Moses, der Wanderer

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II. Die Suche





1.





Moses hatte sich vor der Hitze des Tages in das Schilfhaus zurückgezogen, das für ihn am Heck des Schiffes aufgebaut worden war. Dort saß er, kühlte sich den Kopf mit Wasser, das ihm ein Diener von Zeit zu Zeit aus dem Nil brachte. Nicht, dass das Wasser kalt war. Jetzt, im Hochsommer, war auch der Nil warm, fast zu warm, um darin zu schwimmen, selbst wenn er das gewollt hätte. Aber wenn er ein Tuch in das Wasser tauchte, kühlte es, um den Kopf gewunden, einige Zeit. So saß er in dem Schilfhaus, hörte den monotonen und rhythmischen Gesang der Ruderer, die das Schiff gegen den Wind, aber mit dem Strom nach Norden trieben, dem Delta zu.



Langsam passierten sie die Dörfer, die längs des Flusses wie Perlen aufgereiht lagen. Jetzt, um die Mittagszeit, wirkten sie wie ausgestorben, kein neugieriges Kind schaute ihnen zu, wie sie den Nil entlang fuhren, nicht einmal ein Hund oder eine Katze war auf den Wegen zu sehen. Einzig die Palmen, die am Ufer standen, regten ihre Wedel ganz leicht in dem leisen Nordwind, und erzeugten zusammen mit den Papyrusstauden, die in Feldern am Ufer standen, ein leise raschelndes und klatschendes Geräusch. Allerlei schwimmende Fahrzeuge fuhren mit ihnen, in die gleiche Richtung, langsamer als die „Barke des Südens“, so hieß das Schiff, das Moses trug. Sie transportierten, anders als die „Barke des Südens“, Lasten in den Norden, vor allem Baumaterialien, die Pharao im Delta des Flusses benötigte, um seine neue Stadt zu erbauen, andere kamen ihnen entgegen, teils Lasten tragend, Waren, die für den Süden bestimmt waren, teils Passagiere befördernd, die ebenfalls in Schilfhütten versorgt waren und sich neugierig nach der „Barke des Südens“, die als Königsschiff gekennzeichnet war, umsahen.



Sie fuhren nur Moses wegen nach Norden. Er war ein junger Mann, kaum fünfzehn, nach Art der vornehmen Ägypter in weißes sehr dünnes, kühlendes Leinen gekleidet, ein Schurz um die Hüften und ein Tuch um die Brust geworfen, die linke Schulter frei lassend. Für seine jungen Jahre war Moses groß, kräftig gebaut, mit großen Händen, breiten Handgelenken und starken Oberarmen und Beinen. Seine Haut war deutlich heller als die Haut der Schiffsbesatzung, die dunkelbraun war, die Moses war bronzefarben, noch weich, mit schwarzen Haaren bewachsen. Moses Gesicht war noch unfertig, das Gesicht eines jungen Mannes, mit schwarzem Schatten an Kinn und Wangen, der von dem starken Bartwuchs herrührte, der Moses von allen vornehmen Ägyptern unterschied, die bartlos waren. Moses säuberte sich morgens und abends von dem Bart. Seine Augen waren schwarz, energisch, er konnte diese Augen konzentrieren, auf einen Punkt, so dass sie zwingend wirkten. Über den Augen wuchsen schwarze Brauen, in der Mitte über der Nase sich treffend, kaum gebogen, die seinem Gesicht einen finsteren Eindruck verliehen. Die Nase war gerade, kräftig, fleischig und der Mund unter der etwas zu langen Oberlippe schön geschwungen, voll. Sein Kinn war stark ausgebildet, in der Mitte durch ein Grübchen gutmütig geteilt, was einen seltsamen Gegensatz zu den finsteren Brauen schaffte.



Eben jetzt überwog der finstere Ausdruck des Gesichtes, zumal Moses die Stirn in Gedanken zusammengezogen hatte und eine steile senkrechte Falte über der Nase bildete. Moses hatte keinen Blick für die Umgebung und kein Gehör für die Geräusche der Ruderer und das Wasser des Nils, das um das Schiff spülte. Er war von der Schule geflohen. Wieder einmal hatten ihn die Kameraden geärgert, mit seiner hellen Haut, seinem starken Bartwuchs und der Frage, ob er denn wisse, wer seine Mutter sei, eine Prinzessin, die es mit einem Hebräer getrieben habe. Vor allem Chamat, der Sohn des königlichen Wesirs des Südens und eines Einzigen Freundes des Königs, hatte ihn beim Schwertkampf zum Wahnsinn getrieben.



„Hier, der Hieb ist für die Prinzessin, der ist für den Hebräer und der ist für alle, die nicht wissen, woher sie kommen“, und hatte Moses mit seinen Streichen durch den Übungsraum getrieben. Das Schlimmste dabei war, dass Moses ihn mit einem Hieb zur Ruhe hätte bringen können, Chamat war ihm im Schwertkampf nicht annähernd gewachsen. Aber sein Erzieher hatte ihn gemahnt, einmal, immer wieder. „Sei vorsichtig mit dem Sohn des Wesirs, sein Vater ist mächtig, du bist zwar stärker als er und auch geschickter, aber er ist mächtiger.“ Und so hatte Moses die Streiche und die Sprüche des anderen ertragen, hatte auch das Gelächter der anderen, die mit Chamat sympathisierten, ausgehalten. Aber dass sein Freund Setaou, der Sohn eines Palastbeamten, mit den anderen gelacht und sich über ihn lustig gemacht hatte, hatte ihn erbost und traurig gleichzeitig gestimmt. Warum konnte nicht wenigstens Setaou zu ihm halten, wenn schon die anderen ihn verachteten?



Moses war nach der Stunde zu seinem Erzieher gelaufen.



„Was ist es nur, was sie an mir stört? Kann ich nicht mindestens genauso gut lesen wie sie, bin ich ihnen nicht im Schwertkampf sogar überlegen?“ hatte er gefragt.



„Moses, mein Kind“, Acha, der Lehrer, sah ihn mitleidig an, „deine Altersgenossen stören sich an allem, was anders ist. Sie haben noch nicht gelernt, dass Andersartigkeit das Leben bereichert, es macht ihnen Angst. Und du, lass es mich dir sagen, machst ihnen Angst. Niemand weiß genau, wer deine Mutter und wer dein Vater ist. Chamat kennt Mutter und Vater, Setaou auch, du nicht. Alle wissen nur, dass deine Mutter wahrscheinlich die Tochter Pharaos ist, deshalb müssen sie dich in der Schule und als Kameraden achten. Wer dein Vater ist, ist vollständig unbekannt, er wird, so glauben alle, ein Hebräer gewesen sein. Du weißt, wer Hebräer sind?“



Moses nickte. Acha hatte ihnen erzählt von dem Volk, das oben im Norden, in Gosen, lebte, in Armut und Schmutz, zu nichts nutze, als für Pharao auf den Baustellen zu arbeiten. Moses hatte, als er zum ersten Male davon erfuhr, sein Vater sei wohl ein Hebräer, nach solchen Hebräern gesucht. Hier unten im Süden, in Theben, war das nicht ganz einfach, aber Acha hatte ihm erzählt, dass am Fluss, da, wo die Dämme errichtet und erhöht wurden, Hebräer arbeiteten. Moses hatte sich hingeschlichen. Er hatte sie von ferne gesehen und beobachtet, wie sie arbeiteten, in Lumpen gehüllt, fast nackt, ausgemergelte schmutzstarrende Männer, die unter den Peitschenhieben der ägyptischen Aufseher litten und Dämme aufwarfen, die die Stadt vor dem Fluss schützen sollte, wenn er über die Ufer trat. Moses hatte es vor Ekel geschüttelt. Und einer von denen sollte sein Vater sein? Hilflos war er zu Acha zurückgekehrt. „Ich kann nicht glauben, dass ich zu diesem Volk gehöre.“



Aber seitdem hatten ihn die Hänseleien seiner Kameraden noch mehr, tiefer getroffen. Wie sehnlich hatte er gewünscht, eine makellose Abstammung zu haben wie Chamat oder auch nur sein Freund Setaou. Ihm hätte es schon gereicht, der Sohn eines einfachen Palastbeamten zu sein, aber nein, seine Abstammung war höchst zweifelhaft, verwerflich sogar. Und er musste wehrlos die Verachtung der anderen ertragen.



Vor zwei Wochen war er zu Acha gegangen. „Ich will nach Norden reisen, zu dem Volk der Hebräer. Thermutis, die Tochter Pharaos, hat mir Namen genannt. Ich sei als Kind von einer hebräischen Amme, die Jochebed hieß, gesäugt worden, die mit ihrem Mann Amram damals hier in Theben gelebt und gearbeitet haben. Ich will in das Delta reisen, zu der neuen Stadt Pharaos, Pitom, die dort gebaut wird, und sehen, ob ich da mehr über meine Herkunft erfahren kann.“



„Du wirst tun, was du willst, Moses“, Acha kannte seinen Schüler und seine Sturheit, „aber findest du es wirklich klug, diese Dinge nicht auf sich beruhen zu lassen? Was willst du denn wissen? Stell dir vor, wie dein Leben weitergehen wird, wenn du wirklich ein Hebräer bist. Du wirst kaum hier am Hofe bleiben können, sondern dann bei ihnen leben müssen, einer von ihnen, ebenso unkultiviert, schmutzig und zur körperlichen Arbeit verdammt wie sie.“



Aber Acha kannte Moses. Wenn der sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, setzte er das durch. Und so war Moses zu Thermutis gegangen, die er „Tante“ nannte und die er bat, bei Pharao die Genehmigung zu dieser Reise durchzusetzen. Thermutis konnte Moses nichts abschlagen, das wusste er aus Erfahrung und tatsächlich war eine Woche später der Bescheid gekommen, Moses werde mit der „Barke des Südens“ nach Norden fahren, um auf Befehl des Königs die Baustellen in Pharaos neuer Stadt Pitom zu inspizieren.



Und so saß er hier auf dem Schiff, finster grübelnd, warum die königliche Familie, wenn er denn von ihr abstammte, sich nur halbherzig zu ihm bekannte, oder, wenn er Hebräer war, ihn so bevorzugt behandelte. Langsam schüttelte Moses den Kopf, um sich von diesen Gedanken zu befreien.



Die Barke war immer weiter nach Norden gefahren, hatte Dorf um Dorf passiert. Jetzt, am späten Nachmittag, wurde es merklich kühler, der Nordwind frischte auf und fächelte leicht in die Schilfhütte. Moses schüttelte alle Gedanken ab und beschloss, trotz allem die Reise zu genießen. Zur Linken stand die Sonne tief am Himmel, ihre Strahlen sengten nicht mehr.



Gegen die Sonne konnte Moses riesige dreieckige Gebäude sehen, die Pyramiden, uralte Zeugen einer Vergangenheit, die so weit zurück lag, dass niemand auch nur ansatzweise ermessen konnte, wie alt sie waren. Nach diesen Mustern ließ die königliche Familie ihre Gräber im Westen von Theben errichten, ebenfalls von riesigen Ausmaßen, damit sie einst, nach ihrem Tode, darin wohnen konnten. So jung Moses war, konnte er doch scharfsichtig hinter den Gebäuden die Angst der Menschen vor dem Tode erkennen und die Hoffnung, nach ihrem Tode weiter leben zu können. Jetzt schob sich die größte der Pyramiden langsam vor den glutroten Sonnenball, mit ihm eine geheimnisvolle geometrische Figur bildend und sich wieder trennend. Die Sonnenscheibe reiste mit ihnen, die Pyramide blieb dahinter zurück.

 



„Wir müssen bald zur Nacht einen Platz am Ufer suchen, Herr“, meldete sich der Schiffsführer, „da vorne, nur wenig flussabwärts gibt es ein kleines Dorf, mit einer Anlegestelle, in dem wir übernachten und unsere Vorräte auffüllen können. Befiehlst du, anzulegen?“



Und Moses, der von der Führung eines Schiffes nichts verstand, der nur wusste, es sei lebensgefährlich, des Nachts auf dem Fluss weiter zu reisen, stimmte zu, obwohl er ungeduldig war, sein Ziel zu erreichen. Langsam ruderten die Männer das Schiff auf einen kleinen Holzsteg zu, auf dem neugierige Dorfbewohner dem Manöver zusahen und an dem die Barke jetzt mit einem kleinen Stoß anstieß, Leinen wurden an Land geworfen und von den Zuschauern fest gemacht, Dorfhunde bellten das fremde Schiff und die Männer an, die jetzt, wo das Schiff still lag, an Land sprangen. Der Schiffsführer verhandelte schon mit einem einfach gekleideten Ägypter, offenbar ein Händler aus dem Dorf, über den Kauf von Vorräten, Wein, Früchte und Fleisch.



Langsam erhob sich Moses in seiner Schilfhütte, streckte die zu lange ruhig gewesenen Glieder und ging langsam und würdevoll, wie es seiner Stellung entsprach, an die Reling und sprang ebenfalls an Land.



„Im Namen Pharaos“, sprach er den Kaufmann an, „ich werde diesen Ort inspizieren. Wo ist der Vorsteher?“



„Ich bin es selbst, Herr“, antwortete der Ägypter, „du bist willkommen hier, nimm was du brauchst, was wir haben, ist dein.“



„Ich werde dir zwei Mann Eskorte mitgeben“, bot der Schiffsführer an und rief zum Schiff hinüber „Ahmad und Ej, begleitet den Herrn.“



Zwei der Ruderer sprangen vom Schiff und gingen mit zwei Schritten Abstand hinter Moses her, der langsam auf die Siedlung zuschritt, gefolgt von bellenden Hunden und einer Kinderschar, die laut diese aufregenden Ereignisse kommentierten.



Moses ging auf einem sorgfältig geharkten Sandweg zu der Ansammlung von kleinen Häusern, die von einem hohen Damm umgeben waren und ihrerseits auf kleinen aufgeworfenen Hügeln erbaut waren. Nur ein Gebäude ragte in seiner Größe über die anderen hinweg, Moses erriet, das war der Besitz des Dorfvorstehers und Kaufmannes. Am Wegesrand saßen Frauen und plauderten in der Abendsonne, Männer waren nicht zu sehen, Moses vermutete, dass sie jetzt auf den Feldern arbeiteten. Die Überschwemmung des Nils stand unmittelbar bevor, die Priester hatten reiches Wasser versprochen, das Segen brachte, aber eben auch die Gefahr, dass die Häuser überschwemmt wurden. Dämme und Hügel wurden daher regelmäßig vor der Flut ausgebessert und erhöht.



Moses wurde freundlich begrüßt, niemand störte sich hier an seiner hellen Haut, keiner wusste über seine zweifelhafte Herkunft. Leutselig grüßte er zurück, stellte sich wohl auch einmal neben eine Gruppe von plaudernden Frauen, die die Ereignisse des Tages besprachen und was es heute Abend zu essen geben würde. Sie wirkten zufrieden, fragten ihn nach dem woher und wohin, überall hatte sich herumgesprochen, eine Barke des Königs habe angelegt, alle waren neugierig, was der Abgesandte des Königs hier wohl wollte. Moses fiel auf, dass sie nicht unterwürfig waren, sondern freundlich, aufgeschlossen und frei mit ihm redeten. „Wer so in einem kleinen Dorf leben könnte, mit sich selbst im Reinen, klare Vergangenheit, klare Gegenwart und klare Zukunft“, schoss es ihm durch den Kopf, aber dann schüttelte er sich, lächelte und wusste, dass er für dieses Leben verdorben war, er hatte den Reichtum an Pharaos Hof kennen gelernt. „Lieber an Pharaos Hof mit zweifelhafter Herkunft leben als in diesem Dorf der Vorsteher sein“, dachte er und schritt langsam und nachdenklich zurück zum Schiff, wo er sich nach einem leichten Mahl schlafen legte.



Am nächsten Morgen setzte die Barke, reichlich mit neuen Vorräten beladen, die gemächliche Reise fort, Moses war nun an die tägliche Routine gewöhnt, morgens ging er in der Morgenbrise auf dem Deck auf und ab, genoss die wechselnde Aussicht, beobachtete die Tiere, die im Wasser schwammen, riesige Nilpferde, am Ufer auch Krokodile und legte sich dann, wenn die Sonne den Aufenthalt an Deck unerträglich machte, in die Schilfhütte, das Tuch mit Wasser kühlend. Abends, wenn der Kapitän angelegt hatte, wanderte er durch die Dörfer. Ganz allmählich beruhigte sich auch sein Geist mit dem langsamen Vorankommen, nur eine leise Neugierde auf das Volk der Hebräer verließ ihn nicht.



Nach einer Woche geruhsamer Fahrt wurde das Leben auf dem Fluss und an den Ufern lebhafter, der Verkehr deutlich dichter, lauter, immer mehr Lastkähne, schwer mit Steinen beladen, versperrten ihnen, die schneller fahren konnten, den Weg, immer mehr Schiffe kamen ihnen entgegen. Moses bemerkte, dass sein Kapitän jetzt ständig am Bug der Barke stand und den Verkehr beobachtete, seinem Rudergänger laute Befehle zurief, sich auch schreiend mit den Führern anderer Fahrzeuge verständigte über die Manöver, die zum Ausweichen erforderlich waren. Auch die Ufer waren dichter bevölkert. Hatte sich vorher manchmal stundenlang kein Dorf gezeigt, so war jetzt das Land eng besiedelt, Menschen säumten den Fluss, rufend, laufend, schleppend und arbeitend. Karawanen aus Kamelen und Menschen wanderten mit ihnen am Rande des Flusses, kamen ihnen entgegen, auch sie laut, und führten Waren von Süden nach Norden und umgekehrt, alle auf den Wegen, die entlang beider Nilufer führten.



Am Abend dieses Tages kam der Schiffsführer zu Moses in die Schilfhütte.



„Herr, heute Abend legen wir an im Hafen von Pitom, unserem Ziel. Befiehlst du, dass ich dir in der Herberge der Stadt eine Unterkunft schaffe?“



„Nein, ich werde heute noch auf dem Schiff übernachten, morgen werde ich dann die Stadt besichtigen und die Behörden aufsuchen.“



Moses schlief schlecht in dieser Nacht. Das lag zum einen daran, dass er aufgeregt war. Morgen würde er erst mit den Ägyptern Kontakt aufnehmen und sich dann in die hebräischen Dörfer führen lassen, um sie zu besichtigen, wie Pharao es ihm aufgetragen hatte. Zum anderen ruhten in Pitom aber auch nachts die Arbeiten nicht. War das ein Hämmern, Rufen, Schlagen und Knarren in der Dunkelheit. Moses hatte schon gehört, dass die Arbeiten an der neuen Stadt Pharaos mit großem Druck vorangetrieben wurde, er hatte auch gehört, dass an den Baustellen Tag und Nacht gearbeitet wurde. Aber so hatte er sich das nicht vorgestellt. Eine Stadt, in der Tags und nachts keine Ruhe herrschte, die immer geschäftig war. Und konnten die Menschen das aushalten? Schließlich fiel er in einen unruhigen Schlaf.





2.





Am nächsten Morgen verließ er nur halb ausgeruht und schlecht gelaunt das Schiff, wieder begleitet von zwei Ruderern als Eskorte. Er gab sich Mühe, den würdevollen Gang, den er sich während der Reise angewöhnt hatte und der seine Wichtigkeit unterstreichen sollte, beizubehalten. Langsam fragte er sich durch zu dem Obersten Würdenträger der Stadt, einem Mann namens Ptoma, wie ihm berichtet wurde. Er fand den Palast Ptomas in der Mitte der großen Baustelle, die Pitom noch darstellte. Und was war das für eine Baustelle! Ausgedehnte Prachtgebäude, noch unfertig, säumten das Ufer des Nils, errichtet auf großen Steinhügeln, zu denen gepflasterte Straßen hinauf führten. Die Rohbauten bestanden aus riesigen Quadersteinen, die tief aus dem Süden des Landes herangeschafft waren. Und noch in der Uferzone, aber etwas zur Stadt versetzt, der größte Palast, offenbar für den König geplant, von unübersehbaren Ausmaßen, größer als ganze Dörfer, die Moses unterwegs gesehen hatte, von der Uferstraße getrennt durch einen parkähnlichen Garten, der schon fertig war, mit hochgewachsenen, schlanken, alten Dattelpalmen, die offenbar, obwohl mehr als vierzig Jahre alt, noch versetzt worden waren. Dazwischen waren blühende Gärten angelegt, mit Beeten von Rosen, von Strelitzien, Tulpen, Lilien und anderen blühenden Pflanzen, die Moses, eigentlich an Prunk gewöhnt, noch nie gesehen hatte. Dahinter der Palast, noch nicht fertig, nur erst in den Ausmaßen zu sehen, weil die Wände schon standen, auch diese errichtet von den Quadern, die aus dem Süden kamen. Moses blieb stehen, um den Arbeiten zuzusehen. Jetzt gerade wurde ein Stein nach oben gehoben. Moses sah, wie zehn kräftige Männer Seile um den Stein banden, wie oben auf der Mauer weitere zehn Männer standen, oben waren Seile mit Rollen an einem fest verankerten Gestell angebracht und jetzt zogen die unten stehenden Männer mit aller Kraft an, der Stein hob sich und schwebte langsam, sehr langsam, nach oben, wo er von den Arbeitern in Empfang genommen und, noch schwebend, in die richtige Richtung und an den Platz dirigiert wurde.



Langsam löste sich Moses von dem Anblick und ging sinnend weiter. Die Männer hatten kräftig ausgesehen, nicht so ausgemergelt wie die Hebräer im Süden, ob das hier auch Hebräer gewesen waren?



Er verließ hinter der Baustelle das Ufer und ging auf einer gepflasterten Straße in die Stadt, weg vom Fluss, auf einen Palast zu, einer der wenigen Gebäude, die fertig waren.



„Melde mich deinem Herrn, dem Statthalter von Pitom; ich bin Moses, der Bote Pharaos, der den Fortgang der Arbeiten inspizieren soll.“ Eilfertig entfernte sich der Wächter, um Moses zu melden, und kam nach wenigen Augenblicken zurück. „Mein Gebieter lässt dich bitten.“



Moses trat durch das Tor in einen Garten, der ebenfalls groß angelegt, aber nicht von solchen Ausmaßen wie der des Königspalastes war. Hier waren die Springbrunnen schon mit Wasser gefüllt, sie plätscherten inmitten der Beete, durch den Hauptweg ging er, geführt von der Wache, auf das Gebäude zu, in dem Ptoma residierte, trat in einen Flur, der schattig war, eine Wohltat nach der sengenden Sonne, die schon jetzt, am Vormittag, die Hitze fast unerträglich machte. Die Balustrade war mit Malereien geschmückt und nach Süden und Norden mit Öffnungen versehen, die den Nordwind einließen, der jetzt noch linde wehte, aber ab Mittag die Hitze nur verstärken würde. Durch den Gang gelangten sie in einen Raum, der ebenfalls nach Süden und Norden offen war, mit Wänden aus reinem Marmor, über den kühlendes Wasser lief, gleichzeitig die Atmosphäre erfrischend und Farne wässernd, die von der Decke und an den Wänden hingen. Auch in der Mitte des Saales waren Springbrunnen und Wasserspiele eingelassen, die beruhigend plätscherten. Am Nordende war eine Sitzgruppe aufgestellt, von der sich drei vornehme Ägypter erhoben, als Moses eintrat. Der Älteste und Würdigste von ihnen war vielleicht vierzig Jahre alt, von gewaltiger Statur, mit einem kantigen Kopf, braunen, durchdringenden Augen und einem kräftigen Kinn unter dem schmalen Mund.



„Ich bin Ptoma, Statthalter Pharaos in der Baustelle Pitom“, begann er mit volltönender Bassstimme, „dies hier sind die Oberaufseher über die Arbeiten, Chenar und Hermet. Wir heißen dich, den Boten Pharaos, der die Bauten inspizieren soll, herzlich willkommen.“



„Ich danke dir, Ptoma, für deine freundlichen Worte“, erwiderte Moses, „aber die Bauten inspizieren, die unter deiner Aufsicht und der deiner Begleiter entstehen, das kann ich nicht. Pharao schickt mich nicht, euch zu kontrollieren. Wie ihr aber wisst, ist unser großer König Sethos an dem Fortgang der Arbeiten persönlich interessiert, ist doch diese Stadt seine zukünftige Hauptstadt. Er möchte sich durch mich von dem Fortgang der Arbeiten informieren, er wäre brennend gern selbst gekommen, wenn ihm seine Zeit das erlaubte.“



Ptomas Miene hatte sich bei den Worten Moses etwas aufgehellt. Er hatte sich schon gefragt, warum Pharao es für nötig hielt, die Arbeiten zusätzlich zu beaufsichtigen, wo doch er, Ptoma, die Leitung hatte. Und dann hatte er diesen hellhäutigen Grünschnabel gesehen, den der König schickte und sich noch mehr verwundert, was Pharao wollte. Aber die Worte Moses hatten seinem Erscheinen den Stachel genommen. Pharao war ungeduldig, das wussten alle im Reich, und ungeduldig erst recht, was seine Stadt Pitom anging. Moses sollte nicht beaufsichtigen, sondern über den Fortgang der Arbeiten berichten, nun gut, die Arbeiten schritten zügig voran, mochte der Bote das nach Theben berichten.



„Es ist gut, Moses, morgen zeige ich dir die Baustellen, aber auf jeden Fall bist du mein Gast, und zwar während deines ganzen Aufenthaltes hier, ich bitte dich, und heute Abend werden wir gemeinsam speisen“



Moses dankte ihm nickend und so rief Ptoma einen Diener und gab ihm den Auftrag, Moses die Gastgemächer zu zeigen. Moses schickte seine bisherigen Begleiter zum Schiff zurück, sie sollten dem Schiffsführer ausrichten, morgen früh erhielte er neue Befehle.



Ptoma bewirtete den hohen Gast aus Theben am Abend mit ausgesuchter Höflichkeit, die Zimmer, die er Moses zugewiesen hatte, waren weitläufig, elegant und kühl, so dass Moses am nächsten Morgen ausgeruht Ptoma bat, nun mit ihm in die Stadt zu gehen. Der Statthalter ließ es sich nicht nehmen, seinen Gast selbst zu begleiten, mit einem stattlichen Gefolge. Auf Bitten Moses besichtigten sie zuerst den zukünftigen Königspalast, den Moses schon gestern bewundert hatte. Als sie auf das Gebäude zugingen, fiel Moses geschäftiges Treiben am Ufer des Nil auf.

 



„Wir müssen die Baustelle gegen die Fluten des Flusses schützen“, erklärte Ptoma, „der Nil steigt, die Priester erwarten eine sehr hohe Flut, wir haben Dämme gebaut, damit das Wasser nicht die Baustellen behindert, aber mein Oberaufseher hat versäumt, auch hier rechtzeitig den Damm zu errichten. Das wird jetzt nachgeholt.“



Hunderte von Menschen schufteten am Ufer, Moses nahm sie zunächst nur als sinnloses Gewimmel wahr. Als er näher hinsah, bemerkte er die unterschiedlichen Tätigkeiten: Die einen waren damit beschäftigt, unermüdlich kleine Kiesel und Erde herbei zu schaffen. Andere schichteten die Steine und bildeten damit das Fundament für den Damm, der dann aus einem Lehmgemisch, durch Mauern verstärkt, um das Fundament errichtet wurde. Von beiden Seiten wurde gearbeitet, Moses konnte den Damm fast wachsen sehen. Er sah allerdings auch, wie nahe der Nil schon an der Uferkrone stand, es fehlte nicht viel und er würde sein Flussbett verlassen und die Stadt überschwemmen.



„Wie lange brauchen sie denn, um den Damm fertig zu stellen?“, fragte er neugierig.



„Wenn sie in diesem Tempo weitermachen, bis heute Abend, und vor morgen oder übermorgen steigt der Nil nicht so hoch, wir werden rechtzeitig fertig, um den Bau und vor allem den Garten zu schützen“, beruhigte ihn Ptoma.



„Und das sind Hebräer, die da arbeiten?“ Moses sah nun Einzelheiten. Er betrachtete die unterschiedlichen am Bau beschäftigten Menschen. Da waren Ägypter, in Arbeitsleinen gekleidet, die offenbar lediglich Anweisungen gaben, unter ihnen einige, die mit langen Peitschen bewaffnet waren, von denen sie ohne weiteres Gebrauch machten, und zwar auf den Rücken der Arbeiter. Diese hatten durchweg hellere Haut als die Aufseher, so hell etwa wie die Moses. Einige von ihnen hatten dunkelblondes Haar, eine Farbe, die bei den Ägyptern so gut wie nie vorkam. Unter ihnen gab es junge Burschen, stämmig, mit starken Muskeln bepackt, die die großen Karrenwagen mit Steinen beladen zogen, andere schleppten das Material von den Karren zur Baustelle. Die meisten wirkten allerdings nicht kräftig, es waren Männer aller Altersgruppen, auch ganz alte, ausgemergelte dabei. Alle trugen sie lediglich einen Schurz aus Leder um die Hüften, die Rücken waren bloß, den Peitschenhieben der Aufseher wehrlos ausgesetzt. Als Moses noch genauer hinsah, ging es ihm wie ein Stich durch das Herz. Die hebräischen Männer waren schmutzig, so schmutzig, wie Moses sich das bisher nicht hatte vorstellen können. Die Rücken waren voll Staub, mit Blut aus den Hieben gemischt, schweißnass, und jetzt, als sie näher kamen, hörten sie das unterdrückte und zum Teil laute Stöhnen und Jammern, unter dem die Männer ihre Arbeit verrichteten.



„Musst du sie denn schlagen lassen?“, fragte Moses erbittert. Ptoma schaute auf. Er war verwundert, dass der königliche Bote sich für die hebräischen Sklaven interessierte. Er, Ptoma, hatte noch nie einen Gedanken an sie verschwendet. Klar, wenn sie so hart heran genommen wurden, starben sie, vor allem die Alten und die, die nicht so stark waren. Aber was lag daran? Wenn sie starben, wurden sie durch andere ersetzt, die Dörfer der Hebräer in der Nähe waren voll von ihnen, ein unerschöpfliches Reservoir, darüber brauchte man sich nun wirklich keine Gedanken zu machen. Aber Moses ließ nicht locker:



„Arbeiten sie denn nicht besser, wenn sie nicht geschlagen werden?“



„Nein, sie sind das gewöhnt. Wenn man nicht auf sie aufpasst, werden sie langsam und schaffen ihr vorgeschriebenes Pensum nicht. Und dann ziehen wir die Aufseher zur Verantwortung. Und die meinen, dass die Hebräer ohne Schläge gar nicht richtig arbeiten können. Sie brauchen das. Überhaupt, was machst du dir eigentlich so viel Sorgen um diese hebräischen Sklaven? Sie vermehren sich in ihren Dörfern so schnell, dass wir froh sind, wenn sie bei der Arbeit sterben. Wenn sie nicht in Schranken gehalten werden, sind sie bald mehr als wir Ägypter, und dann verlassen sie ihr Reservat, das ihnen in Gosen zugewiesen ist. Und wenn du schon mit ihnen Mitleid hast, solltest du mal eines ihrer Dörfer besuchen“, Ptoma schüttelte sich vor Ekel, „schmutzstarrend, voller Gewalttätigk