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Der Parasit, oder, die Kunst sein Glück zu machen

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Karl. Von mir?

Selicour. Mit der Mutter unsers Herrn Ministers – und man hat schon ein gutes Vorurtheil für Sie, nach der Art, wie ich Ihrer erwähnte.

Karl. So! Bei welchem Anlaß war das?

Selicour. Sie macht die Kennerin – ich weiß nicht, wie sie dazu kommt – Man schmeichelt ihr, ihres Sohnes wegen. – Wie? Wenn Sie ihr auf eine geschickte feine Art den Hof machten – derentwegen wollte ich Sie eben aufsuchen. – Sie verlangte ein paar Couplets von mir für diesen Abend. – Nun habe ich zwar zu meiner Zeit auch meinen Vers gemacht, wie ein Andrer, aber der Witz ist eingerostet in den leidigen Geschäften! Wie wär's nun, wenn Sie statt meiner die Verschen machten. – Sie vertrauten sie mir an – ich lese sie vor – man ist davon bezaubert – man will von mir wissen – Ich – ich nenne Sie! Ich ergreife diese Gelegenheit, Ihnen eine Lobrede zu halten. – Alles ist voll von Ihrem Ruhm, und nicht lange, so ist der neue Poet fertig, eben so berühmt durch seinen Witz, als seinen Degen!

Karl. Sie eröffnen mir eine glänzende Aussicht!

Selicour. Es steht ganz in Ihrer Gewalt, sie wirklich zu machen!

Karl (für sich). Er will mich beschwatzen! Es ist lauter Falschheit, ich weiß es recht gut, daß er falsch ist – aber, wie schwach bin ich gegen das Lob! Wider meinen Willen könnte er mich beschwatzen. – (Zu Selicour.) Man verlangt also für diesen Abend —

Selicour. Eine Kleinigkeit! Ein Nichts! Ein Liedchen – wo sich auf eine ungezwungene Art so ein feiner Zug zum Lobe des Ministers anbringen ließe. —

Karl. Den Lobredner zu machen, ist meine Sache nicht! Die Würde der Dichtkunst soll durch mich nicht so erniedrigt werden. Jedes Lob, auch wenn es noch so verdient ist, ist Schmeichelei, wenn man es an die Großen richtet.

Selicour. Der ganze Stolz eines echten Musensohns! Nichts von

Lobsprüchen also – aber so etwas von Liebe – Zärtlichkeit —

Empfindung —

Karl (sieht sein Papier an). Konnte ich denken, da ich sie niederschrieb, daß ich so bald Gelegenheit haben würde?

Selicour. Was? Wie? Das sind doch nicht gar Verse —

Karl. O verzeihen Sie! Eine sehr schwache Arbeit —

Selicour. Ei was! Mein Gott! Da hätten wir ja gerade, was wir brauchen! – Her damit, geschwind! – Sie sollen bald die Wirkung davon erfahren – Es braucht auch gerade keine Romanze zu sein – diese Kleinigkeiten – diese artigen Spielereien thun oft mehr, als man glaubt – dadurch gewinnt man die Frauen, und die Frauen machen alles. – Geben Sie! Geben Sie! – Wie! Sie stehen an? Nun, wie Sie wollen! Ich wollte Ihnen nützlich sein – Sie bekannt machen – Sie wollen nicht bekannt sein – Behalten Sie Ihre Verse! Es ist Ihr Vortheil, nicht der meine, den ich dabei beabsichtete.

Karl. Wenn nur —

Selicour. Wenn Sie sich zieren —

Karl. Ich weiß aber nicht —

Selicour (reißt ihm das Papier aus der Hand). Sie sind ein Kind!

Geben Sie! Ich will Ihnen wider Ihren Willen dienen – Ihr Vater selbst soll Ihrem Talente bald Gerechtigkeit erzeigen. Da kommt er!

(Er steckt das Papier in die rechte Tasche.)

Sechster Auftritt.

Beide Firmins. Selicour.

Firmin. Hier, mein Freund! – aber reinen Mund gehalten! (Gibt ihm das Papier heimlich.)

Selicour. Ich weiß zu schweigen. (Steckt das Papier in die linke

Rocktasche.)

Karl (für sich). That ich Unrecht, sie ihm zu geben – Was kann er aber auch am Ende mit meinen Versen machen?

Selicour. Meine werthen Freunde! Sie haben mir eine köstliche Viertelstunde geschenkt – aber man vergißt sich in Ihrem Umgang. – Der Minister wird auf mich warten – ich reiße mich ungern von Ihnen los, denn man gewinnt immer etwas bei so würdigen Personen. (Geht ab, mit beiden Händen an seine Rocktaschen greifend.)

Siebenter Auftritt.

Beide Firmins.

Firmin. Das ist nun der Mann, den du einen Ränkeschmied und Kabalenmacher nennst – und kein Mensch nimmt hier mehr Antheil an mir, als er!

Karl. Sie mögen mich nun für einen Träumer halten – aber je mehr er

Ihnen schön thut, desto weniger trau' ich ihm – Dieser süße Ton, den er bei Ihnen annimmt – Entweder er braucht Sie, oder er will Sie zu

Grund richten.

Firmin. Pfui über das Mißtrauen! – Nein, mein Sohn! Und wenn ich auch das Opfer der Bosheit werden sollte – so will ich doch so spät als möglich das Schlechte von Andern glauben.

Achter Auftritt.

Vorige. La Roche.

La Roche. Sind Sie da, Herr Firmin! – Es macht mir herzliche Freude – der Minister will Sie besuchen.

Karl. Meinen Vater? —

Firmin. Mich?

La Roche. Ja, Sie! – Ich hab' es wohl bemerkt, wie ich ein Wort von

Ihnen fallen ließ, daß Sie schon seine Aufmerksamkeit erregt hatten.

– Diesem Selicour ist auch gar nicht wohl dabei zu Muthe – So ist mein heutiger Schritt doch zu etwas gut gewesen.

Karl. O so sehen Sie sich doch wider Ihren eigenen Willen ans Licht hervorgezogen! – Welche glückliche Begebenheit!

Firmin. Ja, ja! Du siehst mich in deinen Gedanken schon als

Ambassadeur und Minister – Herr von Narbonne wird mir einen kleinen

Auftrag zu geben haben, das wird's alles sein!

La Roche. Nein, nein, sag' ich Ihnen – er will Ihre nähere Bekanntschaft machen – Und das ist's nicht allein! Nein, nein! Die Augen sind ihm endlich aufgegangen! Dieser Selicour, ich weiß es, ist seinem Fall nahe! Noch heute – es ist schändlich und abscheulich – doch ich sage nichts. – Der Minister ließ in Ihrem Hause nach Ihnen fragen; man sagte ihm, Sie seien auf dem Bureau – Ganz gewiß sucht er Sie hier auf! Sagt' ich's nicht? Sieh, da ist er schon! (Er tritt nach dem Hintergrunde zurück.)

Neunter Auftritt.

Narbonne zu den Vorigen.

Narbonne. Ich habe Arbeiten von Ihnen gesehen, Herr Firmin, die mir eine hohe Idee von Ihren Einsichten geben, und von allen Seiten hör' ich Ihre Rechtschaffenheit, Ihre Bescheidenheit rühmen. – Männer Ihrer Art brauche ich höchst nöthig – Ich komme deßwegen, mir Ihren Beistand, Ihren Rath, Ihre Mitwirkung in dem schweren Amte auszubitten, das mir anvertraut ist. – Wollen Sie mir Ihre Freundschaft schenken, Herr Firmin?

Firmin. So viel Zutrauen beschämt mich und macht mich stolz. – Mit Freude und Dankbarkeit nehme ich dieses gütige Anerbieten an – aber ich fürchte, man hat Ihnen eine zu hohe Meinung von mir gegeben.

Karl. Man hat Ihnen nicht mehr gesagt, als wahr ist, Herr von Narbonne! – Ich bitte Sie, meinem Vater in diesem Punkte nicht zu glauben.

Firmin. Mache nicht zu viel Rühmens, mein Sohn, von einem ganz gemeinen Verdienst.

Narbonne. Das ist also Ihr Sohn, Herr Firmin?

Firmin. Ja.

Narbonne. Der Karl Firmin, dessen meine Mutter und Tochter noch heute Morgen gedacht haben?

Karl. Ihre Mutter und die liebenswürdige Charlotte haben sich noch an Karl Firmin erinnert!

Narbonne. Sie haben mir sehr viel Schmeichelhaftes von Ihnen gesagt.

Karl. Möchte ich so viele Güte verdienen!

Narbonne. Es soll mich freuen, mit Ihnen, braver junger Mann, und mit Ihrem würdigen Vater mich näher zu verbinden. – Herr Firmin! Wenn es meine Pflicht ist, Sie aufzusuchen, so ist es die Ihre nicht weniger, sich finden zu lassen. Mag sich der Unfähige einer schimpflichen Trägheit ergeben! – Der Mann von Talent, der sein Vaterland liebet, sucht selbst das Auge seines Chefs und bewirbt sich um die Stelle, die er zu verdienen sich bewußt ist. – Der Dummkopf und der Nichtswürdige sind immer bei der Hand, um sich mit ihrem anmaßlichen Verdienste zu brüsten – Wie soll man das wahre Verdienst unterscheiden, wenn es sich mit seinen verächtlichen Nebenbuhlern nicht einmal in die Schranken stellt? – Bedenken Sie, Herr Firmin, daß man für das Gute, welches man nicht thut, so wie für das Böse, welches man zuläßt, verantwortlich ist.

Karl. Hören Sie' s nun, mein Vater!

Firmin. Geben Sie mir Gelegenheit, meinem Vaterlande zu dienen, ich werde sie mit Freuden ergreifen!

Narbonne. Und mehr verlang' ich nicht – Damit wir besser mit einander bekannt werden, so speisen Sie Beide diesen Abend bei mir. Sie finden eine angenehme Gesellschaft – ein paar gute Freunde, einige Verwandte – Aller Zwang wird entfernt sein, und meine Mutter, die durch meinen neuen Stand nicht stolzer geworden ist, wird Sie aufs freundlichste empfangen, das versprech' ich Ihnen.

Firmin. Wir nehmen Ihre gütige Einladung an.

Karl (für sich). Ich werde Charlotten sehen!

La Roche (bei Seite). Die Sachen sind auf gutem Weg – der Augenblick ist günstig – frisch, noch einen Ausfall auf diesen Selicour! (Kommt vorwärts.) So lassen Sie endlich dem Verdienst Gerechtigkeit widerfahren, gut! Nun ist noch übrig, auch das Laster zu entlarven – Glücklicherweise finde ich Sie hier und kann da fortfahren, wo ich es diesen Morgen gelassen. – Dieser Selicour brachte mich heute zum Stillschweigen – ich machte es ungeschickt, ich gesteh' es, daß ich so mit der Thür ins Haus fiel; aber wahr bleibt wahr! Ich habe doch recht! Sie verlangten Thatsachen – Ich bin damit versehen.

Narbonne. Was? Wie?

La Roche. Dieser Mensch, der sich das Ansehen gibt, als ob er seiner Mutter und seiner ganzen Familie zur Stütze diente, er hat einen armen Teufel von Vetter schön empfangen, der heute in seiner Einfalt, in gutem Vertrauen zu ihm in die Stadt kam, um eine kleine Versorgung durch ihn zu erhalten. Fortgejagt wie einen Taugenichts hat ihn der Heuchler! So geht er mit seinen Verwandten um – und wie schlecht sein Herz ist, davon kann seine nothleidende Mutter —

Firmin. Sie thun ihm sehr Unrecht, lieber La Roche! Eben dieser Vetter, den er soll fortgejagt haben, kehrt mit seinen Wohlthaten überhäuft und von falschen Hoffnungen geheilt in sein Dorf zurück!

Narbonne. Eben mit diesem Vetter hat er sich recht gut betragen.

La Roche. Wie? Was?

Narbonne. Meine Mutter war ja bei dem Gespräch zugegen.

 

Firmin. Lieber La Roche! Folgen Sie doch nicht so der Eingebung einer blinden Rache.

La Roche. Schön, Herr Firmin! Reden Sie ihm noch das Wort!

Firmin. Er ist abwesend, es ist meine Pflicht, ihn zu verteidigen.

Narbonne. Diese Gesinnung macht Ihnen Ehre, Herr Firmin; auch hat sich Herr Selicour in Ansehung Ihrer noch heute eben so betragen. – Wie erfreut es mich, mich von so würdigen Personen umgeben zu sehen. – (Zu La Roche) Sie aber, der den armen Selicour so unversöhnlich verfolgt, Sie scheinen mir wahrlich der gute Mann nicht zu sein, für den man Sie hält! – Was ich bis jetzt noch von Ihnen sah, bringt Ihnen wahrlich schlechte Ehre!

La Roche für sich). Ich möchte bersten – aber nur Geduld!

Narbonne. Ich bin geneigt, von dem guten Selicour immer besser zu denken, je mehr Schlimmes man mir von ihm sagt, und ich gehe damit um, ihn mir näher zu verbinden.

Karl (betroffen). Wie so?

Narbonne. Meine Mutter hat gewisse Plane, die ich vollkommen gutheiße – Auch mit Ihnen habe ich es gut vor, Herr Firmin! – Diesen Abend ein Mehreres. – Bleiben Sie ja nicht lange aus. (Zu Karl.) Sie, mein junger Freund, legen sich auf die Dichtkunst, hör' ich; meine Mutter hat mir heute Ihr Talent gerühmt. – Lassen Sie uns bald etwas von Ihrer Arbeit hören. – Auch ich liebe die Musen, ob ich gleich ihrem Dienst nicht leben kann. – Ihr Diener, meine Herren! – Ich verbitte mir alle Umstände. (Er geht ab.)

Zehnter Auftritt.

Vorige ohne Narbonne.

Karl. Ich werde sie sehen! Ich werde sie sprechen! – Aber diese gewissen Plane der Großmutter – Gott! Ich zittre. – Es ist gar nicht mehr zu zweifeln, daß sie diesem Selicour bestimmt ist.

Firmin. Nun, mein Sohn! Das ist ja heute ein glücklicher Tag!

La Roche. Für Sie wohl, Herr Firmin – aber für mich?

Firmin. Sei'n Sie außer Sorgen! Ich hoffe, alles wieder ins Gleiche zu bringen. – (Zu Karl.) Betrage dich klug, mein Sohn! Wenigstens unter den Augen des Ministers vergiß dich nicht!

Karl. Sorgen Sie nicht! Aber auch Sie, mein Vater, rühren Sie sich einmal!

Firmin. Schön! Ich erhalte auch meine Lektion.

Karl. Und habe ich nicht recht, Herr La Roche?

Firmin. Laß dir sein Beispiel wenigstens zu einer Warnung dienen. —

Muth gefaßt, La Roche! Wenn meine Fürsprache etwas gilt, so ist Ihre

Sache noch nicht verloren. (Er geht ab.)

Eilfter Auftritt.

Karl Firmin und La Roche.

La Roche. Nun, was sagen Sie? Ist das erlaubt, daß Ihr Vater selbst mich Lügen straft und den Schelmen in Schutz nimmt?

Karl. Bester Freund, ich habe heute früh Ihre Dienste verschmäht, jetzt flehe ich um Ihre Hilfe. Es ist nicht mehr zu zweifeln, daß man ihr den Selicour zum Gemahl bestimmt. Ich bin nicht werth, sie zu besitzen, aber noch weniger verdient es dieser Nichtswürdige!

La Roche. Braucht's noch eines Sporns, mich zu hetzen? Sie sind Zeuge gewesen, wie man mich um seinetwillen mißhandelt hat! Hören Sie mich an! Ich habe in Erfahrung gebracht, daß der Minister ihm noch heute eine sehr wichtige und kitzliche Arbeit aufgetragen, die noch vor Abend fertig sein soll. Er wird sie entweder gar nicht leisten, oder doch etwas höchst Elendes zu Markte bringen. So kommt seine Unfähigkeit ans Licht. Trotz seiner süßlichten Manieren hassen ihn Alle und wünschen seinen Fall. Keiner wird ihm helfen, dafür steh' ich, so verhaßt ist er!

Karl. Meinen Vater will ich schon davon abhalten. – Ich sehe jetzt wohl, zu welchem Zweck er mir mein Gedicht abschwatzte. Sollte er wohl die Stirne haben, sich in meiner Gegenwart für den Verfasser auszugeben?

La Roche. Kommen Sie mit mir in den Garten, er darf uns nicht

beisammen antreffen. – Du nennst dich meinen Meister, Freund Selicour!

Nimm dich in Acht – dein Lehrling formiert sich, und noch vor

Abend sollst du bei ihm in die Schule gehen! (Gehen ab.)

Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.

Madame Belmont. Charlotte.

Mad. Belmont. Bleib da, Charlotte! Wir haben ein Wörtchen mit einander zu reden, eh die Gesellschaft kommt. – Sage mir, mein Kind! Was hältst du von dem Herrn Selicour?

Charlotte. Ich, Mama?

Mad. Belmont. Ja, du!

Charlotte. Nun, ein ganz angenehmer, verdienstvoller, würdiger Mann scheint er mir zu sein.

Mad. Belmont. Das hör' ich gerne! Ich freue mich, liebes Kind, daß du eine so gute Meinung von ihm hast – denn, wenn dein Vater und ich etwas über dich vermögen, so wird Herr Selicour bald dein Gemahl sein.

Charlotte (betroffen). Mein Gemahl! —

Mad. Belmont. Fällt dir das auf?

Charlotte. Herr Selicour?

Mad. Belmont. Wir glaubten nicht besser für dein Glück sorgen zu können.

Charlotte. Von Ihren und meines Vaters Händen will ich gern einen Gatten annehmen – Aber, Sie werden mich für grillenhaft halten, liebe Großmama! – Ich weiß nicht – dieser Herr Selicour, den ich übrigens hochschätze – gegen den ich nichts einzuwenden habe – ich weiß nicht, wie es kommt – wenn ich mir ihn als meinen Gemahl denke, so – so empfinde ich in der Tiefe meines Herzens eine Art von —

Mad. Belmont. Doch nicht von Abneigung?

Charlotte. Von Grauen möcht' ich's sogar nennen! Ich weiß, daß ich ihm Unrecht thue; aber ich kann es nun einmal nicht überwinden – Ich fühle weit mehr Furcht vor ihm, als Liebe.

Mad. Belmont. Schon gut! Diese Furcht kennen wir, meine Tochter!

Charlotte. Nein! Hören Sie! —

Mad. Belmont. Eine angenehme mädchenhafte Schüchternheit! Das muß ich wissen, glaube mir. – Bin ich nicht auch einmal jung gewesen? – Uebrigens steht diese Partie deiner Familie an. – Ein Mann, der alles weiß – ein Mann von Geschmack – ein feiner Kenner – und ein so gefälliger, bewährter Freund. – Auch reißt man sich in allen Häusern um ihn. – Wäre er nicht eben jetzt seiner Mutter wegen bekümmert, so hätte er mir diesen Abend eine Romanze für dich versprochen – denn er kann alles, und dir möchte er gern in jeder Kleinigkeit zu Gefallen sein. – Aber ich hör' ihn kommen! Er läßt doch niemals auf sich warten! Wahrlich, es gibt seines Gleichen nicht!

Zweiter Auftritt.

Selicour zu den Vorigen.

Selicour. Sie verlangten heute ein gefühlvolles zärtliches Lied von mir! Ich habe mein Möglichstes gethan, Madame! – und lege es Ihnen hier zu Füßen.

Mad. Belmont. Wie, Herr Selicour? Sie haben es wirklich schon fertig? – In der That, ich fürchtete, daß die übeln Nachrichten —

Selicour. Welche Nachrichten?

Mad. Belmont. Von Ihrer Mutter —

Selicour. Von meiner Mutter! – Ja – ich – ich habe eben einen Brief von ihr erhalten – einen Brief, worin sie mir meldet, daß sie endlich —

Mad. Belmont. Daß sie die tausend Thaler erhalten – nun, das freut mich —

Selicour. Hätte ich sonst die Fassung haben können? – Aber, dem

Himmel sei Dank! – jetzt ist mir dieser Stein vom Herzen, und in der ersten Freude setzte ich diese Strophen auf, die ich die Ehre gehabt,

Ihnen zu überreichen.

Mad. Belmont (zu Charlotten). Er hätte dich gejammert, wenn du ihn gesehen hättest – Da war's, wo ich sein ganzes treffliches Herz kennen lernte. – Herr Selicour, ich liebe Ihre Romanze, noch eh' ich sie gelesen.

Dritter Auftritt.

Vorige. Narbonne.

Narbonne. Selicour hier bei Ihnen! Ei, ei, liebe Mutter! Sie ziehen mir ihn von nöthigeren Dingen ab. – Er hat so dringend zu thun, und Sie beladen ihn noch mit unnützen Aufträgen.

Mad. Belmont. Sieh, sieh, mein Sohn! – Will er nicht gar böse werden!

Narbonne. Was soll aus dem Aufsatz werden, der doch so wichtig und so dringend ist?

Selicour. Der Aufsatz ist fertig. Hier ist er!

Narbonne. Was, schon fertig?

Selicour. Und ich bitte Sie, zu glauben. Daß ich weder Zeit noch

Mühe dabei gespart habe.

Narbonne. Aber wie ist das möglich?

Selicour. Die Mißbräuche der vorigen Verwaltung haben mir nur zu oft das Herz schwer gemacht – Ich konnte es nicht dabei bewenden lassen, sie bloß müßig zu beklagen – dem Papiere vertraute ich meinen Unwillen, meinen Tadel, meine Verbesserungsplane an, und so trifft es sich, daß die Arbeit, die Sie mir auftrugen, schon seit lange im Stillen von mir gemacht ist – Es sollte mir wahrlich auch nicht an Muth gefehlt haben, öffentlich damit hervorzutreten, wenn die Regierung nicht endlich von selbst zur Einsicht gekommen wäre und in Ihrer Person einen Mann abgestellt hätte, der alles wieder in Ordnung bringt. – Jetzt ist der Zeitpunkt da, von diesen Papieren öffentlichen Gebrauch zu machen – Es fehlte nichts, als die Blätter zurecht zu legen, und das war in wenig Augenblicken geschehen.

Mad. Belmont. Nun, mein Sohn! Du kannst zufrieden sein, denk' ich – Herr Selicour hat deinen Wunsch erfüllt, eh' er ihn wußte; hat dir in die Hand gearbeitet, und ihr kommt einander durch den glücklichsten Zufall entgegen —

Narbonne. Mit Freuden seh' ich, daß wir einverstanden sind. – Geben

Sie, Herr Selicour, noch heute Abend sende ich den Aufsatz an die

Behörde.

Selicour (für sich). Alles geht gut – Jetzt diesen Firmin weggeschafft, der mir im Weg ist. (Laut.) Werden Sie mir verzeihen, Herr von Narbonne? – Es thut mir leid. Es zu sagen – aber ich muß fürchten, daß die Anklage des Herrn La Roche diesen Morgen doch einigen Eindruck gemacht haben könnte.

Narbonne. Nicht den mindesten.

Selicour. Ich habe es befürchtet. – Nach allem, was ich sehe, hat dieser La Roche meine Stelle schon an Jemanden vergeben. —

Narbonne. Wie?

Selicour. Ich habe immer sehr gut gedacht von Herrn Firmin. Aber, ich gesteh' es – ich fange doch endlich an, an ihm irre zu werden.

Narbonne. Wie? Sie haben mir ja noch heute seine Gutmütigkeit gerühmt.

Selicour. Ist auch den Gutmütigsten bis auf einen gewissen Punkt zu trauen? – Ich sehe mich von Feinden umgeben. Man legt mir Fallstricke.

Narbonne. Sie thun Herrn Firmin Unrecht. Ich kenne ihn besser, und ich stehe für ihn.

Selicour. Ich wünschte, daß ich eben so von ihm denken könnte.

Narbonne. Der schändliche Undank dieses La Roche muß Sie natürlicherweise mißtrauisch machen. Aber wenn Sie auch nur den Schatten eines Zweifels gegen Herrn Firmin haben, so werden Sie sogleich Gelegenheit haben, von Ihrem Irrthum zurück zu kommen.

Selicour. Wie das?

Narbonne. Er wird im Augenblick selbst hier sein.

Selicour. Herr Firmin – hier?

Narbonne. Hier – Ich konnte mir's nicht versagen. Ich hab' ihn gesehen!

Selicour. Gesehen! Vortrefflich!

Narbonne. Er und sein Sohn speisen diesen Abend mit uns.

Selicour. Speisen – Sein Sohn! Vortrefflich!

Mad. Belmont und Charlotte. Karl Firmin?

Narbonne. Der junge Officier, dessen Verdienste Sie mir so oft gerühmt haben – Ich habe Vater und Sohn zum Nachtessen eingeladen.

Mad. Belmont. Ich werde sie mit Vergnügen willkommen heißen.

Narbonne (zu Selicour). Sie haben doch nichts dawider?

Selicour. Ich bitte sehr – ganz im Gegentheil!

Mad. Belmont. Ich bin dem Vater schon im Voraus gut um des Sohnes willen. Und was sagt unsere Charlotte dazu?

Charlotte. Ich, Mama – ich bin ganz Ihrer Meinung!

Narbonne. Sie können sich also ganz offenherzig gegen einander erklären.

Selicour. O das bedarf's nicht – im geringsten nicht – Wenn ich's gestehen soll, ich habe Herrn Firmin immer für den redlichsten Mann gehalten – und that ich ihm einen Augenblick Unrecht, so bekenne ich mit Freuden meinen Irrthum – Ich für meinen Theil bin überzeugt, daß er mein Freund ist.

Narbonne. Er hat es bewiesen! Er spricht mit großer Achtung von Ihnen – Zwar kenne ich ihn nur erst von heute, aber gewiß verdient er —

Selicour (einfallend). Alle die Lobsprüche, die ich ihm, wie Sie wissen, noch vor kurzem ertheilt habe – So bin ich einmal! Mein Herz weiß nichts von Mißgunst.

Narbonne. Er verbindet einen gesunden Kopf mit einem vortrefflichen Herzen, und kein Mensch kann von Ruhmsucht freier sein, als er. Was gilt's, er wär' im Stande, einem Andern das ganze Verdienst von dem zu lassen, was er geleistet hat!

Selicour. Meinen Sie?

Narbonne. Er wäre der Mann dazu!

Mad. Belmont. Sein Sohn möchte in diesem Stück nicht ganz so denken.

Charlotte. Jawohl, der ist ein junger feuriger Dichterkopf, der keinen Scherz versteht.

Selicour. Würde der wohl einem Andern den Ruhm seines Werks abtreten?

Charlotte. O daran zweifle ich sehr.

Narbonne. Ich liebe dieses Feuer an einem jungen Kriegsmann.

Selicour. O allerdings, das verspricht!

Narbonne. Jeder an seinen rechten Platz gestellt, werden sie Beide vortrefflich zu brauchen sein.

Selicour. Es ist doch gar schön, wie Sie die fähigen Leute so aufsuchen!

Narbonne. Das ist meine Pflicht. (Er spricht mit seiner Tochter.)

 

Selicour. Das war's! (Zu Madame Belmont, bei Seite.) Ein Wort,

Madame! – Man könnte doch glauben, Sie zerstreuten mich von meinen

Berufsgeschäften – Wenn also diesen Abend mein Gedicht sollte gesungen werden, so – nennen Sie mich nicht!

Mad. Belmont. Wenn Sie nicht wollen, nein.