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Der Parasit, oder, die Kunst sein Glück zu machen

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Und Charlotte, wollte ich wohl wetten, würde es recht sehr übel nehmen, wenn Sie nicht kämen.

Charlotte. Ich, Mama? Nun ja! Ihre und Papa's Freunde sind mir immer herzlich willkommen.

Mad. Belmont. Schon gut! Schon gut! – Jetzt zieh dich an! Es ist die höchste Zeit! – Sie müssen wissen, Herr Selicour, daß ich bei dem Putz präsidiere.

Selicour. So kommt die schöne Kunst noch der schönen Natur zu Hilfe – wer könnte da widerstehen?

Mad. Belmont. Er ist scharmant! Scharmant ist er! Nicht den Mund öffnet er, ohne etwas Geistreiches und Galantes zu sagen. (Geht mit Charlotten.)

Siebenter Auftritt.

Selicour. Michel.

Michel (im Hereintreten). Endlich ist sie fort! – Nun kann ich mein

Wort anbringen! – Hab' ich die Ehre, mit Herrn Selicour —

Selicour (grob und verdrießlich). Das ist mein Name!

Michel. Vergönnen Sie, mein Herr! —

Selicour. Muß ich auch hier belästigt werden? Was will man von mir?

Michel. Mein Herr! —

Selicour. Gewiß eine Bettelei – ein Anliegen. – Ich kann nicht dienen. —

Michel. Erlauben Sie, mein Herr!

Selicour. Nichts! Hier ist der Ort nicht – In meinem Cabinet mag man einmal wieder anfragen!

Michel. Einen so übeln Empfang glaubte ich nicht —

Selicour. Was beliebt?

Michel. Ich komme ja gar nicht, um etwas zu bitten – ich komme, dem

Herrn Selicour meine gehorsame Danksagung abzustatten.

Selicour. Danksagung? Wofür?

Michel. Daß Sie meinem Neffen die Stelle verschafft haben.

Selicour. Was? Wie?

Michel. Ich bin erst seit gestern hier im Hause, weil mich mein Herr auf dem Lande zurückließ. Als ich Ihnen schrieb, hatte ich nicht die Ehre, Sie von Person zu kennen.

Selicour. Was Sie sagen, mein Werthester! Sie wären im Dienst des

Ministers?

Michel. Sein Kammerdiener, Ihnen zu dienen!

Selicour. Mein Gott, welcher Irrthum! Monsieur Michel, Kammerdiener,

Leibdiener, Vertrauter des Herrn Ministers! – Bitte tausendmal um

Verzeihung, Monsieur Michel! – Wahrhaftig, ich schäme mich – ich bin untröstlich, daß ich Sie so barsch angelassen. Auf Ehre, Monsieur

Michel! – Ich hielt Sie für einen Commis.

Michel. Und wenn ich es auch wäre!

Selicour. Man wird von so vielen Zudringlichen belagert! Man kann es nicht allen Leuten am Rock ansehen. —

Michel. Aber gegen alle kann man höflich sein, dächt' ich!

Selicour. Freilich! Freilich! Es war eine unglückliche Zerstreuung! —

Michel. Eine sehr unangenehme für mich, Herr Selicour!

Selicour. Es thut mir leid, sehr leid – ich kann mir's in Ewigkeit nicht vergeben —

Michel. Lassen wir's gut sein!

Selicour. Nun! Nun! – ich habe Ihnen meinen Eifer bewiesen – der liebe, liebe Neffe, der wäre denn nun versorgt!

Michel. Eben komm' ich von ihm her; er ist nicht auf den Kopf gefallen, der Bursch!

Selicour. Der junge Mann wird seinen Weg machen. Zählen Sie auf mich.

Michel. Schreibt er nicht seine saubre Hand?

Selicour. Er schreibt gar nicht übel!

Michel. Und die Orthographie —

Selicour. Ja! Das ist das Wesen!

Michel. Hören Sie, Herr Selicour! Von meinem Briefe an Sie lassen Sie sich gegen den gnädigen Herrn nichts merken. Er hat uns, da er zur Stadt reiste, streng anbefohlen, um nichts zu sollicitieren. – Er ist so etwas wunderlich, der Herr!

Selicour. Ist er das? So! So! – Sie kennen ihn wohl sehr gut, den

Herrn Minister?

Michel. Da er auf einem vertrauten Fuß mit seiner Dienerschaft umgeht, so weiß ich ihn auswendig, – und kann Ihnen, wenn Sie wollen, völlige Auskunft über ihn geben.

Selicour. Ich glaub's! Ich glaub's! Aber ich bin eben nicht neugierig, ganz und gar nicht! Sehen Sie, Monsieur Michel! Mein Grundsatz ist: Handle recht, scheue Niemand.

Michel. Schön gesagt!

Selicour. Nun also weiter! Fahren Sie nur fort, Monsieur Michel! —

Der gute Herr ist also ein wenig eigen, sagen Sie?

Michel. Er ist wunderlich, aber gut. Sein Herz ist lauter, wie Gold.

Selicour. Er ist reich, er ist ein Wittwer, ein angenehmer Mann und noch in seinen besten Jahren. – Gestehen Sie's nur – er haßt die Weiber nicht, der liebe, würdige Mann.

Michel. Er hat ein gefühlvolles Herz.

Selicour (lächelt fein). He! He! So einige kleine Liebschaften, nicht wahr?

Michel. Mag wohl sein; aber er ist über diesen Punkt —

Selicour. Verstehe, verstehe, Monsieur Michel! Sie sind bescheiden und wissen zu schweigen. – Ich frage in der besten Absicht von der Welt; denn ich bin gewiß, man kann nichts erfahren, als was ihm Ehre bringt.

Michel. Ja! Hören Sie! In einer von den Vorstädten sucht er ein

Quartier.

Selicour. Ein Quartier, und für wen?

Michel. Das will ich schon noch herausbringen. – Aber lassen Sie sich ja nichts verlauten, hören Sie?

Selicour. Bewahre Gott!

Michel. Galant war er in der Jugend. —

Selicour. Und da glauben Sie, daß er jetzt noch sein Liebchen —

Michel. Das eben nicht! Aber —

Selicour. Sei's, was es will! Als ein treuer Diener des würdigen Herrn müssen Sie einen christlichen Mantel auf seine Schwachheit werfen. Und warum könnte es nicht eine heimliche Wohlthat sein? Warum das nicht, Herr Michel? – Ich hasse die schlechten Auslegungen – In den Tod hasse ich, was einer übeln Nachrede gleicht. – Man muß immer das Beste von seinen Wohlthätern denken. – Nun! Nun! Nun, wir sehen uns wieder, Monsieur Michel! – Sie haben mir doch meinen trockenen Empfang verziehen? Haben Sie? – Auf Ehre! Ich bin noch ganz schamroth darüber! (Gibt ihm die Hand.)

Michel (weigert sich). O nicht doch, nicht doch, Herr Selicour! Ich kenne meinen Platz und weiß mich zu bescheiden.

Selicour. Ohne Umstände! Zählen Sie mich unter Ihre Freunde! – Ich bitte mir das aus, Monsieur Michel!

Michel. Das werd' ich mich nimmer unterstehen – ich bin nur ein

Bedienter.

Selicour. Mein Freund! Mein Freund! Kein Unterschied zwischen uns.

Ich bitte mir's recht aus, Monsieur Michel!

(Indem sich Beide becomplimentieren. Fällt der Vorhang.)

Zweiter Aufzug.

Erster Auftritt.

Narbonne und Selicour sitzen.

Narbonne. Sind wir endlich allein?

Selicour (unbehaglich). – Ja.

Narbonne. Es liegt mir sehr viel an dieser Unterredung. – Ich habe schon eine sehr gute Meinung von Ihnen, Herr Selicour, und bin gewiß, sie wird sich um ein Großes vermehren, ehe wir auseinander gehen. Zur Sache also, und die falsche Bescheidenheit bei Seite. Sie sollen in der Diplomatik und im Staatsrecht sehr bewandert sein, sagt man?

Selicour. Ich habe viel darin gearbeitet, und vielleicht nicht ganz ohne Frucht. Aber für sehr kundig möchte ich mich denn darum doch nicht —

Narbonne. Gut! Gut! Fürs erste also lassen Sie hören – Welches halten Sie für die ersten Erfordernisse zu einem guten Gesandten?

Selicour (stockend). Vor allen Dingen habe er eine Gewandtheit in

Geschäften.

Narbonne. Eine Gewandtheit, ja, aber die immer mit der strengsten

Redlichkeit bestehe.

Selicour. So mein' ich's.

Narbonne. Weiter.

Selicour. An dem fremden Hofe, wo er sich aufhält, suche er sich beliebt zu machen.

Narbonne. Ja! Aber ohne seiner Würde etwas zu vergeben. Er behaupte die Ehre des Staats, den er vorstellt, und erwerbe ihm Achtung durch sein Betragen.

Selicour. Das ist's, was ich sagen wollte. Er lasse sich nichts bieten und wisse sich ein Ansehen zu geben. —

Narbonne. Ein Ansehen, ja, aber ohne Anmaßung.

Selicour. So mein' ich's.

Narbonne. Er habe ein wachsames Auge auf alles, was —

Selicour (unterbricht ihn). Ueberall habe er die Augen; er wisse das

Verborgenste aufzuspüren —

Narbonne. Ohne den Aufpasser zu machen.

Selicour. So mein' ich's. – Ohne eine ängstliche Neugierde zu verrathen.

Narbonne. Ohne sie zu haben. – Er wisse zu schweigen, und eine bescheidene Zurückhaltung —

Selicour (rasch). Sein Gesicht sei ein versiegelter Brief.

Narbonne. Ohne den Geheimnißkrämer zu machen.

Selicour. So mein' ich's.

Narbonne. Er besitze einen Geist des Friedens und suche jeder gefährlichen Mißhelligkeit —

Selicour. Möglichst vorzubeugen.

Narbonne. Ganz recht. Er habe eine genaue Kenntniß von der

Volksmenge der verschiedenen Länder —

Selicour. Von ihrer Lage – ihren Erzeugnissen – ihrer Ein- und

Ausfuhr – ihrer Handelsbilanz —

Narbonne. Ganz recht.

Selicour (im Fluß der Rede). Ihren Verfassungen – ihren Bündnissen – ihren Hilfsquellen – ihrer bewaffneten Macht. —

Narbonne. Zum Beispiel: angenommen also, es wäre Schweden oder

Rußland, wohin man Sie verschickte – so würden Sie wohl von diesen

Staaten vorläufig die nöthige Kunde haben.

Selicour (verlegen). Ich – muß gestehen, daß – Ich habe mich mehr mit Italien beschäftigt. Den Norden kenn' ich weniger.

Narbonne. So! Hm!

Selicour. Aber ich bin jetzt eben daran, ihn zu studieren.

Narbonne. Von Italien also!

Selicour. Das Land der Cäsaren fesselte billig meine Aufmerksamkeit zuerst. Hier war die Wiege der Künste, das Vaterland der Helden, der Schauplatz der erhabensten Tugend! Welche rührende Erinnerungen für ein Herz, das empfindet!

Narbonne. Wohl! Wohl! Aber auf unser Thema zurück zu kommen!

Selicour. Wie Sie befehlen! Ach, die schönen Künste haben so viel

Anziehendes! Es läßt sich so Vieles dabei denken!

Narbonne. Venedig ist's, was mir zunächst einfällt.

Selicour. Venedig! – Recht! Gerade über Venedig habe ich einen

Aufsaß angefangen, worin ich mich über alles ausführlich verbreite. —

Ich eile, ihn herzuholen. – (Steht auf.)

Narbonne. Nicht doch! Nicht doch! Eine kleine Geduld.

Zweiter Auftritt.

 

Vorige. Michel.

Michel. Es ist Jemand draußen, der in einer dringenden Angelegenheit ein geheimes Gehör verlangt. —

Selicour (sehr eilig). Ich will nicht stören.

Narbonne. Nein! Bleiben Sie, Selicour! Dieser Jemand wird sich ja wohl einen Augenblick gedulden.

Selicour. Aber – wenn es dringend —

Narbonne. Das Dringendste ist mir jetzt unsere Unterredung.

Selicour. Erlauben Sie, aber —

Michel. Es sei in ein paar Minuten geschehen, sagt der Herr, und habe gar große Eile. (Selicour eilt ab.)

Narbonne. Kommen Sie ja gleich wieder, ich bitte Sie, wenn der

Besuch fort ist.

Selicour. Ich werde ganz zu Ihren Befehlen sein.

Narbonne (zu Michel). Laß ihn eintreten!

Dritter Auftritt.

Narbonne. La Roche.

La Roche (mit vielen Bücklingen). Ich bin wohl – ich vermuthe – es ist des Herrn Ministers Excellenz, vor dem ich —

Narbonne. Ich bin der Minister. Treten Sie immer näher!

La Roche. Bitte sehr um Vergebung – ich – ich komme – es ist – ich sollte – ich bin wirklich in einiger Verwirrung – der große Respekt —

Narbonne. Ei, so lassen Sie den Respekt und kommen zur Sache! Was führt Sie her?

La Roche. Meine Pflicht, mein Gewissen, die Liebe für mein Land! —

Ich komme, Ihnen einen bedeutenden Wink zu geben.

Narbonne. Reden Sie!

La Roche. Sie haben Ihr Vertrauen einem Manne geschenkt, der weder

Fähigkeit noch Gewissen hat.

Narbonne. Und wer ist dieser Mann?

La Roche. Selicour heißt er.

Narbonne. Was? Sel —

La Roche. Gerade heraus. Dieser Selicour ist eben so unwissend, als er niederträchtig ist. Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine kleine Schilderung von ihm mache.

Narbonne. Eine kleine Geduld! (klingelt. – Michel kommt.) Ruft Herrn

Selicour!

La Roche. Mit nichten, Ihr Excellenz! – Er ist uns bei diesem

Gespräche keineswegs nöthig.

Narbonne. Nicht für Sie, das glaub' ich, aber das ist nun einmal meine Weise. Ich nehme keine Anklage wider Leute an, die sich nicht vertheidigen können. – Wenn er Ihnen gegenüber steht, mögen Sie Ihre Schilderung anfangen.

La Roche. Es ist aber doch mißlich, Jemand ins Angesicht —

Narbonne. Wenn man keine Beweise hat, allerdings – Ist das Ihr Fall —

La Roche. Ich hatte nicht darauf gerechnet, es ihm gerade unter die Angen zu sagen – Er ist ein feiner Schelm, ein besonnener Spitzbube. – Ei nun! Meinetwegen auch ins Angesicht! – Zum Henker, ich fürchte mich nicht vor ihm. – Er mag kommen! Sie sollen sehen, daß ich mich ganz und gar nicht vor ihm fürchte.

Narbonne. Wohl! Wohl! Das wird sich gleich zeigen. Da kommt er!

Vierter Auftritt.

Vorige. Selicour.

Narbonne. Kennen Sie diesen Herrn?

Selicour (sehr verlegen). Es ist Herr La Roche.

Narbonne. Ich habe Sie rufen lassen, sich gegen ihn zu vertheidigen.

Er kommt, Sie anzuklagen. Nun, reden Sie!

La Roche (nachdem er gehustet). Ich muß Ihnen also sagen, daß wir Schulkameraden zusammen waren, daß er mir vielleicht einige Dankbarkeit schuldig ist. Wir singen Beide unsern Weg zugleich an – es sind jetzt fünfzehn Jahre – und traten Beide in dem nämlichen Bureau als Schreiber ein. Herr Selicour aber machte einen glänzenden Weg, ich – sitze noch da, wo ich ausgelaufen bin. Daß er den armen Teufel, der sein Jugendfreund war, seit vielen Jahren vergessen, das mag sein! Ich habe nichts dagegen. Aber nach einer so langen Vergessenheit an seinen alten Jugendfreund nur darum zu denken, um ihn unverdienter Weise aus seinem Brod zu treiben, wie er gethan hat, das ist hart, das muß mich aufbringen! Er kann nicht das geringste Böse wider mich sagen; ich aber sage von ihm und behaupte dreist, daß dieser Herr Selicour, der jetzt gegen Euer Excellenz den redlichen Mann spielt, einen rechten Spitzbuben machte, da die Zeit dazu war. Jetzt hilft er Ihnen das Gute ausführen; Ihrem Vorgänger, weiß ich gewiß, hat er bei seinen schlechten Stückchen redlich beigestanden. Wie ein spitzbübischer Lakai weiß der Heuchler mit der Livree auch jedesmal den Ton seines Herrn anzunehmen. Ein Schmeichler ist er, ein Lügner, ein Großprahler, ein übermüthiger Gesell! Niederträchtig, wenn er etwas sucht, und hochmüthig, unverschämt gegen Alle, die das Unglück haben, ihn zu brauchen. Als Knabe hatte er noch etwas Gutmüthiges; aber über diese menschliche Schwachheit ist er jetzt weit hinaus. – Nun hat er sich in eine prächtige Stelle eingeschlichen, und ich bin überzeugt, daß er ihr nicht gewachsen ist. Auf sich allein zieht er die Augen seines Chefs, und Leute von Fähigkeiten, von Genie, Männer, wie Herr Firmin, läßt er nicht aufkommen.

Narbonne. Firmin! Wie? – Ist Herr Firmin in unsern Bureaux?

La Roche. Ein trefflicher Kopf, das können Sie mir glauben.

Narbonne. Ich weiß von ihm. – Ein ganz vorzüglicher Geschäftsmann!

La Roche. Und Vater einer Familie! Sein Sohn machte in Colmar die

Bekanntschaft Ihrer Tochter.

Narbonne. Karl Firmin! Ja, ja, ganz richtig!

La Roche. Ein talentvoller junger Mann!

Narbonne. – Fahren Sie fort!

La Roche. Nun, das wär' es! Ich habe genug gesagt, denk' ich!

Narbonne (zu Selicour). Verantworten Sie sich!

Selicour. Des Undanks zeiht man mich. – Mich des Undanks! Ich hätte gedacht, mein Freund La Roche sollte mich besser kennen! – An meinem Einfluß und nicht an meinem guten Willen fehlte es, wenn er so lange in der Dunkelheit geblieben. – Welche harte Beschuldigungen gegen einen Mann, den er seit zwanzig Jahren treu gefunden hat! Mit seinem Verdacht so rasch zuzufahren, meine Handlungen aufs schlimmste auszulegen und mich mit dieser Hitze, dieser Galle zu verfolgen! – Zum Beweis, wie sehr ich sein Freund bin —

La Roche. Er mein Freund! Hält er mich für einen Dummkopf? – Und welche Proben hat er mir davon gegeben!

Narbonne. Er hat Sie ausreden lassen!

La Roche. So werde ich Unrecht behalten.

Selicour. Man hat einem Andern seine Stelle gegeben, das ist wahr, und Keiner verdiente diese Zurücksetzung weniger als er. Aber ich hätte gehofft. Mein Freund La Roche, anstatt mich wie einen Feind anzuklagen, würde als Freund zu mir aufs Zimmer kommen und eine Erklärung von mir fordern. Darauf, ich gestehe es, hatte ich gewartet und mich schon im Voraus der angenehmen Ueberraschung gefreut, die ich ihm bereitete. Welche süße Freude für mich, ihn über alle Erwartung glücklich zu machen! Eben zu jenem Chef, wovon ich Eurer Excellenz heut sagte, hatte ich meinen alten Freund La Roche vorzuschlagen.

La Roche. Mich zum Chef! Großen Dank, Herr Selicour! – Ein Schreiber bin ich und kein Geschäftsmann! Meine Feder und nicht mein Kopf muß mich empfehlen, und ich bin Keiner von Denen. Die eine Last auf sich nehmen, der sie nicht gewachsen sind, um sie einem Andern heimlich anfzuladen und sich selbst das Verdienst anzueignen.

Selicour. Die Stelle schickt sich für dich, Kamerad! Glaub' mir, der dich besser kennt, als du selbst. (Zu Narbonne.) – Er ist ein trefflicher Arbeiter, genau, unermüdlich, voll gesunden Verstands; er verdient den Vorzug vor allen seinen Mitbewerbern. – Ich lasse Männer von Genie nicht aufkommen, gibt er mir Schuld, und Herr Firmin ist's, den er anführt. – Das Beispiel ist nicht gut gewählt, so trefflich auch der Mann ist. – Erstlich ist seine jetzige Stelle nicht schlecht – aber ihm gebührt allerdings eine bessere, und sie ist auch schon gefunden – denn eben Herrn Firmin wollte ich Euer Excellenz zu meinem Nachfolger empfehlen, wenn ich in jenen Posten versetzt werden sollte, den mir mein gütiger Gönner bestimmt. – Ich sei meinem jetzigen Amte nicht gewachsen, behauptet man. – Ich weiß wohl, daß ich nur mittelmäßige Gaben besitze. – Aber man sollte bedenken, daß diese Anklage mehr meinen Gönner trifft, als mich selbst! – Bin ich meinem Amte in der That nicht gewachsen, so ist der Chef zu tadeln, der es mir anvertraut und mit meinem schwachen Talent so oft seine Zufriedenheit bezeugt. – Ich soll endlich der Mitschuldige des vorigen Ministers gewesen sein! – Die Stimme der Wahrheit habe ich ihn hören lassen; die Sprache des redlichen Mannes habe ich kühnlich zu einer Zeit geredet, wo sich meine Ankläger vielleicht im Staube vor ihm krümmten. – Zwanzigmal wollte ich diesem unfähigen Minister den Dienst aufkündigen; nichts hielt mich zurück, als die Hoffnung, meinem Vaterlande nützlich zu sein. Welche süße Belohnung für mein Herz, wenn ich hier etwas Böses verhindern, dort etwas Gutes wirken konnte! – Seiner Macht habe ich getrotzt; die gute Sache habe ich gegen ihn verfochten, da er noch im Ansehen war! Er fiel, und ich zollte seinem Unglück das herzlichste Mitleid. Ist das ein Verbrechen, ich bin stolz darauf und rühme mich desselben. – Es ist hart, sehr hart für mich, lieber La Roche, daß ich dich unter meinen Feinden sehe – daß ich genöthigt bin, mich gegen einen Mann zu verteidigen. Den ich schätze und liebe! – Aber komm! Laß uns Frieden machen, schenke mir deine Freundschaft wieder, und alles sei vergessen!

La Roche. Der Spitzbube! – Rührt er mich doch fast selbst!

Narbonne. Nun, was haben Sie darauf zu antworten?

La Roche. Ich? – Nichts! Der verwünschte Schelm bringt mich ganz aus dem Concepte.

Narbonne. Herr La Roche! Es ist brav und löblich, einen Bösewicht, wo er auch stehe, furchtlos anzugreifen und ohne Schonung zu verfolgen – aber auf einem ungerechten Haß eigensinnig bestehen, zeigt ein verderbtes Herz.

Selicour. Er haßt mich nicht! Ganz und gar nicht! Mein Freund La Roche hat das beste Herz von der Welt! Ich kenne ihn – aber er ist hitzig vor der Stirn – er lebt von seiner Stelle – das entschuldigt ihn! Er glaubte sein Brod zu verlieren! Ich habe auch gefehlt – ich gesteh' es – Komm! komm! Laß dich umarmen, alles sei vergessen!

La Roche. Ich ihn umarmen? In Ewigkeit nicht! – Zwar, wie er's anstellt, weiß ich nicht, um mich selbst – um Euer Excellenz zu betrügen – aber kurz! Ich bleibe bei meiner Anklage. – Kein Friede zwischen uns, bis ich ihn entlarvt, ihn in seiner ganzen Blöße dargestellt habe!

Narbonne. Ich bin von seiner Unschuld überzeugt – wenn nicht

Thatsachen, vollwichtige Beweise mich eines Andern überführen.

La Roche. Thatsachen! Beweise! Tausend für einen!

Narbonne. Heraus damit!

La Roche. Beweise genug – die Menge – aber das ist's eben – ich kann nichts damit beweisen! – Solchen abgefeimten Schelmen läßt sich nichts beweisen. – Vormals war er so arm, wie ich; jetzt sitzt er im Ueberfluß! Sagt' ich Ihnen, daß er seinen vorigen Einfluß zu Geld gemacht, daß sich sein ganzer Reichthum davon herschreibt – so kann ich das zwar nicht, wie man sagt, mit Brief und Siegel belegen – aber Gott weiß es, die Wahrheit ist's, ich will darauf leben und sterben.

Selicour. Diese Anklage ist von zu niedriger Art, um mich zu treffen – übrigens unterwerf' ich mich der strengsten Untersuchung! – Was ich besitze, ist die Frucht eines fünfzehnjährigen Fleißes; ich habe es mit saurem Schweiß und Nachtwachen erworben, und ich glaub' es nicht unedel zu verwenden. Es ernährt meine armen Verwandten; es fristet das Leben meiner dürftigen Mutter!

La Roche. Erlogen! Erlogen! Ich kann es freilich nicht beweisen!

Aber gelogen! Unverschämt gelogen!

Narbonne. Mäßigen Sie sich!

Selicour. Mein Gott! Was erleb' ich! Mein Freund La Roche ist's, der so hart mit mir umgeht! – Was für ein Wahnsinn hat dich ergriffen? Ich weiß nicht, soll ich über diese Wuth lachen oder böse werden. – Aber lachen auf Kosten eines Freundes, der sich für beleidigt hält – nein, das kann ich nicht, das ist zu ernsthaft! – Deinen alten Freund so zu verkennen! – Komm doch zu dir selbst, lieber La Roche, und bringe dich wenigstens nicht aus übel angebrachtem Trotz um eine so treffliche Stelle, als ich dir zugedacht habe.

Narbonne. Die Wahrheit zu sagen, Herr La Roche, diese

Halsstarrigkeit gibt mir keine gute Meinung von Ihnen, – Muß auch ich

Sie bitten, gegen Ihren Freund gerecht zu sein? – Auf Ehre! Der arme

Herr Selicour dauert mich von Herzen!

La Roche. Ich will das wohl glauben, gnädiger Herr! Hat er mich doch fast selbst, trotz meines gerechten Unwillens, auf einen Augenblick irre gemacht – aber nein, nein! Ich kenne ihn zu gut – zu gewiß bin ich meiner Sache. – Krieg, Krieg zwischen uns und keine Versöhnung! Hier, sehe ich, würde alles weitere Reden vergeblich sein; aber wiewohl der Spitzbube mich aufs Aeußerste treibt, lieber tausendmal Hungers sterben, als ihm mein Brod verdanken. Ich empfehle mich zu Gnaden! (Ab.)

Fünfter Auftritt.

Narbonne. Selicour.

Narbonne. Begreifen Sie diese hartnäckige Verstocktheit —

Selicour. Hat nichts zu sagen! Er ist ein guter Narr! Ich will ihn bald wieder besänftigen.

Narbonne. Er ist rasch und unbesonnen, aber im Grunde mag er ein guter Mann sein.

 

Selicour. Ein seelenguter Mann, dafür steh' ich – dem aber der Kopf ein wenig verschoben ist. – Es kann auch sein, daß ihn sonst Jemand gegen mich aufhetzt.

Narbonne. Meinen Sie?

Selicour. Es mag so etwas dahinter stecken. – Wer weiß? Irgend ein heimlicher Feind und Neider – denn dieser arme Teufel ist nur eine Maschine.

Narbonne. Wer sollte aber —

Selicour. Es gibt so Viele, die meinen Untergang wünschen!