Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke

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9.

Auch im Ent­wer­fen der Hand­lung ist Wa­gner vor Al­lem Schau­spie­ler. Was zu­erst ihm auf­geht, ist eine Sce­ne von un­be­dingt sich­rer Wir­kung, eine wirk­li­che Ac­tio1 mit ei­nem hautre­li­ef der Ge­bär­de, eine Sce­ne, die um­wirft – die­se denkt er in die Tie­fe, aus ihr zieht er erst die Cha­rak­tere. Der gan­ze Rest folgt dar­aus, ei­ner tech­ni­schen Öko­no­mik ge­mä­ss, die kei­ne Grün­de hat, sub­til zu sein. Es ist nicht das Pub­li­kum Cor­neil­le’s, das Wa­gner zu scho­nen hat: blos­ses neun­zehn­tes Jahr­hun­dert. Wa­gner wür­de über "das Eine, was noth thut" un­ge­fähr urt­hei­len, wie je­der and­re Schau­spie­ler heu­te urt­heilt: eine Rei­he star­ker Sce­nen, eine stär­ker als die and­re – und, da­zwi­schen, viel klu­ge Stu­pi­di­tät. Er sucht sich selbst zu­erst die Wir­kung sei­nes Wer­kes zu ga­ran­ti­ren, er be­ginnt mit dem drit­ten Akte, er be­weist sich sein Werk mit des­sen letz­ter Wir­kung. Mit ei­nem sol­chen Thea­ter­ver­stan­de als Füh­rer ist man nicht in Ge­fahr, un­ver­se­hens ein Dra­ma zu schaf­fen. Das Dra­ma ver­langt die har­te Lo­gik: aber was lag Wa­gnern über­haupt an der Lo­gik! Noch­mals ge­sagt: es ist nicht das Pub­li­kum Cor­neil­le’s, das er zu scho­nen hat­te: blos­se Deut­sche! Man weiss, bei wel­chem tech­ni­schen Pro­blem der Dra­ma­ti­ker alle sei­ne Kraft an­setzt und oft Blut schwitzt: dem Kno­ten No­thwen­dig­keit zu ge­ben und eben­so der Lö­sung, so dass bei­de nur auf eine ein­zi­ge Art mög­lich sind, bei­de den Ein­druck der Frei­heit ma­chen (Prin­cip des kleins­ten Auf­wan­des von Kraft). Nun, da­bei schwitzt Wa­gner am we­nigs­ten Blut; ge­wiss ist, dass er für Kno­ten und Lö­sung den kleins­ten Auf­wand von Kraft macht. Man neh­me ir­gend einen "Kno­ten" Wa­gner’s un­ter das Mi­kro­skop – man wird da­bei zu la­chen ha­ben, das ver­spre­che ich. Nichts er­hei­tern­der als der Kno­ten des Tris­tan, es müss­te denn der Kno­ten der Meis­ter­sin­ger sein. Wa­gner ist kein Dra­ma­ti­ker, man las­se sich Nichts vor­ma­chen. Er lieb­te das Wort "Dra­ma": das ist Al­les – er hat im­mer die schö­nen Wor­te ge­liebt. Das Wort "Dra­ma" in sei­nen Schrif­ten ist trotz­dem bloss ein Miss­ver­ständ­niss (– und eine Klug­heit: Wa­gner that im­mer vor­nehm ge­gen das Wort "Oper" –); un­ge­fähr wie das Wort "Geist" im neu­en Te­sta­ment bloss ein Miss­ver­ständ­niss ist. – Er war schon nicht Psy­cho­lo­ge ge­nug zum Dra­ma; er wich in­stink­tiv der psy­cho­lo­gi­schen Mo­ti­vi­rung aus – wo­mit? da­mit, dass er im­mer die Idio­syn­kra­sie an de­ren Stel­le rück­te … Sehr mo­dern, nicht wahr? sehr Pa­ri­se­risch! sehr dé­ca­dent! … Die Kno­ten, an­bei ge­sagt, die that­säch­lich Wa­gner mit Hül­fe dra­ma­ti­scher Er­fin­dun­gen zu lö­sen weiss, sind ganz and­rer Art. Ich gebe ein Bei­spiel. Neh­men wir den Fall, dass Wa­gner eine Wei­ber­stim­me nö­thig hat. Ein gan­zer Akt ohne Wei­ber­stim­me – das geht nicht! Aber die "Hel­din­nen" sind im Au­gen­blick alle nicht frei. Was thut Wa­gner? Er eman­ci­pirt das äl­tes­te Weib der Welt, die Erda: "her­auf, alte Gross­mut­ter! Sie müs­sen sin­gen!" Erda singt. Wa­gner’s Ab­sicht ist er­reicht. So­fort schafft er die alte Dame wie­der ab. "Wozu ka­men Sie ei­gent­lich? Ziehn Sie ab! Schla­fen Sie ge­fäl­ligst wei­ter!" – In sum­ma: eine Sce­ne vol­ler my­tho­lo­gi­scher Schau­der, bei der der Wa­gne­ria­ner ahnt …

– "Aber der Ge­halt der Wa­gne­ri­schen Tex­te! ihr my­thi­scher Ge­halt, ihr ewi­ger Ge­halt!" – Fra­ge: wie prüft man die­sen Ge­halt, die­sen ewi­gen Ge­halt? – Der Che­mi­ker ant­wor­tet: man über­setzt Wa­gnern in’s Rea­le, in’s Mo­der­ne, – sei­en wir noch grau­sa­mer! in’s Bür­ger­li­che! Was wird da­bei aus Wa­gner? – Un­ter uns, ich habe es ver­sucht. Nichts un­ter­hal­ten­der, Nichts für Spa­zier­gän­ge mehr zu emp­feh­len als sich Wa­gnern in ver­jüng­ten Pro­por­tio­nen zu er­zäh­len: zum Bei­spiel Par­si­fal als Can­di­da­ten der Theo­lo­gie, mit Gym­na­si­al­bil­dung (– letz­te­re als un­ent­behr­lich zur rei­nen Thor­heit). Wel­che Über­ra­schun­gen man da­bei er­lebt! Wür­den Sie es glau­ben, dass die Wa­gne­ri­schen He­ro­i­nen sammt und son­ders, so­bald man nur erst den he­ro­i­schen Balg ab­ge­streift hat, zum Ver­wech­seln Ma­da­me Bo­va­ry ähn­lich sehn! – wie man um­ge­kehrt auch be­greift, dass es Flau­bert frei­stand, sei­ne Hel­din in’s Skan­di­na­vi­sche oder Kar­tha­gi­sche zu über­set­zen und sie dann, my­tho­lo­gi­sirt, Wa­gnern als Text­buch an­zu­bie­ten. Ja, in’s Gros­se ge­rech­net, scheint Wa­gner sich für kei­ne an­dern Pro­ble­me in­ter­es­sirt zu ha­ben, als die, wel­che heu­te die klei­nen Pa­ri­ser dé­ca­dents in­ter­es­si­ren. Im­mer fünf Schrit­te weit vom Ho­spi­tal! Lau­ter ganz mo­der­ne, lau­ter ganz gross­städ­ti­sche Pro­ble­me! zwei­feln Sie nicht dar­an! … Ha­ben Sie be­merkt (es ge­hört in die­se Ide­en-As­so­cia­ti­on), dass die Wa­gne­ri­schen Hel­din­nen kei­ne Kin­der be­kom­men? – Sie kön­nen’s nicht … Die Verzweif­lung, mit der Wa­gner das Pro­blem an­ge­grif­fen hat, Sieg­fried über­haupt ge­bo­ren wer­den zu las­sen, ver­räth, wie mo­dern er in die­sem Punk­te fühl­te. – Sieg­fried "eman­ci­pirt das Weib" – doch ohne Hoff­nung auf Nach­kom­men­schaft. – Eine That­sa­che end­lich, die uns fas­sungs­los lässt: Par­si­fal ist der Va­ter Lo­hen­grin’s! Wie hat er das ge­macht? – Muss man sich hier dar­an er­in­nern, dass die Keusch­heit Wun­der thut"? …

Wa­gne­rus di­xit prin­ceps in cas­ti­ta­te auc­to­ri­tas.

1 An­mer­kung. Es ist ein wah­res Un­glück für die Aes­the­tik ge­we­sen, dass man das Wort Dra­ma im­mer mit "Hand­lung" über­setzt hat. Nicht Wa­gner al­lein irrt hier­in; alle Welt ist noch im Irr­thum; die Phi­lo­lo­gen so­gar, die es bes­ser wis­sen soll­ten. Das an­ti­ke Dra­ma hat­te gros­se Pa­thossce­nen im Auge – es schloss ge­ra­de die Hand­lung aus (ver­leg­te sie vor den An­fang oder hin­ter die Sce­ne). Das Wort Dra­ma ist do­ri­scher Her­kunft: und nach do­ri­schem Sprach­ge­brauch be­deu­tet es "Er­eig­niss," "Ge­schich­te," bei­de Wor­te in hie­ra­ti­schem Sin­ne. Das äl­tes­te Dra­ma stell­te die Orts­le­gen­de dar, die "hei­li­ge Ge­schich­te," auf der die Grün­dung des Cul­tus ruh­te (– also kein Thun, son­dern ein Ge­sche­hen: δραειν heisst im Do­ri­schen gar nicht thun"). <<<

10.

An­bei noch ein Wort über die Schrif­ten Wa­gner’s: sie sind, un­ter An­de­rem, eine Schu­le der Klug­heit. Das Sys­tem von Pro­ze­du­ren, das Wa­gner hand­habt, ist auf hun­dert and­re Fäl­le an­zu­wen­den, – wer Ohren hat, der höre. Vi­el­leicht habe ich einen An­spruch auf öf­fent­li­che Er­kennt­lich­keit, wenn ich den drei wert­h­volls­ten Pro­ze­du­ren einen prä­ci­sen Aus­druck gebe.

Al­les, was Wa­gner nicht kann, ist ver­werf­lich.

Wa­gner könn­te noch Vie­les: aber er will es nicht, – aus Ri­go­ro­si­tät im Prin­cip.

Al­les, was Wa­gner kann, wird ihm Nie­mand nach­ma­chen, hat ihm Kei­ner vor­ge­macht, soll ihm Kei­ner nach­ma­chen …

Wa­gner ist gött­lich …

Die­se drei Sät­ze sind die Quint­es­senz von Wa­gner’s Lit­te­ra­tur; der Rest ist – "Lit­te­ra­tur."

– Nicht jede Mu­sik hat bis­her Lit­te­ra­tur nö­thig ge­habt: man thut gut, hier nach dem zu­rei­chen­den Grund zu su­chen. Ist es, dass Wa­gner’s Mu­sik zu schwer ver­ständ­lich ist? Oder fürch­te­te er das Um­ge­kehr­te, dass man sie zu leicht ver­steht, – dass man sie nicht schwer ge­nug ver­steht? – That­säch­lich hat er sein gan­zes Le­ben Ei­nen Satz wie­der­holt: dass sei­ne Mu­sik nicht nur Mu­sik be­deu­te! Son­dern mehr! Son­dern un­end­lich viel mehr!… "Nicht nur Mu­sik" – so re­det kein Mu­si­ker. Noch­mals ge­sagt, Wa­gner konn­te nicht aus dem Gan­zen schaf­fen, er hat­te gar kei­ne Wahl, er muss­te Stück­werk ma­chen, "Mo­ti­ve", Ge­bär­den, For­meln, Ver­dopp­lun­gen und Ver­hun­dert­fa­chun­gen, er blieb Rhe­tor als Mu­si­ker – er muss­te grund­sätz­lich des­halb das "es be­deu­tet" in den Vor­der­grund brin­gen. "Die Mu­sik ist im­mer nur ein Mit­tel": das war sei­ne Theo­rie, das war vor Al­lem die ein­zi­ge ihm über­haupt mög­li­che Pra­xis. Aber so denkt kein Mu­si­ker. – Wa­gner hat­te Lit­te­ra­tur nö­thig, um alle Welt zu über­re­den, sei­ne Mu­sik ernst zu neh­men, tief zu neh­men, "weil sie Unend­li­ches be­deu­te"; er war zeit­le­bens der Com­men­ta­tor der "Idee". – Was be­deu­tet Elsa? Aber kein Zwei­fel: Elsa ist "der un­be­wuss­te Geist des Volks" (– mit die­ser Er­kennt­niss wur­de ich nothwen­dig zum voll­komm­nen Re­vo­lu­tio­när" –).

Erin­nern wir uns, dass Wa­gner in der Zeit, wo He­gel und Schel­ling die Geis­ter ver­führ­ten, jung war; dass er er­rieth, dass er mit Hän­den griff, was al­lein der Deut­sche ernst nimmt –"die Idee", will sa­gen Et­was, das dun­kel, un­ge­wiss, ah­nungs­voll ist; dass Klar­heit un­ter Deut­schen ein Ein­wand, Lo­gik eine Wi­der­le­gung ist. Scho­pen­hau­er hat, mit Här­te, die Epo­che He­gel’s und Schel­ling’s der Un­red­lich­keit ge­ziehn – mit Här­te, auch mit Un­recht: er selbst, der alte pes­si­mis­ti­sche Falsch­mün­zer, hat es in Nichts "red­li­cher" ge­trie­ben als sei­ne be­rühm­te­ren Zeit­ge­nos­sen. Las­sen wir die Moral aus dem Spie­le: He­gel ist ein Ge­schmack … Und nicht nur ein deut­scher, son­dern ein eu­ro­päi­scher Ge­schmack! – Ein Ge­schmack, den Wa­gner be­griff! – dem er sich ge­wach­sen fühl­te! den er ver­ewigt hat! – Er mach­te bloss die Nutz­an­wen­dung auf die Mu­sik – er er­fand sich einen Stil, der "Unend­li­ches be­deu­tet," – er wur­de der Erbe He­gel’s … Die Mu­sik als "Idee" – –

Und wie man Wa­gnern ver­stand! – Die­sel­be Art Mensch, die für He­gel ge­schwärmt, schwärmt heu­te für Wa­gner; in sei­ner Schu­le schreibt man so­gar He­ge­lisch! – Vor Al­len ver­stand ihn der deut­sche Jüng­ling. Die zwei Wor­te "un­end­lich" und "Be­deu­tung" ge­nüg­ten be­reits: ihm wur­de da­bei auf eine un­ver­gleich­li­che Wei­se wohl. Es ist nicht die Mu­sik, mit der Wa­gner sich die Jüng­lin­ge er­obert hat, es ist die "Idee": – es ist das Räth­sel­rei­che sei­ner Kunst, ihr Ver­steck­spie­len un­ter hun­dert Sym­bo­len, ihre Po­ly­chro­mie des Ideals, was die­se Jüng­lin­ge zu Wa­gner führt und lockt; "es ist Wa­gner’s Ge­nie der Wol­ken­bil­dung, sein Grei­fen, Schwei­fen und Strei­fen durch die Lüf­te, sein Über­all und Nir­gends­wo, ge­nau Das­sel­be, wo­mit sie sei­ner Zeit He­gel ver­führt und ver­lockt hat! – In­mit­ten von Wa­gner’s Viel­heit, Fül­le und Will­kür sind sie wie bei sich selbst ge­recht­fer­tigt – "er­löst" –. Sie hö­ren mit Zit­tern, wie in sei­ner Kunst die gros­sen Sym­bo­le aus ver­ne­bel­ter Fer­ne mit sanf­tem Don­ner laut wer­den; sie sind nicht un­ge­hal­ten, wenn es zeit­wei­lig grau, gräss­lich und kalt in ihr zu­geht. Sind sie doch sammt und son­ders, gleich Wa­gnern selbst, ver­wandt mit dem schlech­ten Wet­ter, dem deut­schen Wet­ter! Wo­tan ist ihr Gott: aber Wo­tan ist der Gott des schlech­ten Wet­ters … Sie ha­ben Recht, die­se deut­schen Jüng­lin­ge, so wie sie nun ein­mal sind: wie könn­ten sie ver­mis­sen, was wir An­de­ren, was wir Hal­kyo­ni­er bei Wa­gnern ver­mis­sen – la gaya sci­en­za; die leich­ten Füs­se; Witz, Feu­er, An­muth; die gros­se Lo­gik; den Tanz der Ster­ne; die über­müthi­ge Geis­tig­keit; die Licht­schau­der des Sü­dens; das glat­te Meer – Voll­kom­men­heit …

 

11.

Ich habe er­klärt, wo­hin Wa­gner ge­hört – nicht in die Ge­schich­te der Mu­sik. Was be­deu­tet er trotz­dem in de­ren Ge­schich­te? Die Her­auf­kunft des Schau­spie­lers in der Mu­sik: ein ca­pi­ta­les Er­eig­niss, das zu den­ken, das viel­leicht auch zu fürch­ten giebt. in For­mel: "Wa­gner und Liszt." – Noch nie wur­de die Recht­schaf­fen­heit der Mu­si­ker, ihre "Echt­heit" gleich ge­fähr­lich auf die Pro­be ge­stellt. Man greift es mit Hän­den: Der gros­se Er­folg, der Mas­sen-Er­folg ist nicht mehr auf Sei­te der Ech­ten, – man muss Schau­spie­ler sein, ihn zu ha­ben! – Vic­tor Hugo und Richard Wa­gner – sie be­deu­ten Ein und Das­sel­be: dass in Nie­der­gangs-Cul­tu­ren, dass über­all, wo den Mas­sen die Ent­schei­dung in die Hän­de fällt, die Echt­heit über­flüs­sig, nacht­hei­lig, zu­rück­set­zend wird. Nur der Schau­spie­ler weckt noch die gros­se Be­geis­te­rung. – Da­mit kommt für den Schau­spie­ler das gol­de­ne Zeit­al­ter her­auf – für ihn und für Al­les, was sei­ner Art ver­wandt ist. Wa­gner mar­schirt mit Trom­meln und Pfei­fen an der Spit­ze al­ler Künst­ler des Vor­trags, der Dar­stel­lung, des Vir­tuo­sent­hums; er hat zu­erst die Ka­pell­meis­ter, die Ma­schi­nis­ten und Thea­ter­sän­ger über­zeugt. Nicht zu ver­ges­sen die Or­che­s­ter­mu­si­ker: – er "er­lös­te" die­se von der Lan­gen­wei­le … Die Be­we­gung, die Wa­gner schuf, greift selbst in das Ge­biet der Er­kennt­niss über: gan­ze zu­ge­hö­ri­ge Wis­sen­schaf­ten tau­chen lang­sam aus jahr­hun­der­te­al­ter Scho­las­tik em­por. Ich hebe, um ein Bei­spiel zu ge­ben, mit Aus­zeich­nung die Ver­diens­te Rie­mann’s um die Rhyth­mik her­vor, des Ers­ten, der den Haupt­be­griff der In­ter­punk­ti­on auch für die Mu­sik gel­tend ge­macht hat (lei­der ver­mit­telst ei­nes häss­li­chen Wor­tes: er nennt’s "Phra­si­rung"). – Dies Al­les sind, ich sage es mit Dank­bar­keit, die Bes­ten un­ter den Ver­eh­rern Wa­gner’s, die Ach­tungs­wür­digs­ten – sie ha­ben ein­fach Recht, Wa­gnern zu ver­eh­ren. Der glei­che In­stinkt ver­bin­det sie mit ein­an­der, sie se­hen in ihm ih­ren höchs­ten Ty­pus, sie füh­len sich zur Macht, zur Gross­macht selbst um­ge­wan­delt, seit er sie mit sei­ner eig­nen Gluth ent­zün­det hat. Hier näm­lich, wenn ir­gend­wo, ist der Ein­fluss Wa­gner’s wirk­lich wohlt­hä­tig ge­we­sen. Noch nie ist in die­ser Sphä­re so viel ge­dacht, ge­wollt, ge­ar­bei­tet wor­den. Wa­gner hat al­len die­sen Künst­lern ein neu­es Ge­wis­sen ein­ge­ge­ben: was sie jetzt von sich for­dern, von sich er­lan­gen, das ha­ben sie nie vor Wa­gner von sich ge­for­dert – sie wa­ren frü­her zu be­schei­den dazu. Es herrscht ein and­rer Geist am Thea­ter, seit Wa­gner’s Geist da­selbst herrscht: man ver­langt das Schwers­te, man ta­delt hart, man lobt sel­ten, – das Gute, das Aus­ge­zeich­ne­te gilt als Re­gel. Ge­schmack thut nicht mehr Noth; nicht ein­mal Stim­me. Man singt Wa­gner nur mit rui­nir­ter Stim­me: das wirkt "dra­ma­tisch". Selbst Be­ga­bung ist aus­ge­schlos­sen. Das es­pres­si­vo um je­den Preis, wie es das Wa­gne­ri­sche Ide­al, das dé­ca­dence-Ide­al ver­langt, ver­trägt sich schlecht mit Be­ga­bung. Dazu ge­hört bloss Tu­gend – will sa­gen Dres­sur, Au­to­ma­tis­mus, "Selbst­ver­leug­nung." We­der Ge­schmack, noch Stim­me, noch Be­ga­bung: die Büh­ne Wa­gner’s hat nur Eins nö­thig – Ger­ma­nen! … De­fi­ni­ti­on des Ger­ma­nen: Ge­hor­sam und lan­ge Bei­ne … Es ist voll tiefer Be­deu­tung, dass die Her­auf­kunft Wa­gner’s zeit­lich mit der Her­auf­kunft des "Reichs" zu­sam­men­fällt: bei­de That­sa­chen be­wei­sen Ein und Das­sel­be – Ge­hor­sam und lan­ge Bei­ne. – Nie ist bes­ser ge­horcht, nie bes­ser be­foh­len wor­den. Die Wa­gne­ri­schen Ka­pell­meis­ter in Son­der­heit sind ei­nes Zeit­al­ters wür­dig, das die Nach­welt ein­mal mit scheu­er Ehr­furcht das klas­si­sche Zeit­al­ter des Kriegs nen­nen wird. Wa­gner ver­stand zu com­man­di­ren; er war auch da­mit der gros­se Leh­rer. Er com­man­dir­te als der un­er­bitt­li­che Wil­le zu sich, als die le­bens­läng­li­che Zucht an sich: Wa­gner, der viel­leicht das gröss­te Bei­spiel der Selbst­ver­ge­wal­ti­gung ab­giebt, das die Ge­schich­te der Küns­te hat (– selbst Al­fie­ri, sonst sein Nächst­ver­wand­ter, ist noch über­bo­ten. An­mer­kung ei­nes Tu­ri­ners).

12.

Mit die­ser Ein­sicht, dass uns­re Schau­spie­ler ver­eh­rungs­wür­di­ger als je sind, ist ihre Ge­fähr­lich­keit nicht als ge­rin­ger be­grif­fen … Aber wer zwei­felt noch dar­an, was ich will, – was die drei For­de­run­gen sind, zu de­nen mir dies­mal mein In­grimm, mei­ne Sor­ge, mei­ne Lie­be zur Kunst den Mund ge­öff­net hat?

Dass das Thea­ter nicht Herr über die Küns­te wird.

Dass der Schau­spie­ler nicht zum Ver­füh­rer der Ech­ten wird.

Dass die Mu­sik nicht zu ei­ner Kunst zu lü­gen wird.

FRIEDRICH NIETZSCHE.

Nachschrift.

– Der Enst der letz­ten Wor­te er­laubt mir, an die­ser Stel­le noch ei­ni­ge Sät­ze aus ei­ner un­ge­druck­ten Ab­hand­lung mit­zut­hei­len, wel­che zum Min­des­ten über mei­nen Ernst in die­ser Sa­che kei­nen Zwei­fel las­sen. Jene Ab­hand­lung ist be­ti­telt: Was Wa­gner uns kos­tet.

Die An­hän­ger­schaft an Wa­gner zahlt sich theu­er. Ein dunkles Ge­fühl hier­über ist auch heu­te noch vor­han­den. Auch der Er­folg Wa­gner’s, sein Sieg, riss dies Ge­fühl nicht in der Wur­zel aus. Aber ehe­mals war es stark, war es furcht­bar, war es wie ein düs­te­rer Hass – fast drei Viert­hei­le von Wa­gner’s Le­ben hin­durch. Je­ner Wi­der­stand, den er bei uns Deut­schen fand, kann nicht hoch ge­nug ge­schätzt und zu Ehren ge­bracht wer­den. Man wehr­te sich ge­gen ihn wie ge­gen eine Krank­heit, nicht mit Grün­den – man wi­der­legt kei­ne Krank­heit son­dern mit Hem­mung, Miss­trau­en, Ver­dros­sen­heit, Ekel, mit ei­nem fins­te­ren Erns­te, als ob in ihm eine gros­se Ge­fahr her­um­schli­che. Die Her­ren Aes­the­ti­ker ha­ben sich bloss­ge­stellt, als sie, aus drei Schu­len der deut­schen Phi­lo­so­phie her­aus, Wa­gner’s Prin­ci­pi­en mit "wenn" und "denn" einen ab­sur­den Krieg mach­ten – was lag ihm an Prin­ci­pi­en, selbst den ei­ge­nen! – Die Deut­schen selbst ha­ben ge­nug Ver­nunft im In­stinkt ge­habt, um hier sich je­des "wenn" und "denn" zu ver­bie­ten. Ein In­stinkt ist ge­schwächt, wenn er sich ra­tio­na­li­sirt: denn da­mit, dass er sich ra­tio­na­li­sirt, schwächt er sich. Wenn es An­zei­chen da­für giebt, dass, trotz dem Ge­sammt-Cha­rak­ter der eu­ro­päi­schen dé­ca­dence, noch ein Grad Ge­sund­heit, noch eine In­stinkt-Wit­te­rung für Schäd­li­ches und Ge­fahr­dro­hen­des im deut­schen We­sen wohnt, so möch­te ich un­ter ih­nen am we­nigs­ten die­sen dump­fen Wi­der­stand ge­gen Wa­gner un­ter­schätzt wis­sen. Er macht uns Ehre, er er­laubt selbst zu hof­fen: so viel Ge­sund­heit hät­te Frank­reich nicht mehr auf­zu­wen­den. Die Deut­schen, die Ver­zö­ge­rer par ex­cel­lence in der Ge­schich­te, sind heu­te das zu­rück­ge­blie­bens­te Cul­tur­volk Eu­ro­pa’s: dies hat sei­nen Vort­heil, – eben da­mit sind sie re­la­tiv das jüngs­te.

Die An­hän­ger­schaft an Wa­gner zahlt sich theu­er. Die Deut­schen ha­ben eine Art Furcht vor ihm vor ganz Kur­zem erst ver­lernt, – die Lust, ihn los­zu­sein, kam ih­nen bei je­der Ge­le­gen­heit.1 – Erin­nert man sich ei­nes cu­rio­sen Um­stan­des noch, bei dem, ganz zu­letzt, ganz un­er­war­tet, je­nes alte Ge­fühl wie­der zum Vor­schein kam? Es ge­sch­ah beim Be­gräb­nis­se Wa­gner’s, dass der ers­te deut­sche Wa­gner-Ve­rein, der Mün­che­ner, an sei­nem Gra­be einen Kranz nie­der­leg­te, des­sen In­schrift so­fort be­rühmt wur­de. "Er­lö­sung dem Er­lö­ser!" – lau­te­te sie. Je­der­mann be­wun­der­te die hohe In­spi­ra­ti­on, die die­se In­schrift dik­tirt hat­te, Je­der­mann einen Ge­schmack, auf den die An­hän­ger Wa­gner’s ein Vor­recht ha­ben; Vie­le aber auch (es war selt­sam ge­nug!) mach­ten an ihr die­sel­be klei­ne Cor­rec­tur: "Er­lö­sung vom Er­lö­ser!" – Man ath­me­te auf. –

Die An­hän­ger­schaft an Wa­gner zahlt sich theu­er. Mes­sen wir sie an ih­rer Wir­kung auf die Cul­tur. Wen hat ei­gent­lich sei­ne Be­we­gung in den Vor­der­grund ge­bracht? Was hat sie im­mer mehr in’s Gros­se ge­züch­tet? – Vor Al­lem die An­maas­sung des Lai­en, des Kunst-Idio­ten. Das or­ga­ni­sirt jetzt Verei­ne, das will sei­nen "Ge­schmack" durch­set­zen, das möch­te selbst in re­bus mu­si­cis et mu­si­can­ti­bus den Rich­ter ma­chen. Zuzweit: eine im­mer grös­se­re Gleich­gül­tig­keit ge­gen jede stren­ge, vor­neh­me, ge­wis­sen­haf­te Schu­lung im Diens­te der Kunst; an ihre Stel­le ge­rückt den Glau­ben an das Ge­nie, auf deutsch: den fre­chen Di­let­tan­tis­mus (– die For­mel da­für steht in den Meis­ter­sin­gern). Zu­dritt und zu­schlimmst: die Thea­tro­kra­tie –, den Aber­witz ei­nes Glau­bens an den Vor­rang des Thea­ters, an ein Recht auf Herr­schaft des Thea­ters über die Küns­te, über die Kunst … Aber man soll es den Wa­gne­ria­nern hun­dert Mal in’s Ge­sicht sa­gen, was das Thea­ter ist: im­mer nur ein Un­ter­halb der Kunst, im­mer nur et­was Zwei­tes, et­was Ver­grö­ber­tes, et­was für die Mas­sen Zu­recht­ge­bo­ge­nes, Zu­recht­ge­lo­ge­nes! Da­ran hat auch Wa­gner Nichts ver­än­dert: Bay­reuth ist gros­se Oper – und nicht ein­mal gute Oper … Das Thea­ter ist eine Form der De­mo­la­trie in Sa­chen des Ge­schmacks, das Thea­ter ist ein Mas­sen-Auf­stand, ein Ple­bis­cit ge­gen den gu­ten Ge­schmack … Dies eben be­weist der Fall Wa­gner: er ge­wann die Men­ge, – er verd­arb den Ge­schmack, er verd­arb selbst für die Oper uns­ren Ge­schmack! –

Die An­hän­ger­schaft an Wa­gner zahlt sich theu­er. Was macht sie aus dem Geist? be­freit Wa­gner den Geist? – Ihm eig­net jede Zwei­deu­tig­keit, je­der Dop­pel­sinn, Al­les über­haupt, was die Un­ge­wis­sen über­re­det, ohne ih­nen zum Be­wusst­sein zu brin­gen, wo­für sie über­re­det sind. Da­mit ist Wa­gner ein Ver­füh­rer gros­sen Stils. Es giebt nichts Mü­des, nichts Ab­ge­leb­tes, nichts Le­bens­ge­fähr­li­ches und Welt­ver­leum­de­ri­sches in Din­gen des Geis­tes, das von sei­ner Kunst nicht heim­lich in Schutz ge­nom­men wür­de – es ist der schwär­zes­te Obs­ku­ran­tis­mus, den er in die Licht­hül­len des Ideals ver­birgt. Er schmei­chelt je­dem ni­hi­lis­ti­schen (– bud­dhis­ti­schen) In­stink­te und ver­klei­det ihn in Mu­sik, er schmei­chelt je­der Christ­lich­keit, je­der re­li­gi­ösen Aus­drucks­form der dé­ca­dence. Man ma­che sei­ne Ohren auf: Al­les, was je auf dem Bo­den des ver­arm­ten Le­bens auf­ge­wach­sen ist, die gan­ze Falsch­mün­ze­rei der Transscen­denz und des Jen­seits, hat in Wa­gner’s Kunst ih­ren sub­lims­ten Für­spre­cher – nicht in For­meln: Wa­gner ist zu klug für For­meln – son­dern in ei­ner Über­re­dung der Sinn­lich­keit, die ih­rer­seits wie­der den Geist mür­be und müde macht. Die Mu­sik als Cir­ce … Sein letz­tes Werk ist hier­in sein gröss­tes Meis­ter­stück. Der Par­si­fal wird in der Kunst der Ver­füh­rung ewig sei­nen Rang be­hal­ten, als der Ge­nie­streich der Ver­füh­rung … Ich be­wun­de­re dies Werk, ich möch­te es selbst ge­macht ha­ben; in Er­man­ge­lung da­von ver­ste­he ich es … Wa­gner war nie bes­ser in­spir­irt als am Ende. Das Raf­fi­ne­ment im Bünd­niss von Schön­heit und Krank­heit geht hier so weit, dass es über Wa­gner’s frü­he­re Kunst gleich­sam Schat­ten legt: – sie er­scheint zu hell, zu ge­sund. Ver­steht ihr das? Die Ge­sund­heit, die Hel­lig­keit als Schat­ten wir­kend? als Ein­wand bei­na­he? … So weit sind wir schon rei­ne Tho­ren … Nie­mals gab es einen grös­se­ren Meis­ter in dump­fen hie­ra­ti­schen Wohl­ge­rü­chen, – nie leb­te ein glei­cher Ken­ner al­les klei­nen Unend­li­chen, al­les Zit­tern­den und Über­schwäng­li­chen, al­ler Fe­mi­ni­nis­men aus dem Idio­ti­kon des Glücks! – Trinkt nur, mei­ne Freun­de, die Phil­tren die­ser Kunst! Ihr fin­det nir­gends eine an­ge­neh­me­re Art, eu­ren Geist zu ent­ner­ven, eure Männ­lich­keit un­ter ei­nem Ro­sen­ge­bü­sche zu ver­ges­sen … Ah die­ser alte Zau­be­rer! Die­ser Kling­sor al­ler Kling­so­re! Wie er uns da­mit den Krieg macht! uns, den frei­en Geis­tern! Wie er je­der Feig­heit der mo­der­nen See­le mit Zau­ber­mäd­chen-Tö­nen zu Wil­len re­det! – Es gab nie einen sol­chen Tod­hass auf die Er­kennt­niss! – Man muss Cy­ni­ker sein, um hier nicht ver­führt zu wer­den, man muss beis­sen kön­nen, um hier nicht an­zu­be­ten. Wohl­an, al­ter Ver­füh­rer! Der Cy­ni­ker warnt dich – cave ca­nem …

 

Die An­hän­ger­schaft an Wa­gner zahlt sich theu­er. Ich be­ob­ach­te die Jüng­lin­ge, die lan­ge sei­ner In­fek­ti­on aus­ge­setzt wa­ren. Die nächs­te, re­la­tiv un­schul­di­ge Wir­kung ist die <Ver­derb­niss> des Ge­schmacks. Wa­gner wirkt wie ein fort­ge­setz­ter Ge­brauch von Al­ko­hol. Er stumpft ab, er ver­schleimt den Ma­gen. Spe­zi­fi­sche Wir­kung: Ent­ar­tung des rhyth­mi­schen Ge­fühls. Der Wa­gne­ria­ner nennt zu­letzt rhyth­misch, was ich selbst, mit ei­nem grie­chi­schen Sprüchwort, "den Sumpf be­we­gen" nen­ne. Schon viel ge­fähr­li­cher ist die Ver­derb­niss der Be­grif­fe. Der Jüng­ling wird zum Mond­kalb, – zum "Idea­lis­ten". Er ist über die Wis­sen­schaft hin­aus; dar­in steht er auf der Höhe des Meis­ters. Da­ge­gen macht er den Phi­lo­so­phen; er schreibt Bay­reuther Blät­ter; er löst alle Pro­ble­me im Na­men des Va­ters, des Soh­nes und des hei­li­gen Meis­ters. Am un­heim­lichs­ten frei­lich bleibt die Ver­derb­niss der Ner­ven. Man gehe Nachts durch eine grös­se­re Stadt: über­all hört man, dass mit fei­er­li­cher Wuth In­stru­men­te ge­no­th­zü­ditigt wer­den – ein wil­des Ge­heul mischt sich da­zwi­schen. Was geht da vor? – Die Jüng­lin­ge be­ten Wa­gner an … Bay­reuth reimt sich auf Kalt­was­ser­heil­an­stalt. – Ty­pi­sches Te­le­gramm aus Bay­reuth: be­reits be­reut. – Wa­gner ist schlimm für die Jüng­lin­ge; er ist ver­häng­niss­voll für das Weib. Was ist, ärzt­lich ge­fragt, eine Wa­gne­ria­ne­rin? – Es scheint mir, dass ein Arzt jun­gen Frau­en nicht ernst ge­nug die­se Ge­wis­sens-Al­ter­na­ti­ve stel­len könn­te: Eins oder das An­de­re. – Aber sie ha­ben be­reits ge­wählt. Man kann nicht zween Her­ren die­nen, wenn der Eine Wa­gner heisst. Wa­gner hat das Weib er­löst; das Weib hat ihm da­für Bay­reuth ge­baut. Ganz Op­fer, ganz Hin­ge­bung: man hat Nichts, was man ihm nicht ge­ben wür­de. Das Weib ver­armt sich zu Guns­ten des Meis­ters, es wird rüh­rend, es steht nackt vor ihm. – Die Wa­gne­ria­ne­rin – die an­muthigs­te Zwei­deu­tig­keit, die es heu­te giebt: sie ver­kör­pert die Sa­che Wa­gner’s, – in ih­rem Zei­chen siegt sei­ne Sa­che … Ah, die­ser alte Räu­ber! Er raubt uns die Jüng­lin­ge, er raubt selbst noch uns­re Frau­en und schleppt sie in sei­ne Höh­le … Ah, die­ser alte Mi­no­tau­rus! Was er uns schon ge­kos­tet hat! All­jähr­lich führt man ihm Züge der schöns­ten Mäd­chen und Jüng­lin­ge in sein La­by­rinth, da­mit er sie ver­schlin­ge, – all­jähr­lich in­to­nirt ganz Eu­ro­pa "auf nach Kre­ta! auf nach Kre­ta!" …

1 An­mer­kung. – War Wa­gner über­haupt ein Deut­scher? Man hat ei­ni­ge Grün­de, so zu fra­gen. Es ist schwer, in ihm ir­gend einen deut­schen Zug aus­fin­dig zu ma­chen. Er hat, als der gros­se Ler­ner, der er war, viel Deut­sches nach­ma­chen ge­lernt – das ist Al­les. Sein We­sen selbst wi­der­spricht dem, was bis­her als deutsch emp­fun­den wur­de: nicht zu re­den vom deut­schen Mu­si­ker! – Sein Va­ter war ein Schau­spie­ler Na­mens Gey­er. Ein Gey­er ist bei­na­he schon ein Ad­ler … Das, was bis­her als "Le­ben Wa­gner’s" in Um­lauf ge­bracht ist, ist fa­ble con­ve­nue, wenn nicht Schlim­me­res. Ich be­ken­ne mein Miss­trau­en ge­gen je­den Punkt, der bloss durch Wa­gner selbst be­zeugt ist. Er hat­te nicht Stolz ge­nug zu ir­gend ei­ner Wahr­heit über sich, Nie­mand war we­ni­ger stolz; er blieb, ganz wie Vic­tor Hugo, auch im Bio­gra­phi­schen sich treu, – er blieb Schau­spie­ler. <<<