Moses, der Wanderer

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Moses, der Wanderer
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Das Buch

Moses ist Feldherr und Ägypter, aber auch Abkömmling der unreinen und zerlumpten Hebräer. Er gilt heute als der Stifter der jüdischen und christlichen Religionen und doch weiß niemand, ob er je gelebt hat.

In diesem historischen Roman ersteht die Welt Moses in seiner Zeit, das Reich der Ägypter und die Parallelgesellschaft der Hebräer in Ägypten vor unsern Augen, wir erleben die Not des Volkes Israel und seine Flucht, seinen Hunger bei der Wanderung durch die Wüste und seine Tapferkeit. Und immer ist Moses bei ihm, groß, aufrecht, stark und innerlich von Zweifeln zerrissen. Ist er Abgesandter Gottes oder nur ein rechthaberischer, selbstgerechter Mann, der sich zum Führer des Volkes Israel aufschwingt?

Josua, Moses Nachfolger, erzählt dem jebusitischen Schreiber Abdi Hepa die Geschichte vom Auszug aus Ägypten, damit er sie aufschreibt.

Der Autor

Geboren 18.08.1946 aufgewachsen in Emlichheim, Grafschaft Bentheim, Niedersachsen. Gymnasium in Nordhorn, 1966 Abitur.

Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen, 2. Juristische Staatsprüfung in Hamburg 1976.

Seit 1979 selbständiger Rechtsanwalt, seit 1983 auf Notar, in Bremerhaven.

Er lebt in Bremerhaven, ist verheiratet und hat keine Kinder.

Anfänge schriftstellerischer Tätigkeit etwa 2004.

Bisher sind von ihm erschienen:

„Rudolf Mittelbach hätte geschossen“ (2012)

„David, König der Israeliten“ (2012)

„Der Lauf der Zeit“ (2014)


Impressum:

©Copyright 2016: Friedrich von Bonin

Epubli Verlag GmbH, Berlin

ISBN 978-3-7375-4627-0

Friedrich v. Bonin

Moses, der Wanderer

Historischer Roman

Von Sonn´ und Welten weiß ich nichts zu sagen,

ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen

der kleine Gott der Welt ist stets vom gleichen Schlage

und ist so wunderlich als wie am ersten Tage

(Goethe, Faust 1, Vorspiel im Himmel)

1.

Wer ist Gott? An dieser Frage reiben sich seit Jahrhunderten und Jahrtausenden die Menschen auf, in unserem Kulturkreis die Juden, die Christen und die Muslime. Ist er der Gott der Juden, Jahwe, ist er die dreieinige Gottheit, Gott, Christus und Heiliger Geist oder ist er Allah, den Mohammed beschrieben hat?

Oder findet sich Gott gar in den Religionen der fernöstlichen Religionen, ist er Buddha, männlich, Shiva, weiblich, mehrere Götter wie im Shinto oder noch weiter?

Ist Gott nicht einer und nicht viele, ist Gott nicht alles, in allem und über allem?

Ist Gott vielleicht im mittleren Westen der USA, in dem aufrechte und ehrfürchtige Bewohner hadern mit der modernen Welt, Menschen, die die Erkenntnisse der Physik, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entstehung der Arten aus dem Schulunterricht zu verbannen suchen, weil diese Weisheiten nicht denen ihrer Heiligen Schrift entsprechen?

Oder ist Gott vielleicht gar nicht? Ist er vielleicht untergegangen, hat aufgegeben angesichts der Gier des modernen Menschen der sogenannten westlichen Welt nach immer mehr Geld, Konsum oder Macht, nach Frauen und Luxus?

Oder hat er nie existiert, ist er die Erfindung von Menschen, die in namenloser Furcht vor dem Tode Schutz suchten in der Vorstellung von einer besseren Welt nach diesem Tode, in ihrer Angst vor den Schrecken des Lebens den Trost brauchten des Unterdrückten vor den Gewalten der Unterdrücker, die vor der Regellosigkeit des Lebens eine Regel, ein Gesetz suchten?

Fragen über Fragen, deren Antwort wir nicht kennen und auch nicht zu erfahren hoffen. Auf unserem Weg zur Formulierung dieser Fragen, nicht zu ihrer Beantwortung, stoßen wir auf eine Reihe von Überlieferungen, eine aufregender als die andere, Überlieferungen, die von Gründungen berichten, von Untergängen, von Brüchen, von Kriegen und Friedensschlüssen, einige banal, andere von dramatischer Bedeutsamkeit. Wir sahen Reiche wie das Perserreich, die griechischen Republiken, das Römerreich, das Heilige römische Reich deutscher Nation, aufsteigen und untergehen, wir sahen Nationen entstehen und vergehen.

Und wir fragten uns nach ihren Göttern, nach denen, die die Ideologie dieser Reiche bestimmten, nach den Religionen der Menschen und wo sie herkamen.

Auf diesen Reisen begegnete uns immer wieder ein uraltes Staatsgebilde, das sich über Jahrhunderte und Jahrtausende hielt, dessen Untergang wir sahen, nicht aber sein Entstehen, Ägypten. Als die jüdisch christliche Tradition begann, mit Abraham, Isaak und Jakob, waren die Pyramiden längst erbaut, in damals schon grauer Vorzeit, in die schon zu der Zeit niemand hinunterblicken konnte, keine Überlieferung gab es, nur verschwommene Nachrichten.

Und in diesem uralten Reich begegnet uns eine Gestalt, breit und hoch, schwarzbärtig, angestrengt, energisch und stotternd von Glauben, rechthaberisch und machtvoll: Moses. Moses, an den von den drei großen Religionen, die ihren Ursprung in jenem Stück Wüste zwischen Ägypten, dem Roten Meer, Sinai und Palästina haben, erinnert wird, Moses, der das Volk der Hebräer lehrte, es gebe nur einen Gott und die Götter der Ägypter seien sündhaft, ihre Lebensart verdammenswert. Damit brach er alle Traditionen der Religion, die bisher jede Art von Gottheit zu verehren gestattete, der erste Stifter einer Religion, in der ein eifersüchtiger Gott darauf achtete, dass es außer ihm keinen Gott gebe. Der erste?

Forscher haben auf ein seltsames Phänomen hingewiesen: Ob Moses je gelebt hat, ist unter Historikern äußerst umstritten, um nicht zu sagen, wird geleugnet. Ein anderer ist in Ägypten gewesen, dessen Existenz verbürgt ist und der ebenfalls gelehrt hat, es gebe nur einen Gott und die Verehrung aller anderen Gottheiten sei sträflich und verwerflich: Amenhotep der Vierte, ein Pharao in Ägypten, der sich selbst während seiner Herrschaft in „Echn´aton“ umbenannte und der weit vor der Zeit, in der das Leben Moses vermutet wird, gelebt hat. Echn´aton nahm ein schlimmes Schicksal, nicht nur, dass ihm nur relativ kurze Zeit zu herrschen vergönnt war, eine Zeit, in der es ihm trotz ihrer Kürze gelang, einen totalitären und repressiven Gottesstaat aufzubauen. Seine Erinnerung wurde auch noch von den ihm folgenden Pharaonen aus den Annalen getilgt, zu gefährlich war diese Lehre, als dass man sie in der Welt hätte lassen können. Er sei ein Ketzerkönig gewesen, dessen Nennung strafbar war, so strafbar, dass er tatsächlich für mehr als dreitausend Jahre vollkommen vergessen war, bis erste Kunde von ihm Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckt wurde.

Der eine, Echn´aton, geschichtlich verbürgt, vergessen, der andere, dessen historische Existenz höchst zweifelhaft ist, Moses, durchgängig bis in unsere Tage erinnert und verehrt. Wer war er also, dieser Moses, oder besser, wer war er nicht und an wen erinnern wir uns? Wir jedenfalls glauben an seine Geschichte, er gab seinen Zeitgenossen, den Hebräern, den einen Gott, und der gab ihnen das Gesetz. Wer also ist dieser Gott? Ist er Gott oder ist er das Gesetz? Wir wollen diesem Moses in seine Zeit folgen, wollen ihm hinterher spüren, um unseren Fragen näher zu kommen.

2.

Wir wollen es ganz zu Anfang bekennen: Wir erzählen die Geschichte Moses, weil wir von den Geschichten des Alten Testamentes nicht loskommen, Geschichten, die voller Leben sind, voller Abenteuer, Tod und Verdammnis, aber auch voller Liebe und unendlichem Glück. Es sind Geschichten, die das Alte Testament erzählt, es ist nicht Geschichte, die beschrieben wird. Wollten wir Geschichte schreiben, nicht Geschichten, ist sehr fraglich, ob wir uns der Person Moses überhaupt genähert hätten.

Geschichtsschreiber haben sich erbitterten Streit geliefert, zum Beispiel, ob die Religion des Einen Gottes, die über den Glauben der Juden, über das Christentum, oder über den Islam auf uns gekommen ist, ihren Ursprung in Ägypten hatte. Ja, sagen die einen, vor Moses hat der genannte Echn´aton als Pharao in Ägypten regiert und die Lehre von dem Einen Gott verbreitet, er war der erste.

Nein, antworteten die Zweiten, vor Echn´aton hat sich schon Abraham, dem Urvater unseres Glaubens, Jahwe offenbart, der eine, der der Alleinige Gott ist.

Aber, erwidern wieder die ersten, woher wollen wir denn wissen, ob Abraham je gelebt hat, ob er wirklich Gott gesucht und gefunden hat? Von Echn´aton wissen wir, er ist in den ägyptischen Schriften genannt. Von Abraham wissen wir nichts, nur das, was im Alten Testament steht.

Moses hat zur Zeit Ramses des Zweiten gelebt, sagen Geschichtsschreiber. Ramses der Zweite war einer der mächtigsten Pharaonen in der Geschichte Ägyptens überhaupt. Hätte der zugesehen, wie sechshunderttausend waffenfähige Männer aus Ägypten auszogen und vierzig Jahre vor seiner Nase im Sinai herumzogen? Niemals!

Hat Moses also vor oder nach Ramses gelebt? Hat Moses überhaupt gelebt? Mit diesen Fragen müssten wir uns beschäftigen, wenn wir Geschichte schreiben wollten, und tatsächlich hat es Versuche genug gegeben, Moses als geschichtliche Figur einzuordnen, mit mehr oder weniger Sachkenntnis, aber immer mit viel Spekulation, sowohl was die Personen, die Zeiten und die geographischen Verhältnisse angehen.

Wir lassen die geschichtlichen Fragen unangetastet. Wir werden die Rätsel, die um Moses ranken, nicht auflösen. Wir wollen einer Geschichte hinterherspüren, die wir uns spannender nicht ausdenken können, die aber in der Quelle, dem Alten Testament, an entscheidender Stelle für unseren Geschmack von zu großer Kürze ist, die Zusammenhänge nicht berührt, die uns an der Geschichte interessieren. An anderer Stelle ist die Quelle, vor allem, wenn es um Stammbäume geht oder um die einzelnen Gesetze, die Gott gab, von einer ausschweifenden Ausführlichkeit, die wenigstens uns manchmal langweilig erschien.

 

Wir haben uns daher vorgenommen, die Geschichte zu erzählen, damit sie sich für uns wieder hören lassen kann.

I Abdi-Hepa

1.

Eine grelle Sonne, blendend, aber nicht wärmend, stieg über die Berge im Osten, die vor Sonnenaufgang nur als schwarze weiche Linien in den dunklen Nachthimmel geragt hatten und fing an, sie zu färben, erst dunkelblau, dann in ein rötliches ocker um schließlich den lindgrünen Flaum zu belichten, den die langen und ausgiebigen Winterregen auf die Berghänge gezaubert hatten. Noch immer war der Winter nicht vorbei, im Schein der aufgehenden Sonne jagten sich im Westwind schwarze Wolken. Natürlich waren die Hirten froh über den Segen, den das Himmelswasser brachte, das die Weiden grün gefärbt und durch das die Herden reichlich Futter hatten.

Ich dagegen liebe die Wärme der Sommersonne, die Hitze meinetwegen, und leide unter dem Winter. Fröstelnd zog ich die Wolldecke fester, in die ich mich gehüllt hatte und beschleunigte meinen Schritt.

„Komm morgen zu Sonnenaufgang“, hatte mein Auftraggeber gesagt, „und sei pünktlich, ich hasse Unpünktlichkeit.“

Und so war ich genau zur festgesetzten Stunde am Ziel, denn hier, am Weg zu dem Pass Michmas, der in das Ephraim Gebirge führte, lag einsam am Berghang, das feste und große Haus des greisen Josua, des Propheten und Richters Israel, der mich gerufen hatte. Und dem Ruf Josuas gehorchte man, wenn man in diesen Zeiten in Kanaan lebte.

An der Südostseite des Hauses, auf einer Bank, sah ich die stille, zusammengesunkene Gestalt des Hausherrn, der unbeweglich sein Gesicht in die aufgehende Sonne hielt und mich nicht wahrzunehmen schien.

„Glaubst du an Jahwe, Hepa, und befolgst die Gesetze?“

Er hatte mich also doch gesehen, oder vielmehr gehört, denn es war allgemein bekannt, dass Josua seit Jahren vollkommen blind war, dass sich aber in dem Maße, wie sein Augenlicht abnahm, sein Gehörsinn schärfte. Er nannte mich bei meinem Kurznamen, eigentlich heiße ich Abdi-Hepa, das war aber den Israeliten von je her zu lang.

„Das sind gleich zwei Fragen, Herr“, antwortete ich bescheiden, „welche soll ich zuerst beantworten?“

„Du irrst dich, Hepa, es ist in Wirklichkeit nur eine Frage. Denn wenn du an Gott glaubst, befolgst du auch seine Gesetze, oder du wärest dumm, was ich nicht glaube. Befolgst du aber die Gesetze Jahwes, bist du gläubig, warum sonst solltest du sonst seine Gesetze befolgen? Merke: Gott und die Gesetze sind eins, Moses, unser Prophet, hat uns aus dem ägyptischen Diensthaus geführt und uns den Gott unserer Väter zurückgebracht und mit ihm seine Gesetze. Sie stammen von Gott, Moses hat sie uns nur gebracht, damit wir, das Volk Israel, sie befolgen und ihr mit uns. Denn wenn wir seine Gesetze nicht achten, straft der Herr das ganze Volk.“

Ich schwieg. Was hätte ich antworten sollen? Etwa, dass ich, Hepa, aus dem Dorf Jerusalem keineswegs zu seinem Volk gehöre? Oder dass der Jahwe des Volkes Israel keineswegs auch mein Gott war oder unser Gott? Dass ich Jebusiter sei, Angehöriger eines Volkes, das seit Menschenaltern in Kanaan wohnte und das von den eindringenden Israeliten erst besiegt und dann unterdrückt worden sei? Nein, dergleichen antwortete man nicht, wenn man Jebusiter war und dem mächtigen, wenn auch uralten Josua gegenüberstand.

Josua hatte mich rufen lassen und gefragt, ob ich bereit und in der Lage sei, die Geschichte, die er zu erzählen habe, die Geschichte von Moses Leben und dem Auszug seines Volkes aus Ägypten, anzuhören und aufzuschreiben. Er wusste, dass ich ein Geschichtsschreiber war, mein Ruf ist, ohne falsche Bescheidenheit gesprochen, in ganz Kanaan und darüber hinaus bekannt. Ich habe in Ägypten bei den bedeutendsten Lehrern studiert, Geschichte, Astronomie, Gottesgelehrsamkeit und die Kunst des Schreibens und Lesens und bin dann aus Ägypten, wo ich die Priesterschulen in Theben, in On und in Memphis besucht habe, nach Kanaan zurückgekehrt. Das Leben eines Privatgelehrten in Kanaan erschien mir erstrebenswert, ich hatte mich auf eine angesehene Stellung unter den Jebusitern gefreut. Aber niemand wollte oder konnte mit meinen Künsten etwas anfangen, niemand war bereit, mir eine Stellung zu geben, mit deren Erträgen ich meinen Lebensunterhalt fristen konnte, und so schlug ich mich mit einzelnen Schreibaufgaben durch das Leben. Ernähren konnte ich mich durch diese Arbeiten nicht, ich würde verhungern, könnte ich nicht meine Einnahmen durch Hirtentätigkeit aufbessern.

Das Leben war nicht einfach für uns nach der Ankunft dieser Israeliten, die aus dem Osten kamen vor etwa einem Menschenalter. Ich war ein Kind damals, meine Eltern lebten ein friedliches Leben in dem kleinen Dorf Jerusalem, mein Vater war der Oberpriester der Göttin Astarte und lebte von den Opfergaben, die die Menschen in der Umgebung ihm und seiner Familie gerne brachten dafür, dass er um Fruchtbarkeit flehte, und, wie ich mit Stolz bemerke, nicht vergebens flehte. Die Bauern in unserer Gegend waren mit reichlichen Oliven-, Orangen- und Weinernten gesegnet und zeigten freigebig ihre Dankbarkeit gegen die Göttin. Das ging gut, bis die Israeliten kamen und mit mehreren großen Schlachten, einer bei Jericho und einer hier im Ephraim Gebirge, nicht nur uns Jebusiter, sondern auch die Kanaaniter, die Amalekiter und andere Völkerschaften besiegten und sich zu Herren des Landes aufwarfen. Sie waren Nomaden, aber sie hielten fest zusammen wie ein Volk und vor allem, sie verehrten einen Gott, Jahwe. Wer mit ihnen, die die Herren des Landes waren, zu tun haben wollte, musste diesen Jahwe verehren, allen andere Göttern abschwören und ihre Gesetze einhalten.

Gebote, die einzuhalten teilweise einfach war. Wer würde nicht akzeptieren, dass das Erschlagen anderer Menschen verboten sei? Wer nicht, dass man seine Eltern ehren soll? Aber dass wir nur einen, nämlich ihren Gott verehren sollten, dass wir uns mit Frauen, die uns gefielen, nicht einfach vereinigen durften, dass sogar Frauen sich nicht Männer auswählen durften, das war nicht nachvollziehbar.

Und doch, was sollte ich tun? Ich bekannte mich zu ihrem Gott Jahwe, ich gab vor, ihre Gesetze heilig zu halten, und heimlich opferte ich weiter unseren Göttern, wenn mir eine Frau gefiel, fragte sich sie, ob ich ihr auch gefiele. Wenn sie zustimmte, liebten wir uns, ohne dass ich diese Abenteuer etwa den Israeliten oder ihren Priestern erzählte. So galt ich bei den israelitischen Besatzern und ihrem obersten Propheten, Josua, als frommer Mann und so war Josua auf mich verfallen, als er seine Geschichte aufgeschrieben haben wollte.

Geizig war er. Ich forderte fünf Schekel für die Arbeit einer Woche. Allein vier Tage feilschten wir um diesen Preis, er bot zuerst nur einen Schekel und nach vier Tagen einigten wir uns auf drei Schekel.

„Aber dann ist das Papyrus im Preis inbegriffen“, forderte er mit seiner vor Alter knarrenden, befehlsgewohnten Stimme.

„Großer Prophet“, antwortete ich, „kennst du die Preise von Papyrus? Wenn das Material in den drei Schekeln enthalten sein soll, zahle ich noch aus eigenen Mitteln dazu, denn das Papyrus kostet sicher mehr als diese drei Schekel, und meine Mittel sind knapp.“

Und das Feilschen begann von vorn, nach weiteren zwei Tagen hatte ich mich auf zweieinhalb Schekel herunterhandeln lassen, aber er bezahlte Papyrus, Feder und Tinte.

Heute nun sollte die Arbeit beginnen, heute bei Sonnenaufgang und hier war ich.

2.

„Es ist eine eigenartige Geschichte um Moses, er war einer der gottestreuesten Menschen, die ich gekannt habe“, sagte Josua nachdenklich und sah mit seinen blinden Augen auf die Berge, die nun in sattem Grün strahlten. Die Regenwolken hatten sich vorerst verzogen, aber es wehte immer noch ein kühler Westwind, so dass wir uns beide fester in unsere Umhänge wickelten, „so gottestreu wie er war, hat Jahwe ihm doch nicht gestattet, die Früchte seiner Arbeit zu sehen und ihn zu seinen Vätern versammelt, ohne dass er je nach Kanaan kommen durfte. Ich durfte sein Werk vollenden.“ Er schwieg.

Ich saß neben ihm und verfolgte, wie die Sonne am Himmel immer höher stieg, wie sie trotz der Jahreszeit zu wärmen anfing und legte nach einiger Zeit meinen Wollumhang ab. Josua schien sich dagegen noch fester zu umwickeln. Ich nahm ein leichtes Frösteln an ihm wahr.

„Das Alter zieht mir die Wärme aus dem Körper“, murmelte er, „Jahwe, du tätest vielleicht besser daran, mich auch sterben zu lassen. Das Leben weicht mit der Wärme aus mir.“

Wieder schwieg er.

Ich fing an, mir Sorgen zu machen. Er begann nicht mit der Erzählung, die ich aufschreiben sollte. Wollte er nicht oder war sein Geist nicht mehr bei ihm? Vorsichtig wollte ich ihn auf die Spur bringen.

„Warst du von Anfang an dabei?“, fragte ich leise.

„Wo ist Gott?“, begann er, als hätte er mich nicht gehört, „er war bei mir, als ich Moses aus der Gefangenschaft in Pitom befreite, als ich mit ihm nach Theben ging. Zum letzten Male hörte ich ihn, als wir Jericho eroberten, auf diese kuriose und unmögliche Art. Direkt in meinem Kopf war er, wie auch vorher schon. Ich solle Kundschafter nach Jericho schicken, wies er mich an.

Wir standen, unser dreißigtausend, davon fünftausend meiner Krieger, die ich gut ausgebildet hatte, am anderen Jordanufer und sahen auf das gelobte Land und auf die erste Stadt in diesem Land, Jericho. Eine Stadt war das, von starken Mauern umgeben, und die Mauern, wir konnten das von der anderen Seite des Flusses sehen, mit starken Kräften besetzt. Während des ganzen Marsches unseres Volkes habe ich immer darauf geachtet, meine Armee zu vergrößern. Hatte ich beim Auszug aus Ägypten noch kümmerliche tausend Mann unter meinem Kommando, die auch noch gar nicht oder schlecht bewaffnet waren, so war meine Armee auf fünftausend Mann angestiegen, als wir Jericho sahen, alle gut bewaffnet und ausgebildet. Ich war immer der Macher gewesen unter Moses Führung und so wollte ich auch, als Moses gestorben war, Jericho mit meiner Armee erobern. Stürmen, war die Devise, die Mauern erstürmen und die Stadt einnehmen. Das würde schwer werden, das war mir klar, wir hatten keinerlei Belagerungswerkzeug, mit dem wir den Mauern etwas anhaben konnten.

Aber Jahwe verbot das Stürmen. Drei Kundschafter solle ich in die Stadt schicken, die von ihm, Jahwe, künden sollten und die Behörden auffordern, uns einzulassen. Ich schüttelte zwar insgeheim den Kopf, aber wer war ich, Jahwe zu widersprechen, also schickte ich die Kundschafter.

Mit Schimpf und Schande seien sie aus der Stadt getrieben worden, mit Hohngelächter, berichteten sie, kaum dass sie ihr Leben retten und flüchten konnten und hier seien sie nun.

Gut, so Jahwe in meinem Kopf, dann sammle mein Volk Israel, alles, was gehen kann, die ganzen dreißigtausend Menschen, mit all ihrem Hab und Gut und setze auf die andere Jordanseite.“

„Aber dann ist doch das ganze Volk gefährdet, wenn sie einen Ausfall machen und die Menschen angreifen, die nicht kämpfen können“, wandte ich in meinem Kopf ein. Das bekam mir aber nicht gut.

„Setze mein Volk über“, kam die knappe Anweisung, ein Befehl, nicht etwas, was man diskutieren konnte.

Also setzte ich über den Jordan, eine schwierige Arbeit, alle Menschen, alles Vieh, ihr Hab und Gut, alles über den Strom, der glücklicherweise zu der Zeit nicht tief und reißend war, wie er es manchmal im Winter ist. Das dauerte fast zwei Tage und unablässig mussten wir den Spott der Kanaaniter aus Jericho ertragen.

„Nun ziehe um die Stadt, mit allem, mein ganzes Volk umkreise die Stadt, dreimal, ganz herum.“

Ich wagte nicht mehr, Jahwe zu widersprechen, zu klar waren seine Anweisungen. Also umkreiste ich dreimal die Stadt, wieder mit Sack und Pack und allen Menschen und allem Vieh. Von den Mauern sahen sie auf uns herab, die Einwohner, und höhnten, ob wir meinten, so die Stadt erobern zu können, sie warfen nicht einmal brennendes Pech auf uns, wir waren es ihnen wohl nicht wert. Nach diesem Marsch errichteten wir unser Lager am Ufer des Jordan und ich erwartete, nun den Befehl zum Sturm zu erhalten. Nein! Wieder sollten wir am nächsten Tag die Stadt umrunden, wieder dreimal! Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, aber seltsamerweise murrte das Volk Israel nicht, es schien die Anordnungen Jahwes besser zu verstehen als ich.

 

„Und nun lasse alles Vieh, alles Hab und Gut im Lager zurück“, befahl Jahwe am dritten Tag. „Nur die Menschen lass die Stadt umkreisen, und deine Männer sollen ihre volle Bewaffnung tragen und die Hörner der Widder, die ihr mit euch führt für Signale, sollen sie während des ganzen Marsches um die Stadt mit voller Kraft blasen.“

Da lachten sie nicht mehr, die Einwohner, als sie die Menschen sahen, meine Krieger und das Volk und als sie die Hörner hörten, da gefror ihnen das Blut in den Adern und es war, als stürzten die Mauern von Jericho ein, so schnell öffneten sie die Tore, als wir die Stadt einmal umrundet hatten.“

„Mein Herr und Prophet Josua, soll ich das alles mitschreiben? Ist es nicht besser, von vorne zu beginnen?“, fragte ich noch einmal vorsichtig.

Wieder war es, als hätte ich nichts gesagt.

„Danach hat er nicht mehr mit mir gesprochen, es war das letzte Mal. Und dabei begann doch jetzt erst die schwere Zeit, wir mussten das Land erobern, das Jahwe uns versprochen hatte.“

Auch hier ersparte ich mir den Kommentar. Ich hatte die Geschichten von den Hebräern gehört, die aus Ägypten abgezogen waren, ein zerlumpter Haufe ungesunder Menschen, unterdrückt von den Ägyptern und rechtlos.

Was hier in Kanaan nach langer Zeit ankam, das war ein diszipliniertes, gesundes und kräftiges Nomadenvolk, voller Glauben an seinen Gott und voller Eroberungslust. Man hätte meinen können, die Hebräer hätten Erinnerungen gehabt an die Zeit, als sie selbst unterdrückt waren und hätten die geschont, die in dem Land lebten, in das sie einfielen. Aber weit gefehlt! Als sie uns besiegt hatten, stellten sie uns vor die Wahl, uns ihrem Gott anzuschließen oder das Land zu verlassen. Aber auch uns, die wir uns zu ihrem Gott bekannten, betrachteten sie als Menschen zweiter Klasse. Ein Israelit von Geburt zu sein, von dem Volk Abrahams, das betrachten sie als eine Art Adel.

Aber auch diese Gedanken durfte ich ihrem obersten Propheten nicht sagen.

„Wann beginnen wir denn mit den Aufzeichnungen, großer Prophet?“, fragte ich zum dritten Mal und diesmal hörte er mich.

„Richtig, die Aufzeichnungen. Hepa, hast du Feder, Tinte und Papyrus mitgebracht, dann beginnen wir jetzt.“

„Hier habe ich alles“, und ich deutete auf meinen Leinensack, in dem ich mein Schreibwerkzeug untergebracht hatte, „wie möchtest du die Geschichte aufgeschrieben haben, o Josua, willst du selbst als Erzähler genannt werden, so dass wir in der Ichform schreiben oder soll ich auch von dir als einer fremden Person schreiben?“

„Natürlich schreibst du so, dass nicht ich das alles erzähle, sondern als ob ein Fremder schreibt.“

„Wenn du beginnst, werde ich Stichworte schreiben und am Abend eine Reinschrift fertigen, die ich dir am nächsten Morgen vorlese, findet das deine Billigung?“

„Mach es so, wie du meinst, Hepa“, er zeigte sogar die Andeutung eines Lächelns, „aber du brauchst es mir nicht jeden Tag vorzulesen, das dauert zu lange und dein Honorar wird unendlich sein.“

„Gut, Herr, willst du dann beginnen?“

Josua begann nachdenklich, mit langsamer Stimme, zu erzählen:

„Moses hatte sich vor der Hitze des Tages in das Schilfhaus zurückgezogen, das für ihn am Heck des Schiffes aufgebaut worden war.“