Pläne, welche die bayerischen Staatseisenbahnen für das pfälzische Netz verwenden. Hiervon gleichfalls ein Beispiel:



Ferner gibt es in jedem Direktionsbezirk eine „Nachweisung der Personen- und Gepäckwagen“. Sie enthält den Steckbrief jedes einzelnen Wagens unter der an ihm mit großen Ziffern angebrachten Nummer. Bei Anforderungen kann die Zuteilungsstelle aus der Nachweisung sogleich ersehen, welche Wagen für den betreffenden Zweck brauchbar sind. Aus den Zuteilungen und aus dem Zugbildungsplan ist zu entnehmen, wo jeder Wagen im Augenblick weilt und zu erreichen ist. Hier einige Beispiele aus der Wagennachweisung:



Hierzu ist zu bemerken:

Der erste Wagen ist ein D-Wagen mit vier Achsen, deren äußerster Abstand, hier Radstand genannt, 15,65 Meter beträgt. Das Eigengewicht ist 42 Tonnen, gleich 42 000 Kilogramm. Die Unterstreichung der Zahl in Spalte 9 bedeutet, daß die Aborte mit Wascheinrichtung versehen sind. Der Wagen hat, nach den Angaben in den Spalten 10 bis 12, Knorr-Schnellbremse und Handbremse, Niederdruck- und Hochdruck-Dampfheizung, Gasglühlichtbeleuchtung. Hergestellt ist er in der Werkstatt Tempelhof. Wsbr. bedeutet Westinghouse-Schnellbremse, die Unterstreichung des Radstands (Achsstands) in Spalte 5 sagt, daß der Wagen mit Vereins-Lenkachsen ausgerüstet ist. De ist die Werkstätte Delitzsch, Cs bedeutet Werkstätte Cottbus.

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