Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43

Text
Aus der Reihe: maritime gelbe Buchreihe #144
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Kapitel vier – Streifzug westlich vom Mississippi

Kapitel vier – Streifzug westlich vom Mississippi

In St.-Louis hatte ich Briefe und Geld von New-York erwartet, da mir mein Kompagnon fest versprochen hatte, es dorthin zu senden. Zu meiner nicht geringen Bestürzung fand ich aber auch nicht das Geringste vor. Der gute Mann dort in New-York dachte wahrscheinlich, er sei mich jetzt los, und hoffte vielleicht gar, was ich auch später bestätigt hörte, dass ich auf meinem wilden, abenteuerlichen Zug irgendwo die Wölfe oder Fische füttern solle.

Mein Wunsch war gewesen, Texas zu besuchen. Wie sollte ich das aber, jetzt ganz ohne Mittel, möglich machen? Da brachten mich die vielen, nach New-Orleans bestimmten Dampfboote auf eine andere Idee. Wenn ich einen Platz als Arbeiter auf irgendeinem dieser Boote bekommen konnte, war mir geholfen, und ich hatte dann nicht allein freie Passage, sondern verdiente auch noch etwas unterwegs. Die Boote selber machten mir da einen Strich durch die Rechnung, denn es war Winter, wo überhaupt viele Leute stromab nach New-Orleans ziehen, und jede Stelle an Bord war besetzt.

Was nun tun? St.-Louis wollte ich doch auch nicht augenblicklich wieder verlassen, ohne es wenigstens etwas gesehen zu haben. Ich bedurfte auch wirklich einer kurzen Ruhe nach der Anstrengung, des letzten Marsches. Außerdem hatte ich immer noch die stille Hoffnung, dass doch noch am Ende ein Brief von New-York während meiner Anwesenheit eintreffen könne.

Glücklicherweise traf ich hier ein paar Schiffskameraden von der „KONSTITUTION“, die sich in ziemlich guten Umständen befanden. Diese merkten bald, woran es mir fehlte, und boten mir freundlich ein Darlehn an. Ich mochte aber keine großen Schulden machen, da ich ja gar nicht wusste, wann ich sie wieder bezahlen konnte; nur einige Dollars nahm ich an, der augenblicklichen Verlegenheit wenigstens enthoben zu sein, und mit drei anderen Dollars, die ich für einiges Wild erhalten, hoffte ich schon wieder ein Stück westlich zu kommen. War dann mein Geld ausgegangen, so wollte ich arbeiten, und einer der Farmer im Walde würde schon irgendeine Hilfe brauchen.

In St.-Louis mietete ich mich unterdessen für eine Woche im „Grünen Baum“, einem der besseren amerikanischen Boarding-Häuser, ein und durchstreifte die Stadt nach allen Richtungen.

Das Boarding-Haus selber war mir im Anfang aber das Interessanteste, denn ich lernte hier zum ersten Mal wirklich amerikanisches Leben, und zwar der besseren Stände, kennen. Ich müsste aber lügen, wenn ich sagen wollte, dass ich davon sehr erbaut war.

Zuerst setzte mich die Art ihres Essens – ich möchte beinahe sagen Fressens – in Erstaunen. Zu jeder Mahlzeit wurde zweimal geklingelt, einmal die Gäste zu sammeln und das zweite Mal als Zeichen, dass man sich zu Tische setze. Die Gäste drängten sich schon bei der ersten Klingel in dichten Scharen an die Tür, da sie nach festem Übereinkommen den Speisesaal vorher nicht betreten durften. Kaum ertönte aber die zweite Klingel, so flog alles wie wild und toll, und als ob sie sämtlich halb verhungert wären, zum ersten und besten Stuhl, den sie erwischen konnten und rafften nun ohne Rücksicht auf jede Sitte, auf jeden Anstand – die Nachbarn gar nicht gerechnet – von den Schüsseln zusammen, was ihnen gerade zusagte. Dass sie oft ganze Kompottnäpfchen auf ihren Tellern leerten, geschah sehr häufig.

Auffallend wenig essen dagegen die Damen, denen besondere Sitze reserviert werden, an öffentlicher Tafel. Sie nippen und kosten eben nur von den Speisen, weil es nicht für ladylike gehalten wird, viel zu essen. Oben im Zimmer sollen sie es aber dann nachholen.

St.-Louis hat nicht allein einen sehr bedeutenden Handel mit dem Norden, Osten und Süden, sondern auch mit dem Westen – und ich fand selbst hier, dass ich noch sehr weit zur westlichen Grenze hätte – da von hier aus der hauptsächlichste Binnen- und Pelzhandel nicht allein mit den amerikanischen Pelz- oder Rockymountain-Kompanien, sondern auch mit den Indianern selber getrieben wird.

Von diesen sah ich denn auch einige prachtvolle Exemplare in St.-Louis, die, teils mit ihren buntesten Farben bemalt, teils die nackten Oberkörper nur mit einem Büffelfell umhüllt, fast immer aber ihre Kriegskeulen in der Hand, langsam und majestätisch durch die Stadt schritten und die Wunder der „weißen Wigwams“ fast immer mit sehr gleichgültigem, aber nichtsdestoweniger aufmerksamem Auge betrachteten.

Die Indianer sind schon oft beschrieben, und ich will den überdies beschränkten Raum nicht mit Wiederholungen füllen, einer aber ist mir noch zu frisch im Gedächtnis und machte einen zu komischen Eindruck auf mich, ihm nicht wenigstens ein paar Worte zu gönnen. Er war ein hübscher, schlanker dunkelbrauner Bursch, das Haar, die Skalplocke ausgenommen, kurz geschnitten und mit roter Farbe bemalt, wie auch rote und blaue Querstreifen durch sein Gesicht liefen.


An den Beinen trug er lederne Leggins, an den Füßen perlgestickte Mokassins und im Arme die unvermeidliche Kriegskeule, beiläufig gesagt, eine höchst fatale Waffe aus einem krummgeschnittenen, mit Messingnägeln wie ein Sofa beschlagenen Stück Holz und mit einer eingepassten, wohl vier Zoll langen und zwei Zoll breiten Stahlspitze. Mit dem Oberkörper ging er nackt bis auf den Hals, um den er – es war zum Totschießen – eine schwarze abgenutzte Krawatte mit seidener Schleife trug und nicht wenig stolz darauf zu sein schien.

Als ich meine Rechnung im Wirtshaus bezahlt hatte, was mir an Kapitalien nur noch einen sehr kleinen Rest ließ, schulterte ich wieder meine Flinte, warf die Jagdtasche über den Rücken und wanderte getrosten Mutes zur Stadt hinaus gen Süden. – Wohin? Man hatte mir gesagt, dass Arkansas das Paradies der Jäger sei, und mein Ziel lag der Hunderte von Meilen entfernten Hauptstadt Little Rock zu.

Als es dunkelte, zündete ich mir ein Feuer an und warf mich unter einen Baum; ich fühlte mich nicht in der Stimmung, Menschen aufzusuchen, und die Einsamkeit tat mir wohl.

Es war Silvester-Abend und Mitternacht lange vorüber, ehe ich einzuschlafen vermochte. Keine freudigen Gefühle konnten es freilich sein, mit denen ich in das neue Jahr hineinschlummerte; aber die neue Morgensonne brachte auch neuen Mut und neues Vertrauen.

Von St.-Louis aus südlich marschierend, hat der Wanderer keine geringere Aufgabe, sich durch alle die Kreuz- und Querwege, die den Wald nach jeder Richtung durchschneiden, hindurch zu finden, und ich lief denn auch, trotz Kompass und Sonne, durch die vermaledeiten Wege irre gemacht, so viel fehl, dass ich zu 50 Meilen Entfernung fünf Tage brauchte, ohne jedoch nötig zu haben, noch eine andere Nacht im Walde zu bleiben. . Ich fand jeden Abend eine kleine Hütte, deren Bewohner mich freundlich aufnahmen.

Sehr viele Deutsche wohnen in diesem Teile des Landes, besonders viele Schwaben, welche sich vom Ackerbau ernähren und, wenn sie nahe genug der Stadt wohnen, auch Holz dahin zum Verkauf führen. Dicht um St.-Louis herum steht sehr wenig Holz; nichts als kleine Krüppeleichen.

Meine Barschaft, da ich bis jetzt gar nichts zum Schuss bekommen und an der begangenen Straße keine Gastfreundschaft erwarten durfte, war jetzt auf einen nordamerikanischen Silberdollar zusammengeschmolzen, dessen Inschrift „E pluribus unum“ eine gar bittere Satire auf meine eigenen traurigen Verhältnisse schien.

Der fünfte Tag, den ich in Missouri herumstreifte, brach trübe und nass über die mit dünnem Nebel bedeckte Erde herein. Es fing an zu regnen, und die Wege wurden schlüpfrig. Gegen Mittag stand ich wieder an einem Kreuzwege und überlegte noch, welchen Pfad ich einschlagen sollte, als ich, nicht gar weit entfernt, das Krähen eines Haushahnes hörte, das mir in diesem Augenblick wie Musik klang. Ich schlug sogleich den dahin führenden Pfad ein, und bald sah ich die Fenz eines kleinen Kornfeldes; auf ihr aber saß eine wunderbare Gestalt, die sich schwankend hin und her bewegte.

Neugierig trat ich näher und erkannte die Gestalt eines jungen Mannes, der, den Rücken gegen mich gekehrt, nur in einen blauleinenen, fast bis an die Knöchel reichenden Kittel gekleidet, in bloßen Füßen mit hellbraunen, herabhängenden und infolge des Regens an seinen Schläfen klebenden Haaren und unbedecktem Kopf auf der Fenz saß und in leisen Tönen ein mir fremdes Lied mit keineswegs unmelodischer Stimme sang; dazu schlug er mit den nackten Füßen den Takt auf dem rauen, nassen Holze.

Als er meine Schritte hörte, sprang er, sich herumdrehend, in einem Satze von der Fenz, stellte sich vor mich hin und sah mich mit seinen großen, glanzlosen Augen starr an. Der Wahnsinn war in diesen matten Augen, in dieser ängstlich vorgebeugten, lauschenden Gestalt nicht zu verkennen, und kalt überlief 's mich, denn ein Wahnsinniger hat für mich etwas unbeschreiblich Fürchterliches.

Einen Augenblick stand der junge bleiche Mann in dieser Stellung, dann richtete er sich bewusstlos lächelnd empor und reichte mir die rechte Hand zum gastlichen Willkommen, indem er sich mit der linken die herunterhängenden Haare aus dem Gesicht strich. Er fasste meine dargereichte Hand fest in die seinige und zog mich sanft der Wohnung zu. An der Tür verschwand er, und ich habe ihn nicht wieder gesehen.

Der Vater des Unglücklichen, ein alter Farmer, benachrichtigte mich, dass ich bald eine deutsche Ansiedelung finden würde, die ungefähr 8–9 Meilen von ihm entfernt lag. Obgleich der Regen jetzt ziemlich stark vom Himmel goss, entschloss ich mich dennoch, diesen Abend meine Landsleute aufzusuchen, und erreichte auch vor Dunkelwerden die Blockhäuser derselben.

 

Das Wetter war schlecht, Geld hatte ich nur noch sehr wenig, also beschloss ich einmal zu arbeiten, im Fall ich Arbeit bekommen könnte. Drei Brüder, die diesen Platz bewohnten und mir ordentliche Leute schienen, waren bereit, mir Arbeit zu geben, über den Lohn wollten wir uns nach Ablauf der ersten Woche einigen. Der nächste Tag sah mich daher am frühen Morgen, mit einer schweren Hacke bewaffnet, hinausziehen, um Büsche auszuroden, und sehr sonderbar kam mir die ungewohnte Arbeit vor. Die Sehnen der Arme und Hände schwollen an, und schmerzten mich ungemein, die Hände füllten sich mit Blasen, und sehr gelegen kam es mir, dass auf den folgenden Tag das Fest der heiligen drei Könige fiel, an welchem die ehrlichen katholischen Deutschen nicht arbeiteten. Ich war zum ersten Mal den heiligen drei Königen für ihr Erscheinen sehr verbunden.

Obgleich nun die Leute nicht für sich selber arbeiteten, gingen wir doch zu einem dort erst kürzlich angesiedelten Nachbar hinüber und halfen ihm ein Haus aufrichten, zu welchem die Blöcke schon gehauen waren. Der amerikanische Landmann hat nämlich die Gewohnheit, sobald er das Holz zu seinem Hause hergerichtet hat, die Nachbarn zusammen zu rufen, die ihm gern das Ganze vollenden helfen.

Ohne besondere Vorfälle verlief jetzt eine sehr schwere Arbeitswoche. Noch nie nämlich an so dauernde und anstrengende Arbeit gewöhnt, glaubte ich im Anfang wirklich, dass mir die Sehnen bersten müssten, und die Blasen an den Händen schmerzten mich ebenfalls entsetzlich. Dabei glaubten die Deutschen, die sich sonst jedoch auf das freundlichste gegen mich benahmen, mir nicht mehr als acht Dollars den Monat zahlen zu können.

Für meine Arbeit damals war es auch vielleicht genug gewesen, mit meinen Ansichten über amerikanische Preise stimmte es aber nicht überein, und ich beschloss, meine Arbeitskräfte lieber in Little Rock, der Hauptstadt von Arkansas, zu verwerten, wo ich sie jedenfalls besser bezahlt bekommen würde.

Ich nahm also die zwei sauer genug verdienten Dollars, sagte allen ein herzliches Lebewohl und wanderte mit dem frischen Reisegeld voll neuer Hoffnung weiter in die Welt – oder vielmehr in den Wald.

Den ersten Morgen schon erreichte ich eine der bedeutendsten Bleiminen Missouris diesseits Farmington, eines kleinen, freundlichen Städtchens. Das Bleierz war in großen Haufen an der Seite des Weges aufgeschichtet und machte, da es dem Silber sehr ähnlich sieht, auf jeden mit ein wenig Einbildungskraft ausgestatteten einen sehr bestechenden Eindruck. Da meine Kugeln gerade auf die Neige gingen, nahm ich mir von dem Haufen ein paar Stücke Blei mit, um im nächsten Hause neue Kugeln zu gießen.

Alle diese Minen sind Privateigentum, und die Arbeiter, die Lust haben, nach Blei zu graben, fangen an, wo es ihnen gerade beliebt, und wo sie glauben, Erz zu finden. Sie bekommen ihre Arbeit nach der Menge bezahlt, die sie zu Tage fördern; finden sie nichts, so verdienen sie auch nichts, so dass schon mancher arme Teufel dort wochenlang umsonst gearbeitet hat. Der Bergbau wird übrigens auf die einfachste Art betrieben. Gewöhnlich graben die Arbeiter, von denen sich zwei oder mehrere zusammentun, einen 10–12 Fuß im Durchmesser haltenden Schacht, bis sie auf Erz kommen.

Stollen haben sie gar nicht, und zeigt sich ihre Grube unergiebig, so fangen sie eben eine andere an. Die ganze Gegend ist von solchen Schachten durchlöchert, und ich halte es nicht für gefahrlos, dort in der Nacht umherzulaufen.

Der Eigentümer der Gruben richtet dicht bei denselben seine Schmelzöfen ein, gießt da das Blei in Formen und schafft es an den Mississippi.

Am nächsten Abend übernachtete ich bei einer amerikanischen Familie, die einen prächtigen Viehstand und darunter herrliche Pferde hatte. Noch nicht lange saß ich am warmen Kaminfeuer, als ich den kurzen Galopp eines Pferdes hörte; es hielt vor dem Hause, die Tür ging auf, und ein allerliebstes Mädchen, die zarten Wangen vom scharfen Ritt gerötet, die kleine Reitgerte in der Hand, trat herein und wurde mit allgemeiner Freude empfangen. Sie schien die Braut des einen der jungen Leute zu sein, denn sie setzte sich zu ihm und koste und scherzte mit ihm – und ich durfte zusehen.

Durch Frederickstown gehend, erreichte ich den 22. Januar die Grenze von Missouri, den Current river, einen kleinen Fluss, dessen Wasser so klar ist, dass ich, obgleich er an meinem Übergangspunkte, ungefähr 15 Fuß tief sein mochte, auch die kleinsten Gegenstände auf dem Boden erkennen konnte.

Ich war jetzt in Arkansas, dem mir von allen gepriesenen Paradies der Jäger, und der Anfang schien, was die Jagd betraf, auch nicht so übel. Einem neu durch den Wald gehauenen Weg, der sogenannten Countystraße, folgend, an deren Rand eine Masse hinausgehauener Kiefern lagen, fand ich, dass sich das Wild zu den Wipfeln derselben zog und oft in Rudeln von 8–10 Stück an der Straße stand. Auch wilde Truthühner sah ich häufig. Mit der Jagd aber noch wenig vertraut, musste ich oft Lehrgeld zahlen, schoss aber doch einige und verkaufte das Wildbret für Nachtherberge und Mahlzeit.

Am 23. Januar kam ich an den Spring river oder, wie er auch heißt, Quellen-Fluss, wahrscheinlich von der kristallenen Klarheit des Wassers so genannt. Ich wollte am anderen Morgen wieder aufbrechen, als mir meine geschwätzige Wirtin unter anderem auch von ihrem Mann erzählte, der ein alter Pennsylvanier sei, deutsch spreche und viele Geschichten von indianischen Begräbnisplätzen zu erzählen wisse. Das war ein starker Magnet für meine Begierde, etwas über die Eingeborenen dieses Landes zu erfahren, und ich beschloss daher, die Ankunft des Alten abzuwarten. Da ich aber meine geringe Barschaft nicht unnützerweise vergeuden wollte, so half ich den Leuten den Tag über Welschkorn hereinschaffen, um wenigstens mein Essen zu verdienen. Denselben Abend kam auch der Mann vom Lande herein, und ich hatte also nicht vergeblich gewartet.

Er erzählte mir von einer Unmasse von Grabhügeln, die an den Ufern des Spring river oder wenigstens doch in dessen Nähe wären, von ungeheuren Knochen und Skeletten, die man gefunden hätte usw.

Schon in Illinois hatte ich von solchen Überbleibseln eines riesigen Menschengeschlechts gehört, unter anderem von einem menschlichen Unterkiefer, dessen Besitzer wenigstens neun Fuß hoch gewesen sein müsse.

Er berichtete mir ferner, dass er alte Urnen und Waffen in den Grabmälern gefunden habe, konnte mir aber nichts mehr davon vorzeigen, da die Leute auch nicht den mindesten Sinn für etwas haben, was ihnen nicht unmittelbar Aussicht auf Gewinn bietet.

An den Ufern eines benachbarten Flusses (White river) hat man, einige Fuß unter der Erde, mehrere Lagen gebrannter Steine gefunden, ganz in der Art unserer Backsteine, und zwar Strecken lang durch den Urwald, an manchen Orten sogar straßenförmig ausgelegt. Der Alte sowohl als viele andere, die ich deswegen fragte, behaupteten, dass dort auf jeden Fall eine Stadt gestanden haben müsse.

Es unterliegt gewiss keinem Zweifel mehr, dass vor den jetzigen Eingeborenen Amerikas, und zwar vor der Zeit, wohin zurück ihre ältesten Übertragungen reichen, ein anderes, weit mehr kultiviertes Volk jene Länder bewohnt hat. Welcher Art das aber gewesen sei, ist bis jetzt noch nicht erforscht worden, und da die wilden Stämme selber nicht das mindeste darüber auszusagen wissen, bleibt die Entdeckung dieses jedenfalls höchst interessanten Geschlechts vielleicht späteren Ausgrabungen vorbehalten. Hätte der Alte Zeit gehabt, mir die Plätze genau zu zeigen, so würde ich mit Vergnügen ein paar Tage daran gewandt haben, sie zu untersuchen; er musste aber schon den anderen Morgen eine Reise unternehmen, und so lange wollte ich mich auch nicht aufhalten. Vielleicht hält ein anderer es der Mühe wert, dort nachzugraben.

Den anderen Morgen setzte ich meinen Marsch fort und kletterte, ein wenig vom Wege ab, eine kleine felsige Anhöhe hinan, als gerade vor mir ein Adler in die Luft stieg. Augenblicklich hatte ich die Flinte an der Backe und gab Feuer. Einen Augenblick schwebte der Adler unbeweglich in der Luft, fing dann an, mit den Flügeln zu schlagen, und stieg höher und höher, gerade empor, so dass ich ihn kaum noch erkennen konnte. Schon glaubte ich, ihn gefehlt zu haben, und setzte unmutig die Flinte nieder, um sie neu zu laden, als er sich plötzlich in der Luft wandte und tot herunterstürzte. Es war ein starker Vogel und maß 7 Fuß von einer Flügelspitze bis zur anderen. Mein Glück freute mich ungemein, da es der erste Adler war, den ich geschossen hatte. Seine Farbe war braunschwarz, Kopf und Schwanz waren weiß gezeichnet. Den Indianern nachahmend, ließ ich sogar eine seiner Federn als Schmuck an meiner Mütze prangen.

Den 27. Januar abends war ich gerade beschäftigt, einen Hirsch aufzubrechen, den ich erlegt hatte, als ein junger Bursche von etwa dreizehn Jahren, mit einer Schrotflinte auf der Schulter, zu mir kam und mir in meiner Arbeit half, bei der er eine keineswegs ungeübte Hand zeigte. Wir packten die Keulen und den Rücken des Tieres in das abgezogene Fell und trugen es gemeinschaftlich der nur wenige Meilen entfernten Wohnung des jungen Mannes zu, wo ich zu übernachten beschloss. Ich habe zwar in allen Teilen Amerikas sehr liebenswürdige Leute, wie auch recht schlechte Gesellschaft angetroffen, wie das wohl in einem so bunt bevölkerten Lande gar nicht anders sein kann, hier aber, in dieser wilden Einsamkeit, fand ich eine so liebe, gemütliche, amerikanische Familie, wie ich je eine in den Wäldern angetroffen habe. Ein ganz alter Mann mit zitternden Händen saß am Kamin, aber obgleich mancher Winter seine Locken gebleicht hatte, schien er dennoch rüstig und gesund, wie die roten Backen dies bewiesen. Den anderen Stuhl am Kamin hatte die Gattin des Alten, eine Matrone im wahren, ehrwürdigsten Sinne des Wortes, eingenommen. Sie war augenscheinlich bedeutend jünger als er, aber dennoch auch schon hoch in den Jahren. Neben ihr saß ein junges hübsches Weibchen aus der Nachbarschaft, deren Mann auf einer Geschäftsreise nach dem Norden begriffen war. Noch gehörten zur Familie drei kräftige, blühende Knaben, die, einer nach dem anderen, von der Jagd zurückkehrten und vier Truthühner mitbrachten.

Ich war in der Kenntnis der englischen Sprache jetzt schon weit genug vorgerückt, mich notdürftig mit ihnen unterhalten zu können; der gebildete Amerikaner ist mit dem Fremdling sehr nachsichtig in dieser Hinsicht. So plauderten wir den ganzen Abend, fast bis zehn Uhr. Die kleine junge Frau hatte kürzlich einen Brief von ihrem Manne erhalten und las ihn wohl zehnmal durch. Sie war in Arkansas schon sehr unglücklich gewesen. Die Doktoren hatten ihr drei Kinder getötet, und sie litt, durch die Schuld derselben, an entzündeten Augen; denn diese Herren – jeder Quacksalber nennt sich dort Doktor – kurieren in diesen, von keiner Aufsicht der Behörden vor ihrem Treiben geschützten Staaten fast jede Krankheit mit Kalomel und Quecksilber, und hohle Zähne, entzündete Augen, böses Zahnfleisch und mürbe Knochen, wie ein siecher Körper, sind fast jedes Mal die Folgen ihrer Kuren.

Die nächste Nacht schlief ich bei einem Kentuckier, der sich hier angesiedelt hatte. Mehr als zwölf Hunde liefen um sein Haus herum, und gern trat er mir einen von ihnen ab, der nach seiner Aussage, vorzüglich geschickt war, Truthühner zum leichten Schuss auf Bäume zu jagen. – Ich glaube, er wollte ihn los sein.

Die Straße hinschlendernd sah ich noch ein gutes Stück vor mir einen ruhig äsenden Hirsch dicht am Wege stehen. Da ich der Dressur meines Hundes nicht recht traute, so band ich ihm mein weißleinenes Schnupftuch um den Hals, knüpfte die Pulverhornschnur hinein und befestigte diese an eine junge Eiche.

Jetzt näherte ich mich dem Hirsche bis auf 85 Schritt, der, nichts Böses ahnend, ruhig fort äste. Ich hatte jedoch den Wind im Rücken, der Hirsch witterte meine Annäherung und setzte im Nu über einen vorliegenden Baumstamm, das Dickicht zu erreichen. Meine Rehposten sausten ihm zwar nach, doch mochte ich wohl in der Hitze etwas zu kurz geschossen haben, denn etwa 150 Schritte von mir knickte er nur in die Hinterläufe. Jetzt hielt es aber auch mein Hund nicht länger für nötig, den bloßen Zuschauer abzugeben; er hatte die Schnur durchbissen und setzte, mit meinem Schnupftuch um den Hals, an dem noch ein Stückchen der Schnur hing, dem sich wieder aufraffenden Wilde nach.

„Und Ross und Reiter sah ich niemals wieder.“

Weder Hund, nach Schnupftuch, noch Hirsch sind mir je wieder zu Gesicht gekommen.

Mit Sonnenuntergang erreichte ich ein Haus, in dem ich zu übernachten gedachte. Schon hatte ich die Hand auf den Zaun gelegt, um hinüberzuspringen, als ich die Frau des Hauses vor der Tür sitzen und die niedere Jagd auf den Häuptern ihrer Kinder anstellen sah. Mir verging die Lust bei ihr einzusprechen, und ich wandte mich, rasch entschlossen, eher die Nacht im Walde als bei dieser Familie zuzubringen.

 

Das hatte ich übrigens nicht nötig, denn ich erreichte vor Dunkelwerden die kleine Wohnung eines Mannes, der noch den Revolutionskrieg mitgemacht hatte. Er war natürlich schon hoch in den Jahren, lief aber noch rüstig im Hause herum. Nur noch wenige sind von diesen Revolutionshelden übrig geblieben, die unter dem herrlichen Washington gefochten haben; die meisten ruhen unter dem grünen Rasen ihres Vaterlandes, dessen Freiheit sie erkämpfen halfen.

Am nächsten Abend kam ich zu dem „little Red river“ (kleinen roten Fluss). Es fing schon an zu dunkeln, doch arbeitete noch ein Mann an der anderen Seite des Flusses, und ihn fragte ich auf Englisch nach einem Punkte, wo ich überfahren könne. Er antwortete: „You see Tat house there?“ An der Aussprache erkannte ich sofort den Landsmann und fragte ihn wieder auf gut Deutsch: „Was für ein Haus denn?“ – „Dort das Haus, diesseits des Flusses, o – if you please.“ – „God damn!“ unterbrach er sich wieder, ärgerlich darüber, dass er seine eigene Muttersprache nicht mehr unvermischt reden könne, – „o, seien Sie doch so gut und gehen Sie den Fluss ein wenig hinunter, Sie finden ein Kanu.“ – Den Mann hatte ich lieb gewonnen, trotzdem dass uns der Fluss noch schied. Ich fand das Kanu, ruderte mich über den Fluss und ging auf das nächste Haus zu, vor welchem mehrere Leute standen, unter ihnen ein Herr v. G., der Besitzer dieser Farm. Früher Offizier, war er jetzt ein fleißiger Ackersmann und tüchtiger Jäger geworden, hielt zwei Sklaven und befand sich seiner Aussage nach recht wohl in seinem neuen Berufe. Gastfreundlich lud er mich ein, die Nacht bei ihm zu bleiben. Am Abend kam auch noch der Deutsche herein, dessen Bekanntschaft ich schon am Fluss gemacht hatte, und ich fand in ihm einen ganz liebenswürdigen, originellen Mann. Auch ich musste ihm wohl gefallen haben, denn er erklärte mir, dass ich nicht so schnell wieder fort dürfe, sondern wenigstens einen oder mehrere Tage bei ihm bleiben müsste, das Land zu besehen.

Ich hatte nichts zu versäumen und sagte es ihm daher gern zu. Am anderen Morgen suchte ich ihn in seiner Wohnung auf und war dort bald wie zu Hause. Er war verheiratet, hatte eine recht nette junge Frau und fünf gesunde, starke Kinder.

Nachmittags fing es an zu regnen, und jetzt durfte ich ans Fortgehen gar nicht mehr denken; hätte ich auch gewollt, sie hätten mich nicht fortgelassen. Wir schwatzten und erzählten bis tief in die Nacht hinein, und gar wohl war es mir, in meiner Muttersprache wieder einmal so recht nach Herzenslust plaudern zu können. Mein Wirt war ein Maurer aus Rheinbayern und hieß Hilger.

Am nächsten Morgen kam einer der Nachbarn meines Gastfreundes zu ihm. Es war ein Mann von fünfunddreißig Jahren, der einen kurzen grünen Rock trug und eine deutsche Büchsflinte führte. Seine Aussprache verriet den Nichtdeutschen. Hilger begrüßte ihn mit dem Namen Turoski. Es war ein polnischer Offizier, der in den Wäldern des freien Amerika Schutz gegen die politischen Verfolgungen, die er in Europa erdulden musste, gesucht und gefunden hatte. Er lebte unverheiratet, und die zehnjährige Tochter Hilgers führte seine Wirtschaft. Dieses kleine Mädchen, fast noch ein Kind, blieb oft ganze Tage und Nächte lang allein in dem kleinen Blockhause Turoskis, meilenweit von jeder anderen menschlichen Wohnung entfernt, und es kümmerte sie wenig, ob der Sturm oder die Wölfe die einsame Wohnung umheulten.

Nach kurzer Unterhaltung machte mir auch Turoski den Vorschlag, einige Zeit bei ihm zu bleiben, und ich verlebte mit diesen wackeren Männern, bald bei dem einen, bald bei dem anderen wohnend, recht vergnügte Tage. Um aber einen Begriff von dem Junggesellenleben eines amerikanischen Landmannes zu geben, will ich hier eine der bei einem solchen verlebten Nächte beschreiben. Hilgers Tochter war nach Hause gegangen, um ihre Eltern zu besuchen, die drei Meilen von T.s Hause wohnten, und hatte es uns überlassen, für uns selber zu sorgen.

Das Haus des Polen war nichts als eine einfache, rohe Blockhütte ohne Fenster, an der er alle Spalten zwischen den aufeinander gelegten Stämmen, wahrscheinlich um der frischen Luft Zugang zu verschaffen, offen gelassen. Zwei Betten, ein Tisch, ein Stuhl und ein Sessel, nebst ein paar eisernen Töpfen, drei Tellern, zwei Blechbechern, einer Untertasse, mehreren Messern und einer Kaffeemühle bildeten seinen ganzen Hausrat wie sein sämtliches Kochgeschirr. Ein kleines Haus neben dem Wohngebäude war dazu bestimmt, den Fleischvorrat für den Winter aufzubewahren. Ein Feld von 4 bis 5 Acker lag dicht am Hause, ein anderes, ungefähr ¼ englische Meile davon, dicht am Fluss. Nebenbei hatte er hübsche Pferde, viele Schweine, eine Masse Federvieh und mehrere Milchkühe.

Am Kamin im traulichen Gespräch sitzend, dachten wir nicht an Zubereitung unseres Abendessens, und erst als die Kälte sich zu sehr fühlbar machte, suchten wir unsere Lagerstätte.

Es mochte halb eins sein, als mich T. weckte und bei allen Heiligen schwor, er könne es vor grimmigem Hunger nicht länger im Bette aushalten und müsse essen, sollte es auch nur ein Stück rohes Fleisch zu verzehren geben. Ich lachte und gab ihm den Rat, seinen Hungerriemen enger zu schnallen; er sprang aber auf und ließ mir keine Ruhe mehr. Wir bliesen das Feuer, das fast ganz niedergebrannt war, wieder ein wenig an und überlegten nun, was eigentlich gekocht werden sollte. Geschossen hatten wir nichts, Brot war nicht vorhanden und das letzte Stück Schweinefleisch am Mittag verzehrt worden. – Woher etwas nehmen? T. wusste Rat. Das letztgeerntete Korn (Welschkorn) lag in einem kleinen Verschlage im Felde, nahe am Fluss; von dort sollte ich einen Arm voll Mais holen, er selbst wollte unter der Zeit etwas Essen herrichten. Die Nacht war stockfinster, und ich musste oft wie ein Blinder den schmalen Fußpfad mit den Füßen suchen, um mich nicht im Walde zu verlieren. Als ich nach ungefähr einer halben Stunde mit dem Verlangten zum Hause zurückkehrte, hatte T. ein Huhn von einem der kleinen Bäume, auf denen die Tiere schliefen, heruntergeschlagen und bereits in heißem Wasser abgebrüht. Während er es reinigte, röstete ich das Korn in einer Pfanne, in der er, sobald ich damit fertig war, das Huhn mit etwas vorgefundenem Fette briet. Während der Zeit mahlte ich den gerösteten Mais in der Kaffeemühle, wodurch er aber noch keineswegs zu Mehl wurde, feuchtete die bröckelige Masse mit etwas Wasser an, tat Salz hinzu, schlug sie dann auf einen der eisernen Topfdeckel ungefähr ¾ Zoll dick und stellte sie gegen die Glut. So weit war alles gut gegangen, jetzt vermisste aber T. noch ein paar Eier zu unserem Gebäck. Er hatte an seinem Hause eine Art von Schuppen, worin er das sogenannte „fodder“ (die grün abgerissenen und getrockneten Blätter des Maises) aufbewahrte, und in welches die Hühner gern ihre Eier legten. Dahinein kroch er, entdeckte auch, herumfühlend, ein Nest mit fünf Eiern, brachte aber nur zwei davon glücklich zurück, die übrigen hatte er in der Eile zerdrückt. Etwas Kaffee war schnell gekocht, und wir hielten ein, wenngleich nicht sehr feines, doch schmackhaftes Abendessen oder vielmehr Frühstück, denn bis dahin war es fast zwei Uhr geworden. Unsere Nachtruhe sollte aber noch nicht gesichert sein. Der ungeheure Hickoryklotz, den wir ins Feuer gewälzt hatten, flackerte nämlich zu hoch auf und entzündete, als wir eben einschlafen wollten, den Kamin. Eine solche Feuersbrunst hat indessen, wenn nur zeitig genug entdeckt, wenig zu sagen. T. stieg aufs Haus, goss ein paar Eimer Wasser, die ich ihm reichte, in die Flamme und löschte sie glücklich. Endlich zur Ruhe gekommen, schliefen wir, bis die Sonne hoch am Himmel stand.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?