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Die Versuchung: Ein Gespräch des Dichters mit dem Erzengel und Luzifer

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Satan
(hebt sich dunkel auf und verschwindet)
Der Erzengel mit dem Flammenschwert in der Rechten steht feurig über dem ganzen Himmel
Der Erzengel:

Nun der unselige Bruder versank, blicke in dieses Auge, Mensch.

Der Dichter:

Was überwältigt mich so wonnig?

Es stürzen Lawinen in meiner Seele und goldene Bäche nieder. Heimat, Heimat! Ist auf den seligen Gefilden deines strahlenden Kleides, die Heimat, die so oft nach dem Schmerze wirr empfunden und beweint wurde?

Ich will nicht mehr fort.

Laß mich sterben. Zu dir, in dich einziehen. Bist du das, was ich Kindheit, Unbewußtheit nannte, bist du das, was ich Bai des Entschluchzens, Tod nennen will? Nicht mehr zurück, nicht mehr zurück in das Leben, wo die entsetzlichen Schimären, Arbeit, Ehrgeiz und Gleichgültigkeit den Jammer der Seele verhöhnen. Sei das Eichenbett zur Winterszeit, in dem ich mich klein machen will, sei das vergehende Firmament des Frühlings, unter dem beruhigend die tausend ersten Schwalben taumeln, sei das Antlitz der Geliebten, in dem ich schlafen gehe, sei die vergangene Stimme der Mutter bei einer Kinderausfahrt im Landauer!

Der Erzengel:

Du wirst nicht sterben! Dein Geburtstag ist heute, o Sohn! Was siehst du?

Der Dichter:

Ich bin in einer Dorfkirche.

In groben Bänken grobe Gestalten mit harten, unversöhnlichen Gesichtszügen. Der Pfarrer liest die Messe. Eine Orgel höre ich nicht. Das Trippeln, Knixen und Klingeln der Ministranten ist mir ebenso widerlich, wie das falsche, salbungsvolle Sichumdrehen des Geistlichen und sein kastriertes Dominus vobiscum und saecula saeculorum.

Ein hoher, hohler, öder Chor macht mich verdrießlich. Da, auf einmal bewegt sich ein komischer, farbiger fahnenbewehrter Zug vom Hauptportal zum Altar. Voran eine Musik, zehn Männer mit ungeheuren, gelb verschlungenen Instrumenten, dann mit kurzen Schritten Feuerwehr, nachher ein Veteranenverein und zuletzt weiße Firmkinder. Mädchen mit langen, schlenkernden Armen und kurzen Zwirnhandschuhen, an dem rührend flachen Busen allerhand Blumen; Buben, die halblange Hosen und ungewohnte Scheitel tragen, und denen von verwegenen Spielen schwere und derb zerrissene Hände allzu groß und unbeherrscht ruhig aus runden Ärmeln hängen. Mütter drängen sich, Weisungen erteilend und mit Blicken dirigierend an die Schar.

Da beginnt die Musik. Hörner und Klarinetten setzen falsch nacheinander ein und haben Mühe, sich zu finden, während unten und oben jedes für sich und unbeirrt Bombardon und Flöte ihres Weges gehn.

Und jetzt, jetzt ist es doch Musik. Süß, einfach wie Atem, wie Wind, ineinander Thema und Baß. Ist es ein Stück aus der Schöpfung Haydns, ist es Pergolese oder ein simpler ländlicher Choral?

Das Einzige ist auf einmal da, was alle, alle Geschöpfe vereint, Musik. Das Unbegreiflichste und Sicherste dieser Welt. Wie auch Lärm um uns ist, der langsame Viervierteltakt hebt an, und jedes Gemüt hört unbewußt den Takt seines eigenen Wandelns und empfindet die große Brüderschaft der Wesen, fühlt wie sein Gang der Gang der Planeten ist, der Tanz der Sonnen und der kleine Lauf eines Wiesels.

Die ruhige, schreitende Melodie ist da und mich erfaßt ein erhabenes Allerbarmen.

Ihr sitzet da mit rauhen, verlorenen Gesichtern. Du dort, Wucherer, mit dem Glasauge, und du dort, Frau, aufgedunsen von vielen Geburten. Jener denkt an einen Pferdehandel, dieser an die Versicherung seines Hauses. Die schmächtige Frau träumt davon, daß ihr Mann Gemeinderat wird und die üppige von der Brutalität ihres Liebhabers.

Kennt ihr euch denn, ihr Menschen?

Ihr Armen, Armen, einfältig Schlauen!

Und du, überlegener Herr Professor, wackerer Monist, was weißt du denn von dir und Welt? Armer, einfältig Schlauer!

Nur ich, nur ich verstehe euch!

Nur ich schöpfe von eurem Antlitz eine Grimasse ab und habe ein Stück flatternde Seele in der Hand. Ihr seid Handelnde, Mitwirkende dieses großen Balletts, – ich bin der ferne, der schmerzliche Outsider.

Der Erzengel:

Nun hast du dich erkannt. Nun weißt du ganz, daß dein Reich von dieser Welt nicht von dieser Welt ist. Das ist, o Dichter, dein Geburtstag. Und in dieser Welt, der Gesandte, der Mittler, der Verschmähte zu sein, ist dein Schicksal. Kein Gesetz, keine Moral gilt für dich, denn du bist der unsrigen, der unendlichen Geister einer.

Der Dichter:

Welch unbekannter Stolz durchrollt mich, welch neue Stärke faltet meine Stirne?

Die Welt braucht mich.

Ja, ich höre eure Stimmen alle.

Der blonde verprügelte Soldat ruft mich an, ein kaum getötetes Häslein, das fröhliche Jäger mit in die Stube brachten, wartet, daß ich fühle, wie anmutig mädchenhaft sein kleiner Körper erstarrt. Die große Zigarre eines Börseaners sieht mich seltsam an, und ich allein, ich allein empfinde für sie, daß sie nun bald nicht mehr sein wird, nicht einmal mehr Rauch. Eine kleine energische Frau sagt: „Ja, als dann mein Bruder selig starb, war ich ganz allein.“ Und meine Seele umarmt sie und weiß alles, das Abstauben bei fremden Leuten am Morgen, das Mittagessen in der Küche (sehr viel Zimmet und Zucker), den Hausherrn in Pantoffeln, seine großen, roten, haarigen Hände, wie sie nach dem runden, festen Busen tasten.