Seewölfe Paket 6

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Carberry änderte die Marschrichtung und hielt nun direkt auf Matt Davies zu. Der Kutscher atmete auf.

Mit leicht bebendem Finger wies der Profos auf den reglos daliegenden Bill. „Der Junge ist am Krepieren, und du redest vom Saufen, Davies. Du denkst bloß an dich, was? Ich reiß dir gleich deinen Eisenhaken aus, Mann.“

Matt hob seine scharfgeschliffene Prothese etwas an. „Vorsicht, Ed. Du bist der Profos, aber du hast kein Recht, mich zusammenzustauchen. Und was Bill betrifft, brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

„Keine Sorgen?“ Carberry schnaufte aufgebracht. „Da hört sich doch alles auf.“

„Reiß dich zusammen“, sagte jetzt der Seewolf. „Was ist denn los mit dir, Ed? Hör dir doch erst mal an, was der Kutscher über Bills Zustand zu sagen hat. Und führe hier nicht so einen Tanz auf.“

„Ja, Sir“, erwiderte Carberry zerknirscht.

„Bill nicht sehr kaputt“, sagte Batuti. „Kutscher hat schon gesagt, daß alles halb so schlimm ist.“

„Aha“, meinte Ben. „Dann können wir ja hoffen, oder? Nun rück doch mit der Sprache heraus, Kutscher.“

Der Kutscher sagte: „Natürlich. Ich bin nahezu sicher, daß Bill keine inneren Verletzungen und auch keine Gehirnerschütterung erlitten hat. Nur Prellungen und Blutergüsse. Sein Herzschlag und der Puls sind normal.“

„Warum, zum Teufel, kommt er dann nicht zu sich?“ wollte der Profos wissen.

„Vergiß nicht, daß er weniger Substanz hat als ein ausgewachsener Mann“, sagte der Kutscher belehrend. „So ein Unfall setzt ihm schon eine Weile zu. Er verdaut ihn nicht so schnell wie beispielsweise die beiden da.“ Er wies mit dem Kopf zu Matt und Batuti.

Carberry trat an das Lager von Bill. „Eins schwöre ich. Lieber beiße ich ins Gras, als daß ich den Jungen abkratzen sehe. Hölle, wir haben’s dem alten London-Joe versprochen, auf seinen Sohn aufzupassen. Und ich nehme das ernst. Verdammt ernst.“

„Wir auch, Ed“, sagte der Seewolf leise.

„Verzeihung, Sir …“

„Schon gut, Ed.“

„Bitte um Erlaubnis, bei Bill wachen zu dürfen, bis er wieder zu sich kommt.“

„Genehmigt“, sagte Hasard.

Als die „Isabella VIII.“ und das schwarze Schiff etwa eine Stunde später Cabo Corrientes an der Küste von Neu-Granada passierten, erschien Carberry wieder auf Oberdeck. Und er grinste.

Bill war nämlich aus der Bewußtlosigkeit erwacht und hatte als erstes ein echtes Carberry-Zitat vom Stapel gelassen. Darin war von Dons, verlängerten Rückenpartien und Haut die Rede, die er, Bill, ihnen noch in Streifen abziehen würde.

7.

„Esperanza“ – der Name der Galeone klang jetzt wie ein Hohn. Als Aurelio de Vargas sich weit über das Backbordschanzkleid des Vordecks beugte und zusah, wie der letzte Tote in den Fluten verschwand, konnte er den Schriftzug am Bug lesen. Leise fluchend richtete er sich wieder auf und drehte sich um.

Lopez Mangusto stand hinter ihm und musterte ihn aus forschenden dunklen Augen.

„Auf was sollen wir jetzt noch bauen?“ sagte de Vargas. „Über ein Drittel unserer Mannschaft ist getötet worden. Wir haben die Leichen in der See bestattet, wie es sich gehört. Das ändert aber nichts an unserer Lage und kann auch die Stimmung der restlichen Männer nicht heben.“

„Wir haben ein Schiff, das noch manövrierfähig und schnell genug ist, dem Seewolf davonzulaufen“, erwiderte Mangusto. Es klang lauernd, verschlagen.

„Meinetwegen. Aber einem weiteren Kampf hält es nicht stand. Wir müssen kläglich versagen.“

„Wer sagt denn, daß es zu einem weiteren Gefecht kommt?“

„Wir wollen nach Panama.“

„Sabreras ist fest entschlossen, einen starken Verband zur Jagd auf den Seewolf und die Rote Korsarin zusammenzustellen“, erwiderte der Erste Offizier.

De Vargas lächelte freudlos. „Und wo steckt der Seewolf jetzt?“

„Es ist Mittag. Seit dem Morgengrauen haben wir ihn nicht mehr gesehen.“

„Das heißt nichts. Er hat sich nicht zurückgezogen. Er segelt dicht unter Land, deswegen sehen wir ihn nicht. Unsere Distanz zur Küste beträgt fünfzig Meilen oder gar mehr, du kannst es ja mal ausrechnen. Er schneidet uns den Weg nach Panama ab, Lopez.“

„Er wird uns stellen?“

„Ja, das wird er. Eher ruht er nicht.“

„Das bedeutet Tod, Aurelio.“

„Willst du sterben?“

„Ich nicht“, erwiderte Mangusto ruhig. „Ich will die Smaragde. Sabreras wird aber den Kurs nicht ändern wollen. Das bedeutet …“

De Vargas blickte zur Kuhl. „Ich war lange wankelmütig. Jetzt weiß ich, was wir zu tun haben. Hörst du das Stöhnen der Verwundeten? Sie sind auf unserer Seite. Und die Gesunden auch. Selbst der Sargento.“

„Ja, ganz gewiß.“

„Wir reden also beide von der gleichen Sache, Lopez?“

„Ich hätte dich ohnehin darauf angesprochen“, erwiderte der Erste Offizier. „Ich wußte dich nur nicht einzustufen und war nicht sicher, ob du auch wirklich mitspielen würdest.“

„Du kannst deine Zweifel ausräumen.“

„Ja. Aber du weißt, was wir riskieren.“

„Höchstens, daß Sabreras Widerstand leistet. Mehr nicht.“

Mangusto blickte ihn verwundert an. „Wir könnten wegen Meuterei zum Tode verurteilt werden.“

„Wer soll uns verraten?“ De Vargas blieb völlig gelassen, er sprach fast gleichgültig. „Wenn wir diesen elenden Narren erst los sind, können wir in aller Ruhe die Smaragde auf einer abgelegenen Insel verstecken. Danach kehren wir nach Panama zurück, aber erst, wenn wir sicher sind, daß der Seewolf uns nicht mehr packen kann. Dem Gouverneur erzählen wir, dieser englische Korsar habe unser Schiff geentert und ausgeplündert und Sabreras dabei getötet.“

Mangustos Stimme senkte sich zu einem Raunen. „Du willst Sabreras also umbringen?“

„Das nimmt uns der Seewolf ab.“ De Vargas lächelte. „Er will Sabreras fassen, nicht uns. Vergiß das nicht. Ich setze es dir noch genauer auseinander.“

Lopez Mangusto trat noch einen Schritt näher. „Nur eines wollen wir klarstellen, Aurelio. Nach Sabreras’ – hm, Abgang gibt es an Bord der ‚Esperanza‘ zwei vollwertige Kapitäne, nicht einen neuen Kommandanten, ist das klar?“

„Einverstanden. Hast du Angst, ich könnte dich ausbooten?“

„Ich will mir nur den Rücken dekken“, entgegnete der gerissene Mangusto. Er rieb sich angelegentlich den Vollbart. „Und vergiß nicht, daß ich den Großteil der Mannschaft hinter mir habe.“

„Ich denke daran.“

„Wir erreichen Panama nicht vor morgen abend.“

„Genug Zeit also, mit den Männern zu sprechen und alles vorzubereiten“, sagte Aurelio de Vargas.

„Heute nacht schlagen wir zu“, sagte Lopez Mangusto.

Sabreras hatte sich den Tag über kaum auf dem Oberdeck aufgehalten. Im Grunde kümmerte es ihn einen Dreck, wie es um die Mannschaft bestellt war. Auch die Handvoll Soldaten und die Offiziere, die das Gefecht überstanden hatten, interessierten ihn nicht.

Im übrigen hatte er bereits gewittert, was auf der Galeone seinen Lauf nahm – und hatte seine Vorkehrungen getroffen. An großen Widerstand und überragende Heldentaten dachte er dabei weniger. Wichtig war ihm nur das persönliche Wohlergehen, denn er sah in allen Dingen sich als den Mittelpunkt seines Daseins, nur sich. Und das hielt er für eine außerordentlich gesunde Einstellung.

In der Kapitänskammer trank er nach Einbruch der Dunkelheit ein letztes Glas Wein. Er genoß es. So schnell kriegst du wahrscheinlich einen edlen Tropfen Rioja nicht wieder, dachte er.

Schließlich erhob er sich und trat durch die offene Tür auf die Heckgalerie hinaus. Er durfte nicht zu weit gehen, denn auch die Reling und einige Planken der Galerie waren in der Schlacht in Mitleidenschaft gezogen worden.

„‚Esperanza‘, schönes Schiff“, murmelte er. „Erbärmlicher Kahn – ach, der Teufel soll dich holen.“

Ein Unheil kommt selten allein, dachte er, zwar kannst du die Verfolger auf Abstand halten, weil die ‚Esperanza‘ immer noch ein schneller Segler ist, aber jetzt stehen im eigenen Hause die Zeichen auf Sturm.

Ein Komplott.

Aber wenige Habseligkeiten genügen, um einen Mann unabhängig und reich zu machen, sagte er sich auch, und dann kann er auf seine Mitmenschen pfeifen.

Die Planken der Galerie knarrten bedenklich unter seinen Füßen. Er warf noch einen Blick auf das sanft sprudelnde Kielwasser der Galeone, dann drehte er sich um und kehrte in die Kammer zurück. Nur eine Radschloßpistole steckte er sich in den Gurt. Auf den Degen verzichtete er und nahm nur ein Messer und Pulver, Kugeln und kleine Verdämmungspfropfen aus Filz mit. Er hatte sich nach dem Gefecht neu angekleidet und glaubte, adrett genug zu sein, um mit Würde Abschied von seinem Schiff nehmen zu können.

Ohne Zögern schritt er nun den Mittelgang des Achterkastells entlang, trat durchs Schott ins Freie und schaute sich um.

Auf der Backbord- und Steuerbordseite der Kuhl lagen die beiden Beiboote der „Esperanza“ in ihren Zurrings. Wie durch ein Wunder hatte das linke in dem Kampf keinen Schaden genommen. Sabreras hatte es am Nachmittag bei einem kurzen Aufenthalt auf dem Oberdeck selbst überprüft.

An Steuerbord schälte sich die Gestalt von Aurelio de Vargas aus dem Dunkel.

Es war eine ruhige, sternklare Nacht. Wie mit Silbertupfern durchwirkt erschien der samtene Himmel. Der Mond war als scharfgeschnittene Sichel hineingestanzt. Der Wind fiel immer noch von Süden ein. Er war lauwarm, weil er vom Äquator wehte.

De Vargas verstellte seinem Vorgesetzten den Weg.

„Ich muß mit dir reden“, sagte er.

„Vorsicht mit dem ‚Du‘“, erwiderte Sabreras. „Die Wache könnte uns hören. Wo steckt sie überhaupt?“

 

De Vargas wies nach vorn. Wie durch Spuk wuchsen die Gestalten von drei Männern auf der Back hoch. Er schaute nach achtern, und als Sabreras den Kopf wandte, erschienen oben auf dem Achterdeck weitere drei Männer.

Und Lopez Mangusto und der Sargento traten nun aus dem Achterkastell. Hinter ihnen befanden sich ein paar andere Uniformierte – die restlichen Offiziere.

„Hier scheint ja alles auf den Beinen zu sein“, sagte Sabreras. Es klang leichthin gesprochen. Keiner sollte seine innere Anspannung spüren.

„Hast du das Stöhnen der Verwundeten am Tag nicht gehört?“ fragte der Kriegsschiff-Kommandant. „Jetzt schlafen sie endlich, aber sie haben die Unversehrten zur Genüge genervt. Alle haben die Nase voll. Keiner will mehr den Kopf für dich hinhalten, Sabreras.“

„In Panama können sich die Leute ausruhen.“

„Wir erreichen Panama nie.“

„Du solltest dich lieber auch hinlegen“, meinte Sabreras ironisch. „Du scheinst Ruhe nötig zu haben.“

„Es wird einen neuen Kampf mit dem Seewolf geben“, sagte de Vargas beharrlich. „Aber darauf lassen wir uns nicht ein. Wir laufen Panama nicht an und lassen uns nicht von diesem verfluchten englischen Piraten zu den Fischen schicken.“

„Solange ich Kommandant auf diesem Schiff bin …“

„Du bist es die längste Zeit gewesen“, sagte de Vargas.

Vielleicht dachte er, Sabreras würde jetzt auf eine hinhaltende Floskel ausweichen und so tun, als verstünde er nicht. Vielleicht würde er um jeden Preis versuchen, die Autorität zu wahren.

Aber de Vargas irrte sich.

Sabreras hatte die Radschloßpistole plötzlich wie durch Zauberei in der Faust und richtete sie auf sein Herz. „Jetzt staunst du, wie? Ich habe damit gerechnet, daß ihr Bastarde meutert. Ich hätte dich nie zum Kommandanten meines Schutzverbandes ernennen sollen, Aurelio. Du taugst eben doch nichts. Du hast dich von Lopez, diesem durchtriebenen Hurensohn, überreden lassen, wie?“

„Ich treffe meine Entscheidungen allein“, versetzte de Vargas gepreßt.

„Paß auf, wie du sprichst, Sabreras“, sagte Mangusto, der unmittelbar vor der Querwand des Achterkastells stand. „Ich könnte dir in den Rücken schießen.“

„Aber de Vargas nehme ich auf jeden Fall noch mit“, erklärte Sabreras scharf.

„Männer!“ rief Lopez Mangusto. „Wenn wir auch Opfer bringen müssen, laßt euch von diesem Bastard nicht hereinlegen! Er hat einen Schuß und kann nur einen von uns ins Jenseits schießen – danach ist er dran!“

„Sabreras“, sagte der Sargento mit schneidender Stimme. „Ergib dich! Du hast keine Chance gegen uns.“

„Narr“, murmelte Sabreras. „Ich hätte dich doch lieber gleich degradieren sollen. Du taugst bestenfalls zum Aufklarer.“ Er stellte sich rasch hinter de Vargas, packte ihn am Gürtel und zog ihn mit sich zu dem an Backbord festgelaschten Beiboot. „Siehst du“, sagte er. „Soviel bist du deinen Komplicen wert. Abknallen lassen würden sie dich. Aber keine Angst, ich lege dich nicht um. Ich will nur freien Abzug.“

„Den hast du.“

„Wer garantiert mir dafür?“

„Ich“, sagte de Vargas.

„Womit? Mit deinem Wort? Daß ich nicht lache!“ Laut wandte sich Sabreras an den Rest der Besatzung. „Herhören! Ich verlange nichts von euch, nicht einmal Proviant. Ich will nur das Boot. Damit schlage ich mich irgendwie durch. Wenn ihr noch einen Funken Anstand habt, laßt ihr mich weg.“

„Das kann er haben“, meinte der Sargento.

„Aber de Vargas nimmt er nicht mit!“ schrie Mangusto. „Das lasse ich nicht zu!“

„Er setzt sich doch für mich ein“, sagte de Vargas triumphierend zu Sabreras.

„Narr! Er fürchtet, wir könnten wieder gemeinsame Sache machen, wenn wir mit dem Boot fort sind. Zwei Männer, die beim Gouverneur oder gar beim Vizekönig gegen ihn aussagen – das wäre sein sicherer Tod.“ Sabreras stieß einen ärgerlichen Laut aus. „Leider war ich gezwungen, euch beide bei unseren Reisen nach San Cristóbal auf den Galápagos-Inseln in mein Geheimnis einzuweihen. Ihr wart die einzigen, die herausgefunden hatten, was sich wirklich in den Truhen befand, die ich dort ablud. Ich beteiligte euch Bastarde also. Aber ich habe immer gewußt, daß es ein Fehler war, Mitwisser zu haben. Los, hilf mir, wir beide fieren das Boot ab. Aber gib acht. Ich ziele dabei mit der Pistole auf dich.“

Wenig später glitt das Boot außenbords und dann in die Tiefe. Ungeschoren konnte Sabreras die „Esperanza“ verlassen. Er stieg an der Jakobsleiter nach unten, ohne die Landsleute noch eines Blickes zu würdigen. Die Radschloßpistole behielt er in der Hand – für den Fall, daß doch noch jemand auf ihn schoß.

Aber de Vargas, Mangusto, der Sargento und die anderen wollten sich die Finger nicht beschmutzen.

„Lassen wir ihn abhauen“, sagte der Sargento mit einem dünnen Grinsen. „Weit gelangt er ja doch nicht. Entweder schnappen ihn die Seewölfe oder irgendwelche anderen Piraten. Oder Wilde. Oder er verhungert und verdurstet. Und dann wären da ja noch die Tiburónes, die Haie, nicht wahr?“

„Stimmt“, erwiderte Mangusto. „Aber mal angenommen, er schafft es, das Festland zu erreichen.“

„Dann muß er einen weiten Fußmarsch bis nach Panama zurücklegen“, sagte de Vargas. „Und auf der Strecke wimmelt es von Strauchdieben und anderen Galgenstricken.“

„Na dann“, meinte der Sargento überzeugt. „Dann ist sein Leben wirklich nur noch einen Pfifferling wert. Oder noch weniger.“

Mangusto wandte sich plötzlich ab, lief durch den Gang bis zur Kapitänskammer und stieß die Tür auf. Ihm war ein Verdacht aufgestiegen. Siedendheiß durchlief es ihn, als er in der Kammer herumstöberte. Er wurde wütend, riß das Pult um, trat gegen die Koje, warf einen Stuhl zu Boden und stürmte wieder zu den anderen zurück.

„Verdammt!“ brüllte er. „Wir Narren! Er hat die Krone der Chibchas und den anderen Smaragdschmuck mitgehen lassen. Und die Ledermappe mit den geheimen Dokumenten für den Gouverneur, die auch ihren Wert besitzen! He – seht nach, ob er noch mehr von Bord geschmuggelt hat!“

Die Männer suchten das Schiff ab, und nur kurze Zeit später meldete sich einer von ihnen aus dem Kombüsenschott: „Proviant und zwei Schläuche mit Trinkwasser fehlen, verdammt noch mal!“

Mangusto, de Vargas und der Sargento waren zum Backbordschanzkleid gestürzt und spähten in die Nacht, aber von dem Beiboot war nichts mehr zu sehen. Es hatte einen Mast, den man in die Öffnung einer Ducht stecken und verstagen konnte, und war in der Lage, ein Großsegel und eine Fock zu führen.

Dadurch hatte Sabreras sehr schnell im Schutz der Nacht untertauchen können.

„Wie hat er die Sachen bloß auf das Boot bringen können?“ sagte der Sargento immer wieder. „Wie bloß? Ich begreife das nicht.“

„Aber ich.“ Lopez Mangusto sagte es voll ohnmächtiger Wut. „Wir haben ihn unterschätzt, das ist es. Er wußte, daß eine Meuterei bevorstand. Schon am Tag hat er alles in dem Boot versteckt, was er braucht. Hölle, so bringt er es möglicherweise doch fertig, bis nach Panama zu segeln. Dieser Dreckskerl!“

„Suchen wir ihn“, sagte de Vargas. „Weit kann er nicht sein. Ich schätze, er segelt nach Nordosten. Wenn die ‚Esperanza‘ auch lädiert ist – wir erwischen ihn schon.“

„Und wenn nicht?“ fragte der Sargento.

„Dann können wir uns in Panama und der gesamten Neuen Welt nicht mehr blicken lassen, du Schwachkopf“, erwiderte Lopez Mangusto.

Niemals hätten die Meuterer danach trachten dürfen, Sabreras wiederzufinden. Niemals hätten sie eine Stunde und mehr darauf verwenden dürfen, in nordöstlicher Richtung zu segeln und bei immer neuen Kurskorrekturen die Wasserfläche nach dem Flüchtigen abzutasten. Niemals – denn sie steuerten selbst in ihr Verhängnis.

Lieber hätten sie sich sofort nach Westen wenden sollen. Mit etwas Glück hätten sie wahrscheinlich bald eine Insel erreicht, vielleicht sogar die Isla del Coco nahe des fünften Grades nördlicher Breite, die nicht weit entfernt lag.

Doch das Glück war eben nicht auf ihrer Seite.

Der Ausguck im Vormars sah als erster den Schatten von Steuerbord nahen. Jawohl, er hielt die Augen offen und schlief nicht, wie man das manchmal bei nicht besonders guten, übernächtigten und erschöpften Wachtposten hatte – er sah diese riesigen Konturen aus der Nacht wachsen, aber im ersten Moment verschlug es ihm regelrecht die Sprache.

Danach brüllte er „Alarm“ und „Schiff an Steuerbord“ und noch einiges andere, aber das änderte nichts mehr.

Der unheimliche Segler entpuppte sich als Dreimaster. Er schob sich längsseits, bevor die Spanier auf den Gefechtsstationen waren. Spät, viel zu spät rumpelten die Culverinen, die Demi-Culverinen und die Minions der „Esperanza“ aus.

Und als sich dann noch ein anderer Geistersegler aus der Dunkelheit schälte, war es mit der Fassung der entnervten Mannschaft völlig vorbei. De Vargas konnte Befehle schreien, soviel und sooft er wollte, Mangusto konnte nach Herzenslust toben, der Sargento Disziplin verlangen – es hatte alles keinen Zweck mehr.

Enterhaken flogen, der Dreimaster schor längsseits der „Esperanza“. Menschenleiber quollen über die Schanzkleider.

„El Lobo del Mar!“ Der Schrei gellte über Deck und heizte die Panik noch mehr an.

Philip Hasard Killigrew und seine Mannschaft hieben ein paar Spanier nieder, die sich ihnen entgegenstellten, aber danach hatten sie leichtes Spiel. Ihre Tromblons und Musketen, Pistolen und Arkebusen brauchten sie nicht mehr einzusetzen. Hasard holte sich nur Aurelio de Vargas vor die Klinge und hielt ihn fest. Ben Brighton griff sich Lopez Mangusto, und Carberry packte den zappelnden, zeternden Sargento.

„So hab ich mir unser Wiedersehen immer vorgestellt“, brummte der Profos. „Sollen wir jetzt abrechnen, was, wie?“

Das schwarze Schiff legte sich gegen die Backbordseite der spanischen Galeone. Fender aus Kork und Tauwerk fingen den Aufprall ab. Siri-Tong, die Wikinger, der Boston-Mann, Juan und viele andere enterten ebenfalls auf die „Esperanza“ über.

„Streicht ihr die Flagge?“ rief der Seewolf.

„Si, Senor“, keuchte de Vargas. „Wir ergeben uns. Wir wollen nicht sterben.“

„Zum Teufel mit euch allen!“ schrie Mangusto.

Ben schlug ihm die Faust gegen die Stirn. Es war ein Jagdhieb, der den widerspenstigen Mann sofort niederstreckte. Ohnmächtig sank er hin.

„Siri-Tong!“ rief Hasard. „Ihr steigt am besten gleich in die Frachträume hinunter und beginnt mit dem Löschen der Ladung.“ Er lächelte den Kriegsschiff-Kommandanten an. „Oder soll ich lieber umladen sagen? Na, ist ja egal. Wo steckt Sabreras?“

„Den haben wir von Bord gejagt.“

„Du lügst, Spanier.“

„Seewolf“, stieß de Vargas hervor. „Mir ist nicht daran gelegen, den Helden zu spielen. Ich will nur die nackte Haut retten. Ich appelliere an deine Ehre. Wenn du uns alles genommen hast, was wir an Bord mitführen, was nutzt dir dann noch unsere Hinrichtung?“

„Gar nichts“, erwiderte Hasard. „Ich bin kein Mörder. Aber bevor wir euch türmen lassen, mußt du mir alles über Sabreras erzählen. Alles, klar?“

De Vargas schwor es. Bei Gott, der heiligen Jungfrau, Spanien und seiner Mutter – bei allem, was ihm lieb und teuer war.