Mörderfrauen

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Der Hebel des Hauptgashahns befand sich in geöffneter Stellung, was heißt, es hätte auch zu einer noch viel größeren Katastrophe kommen können!

An der Innenseite der kleinen Tür zur Speisekammer hingen ein Handtuch, ein Handspiegel, Seifenlappen und eine Gardinenklammer. In der Kammer selbst befanden sich Regale, die mit Waschmitteln, Gläsern, Flaschen, Toilettenartikeln, Werkzeugen und Ähnliches belegt waren, wobei alles einen aufgeräumten, wohlgeordneten Eindruck machte. Im Regal, das der Tür gegenüberstand, befand sich im zweiten Fach von unten unter anderem ein 800-Gramm-Hammer mit langem Stiel. »An ihm ist auffallend, dass sich an dem Eisenteil wie auf dem Handtuch rötliche Farbablagerungen feststellen lassen. Das Handtuch war feucht und lässt die Benutzung vor dem Brandgeschehen zu. Handtuch wie Hammer müssen aber während der Brandentwicklung an der Tür gehangen beziehungsweise im Regal gelegen haben, bedingt durch die Markierung des Rußniederschlages.«

Im eigentlichen Brand- und Tatraum konnten an verschiedenen Stellen Brandherde festgestellt werden, die unabhängig voneinander entstanden waren. Ferner wurden Blutspuren in dem einzigen Bett der Wohnung gesichert, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Anton Möhring stammten, der einer erheblichen Gewalteinwirkung ausgesetzt gewesen sein musste.

Die Wohnung wurde gegen 11 Uhr durch den Kriminaltechniker Leutnant der K Raskin freigegeben. In der von ihm gefertigten Bildmappe sind die örtlichen Gegebenheiten sowie der Tat- und Brandort vorbildlich festgehalten:








Viele Zeugen wurden noch am 25. April 1968 vernommen oder befragt.

Erstens

Von 5.45 bis 6.45 Uhr die Leiterin der HO-Gaststätte Müggelspree, Erika Jacobsohn, die vom Hauptmann der K Thomas zu Hause in der Schraderstraße in Berlin-Baumschulenweg aufgesucht worden war. Alfred Möhring arbeitete seit etwa drei Jahren als Kellner bei ihr, immer von etwa 15 Uhr bis zum Geschäftsschluss um 1 Uhr. Sie hatte bei Lokalschluss nie festgestellt, dass er Alkohol getrunken habe. Auch kannte sie Anton, weil er zuweilen in den Nachmittagsstunden zur Gaststätte kam, und sie hatte den Eindruck, dass zwischen Vater und Sohn ein sehr herzliches Verhältnis bestand. In der Nacht des 25. April 1968 verließ Alfred Möhring nach Dienstschluss gegen 1.30 Uhr das Lokal, um zum S-Bahnhof Baumschulenweg zu gehen und nach Hause zu fahren. Er hatte sich an diesem Arbeitstag nicht auffällig verhalten, er wirkte wie immer und in keiner Weise nervlich belastet.

Von Erika Jacobsohn erfuhr der Kriminalist Thomas, dass Karin Hacker auch in der Gaststätte als Küchenhilfskraft gearbeitet hatte, bis vor etwa zwei Jahren. Karin Hacker hatte selbst gekündigt. Und die Gaststättenleiterin wusste von dem Verhältnis ihres Kellners mit ihr. Die Beziehung wurde nach Ansicht der Zeugin von seiner Seite aufgelöst, wohl in einer ruhigen und sachlichen Atmosphäre.

Erika Jacobsohn hatte den Eindruck, dass Alfred Möhring sehr zufrieden mit dem Jungen war, der von seinem Vater ihr gegenüber auch immer gelobt wurde. Abschließend sagte die Zeugin: »Als der Junge unlängst aufgrund einer sportlichen Leistung eine Urkunde erhielt, hat Herr Möhring ihm für diese Urkunde einen Rahmen bestellt, damit der Junge daran seine Freude hat. Ich habe noch nie gehört, dass Herr Möhring seinen Kindern gegenüber grob war, und ich habe auch noch nie bemerkt, dass er brutal sein kann bei der Arbeit in der Gaststätte.«

Zweitens

Von 5.10 bis 6.30 Uhr vernahm Oberleutnant der K Bach den Nachbarn Reinhard Liebig in der Volks­polizeiinspektion (VPI) Treptow. Liebig gab zu Protokoll, dass er seit 1963 in der Fennstraße wohne. Im Herbst 1967 lernte er Alfred Möhring in der Gaststätte Müggelspree etwas näher kennen. Ab diesem Zeitpunkt verkehrten beide miteinander, der Zeuge besuchte Alfred Möhring bisweilen, und dann schauten sie gemeinsam das Fernsehprogramm. Der Nachbar hatte immer den Eindruck, dass Alfred Möhring sehr viel für seine Kinder übrighabe.

Das letzte Mal war Reinhard Liebig am 23. April 1968 in der Möhring’schen Wohnung, aber nur ganz kurz. Alfred Möhring benötigte immer Kleingeld zum Wechseln in seinem Beruf als Kellner. An diesem Tage, gegen 22 Uhr, brachte Liebig ihm Kleingeld im Wert von 55 Mark. Möhring hatte aber nicht so viel Papiergeld im Haus und gab ihm zunächst 35 Mark. Die restlichen 20 Mark wollte er dem Nachbarn bringen, wenn er das nächste Mal vom Dienst kam. Das war dann am 25. April 1968 gegen 2 Uhr. Alfred Möhring hatte noch Licht gesehen, und deshalb klingelte er. Reinhard Liebig hatte aber nur vergessen, den nun eigenen Fernseher auszuschalten. Er hatte sich kaum wieder zum Schlafen hingelegt, da klingelte es erneut. Alfred Möhring stand vor der Tür: »Reinhard, komm schnell, bei mir brennt es, und der Junge ist da.«

Danach schilderte Reinhard Liebig die Ereignisse so, wie sie auch Alfred Möhring beschrieben hatte.

Reinhard Liebig gab noch zu Protokoll, dass er ab und zu in der Wohnung nach dem Rechten sah, wenn der Junge allein war, und das war er ja fast immer, da der Vater Alfred als Kellner nur in der Spätschicht arbeitete.

Der Zeuge hatte nie bemerkt, dass Anton Möhring Freunde mit in die Wohnung genommen hätte. Er schätzte Anton als sehr vernünftig und selbständig ein. Geistig sei er gut entwickelt gewesen, über seinen Umgang mit Freunden könne er aber nichts sagen.

Drittens

Von 13 bis 15 Uhr wurde Reinhard Liebig noch einmal vernommen, aber jetzt im PdVP Berlin bei der MUK. Vernehmer war Oberleutnant der K Kaiser.

Nun ging es auch um die Berufsausübung des Zeugen. Er war Lkw-Fahrer, fuhr einen IFA H3A – einen leichten Lkw, der von 1951 bis 1958 im VEB Horch Kraftfahrzeug- und Motorenwerke Zwickau gebaut wurde – mit dem polizeilichen Kennzeichen IL 83-16. Liebig arbeitete für den Fuhrunternehmer Horst Brieger, der Fuhrbetrieb befand sich in der Schnellerstraße 103 in Berlin-Niederschöneweide.

Reinhard Liebig erzählte von seinen mannigfachen Gaststättenbesuchen am 24. April 1968; in einem Lokal habe er seinen Chef getroffen. Gegen 21 Uhr sei er dann nach Hause gegangen und habe in der Wohnung des Nachbarn Möhring Licht gesehen, und ein Fensterflügel sei halb geöffnet gewesen. Welcher es genau war, wusste er nicht zu berichten.

An Ende der Vernehmung wurde noch das Sexualleben von Reinhard Liebig aktenkundig gemacht. Auf die Frage, wie es sich gestalte, antwortete er ehrlich. Da seine Antworten für die Darstellung dieses Falles keine Rolle spielen, führen wir diese Passagen hier nicht aus.

Es steht nirgendwo in den Akten, aber es ist davon auszugehen, dass die Kriminalpolizei zunächst die Version hatte, dass Reinhard Liebig möglicherweise einen sexuellen Missbrauch des Kindes Anton Möhring durch die Brandstiftung und den Mord vertuschen wollte. Er wurde ja auch mehrfach dazu befragt, welche Beziehungen er ganz konkret zu Anton Möhring unterhielt. Und er wurde nur mit Dreiecksbadehose notdürftig bekleidet in der Brandnacht gesehen (was aber später durch die besonderen Umstände erklärt werden konnte). Vielleicht ist auch deshalb sofort seine Wohnung durchsucht worden.

Viertens

Durch Oberleutnant der K Lubkoll wurde der Fuhrunternehmer Horst Brieger an seinem Arbeitsplatz in der Schnellerstraße 103 aufgesucht und informatorisch zur Sache befragt. Es ging natürlich um seinen Lkw-Fahrer Reinhard Liebig. Der Zeuge bestätigte die Aussagen seines Mitarbeiters, was den Gaststättenbesuch am 24. April 1968 betraf. Weiter sagte er aus, dass Reinhard Liebig bis vor zwei Monaten oft später zur Arbeit erschien, vornehmlich an den Montagen. Er soll mit einem Kellner namens »Ali« befreundet sein, der in seinem Haus wohnt. Von diesem soll der Kraftfahrer immer zu Wein und Sekt eingeladen worden sein. In den umliegenden Lokalen sei dieser Kellner unter dem Spitznamen »Spinner« bekannt. Horst Brieger sei auch aufgefallen, dass Liebig während eines Aufenthalts im Lokal Zur stumpfen Ecke vor ungefähr zwei oder drei Wochen den dort gleichfalls anwesenden Kellner »Ali« als »alten Penner« bezeichnet hätte. Zu diesem Zeitpunkt hätten beide nicht an einem Tisch, sondern jeder für sich gesessen. Ansonsten schätzte der Chef seinen Mitarbeiter als fleißig ein, aber er sei auf seine Art feige und führe immer ein Taschenmesser bei sich. Er soll ein Verhältnis zu einem sechzehnjährigen Mädchen aus der Britzer Straße in Niederschöneweide haben, die auch wiederholt am Arbeitsplatz von Liebig zu sehen wäre.

Fünftens

Die Zeugenvernehmung von Asta Holland, geboren 1930, im selben Haus in der Fennstraße wohnend, von 10.45 Uhr bis 13 Uhr erbrachte keinen weiteren Erkenntnisgewinn. Sie hatte lediglich gehört, als sie sich auf dem Treppenpodest einfand und den Brandgeruch wahrnahm, dass aus der Möhring’schen Wohnung jemand zweimal »Hilfe, du Schwein!« gerufen hatte. »Es klang richtig verzweifelt und so, als ob es die Stimme von Herrn Möhring war.« Ob sich die Zeugin verhört hatte, wurde aber in der Untersuchung nie aufgeklärt. Wenn diese Worte wirklich gefallen sind, wäre es ja interessant gewesen, zu wissen, welche Person mit »du Schwein« gemeint war.

 

Sechstens

Das Rentnerehepaar Hirche, ebenfalls Bewohner des Hauses in der Fennstraße, wurde nach seinen Wahrnehmungen in der Brandnacht befragt. Die Rauchschwaden sollen nach verbrannten Lumpen gerochen haben. Frau und Herr Hirche hatten auch nie festgestellt, dass der Junge andere Kinder oder Erwachsene mit nach oben in die Wohnung genommen hätte.

Siebentens

Oberleutnant der K Hausmann befragte den Rentner Reinhold Altermann, gleichfalls Mitbewohner des Hauses, der den Sohn von Alfred Möhring auch nie mit anderen Kindern oder Erwachsenen gesehen haben will.

Achtens

Die Rentnerin Anna Borning, direkt unter der Tatwohnung wohnend, konnte nur aussagen, dass gegen 2 Uhr die Feuerwehr bei ihr geklingelt und ihr mitgeteilt hatte, dass es in der Wohnung von Alfred Möhring brenne. Auch sie hatte zuvor weder Kinder noch Jugendliche gesehen, die der Sohn mit nach oben genommen hätte.

Neuntens

Es findet sich in den Akten ein Protokoll vom 25. April 1968, 7.30 Uhr, über eine Befragung der Lehrerin von Anton Möhring, der in die 6. Oberschule, 1195 Berlin, Schnellerstraße 31, ging. Frau Jakubowski gab an, dass Anton erst seit dem 4. März 1968 Schüler dieser Schule war. Er war von der 9. Oberschule Berlin-Mitte hierher gewechselt, galt dort wie hier als Durchschnittsschüler und wurde immer versetzt. Anton Möhring hatte am 24. April 1968 von 8 Uhr bis 12.50 Uhr am Schulunterricht teilgenommen und anschließend seine Schulspeisung zu sich genommen. Danach ging er nach Hause, erschien aber gegen 15 Uhr wieder in der Schule zu den angesetzten Schulfestspielen, bei denen auch Frau Jakubowski anwesend war und Anton Möhring mitwirkte, Ende war gegen 16.30 Uhr. Anton sei dann gemeinsam mit dem Schüler Jürgen Kuppig, geboren 1955, wohnhaft im Nachbarhaus, nach Hause gegangen.

Zehntens

Antons Mitschüler Jürgen Kuppig wurde am 25. April 1968 gegen 14 Uhr in der elterlichen Wohnung in Anwesenheit seiner Mutter befragt. Er war nicht nach den Schulfestspielen mit zu Anton Möhring nach Hause gegangen. Sie wären zwar miteinander befreundet, jedoch weitere Freunde, ob älter oder jünger, kenne er nicht.

Elftens

Oberleutnant der K Hausmann fragte am 25. April 1968 noch im »Spezialkinderheim für Hilfsschüler«, 9201 Kreuztanne/Erzgebirge, Post Friedebach, Bahnstation Freiberg, telefonisch nach, da sich der Bruder Wolfgang Möhring, geboren 1953, dort wegen fortgesetzter Begehung von Diebstählen aufhielt. Unter der Telefondurchwahl Sayda Nummer 282 erreichte er den Klassenlehrer, Herrn Schreiber. Dieser bestätigte, dass sich Wolfgang Möhring sowohl am 24. April 1968 als auch in der Nacht vom 24. zum 25. April 1968 im Heim aufgehalten hatte. Das Protokoll endet deshalb so: »Er scheidet also als Tatverdächtiger einwandfrei aus.«

Zwölftens

Sofort kam die Diensthabende Gruppe (DHG) der Kriminalpolizei zum Einsatz, also auch am 25. April 1968. Oberleutnant der K Hergesell ermittelte im VEB Transformatorenwerk »Karl Liebknecht« in Berlin-Oberschöneweide, Wilhelminenhofstraße 83/85, zur Person von Karin Hacker.

Er erfuhr, dass sie bis zum 1. April 1968 dort beschäftigt war. Wegen Arbeitsbummelei hatte man sie fristlos entlassen. Die Kündigung war ihr schriftlich zugesandt worden, da sie seit dem 27. Februar 1968 unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben war. Karin Hacker war auch dem Betriebsschutz, Abteilung Kriminalpolizei, bekannt. Man ermittelte gegen sie wegen Verfälschung des Krankenscheins. Der Vorgang wurde der Konfliktkommission, einem gesellschaftlichen Gericht, des Betriebs übergeben. Es kam aber nie zu einer Beratung, da Karin Hacker den wiederholt angesetzten Terminen unentschuldigt fernblieb. Angehörige der Betriebsleitung suchten sie mehrfach zu Hause in der Erich-Weinert-Straße auf, aber sie trafen sie nie an.

Mit einem Paukenschlag hatten die Ermittlungen nicht gerade begonnen, aber sie standen ja noch ganz am Anfang. Sowohl Reinhard Liebig als auch Wolfgang Möhring kamen offensichtlich nicht als die Täter infrage, die die MUK Berlin suchte, und deshalb entschloss man sich, sofort nach Prenzlauer Berg in die Erich-Weinert-Straße zu fahren, um Karin Hacker aufzusuchen, die wohl nun die Hauptverdächtige war.

Die Kriminalisten trafen sie an. Karin Hacker öffnete sofort die Wohnungstür und ließ die Ermittler ohne Widerstand in einem jämmerlichen Zustand in die Wohnung. Befragt nach den Vorkommnissen in der Fennstraße, legte sie sofort ein Geständnis ab: »Ja, ich war es.« Sie zählte die Gegenstände auf, die sie aus der Möhring’schen Wohnung entwendet oder dorthin mitgenommen hatte. Sie wurde befragt, welche Kleidungsstücke sie bei der Tat getragen hatte. Daraufhin wurde sie vorläufig festgenommen und zur MUK ins Präsidium der Volkspolizei nach Berlin-Mitte gebracht und von 18.40 bis 22.45 Uhr von Major der K Hase, Oberleutnant der K Kraft und Oberleutnant der K Kaiser vernommen.

Karin Hacker schilderte ihre Lebensverhältnisse und die konkrete Durchführung der Tat, ihre Sorgen und Motive:

Am Tattag hatte Anton Möhring sie in die Wohnung gelassen. Sie schauten gemeinsam Fernsehen. Erst den Film Die Abenteuer der drei Musketiere, dann die Sendung »Willi Schwabes Rumpelkammer«. Der Junge lag dabei auf der Couch und war mit Unterhose und Unterhemd bekleidet, hatte sich aber mit einer Steppdecke zugedeckt. Später wurde Westfernsehen geschaut, und zwar die Sendereihe »Das Fernsehgericht tagt«. Anton zog sich dann den Schlafanzug an und ging ins Bett, das hinten an der Ofenecke stand. Wenig später entwendete Karin Hacker einen Fotoapparat mit Belichtungsmesser, Zigaretten, einen Schuldschein, ein Fläschchen Parfüm »Merci«, Herrentaschentücher, zwei Tafeln Schokolade und anderes.

Sie schilderte detailliert die Brandlegungen mit flüssigem Bohnerwachs und Wäsche. Begonnen hatte sie im Wohnzimmerschrank, die Streichhölzer fand sie auf dem Nachttisch am Fenster. Als Anton wach wurde, bekam sie Angst, dass er als Zeuge alles seinem Vater erzählen würde. Sie ging in die Kammer, holte den dort befindlichen Hammer und schlug zweimal auf den Schädel des Jungen. Vom Hammer wischte sie das Blut ab und legte ihn wieder ordentlich in die Kammer. Dann lief sie aus dem Haus zur Schnellerstraße zu einem Platz mit Bänken. Hier zündete sie sich erst einmal eine Zigarette an, die sie aber im Stehen rauchte. Das war so 22.30 Uhr. Danach ging sie in die Fennstraße zurück und begab sich auf einen Hof, von wo aus sie die Fenster der Wohnung von Alfred Möhring im Blick hatte.

Karin Hacker sah Feuer, also helleres Licht als die Fernsehlampe. Sie lief noch einmal zur Wohnung. Dort angekommen, öffnete sie die Toilettentür, damit der Rauch abziehen würde. Dann ging sie wieder auf den Hof, »um das weitere Geschehen zu beobachten. Nach kurzer Zeit begab ich mich nochmals nach oben, öffnete die Wohnungstür, und aus dem Wohnungsinneren schlug mir starker Qualm entgegen«, sagte sie laut Protokoll. »Ich lief in die Küche, machte dort ein Handtuch nass, es war ein Frottierhandtuch, und legte es mir vor Mund und Nase. Danach schloss ich die Toilettentür wieder. Die Rauchentwicklung war so stark, dass ich es nicht mehr aushalten konnte, so dass ich unter Mitnahme des nassen Handtuchs die Wohnung verließ. Das Handtuch befindet sich ebenfalls in meiner Wohnung.« Sie fuhr mit der S-Bahn nach Hause, nach Prenzlauer Berg in die Erich-Weinert-Straße.

Nach dem Motiv befragt, gestand Karin Hacker, dass ihr eigentlich nur an den Zigaretten gelegen war. Aber Alfred Möhring sollte auch nicht merken, dass sie ihn bestohlen hatte. Deshalb musste der Junge sterben. »Ich wollte, dass er stirbt, ich wollte es dann wieder nicht, aber da war es bereits zu spät. Mit meinen Handlungen wollte ich mich gewissermaßen an Möhring rächen für seine lieblosen Handlungen. Gegen den Jungen hatte ich nichts, mit ihm verstand ich mich immer gut.«

Abschließend wurde sie noch nach ihrer Kleidung am Tattag befragt. Die Antwort war einfach, denn sie hatte immer noch dasselbe an: eine großgeblümte, lilaviolettfarbene Bluse und einen schwarzen Rock.

Die Wohnung von Karin Hacker wurde auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft von Groß-Berlin, namentlich Staatsanwalt Miltz, gründlich durchsucht. Aus dem Kleiderschrank im Korridor entnahmen und beschlagnahmten die Kriminalisten siebzehn Herrentaschentücher, eine Tischdecke, ein nasses Frottierhandtuch, ein Einkaufsnetz, eine Sonnenbrille, eine Stabtaschenlampe, einen »Werra«-Fotoapparat mit Tasche, einen Belichtungsmesser mit Tasche und eine Flasche Parfüm »Merci«. Im Nähkasten fanden sie eine Schachtel Zigaretten »Marlboro«, eine Schachtel Zigaretten »Smart«, zwölf Zigaretten der Marke »Convent«, eine leere Zigarettenschachtel der Marke »Winston«, das Papier von zwei offenbar aufgegessenen Schokoladentafeln (»Elfe Vollmilch« und »Elfe Halbbitter-Nuss«), eine verbogene Stricknadel und einen Schuldschein. Insgesamt sechzehn Positionen. Es handelte sich nicht nur um Diebesgut, sondern auch um ein Tatwerkzeug, nämlich bei der verbogenen Stricknadel.

Das Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokoll vom 25. April 1968, 23 Uhr, führte auf den Positionen siebzehn bis zweiundzwanzig dann noch die Bekleidung von Karin Hacker auf: ein Paar braune Damenschuhe aus Wildleder, eine Damenbluse, ein Damenrock, ein blauer Nylonmantel, ein Paar Damenstrümpfe und ein Damenpullover. Beim Nylonmantel und beim Pullover ist angemerkt worden, dass Karin Hacker sie am Körper getragen hatte.

Noch am 25. April wurde das Ermittlungsverfahren gegen die nun bekannte Karin Hacker eingeleitet. Die Beschuldigte stehe in dringendem Tatverdacht, in der Nacht vom 24. zum 25. April 1968 den Schüler Anton Möhring in dessen väterlicher Wohnung in Berlin-Niederschöneweide, Fennstraße, vorsätzlich mittels schwerer Brandstiftung und Beibringung von Kopfverletzungen getötet zu haben. Sie hatte zuvor den Wohnungsinhaber bestohlen. Strafbar gemäß: Paragrafen 212, 211, 307 und 73 StGB.

Zur rechtlichen Lage muss angemerkt werden, dass am 12. Januar 1968 ein neues Strafgesetzbuch der DDR beschlossen worden war, das am 1. Juli 1968 in Kraft trat. Insofern mussten im Ermittlungsverfahren die alten Bestimmungen, hier Totschlag (§ 212), Mord (§ 211), Brandstiftung im schweren Fall (§ 307) und Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (§ ٧٣), herangezogen werden. Das ist wichtig zu wissen für den weiteren Fortgang in der rechtlichen Beurteilung des Kriminalfalls. Aber der Reihe nach.

Oberleutnant Kraft von der Morduntersuchungskommission beantragte am 26. April 1968 beim Haftstaatsanwalt im PdVP Berlin einen Haftbefehl gegen die Industrienäherin Karin Hacker, geboren 1944, ledig, keine Kinder, wohnhaft in der Erich-Weinert-Straße im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Als Motiv gab die Beschuldigte an, dass sie in der Wohnung einen schweren Diebstahl verübte und den Jungen töten wollte, um diese Straftat zu verdecken.

Gleichzeitig bat Kraft, die am selben Tag durchgeführte Wohnungsdurchsuchung mit der Beschlagnahme nachträglich anzuordnen und richterlich bestätigen zu lassen, weil dabei Beweismittel gesichert worden waren. Im vorliegenden Verfahren machte es sich weiterhin notwendig, vor Bekanntwerden der Beschuldigten eine Wohnungsdurchsuchung bei Reinhard Liebig in der Fennstraße durchzuführen, da nicht ausgeschlossen werden konnte, in dessen Wohnung Beweismittel zu finden. Kraft bat auch hier, die durchgeführte Wohnungsdurchsuchung mit der erfolgten Beschlagnahme anzuordnen, und verwies darauf, dass Staatsanwalt Miltz zugegen war.

Dann ging alles sehr schnell. Der Generalstaatsanwalt von Groß-Berlin schickte unter dem Aktenzeichen HS 205.68 einen Antrag auf Haftbefehl an das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte, Strafkammer. Richter Fuhrmann erließ daraufhin, also auch am 26. April 1968, den Haftbefehl gegen Karin Hacker, der ihr sofort bekannt gegeben wurde. Von 15.45 bis 16.25 Uhr erklärte sie sich auf dem Formular »Richterliche Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren« zur Sache wie folgt:

Ich kenne meinen ehemaligen Verlobten, den Bürger Alfred Möhring, seit ungefähr 1960. Damals war ich sechzehn Jahre alt. Seit diesem Zeitpunkt habe ich auch mit ihm geschlechtliche Beziehungen. Mein Verhältnis zu ihm war eine Mitursache, die später zur Scheidung der Eheleute Möhring führte. Möhring hat sechs lebende Kinder. Das Verhältnis zwischen ihm, seiner geschiedenen Ehefrau und mir blieb trotz der Scheidung ein freundschaftliches. Frau Möhring besuchte mich auch in meiner Wohnung. Hauptsächlich war das aber zu der Zeit, wo Frau Möhring noch keinen Fernseher hatte. Mein Verhältnis zu meinem ehemaligen Verlobten verschlechterte sich mehr und mehr, seit wir zusammenwohnten. Dazu muss ich erklären, dass wir schon viereinhalb Jahre zusammenwohnen. Zunächst in meiner Wohnung in der Erich-Weinert-Straße, in der ich auch jetzt noch wohne. Im Jahre 1967, im Mai oder Juni, übernahm er eine Wohnung von seinem Arbeitskollegen in der Fennstraße. Der hauptsächliche Grund unseres Missverständnisses bestand darin, dass er zu viel Alkohol trank. Ich hatte darunter zu leiden, weil er mich auch schlug. Am Dienstag, dem 23. April 1968, gegen 14.30 Uhr habe ich mit meinem ehemaligen Verlobten gemeinsam die Wohnung in der Fennstraße verlassen, nachdem wir uns gestritten hatten. Der Streit ging um Geld. Ich verlangte deshalb Geld, um einkaufen zu können. Da ich aber selbst in der letzten Zeit nicht genügend zur gemeinsamen Wirtschaft beigesteuert hatte, wollte er mir nichts mehr geben. Er rückte schließlich nur 5 Mark heraus für den Einkauf. Beim Abschied gab er mir für mich persönlich noch 1 Mark, weil ich ihn darum bat. Am Mittwoch, dem 24. April 1968, gegen 20 Uhr habe ich die Wohnung des Möhring in der Fennstraße aufgesucht, weil ich Zigaretten haben wollte.

 

Ich bin aus der 8. Klasse der Hilfsschule entlassen worden. Ich bin zweimal sitzengeblieben, weil mir das Lesen so schwerfiel, dagegen das Rechnen nicht. Jetzt ist es umgekehrt. Jetzt kann ich wohl lesen, aber mit dem Rechnen komme ich nicht nach. Ich meine das so, wirtschaften kann ich wohl, aber das Rechnen fällt mir trotzdem schwer.

Ich wusste, dass der Dreizehnjährige allein in der Wohnung war. Er hat mir auch geöffnet. Mit ihm zusammen habe ich bis gegen ٢١.٣٠ Uhr das Fernsehprogramm angesehen. Danach ging er ins Bett. Der Fernsehapparat befindet sich im gleichen Zimmer, wo das Bett ist. Danach habe ich mittels Nachschlüssel aus dem verschlossenen Schrank vier Schachteln gute Zigaretten entwendet, den Fotoapparat und zwei Tafeln Schokolade. Den Schrank habe ich wieder verschlossen. Aus anderen offenen Schränken habe ich Herrentaschentücher, eine Flasche Parfüm und einen Zettel entwendet. Den Zettel wollte ich deshalb haben, weil mein ehemaliger Verlobter auf diesem Zettel vermerkt hatte, wann und wie viel Geld er mir gegeben hat. Als er im vergangenen Jahr von mir weggezogen ist, übernahm er den Fernseher, den ich auf Darlehensvertrag gekauft hatte.

Zu diesem Zeitpunkt war ich ohne Arbeit. Er übernahm die weiteren Abzahlungen des Fernsehapparates. Das geschah von seiner Seite gewaltsam. Er befand sich im Besitz meiner Wohnungsschlüssel, er hatte mir schon vorher den Kaufvertrag weggenommen. Mir blieb weiter nichts übrig, als ihm den Fernseher zu überlassen, da ich zu diesem Zeitpunkt nur 200 Mark Einkommen hatte und er die Auffassung vertrat, dass ich von 200 Mark sowieso nicht die Raten bezahlen könnte.

Als der Junge schlafen gegangen war, habe ich mir noch bis gegen 22.30 Uhr das Westfernsehen angesehen. Erst danach, als ich der Meinung war, dass der Junge eingeschlafen war, habe ich die Gegenstände entwendet. Ich wollte aber nicht, dass mein ehemaliger Verlobter davon erfährt, dass ich die Gegenstände entwendet habe. Ich fürchtete, ihn ganz zu verlieren, denn sonst wäre ich ja nicht immer zu ihm hingegangen. Ich beschloss deshalb, einen Brand zu legen, damit der Junge nicht gegen mich aussagen kann und vor allem nichts seinem Vater erzählen kann. Ich habe den Brand am Kleiderschrank, am Wohnzimmerschrank und an der Couch gelegt. Es sollte schnell gehen und musste auch sicher sein. Die Kleiderschranktür habe ich aufgelassen, und in dem Schrank des Jungen habe ich auch noch ein Feuer gelegt. Damit alles schneller brennt, habe ich noch Bohnerwachs darüber gegossen. Während ich den Brand legte, ist der Junge aufgewacht. Ich sah, dass er sich aufrichtete, ohne den Daumen aus dem Mund zu nehmen. Ich kann nicht sagen, ob er die Augen offen gehabt hatte. Jedenfalls sah ich, wie er sich aufgerichtet hatte, den Daumen im Mund behielt und sich auf die andere Seite legte und weiterschlief. Ich wusste also nicht genau, ob er mich gesehen hatte. Damit er aber nicht noch einmal aufwacht und eventuell wegläuft, kam ich auf den Gedanken, den Hammer zu holen und ihm eins auf den Schädel zu geben, damit er verbrennt. Das habe ich dann auch getan. Ich weiß genau, dass ich zweimal mit der rechten Hand, in der ich den Hammer hielt, seitwärts auf den Schädel aufgeschlagen habe. Der Kopf lag nämlich so, dass ich nur sehr schlecht in die Mitte des Schädels hätte treffen können. Der Junge hat sich überhaupt nicht gerührt, er hat auch weiter den Daumen im Mund behalten.

Ich bin das erste Mal in die Wohnung gegangen, nachdem ich den Brand gelegt hatte, um die Toilettentür zu öffnen, damit der Qualm abzieht. Ich wollte nicht, dass der Junge erstickt. Ich war über mein Tun selbst entsetzt und wusste nicht, was ich jetzt machen sollte. Das zweite Mal bin ich deshalb in die Wohnung gegangen und habe die Toilettentür wieder zugemacht, weil das Feuer immer heller wurde. Ich weiß es eigentlich nicht, was ich zu diesem Zeitpunkt wollte. Es ist schon richtig so, ich wollte meinen ehemaligen Verlobten nicht verlieren, aber gleichzeitig wollte ich ihm eins auswischen, weil er mich so schlecht behandelte. Nur nicht, dass er mich geschlagen hat, es galt nur sein Wille. Wenn er alkoholisch beeinflusst nach Hause kam, gleich zu welcher Nachtzeit, musste ich ihm zum Willen sein, und wenn ich mich dagegen sträubte, fing er an, zu toben, und dann bekam ich auch Schläge.

Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben:

Karin Hacker

Auf diesem Protokoll finden wir auch den Beschluss, dass die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme von Gegenständen durch die MUK des PdVP Berlin richterlich mit einer Begründung bestätigt wird: »Die Beschuldigte steht unter Mordverdacht, und die sichergestellten 22 Positionen laut Protokoll dienen als Beweismittel und teils zur Wiederherstellung des beschädigten Eigentums.«

Sogleich wurde der Haftbefehl verkündet und Karin Hacker über das Recht der Beschwerde hinsichtlich des Haftbefehls und der Durchsuchung und Beschlagnahme belehrt. Die Hafteinlieferung folgte. Auf dem ausgefüllten Vordruck »KP 50« wurde eine Einzelhaft empfohlen und vermerkt, dass Selbstmordabsichten bestünden. Als Bearbeiter der Haftsache ist Oberleutnant der K Kaiser benannt, unterschrieben hatte wiederum Oberleutnant der K Kraft.

In einem Beschluss des Stadtbezirksgerichts Mitte, Aktenzeichen AS 361/68–HS 205/68, wurde von Richter Fuhrmann auch die Durchsuchung und Beschlagnahme bei Reinhard Liebig am 25. April 1968, über die wir schon berichteten, nachträglich richterlich bestätigt. Sie erfolgte rechtmäßig, weil der Verdacht seiner Beteiligung an der Straftat eine Durchsuchung und Beschlagnahme zunächst erforderlich gemacht hatte.

Obligatorisch war nun, für die kriminalistische Registrierung Fotos von der Verhafteten Karin Hacker anzufertigen. Auch von den entwendeten Gegenständen und vom Tatwerkzeug gibt es in den Akten Fotos:




Am 25. April 1968 erfolgte die Obduktion der Leiche des dreizehn Jahre alten, 137 Zentimeter großen Knaben Anton Möhring im Institut für Gerichtliche Medizin der Humboldt-Universität zu Berlin, Bereich Medizin (Charité). Obduzenten waren Oberärztin Dr. med. habil. Christiane Kerde und Dr. med. Gunther Geserick. Die Sektionsnummer war 503/68.

Um 8.40 Uhr ergab die Prüfung mit der Hand, dass der Körper noch deutlich warm war. Die Temperaturmessung ergab: im Mastdarm 34,0 Grad Celsius, im linken Unterbauch 32,5 Grad Celsius und im rechten Oberbauch 33,5 Grad Celsius.

Nach der äußeren Besichtigung erfolgte, wie bei jeder Sektion, die innere: Brust- und Bauchhöhle (Hals- und Brustorgane, Bauchorgane) und Kopfhöhle. Die getroffenen Feststellungen wurden in einem vorläufigen Gutachten zusammengefasst, das hier zitiert werden soll:

C. Vorläufiges Gutachten

I. Sektionsergebnis:

5,5 cm lange nach oben konvexe Platzwunde der Kopfschwarte an der rechten Schläfen-Scheitelbeingrenze mit bis zu 4 cm tiefer Unterminierung der Kopfschwarte nach unten zu. Kräftige und grobfleckige Unterblutung der Kopfschwarteninnenseite im rechten Scheitel-Schläfen- und Stirnbereich und Unterblutung des rechten Schläfenmuskels. 7,5 x 5 cm messender Einbruch der rechten Schädelseite, und zwar unterer Anteile des rechten Scheitelbeins und hinterer Teile des rechten Stirnbeins, bis an die Schläfenschuppe heran. Verhältnismäßig glattrandiger Bruchrand mit rechter Winkelung an der vorderen unteren Begrenzung. Bruchausläufer in die rechte mittlere Schädelgrube. Verletzung der harten und weichen Hirnhaut unter der Bruchstelle. Kräftige Maschenblutungen der weichen Hirnhäute über dem rechten Scheitelhirn. Ausgedehnte Hirnrindenprellungsherde von rechtem Stirn-Schläfen- und Scheitelhirn, z. T. auf das Marklager übergehend mit zentraler markstückgroßer Hirnquetschung.

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