Moses, der Wanderer

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III Der Feldzug

1.

Zahlreich waren die Götter in Ägypten, so zahlreich, dass keiner der Bewohner des Landes sie hätte aufzählen können. Und dennoch gab es Götter, die von allen verehrt wurden. Da war zuerst und vor allem Amun, der Gott der Götter, dessen Feste in Theben gefeiert wurden, hauptsächlich in Theben. Hier residierte seine mächtige Priesterschaft, ihre Wohnstätte war dem gewaltigen Tempel angeschlossen, insgesamt ein Prachtbau, nur wenig kleiner und weniger prächtig als der Palast des Pharao. Im Gegensatz zum Königspalast, den wenigstens die Kronbeamten von innen kannten, durfte der Tempel des Amun von niemandem betreten werden, außer von den Priestern. Und auch diese lernten nur die Randbezirke kennen, sein Innerstes, Allerheiligstes, war nur dem Höchsten Betreter erlaubt, dem Obersten Priester des Gottes. Seine Macht stand gerade nur der des Pharao nach und kein König, der seine Krone erhalten wollte, hätte es ernsthaft gewagt, Amun und sein Haus zu besteuern oder etwa seinen Priestern Befehle zu erteilen.

Neben diesem Gott und nur wenig unter ihm verehrten sie Aton, die Sonne am Himmel. Und wie leicht war es, sie zu verehren. Ging sie doch jeden Morgen als glutroter Feuerball am östlichen Horizont auf und bestimmte den Tageslauf der Menschen. Niemand ging freiwillig und unbeschattet in den Tag hinaus, wenn Aton zur Mittagszeit seine höchste Macht entfaltete. Das geistliche Zentrum Atons lag nicht in Theben, sondern in der uralten Stadt, On geheißen, am Nil, dort, wo der Strom sich in sein Delta aufzuteilen begann, am südlichen Ende des Dreiecks also, und dort feierten seine Priester, kahlgeschoren und weise, die Feste des Aton.

Waren Amun und Aton Götter des Tages und des Lebens, so beherrschte Osiris die Nacht, den Tod und den Westen. Einmal im Jahr begab sich Amun, der auf der Ostseite des Nils in seinem Tempel residierte, nach Westen über den Nil, um Osiris zu besuchen, ein Treffen zwischen Tag und Nacht, Tod und Leben, ein Ereignis, das einen der Höhepunkte des religiösen Jahres der Ägypter darstellte. Osiris war der Gott des Todes, ihm wurden zahlreiche Bauten am Westufer des Nils errichtet, Tempel des Gottes oder Grabmale der Edlen Thebens. Jeder Vornehme begann mit seinem Erwachsenenleben den Bau seines eigenen Totenhauses, in dem er dereinst, wenn er nach Westen ging, in den Tod, bestattet werden wollte. Hier in seiner Grabstätte, würden eines fernen Tages seine Taten gemessen und unterschieden zwischen seinen guten und seinen bösen Taten, sein weiteres Ergehen hing von dem Ergebnis dieses Wägens ab. Osiris war ein Gott, auf dessen Wohlwollen alle Ägypter hofften und dessen Feste keiner versäumte.

Und schließlich gab es den Gott, den der Strom verkörperte, der Nil, den Spender allen Lebens und, in Zeiten des Hungers, des Todes. Chapi, den starken Stier, nannten sie ihn und verehrten ihn und huldigten ihm, damit er jedes Jahr aufs Neue den Segen bringe, den Segen des Wassers und des Überflusses an Wasser. Denn wörtlich floss der Strom in jedem Jahr im Hochsommer über, er trug von seinem Ursprung her, im fernen Nubierland, ein Übermaß an Wasser, das sein Bett nicht bewältigen konnte, so dass er über die Ufer trat und das umliegende Land überschwemmte. Singend und tanzend begingen die Ägypter jedes Jahr im letzten Monat des Hochsommers das Fest des überschießenden Wassers, maßen täglich, stündlich, den Stand des Nils und jubelten, wenn er stieg, dämpften ihren Jubel, wenn er seinem Höhepunkt nahe war, warteten ängstlich, ob er weiter stieg oder ob er auf der fruchtbaren, erträglichen Höhe blieb. Denn wenn er zu hoch stieg, verwüstete er mit seinem überschwemmenden Wasser die umliegenden Dörfer und Städte, die sie gesichert hatten gegen eine gemäßigte, Segen bringende Flut, aber nicht sichern konnten gegen zu viel Wasser, weil gegen eine solche mächtige Flut an einen Schutz schlechterdings nicht ernsthaft zu denken war.

Das richtige Maß an Wasser daher, das war es, worum die Menschen beteten und weshalb sie Chapi, den Stier, verehrten, denn nach dem Hochwasser, wenn der Gott sich in sein Bett zurückgezogen hatte, ließ er alljährlich schwarzen, fruchtbaren Schlamm zurück und in diesen Schlamm begann ein Säen, Pflanzen unter Lobgesang und in der angemessenen Zeit nach dem Befruchten der Erde begann die Ernte, segensreiche Zeit und Zeit des Überflusses, der die Menschen wiederum feiern und singen machte.

Stieg er aber nicht, Chapi, der Starke Stier, der Strom, blieb er in seinen Ufern, brachte er kein Übermaß an Wasser, so war dies noch unerträglicher, als wenn er zu viel der Flut brachte. Kein fruchtspendendes Wasser in den bestellten Feldern, kein Tropfen in den kunstvoll angelegten Bewässerungskanälen, und daher auch keine Frucht, keine Ernte, sondern Hunger und Hungersnot und, wenn der Stier im zweiten Jahre ausblieb, wohl gar ein Massensterben wegen Hungers. In grauer Vorzeit sollte es vorgekommen sein, dass der Fluss angeblich sieben Jahre lang keine Überschwemmung zustande gebracht und nur deshalb das Land überhaupt überlebt hatte, weil da einer Vorsorge getroffen haben sollte.... Aber das war eine Geschichte aus einer weiten Vergangenheit, die sich im Dunklen verlor und an die sich niemand ernsthaft gerne erinnern ließ.

Und mit dem Stier stieg und fiel die Wohlfahrt und die Ruhe des Staates, eines Staates, das aus dem Norden und dem Süden, dem ehemaligen Nubierland, zusammengesetzt war und das von dem König beider Länder, dem Pharao, regiert wurde. Pharao war verantwortlich für die Wohlfahrt, Pharao war verantwortlich für das Ansteigen des Nils und Pharao verdankten sie das Hochwasser, den schwarzen Schlamm und den Segen der folgenden Ernte. Stieg der Nil nicht, so zürnten die Götter dem Land und ihrem Pharao und Pharao mochte sehen, wie er sie befriedete.

Für alles und jedes hatten sie Götter, die Ägypter, in allem verehrten sie Gottheiten, in den Schlangen der Wüste, in den Löwen aus dem Süden, Bastet, die Katzengöttin, trieb im Norden ihr Wesen und alle bestanden sie nebeneinander, verlangten nur, dass man sie verehre neben den anderen Göttern und waren huldvoll zu den Menschen, die ihnen huldigten.

Selbst neue Götter offenbarten sich den Menschen, aus dem hohen Norden, aus dem Land der Syrer, kam Baal, die Göttin der Fruchtbarkeit und fand ihre Anhänger unter den Bewohnern Ägyptens und niemand wurde scheel angesehen, weil er außer den schon vorher bekannten Göttern nun auch Baal opferte.

Friedlich lebte diese große Schar von Göttern am Himmel, im Wasser, der Erde und im Irgendwo, ohne dass ein Ägypter den anderen fragte, woran er glaubte. Sie hatten nicht einmal ein Wort für Religion oder Frömmigkeit.

Einig waren sie darin, dass die Regeln der Ma´at verbindlich seien, der Ma´at, die niemand zu beschreiben gewusst hätte, der Göttin, die unbeschrieben und ungeschrieben die Gesetze vorgab, nach denen man zu leben hatte, Regeln, die einfach die Summe aller Tugenden waren, die überhaupt menschenmöglich waren.

Und so hätte Moses, wenn man ihn gefragt hätte, keine Antwort zu geben gewusst, woran und an wen er eigentlich glaubte, aber geantwortet, er lebe nach den Regeln der Ma´at. Frömmigkeit äußerte sich damals unter den Menschen in den Festen der Götter, und wer die Götter liebte, besuchte ihre Feste, die Anhänger reisten weite Strecken, um zu dieser Art der Gottesverehrung zu kommen und Moses feierte die Feste der Götter mit den andere Ägyptern, er huldigte dem Pharao, dem Gott, der gleichzeitig außer Gott auch König und Mensch war und grübelte, ein typischer Ägypter, nicht weiter darüber nach.

Nur finsterer sah er in die Welt als der Durchschnitt der Ägypter, schon in jungen Jahren zogen sich schwarze, dichte Brauen über seinen schwarzen Augen zusammen, wenn er grübelte, und in diesen Tagen, den letzten der Herrschaft Sethos, grübelte er mehr als früher.

Am Hof solle er bleiben, hatte ihm Sethos befohlen, seine Studien abschließen, lernen, was alle Mitglieder des Hofes zu lernen hatten, und mochte auch Moses immer und immer wieder bei seiner ägyptischen Mutter, der Tochter des Pharao, Thermutis, vorsprechen und sie bitten, Sethos möge ihn doch wieder nach Norden schicken, nach Pitom, zu seinen Bauten, damit Moses sie beaufsichtigen konnte und berichten, Thermutis blieb fest in diesem einen Punkt. Nein, bedeutete sie ihrem Sohn, sie habe Pharao ein um das andere Mal gebeten, zornig sei er zuletzt geworden, ihr Vater, Pharao, und habe ihr verboten, erneut um die Sache zu bitten, die er ihr nun wiederholt abgeschlagen hatte. Thermutis wusste nicht, was ihren Sohn Moses, immerfort nach Norden trieb, sie wusste nur, er zog die Brauen zusammen und versank in brütenden Grübeleien, wenn sie ihm seinen Wunsch wieder abgeschlagen hatte. Thermutis hatte zwar erfahren, was Moses unter seinen Altersgenossen zu ertragen hatte, schätzte aber seine Leiden gering, war er doch schließlich als ihr Sohn und Enkel des Pharao sehr nahe am Thron und hatte für seine Zukunft alles Gute zu erhoffen. Was sie anging, Thermutis, die Tochter des Königs, wollte sie das Ihre zum Wohlergehen ihres Sohnes beitragen. Sie war sich sicher, ihren Einfluss auf Pharao auch zu behalten, wenn ihr Vater, Sethos, starb, verband sie doch mit ihrem Bruder Ramses ein ebenso inniges geschwisterliches Verhältnis, wie ihre Beziehung zu Chenar von Feindseligkeit geprägt war, Chenar hatte ihr den illegalen Sohn Moses nie verziehen. Thermutis und Moses hatten daher von Ramses das Beste, von Chenar nur Repressalien zu erwarten.

2.

Ein halbes Jahr lebte Moses in Theben, besuchte wieder die Schule des Acha und ließ sich von den Mitschülern, den jungen Edlen aus Theben, ob seiner Herkunft ärgern, er wurde achtzehn in diesen Tagen, er kannte zwar seinen Geburtstag nicht, Thermutis zählte ihm aber vor, wie oft die Fluten des Nil angestiegen waren, seit er geboren worden war, achtzehn Mal hatte der Strom Fruchtbarkeit gebracht. Seine Schulkameraden hatten nun, da er älter wurde, einen weiteren Grund, ihn zu ärgern: Während sie bartlos blieben, wuchs Moses ein schwarzer starker Bart, den er morgens und abends mit einem scharfen Messer entfernte, was aber nicht verhinderte, dass die Schatten auf Kinn und Oberlippe, die zurückblieben, von seinem starken Bartwuchs zeugten. Wiederholt gab dies den anderen Anlass, ihn auf seine Andersartigkeit hohnlachend anzusprechen und ihn als weiteres Zeichen seiner zweifelhaften Herkunft zu deuten. Mühsam hielt sich Moses nun zurück, verschloss sich aber immer mehr in sich selbst und unterhielt nicht einmal zu seinen ehemaligen Freunden auf der Schule Beziehungen mehr. Einsam, grüblerisch, die Brauen finster zusammengezogen, ging er durch seine Welt.

 

Die wurde eines Tages in ihren Grundfesten erschüttert. Sethos war zur Sonne geworden, er war nach Westen gegangen, Osiris hatte ihn aufgenommen, Sethos war gestorben, der Gott war tot.

Der Pharao ist tot, flüsterte die Menge auf der Straße, der Pharao ist tot, es lebe der Pharao. Und dreißig Tage lang herrschte in Theben eine Stille, die Menschen gingen auf Zehenspitzen, flüsterten nur noch miteinander, alle Feiern, alle fröhlichen Zusammenkünfte waren ausgesetzt. Und wie in Theben, so, wenn auch mit verminderter Stille, im ganzen Reich. Ägypten trauerte um seinen Gott, um die Sonne, der er war, um den Stier, der er war, dem sie das Licht verdankten und die Fülle und Überfülle des Wassers, dreißig Tage lang wurden die sterblichen Überreste vorbereitet für die lange Fahrt nach Westen, prächtig wurde der König einbalsamiert, gekleidet in seine reichsten Kleider, geschmückt mit seinem reichsten Schmuck, und dann durften ihn die Menschen besichtigen, drei Tage lang war ein Raum im Palast, in dem er aufgebahrt war, für die Menschen geöffnet, die ihn sehen wollten, die Abschied nehmen wollten von Gott, ihrem Herrscher, und drei Tage lang bildeten sich lange Schlangen von Menschen. Danach wurde er in feierlicher Prozession nach Westen gebracht, über den Strom, zu dem Grabmal, das er sich zehn Jahre hatte bauen lassen, und dort feierlich beigesetzt.

Die Prozession kehrte zurück, Pharao war zu seiner letzten Reise aufgebrochen, und mit der Rückkehr erhob sich, als sie den Strom nach Osten überquerte, ein unendlicher Jubel unter den Menschen in Theben.

„Pharao, es lebe Pharao, unser neuer König, Ramses, der Pharao, er lebe hoch“, sang es, jubelte es, schrie es, ein jeder rief es seinem Nachbarn zu, „Pharao Ramses ist unser König, Hoch, Ramses, der Pharao!“ Sie waren sicher, die Einwohner von Theben, dass ein neuer Gottkönig auch eine neue Zeit bringen werde, und eine neue Zeit konnte, musste besser sein als die alte, vergangene Zeit, die ja nicht eben schlecht gewesen war. So lautete ihr unverbrüchlicher naiver Glaube, und wiederum dreißig Tage lang feierten sie die Krönung ihres neuen Königs, in Theben zuerst, und dann im ganzen Reich, in das ein Echo der Festlichkeiten aus Theben drang, je näher, desto stärker, und sich mit zunehmender Entfernung vermindernd. Aber in alle Ecken drang die Hoffnung und der feste Glaube, nun werde sich alles ändern, und viel davon zum Guten.

3.

Für Moses änderte sich zunächst nicht viel und dennoch alles: der neue König erlaubte ihm, die Schule der Edlen zu verlassen, von Acha verabschiedete sich Moses lange und gerührt, er war ihm dankbar, Acha hatte ihn alles gelehrt, was er für das Leben eines ägyptischen Edlen wissen musste. Von den Zwängen des Lernens befreit, blieb Moses zunächst sich selbst überlassen, ein etwas über achtzehnjähriger junger Mann, der keine Aufgabe hatte, an der er seine Kräfte messen konnte. Desto mehr grübelte er über sich, seine Welt und seine Abkunft. Viel Zeit brachte er im Palast der Prinzessin zu, die er sein Leben lang bis vor Kurzem für seine Mutter gehalten hatte, Prinzessin Thermutis, die Schwester des Pharao, dem Thron sehr nahe. Thermutis residierte in einem prächtigen Gebäude in der Palastzone, direkt neben den königlichen Gemächern, und hier saß sie mit ihrem Sohn Moses in ihrem Arbeitszimmer, in dem sie zu schreiben pflegte, denn sie war gebildet, oder in dem sie Besucher empfing. Thermutis saß in einem bequemen Stuhl aus Ebenholz, in den wertvolle Intarsien aus Elfenbein eingearbeitet waren, neben ihrem Sekretär. Das Zimmer war überreichlich mit Blumen geschmückt, wie sie es liebte, mit Rosen vor allem, die sie in ihrem Garten züchtete, mit Lilien auch und der Duft dieser Blüten vermischte sich mit dem Duft der zahlreichen Lavendelblüten, die überall verstreut waren. Ihr zu Füßen saß Moses, sie waren in ihr Gespräch vertieft.

„Aber warum sollte denn diese Frau behaupten, sie sei meine Mutter?“ fragte gerade Moses die Prinzessin.

„Mein Sohn, das muss dir doch klar sein. Wenn du, ein vornehm erzogener Ägypter, ihr Sohn bist, wirst du dich einsetzen, erst für sie, dann für ihre Familie und dann für ihr Volk. Du weißt, Moses, wie du schon meinen Vater, den Pharao, erzürnt hast mit deinen ständigen Erinnerungen an die Hebräer und wie sehr sie unterdrückt seien. Siehst du, mit diesem Einsatz hat sie schon ihr Ziel erreicht.“

Moses sah nachdenklich zu Boden. Thermutis war die einzige, mit der er über seine Zweifel an seiner Herkunft sprechen konnte.

„Du bist also ganz sicher, dass du meine Mutter bist?“

Über ihm erklang ein silbernes Lachen. Thermutis spielte von oben mit seinem Haar, das ihm dicht wuchs und das er hier, im Palast, ohne Perücke offen trug.

„Natürlich bin ich mir sicher. Siehst du, Frauen sind immer sicher, ob sie Mutter sind oder nicht, schließlich gebären sie. Väter können sich da nie so sicher sein, ob sie Väter sind oder nicht. Diese Hebräerin nutzt nur die Tatsache aus, dass sie nach deiner Geburt fünf Jahre lang deine Amme und Pflegemutter war, dass sie dich fünf Jahre lang groß gezogen hat. Ich habe dir doch schon erklärt, warum ich sie brauchte. Hätte ich damals, als ich schwanger war, deinem Großvater Sethos gestanden, dass ich ein Kind bekomme, er hätte mich töten lassen. Sethos war sehr sittenstreng, wie du weißt, er hätte ein Kind, das seine Tochter außerhalb einer Ehe geboren hätte, nicht geduldet. Also musste ich dich heimlich gebären und dich am Nil verstecken, wo ich dich dann in dem Schilfkörbchen fand in dem Versteck, in das ich dich selbst gelegt habe. Nur ganz allmählich, als dein Großvater Zuneigung zu dir fasste, konnte ich ihm gestehen.“

„Und immer noch willst du mir nicht sagen, wer mein Vater war oder ist?“ Moses sah zu ihr auf, „du weißt, wie mich die Schulkameraden gehänselt haben wegen meiner zu hellen Haut und meines Bartwuchses. Irgendwie, haben sie immer gesagt, erinnere ich sie an einen Hebräer.“

Thermutis lächelte. „Nein, das will ich dir nicht sagen, selbst wenn ich es genau wüsste. Moses, du bist nun fast erwachsen, vor zwanzig Jahren war ich ein lebenslustiges Mädchen, ohne Aussicht auf eine Heirat, die nicht ausschließlich politisch bestimmt wäre. Und da habe ich mir meine Vergnügungen gesucht. Dass ich dann nicht verheiratet worden bin, lag ausschließlich an politischen Gründen. Schließlich bin ich die Tochter des Pharao, die heiratet nicht einfach so.“

„Und so hast du dir Männer gesucht, eben auch meinen Vater“, stellte Moses bitter fest.

„Aber Moses, du kennst das doch, wenn der Körper einem kribbelt, du hast doch sicher auch schon mit Mädchen gespielt.“

Moses schüttelte stumm den Kopf. Gedacht hatte er schon an Mädchen, und ihnen hinterher gesehen, wusste auch, wie er mit sich selbst spielen musste, um Entspannung zu suchen, aber er hatte sich nie getraut, Mädchen anzusprechen.

Thermutis schüttelte den Kopf. Sie sah ihren Sohn an, groß war er, stark, breitschultrig, mit schmalen Hüften, sie konnte sich vorstellen, dass so manche junge Frau gerne gesehen hätte, wenn er mit ihr angebändelt hätte, ein bisschen finster das Gesicht, aber das lag wohl an seiner grüblerischen Jugend.

„Bestimmt kann ich dir leicht ein Mädchen besorgen, wenn du willst“, bot sie versuchsweise an, aber Moses schüttelte heftig den Kopf.

„Nein, ich werde schon eine finden, die mir so gefällt, dass ich sie nehmen will, aber bisher will ich noch nicht.“

Thermutis war die einzige Person, mit der Moses so offen sprechen konnte und wollte. Im Verkehr mit anderen Menschen war er verschlossen, schweigsam bis an die Grenze der Unhöflichkeit und darüber hinaus. Wenn er sprach, dann schwer, langsam, stolpernd, die Worte brachen mehr aus ihm heraus, als dass er sie sprach. Er redete wenig, weil er wahrhaftig sein wollte und schmerzhaft die Schwäche von Sprache vor der Wahrheit empfand. Nie trafen Worte genau seine Empfindungen und versuchte er, seine Empfindungen auszusprechen, so klangen die Worte, die er benutzte, nicht wie das, was er empfand, sondern klischeehaft, abgeschmackt und lügnerisch. Und so wurde Moses in dieser Zeit immer mehr zum Einzelgänger, der über sich und die Welt grübelte, allein gelassen von allen außer seiner Mutter.

Immer wieder dachte er an die beiden Frauen, die behaupteten, seine Mütter zu sein und an den Mann, den er nicht kannte und den er wohl nie kennen lernen würde, der sein Vater war.

Er hatte als Verwandter des Pharao Pflichten am Hof, er musste an allen Festen teilnehmen, die der König veranstaltete und diese Feste waren immer den Göttern gewidmet. Amun besonders verlangte von Pharao und seinem Hof die Anwesenheit bei allen Anlässen, bei denen der Gott vor dem Volk repräsentiert werden wollte. Moses gab sich keine Rechenschaft darüber, ob er diesen Gott oder andere Götter verehrte. Die Begriffe Frömmigkeit oder Religiosität kamen in seiner Gedankenwelt oder der der anderen Ägypter nicht vor. Götter spielten immer dann ihre Rolle, wenn sie Bezug zum Leben der Menschen hatten, Chapi immer dann, wenn der Nil über die Ufer trat und Osiris, wenn Menschen starben.

4.

Moses stand vor dem Thron Pharaos und bewunderte den König. Ramses hatte sich in dem halben Jahr nach seiner Inthronisierung sehr verändert. Schon immer hatte er ein kantiges Gesicht gehabt, in dem die schwarzen energischen Augen auffielen, die Hakennase und ein ausgeprägtes Kinn, das auf Willensstärke schließen ließ. Jetzt, in vollem Ornat, den er zur Audienz angelegt hatte, wirkte er älter und strahlte eine Autorität aus, vor der Moses sich ohne weiteres zu beugen bereit war. Moses wusste, dass die Stellung des Königs bisher noch nicht gefestigt war. Hatte doch sein Bruder Chenar die Entscheidung seines Vaters Sethos, Ramses zu seinem Nachfolger zu bestimmen, keineswegs ohne Widerstand hingenommen. Zwar hatte er zu Lebzeiten des alten Pharao nicht zu opponieren gewagt, aber nach dessen Tod sehr schnell eine kleine Anhängerschaft gewonnen, die Ramses für nicht regierungsfähig, für zu jung und Chenar für den besseren König hielt.

Einen Pharao, den Gott, der direkt von der Sonne abstammte, zu stürzen, das durfte in der Geschichte Ägyptens nicht vorkommen, und so hatte Ramses die Gruppe der Opponenten schnell, energisch und hart zur Verantwortung gezogen. Sieben der führenden Aufrührer waren kurzerhand hingerichtet worden, seinen Bruder Chenar hatte Ramses nach Süden geschickt, um dort Bauten zu beaufsichtigen, die er in Auftrag gegeben hatte. Dennoch, immer noch gab es in Theben eine Opposition, die Ramses stürzen und seinen Bruder Chenar auf den Thron heben wollten.

Moses stand vor dem König mit unruhigem Herzen. Ramses hatte ihn gestern für heute zur Audienz befohlen, und obwohl Moses sich nicht vorstellen konnte, womit er den Unwillen des Königs hervorgerufen haben könnte, ganz sicher war man sich dessen nie.

„Moses, mein Neffe“, begann Ramses und Moses atmete auf, diese Anrede benutzte Pharao nur, wenn er ihm wohlwollte, „Wir haben deine Ungeduld wohl gemerkt und deinen Drang, Uns zu dienen", fuhr Pharao fort, „Wir haben aber bisher noch nicht die rechte Aufgabe für dich gefunden. Nach Norden schicken Wir dich nicht, obwohl Uns dein Wunsch bekannt ist. Wir glauben nicht, dass die Erfüllung dieses Wunsches für dich glücklich ist.

Stattdessen", Pharao hob die Stimme, Moses bewunderte im Stillen die Leichtigkeit, mit der Ramses sich inzwischen des königlichen Wir bediente und wie er seiner Rede Nachdruck zu verleihen wusste, „stattdessen haben Wir einen ehrenvollen Auftrag für dich. Unten im Süden, stromauf, wollen die Nubier wieder einmal einen Aufstand wagen. Unsere Spione haben berichtet, wie sie ihre Stämme versammeln und ihre Krieger ausheben. Wir wollen diesen Aufstand im Keim ersticken, sind aber zurzeit in Theben nicht entbehrlich. Wir haben daher beschlossen, dich an die Spitze einer Armee von dreitausend Kriegern und dreihundert Streitwagen zu stellen. Fahre mit dieser Streitmacht flussaufwärts bis an die Grenze des Südreiches, spüre die aufständischen Truppen auf und schlage sie. Bringe mir ihre Anführer, wenn du sie lebend fangen kannst, sonst töte sie.

 

In dieser Streitmacht sei du Unser Feldherr, sei wie Pharao, mit der vollen Befehlsgewalt, und Wir befehlen dir, schlage den Aufstand nieder und kehre siegreich nach Theben zurück!“

Moses verschlug es die Sprache und nur seine sorgfältige Erziehung verhinderte es, dass er mit offenem Mund vor Pharao stehen blieb. Der erste Auftrag, den er vom König erhielt und dann gleich als Feldherr an der Spitze einer solchen Armee! Ramses musste ihm allerhand zutrauen, mehr, als Moses sich selbst zutraute, das alles ging ihm durch den Kopf, während er sich vor dem König auf das Knie niederließ und die rituellen Worte sprach:

„Du befiehlst, o Pharao, und was du befiehlst, geschieht unweigerlich. Ich werde die Streitmacht nach Süden führen, die Aufständischen besiegen und siegreich mit ihren Anführern wiederkehren.“

Diese Neuerung hatte Ramses eingeführt. Jeder Befehl, den er erteilte, war zu wiederholen, damit nicht der geringste Zweifel aufkommen konnte, was Pharao befohlen hatte.

Die Audienz war beendet, Moses bewegte sich rückwärts, mit dem Gesicht zum König, zum Eingang zurück, als er die Stimme Pharaos hörte, diesmal leiser.

„Moses!“

Er sah auf und sah, wie Pharao ihm zuwinkte, noch zu bleiben, während er die Palastdiener hinaus winkte. Moses trat wieder näher, auf Ramses zu.

„Ja, mein König?“

„Moses“, Ramses Stimme hatte einen vertraulichen leisen Klang, „ich weiß ja, wie sehr es dich drängt, nach Norden zu gehen, zu den Hebräern, und an der Organisation der Bauwerke mitzuwirken. Moses, ich will im Norden die Stadt weiter bauen, die mein Vater begonnen hat, sie soll meinen Namen tragen, ich werde gewaltige Mengen von Arbeitern dort brauchen, von Materialien. Ich weiß, dass du unserer Familie verbunden bist und auch ich werde dich weiter schützen und stützen, wie mein Vater es getan hat. Aber bevor ich dich zum Meister der königlichen Bauten im Norden ernennen kann, musst du dir die Karriere verdienen. Und die schnellste Art, Karriere an meinem Hof zu machen, du weißt es, ist die über militärische Erfolge. Also komm wieder mit dem fremden Fürsten, der sich im Süden erhebt. Sei siegreich, und ich versichere dir, du wirst dir deine Stellung am Hofe aussuchen können, und sei es die eines Baumeisters.“

Moses strahlte.

„Ich danke dir, mein König, zum einen für die persönlichen Worte und für dein Versprechen. Ich werde siegreich heimkehren.“

Und Moses kam aus dem Audienzzimmer mit freudigem Gesicht, so dass die Palastbeamten, die diesen jungen Mann nur mit grüblerischer finsterer Miene kannten, sich fragten, was Pharao ihm wohl Gutes getan haben könnte.

5.

Das ägyptische Reich gliederte sich in das nördliche Unter – und das südliche Oberägypten auf. Während der Norden bis weit in das Nildelta und bis zum Meer hin befriedet und fest in der Herrschaft des Pharao war, herrschten in Oberägypten unklare Grenz- und Machtverhältnisse. In grauer Vorzeit hatten die Pharaonen die südlichen Länder erobert und sich die Fürsten der Regionen unterworfen und tributpflichtig gemacht. Die unbestrittene Herrschergewalt des Königs reichte bis Assuan, der Stadt, die an den ersten Katarakten des Nil lag und von der aus der Fluss ohne Probleme bis zu seiner nördlichen Mündung in das Meer befahren werden konnte.

In Assuan herrschte der Wesir des Südens, Hamur, der noch von dem Vater des Königs ernannt worden war, ein dicker, mächtiger Mann, der unermesslich reich geworden war bei der Verwaltung der ihm unterstellten Gebiete. Er hatte neben dem Titel Wesir des Pharao im Süden auch noch den Titel eines Einzigen Freundes des Königs, war angesehen bei Pharaos Hof und gefürchtet bei seinen Untergebenen. Er unterhielt eine Streitmacht, die zwar formal dem Pharao, in Wirklichkeit aber ihm allein unterstellt war, der Feldherr dieses Heeres, ein Soldat namens Horacht, war ihm treu ergeben.

So lange Hamur die Erträge des Südreiches in reichlichem Umfange an den Hof nach Theben sandte, ließen die Könige ihn frei gewähren und duldeten schweigend, dass er einen großen Teil für sich einbehielt.

Jenseits von Assuan und den Katarakten begann eine Zone unklarer Grenzverhältnisse. Weder der Wesir Pharaos noch auch dieser selbst hätten Zweifel zugelassen, dass auch die Provinzen südlich der Katarakte zum ägyptischen Großreich gehörten und der Befehlsgewalt des Wesirs im Süden unterstanden. Die Nubier, die diese Provinzen bewohnten, erhoben sich aber von Zeit zu Zeit, machten die ägyptischen Garnisonen, die in ihren Dörfern lagen, nieder und erklärten sich für frei von ägyptischer Vorherrschaft. Regelmäßig war eine ägyptische Strafexpedition aus Assuan die Folge, die den Süden schnell wieder befriedete.

Nun war vor einigen Jahren einer der Ihren Häuptling geworden, der es verstanden hatte, sich nicht nur seinen eigenen Stamm, sondern auch die benachbarten Nubiervölker zu unterwerfen und sie zu sammeln, um sich gegen die Ägypter, den Wesir und damit gegen Pharao zu erheben.

„Gebt mir einige Hundertschaften mit, ich werde ihnen ganz schnell den Garaus machen“, hatte Horacht geprahlt und tatsächlich hatte Hamur ihn mit einer Streitmacht ausgestattet, um die Nubier in einer Routinemaßnahme zu unterwerfen und sie zu bestrafen.

Horacht war im April ausgezogen, als der Nil den geringsten Wasserstand hatte. Mit dem Hochwasser im August war er zurückgekehrt, er und nur einige ganz wenige Überlebende des Kriegszuges, ausgehungert, halb verdurstet, waren sie nach einer vernichtenden Niederlage gegen die Nubier durch die Wüste geflohen, die Feinde hatten die Ufer des Nils besetzt und hätten sie gefangen, wären sie nur in die Nähe des Wassers gekommen.

„Sie werden angeführt von einem Häuptling, der einen Löwenkopf über seinen Kopf gestülpt hat, ein riesiger Kämpfer, kohlschwarz, mit mächtiger Stimme, der seine Krieger, Horden von ihnen standen uns gegenüber, anführte und mit seiner gewaltigen Stimme anfeuerte. Unsere Streitwagen haben sie erobert, massenhaft Waffen, und haben meine Kämpfer geschlagen und getötet. Wir sind die einzigen Überlebenden", hatte Horacht berichtet.

Hamur in seinem Palast hatte geschäumt vor Wut. „Wie kann so ein Wüstenbewohner aus dem Süden es wagen, meine Streitmacht zu besiegen“, hatte er gebrüllt und unverzüglich eine zweite Strafexpedition ausgerüstet, um die aufständischen Sklaven zu züchtigen, wie er befahl. Von der zweiten Expedition kam niemand zurück, Hamur erreichte lediglich die Nachricht, dass dieser unverschämte Nubierhäuptling es gewagt hatte, mit seinen Truppen nach Norden vorzustoßen, durch die westliche Wüste, Assuan zu umgehen und den Nil nördlich von Assuan zu besetzen, die Stadt von jedem Nachschub aus dem unteren Ägypten abschneidend. Nur mühsam war es Boten gelungen, durch die Reihen der Nubier nach Theben zu gelangen und Pharao zu berichten.

Dies alles erfuhr Moses, als er nach den Hintergründen seines Auftrages forschte und die Streitmacht zusammenstellte, mit der er nach Norden aufbrechen wollte.

„Hat denn jemand überhaupt den Namen dieses Häuptlings erfahren?“ fragte er einen der Boten, die unter Lebensgefahr aus Assuan nach Theben gekommen waren.