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38.
– Ich unterdrücke an dieser Stelle einen Seufzer nicht. Es giebt Tage, wo mich ein Gefühl heimsucht, schwärzer als die schwärzeste Melancholie – die Menschen-Verachtung. Und damit ich keinen Zweifel darüber lasse, was ich verachte, wen ich verachte: der Mensch von Heute ist es, der Mensch, mit dem ich verhängnißvoll gleichzeitig bin. Der Mensch von Heute – ich ersticke an seinem unreinen Athem… Gegen das Vergangne bin ich, gleich allen Erkennenden, von einer großen Toleranz, das heißt großmüthigen Selbstbezwingung: ich gehe durch die Irrenhaus-Welt ganzer Jahrtausende, heiße sie nun »Christenthum«, »christlicher Glaube«, »christliche Kirche«, mit einer düsteren Vorsicht hindurch, – ich hüte mich, die Menschheit für ihre Geisteskrankheiten verantwortlich zu machen. Aber mein Gefühl schlägt um, bricht heraus, sobald ich in die neuere Zeit, in unsre Zeit eintrete. Unsre Zeit ist wissend… Was ehemals bloß krank war, heute ward es unanständig, – es ist unanständig, heute Christ zu sein. Und hier beginnt mein Ekel. – Ich sehe mich um: es ist kein Wort von Dem mehr übrig geblieben, was ehemals »Wahrheit« hieß, wir halten es nicht mehr aus, wenn ein Priester das Wort »Wahrheit« auch nur in den Mund nimmt. Selbst bei dem bescheidensten Anspruch auf Rechtschaffenheit muß man heute wissen, daß ein Theologe, ein Priester, ein Papst mit jedem Satz, den er spricht, nicht nur irrt, sondern lügt, – daß es ihm nicht mehr freisteht, aus »Unschuld«, aus »Unwissenheit« zu lügen. Auch der Priester weiß, so gut es Jedermann weiß, daß es keinen »Gott« mehr giebt, keinen »Sünder«, keinen »Erlöser«, – daß »freier Wille«, »sittliche Weltordnung« Lügen sind: – der Ernst, die tiefe Selbstüberwindung des Geistes erlaubt Niemandem mehr, hierüber nicht zu wissen… Alle Begriffe der Kirche sind erkannt als Das, was sie sind, als die bösartigste Falschmünzerei, die es giebt, zum Zweck, die Natur, die Natur-Werthe zu entwerthen; der Priester selbst ist erkannt als Das, was er ist, als die gefährlichste Art Parasit, als die eigentliche Giftspinne des Lebens… Wir wissen, unser Gewissen weiß es heute –, was überhaupt jene unheimlichen Erfindungen der Priester und der Kirche werth sind, wozu sie dienten, mit denen jener Zustand von Selbstschändung der Menschheit erreicht worden ist, der Ekel vor ihrem Anblick machen kann – die Begriffe »Jenseits«, »jüngstes Gericht«, »Unsterblichkeit der Seele«, die »Seele« selbst: es sind Folter-Instrumente, es sind Systeme von Grausamkeiten, vermöge deren der Priester Herr wurde, Herr blieb… Jedermann weiß das: und trotzdem bleibt Alles beim Alten. Wohin kam das letzte Gefühl von Anstand, von Achtung vor sich selbst, wenn unsre Staatsmänner sogar, eine sonst sehr unbefangne Art Mensch und Antichristen der That durch und durch, sich heute noch Christen nennen und zum Abendmahl gehn?… Ein junger Fürst an der Spitze seiner Regimenter, prachtvoll als Ausdruck der Selbstsucht und Selbstüberhebung seines Volks, – aber, ohne jede Scham, sich als Christen bekennend!… Wen verneint denn das Christentum? was heißt es »Welt«? Daß man Soldat, daß man Richter, daß man Patriot ist; daß man sich wehrt; daß man auf seine Ehre hält; daß man seinen Vortheil will; daß man stolz ist… Jede Praktik jedes Augenblicks, jeder Instinkt, jede zur That werdende Wertschätzung ist heute antichristlich: was für eine Mißgeburt von Falschheit muß der moderne Mensch sein, daß er sich trotzdem nicht schämt, Christ noch zu heißen! – – –
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39.
– Ich kehre zurück, ich erzähle die echte Geschichte des Christenthums. – Das Wort schon »Christenthum« ist ein Mißverständniß –, im Grunde gab es nur Einen Christen, und der starb am Kreuz. Das »Evangelium« starb am Kreuz. Was von diesem Augenblick an »Evangelium« heißt, war bereits der Gegensatz Dessen, was er gelebt: eine » schlimme Botschaft«, ein Dysangelium. Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem »Glauben«, etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie Der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich… Heute noch ist ein solches Leben möglich, für gewisse Menschen sogar nothwendig: das echte, das ursprüngliche Christenthum wird zu allen Zeiten möglich sein… Nicht ein Glauben, sondern ein Thun, ein Vieles- nicht-thun vor Allem, ein andres Sein… Bewußtseins-Zustände, irgend ein Glauben, ein Für-wahr-halten zum Beispiel – jeder Psycholog weiß das – sind ja vollkommen gleichgültig und fünften Ranges gegen den Werth der Instinkte: strenger geredet, der ganze Begriff geistiger Ursächlichkeit ist falsch. Das Christ-sein, die Christlichkeit auf ein Für-wahr-halten, auf eine bloße Bewußtseins-Phänomenalität reduciren heißt die Christlichkeit negiren. In der That gab es gar keine Christen. Der »Christ«, Das, was seit zwei Jahrtausenden Christ heißt, ist bloß ein psychologisches Selbst-Mißverständniß. Genauer zugesehn, herrschten in ihm, trotz allem »Glauben«, bloß die Instinkte – und was für Instinkte! – Der »Glaube« war zu allen Zeiten, beispielsweise bei Luther, nur ein Mantel, ein Vorwand, ein Vorhang, hinter dem die Instinkte ihr Spiel spielten –, eine kluge Blindheit über die Herrschaft gewisser Instinkte… Der »Glaube« – ich nannte ihn schon die eigentliche christliche Klugheit, – man sprach immer vom »Glauben«, man that immer nur vom Instinkte… In der Vorstellungswelt des Christen kommt Nichts vor, was die Wirklichkeit auch nur anrührte: dagegen erkannten wir im Instinkt-Haß gegen jede Wirklichkeit das treibende, das einzig treibende Element in der Wurzel des Christenthums. Was folgt daraus? Daß auch in psychologicis hier der Irrthum radikal, das heißt wesen-bestimmend, das heißt Substanz ist. Ein Begriff hier weg, eine einzige Realität an dessen Stelle – und das ganze Christentum rollt in’s Nichts! – Aus der Höhe gesehn, bleibt diese fremdartigste aller Thatsachen, eine durch Irrthümer nicht nur bedingte, sondern nur in schädlichen, nur in leben- und herzvergiftenden Irrthümern erfinderische und selbst geniale Religion ein Schauspiel für Götter, – für jene Gottheiten, welche zugleich Philosophen sind, und denen ich zum Beispiel bei jenen berühmten Zwiegesprächen auf Naxos begegnet bin. Im Augenblick, wo der Ekel von ihnen weicht (– und von uns!), werden sie dankbar für das Schauspiel des Christen: das erbärmliche kleine Gestirn, das Erde heißt, verdient vielleicht allein um dieses curiosen Falls willen einen göttlichen Blick, eine göttliche Antheilnahme … Unterschätzen wir nämlich den Christen nicht: der Christ, falsch bis zur Unschuld, ist weit über dem Affen, – in Hinsicht auf Christen wird eine bekannte Herkunfts-Theorie zur bloßen Artigkeit …
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40.
– Das Verhängnis; des Evangeliums entschied sich mit dem Tode, – es hieng am »Kreuz« … Erst der Tod, dieser unerwartete schmähliche Tod, erst das Kreuz,, das im Allgemeinen bloß für die Canaille aufgespart blieb, – erst diese schauerlichste Paradoxie brachte die Jünger vor das eigentliche Räthsel: »wer war das? was war das?«– Das erschütterte und im Tiefsten beleidigte Gefühl, der Argwohn, es möchte ein solcher Tod die Widerlegung ihrer Sache sein, das schreckliche Fragezeichen »warum gerade so?« – dieser Zustand begreift sich nur zu gut. Hier mußte Alles nothwendig sein, Sinn, Vernunft, höchste Vernunft haben, die Liebe eines Jüngers kennt keinen Zufall. Erst jetzt trat die Kluft auseinander: »wer hat ihn getödtet? wer war sein natürlicher Feind?«– diese Frage sprang wie ein Blitz hervor. Antwort: das herrschende Judentum, sein oberster Stand. Man empfand sich von diesem Augenblick im Aufruhr gegen die Ordnung, man verstand hinterdrein Jesus als im Aufruhr gegen die Ordnung. Bis dahin fehlte dieser kriegerische, dieser Nein-sagende, Nein-thuende Zug in seinem Bilde; mehr noch, er war dessen Widerspruch. Offenbar hat die kleine Gemeinde gerade die Hauptsache nicht verstanden, das Vorbildliche in dieser Art zu sterben, die Freiheit, die Überlegenheit über jedes Gefühl von ressentiment: – ein Zeichen dafür, wie wenig überhaupt sie von ihm verstand! An sich konnte Jesus mit seinem Tode nichts wollen, als öffentlich die stärkste Probe, den Beweis seiner Lehre zu geben … Aber seine Jünger waren ferne davon, diesen Tod zu verzeihen, – was evangelisch im höchsten Sinne gewesen wäre; oder gar sich zu einem gleichen Tode in sanfter und lieblicher Ruhe des Herzens anzubieten… Gerade das am meisten unevangelische Gefühl, die Rache, kam wieder obenauf. Unmöglich konnte die Sache mit diesem Tode zu Ende sein: man brauchte »Vergeltung«, »Gericht« (– und doch, was kann noch unevangelischer sein, als »Vergeltung«, »Strafe«, »Gericht-Halten«!). Noch einmal kam die populäre Erwartung eines Messias in den Vordergrund; ein historischer Augenblick wurde in’s Auge gefaßt: das »Reich Gottes« kommt zum Gericht über seine Feinde… Aber damit ist Alles mißverstanden: das »Reich Gottes« als Schlußakt, als Verheißung! Das Evangelium war doch gerade das Dasein, das Erfülltsein, die Wirklichkeit dieses »Reichs« gewesen. Gerade ein solcher Tod war eben dieses »Reich Gottes«. Jetzt erst trug man die ganze Verachtung und Bitterkeit gegen Pharisäer und Theologen in den Typus des Meisters ein, – man machte damit aus ihm einen Pharisäer und Theologen! Andrerseits hielt die wildgewordne Verehrung dieser ganz aus den Fugen gerathenen Seelen jene evangelische Gleichberechtigung von Jedermann zum Kind Gottes, die Jesus gelehrt hatte, nicht mehr aus; ihre Rache war, auf eine ausschweifende Weise Jesus emporzuheben, von sich abzulösen: ganz so, wie ehedem die Juden aus Rache an ihren Feinden ihren Gott von sich losgetrennt und in die Höhe gehoben haben. Der Eine Gott und der Eine Sohn Gottes: Beides Erzeugnisse des ressentiment …
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41.
– Und von nun an tauchte ein absurdes Problem auf: »wie konnte Gott das zulassen!« Darauf fand die gestörte Vernunft der kleinen Gemeinschaft eine geradezu schrecklich absurde Antwort: Gott gab seinen Sohn zur Vergebung der Sünden, als Opfer. Wie war es mit Einem Male zu Ende mit dem Evangelium! Das Schuldopfer, und zwar in seiner widerlichsten, barbarischsten Form, das Opfer des Unschuldigen für die Sünden der Schuldigen! Welches schauderhafte Heidenthum! – Jesus hatte ja den Begriff »Schuld« selbst abgeschafft, – er hat jede Kluft zwischen Gott und Mensch geleugnet, er lebte diese Einheit von Gott und Mensch als seine »frohe Botschaft« … Und nicht als Vorrecht! – Von nun an tritt schrittweise in den Typus des Erlösers hinein: die Lehre vom Gericht und von der Wiederkunft, die Lehre vom Tod als einem Opfertode, die Lehre von der Auferstehung, mit der der ganze Begriff »Seligkeit«, die ganze und einzige Realität des Evangeliums, eskamotirt ist – zu Gunsten eines Zustandes nach dem Tode! … Paulus hat diese Auffassung, diese Unzucht von Auffassung mit jener rabbinerhaften Frechheit, die ihn in allen Stücken auszeichnet, dahin logisirt: » wenn Christus nicht auferstanden ist von den Todten, so ist unser Glaube eitel«. – Und mit Einem Male wurde aus dem Evangelium die verächtlichste aller unerfüllbaren Versprechungen, die unverschämte Lehre von der Personal-Unsterblichkeit … Paulus selbst lehrte sie noch als Lohn! …
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42.
Man sieht, was mit dem Tode am Kreuz zu Ende war: ein neuer, ein durchaus ursprünglicher Ansatz zu einer buddhistischen Friedensbewegung, zu einem thatsächlichen, nicht bloß verheißenen Glück auf Erden. Denn dies bleibt – ich hob es schon hervor – der Grundunterschied zwischen den beiden décadence-Religionen: der Buddhismus verspricht nicht, sondern hält, das Christentum verspricht Alles, aber hält Nichts. – Der »frohen Botschaft« folgte auf dem Fuß die allerschlimmste: die des Paulus. In Paulus verkörpert sich der Gegensatz-Typus zum »frohen Botschafter«, das Genie im Haß, in der Vision des Hasses, in der unerbittlichen Logik des Hasses. Was hat dieser Dysangelist Alles dem Hasse zum Opfer gebracht! Vor Allem den Erlöser: er schlug ihn an sein Kreuz. Das Leben, das Beispiel, die Lehre, der Tod, der Sinn und das Recht des ganzen Evangeliums – Nichts war mehr vorhanden, als dieser Falschmünzer aus Haß begriff, was allein er brauchen konnte. Nicht die Realität, nicht die historische Wahrheit! … Und noch einmal verübte der Priester-Instinkt des Juden das gleiche große Verbrechen an der Historie, – er strich das Gestern, das Vorgestern des Christentums einfach durch, er erfand sich eine Geschichte des ersten Christentums. Mehr noch: er fälschte die Geschichte Israels nochmals um, um als Vorgeschichte für seine That zu erscheinen: alle Propheten haben von seinem »Erlöser« geredet … Die Kirche fälschte später sogar die Geschichte der Menschheit zur Vorgeschichte des Christenthums… Der Typus des Erlösers, die Lehre, die Praktik, der Tod, der Sinn des Todes, selbst das Nachher des Todes – Nichts blieb unangetastet, Nichts blieb auch nur ähnlich der Wirklichkeit. Paulus verlegte einfach das Schwergewicht jenes ganzen Daseins hinter dies Dasein, – in die Lüge vom »wiederauferstandenen« Jesus. Er konnte im Grunde das Leben des Erlösers überhaupt nicht brauchen, – er hatte den Tod am Kreuz nöthig und etwas mehr noch… Einen Paulus, der seine Heimath an dem Hauptsitz der stoischen Aufklärung hatte, für ehrlich halten, wenn er sich aus einer Hallucination den Beweis vom Noch-Leben des Erlösers zurecht macht, oder auch nur seiner Erzählung, daß er diese Hallucination gehabt hat, Glauben schenken, wäre eine wahre niaiserie seitens eines Psychologen: Paulus wollte den Zweck, folglich wollte er auch die Mittel… Was er selbst nicht glaubte, die Idioten, unter die er seine Lehre warf, glaubten es. – Sein Bedürfniß war die Macht; mit Paulus wollte nochmals der Priester zur Macht, – er konnte nur Begriffe, Lehren, Symbole brauchen, mit denen man Massen tyrannisirt, Heerden bildet. Was allein entlehnte später Muhammed dem Christentum? Die Erfindung des Paulus, sein Mittel zur Priester-Tyrannei, zur Heerden-Bildung: den Unsterblichkeits-Glauben – das heißt die Lehre vom »Gericht«…
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43.
Wenn man das Schwergewicht des Lebens nicht in’s Leben, sondern in’s »Jenseits« verlegt – in’s Nichts –, so hat man dem Leben überhaupt das Schwergewicht genommen. Die große Lüge von der Personal-Unsterblichkeit zerstört jede Vernunft, jede Natur im Instinkte, – Alles, was wohlthätig, was lebenfördernd, was zukunftverbürgend in den Instinkten ist, erregt nunmehr Mißtrauen. So zu leben, daß es keinen Sinn mehr hat, zu leben, das wird jetzt zum »Sinn« des Lebens… Wozu Gemeinsinn, wozu Dankbarkeit noch für Herkunft und Vorfahren, wozu mitarbeiten, zutrauen, irgend ein Gesammtwohl fördern und im Auge haben?… Ebensoviele »Versuchungen«, ebensoviele Ablenkungen vom »rechten Weg« – »Eins ist noth«… Daß Jeder als »unsterbliche Seele« mit Jedem gleichen Rang hat, daß in der Gesammtheit aller Wesen das »Heil« jedes Einzelnen eine ewige Wichtigkeit in Anspruch nehmen darf, daß kleine Mucker und Dreiviertels-Verrückte sich einbilden dürfen, daß um ihretwillen die Gesetze der Natur beständig durchbrochen werden, – eine solche Steigerung jeder Art Selbstsucht in’s Unendliche, in’s Unverschämte kann man nicht mit genug Verachtung brandmarken. Und doch verdankt das Christentum dieser erbarmungswürdigen Schmeichelei vor der Personal-Eitelkeit seinen Sieg, – gerade alles Mißrathene, Aufständisch-Gesinnte, Schlecht-weg-gekommne, den ganzen Auswurf und Abhub der Menschheit hat es damit zu sich überredet. Das »Heil der Seele« – auf deutsch: »die Welt dreht sich um mich«… Das Gift der Lehre »gleiche Rechte für Alle« – das Christentum hat es am grundsätzlichsten ausgesät; das Christenthum hat jedem Ehrfurchts- und Distanz-Gefühl zwischen Mensch und Mensch, das heißt der Voraussetzung zu jeder Erhöhung, zu jedem Wachsthum der Cultur einen Todkrieg aus den heimlichsten Winkeln schlechter Instinkte gemacht, – es hat aus dem ressentiment der Massen sich seine Hauptwaffe geschmiedet gegen uns, gegen alles Vornehme, Frohe, Hochherzige auf Erden, gegen unser Glück auf Erden … Die »Unsterblichkeit« jedem Petrus und Paulus zugestanden, war bisher das größte, das bösartigste Attentat auf die vornehme Menschlichkeit, – Und unterschätzen wir das Verhängniß nicht, das vom Christenthum aus sich bis in die Politik eingeschlichen hat! Niemand hat heute mehr den Muth zu Sonderrechten, zu Herrschaftsrechten, zu einem Ehrfurchtsgefühl vor sich und seines Gleichen, – zu einem Pathos der Distanz … Unsre Politik ist krank an diesem Mangel an Muth! – Der Aristokratismus der Gesinnung wurde durch die Seelen-Gleichheits-Lüge am unterirdischsten untergraben; und wenn der Glaube an das »Vorrecht der Meisten« Revolutionen macht und machen wird, – das Christenthum ist es, man zweifle nicht daran, christliche Werthurtheile sind es, welche jede Revolution bloß in Blut und Verbrechen übersetzt! Das Christenthum ist ein Aufstand alles Am-Boden-Kriechenden gegen Das, was Höhe hat: das Evangelium der »Niedrigen« macht niedrig…
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44.
– Die Evangelien sind unschätzbar als Zeugniß für die bereits unaufhaltsame Corruption innerhalb der ersten Gemeinde. Was Paulus später mit dem Logiker-Cynismus eines Rabbiners zu Ende führte, war trotzdem bloß der Verfalls-Proceß, der mit dem Tode des Erlösers begann. – Diese Evangelien kann man nicht behutsam genug lesen; sie haben ihre Schwierigkeiten hinter jedem Wort. Ich bekenne, man wird es mir zu Gute halten, daß sie ebendamit für einen Psychologen ein Vergnügen ersten Ranges sind, – als Gegensatz aller naiven Verderbniß, als das Raffinement par excellence, als Künstlerschaft in der psychologischen Verderbniß. Die Evangelien stehn für sich. Die Bibel überhaupt verträgt keinen Vergleich. Man ist unter Juden: erster Gesichtspunkt, um hier nicht völlig den Faden zu verlieren. Die hier geradezu Genie werdende Selbstverstellung in’s »Heilige«, unter Büchern und Menschen nie annähernd sonst erreicht, diese Wort- und Gebärden-Falschmünzerei als Kunst ist nicht der Zufall irgend welcher Einzel-Begabung, irgend welcher Ausnahme-Natur. Hierzu gehört Rasse. Im Christenthum, als der Kunst, heilig zu lügen, kommt das ganze Judenthum, eine mehrhundertjährige jüdische allerernsthafteste Vorübung und Technik zur letzten Meisterschaft. Der Christ, diese ultima ratio der Lüge, ist der Jude noch einmal – drei Mal selbst… Der grundsätzliche Wille, nur Begriffe, Symbole, Attitüden anzuwenden, welche aus der Praxis des Priesters bewiesen sind, die Instinkt-Ablehnung jeder andren Praxis, jeder andren Art Werth- und Nützlichkeits-Perspektive – das ist nicht nur Tradition, das ist Erbschaft: nur als Erbschaft wirkt es wie Natur. Die ganze Menschheit, die besten Köpfe der besten Zeiten sogar (Einen ausgenommen, der vielleicht bloß ein Unmensch ist –) haben sich täuschen lassen. Man hat das Evangelium als Buch der Unschuld gelesen… kein kleiner Fingerzeig dafür, mit welcher Meisterschaft hier geschauspielert worden ist. – Freilich: bekämen wir sie zu sehen, auch nur im Vorübergehn, alle diese wunderlichen Mucker und Kunst-Heiligen, so wäre es am Ende, – und genau deshalb, weil ich keine Worte lese, ohne Gebärden zu sehn, mache ich mit ihnen ein Ende… Ich halte eine gewisse Art, die Augen aufzuschlagen, an ihnen nicht aus. – Zum Glück sind Bücher für die Allermeisten bloß Litteratur – – Man muß sich nicht irreführen lassen: »richtet nicht!« sagen sie, aber sie schicken Alles in die Hölle, was ihnen im Wege steht. Indem sie Gott richten lassen, richten sie selber; indem sie Gott verherrlichen, verherrlichen sie sich selber; indem sie die Tugenden fordern, deren sie gerade fähig sind – mehr noch, die sie nöthig haben, um überhaupt oben zu bleiben –, geben sie sich den großen Anschein eines Ringens um die Tugend, eines Kampfes um die Herrschaft der Tugend. »Wir leben, wir sterben, wir opfern uns für das Gute« (– »die Wahrheit«, »das Licht«, das »Reich Gottes«): in Wahrheit thun sie, was sie nicht lassen können. Indem sie nach Art von Duckmäusern sich durchdrücken, im Winkel sitzen, im Schatten schattenhaft dahinleben, machen sie sich eine Pflicht daraus: als Pflicht erscheint ihr Leben der Demuth, als Demuth ist es ein Beweis mehr für Frömmigkeit … Ah diese demüthige, keusche, barmherzige Art von Verlogenheit! »Für uns soll die Tugend selbst Zeugniß ablegen« … Man lese die Evangelien als Bücher der Verführung mit Moral: die Moral wird von diesen kleinen Leuten mit Beschlag belegt, – sie wissen, was es auf sich hat mit der Moral! Die Menschheit wird am besten genasführt mit der Moral! – Die Realität ist, daß hier der bewußteste Auserwählten-Dünkel die Bescheidenheit spielt: man hat sich, die »Gemeinde«, die »Guten und Gerechten« ein für alle Mal auf die Eine Seite gestellt, auf die »der Wahrheit« – und den Rest, »die Welt«, auf die andre… Das war die verhängnißvollste Art Größenwahn, die bisher auf Erden dagewesen ist: kleine Mißgeburten von Muckern und Lügnern fiengen an, die Begriffe »Gott«, »Wahrheit«, »Licht«, »Geist«, »Liebe«, »Weisheit«, »Leben« für sich in Anspruch zu nehmen, gleichsam als Synonyma von sich, um damit die »Welt« gegen sich abzugrenzen, kleine Superlativ-Juden, reif für jede Art Irrenhaus, drehten die Weiche überhaupt nach sich um, wie als ob erst »der Christ« der Sinn, das Salz, das Maaß, auch das letzte Gericht vom ganzen Rest wäre … Das ganze Verhängniß wurde dadurch allein ermöglicht, daß schon eine verwandte, rassenverwandte Art von Größenwahn in der Welt war, der jüdische: sobald einmal die Kluft zwischen Juden und Judenchristen sich aufriß, blieb letzteren gar keine Wahl, als dieselben Proceduren der Selbsterhaltung, die der jüdische Instinkt anrieth, gegen die Juden selber anzuwenden, während die Juden sie bisher bloß gegen alles Nicht-Jüdische angewendet hatten. Der Christ ist nur ein Jude » freieren« Bekenntnisses. –
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45.
– Ich gebe ein paar Proben von Dem, was sich diese kleinen Leute in den Kopf gesetzt, was sie ihrem Meister in den Mund gelegt haben: lauter Bekenntnisse »schöner Seelen«. –
»Und welche euch nicht aufnehmen noch hören, da gehet von dannen hinaus und schüttelt den Staub ab von euren Füßen, zu einem Zeugniß über sie. Ich sage euch: Wahrlich, es wird Sodom und Gomorrha am jüngsten Gericht erträglicher ergehn, denn solcher Stadt« (Marcus 6, 11). – Wie evangelisch! …
»Und wer der Kleinen Einen ärgert, die an mich glauben, dem wäre es besser, daß ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehängt würde und er in das Meer geworfen würde« (Marcus 9, 42).– Wie evangelisch!…
»Ärgert dich dein Auge, so wirf es von dir. Es ist dir besser, daß du einäugig in das Reich Gottes gehest, denn daß du zwei Augen habest und werdest in das höllische Feuer geworfen; da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht erlischt« (Marcus 9, 47). – Es ist nicht gerade das Auge gemeint…
»Wahrlich, ich sage euch, es stehen Etliche hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis daß sie sehen das Reich Gottes mit Kraft kommen« (Marcus 9,1). – Gut gelogen, Löwe…
»Wer mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn …« (Anmerkung eines Psychologen. Die christliche Moral wird durch ihre Denn’s widerlegt: ihre »Gründe« widerlegen, – so ist es christlich.) Marcus 8, 34. –
»Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Mit welcherlei Maaß ihr messet, wird euch gemessen werden« (Matthäus 7,1). – Welcher Begriff von Gerechtigkeit, von einem »gerechten« Richter!…
»Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Thun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und so ihr nur zu euren Brüdern freundlich thut, was thut ihr Sonderliches? Thun nicht die Zöllner auch also?« (Matthäus 5, 46.) – Princip der »christlichen Liebe«: sie will zuletzt gut bezahlt sein…
»Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben« (Matthäus 6, 15). – Sehr compromittirend für den genannten »Vater«…
»Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen« (Matthäus 6, 33). – Solches Alles: nämlich Nahrung, Kleidung, die ganze Nothdurft des Lebens. Ein Irrthum, bescheiden ausgedrückt… Kurz vorher erscheint Gott als Schneider, wenigstens in gewissen Fällen…
»Freuet euch alsdann und hüpfet: denn siehe, euer Lohn ist groß im Himmel. Desgleichen thaten ihre Väter den Propheten auch« (Lucas 6,23), – Unverschämtes Gesindel! Es vergleicht sich bereits mit den Propheten …
»Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnet? So Jemand den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben: denn der Tempel Gottes ist heilig, der seid ihr« (Paulus 1. Korinther 3,16). – Dergleichen kann man nicht genug verachten …
»Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden? So denn nun die Welt soll von euch gerichtet werden: seid ihr denn nicht gut genug, geringere Sachen zu richten?« (Paulus 1. Korinther 6,2.) – Leider nicht bloß die Rede eines Irrenhäuslers … Dieser fürchterliche Betrüger fährt wörtlich fort: »Wisset ihr nicht, daß wir über die Engel richten werden? Wie viel mehr über die zeitlichen Güter!« …
»Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Thorheit gemacht? Denn dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch thörichte Predigt selig zu machen Die, so daran glauben …; nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern was thöricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da Nichts ist, daß er zu Nichte mache, was Etwas ist. Auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme« (Paulus 1. Korinther 1,20 ff.). – Um diese Stelle, ein Zeugniß allerersten Ranges für die Psychologie jeder Tschandala-Moral, zu verstehn, lese man die erste Abhandlung meiner Genealogie der Moral: in ihr wurde zum ersten Mal der Gegensatz einer vornehmen und einer aus ressentiment und ohnmächtiger Rache gebornen Tschandala-Moral an’s Licht gestellt. Paulus war der größte aller Apostel der Rache …
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46.
– Was folgt daraus? Daß man gut thut, Handschuhe anzuziehn, wenn man das neue Testament liest. Die Nähe von so viel Unreinlichkeit zwingt beinahe dazu. Wir würden uns »erste Christen« so wenig wie polnische Juden zum Umgang wählen: nicht daß man gegen sie auch nur einen Einwand nöthig hätte … Sie riechen beide nicht gut. – Ich habe vergebens im neuen Testamente auch nur nach Einem sympathischen Zuge ausgespäht; Nichts ist darin, was frei, gütig, offenherzig, rechtschaffen wäre. Die Menschlichkeit hat hier noch nicht ihren ersten Anfang gemacht, – die Instinkte der Reinlichkeit fehlen … Es giebt nur schlechte Instinkte im neuen Testament, es giebt keinen Muth selbst zu diesen schlechten Instinkten. Alles ist Feigheit, Alles ist Augen-schließen und Selbstbetrug darin. Jedes Buch wird reinlich, wenn man eben das neue Testament gelesen hat: ich las, um ein Beispiel zu geben, mit Entzücken unmittelbar nach Paulus jenen anmuthigsten, übermüthigsten Spötter Petronius, von dem man sagen könnte, was Domenico Boccaccio über Cesare Borgia an den Herzog von Parma schrieb: »è tutto festo« – unsterblich gesund, unsterblich heiter und wohlgerathen … Diese kleinen Mucker verrechnen sich nämlich in der Hauptsache. Sie greifen an, aber Alles, was von ihnen angegriffen wird, ist damit ausgezeichnet. Wen ein »erster Christ« angreift, den besudelt er nicht … Umgekehrt: es ist eine Ehre, »erste Christen« gegen sich zu haben. Man liest das neue Testament nicht ohne eine Vorliebe für Das, was darin mißhandelt wird, – nicht zu reden von der »Weisheit dieser Welt«, welche ein frecher Windmacher »durch thörichte Predigt« umsonst zu Schanden zu machen sucht … Aber selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten haben ihren Vortheil von einer solchen Gegnerschaft: sie müssen schon etwas werth gewesen sein, um auf eine so unanständige Weise gehaßt zu werden. Heuchelei – das wäre ein Vorwurf, den »erste Christen« machen dürften! – Zuletzt waren es die Privilegirten: dies genügt, der Tschandala-Haß braucht keine Gründe mehr. Der »erste Christ« – ich fürchte, auch der »letzte Christ«, den ich vielleicht noch erleben werde – ist Rebell gegen alles Privilegirte aus unterstem Instinkte, – er lebt, er kämpft immer für » gleiche Rechte« … Genauer zugesehn, hat er keine Wahl. Will man, für seine Person, ein »Auserwählter Gottes« sein– oder ein »Tempel Gottes«, oder ein »Richter der Engel« –, so ist jedes andre Princip der Auswahl, zum Beispiel nach Rechtschaffenheit, nach Geist, nach Männlichkeit und Stolz, nach Schönheit und Freiheit des Herzens, einfach »Welt«, – das Böse an sich … Moral: jedes Wort im Munde eines »ersten Christen« ist eine Lüge, jede Handlung, die er thut, eine Instinkt-Falschheit, – alle seine Werthe, alle seine Ziele sind schädlich, aber wen er haßt, was er haßt, das hat Werth … Der Christ, der Priester–Christ in Sonderheit, ist ein Kriterium für Werthe – – Habe ich noch zu sagen, daß im ganzen neuen Testament bloß eine einzige Figur vorkommt, die man ehren muß? Pilatus, der römische Statthalter. Einen Judenhandel ernst zu nehmen – dazu überredet er sich nicht. Ein Jude mehr oder weniger – was liegt daran? … Der vornehme Hohn eines Römers, vor dem ein unverschämter Mißbrauch mit dem Wort »Wahrheit« getrieben wird, hat das neue Testament mit dem einzigen Wort bereichert, das Werth hat, – das seine Kritik, seine Vernichtung selbst ist: »was ist Wahrheit!« …