Inseln der Macht

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Aus der Reihe: Andere Welten #2
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I could be a hero

Live and die for their 'important' cause.

A united nation

or an independent state with laws.

And rules and regulations

that merely cause disturbances and wars.

That is what I've got now

All thanks to the freedom-seeking hordes.

They wanna waste my life

They wanna waste my time

They wanna waste my life

And they've stolen it away.

Stiff Little Fingers - »Wasted Life«

3.
LERC

Sie trafen sich in der Garage: Lerc, Veila und Christer. In der hinteren rechten Ecke war gerade noch Platz zum Umziehen. Allen anderen Raum füllte der Krankentransporter aus. Sie hatten ihn am Vorabend besichtigt und waren mit Elfes einer Meinung: Es gab nichts auszusetzen. Die grünen Pflegerkittel lagen hinten im Wagen.

»Packt eure Klamotten lieber in die Tüte«, sagte Christer leise. »Veila, denk daran, dass du sie mitnimmst.«

»Klar, wir haben doch alles hundertmal durchgesprochen, »

Lerc setzte sich hinters Steuer. Es war genau elf Uhr. Wenn alles nach Plan ging, würden sie in Bergotos zu einer Zeit ankommen, in der die wenigsten Posten Dienst hatten.

»Okay, also los!« wies Christer Lerc an.

Veila öffnete die Garagentür. Vor ihnen lag eine schmutzige, menschenleere Seitengasse. Eine Gegend, die von den meisten Leuten gemieden wurde. Hier hielten sich höchstens Alkoholiker und nachts Straßenbanden auf. Veila gab das Zeichen für »okay«, und Lerc startete den Wagen. Veila stieg ein, die Fahrt begann.

Lerc schwitzte. Diesmal nicht nur von der Hitze. Er war sich nicht sicher, ob sie an alles gedacht hatten bei diesem Riesenunternehmen. Ihre Informantin in Bergotos hatte nicht zu allem Zugang. Aber sie hatten entschieden, das Risiko auf sich zu nehmen.

Sie brauchten nicht lange, um aus dem Vorort rauszukommen.

Die Anstalt lag abseits, weiter draußen, um sie vor neugierigen Blicken und Verdächtigungen zu schützen. Die einzige Zufahrtsstraße wurde sorgfältig überwacht. Christer hatte das Funkgerät eingeschaltet: Es kamen nur die üblichen Meldungen. Nur zehn Minuten später kamen sie an die Sperre.

Die Schranke war runtergelassen und zwei Militärpolizisten näherten sich gelangweilt dem Transporter. Sie lasen die Beschriftung an der Außenseite und Lerc kurbelte das Seitenfenster runter.

»Ihr kommt vom Hospital-Süd?« sprach ihn der eine Rotuniformierte an. »Da habt ihr eine schöne Strecke hinter euch. Wen wollt ihr denn diesmal zum Umkrempeln abholen.«

Lerc reichte ihm wortlos die Legitimationspapiere, wobei er sich bemühte, sein Gesicht im Schatten zu halten. Sie hatten zwar ihr Aussehen verändert, aber ein Risiko blieb immer.

»Oho, gleich drei von der scharfen Sorte!« rief der Rote aus. Sein Kollege kam neugierig näher.

»Wird ja auch Zeit, dass die drankommen,« brummte er. »Die sitzen hier schon viel zu lange bei Speis und Trank.«

Es war klar, wer nach Süd kam, war nach der Behandlung nicht mehr wiederzuerkennen - wenn er überhaupt lebend rauskam. In Süd wurden chirurgische Gehirnexperimente durchgeführt.

»Wollt ihr Geleitschutz?« fragte der Erste mit einem abschätzenden Blick auf Veila.

»Nein, nicht nötig«, antwortete Lerc schnell. »Der Wagen ist mit Fesselungssicherungen ausgestattet.«

»Na, denn man zu«, sagte der Zweite. »So kriegen wir wieder Platz für neue.«

Lerc schauderte, als sie unter der sich öffnenden Schranke durchfuhren. Die Soldaten waren total abgebrüht. Er musste sich zusammennehmen, um nicht laut loszufluchen. Mit Sicherheit würden noch ein paar Begegnungen dieser Art folgen.

Sie parkten den Wagen nahe beim Portal. Christer und Lerc stiegen aus, während Veila hinters Steuer rutschte. Sie drückte beiden verstohlen die Hand, bevor sie die Tür öffneten. Am Portal stand ein weiterer Uniformierter.

»Okay, ihr seid angemeldet«, sagte er, ohne die Papiere sehen zu wollen. »Aber setzt euch das nächste Mal einen Tag vorher mit uns in Verbindung, damit wir alles vorbereiten können. Das haben wir euch doch schon so oft gesagt.«

»Ist ja nicht unsere Sache«, gab Christer zurück. »Aber wir sagen Bescheid, wenn wir zurück sind.«

»Schon gut. Wisst ihr, wo's langgeht.«

Die beiden verneinten.

»Rechtes Gebäude, erster Stock, links runter. Meldet euch beim Major. Er wird dann alles veranlassen.«

Lerc bedankte sich - auch das noch! - und sie folgten der Beschreibung des Postens. Natürlich kannten sie den Weg, aber es hätte sein können, dass die Wache sie als Neulinge erkannt hätte, und dann hätten sie eine Ausrede erfinden müssen. Christer klopfte an die Tür mit dem Namensschild des Majors. Sein Knurren nahmen sie als Aufforderung einzutreten.

Das Büro des Majors sah aus wie im Bilderbuch: Fotos vom Diktator und den Inseln an den Wänden, die Flagge hinterm Schreibtisch, alles sauber und ordentlich.

»Sie sind die Pfleger, die die drei Terroristen abholen sollen?« fragte er barsch.

»Ja, sie sollen einer Gehirnwäsche unterzogen werden«, antwortete Christer.

»Wird ja auch Zeit »Den Antrag dafür habe ich schon vor Monaten gestellt. Ihre Papiere, bitte!« verlangte der Major.

Er begutachtete die Legitimation, die ihm Lerc reichte, unter ständigem Brummen und Knurren.

»Scheint in Ordnung zu sein. In Süd haben sie sowieso bessere Möglichkeiten, mit solchem Gesindel fertig zu werden.«

Er betätigte die Sprechanlage: »Leutnant Bredou, sofort zu mir ins Büro! Und bringen Sie Karanka gleich mit.«

Die beiden Leutnants betraten das Büro kurze Zeit darauf. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet.

»Die drei Terroristen werden nach Süd gebracht«, informierte sie der Major kurz. «Sorgen Sie dafür, dass der Transport ohne Zwischenfälle auf die Reise geht. Sie haben das ja schon öfter gemacht. Alle weitere Verantwortung liegt dann bei Süd.«

Er nickte Christer und Lerc zu.

»Unterschreiben Sie die ordnungsgemäße Übergabe und folgen Sie den Leutnants. Und noch was: Seien Sie vorsichtig, die drei sind gefährlich. Wir haben sie zwar ordentlich rangenommen, aber man weiß nie, was noch in ihnen steckt.«

Christer beeilte sich, die Formulare zu unterschreiben. Je eher sie hier rauskamen, desto besser.

Dann führten die Soldaten sie zu den drei Einzelzellen. Der entscheidende Augenblick rückte näher. Wenn die drei Christer und Lerc trotz Verkleidung erkannten, konnte sie jede Bewegung verraten. Die Soldaten schlossen die Zellentüren nacheinander auf, wobei immer einer den anderen mit der Waffe deckte.

»Los, kommt raus, ihr Aasgeier!« schrie der eine. »Ihr werdet nach Süd gebracht. Dort ist Endstation für euch.«

Die drei traten aus ihren Zellen. Lerc erschrak bei ihrem Anblick. Sie waren total abgemagert und ausgezehrt und glichen eher Skeletten als menschlichen Wesen. Ihre Augen sahen durch alles hindurch und ihre Hände zitterten.

»Was soll das?« brachte Pantar, der kleine, hervor. »Habt ihr nicht genug mit uns angestellt.«

Sein Blick streifte Lerc und Christer. Er kniff die Augen zusammen. Das war alles. Lerc war sicher, dass er sie erkannt hatte und wusste, was auf dem Spiel stand. Es hing nicht zuletzt von ihrem Verhalten ab, wie alles ausging. Christer setzte ein höhnisches Lächeln auf, bereit nach Kräften mitzuspielen.

»Die Herren sehen entschieden zu gut aus. Sie sind ein Luxusleben gewohnt. Ich fürchte, das wird sich für Sie ändern.«

Die Soldaten trieben die drei vor sich her. Lerc drückte die Daumen. Bis jetzt lief alles nach Plan. Er hatte es nicht geglaubt. Wenn es so weiterging, brauchten sie keine Gewalt anzuwenden und die Verantwortlichen würden erst viel später merken, dass sie genarrt worden waren. Hauptsache, sie kamen heil aus Bergotos raus, denn Waffen hatten sie nur im Wagen. Hier drin hätten sofort die Alarmanlagen angesprochen.

Die Situation änderte sich jedoch schlagartig, als sie schon am Ende des Korridors kurz vor dem letzten Sperrgitter standen. Eine Zellentür wurde geöffnet und ein Arzt trat mit einem Gefangenen heraus. Lerc und Christer tauschten einen erstaunten Blick: Der Gefangene war ein Weißer. Der Arzt sah die Gruppe auf sich zukommen und versperrte ihr den Weg.

»Halt! Wohin wollen Sie mit den Terroristen?« herrschte er die Soldaten an.

»Auftrag von Süd, Dr.Jorantes«, erwiderte der eine. »Sie sollen abtransportiert werden.«

»Was?« Der Arzt riss die Augen auf. »Das ist ja noch schöner! Eine Unverschämtheit! Das alles, ohne mich zu informieren? Ich war mit ihnen noch lange nicht fertig.«

»Aber, wir dachten«, stammelte der zweite Soldat.

Lerc sah in diesem Moment das Unglück voraus, als er den ungläubigen Blick auf dem schwarzen Gesicht des Arztes bemerkte. Handeln! schoss es ihm durch den Kopf. Mit einem Satz war er bei einem der Bewaffneten und entriss ihm die MP.

»Los, raus hier. «brüllte er mit sich überschlagender Stimme.

Christer reagierte jetzt ebenfalls. Er sprang den Arzt an, bevor sich dieser von seiner Überraschung erholt hatte.

»Die Waffe weg.« befahl er dem zweiten Soldaten.

 

Dieser sah sich durch Lerc bedroht und seinen obersten Vorgesetzten in der Gewalt von Christer. Ruhig schmiss er die MP zu Boden.

»Ihr werdet nicht weit kommen«, prophezeite er.

»Halt's Maul!« fuhr ihn Pantar an.

Das Leben war in die drei Gefangenen zurückgekehrt. Pantar griff nach der MP.

»Mach das Gitter auf!« befahl er dem Soldaten.

Der Uniformierte gehorchte. Sein Schlüssel öffnete das vorerst letzte Hindernis. Lerc passte auf, dass er nicht wie zufällig einen Alarmknopf betätigte. Dann musste der Soldat die Handfesseln der drei lösen. Bis jetzt war weit und breit niemand anderes auf dem Gang zu sehen.

Da unterbrach eine Stimme das hektische Geschehen. Lerc drehte sich um. Der Gefangene, den der Arzt aus der Zelle geholt hatte, machte sich bemerkbar. Lerc verstand ihn zuerst nicht, dann schaltete er. Der Weiße sprach Neu-Ing! Lerc hatte es zu lange nicht gehört, geschweige denn gesprochen, als dass er den Typ gleich verstanden hätte. Aber kein Zweifel: Er bat darum, mitgenommen zu werden.

»Was ist?« zischte Christer. »Wir haben keine Zeit. Was will der Typ.«

»Wir sollen ihn mitnehmen«, übersetzte Lerc unsicher.

»Ist er verrückt? Ein Weißer, noch dazu ohne Marke! Los, lass uns gehen.«

Das Gitter stand jetzt offen, aber Lerc zögerte.

»Nehmt mich mit!« beschwor ihn der Weiße erneut. »Sie wollen mich umbringen. Es ist meine letzte Chance.«

»Okay«, rang sich Lerc zu einer Entscheidung durch. »Aber sei ruhig und behindere uns nicht.«

Der Gefangene schloss sich ihnen an. Lerc nahm die Tränen in seinen Augen wahr.

»Sag mal, spinnst du?« fuhr Christer ihn an. »Das wird Konsequenzen haben.«

Lerc zuckte die Achseln. Er verzog keine Miene. Es war seine Entscheidung. Sie konnten sich jetzt keinen Streit leisten. Christer musste unter dem Druck der Situation nachgeben.

Sie trieben den Arzt und die zwei Soldaten vor sich her. Als sie den Hof erreichten, schrillte der Alarm. Der Pförtner hatte sie entdeckt. Sie hätten es nicht verhindern können.

»Verpisst euch!« rief Lerc den drei Geiseln zu.

Es hatte keinen Zweck, sie weiter mitzunehmen. Sie wären nur ein Hindernis auf der Flucht gewesen. Selbst der Arzt hatte keinen Wert. In so einer Situation wurde selbst auf hochgestellte Persönlichkeiten keine Rücksicht genommen. Das hatten ähnliche Fälle zur Genüge bewiesen.

Draußen heulte der Motor des Kombis auf. Veila hatte schnell begriffen und wendete den Wagen. Der Soldat, der als Wache am Portal stand, sprang aus seinem Häuschen. Seine Verwirrung - er wusste nicht, ob er den Wagen oder die anstürmende Gruppe unter Feuer nehmen sollte — kam ihnen zugute. Als sich der Soldat für die Gruppe entschied, schoss Christer aus seiner MP.

Der Uniformierte brach zusammen. Christer erreichte die Seitentür des Transporters und riss sie auf. Die Befreiten keuchten vor Anstrengung und ließen sich erschöpft ins Wageninnere fallen - zum Schluss der Weiße. Lerc sah die ersten Soldaten im Hof auftauchen. Der Alarm zeigte seine Wirkung. Er feuerte panikartig auf alles, was sich bewegte. Das erste Mal, dass er eine Waffe benutzte. Keine Zeit zum Überlegen. Christer saß schon im Wagen und hielt ihm die Tür auf. Lerc stieg als letzter ein. Veila war bereits angefahren.

»Vollgas!« keuchte Christer.

Lerc atmete ein paarmal tief ein und aus. Er versuchte vergeblich, sich zu beruhigen. Dann hieb er mit dem Schaft der MP auf die Seitenscheibe ein. Das Plexiglas splitterte, und Lerc beugte sich vorsichtig mit der Waffe hinaus. Dabei riss er sich eine lange Wunde in den rechten Oberarm. Ein paar Salven aus den Fenstern der Anstalt verfehlten den Kombi knapp.

»Fahr zu, sie machen sich startklar!« schrie 1ère, als er sah, dass sich die Soldaten in die bereitstehenden Wagen schwangen.

Er zog den Kopf zurück.

»Scheiße! Sie werden schneller sein als wir.«

»Hauptsache, wir erreichen die Stadt«, sagte Christer. »Dass uns auch dieser Arzt dazwischenkommen musste! Sonst wäre alles glatt gelaufen.«

»Wer ist der Weiße?« unterbrach Veila sie.

»Lerc hat ihn aufgegabelt«, erklärte Christer.

Lerc wich Veilas Blick aus. »Wir müssen die Schranke durchbrechen«, sagte er trocken, ohne auf sie einzugehen.

»Sie werden vorbereitet sein«, fügte Christer hinzu. Er öffnete das Gerätefach. »Zeit für das hier.«

Er holte den kleinen Werfer raus und schraubte ihn mit fliegenden Fingern zusammen. Gut, dass sie sieh für alle Fälle vorbereitet hatten. Lerc ahnte Christers Absicht und zerschlug auch die Windschutzscheibe. Veila ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit den schnurgeraden Weg weiter.

Als die Schranke in Sicht war, lud Christer die Raketenwaffe.

Er zielte an Veila vorbei. Der Gegner war nicht zu sehen. Er hatte sich hinter der Schranke verschanzt. Ein Schuss rechts, einen links, und nochmal rechts und links. Die Detonationen erschütterten den Kombi und Veila verlor kurz die Kontrolle über den Wagen. Sie fuhr einen Schlenker, dann hatte sie das Steuer wieder fest im Griff. Lerc glaubte, durch die Hölle zu fahren, als sie die Schranke mit einem trockenen Knall durchbrachen.

Die Posten mussten dort tot unter den Trümmern liegen. Ihm wurde schlecht. Der Rauch biss ihm in den Augen, ringsherum brannte das trockene Gras. Er musste husten, die Augen tränten, da der Qualm ungehindert in das Auto eindrang. Es gab kein Zeichen von Gegenwehr, die Raketen hatten alles Lebende ausgelöscht. Dann waren sie durch.

»Wie viele haben wir noch?« fragte Lerc und verbannte seine ablenkenden Gedanken. Er meinte die Raketen.

»Drei«, hustete Christer. »Was für ein Mordinstrument. Nur ein Knopfdruck.«

Lerc beugte sich wieder hinaus und sah mit zusammengekniffenen Augen nach hinten. In dem Qualm konnte er nichts erkennen.

Er war sich aber sicher, dass die Jeeps mit den Soldaten sie weiter verfolgten .Und sie mussten inzwischen aufgeholt haben.

Er streckte die Hand aus.

»Gib mir den Werfer.«

Christer verstand, und Lerc schoss auf gut Glück die letzten Raketen in die Richtung, wo er die Jeeps vermutete.

»Okay, auf in die Stadt«, keuchte er, als er wieder zusammengekrümmt auf seinem Platz saß.

Hinter ihnen brach erneut ein Inferno aus.

Veila wischte sich mit der Hand über die Stirn. Eine graue Schicht aus Schweiß und Ruß kam herunter.

»Eine kleine Atempause, was«, sagte sie leise.

Lerc war jedenfalls total geschafft. Hoffentlich war das bald zu Ende. Lange konnte er es nicht mehr durchhalten. Er spähte durch die rückwärtige Scheibe in den Transportraum.

Die drei - der Ausdruck war eine feste Bezeichnung geworden - und der Weiße waren ordentlich durchgerüttelt worden. Sie lagen halb benommen und quer übereinander auf dem Boden. Keiner schien ernsthaft verletzt zu sein. Leider gab es keine Sprechverbindung nach hinten und so informierte Lerc nur Christer und Veila.

»Wir wissen, was uns noch bevorsteht«, kündigte Veila die nächste Etappe an.

Sie werden die Ausfallstraßen abgeriegelt haben, also nehmen wir gerade die«, erläuterte Christer.

So war der Plan. Es gab noch zwei kleinere Straßen, die vorher abzweigten und auf Umwegen in die Stadt führten. Die Gruppe hatte darauf spekuliert, dass die Militärpolizei eher annahm, sie würden eine dieser Straßen benutzen. Darauf hatten sie ihren Plan ausgerichtet und so fuhren sie weiter die Hauptstraße entlang.

»Auf zu unserem letzten Streich«, sagte Christer mit einem Anflug von Galgenhumor.

Er holte den Zünder aus dem Gerätefach. Wären sie bei der Anfahrt durchsucht worden, der Plan wäre von vornherein gescheitert. Sie hatten alles auf den Kombi und die hervorragend gefälschten Papiere gesetzt. Und fast gewonnen.

Die Stadt kam näher und mit ihr eine Reihe rotglänzender Punkte.

»Es sind mindestens zwanzig«, vermutete Christer.

»Aber ohne Geschütze soweit ich erkennen kann«, ergänzte ihn Veila.

»Ein paar Werfer werden ihnen reichen«, schloss Lerc. »Es wird Zeit«, wandte er sich an Christer. »Die Werfer haben eine hübsche Reichweite.«

Er zitterte vor Spannung. Seine schweißnassen Hände umklammerten die MP. Sein Pflegerkittel war schwärzer als seine Hautfarbe. Im gleichen Moment als Christer den Knopf drückte, lenkte Veila den Wagen von der Straße auf das holprige Feld. Eine gewaltige Stichflamme loderte am Horizont. Dann ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen. Es hatte geklappt. Die Sprengladung am Ende der Straße hatte gezündet. Sie hatten den Platz, wo sich die Soldaten postierten, richtig einkalkuliert. Und sie brauchten sich keine Gedanken um unschuldige Menschenleben zu machen. Häuser waren nicht in der Nähe und sonst hatte die Militärpolizei sicher alles abgesperrt.

In rasender Fahrt schossen sie an dem brennenden, rauchenden Trümmerhaufen vorbei und schwenkten dann wieder auf die Strasse. Ein widerlicher Gestank hing schon jetzt in der Luft. Lerc glaubte zu ersticken. Er kotzte aus dem Seitenfenster.

»Wir sollten nicht denken, dass wir es geschafft haben«, warnte Christer, als sie schon durch den Vorort fuhren.

Noch war weit und breit keine Streife zu sehen. Sie hatten sich darauf verlassen, die Fliehenden am Ende der Ausfallstraße zu erwischen.

»Aber jetzt geht's mir besser«, meinte Veila.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichten sie kurz darauf die Garage .Im Schatten der Einfahrt stand Elfes. Kaum war der Kombi drin, schloss er das Tor.

»Was für eine Schweinerei!« war sein einziger Kommentar, während Christer, Veila und Lerc ausstiegen.

Er öffnete die Seitentür.

»Los, ihr Glücklichen, kommt raus, ihr werdet noch einmal umgeladen und dann habt ihr hoffentlich erst mal Ruhe.«

»Ich dachte schon, ihr wollt uns rösten«, bemerkte Pantar.

Die drei kletterten unsicher heraus.

»Wer, zum Teufel, ist das?« fragte Elfes erstaunt, als er den Weißen sah.

Er hielt den drei andere Klamotten hin. Die anderen hatten schon begonnen sich umzuziehen.

»Eine Erinnerung an unseren Betriebsunfall«, gab Christer sarkastisch zurück.

Elfes stellte sich sofort darauf ein. »Scheiße, wir haben nichts anzuziehen für ihn.«

»Schmeißt ihn in den Kofferraum«, löste Christer drastisch die Verlegenheit.

Lerc war nicht sehr wohl zumute. Bis jetzt hatte es wegen dem Weißen nicht viel Scherereien gegeben. Hoffentlich blieb das so. Er erklärte ihm auf Neu-Ing, was ihm bevorstand. Der Weiße sagte kein Wort. Er nickte nur zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

Ein Blick überzeugte Lerc davon, dass die drei fertig waren. Sie schmissen die Anstaltsklamotten in den Kombi. Christer warf die Pflegerkittel hinterher. Elfes spähte hinaus.

»Moment!« zischte er.

Alle drückten sich in das Halbdunkel der Einfahrt. Auf der anderem Straßenseite schlurfte ein alter, verdreckter Typ vorbei. »Okay, der merkt eh nichts mehr«, sagte Christer.

Ruhig stiegen Lerc, Veila, Christer und die drei in den bequemem Wagen, der hinter der Garage versteckt geparkt war. Den Weißen brachten sie im Kofferraum unter. Keine schöne Fahrt für ihn, dachte Lerc. Aber gegen den Anfang war dies eine Erholung. Und selbst wenn Sachen da gewesen wären, ein Weißer in einer Art Luxuslimousine war einfach undenkbar. So saßen sie da, genug Platz für sechs Leute, in feinen Anzügen. Die drei hatten ihre modernen, breitkrempigen Hüte tief ins Gesicht gezogen.

Veila fuhr an. Straßensperren waren kaum zu befürchten. Die Militärs hätten die ganze Innenstadt absperren müssen. Es kann nichts mehr schiefgehen, hoffte Lerc, als sie aus dem verfallenen Vorort in die öde Wohngegend kamen. Etwa zehn Minuten später würde Elfes den Wagen anzünden und verschwinden. Wahrscheinlich würde nicht mal jemand auf die Idee kommen, die Feuerwehr zu alarmieren. Es gab nur Schutt rund um die Garage und das Feuer konnte sich nicht ausbreiten. Selbst für die Penner würde nachher nichts Verräterisches übrigbleiben.

»Wohin fahren wir?« erkundigte sich Pantar.

Die anderen zwei waren wie immer schweigsame Gefährten.

»Zu Christer«, antwortete Veila.

»Ich habe ehrlich gesagt nicht mehr damit gerechnet, dass uns jemand rausholt.«

Pantars Stimme klang gleichzeitig erschöpft und erleichtert. »Bedankt euch bei der Gruppe«, sagte Christer »Wird es nicht auffallen, wenn so viele Leute auf einmal bei dir reingehen? Vielleicht sollten wir uns lieber vorher trennen.«

 

»Nicht nötig«, meinte Christer leichthin. »Erstens sind um diese Zeit die meisten Leute noch bei der Arbeit und zweitens hab ich mich schon seit einigen Tagen krank gemeldet. Und für die Klatschtanten in unserem Haus habe ich durchsickern lassen, dass ab und zu mal so kleine Privatkonferenzen bei mir stattfinden, so eine Art geheime Arbeitsgespräche. Die haben sowieso ziemlich Respekt vor mir, weil ich für sie ein hohes Tier bin.« Er lachte vor sich hin.

»Ist ja ein bisschen windig«, überlegte Pantar.

»Ach was!« regte sich Veila auf. »Sollen wir jetzt nochmal umdisponieren? Wenn nicht wieder sowas wie vorhin passiert, geht alles klar. Was war eigentlich los.«

»Wir hatten die drei schon rausgeholt, als uns plötzlich so ein dämlicher Arzt in den Weg trat«, erzählte Christer.

»Der dämliche Arzt ist zufällig der Chef von ganz Bergotos«, fügte Pantar hinzu.

»Na, das erklärt alles«, entfuhr es Christer. »Dem wird natürlich so ein wichtiger Transport vorher angekündigt. Der blöde Major glaubte ja noch, es sei alles in Ordnung, als er unsere Papiere sah. Tja, Lerc hat dann schnell reagiert, als er sah, was auf uns zukam, und so sind wir rausgekommen.«

»Und der Weiße.«fragte Veila.

»Er war im Schlepptau des Arztes«, fuhr Christer fort. »Er spricht nur Neu-Ing. Ich hab natürlich nichts verstanden, und daran mag es liegen, dass Lerc mich so überrumpeln konnte und den Weißen mitnahm. Ich weiß nicht, was ihn dazu getrieben hat. Und schließlich konnte ich mich in der Situation nicht mit Lerc rumstreiten. Wir müssen zusehen, dass wir den Weißen so schnell wie möglich irgendwo abladen.«

»Das kommt nicht infrage«, protestierte Lerc energisch.

»Hör zu!« Christers Gesicht verdunkelte sich noch eine Spur. »Soll er etwa bei dir wohnen.«

»Quatsch, du weißt genau, dass uns jetzt erst mal Razzien bevorstehen. Und bei dir bestimmt nicht. Wenn wir ihn laufenlassen, wäre das ohne Marke sein Ende. Außerdem hat er uns gesehen, und wenn er geschnappt wird, könnte er viel erzählen. Und was hat es für einen Sinn, ihn zu befreien und dann wieder auszuliefern? Ich hab ihn mitgenommen und werde mich um ihn kümmern, sobald es geht.«

»Da wirst du's aber sehr schwer haben zuhause.«

»Okay, Christer, halt dich da raus. Das ist mein Problem.«

Christer schwieg. Damit war also der Streit endgültig wieder ausgebrochen. Hätte er den Weißen etwa da lassen sollen? Das hätte er nicht gekonnt. Schließlich hatte er seine Worte verstanden. Er wusste zwar nicht, wie es hier für ihn weitergehen sollte, aber Bergotos wäre die Hölle gewesen.

Die Limousine erreichte Christers Wohnung. Die drei, Christer und Veila gingen sofort hinauf. Lerc öffnete den Kofferraum und tat, als ob er was suchte.

»Pass auf!« sagte er zu dem Weißen. »Ich hol dir gleich ein paar Klamotten und was zu essen. Mit etwas Geschick kannst du die Sachen da drin anziehen und im dunkeln rauskommen. Ich lass den Kofferraum offen. Klopf dreimal im zweiten Stock bei Doculos und Brenner.«

Er hörte eine schwache Zustimmung, dann ließ er den Deckel wieder zuschnappen. Seine Gedanken überschlugen sich, als er die Treppe raufging. Wenn niemand aus der Gruppe für seine Entscheidung Verständnis hatte, dann musste er sich in der Tat überlegen, seine politische Arbeit dort einzustellen. Ohne allerdings eine Alternative zu wissen. Aber so hielt er es ohne Zweifel nicht mehr lange aus.

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