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Die Welt auf Schienen

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Und wahrlich, sie ist ein Weltwunder!

Seitdem die Urahne aller wirklich brauchbaren Lokomotiven, Stephensons „Rakete“, zum erstenmal einen Zug in Bewegung gesetzt hat, sind noch nicht neun Jahrzehnte verflossen. Und wie durchgreifend haben sich in dieser verhältnismäßig so kurzen Zeitspanne alle Verkehrsverhältnisse auf der Erde durch die Einwirkung der Eisenbahn verändert!

Wenn man früher in Deutschland mit der Schnellpost 15 Kilometer in der Stunde zurücklegte, so war man glücklich über diese geschwinde Beförderung. Unsere heutigen Schnellzüge durchfahren 100 Kilometer in der Stunde und mehr. Doch dieses Verhältnis der reinen Fahrgeschwindigkeiten von 15 zu 100 wird weit in den Schatten gestellt durch den Vergleich der Reise-Geschwindigkeiten, das heißt derjenigen Zeiten, innerhalb deren die Fahrgäste wirklich von einem Ort zum andern gebracht werden. Während die Lokomotive mehrere 100 Kilometer durchfahren kann, ohne auch nur einen Augenblick zu verschnaufen, mußten auf den Poststrecken fortwährend die Pferde gewechselt werden. So brauchte man, nach Launhardt, noch im Jahre 1840 „für eine Reise von Hannover nach Leipzig, also zur Zurücklegung von 272 Kilometern, mit der Post 40 Stunden, während diese Reise jetzt auf der Eisenbahn weniger als fünf Stunden erfordert. Dabei fuhr die Post im Jahre 1840 zwischen jenen beiden Städten wöchentlich nur fünfmal in jeder Richtung, ja eigentlich nur dreimal, da bei zwei dieser Fahrten eine Unterbrechung durch eine Übernachtung vorkam, wodurch die Dauer der Reise von 40 auf 48-50 Stunden erhöht wurde. Heute verkehren zwischen Hannover und Leipzig täglich in jeder Richtung vierzehn Personen- und Schnellzüge, so daß eine regelmäßige Reisegelegenheit heute zwanzigmal häufiger als früher mit der Post geboten wird.“

Von Berlin nach München fuhr man im Jahre 1835 mit der Schnellpost noch mehr als 312 Tage; heute wird die Strecke in zehn Stunden zurückgelegt. Das Fahrgeld betrug damals 81 Mark, während eine Fahrkarte dritter Klasse von Berlin nach München jetzt 21,10 Mark kostet.

Man bezahlt also heute auf der Eisenbahn nur einen Bruchteil des Fahrpreises, der früher für den Verkehr über die Landstraßen erhoben wurde, und erfreut sich auf der Reise einer unvergleichlich viel größeren Bequemlichkeit, indem die Unbilden der Witterung gänzlich ferngehalten werden, die Erschütterungen fast vollständig verschwunden sind, und der Aufenthalt in den geräumigen, bei Bedarf geheizten und beleuchteten Wagen so sehr viel angenehmer ist als in den schmalen Postkutschen, dem Sinnbild der Rumpeligkeit und der drückenden Enge.

Trotz der gesteigerten Geschwindigkeit ist die Sicherheit des Reisens bedeutend gewachsen. Während beim Postverkehr schon auf je 400 000 Reisende ein Getöteter kam, raubt die Eisenbahn in Deutschland heute nur etwa einem von 15 Millionen Reisenden das Leben.

Die Zuverlässigkeit des Verkehrs ist durch die fast vollständige Unterbrechungslosigkeit und Störungsfreiheit des Eisenbahnbetriebs außerordentlich gestiegen. Auf den preußischen Staatsbahnen z. B. sind nach van der Borght im Jahre 1910 nur 41 Unterbrechungen bis zur Dauer von zwei Tagen und 8 Unterbrechungen von längerer Dauer, verursacht durch ungewöhnlich starke Regengüsse und Hochwasser, eingetreten. Dazu kamen im gleichen Jahr noch 37 Störungen von kurzer Dauer, die durch Schneeverwehungen veranlaßt wurden. Die Zahl von 78 Unterbrechungen überhaupt ist gegenüber der riesenhaften Ausdehnung des Eisenbahnverkehrs von ganz verschwindender Bedeutung. Hiergegen bedenke man, daß schon jeder stärkere Schneefall die Fahrpost zu gänzlicher Ruhe verurteilte, und daß die Wasserstraßen im Winter durch Frost, im Sommer durch anhaltende Trockenheit oft monatelang unterbrochen sind.

Die Pünktlichkeit der Eisenbahn ist sprichwörtlich. Von hundert Zügen pflegt nach der Statistik in Deutschland kaum einer seine festgesetzte Ankunftszeit um ein geringes zu überschreiten.

In der Eisenbahn hat sich die Menschheit ferner ein unvergleichliches Mittel zur Ausbreitung der Bildung geschaffen. Erst durch die Schienenwege ist die Kenntnis von der Beschaffenheit der Erdoberfläche Allgemeingut geworden; die Kunstbesitztümer aller Völker liegen seither offen vor jedermanns Auge. Jedes Volk kennt heute die Eigenheiten aller anderen.

Nur in Einer Beziehung hat man sich leider über den günstigen Einfluß der Eisenbahn getäuscht. In vielen Schriften aus früheren Jahren kann man lesen, daß die durch die Eisenbahn geschaffenen engen Beziehungen zwischen den Völkern die Kriege weniger furchtbar machen, die geschwinden Beförderungsmöglichkeiten für die Truppen ihre Dauer abkürzen würden. Friedrich List meinte, daß „die Eisenbahn aus einer Kriegsmilderungs-, Abkürzungs- und Verhinderungsmaschine, am Ende gar eine Maschine werden würde, die den Krieg selbst zerstört.“ Wir wissen heute, daß der grausamste aller Kriege und einer der längsten mit einer Hochentwicklung der Eisenbahnen zusammengefallen ist.

Stärker noch als zur Beförderung von Personen wird die Eisenbahn zur Vermittlung des Güterverkehrs benutzt. Die Beförderung von Gütern kostet heute nur den sechsten Teil des Preises, der früher für den Weg über die Landstraße entrichtet werden mußte. Dabei ist mit der Beförderung im geschlossenen Eisenbahnwagen eine weit größere Schonung der Güter verbunden; es geht bei der Fahrt weit weniger von ihnen verloren als in den meist offenen Frachtwagen. Viele Gütergruppen sind überhaupt erst durch die Eisenbahn weltmarktfähig geworden, da ihre Versendung früher durch die hohen Frachtkosten nicht lohnend war, und weil durch die lange Beförderungszeit die in ihnen festgelegten Geldmittel der Nutzung zu lange entzogen blieben.

Noch sehr viel großartiger erscheint der Einfluß der Eisenbahn, wenn man erkennt, daß sie nicht nur auf den Austausch der Güter, sondern in stärkster Weise auch auf ihre Erzeugung einwirkt. Solange das Hervorbringen von Gütern nur den örtlichen Bedürfnissen dient, bleibt es beschränkt. Ein Bezirk, der durch eine besondere Gunst der Natur eine bestimmte Ware in großen Mengen zu erzeugen vermag, wird aber zur höchsten Ausnutzung seiner Möglichkeiten angetrieben, wenn er weiß, daß ein ganzer Erdteil sein Käufer ist. Das ist heute der Fall, wo die Eisenbahn tatsächlich jedes der zwischen den Ufern der Weltmeere liegenden gewaltigen Ländergebiete zu einer einzigen Stadt gemacht hat. Jeder Ort in Europa oder Amerika läuft heute, wenn er etwas braucht, was er nicht selbst hervorbringen kann, sozusagen mit offenem Marktkorb rasch einmal um die Ecke zu dem anderen, auch wenn dieser viele hundert Kilometer entfernt liegt.

Eine lebhafte Gütererzeugung an dazu besonders befähigten Stellen ist für die Allgemeinheit zwecklos, wenn nicht ein rasches und bequemes Beförderungsmittel zur Verfügung steht. Der Weltkrieg hat durch die in Rußland zutage getretenen Verhältnisse jedem deutlich gezeigt, daß, sobald die Eisenbahn versagt, in manchen Abschnitten eines Landes die schwerste Hungersnot auftreten kann, während in anderen Bezirken desselben Landes die gehäuften Lebensmittel verfaulen. Wenn in gut entwickelten Ländern zu Friedenszeiten das Gespenst des Hungers nur noch höchst selten auftritt, so ist dies in der Hauptsache das Verdienst der Eisenbahn.

Aus der Hand des Menschen ist keine Schöpfung hervorgegangen, die an Großartigkeit mit der Anlage dieses Verkehrsmittels zu vergleichen wäre. Damit die Eisenbahnen hergestellt werden konnten, haben zahlreiche Wissensgebiete ein enges Bündnis miteinander schließen müssen: die Erdkunde in ihren beiden Formen, die man wissenschaftlich als Geologie und Geographie bezeichnet, die Naturwissenschaft, Technik, Baukunde, Staatsrecht, Völkerrecht, Volkswirtschaftslehre. Niemals ist auf Erden ein solcher Aufwand von Kraft und Geld an eine einzige Sache gesetzt worden, niemals aber auch war der Erfolg menschlicher Bemühungen größer.

Die Länge aller Eisenbahnen der Erde betrug im Jahre 1913, dem letzten regelmäßigen Jahr vor dem Weltkrieg, auf das sich auch alle folgenden Angaben beziehen, rund 1 Million 100 000 Kilometer. Da der Erdäquator 40 000 Kilometer lang ist, so kann man mit der Schienenlänge dieser Bahnen, wenn man nur 25 vom Hundert als zweigeleisig ansieht, wonach sich eine Gesamtschienenlänge von 1 Million 375 000 Kilometern ergibt, den Äquator 35 mal umwickeln. Von der Erde zum Mond könnte man hiermit eine dreigeleisige Bahn bauen und würde noch 223 000 Kilometer zur Herstellung von Zubringerlinien für diese Weltraum-Strecke übrigbehalten.

Um das Gewicht des ungeheuren Schienenstrangs von 1 Million 375 000 Kilometern Länge – ohne das zur Verbindung der einzelnen Abschnitte erforderliche Kleineisenzeug – zu berechnen, gehen wir von der Tatsache aus, daß bei recht leichten Geleisen der deutschen Bahnen das laufende Schienenmeter 30 Kilogramm wiegt. Wir erhalten dann als Gesamtgewicht aller regelmäßig befahrenen Schienen auf der Erde 82 Milliarden 500 Millionen Kilogramm. Es ist dies das 9000fache Gewicht des höchsten und vermutlich auch schwersten Eisenbauwerks der Erde, des Eiffelturms. Gösse man aus Schienenstahl eine volle quadratische Säule, deren Querschnittsfläche gerade so groß wäre wie das durch die äußersten Fußpunkte des Eiffelturms gebildete Quadrat und deren Höhe wie die des Turms 300 Meter betrüge, sie würde kaum halb soviel wiegen wie die Schienen aller Eisenbahnen. Eine zylindrische Säule aus demselben Baustoff von der Höhe des ragendsten Bergs auf der Erde, des Gaurisankars, der seine Spitze rund 9000 Meter hoch über den Meeresspiegel emporreckt, würde immer noch einen Durchmesser von annähernd 40 Metern haben.

Im Jahre 1890 betrug die Länge aller Bahnen 617 285 Kilometer; sie hat sich also seitdem nahezu verdoppelt.

Unter den Erdteilen besitzt bei weitem die größte Bahnlänge Amerika, nämlich 570 000 Kilometer. Das ist mehr als die Hälfte der Bahnlänge auf der ganzen Erde. In Europa dagegen liegt noch nicht ein Drittel aller Gleislängen; es sind 346 000 Kilometer. Trotzdem ist selbstverständlich das Netz in dem alten Erdteil sehr viel engermaschig. In Europa kommen auf je 100 Quadratkilometer 3,5 Kilometer Eisenbahn, in Amerika dagegen nur ungefähr 0,8 Kilometer.

 

Das bei weitem dichteste Eisenbahnnetz aller Länder der Erde hat Belgien. Hier liegen auf je 100 Quadratkilometer Bodenfläche durchschnittlich 29,9 Kilometer Eisenbahn. Wenn man von dem kleinen Luxemburg absieht, hat das in der Engmaschigkeit der Geleise nächstfolgende Reich, Großbritannien und Irland, noch lange nicht die Hälfte der Eisenbahndichte Belgiens, nämlich nur 12 Kilometer auf dem gleichen Flächenraum. Deutschland steht mit 11,8 Kilometer unmittelbar dahinter an der dritten Stelle. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben dagegen nur 4,4 Kilometer Bahn auf je 100 Quadratkilometer.

Die deutschen vollspurigen Eisenbahnen hatten im Jahre 1913 zusammen eine Betriebslänge von rund 61 000 Kilometern. Das ist immer noch mehr als das 112fache des Erdäquators. Eigenartig ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, daß die Länge der Landstraßen in Deutschland, die ja gerade im Eisenbahnzeitalter als Zubringer für die Schienenwege außerordentlich lebhaft ausgebildet worden sind, 150 000 Kilometer beträgt.

Von der Gesamtlänge der deutschen Eisenbahnen fallen auf die vereinigten preußisch-hessischen Staatsbahnen 39 000 Kilometer, auf die bayerische Staatsbahn 8300 Kilometer. Auf der wirklichen Länge der bayerischen Staatsbahngeleise, das heißt einer Schienenerstreckung, bei der man sich die tatsächlich nebeneinanderliegenden Geleise der mehrgeleisigen Strecken hintereinander ausgelegt denkt, könnte man bequem den Äquator des Mondes umfahren.

Welch eine ungeheure Weite der Schienenwelt offenbaren uns diese Zahlen! Die Vergleichsmaßstäbe müssen aus der Unendlichkeit des Weltraums herbeigeholt werden. Die Erde besitzt außer ihrer größten Umfassungslinie, die gleichfalls zu den sternkundlichen Längen gehört, keine Erstreckung, die zur Erhellung der Zahlengrößen herangezogen werden könnte.

Doch alles bisher Dargelegte wird zum blassen Nichts, wenn wir nun statt der unbeweglich daliegenden Schienenstränge das sausende Leben, die dröhnende Bewegung betrachten, die sich unausgesetzt auf ihnen abspielen.

Auf der ganzen Erde mögen jetzt etwa 175 000 Lokomotiven vorhanden sein. Allein die Lokomotiven der vollspurigen deutschen Bahnen, deren es einschließlich der Triebwagen rund 30 000 gibt, haben im Jahre 1913 zusammen 1 Milliarde 280 Millionen Kilometer durchfahren. Diese Länge nähert sich der Entfernung des Saturns von der Erde, die rund 112 Milliarden Kilometer beträgt. Ganz besonders erstaunlich aber ist die Tatsache, daß die durchschnittliche jährliche Fahrleistung jeder einzelnen deutschen Lokomotive 43 500 Kilometer beträgt, daß also jede von ihnen, wenn sie, statt fortwährend in ihrem kurzen Bereich hin und her zu eilen, ständig vorwärts gefahren wäre, die ganze Erde an ihrem Gürtel hätte umkreisen und noch dazu Abstecher von mehr als 3000 Kilometern hätte machen können.

Im Jahre 1913 besaßen die deutschen Eisenbahnen rund 34 Millionen Wagen, wovon 66 200, also noch nicht der zehnte Teil, Personen-, die übrigen Güter- und Gepäckwagen waren. Die sämtlichen Achsen dieser Gefährte haben im gleichen Jahr eine Weglänge von nicht weniger als 32 Milliarden 791 Millionen Kilometern durchlaufen. Legen wir diese Wagenachs-Kilometer-Strecke geradlinig von der Erde in den Weltraum aus, so trifft der Endpunkt ins Leere. Er ragt weit über die Grenze unseres Sonnensystems hinaus, erreicht aber doch noch nicht den nächsten Fixstern. Um daher eine passende Vergleichslänge aus der Sternkunde zu finden, müssen wir eine Teilstrecke betrachten. Wir denken uns, daß ein gewöhnlicher D-Zugwagen mit Drehgestellen, also mit vier Achsen, die genannte Achskilometerzahl geleistet hätte; hiernach kommt auf jede Achse ein Viertel des ganzen Wegs. Ein solcher Wagen würde dann eine Fahrt bis in die Nähe des äußersten Planeten unseres Sonnensystems, des Neptuns, gemacht haben und auch von dort wieder zurückgekehrt sein können. Freilich würde ihm diese Hin- und Rückfahrt während eines Jahrs nicht möglich gewesen sein, auch wenn er ständig mit der höchsten jetzt üblichen Schnellzug-Geschwindigkeit gefahren wäre. Er würde hierzu vielmehr – 9000 Jahre brauchen.

Für das Rechnungsjahr 1917 ist von der Verwaltung der preußisch-hessischen Eisenbahnen zur Fahrzeugbeschaffung der größte aller bisher erteilten Aufträge an die deutschen Lokomotiv- und Eisenbahnwagenfabriken vergeben worden. Sein Wert betrug annähernd eine halbe Milliarde, genau 489 Millionen. Daß die deutschen Erzeugungsstätten sich stark genug fühlten, diesen Riesenauftrag innerhalb eines Jahrs, noch dazu während des Kriegs, auszuführen, spricht am lautesten für ihren Umfang und ihre viel bewunderte Leistungsfähigkeit.

Selbst wenn der dicke gelbe Band des Reichskursbuchs mit seinen vielen hundert Seiten, seinen endlosen Zahlenreihen und der unerschöpflichen Fülle verschiedener Strecken vor uns liegt, haben wir keine Vorstellung von der ungeheuer großen Zahl der Züge, die allein in Deutschland am Tag und in der Nacht ständig in Bewegung sind. Dieses unendliche Gewimmel sich vorzustellen, geht über das Auffassungsvermögen des menschlichen Gehirns hinaus, des Gehirns desselben Menschen, der das Schienenwirrsal doch geschaffen hat.

Allein im Jahre 1913 sind in Deutschland 18 Millionen 357 000 Züge gefahren worden. Die Anzahl der beförderten Personen betrug rund 1 Milliarde 800 Millionen. Danach wäre, wenn man von der verhältnismäßig geringen Zahl der Fremden absieht, jeder der 67 Millionen Einwohner, die Deutschland in dem genannten Jahr hatte, einschließlich aller Kinder, durchschnittlich 27 mal gereist. Die Strecke, über die jeder einzelne Fahrgast im Durchschnitt befördert wurde, war allerdings sehr kurz; sie betrug nicht mehr als rund 23 Kilometer, was ungefähr der Strecke Berlin-Bernau entspricht.

Besonders verblüffend ist das Gewicht der Güter, das in dem einem Jahr auf den deutschen Bahnen befördert worden ist. Dieses war nämlich höher als 676 Milliarden 626 Millionen Kilogramm.

Denkt man sich den Äquator und sämtliche 180 Meridiane mit Schienen belegt, so würde das Gesamtgewicht all dieser Stränge noch nicht einmal ein Drittel jener Güter-Kilogrammzahl betragen. Wenn man aus Wagen von je 20 000 Kilogramm Tragfähigkeit einen Güterzug zusammenstellen wollte, der imstande wäre, das gesamte Gütergewicht auf einmal zu befördern, so würde dieser Zug 236 800 Kilometer lang sein müssen.

Das in den deutschen Eisenbahnen festgelegte Anlagekapital, also die Summe, welche seit dem Beginn der einzelnen Unternehmen für feste Bauten, Fahrzeuge usw. aufgewendet worden ist, betrug zu Beginn des Weltkriegs 19 Milliarden 245 Millionen. Dagegen besaßen zur gleichen Zeit sämtliche deutschen Aktiengesellschaften nur ein Aktienkapital von 15 Milliarden 500 Millionen Mark. Das allein für die preußisch-hessischen Staatsbahnen als dem größten gewerblichen Unternehmen auf der Erde verwendete Anlagekapital erreichte die Höhe von 12 Milliarden 600 Millionen Mark. Der Wert aller deutschen Eisenbahnanlagen wird von Kirchhoff auf 30 Milliarden Mark geschätzt.

Die deutschen Eisenbahnen haben im Jahre 1913 aus dem gesamten Verkehr 3 Milliarden 563 Millionen Mark eingenommen. Hiergegen betrugen die Einnahmen des Deutschen Reichs nach dem ordentlichen und außerordentlichen Haushaltplan nur 3 Milliarden 385 Millionen Mark. Dieser Vergleich zeigt wohl am besten die Riesenhaftigkeit der Summen, die ständig den Eisenbahnkassen zufließen.

Der Personenverkehr, dessen Bedeutung für die gesamte Eisenbahnwirtschaft von Fernerstehenden leicht überschätzt wird, lieferte hierzu einschließlich der Einnahmen aus der Beförderung des Reisegepäcks nur 1 Milliarde 17 Millionen. Das sind 28,55 vom Hundert der Gesamtsumme. Dagegen brachte der Güterverkehr 2 Milliarden 286 Millionen, gleich 64,16 vom Hundert. Der Rest entfällt auf kleinere Einnahmequellen.

Aus den Rieseneinnahmen ergaben sich zum Glück für die deutsche Geldwirtschaft auch sehr bedeutende Gewinne. Der Betriebsüberschuß aller deutschen Bahnen betrug 1913 die auch in der jetzigen Zeit nicht gering erscheinende Summe von 1 Milliarde 66 Millionen. Die Größe dieser Zahl wird noch deutlicher, wenn man zum Vergleich die Gesamtsumme der Jahresgewinne sämtlicher deutscher Aktiengesellschaften betrachtet; dies waren 1 Milliarde 736 Millionen.

Kein zweites Unternehmen auf der ganzen Erde kann im entferntesten einen so bedeutenden Jahresüberschuß ausweisen, wie die preußisch-hessischen Staatseisenbahnen. Hat dieser doch im Jahre 1913 die außerordentliche Höhe von mehr als 787 Millionen Mark erreicht. Wäre der Weltkrieg nicht ausgebrochen, so hätte man wohl schon in wenigen Jahren einen Überschuß von einer vollen Milliarde erzielen können. Die preußische Staatskasse erhielt von der Eisenbahnverwaltung 654 Millionen 267 800 Mark überwiesen. Dagegen betrugen die Einnahmen des preußischen Staats aus sämtlichen unmittelbaren Steuern nur 525 Millionen 490 000 Mark. Die Anlagesumme der preußisch-hessischen Staatsbahnen hat sich dabei mit 6,41 vom Hundert verzinst.

Wer heute eine Reise antreten will, hat nichts weiter zu tun, als am Schalter seine Fahrkarte zu lösen. Dann ist der Beförderungsvertrag mit der Eisenbahnverwaltung geschlossen, und diese hat nun die Aufgabe, den Fahrgast an den gewünschten Ort zu bringen. Hierdurch wird es für diesen, abgesehen von der Zeitdauer der Reise, ganz gleichgültig, ob er etwa von München nach Starnberg oder von derselben Hauptstadt aus nach Memel fahren will. Er setzt sich auf seine Bank im Wagenabteil, schaut müßig zum Fenster hinaus, und für alles übrige sorgt die Eisenbahn.

Aber welch eine in ihrer Vielfältigkeit geradezu ungeheuerliche Anzahl von Veranstaltungen ist notwendig gewesen, damit alle Reisenden so glatt ihre verschiedenen Ziele erreichen können! Von den feststehenden Bauten und den rollenden Vorrichtungen der deutschen Eisenbahnen mit ihren Milliardenwerten haben wir schon gesprochen. Um jedoch die Gesamtheit dieses toten Stoffs zu beseelen, um ihm zielstrebiges Leben einzuhauchen, ihn zu einem wirklich brauchbaren Werkzeug des Verkehrs und Handels zu machen, sind auch sachkundige Menschen notwendig, ist ein Riesenheer von Angestellten erforderlich.

Im Jahre 1913 waren bei den deutschen Eisenbahnen rund 800 000 Beamte und Arbeiter tätig. Ein volles Drittel der gesamten Beamtenschaft aller deutschen Staaten ist bei der Eisenbahn beschäftigt. Jeder 84. Bewohner des Deutschen Reichs dient dieser Verkehrseinrichtung! Zum Vergleich sei die Angabe gemacht, daß das größte Fabrikunternehmen Deutschlands, die Kruppschen Werke in Essen, im Jahre 1913 etwa 80 000 Angestellte beschäftigte. Der preußische Eisenbahnminister allein aber gebot über 560 000 Beamte und Arbeiter.

An Gehältern und Löhnen sind von den deutschen Eisenbahnen in unserem Stichjahr 1 Milliarde 350 Millionen Mark ausgezahlt worden. Die Aufwendungen der Verwaltungen für die an Beamte und Arbeiter gezahlten Ruhegehälter sowie für die Hinterbliebenenfürsorge betrugen über 151 Millionen Mark. Für die Krankenpflege wurden im gleichen Zeitraum aus den Betriebsvermögen 1214 Millionen Mark gezahlt. —

Das Reichsgericht hatte vor etwa 45 Jahren in einem Streitfall festzustellen, was eigentlich eine Eisenbahn sei. Im ersten Band der Entscheidungen des Reichsgerichts auf Seite 252 findet sich die folgende Darlegung:

„Eine Eisenbahn ist ein Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtsmassen, beziehungsweise die Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Schnelligkeit der Transportbewegung zu ermöglichen bestimmt ist und durch diese Eigenart in Verbindung mit den außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräften (Dampf, Elektrizität, tierischer, menschlicher Muskeltätigkeit, bei geneigter Bahn auch schon der eigenen Schwere der Transportgefäße und deren Ladung usw.) bei dem Betrieb des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßig gewaltige, je nach den Umständen nur in bezweckter Weise nützliche, oder auch Menschenleben vernichtende und die menschliche Gesundheit verletzende Wirkung zu erzeugen fähig ist.“

Man kann den Begriff der Eisenbahn wohl auch kürzer fassen: sie ist eine Fahrbahn aus eisernen oder stählernen Schienengeleisen, auf der Fahrzeuge durch Dampf oder andere mechanische Kraft fortbewegt werden. Diese einfache Feststellung birgt aber, wenn man sie genauer betrachtet, eine sehr eigentümliche Tatsache in sich.

 

Die Eisenbahnfahrzeuge fahren auf Schienen, das heißt auf einer für jedes Rad äußerst schmalen Bahn, von der dieses auch nicht um ein weniges abweichen darf. Die Landstraße bildet eine viele Meter breite Fahrtafel, auf der die Räder an jeder beliebigen Stelle gleich gut rollen können. Meterweite seitliche Ausbiegungen sind darum allen Fahrzeugen auf der Landstraße ohne weiteres möglich. Sie vermögen aneinander vorbeizufahren, sich gegenseitig zu überholen. Daraus ergibt sich, daß Fahrzeuge der verschiedensten Art mit allen erdenklichen Achslängen und mit beliebigen Höchstgeschwindigkeiten auf der Landstraße fahren können.

Auf den Eisenbahnschienen geht das nicht. Hier sind die Züge fest hintereinander aufgereiht, die Geschwindigkeit des einen begrenzt bei gewöhnlichem Gleis die Bewegung aller folgenden.

An die Stelle der Freiheit ist der Zwang getreten.

Eine meisterliche Beschränkung ist es gewesen, die dem Verkehr seinen gewaltigen Fortschritt und seine Unbeschränktheit gebracht hat. Es galt, für den Lauf schwerbelasteter Räder eine möglichst glatte und feste Fahrbahn zu schaffen. Diese ist mit den Mitteln, die uns bis heute zu Gebote stehen, nur durch die Belegung der Straßenoberfläche mit Eisen oder Stahl zu erzielen. Hätte man, als die unersetzbare Nützlichkeit dieses Baustoffs erkannt war, an der alten Form der Fahrbahn, der gleichmäßigen, breiten Tafel, festgehalten, dann wäre die Menschheit, solange Fahrzeuge auf einer Unterstützungsfläche laufen müssen, niemals zur Hundertkilometer-Geschwindigkeit gelangt. Denn man hätte ja die Straßen mit Tafeln aus Stahl belegen müssen, was Kosten von unsinniger Höhe und gänzlich unüberwindliche Befestigungsschwierigkeiten verursacht haben würde. Glücklicherweise fand man aus, daß jeder Radlauf ja immer nur einen schmalen Streifen für seine Fortbewegung beansprucht, und man begnügte sich damit, diesen allein glatt und fest zu machen. So entstand die Schiene, die, wenn man von den Stoßstellen der einzelnen Walzstücke absieht, eine vollkommene Glätte und Festigkeit besitzt. Sie brachte mit der Zwangsläufigkeit des Verkehrs diesem die Freiheit.

Dieser Vorgang erscheint nur im ersten Augenblick überraschend, denn er kehrt allerorten im menschlichen Leben wieder.

Für die Technik ist er eine ganz allgemein gültige Regel. Die Achsen, die Wellen unserer Maschinen, werden mit Hilfe ihrer Lager durch Zwang in der gewollten Bewegung festgehalten und geben uns erst dadurch die Freiheit, ihnen die verschiedensten Arbeiten aufzubürden. Kein Wagen vermöchte um eine Biegung zu fahren, wenn die Achsen sich unter dem Fahrzeug beliebig hin und her schieben könnten. Aber auch der Staat ist nichts anderes als eine Zwangseinrichtung, und doch hat er die Einzelwesen der Freiheit näher gebracht. Dadurch, daß jedes Einzelwesen auf eine große Zahl willkürlicher Handlungen Verzicht leistete, hat die Gesamtheit ganz neue und ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten gewonnen. Die Heere sind die erdrückendste Zwangseinrichtung, die wir besitzen. Aber während 100 000 Soldaten, wenn jeder von ihnen nach seiner Willkür vorgehen würde, gar nichts zu erreichen vermöchten, sind sie im eisernen Reifen der Mannszucht zu gewaltigen Taten fähig.

Auf der Eisenbahn verzichtet der Verkehr nicht allein auf die Freiheit der allseitigen Bewegung, sondern auch auf den freien Wettbewerb. Die Landstraße kann von Gefährten jeder Art befahren werden, auf den Schienen vermögen nur solche Wagen zu laufen, die eigens dazu vorbereitet sind, nämlich Räder mit Spurkränzen besitzen. Trotzdem waren zu Beginn die Eisenbahngesellschaften nur Besitzerinnen der Fahrbahn; auf dieser sollte mit eigenen Wagen fahren können, wer wollte, wenn er nur gewisse Bedingungen erfüllte. In dem Beschluß der englischen Volksvertretung, der die Anlage der Eisenbahnstrecke von Manchester nach Liverpool gestattete, findet sich denn auch der Satz: „Die Bahn darf gegen Bezahlung der Abgabe und unter Beobachtung der gesetzlichen Bestimmungen sowie der Bahnordnung von jedermann benutzt werden.“ Auch das erste preußische Eisenbahn-Gesetz von 1838 enthält ähnliche Bestimmungen. Seltsamerweise wurde der „freie Wettbewerb auf der Schiene“ noch in den siebziger Jahren in Deutschland lebhaft erörtert. Heute wissen wir, daß auf dem schmalen Eisenpfad immer nur ein einziger Wille herrschen darf. Der gesamte Zugumlauf ist zu sehr von der Geschwindigkeit und Beschaffenheit jedes einzelnen Fahrzeugs auf dem Gleis abhängig, als daß verschiedene Fahrunternehmer auf derselben Strecke wirken könnten.

Innerhalb des gewaltigen Teilgebiets der Welt auf Schienen, das in Deutschland angesiedelt ist, werden drei Hauptgattungen unterschieden: Hauptbahnen, Nebenbahnen und Kleinbahnen.

Auf den Hauptbahnen, welche die großen Verkehrsmittelpunkte auf dem kürzesten herstellbaren Weg miteinander verbinden, ist der Oberbau in Baustoff und Verlegungsart so gestaltet, daß die schwersten Züge darauf mit einer Geschwindigkeit bis zu 110 Kilometern in der Stunde fahren können. Bei den Nebenbahnen sind leichtere Schienen zugelassen, die Geleise dürfen schärfere Krümmungen und stärkere Neigungen haben, die Wegübergänge in Schienenhöhe brauchen nicht sämtlich überwacht zu sein. Auch sonst lassen die strengen Bestimmungen der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung für diese Gattung verschiedene Erleichterungen zu. Die Höchstgeschwindigkeit darf 40 Kilometer in der Stunde nicht überschreiten.

Während die Hauptbahnen stets, die Nebenbahnen fast immer vollspurig angelegt sind, das heißt mit einem Abstand der Schienen-Innenkanten von 1,435 Metern, herrscht bei den Kleinbahnen die Schmalspur, welche bei uns gewöhnlich 1 Meter oder 0,75 Meter beträgt. Über die Entstehung der Voll- oder Regelspur wird im 5. Abschnitt näheres mitgeteilt.

Infolge ihrer schmalen Spur sind die Kleinbahnen imstande, sich den Geländeverhältnissen besser anzupassen; sie vermögen sogar den scharfen Krümmungen der Landstraßen zu folgen, ihre Geleise sind oft neben diesen, ja auf ihnen verlegt. Die niedrigen Herstellungskosten der Kleinbahnen gestatten, die Vorteile des Schienenpfads auch zur Verbindung solcher Orte zu benutzen, deren geringe Verkehrskraft größere Ausgaben nicht rechtfertigen würde. Durch ihre Billigkeit und Schmiegsamkeit tragen die Kleinbahnen zur Befriedigung wichtiger Verkehrs- und Wirtschaftsbedürfnisse sehr viel bei. Ihr Ausbau ist bei uns im letzten Jahrzehnt, namentlich auch durch die Hergabe von Staatsmitteln, sehr lebhaft gefördert worden und wird sicherlich auch weiter liebevoll gepflegt werden.

Der weitaus größte Teil der deutschen Eisenbahnen befindet sich heute im Staatsbesitz. Den 57 233 Kilometern vollspuriger Staatsbahnen stehen nur 3523 Kilometer vollspuriger Privatbahnen gegenüber. Bei den Kleinbahnen freilich herrscht der Privatbesitz vor. Die deutschen Staaten gebieten nur über 1075 Kilometer solcher Schienenwege einfachster Art, während 1143 Kilometer Privatbesitz sind.

Ein Verzeichnis der Verwaltungen der deutschen Staats- und Privatbahnen befindet sich am Schluß des Buchs.

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