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Die Welt auf Schienen

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Der Funkenwurf der Lokomotive ist besonders lebhaft, wenn die Feuerung neu beschickt wird. Bei der Fahrt durch Wälder und an sonstigen besonders gefährdeten Stellen ist das Nachfeuern darum möglichst zu unterlassen. An solchen Streckenabschnitten sind die Telegraphenstangen mit breiten weißen Bändern bemalt, die dem Heizer sagen, daß er hier nur mit Vorsicht Kohle aufwerfen darf.

In unmittelbarer Nähe der Strecke sind die Wälder so weit zu roden, daß nicht vom Wind umgebrochene Äste auf die Geleise fallen können.

Ein gefährlicher Feind des regelmäßigen Bahnbetriebs im Winter ist der Schnee. Nicht die niederfallenden Flocken wirken störend, denn die ganz vorn an den Lokomotiven angebrachten Bahnräumer können selbst eine 15 Zentimeter hohe Schneedecke bequem von den Schienen fegen. Es müssen schon größere Massen auf den Geleisen liegen, bis die gewaltige Kraft der vorwärtsstürmenden Lokomotive von ihnen so weit vernichtet wird, daß der Zug stecken bleibt.

Die Stürme sind es, welche leicht wahre Schneemauern auf den Geleisen auftürmen können. Sie raffen die auf den Feldern liegenden weißen Massen von weit her zusammen und werfen sie in den Einschnitt. Darum ist die Bahn dort am allermeisten gefährdet, wo der Wind über große, leere Flächen streichen kann. In Wäldern kommen Schneetreiben nicht vor.

Bei der Anlage von Eisenbahnstrecken nimmt man von vornherein auf den Schneeschutz sorgsam Bedacht. Man verläßt sich nicht darauf, daß nach einem Schneetreiben Arbeitergruppen die Strecke wieder freischaufeln, sondern man schafft Maßregeln, die nach Möglichkeit ein Verwehen der Strecke von vornherein verhüten.

Die Schneewehe muß aufgehalten werden, bevor sie die Bahn erreicht. Das geschieht am besten durch das Anbringen einer Schutzwehr, also von durcheinandergepflanzten hohen und niedrigen Nadelbäumen, durch Erddämme oder durch Zäune. Die Schutzwehr darf jedoch niemals unmittelbar an den Rand des Einschnitts gesetzt werden. Denn gerade dicht hinter dieser pflegen sich die Schneemassen am stärksten anzuhäufen.

Die Gewalt des Sturms wird nämlich an der Schutzwehr gebrochen, und hinter ihr entsteht ein windstiller Streifen. Dadurch hat der Schnee Gelegenheit niederzugehen. Es muß also ein Lagerungsabschnitt zwischen der Schutzwehr und der Einschnittkante vorgesehen sein. Die Ermittlung der günstigsten Höhe für die Wehr ist Aufgabe sorgfältiger Berechnungen. Es sind recht schwierige mathematische Formeln, die hier in Anwendung gebracht werden müssen.

Man hat auch versucht, an Stelle der Schutzwehren geneigte Leitbahnen an den Seiten der Bahn anzubringen, die der herannahenden Schneewehe eine solche Richtung geben sollen, daß sie unschädlich über die Geleise hinweggeht. Die hiermit angestellten Versuche sind jedoch nicht gelungen.

Die am häufigsten zur Schneeabwehr benutzten Zäune werden aus alten Schwellen hergestellt, die entweder senkrecht in den Boden eingelassen oder wagerecht übereinander zwischen geeigneten Haltern angebracht werden. Vielfach sind auch Brettertafeln in Gebrauch, die nicht ständig zwischen den für sie vorgesehenen Pfosten stecken, sondern, da sie leicht zu bewegen sind, erst eingesetzt werden, wenn ein Schneetreiben zu erwarten ist. Ihre Anwendung ist darum billig, weil man immer nur, je nach der Richtung des Winds, die eine oder die andere Seite der Bahn abzudecken braucht, so daß nur halbsoviel Bretterwände vorzuhalten sind wie bei festen Zäunen. Die Einsteckpfosten müssen selbstverständlich auf beiden Seiten vorgerichtet werden. An Stelle der Holzwehren verwendet man auch Geflechte aus Binsen oder Weidenruten. Manche Verwaltungen halten frei aufstellbare Bockzäune bereit.

Ein Schutz der deutschen Bahnen gegen Lawinengefahr ist nur im südlichen Bayern notwendig. In Gebirgsländern sind zu diesem Zweck aber häufig recht große Bauten ausgeführt, die entweder Abstürze von der Strecke fernhalten sollen oder dafür sorgen, daß die Lawinen über die Bahnstrecke hinübergehen. Die Bernina-Bahn z. B., die St. Moritz mit Tirano in Italien verbindet, besitzt sehr viele solcher Lawinen-Leitanlagen.

12. Über Täler und Berge

Die Schaffung des Eisenbahnunterbaus, die vielfach zu eintöniger Maulwurfsarbeit zwingt, gibt an einzelnen Stellen auch Anlaß zur Herstellung kunstvoller Bauten. Die Überführung von Strecken über tief eingeschnittene Täler hat Werke entstehen lassen, die zu den großartigsten Leistungen der Technik gehören. Die Kunst des Brückenbaus wäre niemals zu so hoher Vollendung gelangt, wenn die Eisenbahn nicht die Bewältigung größter Gewichte gefordert hätte. Die Beherrschung der Baustoffe ist hierdurch in außerordentlicher Weise gefördert worden. Und infolge der tief eindringenden wissenschaftlichen Erkenntnis über die wirklichen Beanspruchungen von Bauteilen schwerer Brücken ist man dazu gelangt, auch an andern Stellen, wie bei der Herstellung großer Hallen, Leistungen von oft schwindelerregender Kühnheit zu vollbringen.

Auch Deutschland, das infolge seiner meist ebenen Gestaltung an ragenden Eisenbahnbauten nicht gerade reich ist, weist eine Reihe höchst eindrucksvoller Brücken auf. Im Jahre 1910 waren für die vollspurigen Eisenbahnen in Deutschland 534 Brücken mit einer Gesamtlänge von annähernd 74 Kilometern errichtet.

Die technische Kraft, durch welche es gelang, die heutigen großen Eisenbahnbrücken in aller Welt zu schaffen, hat ihre Wurzeln so sehr in den Anfängen der Brückenbaukunst, daß es zum besseren Verständnis der nun erreichten Leistungen notwendig ist, den Blick ein wenig rückwärts zu wenden.

In älteren Zeiten waren Holz und Steine die einzigen Baustoffe, die für Brücken verwendet werden konnten. Die erste eiserne Brücke entstand in den Jahren 1776 bis 1779 auf englischem Boden in der Nähe der Grube von Coalebrookdale, wo zehn Jahre vorher Reynolds die ersten Schienen gegossen hatte. Die Brücke hatte eine Spannweite von nur 31 Metern und war aus Gußeisen gefertigt. Auf dem Festland wurde die erste eiserne Brücke in Deutschland errichtet und zwar im Jahre 1796 in Schlesien, wo sie heute noch das Striegauer Wasser überspannt.

Gußeisen ist jedoch für Brückenbauten ein wenig zweckmäßiger Baustoff. Es besitzt zwar eine sehr große Druckfestigkeit, jedoch kann es Zug- und Biegungskräften nur in geringem Maß Widerstand leisten. Als man daher breitere Wasserläufe überbrücken wollte, wurde es notwendig, eine Eisensorte zu benutzen, die Beanspruchungen aller Art auszuhalten vermag.

1818-1826 baute Telford die erste schmiedeiserne Brücke. Sie überschreitet den schmalen Meeresarm zwischen der Westküste von Wales und der Insel Anglesey, die Menai-Straße. Telford schuf hier mit einer für die damalige Zeit außerordentlichen Kühnheit eine weitgespannte Hängebrücke. Er mußte bei den Abmessungen der einzelnen Teile meist nach dem Gefühl arbeiten, da zuverlässige Zahlen über die Haltbarkeit des Eisens und Formeln zur Berechnung der Beanspruchungen noch nicht vorhanden waren. Es wird erzählt, daß sich der Bauleiter, als das Stützgerüst unter der Brücke weggeschlagen wurde, in das Brückenhäuschen zurückzog, dessen Fensterläden geschlossen waren, um dort zu beten. Es ging jedoch alles gut. Diese erste Hängebrücke der Welt bewährte sich vortrefflich, weil sie von einem hochbefähigten Mann mit sicherem Gefühl geschaffen worden war.

Über Telfords Brücke lief nur eine Landstraße. Für die verhältnismäßig geringen Belastungen, die auf solchen Wegen auftreten, waren die leichten Hängebrücken jener Zeit denn auch sehr gut geeignet. Aber es zeigte sich doch bald, daß ihre Steifigkeit nicht allzu groß war. Hier und da kam es vor, daß Brücken solcher Art bei heftigen Stürmen stark ins Schwanken gerieten und wohl auch einmal abgerissen wurden. Man konnte daher nicht daran denken, diese Bauform auch für Eisenbahnüberführungen anzuwenden. Es war der bedeutende Sohn des großen Georg Stephenson, der das von seinem Vater begonnene Eisenbahnwerk durch die Schaffung der ersten gewaltigen Eisenbahnbrücke fortsetzte. Robert Stephenson erbaute in den Jahren 1846-50 seine weltberühmte Britannia-Brücke, die gleichfalls über die Menai-Straße führt; sie wird noch heute von der Eisenbahnlinie benutzt, die von Chester nach dem wichtigen Hafen Holyhead auf Anglesey läuft.

Die Brücke ist 559 Meter lang. Sie stellt technisch nichts anderes dar, als zwei gleichlaufende gewaltige eiserne Balken, deren Inneres entfernt ist. Der Querschnitt ist also kastenförmig. Der an zwei Enden aufgelagerte Balken ist ja die einfachste Form einer Überbrückung, da sich die bei Belastung in einem solchen Balken auftretenden Kräfte am leichtesten übersehen lassen. Wird ein Gewicht auf den Balken aufgelegt, so sucht er sich durchzubiegen. Hierbei erleiden die untersten Fasern eine Streckung, die obersten werden zusammengedrückt. Dazwischen muß ein unbeanspruchter Bezirk liegen. Darum kann man auch mit gutem Erfolg Balken mit ganz schmalem Mittelteil verwenden, wie es heute bei den Schienen und bei den Doppel-T-Trägern geschieht, oder man vermag, wenn man die Ränder nur kräftig genug ausbildet, das Innere auch ganz fortzulassen. Diesem Gedanken folgend, schuf Robert Stephenson die beiden großen Kästen der Britannia-Brücke.

Das Bauwerk erscheint uns heute ungefüge und grob zusammengehauen. Den Eindruck aber, den es kurz nach seiner Errichtung auf einen sachverständigen Zeitgenossen machte, kennen wir aus einer Schilderung Max von Webers:

„Schwindelhoch, turmhoch und in der Tat wie auf Türmen auf schlanken Pfeilern ruhend, liegt das zweihunderttausend Zentner schwere, gewaltige Eisenrohr über dem vierzehnhundert Fuß breiten Arm des St. Georg-Kanals, der die Insel Anglesey von der Westküste von Wales trennt. Selbst wie eine Schöpfung, die nur der Allmacht gelingen zu können scheint, steht das Bauwerk ohnegleichen, seiner ungeheueren Gliederung gemäß, mit feinem Formensinn aus Elementen ägyptischen Stils in hohem Ernst aufgebaut, an beiden Ufern von riesenmäßigen Sphinxen bewacht, in der tiefblauen Meeresflut zwischen paradiesischen Küsten. Tief drunten die tiefazurne, mit weißem Schaum um die Brückenpfeiler brandende Flut, und auf ihr vor der frischen Morgenbrise hingleitende, sanftgeneigte, schwellende Segelmassen tragende Schiffe.

 

„Wie die Vögel des Himmels schauen wir von der Himmelshöhe der Brückenröhre hinab auf das schlanke Spierenwerk der darunter hinrauschenden Dreimaster. Vor uns stehen die zauberisch feinen, streng geometrischen und doch so unnachahmlich graziösen Linien von des großen Telford Wunderwerk, der Menai-Kettenbrücke, die, nur eine Viertelmeile von der Britanniabrücke entfernt, die Chaussee seit dreißig Jahren über dieselbe Meerenge führt, über welche die Britanniabrücke die Eisenbahn trägt. Von welch großer, anregender Wirkung ist der Kontrast der Formen dieser beiden Meisterstücke der neueren Brückenbaukunst, die der Blick gleichzeitig umfaßt!

„Feenhaft fein, wie aus Sonnenfäden gewebt, bogig, leichtgeschwungen, scheint die Brücke Telfords über dem Wasser zu schweben, während Stephensons Bau massig, gewaltig, unerschütterlich in scharfen, geraden Linien und Kanten darüber her ruht und es mit unermeßlichem Gewichte bedrückt und beherrscht.“

Der deutsche Ingenieur Max von Weber hatte kurz nach seinem Besuch der Britanniabrücke Gelegenheit, in Robert Stephensons Haus zu weilen und hierbei einem Bericht des großen Baumeisters über den wichtigsten und aufregendsten Augenblick bei der Erbauung der Brücke zu lauschen.

Die beiden hohen Kastenröhren – für jede Fahrtrichtung eine – waren nicht am Ort ihrer endgültigen Aufstellung zusammengenietet, sondern dicht am Ufer auf Gerüsten hergestellt worden, die über das Wasser ragten. Um sie zwischen die Pfeiler zu bringen, benutzte Robert Stephenson ein Verfahren, das noch heute vielfach angewendet wird. Beim Beginn der Flut wurden zwei kräftige Schiffe mit aufgebauten starken Stützpfeilern so unter jedes Rohr gestellt, daß sie beim weiteren Steigen des Wassers schließlich den Brückenteil von den festen Gerüsten abheben und selbst tragen mußten. Alsdann fuhr man mit den Schiffen so zwischen die Pfeiler, daß sich die Rohre während der Ebbe auf vorbereitete Lager aufsetzten, von denen sie später nur noch senkrecht bis zur vollen Höhe der Pfeiler hinaufgewunden zu werden brauchten. An Kühnheit läßt dieses Verfahren, insbesondere wenn man das gewaltige Gewicht der Britannia-Brückenrohre in Betracht zieht, nichts zu wünschen übrig, und Robert Stephenson war denn auch aufs freudigste ergriffen, als kurz vor dem Beginn der Arbeit zwei Männer, die gleich ihm damals der Stolz des technischen England waren, freiwillig ihre Hilfe für das Einschwimmen der Brücke anboten. Es waren Isambart Brunel, der Schöpfer des ersten Themse-Tunnels, und William Fairbairn, der Erbauer der ersten eisernen Schiffe. Die Schilderung des aufregenden Vorgangs aus Robert Stephensons Mund gibt Max von Weber so wieder:

„Ich war am Morgen, der um zehn Uhr den Eintritt der verhängnisvollen Flut bringen sollte, vor Tagesanbruch unten am Ufer des Menai-Kanals. Es war stürmisch, ich hörte die hohe Brandung durch die Nacht brausen. Weithin brannten auf beiden Ufern die Wachtfeuer und Fackeln, bei denen die Nacht über gearbeitet wurde. Mir lag es schwer auf der Seele. Da rief mich eine helle Stimme durch die Nacht an: ‚All right! All goes well! Good morning!‘, und ich erkannte Brunel, der schon vom Werkplatz kam. Ich bin nicht poetisch, aber ich muß gestehen, der handfeste, kleine, große englische Ingenieur erschien mir in diesem Momente wie ein lichter Engel!

„Der Augenblick kam, wo die Flut eintrat. Ich stand auf der zuerst zu flößenden Röhre, die seit Jahr und Tag, seitdem die Arbeit an ihr begonnen wurde, bergfest auf ihren Werklagern ruhte, volle zwei Millionen Pfund schwer. Totenstille auf beiden Ufern, mit ihren Hunderten von Arbeitern, die, Hand am Griff, vor ihren Ankerwinden standen, mit Tausenden zugeströmter Zuschauer. Ich sah Fairbairn wie einen Punkt am Anglesey-Ufer auf seinem Gerüst stehen, unter mir, an der Hauptwinde des Wales-Ufers, stand Brunel, die klugen Augen nach mir heraufgerichtet – alle totenstill – nur die steigende Flut brodelte um die Pontons, in deren gewaltigem Zimmerwerk und Rippen es knackte, knarrte und polterte, je mächtiger das Wasser sie gegen die große Last, die sie heben sollte, preßte.

„Endlich wurde auch dies Prasseln still – sie mußten ihre volle Last haben – ich sah nach der Uhr und den Wassermassen – die Flut war fast auf ihrer Höhe – die Eisenmasse rührte sich nicht – mir stand das Herz fast still – da plötzlich fühlte ich, wie es wie ein Zittern durch die kolossale Röhre unter meinen Füßen lief – der eiserne feste Boden wich – und im selben Moment sah ich, wie die Gerüste sich gegen uns verschoben.

„Die Arbeitermannschaften brachen unaufhaltsam in unermeßliche Cheers aus, die aus tausend Kehlen weit und breit an den Ufern widerhallten. Die ungeheure Röhre schwamm! Rasch packte die Flut die Pontons – ich gab meine Signale. Meine großen Rivalen folgten dem Wink meiner Hand! Die Flut spritzte von den angestrafften Tauen und Ketten turmhoch empor oder brodelte über die erschlafft ins Wasser sinkenden mit einer Präzision, als belebe ein einziger Wille die Hunderte von Männern hüben und drüben. —

„Ich will Sie nicht mit der Erzählung davon ermüden, es ist bekannt, wie die Röhre ohne Unfall und mit bewunderungswürdiger Genauigkeit, trotz Sturm und Stromschnellen zwischen die Pfeiler trieb, und die sinkende Flut, sie auf ihren Lagern liegen lassend, lustig die davon gelösten Pontons mit fortnahm, während ich mit Entzücken das Knirschen hörte, mit dem der Koloß sich sicher auf die Steinunterlage bettete. Aber Sie werden verstehen, daß ich mich nie so gehoben und so klein zugleich gefühlt habe, wie damals, als meine Rivalen zu mir auf die Röhre kletterten und mir die Hand drückten.“

Heute, wo man im beruhigenden Besitz jahrzehntelanger Erfahrungen ist, werden derartige Arbeiten ohne Erregung und ohne Hochgefühle erledigt. Das Einschwimmen eines neuzeitlichen Brückenbogens, und zwar auf der Donau bei Passau, zeigt unser.

Die Britannia-Brücke hat den für den Eisenbahnbetrieb recht unangenehmen Mangel, daß es in ihrem Innern dunkel ist. Bei später errichteten Balkenbrücken ging man daher vom vollen Balken ab; man löste ihn in einen Gitterträger auf. Ein schönes Beispiel einer solchen Gitterbalken-Bauart ist die große Weichselbrücke bei Dirschau, durch deren Errichtung im Jahre 1857 in Verbindung mit der ganz gleichartig gestalteten Nogatbrücke bei Marienburg der bis dahin durch die tiefen Flußtäler unterbrochene Schienenstrang von Königsberg nach Schneidemühl und Kreuz endlich geschlossen wurde.

Auch die Dirschauer und Marienburger Brücken von 1857, neben denen heute schon neue Bauwerke stehen, sehen noch recht schwerfällig aus. Bei ihrem Anblick hat man nicht das Gefühl, das jede gutgebaute neuzeitliche Brücke im Beschauer auslöst, nämlich das eines vollständigen Gleichklangs, die Empfindung, daß all die zahllosen Träger und Stangen sämtlich dort stehen, wo wirklich Kräfte auftreten, und daß sie Abmessungen haben, die der Größe dieser Kräfte in jedem Augenblick entsprechen. Die später geschaffenen Ausleger- und Bogenbrücken sind mit viel weniger Eisen gebaut, und sie erscheinen dem Auge doch weit zuverlässiger und fester.

Die weitest gespannte Auslegerbrücke auf der Erde, zugleich eines der mächtigsten Eisenbauwerke, das jemals errichtet wurde, ist die Brücke über den Firth of Forth bei Queensferry in Schottland. Sie schließt die Hauptstadt Edinburg über die einem Meeresarm gleiche, weit gedehnte Mündung des Forth-Flusses hinweg an das Eisenbahnnetz Nordost-Schottlands an.

Die Entstehungsgeschichte der in den Jahren 1883-90 errichteten Forth-Brücke hängt eng mit der Geschichte einer anderen schottischen Eisenbahnbrücke zusammen.

Über den etwas weiter nördlich liegenden, schmaleren Firth of Tay war schon in den siebziger Jahren eine Eisenbahnbrücke gespannt worden. Ihr damals ob der Kühnheit seines Werks viel bewunderte Erbauer, Bouch, hatte für die Stützpfeiler sehr viel Gußeisen verwenden müssen, das, wie wir wissen, kein zuverlässiger Brückenbaustoff ist. Ein anderer englischer Ingenieur, John Fowler, warnte häufig davor, diesem Bauwerk zu trauen. Bevor die Brücke noch irgendeinem andern Mißtrauen einflößte, hatte dieser kluge Mann ihre Schwäche so genau erkannt, daß er seinen Familienmitgliedern strengstens verbot, mit der Eisenbahn über den Tay zu fahren.

Und er sollte nur allzu sehr recht behalten. In der Nacht zum 28. Dezember 1879 brach Bouchs Brücke bei einem Orkan plötzlich zusammen, als gerade ein Zug darüber fuhr. Die Mittelbogen stürzten mit dem Zug ins Wasser. Es ist dies der folgenschwerste Unglücksfall, der sich je auf einer Eisenbahnstrecke ereignet hat; 200 Menschen kamen dabei ums Leben.

Das furchtbare Begebnis ist von Theodor Fontane in seinem berühmten Gedicht „Die Brück’ am Tay“ behandelt worden, und der Dichteringenieur Max Eyth hat es in seinem schönen Buch „Hinter Pflug und Schraubstock“ unter der Überschrift „Berufstragik“ ausführlich beschrieben. Er erzählt da, wie er zusammen mit dem alten Brückenwärter in wütendem Sturm und dunkler Nacht die Brücke abschreitet, nachdem die Vermutung aufgetaucht war, daß auf dieser ein Unglück geschehen sei:

„Es war kein Kinderspiel, dieser Gang. Zum Glück hatten wir vollauf mit uns zu tun, so daß wir kaum an das Unglück denken konnten, das uns vorwärts trieb.

„Knox ging voraus, drehte sich aber um, so oft er ein paar Dutzend Schritte gemacht hatte, um mir zu leuchten. Ich folgte ihm stetig und langsam, vor jedem Schritt versuchend, ob ich fest genug stand, um dem wechselnden Luftdruck Trotz bieten zu können.

„Wir hatten so den Brückenkopf erreicht. Zwischen seinen monumentalen Granitblöcken war man etwas geschützt und konnte aufatmen. Dann traten wir auf die Brücke, indem wir uns mit beiden Händen an dem luftigen Eisengeländer anklammerten und daran fortarbeiteten. Unser Steg war die etwa drei Fuß breite Dielung, die nach der Innenseite der Brücke an die linksseitige Bahnschiene anstieß. Dies war die gefährlichere Seite, denn zwischen den Schienen und den bloßliegenden Schwellen gähnte der schwarze Abgrund, und der Wind blies uns mit boshaften Stößen in diese Richtung. Nach der andern Seite hatten wir wenigstens das Geländer und den Winddruck zu unserm Schutz.

„Gut war es, daß der Blick nicht in die Tiefe dringen konnte, wo ein zischender Lärm die hereinbrechende Sturmflut ankündigte. Auf Augenblicke nur sah man dort unten weiße Flocken blinken, ohne abschätzen zu können, ob sie sich ganz nahe oder turmtief unter uns bewegten. Das waren die Schaumkronen der sturmgepeitschten Wellen. Über uns war die Nacht ein Wühlen und Wallen, ein Sausen und Seufzen, ein Klatschen und Krachen, als ob der wilde Jäger und der fliegende Holländer sich in den Haaren lägen. Aber wir kamen vorwärts, Schritt für Schritt. Die Brücke zitterte fühlbar, aber sie stand noch. Wenn es so fortging, konnte vielleicht alles gut werden.

„Da nach zwanzig Schritten das Ufer in undurchdringlicher Finsternis versunken war, und uns das gleiche, bleierne Schwarz entgegenstarrte, zählte ich die Pfeiler, über die wir kamen, um ungefähr zu wissen, wo wir uns befanden. Es war dies möglich, obgleich sie nicht zu sehen waren, weil das Geländer auf jedem Pfeiler von einem höheren, reichornamentierten Pfosten getragen wurde, der uns sozusagen durch die Finger ging. So wußte ich, wie langsam wir vorwärts kamen, und nachdem wir fünf, sechs Pfeiler hinter uns hatten und über einer scheinbar unendlichen See hingen, die einförmig, unablässig, in schwarzer Wut unter uns toste, gewöhnte ich mich an unsern krebsartigen Gang und fing an, mich über meine kalt werdenden Hände zu ärgern, wie wenn es eine alltägliche Beschäftigung wäre, so in die unergründliche Nacht hinauszuklettern. Auch ging es nach jedem Pfeiler rascher. Ich glaube, ich wäre förmlich munter geworden, wenn nicht das leise, unheimliche Zittern der Brücke mich von Zeit zu Zeit daran erinnert hätte, daß wir auf einem Todesgang begriffen waren.

„Jetzt hörte man aus weiter Ferne den hartklingenden Schlag eines Eisens – jetzt wieder. Dies war unerklärlich, unnatürlich. Ich hielt an und lauschte, hörte dann aber nur das Pfeifen des Windes und das dumpfe, summende Zischen des Wassers unter meinen Füßen. Weiter!

„Da plötzlich war die Schattengestalt meines Vordermanns verschwunden. Das Geländer, das ich jetzt auf dreißig Meter ganz deutlich sehen konnte, war leer. Er konnte doch nicht abgestürzt sein. Ich schrie laut: ‚Knox! Knox!‘ Keine Antwort. Ich ließ jetzt selbst das Geländer mit der Rechten los und lief vorwärts, so schnell ich konnte. ‚Knox! Knox!!‘

 

„Nein, er war nicht abgestürzt. Dort saß er auf dem Bretterboden, die Beine über den Schienen zwischen den Schwellen herabhängend, die Arme auf den Knien, den Kopf auf den Armen, wie ein Igel, der sich zusammengerollt hat.

„Er richtete sich ein wenig auf und deutete mit dem linken Arm nach vorwärts.

„Zum erstenmal, seit wir auf dem Wege waren, zerriß das Gewölke unter der dünnen Mondsichel und ließ einen grellgrünlichen Fleck des Himmels erscheinen. Man sah mit einemmal ziemlich weit nach allen Seiten. Es war, als stünde man in der Mitte einer Zauberkugel, tief unter uns in einem dämmerigen Kreis die schaumbedeckte See, um uns bestimmt und klar die Schienen, die Schwellen, das Geländer, vor uns, plötzlich scharf abgeschnitten, das Ende der Brücke, das ins leere Nichts hinausragte.

„Ich ging noch zwanzig Schritte vorwärts, fast ohne zu denken, einem qualvollen Drange folgend, der mich weitertrieb. Dann klammerte ich mich wieder mit beiden Händen ans Geländer und sah in das dunstige Blau hinaus, wo noch vor zwei Stunden die riesigen, tunnelartigen Gitterbalken begonnen hatten. Sie waren verschwunden, spurlos weggeblasen.

„In weiter, weiter Ferne sah man die Brücke wieder, das Ende, das vom Nordufer der Bucht kam, wie einen schlanken senkrechten Pfahl, der hoch aus dem Wasser emporragte. Zwischen diesem Ende und dem unsern war eine leere Strecke, fast ein Kilometer breit, über die in ungestörter Kraft und Freiheit das heraufstürmende Meer hinwogte. Nur eine Reihe weißer Punkte bezeichnete über die Wasserfläche weg die Linie der einstigen Brücke. Es war die Brandung, die an den Resten der verschwundenen Pfeiler aufschäumte.

„Ich zählte sie mechanisch, ohne zu denken. Zwölf! Ich wußte, dies war die Zahl der großen Pfeiler, auf denen der höhere Teil der Brücke geruht hatte. Wenn ich träumte, so träumte ich mit entsetzlicher Folgerichtigkeit. So mußte es gekommen sein. Die ganze Länge der hochliegenden Gitterbalken war eingestürzt.“

Derselbe Bouch, dessen Werk unter so erschütternden Umständen vernichtet wurde, hatte auch einen Entwurf für die Forth-Brücke gemacht, der dann glücklicherweise nicht zur Ausführung kam. Fowler konnte nachweisen, daß auch dieser Plan schwere Fehler enthielt. Ihm wurde dann zusammen mit Benjamin Baker das große Werk der Überquerung des Forth-Busens übertragen.

Die Gestaltung der Brücke ist höchst eigenartig; sie hat nicht ihresgleichen auf Erden. Die Mittelstücke der gewaltigen Bogen sind infolge einer eigenartigen Anordnung der Ausleger ganz schwach durchgebildet, was einen geradezu abenteuerlichen Eindruck macht. Die ganze Forth-Brücke ist 2470 Meter lang. Die Spannweiten der beiden Mittelöffnungen betragen je 541 Meter. Die Schienen liegen etwa 50 Meter über dem Wasserspiegel. Die Pfeiler erreichen eine Höhe von 100 Metern. Die Gesamtbaukosten, einschließlich der Anschlüsse an die vorhandenen Bahnstrecken, haben 3 367 625 Pfund Sterling, das sind 67 352 500 Mark, betragen. 50 Millionen Kilogramm Eisen sind für das Bauwerk verbraucht worden.

Fast alle größeren Eisenbahnbrücken in Deutschland sind in Eisen ausgeführt. Eine der an Zahl äußerst geringen Ausnahmen macht die Brücke, welche seit dem Jahre 1851 die Eisenbahnstrecke von Leipzig nach Hof über das Göltzschtal trägt. Ihre kleinen, in Stockwerken übereinandergestellten Bogen erinnern an die Wasserleitungsbauten der Römer. 1500 Arbeiter sind bei ihrer Herstellung fünf Jahre lang tätig gewesen.

Die Beanspruchung jedes auf zwei Pfeilern liegenden Brückenteils durch die Belastung ist in der Mitte am stärksten. Der gerade durchgeführte Gitterbalken entspricht darum nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Weit mehr kommt diesen ein Balken mit gekrümmten Gurtungen nahe, wie ihn unter den Ersten die Erbauer der Isarbrücke bei Großhesselohe für die Eisenbahnstrecke München-Holzkirchen angewendet haben.

Dieses Bauwerk, das schon sehr feine, dem Auge wohlgefällige Linien aufwies, ist im Auftrag der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg im Jahre 1857 von Pauli errichtet worden. Die Bauaufsicht führte damals Heinrich Gerber, der Erfinder des nach ihm benannten, für den Brückenbau noch heute wichtigen Gerberbalkens. Als die Tragfähigkeit dieser Brücke für die stark gestiegenen Zuggewichte nicht mehr ausreichte, wurde sie im Jahre 1912 abgebrochen und durch eine neue ersetzt. Die geschichtliche Wichtigkeit dieses hervorragenden deutschen Bauwerks ist dadurch geehrt worden, daß einzelne Teile aus den eisernen Bogen herausgeschnitten und im Deutschen Museum für Meisterwerke der Naturwissenschaft und Technik in München aufgestellt worden sind.

Kühner noch als das Einschwimmen fertiger Brückenteile ist das heutzutage nicht selten angewendete Freibauverfahren. Es ist an manchen Stellen nicht möglich, Stützgerüste für die Brücken aufzubauen. Die Träger müssen alsdann von den Seiten frei vorgestreckt werden, und sie schweben während dieser Zeit, bis die beiden Teilstücke einander getroffen haben und verbunden sind, in geradezu beängstigender Weise frei in der Luft. Nur eine ganz genaue Beherrschung des Baustoffs und eindringliche Kenntnisse der auftretenden Beanspruchungen ermöglichen diese kühne Bauweise.

Sie ist auch bei der Errichtung des mächtigsten deutschen Eisenbahnbauwerks, der Kaiser Wilhelm-Brücke über das Wuppertal bei Müngsten, im Zuge der Strecke Solingen-Remscheid, angewendet worden. Der Mittelbogen hat hier eine Spannweite von 170 Metern, der Scheitel des Bogens liegt nicht weniger als 107 Meter über dem tief eingeschnittenen Flußtal. Als die Brücke 1897 fertig war, stellte sie die weitest gespannte Bogenbrücke auf dem europäischen Festland dar. Die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg hatte durch ihre Herstellung der deutschen Eisenbaukunst ein besonders glänzendes Zeugnis ausgestellt. Heute führt über den Viaurfluß in Frankreich eine Brücke, deren Mittelbogen 230 Meter weit gespannt ist.

Wenn eine Brücke so tief über das Wasser gelegt werden muß, daß der Schiffsverkehr darunter nicht unbehindert stattfinden kann, so ist es notwendig, das Bauwerk beweglich zu machen. Man muß imstande sein, den Schiffen jederzeit eine Durchfahrt von ausreichender Breite freizugeben. Es kann dies durch drei verschiedene Verfahren geschehen. Die Brücke wird entweder in ihrer ganzen Erstreckung wagerecht emporgehoben, also gleich einer Hebebühne bewegt; sie wird aufgeklappt, indem die Fahrbahn um eines der Endlager schwingt, oder sie wird auf einem Mittelpfeiler gedreht, so daß zu dessen beiden Seiten Durchfahrten frei werden.

Eine Klappbrücke mit ungewöhnlich großen Abmessungen ist von der Deutschen Maschinenfabrik-Aktiengesellschaft in Duisburg über den Hafen von Husum zur Überführung der Strecke von Elmshorn nach Tondern gebaut worden. Für jedes der beiden Geleise ist eine von der andern unabhängige Klappe vorgesehen. Bei derartig großen, frei in die Luft ragenden Bauwerken muß der Winddruck sehr aufmerksam als Belastung in Rechnung gezogen werden. Denn es ist ohne weiteres klar, daß ein Sturm, der gegen so riesige Platten bläst, auf diese eine starke Kraftäußerung übt. Bei der Husumer Klappbrücke hat man, abgesehen von den sehr kräftigen Versteifungen in dem Bau selbst, den Winddruck auch bei der Anordnung des Hubwerks berücksichtigt. Das Aufklappen kann bei Sturm mit geringerer Geschwindigkeit vorgenommen werden als bei Windstille. Im ersten Fall dauert das Öffnen der Brücke zwei Minuten, sonst nur eine Minute, was bei den anzuhebenden Gewichten gewiß keine geringe Leistung ist.

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