Seewölfe Paket 6

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2.

Sabreras stolperte den Hang hinunter, glitt aus, wälzte sich im Morast und blieb in einem Gesträuch hängen. Seine Hände waren um die wenigen Habseligkeiten verkrampft, die er bei der Flucht aus dem Lager der Mine hatte mitnehmen können: einen Jutesack mit der Smaragdkrone und anderem Schmuck darin, eine Ledermappe mit wichtigen Schriftstücken und eine reich verzierte Radschloßpistole.

Sein Gesicht war verzerrt. Er fluchte, und beinahe verlor er die Ledermappe, aber er mußte sie festhalten, koste es, was es wolle, denn in den sorgfältig beschrifteten Dokumenten war festgehalten, daß die Mine Seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp II. von Spanien, gehörte – und was sie bisher an Produktion abgeworfen hatte. Er mußte sie unbedingt dem Gouverneur von Panama überbringen. Niemals durften sie dem Feind in die Hände fallen.

Denn nur der König, kein Spion, hatte das Recht zu wissen, wie reich er war.

Und nur einer war im Bilde, wie das Verhältnis zwischen den offiziellen Zahlen und der wahren Produktion an Smaragden war: Sabreras. Er hatte es immer überzeugend darzulegen gewußt. Das war seine Lebensversicherung. Erfuhren seine Befehlshaber, daß er in die eigene Tasche gescheffelt hatte, dann war ihm das Todesurteil durch ein Kriegsgericht sicher.

Im Augenblick fühlte er sich dem Tod näher als dem Leben. Er war über und über beschmutzt und stank. Die Flucht durch den Dschungel hatte ihm alles abverlangt. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Oben in den Bergen war er zweimal fast abgestürzt. Einmal hatte ihn beinahe eine giftige Schlange gebissen.

Der Sargento hatte ihn vor diesem Ende bewahrt. Er hatte der Schlange mit einem Säbelhieb den Kopf vom Rumpf getrennt.

Sabreras hatte diesen Mann unterwegs eigentlich aus dem Weg räumen wollen. Er gehörte nämlich nicht zu den wenigen „Eingeweihten“, die von Sabreras’ Schatzversteck wußten und an der Ausbeute beteiligt waren.

Aber ohne den Sargento wäre er niemals bis hierher, ins Vorland der Cordilleras, gelangt. Er hätte sich bei ihm bedanken müssen.

Aber das lag ihm nicht. Er fluchte nur, spie Übelkeit und Widerwillen aus und richtete sich halbwegs an dem Gedanken auf, wie er dem Seewolf und seinen Gefährten noch zusetzen würde.

Er kroch aus dem Busch und hastete weiter.

„Comandante“, keuchte der Sargento hinter ihm. „Ich – ich glaube, die Richtung stimmt nicht. Wir müßten uns weiter nördlich halten.“

„Narr. Wie willst du das wissen?“

„Die Sterne …“

„Glaubst du Landratte, dich besser daran orientieren zu können als ein erfahrener Seemann?“ zischte Sabreras. „Schweig jetzt. Ich kann dein Gewäsch nicht mehr hören. Deinetwegen bin ich hingefallen.“

Der Sargento wollte aufbegehren, beschränkte sich aber lieber doch auf ein gemurmeltes „Si, Senor Comandante.“

Auf der Kuppe eines der letzten Hügel zwischen Bergland und Küste verhielt Sabreras unversehens seinen Schritt. Sein Begleiter prallte beinahe gegen ihn. Verstört blieb er dicht hinter ihm stehen. Sabreras würdigte ihn keines Blickes, er blickte nur starr voraus, nach Westen.

„Da ist eine Bucht“, raunte er. „Und es liegen Schiffe darin.“

„Heilige Mutter Gottes, wir haben es geschafft“, sagte der Sargento.

„Nein. Das ist nicht unsere Bucht.“

„Nicht – unsere …“

„Du elender Nichtsnutz“, fuhr der Kommandant ihn an. „Wenn du mich nicht irritiert hättest, wären wir nicht in die verkehrte Richtung gelaufen. Aber ich weiß jetzt, wo wir sind. Das da ist die Bucht, die zehn Meilen südlich unseres natürlichen Hafens liegt. Und die Schiffe gehören dem Seewolf. Hidduk hat ihn dorthin geführt, er wußte von der Bucht, dieser rote Bastard.“

„Senor“, sagte der Sargento. „Wir haben Waffen. Wir können die Kerle auf den Schiffen überfallen. Viele können es nicht sein. Der Großteil der Besatzungen befindet sich ja noch in der Mine, bei El Lobo del Mar.“

Sabreras musterte ihn von der Seite, als wäre er vom Aussatz befallen. „Por Dios. Wer hat dich bloß befördert? Es wäre unser Ende, wenn wir uns auch nur in die Nähe der Bucht begeben würden. Sie sind auf der Hut, diese Hunde, und sie würden uns aufgrund der Beschreibungen von Hidduk auch sicherlich identifizieren – zumindest mich.“

„Was tun wir dann?“

„Wir wenden uns nach Norden, gehen an Bord der ‚Esperanza‘ und laufen aus, um die Bastarde zu erledigen. Verdammt, die Boten, die ich von der Mine aus zum Verband geschickt habe, müssen längst dort eingetroffen sein. Warum suchen meine Männer die Schiffe des Seewolfs nicht?“

„Sicher tun sie es“, erwiderte der Sargento. „Aber die Bucht liegt versteckt. Wer nichts von ihrer Existenz weiß, segelt unweigerlich daran vorbei.“

Sabreras fluchte wieder leise vor sich hin, aber insgeheim gab er dem Sargento recht. Er, Sabreras, hatte seine Untergebenen nicht über die versteckte Bucht unterrichtet. Absichtlich nicht. Er hatte sich gesagt, eines Tages könne sie ihm irgendwie von Nutzen sein.

Daß aber genau das Gegenteil der Fall war, brachte ihn noch mehr zur Raserei.

„Gehen wir“, sagte er. „Ich will zu meinen Schiffen – und wenn ich das letzte Stück auf allen vieren kriechend zurücklegen muß.“

Aber er verfügte doch noch über größere Kraftreserven, als er selbst angenommen hatte. Aufrecht gehend, wenn auch leicht wankend, erreichte er nach Mitternacht den Hafen der Smaragdschiffe. Schon aus einiger Entfernung sah er ihr skeletthaftes Mastwerk in der Dunkelheit aufragen. In der geräumigen Bucht ankerten auch die Kriegssegler, die die Küste sicherten und den Frachtgaleonen auf dem Weg nach Panama und zurück Geleitschutz gaben.

„Sargento“, sagte Sabreras.

„Hier bin ich, Comandante.

„Lauf voraus und sorge dafür, daß die Posten an Land ein Boot für mich bereithalten.“

„Si, Senor.“

Der Sargento stolperte voran, seine Gestalt wurde von der Dunkelheit verschluckt. Insgeheim malte Sabreras sich schon aus, wie er von einem der Wachtposten erschossen wurde. Durch die Boten, die Sabreras geschickt hatte, waren sie ja von der Anwesenheit des Seewolfs unterrichtet worden. Und sie waren nervös genug, um einen auf sie zuhetzenden. Mann durch eine Kugel zu stoppen, bevor sie ihn zu identifizieren versuchten.

Es kam dann aber doch anders. Sabreras hörte den Sargento rufen. Irgend jemand antwortete ihm, und der Kommandant schloß aus den Wortfetzen, daß der Sargento erkannt worden war.

Fahr zur Hölle, dachte er.

Selbst konnte er den pflichtbewußten Mann nun nicht mehr töten. Es war zu spät dazu. Es gab zwei Möglichkeiten: entweder stellte der Sargento in der nahen Zukunft keine kompromittierenden Fragen, dann war alles in Ordnung. Oder er erinnerte sich der Bemerkungen, die der Seewolf, die Rote Korsarin und einige ihrer Männer in der Mine hatten fallenlassen. Bohrte er weiter, um die Wahrheit zu erfahren, würde Sabreras ihn zu bestechen versuchen.

Er schritt auf das Ufer der Bucht zu. Der Sargento hatte alles Notwendige veranlaßt. Ein Boot lag im Flachwasser bereit, Soldaten und Seeleute bildeten zwei Reihen und salutierten zur Begrüßung.

Sabreras verharrte und schaute zu den Schiffen.

Da lag die „Esperanza“, seine Galeone, ein ausgesprochen schönes, aufwendig gebautes und reich verziertes Schiff. In den Frachträumen lagerten die Truhen, die er am Vortag hatte hinschaffen lassen. Sie waren bis zum Rand mit Smaragden und Smaragdschmuck gefüllt.

Weiter ankerten da eine unbeladene Transportgaleone, zwei Kriegskaravellen – und was war das?

Ja, ganz am nördlichen Ufer der Bucht schwojte ein Etwas an der Ankerkette, das man als Schiff kaum noch bezeichnen konnte. Die drei Masten waren zu Stummeln reduziert, das Schanzkleid und die Aufbauten arg ramponiert – ein Bild des Jammers.

„Was ist das? Was hat das zu bedeuten?“ stieß Sabreras hervor.

„Senor“, erwiderte einer der Seeleute. „Ich bin einer der Überlebenden des Gefechts, das wir östlich der Isla de Malpelo mit zwei Schiffen gehabt haben. Ich gehöre zur Besatzung der Galeone ‚Santa Margarita‘, die Sie dort liegen sehen.“

„Das ist die ‚Santa Margarita‘?“ sagte Sabreras entsetzt.

„Das war sie“, erwiderte der Seemann erbittert. „Es geschah in der vergangenen Nacht. Wir patrouillierten vor der Küste und trafen mit diesen verdammten beiden fremden Schiffen zusammen. Dann …“

„Genug“, schnitt der Kommandant ihm das Wort ab. „Den Rest höre ich mir auf meinem Schiff an. Signalisiert sofort allen Schiffsführern. Ich halte eine Lagebesprechung auf der ‚Esperanza‘ ab.“

Das Boot brachte ihn zu der Galeone hinüber. Während die Männer auf den Duchten schweigend pullten, hockte Sabreras tief in seine Gedanken verstrickt da. Einiges konnte er sich bereits zusammenreimen.

Ein Seegefecht. Zwei fremde Schiffe, die einen gut armierten spanischen Verband aufgerieben hatten. Das konnten nur der Seewolf und Siri-Tong gewesen sein.

Das werdet ihr mir büßen, dachte Sabreras.

Er ging an Bord seines Flaggschiffes. Wenig später setzte auch der Sargento mit einem anderen Boot über, aber zu diesem Zeitpunkt befand sich Sabreras bereits in seiner Kammer im Achterkastell und hieb mit der Faust aufs Pult. Er hatte sich gesäubert, die Kleidung gewechselt und fühlte sich bereits wieder bedeutend wohler in seiner Haut, wenn der Haß ihn auch aufzuzehren drohte.

„De Vargas und Mangusto“, sagte er mit bebender Stimme. „Ich verlange augenblicklich eine Erklärung für das, was hier vorgeht.“

Aurelio de Vargas war der Kommandant der „Santa Margarita“, diese wiederum fungierte als Flaggschiff des Geleitschutzes. Er sprach ruhig, war ein hochgewachsener, besonnener Mann um die Mitte der Vierzig, aber die Spuren des Erlebten zeichneten als Kerben und Schatten sein Gesicht.

 

Er schilderte die Schlacht bei der Isla de Malpelo. Er konnte sogar die Personenbeschreibungen der feindlichen Schiffskommandanten geben.

„Also doch! Der Seewolf und die Rote Korsarin“, sagte Sabreras, als der Mann geendet hatte. „Das habe ich mir gedacht. Wo sind die Überlebenden der Karavelle, die von diesem schwarzen Viermaster versenkt worden ist, de Vargas?“

„Sie haben sich mit Beibooten absetzen können und sind gestern abend zu uns gestoßen.“

„Und die Galeone, das dritte Schiff des geschlagenen Verbandes?“

„Ist nicht wieder zurückgekehrt.“

„Ich entnehme Ihrem Bericht, daß der Kapitän sich feige aus dem Kampf zurückgezogen hat“, sagte Sabreras. Seine Augen waren schmal und blickten unsagbar kalt. „Das ist Fahnenflucht. Ich verurteile diesen Mann und seine Besatzung mit sofortiger Wirkung zum Tode und werde meinen Schuldspruch vom Gouverneur in Panama bestätigen lassen. Wer immer diese elenden Lumpen entdeckt, kann sie als Vogelfreie töten.“ Er wandte sich seinem Ersten Offizier zu, der bisher schweigend dagesessen hatte. „Mangusto – ich vermisse drei weitere Schiffe unseres Gesamtverbandes hier in der Bucht.“

Lopez Mangusto erhob sich. Er war mittelgroß, stämmig gebaut, muskulös und fast von athletischer Statur. Ein dichter schwarzer Vollbart rahmte sein Gesicht. „Senor Comandante, es handelt sich um die Galeone und die beiden Karavellen, die ich ausgesandt habe, als die Boten aus der Mine eingetroffen sind und mir Meldung erstattet haben. Sie suchen die Schiffe des Seewolfs. Kurz nach ihrem Auslaufen kehrte die Galeone zurück, die ich auf Patrouillenfahrt nach Süden geschickt hatte. Sie brachte die ‚Santa Margarita‘ im Schlepp mit. Die Schiffe des Seewolfs haben wir bisher noch nicht entdeckt. Comandante – wollen Sie uns nicht endlich sagen, was in der Mine vorgefallen ist?“

Sabreras setzte es ihnen auseinander. Ihre Augen weiteten sich, und besonders de Vargas und Mangusto kriegten immer längere Gesichter. Sie gehörten zu den Eingeweihten, die an dem großen Schatz auf San Cristóbal beteiligt waren. Als sie vernahmen, daß der Seewolf mit den Serranos paktiert hatte, wußten sie natürlich Bescheid.

„Der Seewolf wird so viele Smaragde wie möglich auf seine Schiffe schaffen“, sagte Sabreras zum Schluß. „Aber wir werden sie ihm wieder abjagen und ihn und seine Bande von Galgenstricken töten. Wir haben genügend Schiffe, um es schaffen zu können – und ich weiß, wo die Galeone ‚Isabella‘ und dieser verfluchte schwarze Viermaster ankern.“

Sie starrten ihn entgeistert an. Sabreras kostete ihre Verblüffung voll aus, er war wieder völlig Herr der Lage und sonnte sich in seiner Führerposition.

Eigentlich hatte er im ersten Schreck wirklich nach Panama flüchten wollen. Aber er hatte eingesehen, daß es töricht war. Es war besser, dem Seewolf eine Falle zu stellen und sich die gesamte Beute zurückzuholen. Dabei würde es ihm schon gelingen, den Anteil von den Galapagos wieder heimlich beiseite zu räumen und zu verstecken.

Und wenn er den Seewolf, Siri-Tong und deren Crews zu den Fischenschickte, gab es niemanden mehr, der ihn eventuell beim Gouverneur von Panama anschwärzen konnte – außer dem Sargento vielleicht.

3.

Hasard durfte aufatmen. Sie hatten den Weg durch den Dschungel glimpflich hinter sich gebracht – trotz der Dunkelheit und aller anderen Widrigkeiten. Erschöpft trotteten sie aus dem Gebüsch auf den Sandstrand der Bucht. Es gab ein beinahe ergreifendes Wiedersehen mit den zur Wache eingeteilten Männern – und dann, wenige Minuten darauf, an Bord der Schiffe.

Hasard blickte sich erstaunt auf dem Oberdeck der „Isabella VIII.“ um.

„He, Ben“, sagte er. „Was wird denn hier gespielt? Ihr seid ja alle auf den Beinen – und die alte Lady ist gefechtsklar.“

Ben lächelte grimmig. „Der schwarze Segler auch. Wir halten Augen und Ohren offen und sind auf der Hut. Bill, unser Schiffsjunge, hat kurz nach Einbruch der Dunkelheit Schiffe gesichtet. Zuerst die ‚Santa Margarita‘, die wie eine lahme Ente bei einer anderen Galeone im Schlepp hing, dann zwei Karavellen und eine Galeone der Spanier, die zuerst direkt auf die Bucht zuzulaufen schienen.“

„Sabreras’ Männer“, entgegnete Hasard. „Sie suchen uns. Hört zu.“

In knappen Zügen setzte er ihnen auseinander, was sich in der Mine zugetragen hatte. Ben Brighton blickte dabei zu dem Papagei Sir John, der sich auf Carberrys breiter Schulter niedergelassen hatte und seinen Herrn zärtlich ins Ohr zwackte.

„Ich hab’s ja geahnt“, murmelte. Ben. „Thorfin Njal, dieser behelmte Nordpolbär, wollte es nicht wahrhaben, aber fast wäre das Ganze in die Hose gegangen, und zwar gründlich. Wir haben hier keine Schüsse und auch keine Explosion vernommen, als ihr euch befreit habt. Sonst hätte ich doch noch einen Trupp Männer losgeschickt.“

„Der Wind hat die Laute davongetragen“, erwiderte der Seewolf. „Außerdem liegt die Mine zu weit landeinwärts. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich habe meinen Plan bereits mit Siri-Tong abgesprochen. Wir ziehen die Landwachen ab. Alle Mann an Bord, und dann nichts wie ankerauf und auf die offene See hinaus! Wir folgen Sabreras!“

Die Männer lösten sich aus ihrer Bewegungslosigkeit. Während der Seewolf sich direkt aufs Achterdeck begab, stürzte die Crew zum Spill von Bug- und Heckanker, schob die Handspaken hinein und begann zu drehen. Die Trossen knarrten, die mächtigen Stockanker hoben sich vom Grund der Bucht und schwebten nach oben.

Drüben auf dem schwarzen Schiff gingen die Vorbereitungen zum Auslaufen mit der gleichen Schnelligkeit und Behendigkeit vonstatten. Zwischen Siri-Tong und dem Seewolf bedurfte es keiner weiteren Absprache mehr. Der Aufbruch erfolgte mit großer Routine und in fast gespenstischer Stille. Sogar Carberry verzichtete auf sein übliches Gebrüll, denn der Verband, der nach ihnen fahndete, konnte sich in der Nähe befinden.

Hasard ließ die Zurrings der Piragua auf dem Achterdeck lösen. Er gab seinen Männern einen Wink, und kurz darauf hob sich das einmastige Gefährt der Indianer ein Stück, schwebte über das Backbordschanzkleid weg und pendelte in seinen Galgen über der schwarzen Wasserfläche.

„Was tust du?“ fragte Hidduk überrascht.

„Ich lasse deine Piragua abfieren“, erklärte Hasard ihm ruhig. „Unsere Wege trennen sich hier. Du hast dich großartig verhalten und dein Wort nicht gebrochen, Hidduk. Wir sind Freunde geworden. Trotzdem will ich alles Weitere selbst erledigen.“

Hidduk zog überrascht die Augenbrauen hoch. Seine Stirn war gefurcht, seine Lippen aufgeworfen, seine Miene spiegelte einen ärgerlichen Ausdruck.

„Du brauchst mich also nicht mehr. Du willst mich und meine drei Krieger – ausbooten.“

Hasard lächelte und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Aber nein, so darfst du das nicht auffassen. Ihr müßt jetzt zu eurem Stamm auf San Cristóbal zurückkehren, denn dort werdet ihr dringender benötigt als hier. Was uns betrifft, so hast du bereits mehr als nur deine Schuldigkeit getan, Hidduk.“

„Ich will Sabreras.“

„Überlaß ihn mir.“

„Das ist nicht gerecht, Lobo del Mar.“

Hasard widersprach: „Ich denke dabei an deine Leute. Wenn Sabreras wider Erwarten doch der Durchbruch nach Panama gelingt, könnte er aus Rache einen Verband Kriegsschiffe nach San Cristóbal schicken. Ihr müßt auf jeden Fall von dort fort – und wer anders als du soll wohl den Aufbruch veranlassen?“

Hidduk überlegte. „Gut“, sagte er schließlich. „Lobo del Mar ist wie immer ehrlich. Ich lese es in seinen Augen. Aber er soll nicht denken, daß Hidduk sich aus Feigheit zurückzieht.“

„Niemals würde ich das tun“, erwiderte Hasard ernst.

Ben Brighton hatte mitgehört und trat näher auf sie zu.

„Hasard, mir ist gerade eingefallen, daß ja auch die Chibcha-Indianer gefährdet sind“, sagte er. „Sabreras könnte leicht eine Strafexpedition unternehmen – noch von der Ankerbucht seiner Schiffe aus. Was können wir tun, um die Chibchas vor seiner Vergeltung zu schützen?“

„Ich habe sie bereits in den Urwald geschickt“, sagte Hasard. „Sie sind dort zu Hause, werden sich durchschlagen und irgendwo ein Dorf gründen – tief im Dschungel, wo die Dons sie nicht mehr finden. Auf diese Weise habe ich übrigens auch verhindert, daß sie die verwundeten spanischen Soldaten töteten, die in der Mine zurückgeblieben sind.“

„Na, dann brauchen wir uns darum ja nicht mehr zu kümmern“, sagte Ben erleichtert.

„Ben, laß Hidduks Anteil an den Smaragden, die wir aus der Mine mitgebracht haben, in die Piragua verfrachten.“

„Aye, Sir.“

Ben suchte das Quarterdeck auf, um den Befehl weiterzuleiten, aber Hidduk stellte sich mit erhobenen Händen vor den Seewolf hin. „Nein! Niemals! Hidduk lehnt ab! Das können die Serranos nicht annehmen!“

„Du hast dir die Tränen der Götter verdient“, sagte Hasard. „Beleidige mich nicht, indem du ablehnst. Eines Tages wird dein Stamm die Steine gut gebrauchen können. Ich denke, ihr werdet einige Jahre in Ruhe leben können – ohne fremde Schiffe entern zu müssen.“

Hidduk wollte wieder protestieren, aber dann stieß er ein rauhes Lachen aus. „Lobo del Mar hat wieder gesiegt. Hidduk wird dein ewiger Freund bleiben. Er schwört es.“

„Danke. Der Seewolf auch“, erwiderte Hasard.

„Wir werden in unsere Heimat zurücksegeln.“

„Nach Neu-Albion?“

„Ja. In das Land, das die Spanier Neu-Spanien oder California nennen.“ „Eines Tages besuchen wir euch dort.“

„Vor der Siedlung Santa Barbara liegen drei große Inseln im Meer“, sagte Hidduk, und es klang feierlich. „Dort warten wir auf euch. Der Seewolf muß sein Wort halten.“

„Das tut er auch“, versicherte Hasard ihm. „Nur den genauen Zeitpunkt kann ich dir nicht nennen. Vorher wollen wir nach China, in das Land der Drachenschiffe und Mandarine, der Zopfmänner und der tausend Rätsel. Aber wir sehen uns wieder – irgendwann.“

Etwas später waren die vier Indianer in die Piragua abgeentert. Sie setzten noch zum schwarzen Schiff über, Hidduk wollte sich auch von Siri-Tong und ihrer Mannschaft verabschieden. Für kurze Zeit begab er sich über die Jakobsleiter auf die Kuhl hinauf.

Dort sagte er zu der Roten Korsarin: „Siri-Tong war mißtrauisch, aber jetzt hat sie keine Zweifel mehr.“

„Das hast du gemerkt?“ erwiderte sie erstaunt.

„Der rote Mann liest in den Gesichtern der Menschen.“

Sie sah ihn offen an. „Gut, du hast recht. Ich dachte, du wärst weiter nichts als ein durchtriebener indianischer Pirat, der uns bei der erstbesten Gelegenheit die Gurgeln durchschneiden würde.“

Hidduk lachte wieder auf. „Siri-Tong ist eine ehrliche Frau.“

„Gut, daß wir uns jetzt verstehen …“

„Wenn Lobo del Mar, der Roten Korsarin oder ihren Männern etwas zustößt, kehrt Hidduk in dieses Land zurück und rächt sie“, sagte der Häuptling noch. Damit wandte er sich ab, kletterte über das Schanzkleid und kehrte in seine Piragua zurück.

Atasc und die beiden anderen Krieger verneigten sich vor Siri-Tong und ihrer Crew, dann folgten sie ihm.

Die Piragua löste sich von „Eiliger Drache über den Wassern“ und glitt in die Nacht hinaus. Der Wind hatte gedreht und blies jetzt aus Süden. Er griff in das einzige Segel des kleinen Schiffes, blähte es und verlieh der Piragua mehr Fahrt.

„Erstaunlich, das so was seetüchtig ist“, sagte Ferris Tucker. „Ich hab immer noch nicht begriffen, wie die Indianer damit einen Sturm abreiten wollen. Es will mir einfach nicht in den Kopf.“

„Sie sind Meister der Seefahrt und des Schiffbaus“, meinte Hasard. Er stand mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck und blickte den Serranos nach. „Hidduk hat mir erzählt, daß ihre Frauen als erstes ein kaltes Bad nehmen, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht haben – mit dem Neugeborenen. Dies ist ihr erster Kontakt mit der See oder den Flüssen, und sie scheinen nicht nur mit dem Element verwachsen, sondern ihm sogar entsprungen zu sein. Wir werden lernen, diese Menschen immer mehr zu respektieren.“

Die Piragua hatte die Ausfahrt der versteckten Bucht passiert. Ihre Konturen verschmolzen mit den Sträuchern, die über die Ufer hinauswucherten und sich auf dem Wasser zu treffen schienen. Die Piragua steuerte in die Nacht hinaus, nach Westen. Hasard sah als letztes die hoch aufgerichtete Gestalt Hidduks am Heck des seltsamen Gefährts stehen.

 

Dann ging auch die „Isabella“ an den Wind und steuerte auf die Passage zu.

Hasard enterte zu Dan O’Flynn in den Großmars auf. Dan hatte gleich nach dem Eintreffen an Bord wieder seinen gewohnten Posten als Ausguck eingenommen. Er war schmutzig und abgekämpft, aber das beeinträchtigte seine Sehfähigkeit nicht.

„Keine Spur von Feindschiffen“, sagte er. „Vielleicht haben sie es aufgegeben, nach uns zu suchen.“

„Glaubst du das im Ernst, Dan?“

„Nein, ich sag’s nur so daher …“

„Ich rechne ziemlich fest damit, auf diesen Dreierverband zu treffen, der nach Bens Aussage beinahe in die Bucht geraten wäre.“

„Und weiter?“

„Wir wagen den Durchbruch.“

„Und schießen diese Dons zusammen, wolltest du sagen.“

Hasard maß ihn mit einem tadelnden Blick. „Du nimmst den Mund mal wieder zu voll, Dan.“

„Wir sind alle ziemlich fertig, aber wir haben auch immer noch eine Stinkwut auf Sabreras und seine Leute im Bauch, vergiß das nicht“, sagte Dan. Diesmal war er stockernst.

„Auf jeden Fall segeln wir stur nach Norden und pirschen uns nach Möglichkeit bis an den natürlichen Hafen der Smaragd-Flotte“, sagte der Seewolf. „Dort sehen wir dann weiter.“

Die „Isabella“ hatte sich während ihrer Unterredung platt vor den Südwind gelegt. Das schwarze Schiff folgte ihr im Abstand von etwa einer Kabellänge in schräg versetzter Kiellinie.

Hasard überschlug in Gedanken noch einmal, wie wohl Sabreras’ Überlegungen sein mochten. Nein, nach Süden wandte er sich bestimmt nicht. Auch wenn er ahnte, wo die „Isabella“ und „Eiliger Drache“ zu finden waren, entgegenwerfen würde er sich ihnen nicht.

Nach Galápagos segelte er auch nicht, denn dort gab es für ihn nichts mehr zu holen. Die Smaragde, die er einst auf San Cristóbal versteckt hatte, befanden sich jetzt zum Großteil in den Frachträumen der „Isabella“ und des schwarzen Schiffes. Den Rest hatte Hidduk eingesteckt.

Ja – und hier stellte sich wirklich die Frage, ob Sabreras nach Panama floh. Lag es nicht viel näher, daß er die Reste seiner kleinen Flotte zusammenraffte und seinen Feinden einen Hinterhalt stellte?

Es lag doch auf der Hand.

Hasard mußte ihm eins zugestehen: er war kein Feigling. Er würde mit allen Mitteln versuchen, den verlorenen Schatz wieder an sich zu reißen.

Dan O’Flynn richtete sich plötzlich kerzengerade auf.

„Hasard“, raunte er. „Da ist was. Backbord voraus. Der Teufel soll mich auf der Stelle holen, wenn das nicht ein Schiff ist.“

Hasard blickte voraus und entdeckte ein paar verschwommene Konturen. In schätzungsweise einer Meile Entfernung schien ein Schemen durch die Nacht zu schlüpfen. Hasard sah in die Tiefe und verfolgte die Bewegung der Männer auf Deck.

Auch die Crew war aus dieser Höhe kaum zu erkennen. Es war zwar eine recht klare Nacht, aber Hasard hatte untersagt, die große Hecklaterne der „Isabella“ oder irgendein anderes Licht anzuzünden. Ebenso verhielt sich Siri-Tong. Die Männer erledigten alle Handgriffe so leise, daß das Knarren der Blöcke und Rahen und das Rauschen des Wassers an den Bordwänden überlaut klang.

Hasard blickte wieder voraus. Die Konturen im Dunkel schälten sich jetzt etwas stärker heraus und formten die Umrisse eines großen dreimastigen Seglers. Wer immer er war – zu erkennen geben wollte er sich ebenfalls nicht. Auch er fuhr ohne Licht und nutzte die Tarnung der Nacht.

„Ich freß einen Besen, wenn das kein Don ist“, sagte Dan.

„Mann“, erwiderte Hasard. „Dazu gehört aber nicht viel Scharfsinn. Wir wissen doch, daß außer uns nur Spanier auf dieser Seite der Neuen Welt herumnavigieren.“

„Und Freibeuter aller Nationen …“

„Wollen wir wetten, daß wir eine von Sabreras’ Galeonen vor der Nase haben?“

Der junge O’Flynn sann eine Weile nach, dann grinste er dünn und sagte: „Mit dir wette ich nicht. Ich ziehe ja doch bloß den kürzeren dabei.“

Hasard schwang sich wortlos über die Segeltuchverkleidung des Großmarses. Seine Beine baumelten, seine Füße suchten in der Luft und senkten sich auf die Webeleinen der Steuerbordwanten. Er rutschte tiefer und hangelte im nächsten Moment katzengewandt auf die Kuhl hinunter.

Unten angelangt, unterrichtete er Carberry und fügte hinzu: „Ed, die Dons scheinen ebenfalls nach Norden zu steuern, aber wenn sie auch nur die kleinste Kurskorrektur vornehmen und auf uns zuhalten, eröffnen wir das Feuer. Ich will kein Risiko eingehen. Wir setzen ihnen eine Warnsalve neben die Bordwand, und wenn ihnen das nicht genügt, ziehen wir volles Register.“

„Aye, aye“, sagte der Profos. „Das wäre genau das, wonach mir im Augenblick zumute ist.“

„Es wäre dir nicht lieber, wenn wir uns klammheimlich verhalten und zwei Drittel der Crew endlich ihre wohlverdiente Nachtruhe erhielten?“ fragte Hasard zweifelnd.

„Nein, Sir.“

„Paß auf, Ed – es könnte sein, daß ich dich gleich beim Wort nehme.“

Der Seewolf hastete weiter, klomm zum Ruderhaus hinauf, blickte hinein und sagte seinem Rudergänger: „Pete, den Kurs halten.“

„Aye, Sir. Ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn ich auch nur einen Strich davon abweiche.“

Etwas verwundert eilte Hasard zum Achterdeck. Diese Beteuerungen seiner Männer – die wilde Entschlossenheit, die schon Dan gezeigt hatte, schien ja allenthalben um sich gegriffen zu haben. War das ansteckend?

Rachsucht war nicht der richtige Ausdruck für das, was sie empfanden. Vielmehr wollten sie Sabreras einen nachhaltigen Denkzettel verpassen, ein für allemal. Er sollte begreifen, daß man Seewölfe nicht in Ketten legte und zu Sklaven herabwürdigte, daß man sie nicht zu Tode zu quälen versuchte, ohne teuer dafür zu bezahlen.

Zwangsarbeit – nichts haßten sie mehr als das! Auf der Teufelsinsel hatten sie bereits unter dieser grausamen Geißel gelitten und sich geschworen, das niemals wieder über sich ergehen zu lassen. Und dann hatte Sabreras sie zu dem gleichen Los verdammen wollen!

„Hasard“, sagte Ben Brighton. Er stand ziemlich weit achtern am Backbordschanzkleid und spähte mit bloßem Auge in die Nacht. Mit dem Spektiv war bei dieser Dunkelheit ohnehin nichts auszurichten. „Es wird ernst, schätze ich. Sieh doch.“

„Bereitet dir die eine Galeone Kopfzerbrechen?“ Hasard trat neben ihn.

„Da ist mehr“, sagte Ben.

Hasard folgte seinem Blick und gewahrte nun ebenfalls, daß sich zu der Dreimastgaleone ein zweiter Schemen gesellt hatte. Eine Karavelle. Er spitzte die Lippen und stieß einen verhaltenen Pfiff aus. „Sieh mal einer an. Ben, heraus mit der Sprache. Kommen dir die Schiffe etwa bekannt vor?“

„Ja, sie haben verteufelte Ähnlichkeit mit denen, die uns vor Stunden beinahe direkt in die Bucht gesegelt wären“, sagte Ben.