Black Ice

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Der Bilderstrom stoppte.

Wood schaute Frankie fordernd an.

»Was?«, fragte der.

»Wir können starten.«

»Dann los.«

Die Bilder setzten sich in Bewegung.

Ein Labor. Vielleicht Fünf mal Sechs Meter groß. Sterile Umgebung. Graue Wände. Kalte Farben. Stühle, auf denen andere Menschen … oder Toys … schliefen. Festgeschnallt schliefen. Mehrere mit weißen Kitteln bekleidete Männer. Keine Frauen. Sie sprachen miteinander, nahmen keine Notiz von Holly. Der sah sich weiter um. Der Raum verfügte weder über eine Tür noch über ein Fenster.

Holly schaute auf seine eigenen Hände. Hi-Tech-Fesseln. Er schlug nicht um sich, verhielt sich still, suchte nach einem Ausweg. Er versuchte, seine Hände so schlank wie möglich zu machen, zog sie halb durch die Fessel … die sich daraufhin schloss. Ein Alarm erklang. Die Kittelträger sahen sich rasch um und stürmten sofort auf Holly zu. Der geriet nun in Panik, zog weiter mit der Hand an seiner Fessel. Blickte nach links, nach rechts …

»Stopp!«, rief Frankie.

Wood fuhr zusammen. Irritiert hielt er den Bilderstrom an.

»Stopp …«, murmelte auch Holly im Halbschlaf.

»Was ist?«, erboste sich Wood.

»Ich hab was gesehen. Dort im Bild.« Frankie wies auf den Schirm.

»Ich fahre den Strom ein Stück zurück. Was immer du gesehen hast …«, sagte der Karenadier und ließ seine Augen wirbeln.

»Da!«, rief Frankie und Wood stoppte den Strom erneut. Der kleine Holzmann suchte selbst im Bild nach dem Detail, das Frankie derart irritiert haben musste. Er wurde nicht fündig.

»Dort rechts, auf der zweiten Bank. Das bin ich!«

Endlich sah Wood, was Frankie meinte.

»Das bist nicht du. Wenn ich die Informationen richtig deute, ist das eine Kopie von dir.«

»Ein Klon?«

»Ein Toy.«

»Wozu gibt es einen Toy von mir?« Frankie versuchte, ruhig zu bleiben.

»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete Wood.

»Weil du es nicht weißt?«, hakte Frankie nach.

»Ich war auch nur ein Werkzeug von LaLeLimbus.«

Frankie mühte sich, in Woods Gesicht so etwas wie Betroffenheit lesen zu können. Obwohl es zwecklos war. Die Karenadier verfügten über die Mimik eines Baums.

»LaLeLimbus lässt also Toys herstellen. Wozu? Und warum nehmen sie nicht Klone?«

Frankie konnte es nicht fassen. Ein Toy von ihm! Unglaublich!

»Klone wachsen langsam«, antwortete Wood. »Wo ein Klon zehn Jahre braucht, braucht ein Toy höchstens zwei Wochen. Außerdem benötigen Klone einen vollen Gedächtnistransfer, um funktionsfähig zu sein. Damit wären sie allerdings wieder zu intelligent für das, was der Toy tun soll.«

»Und das wäre?«

»Jemanden töten zum Beispiel.«

»Was meinst du mit ›zu intelligent‹?«

»Um sich zu verweigern. Diese tumben Toys jedoch – deinen Freund hier mal ausgenommen – sind ideal als Werkzeuge zu gebrauchen.«

»Missbrauchen. Das ist es, was du meinst.«

Wood nickte.

Und Frankie überlegte.

Die LaLeLimbus-Brüder hatten offensichtlich einen Plan. Er selbst spielte darin eine Rolle. Ebenso Holly. Und sogar Wood hatte bereits seinen Anteil geleistet. Das alles konnte natürlich purer Zufall sein. Oder sie erkannten die wahren Ausmaße dieses Plans noch nicht.

»Also war es kein Zufall, dass Holly auf die CORONA portierte«, meinte Frankie.

»Na ja, es ist zumindest kein Zufall, dass dein Schildgenerator defekt war«, antwortete Wood, der sich wohl in der Zwischenzeit ähnliche Gedanken gemacht hatte.

»Immerhin konnten wir unbemerkt auf Clarion Prime landen.«

Wood erinnerte sich an Hollys Erinnerungsstrom und daran, was Frankie über Pächnidhia berichtet hatte.

»Dafür gibt es nur eine einzige logische Erklärung: Wer auch immer dies geplant hat, rechnete nicht im Geringsten damit, dass Holly und du nach Clarion Prime zurückkehren würdet.«

Frankie nickte. Klang einleuchtend. Er erinnerte sich an Hollys Waffe und daran, welche Feuerkraft diese wohl entfacht hätte. Frankies Überleben war eventuell nicht Teil dieses Plans.

Wood dachte weiter laut nach.

»Bei den Standardkontrollen dürftet ihr durchkommen …«

»Das sind wir wohl schon, sonst wären wir kaum bei dir.«

»Aber die CORONA steht in einem Reparaturhangar?«, fragte Wood.

Frankie schwante, worauf sein hölzerner Freund hinaus wollte. Er deutete auf Holly, der langsam wieder zu sich kam.

»Wir bringen dich in Gefahr.«

Wood schüttelte den Kopf.

»Vielleicht. Es wird Aufzeichnungen darüber geben, dass du mich häufig besuchst. Aber das meinte ich nicht. Du solltest so schnell wie möglich wieder von diesem Planeten verschwinden. Und das wirst du nicht mit der CORONA schaffen.«

Frankie erkannte, dass sein Freund die Wahrheit ausgesprochen hatte. Alles in ihm stemmte sich gegen die Erkenntnis. ›Nein!‹, schrie es laut in ihm.

»Nicht ohne mein Schiff!«, stellte er klar.

»Das hatte ich befürchtet. Doch das wirst du wohl kaum alleine schaffen«, gab Wood zu bedenken.

Holly rappelte sich auf.

»Das wäre dann wohl mein Job«, sagte der Toy und erhob sich zu seiner vollen Größe.

»Danke, mein Freund.« Frankie grinste Wood an, der ihn skeptisch mit seinen Knopfaugen betrachtete.

»Okay, ich bin dabei. Irgendwer muss euch schließlich an den Kontrollen vorbei und zurück zu eurem Hangar führen.«

»Auf ein Glas?«, fragte Frankie lächelnd.

»Auf ein Glas!«, bestätigte Wood.

Plötzlich hob er seine kleine wurzelige Hand.

»Still!«

Frankie und Holly starrten ihren Gastgeber an.

Der Karenadier sprang behände und völlig lautlos zur Außenwand, lauschte und kam sofort zu ihnen zurück.

»Wir sind nicht mehr allein«, sagte er und schob Frankie und Holly vor sich her. Als sie zwischen dem Stuhl und der Waberwand standen, gab Wood mit seinen Augenbewegungen einen Befehl. Der Sitz metamorphoste in Windeseile zurück, bewegte sich auf sie zu und schob sie mit sich in die weiße Sirupwand. Frankie und Holly waren zu überrascht, um auch nur einen Mucks von sich zu geben. Obwohl sie inmitten der Masse standen, die sie zuvor als mehr oder minder feste Wand angesehen hatten, konnten sie frei atmen und einander sehen. Tatsächlich konnten sie sogar in den Raum schauen, in dem Wood zuvor Holly untersucht hatte.

Die Tür zum Laubengang verschwand plötzlich. Sie verdampfte. Sechs Männer stürmten in den Raum und verteilten sich mit der Routine einer dafür ausgebildeten Spezialeinheit. Sie alle trugen schwarze Kampfrüstungen und Helme.

»Gesichert!«, kam aus jeder der Ecken.

»Sie sind nicht mehr hier!«, sagte der Chef der Einheit und verließ den Raum durch das Loch in der Wand. Die fünf Anderen folgten wortlos.

Frankie schaute Holly und Wood an. Der Karenadier hob die Hand vor seinen hölzernen Mund.

Das Zeichen war klar. Warten!

Sie standen starr nebeneinander und rührten keinen Muskel.

Plötzlich kam ein Befehl von draußen.

»Versiegeln!«

»Scheiße«, fluchte Wood, während Holly und Frankie sich komplett ahnungslos ansahen.

»Tief Luft holen. Jetzt. Sofort!«, kommandierte der Karenadier und seine beiden Gäste kamen diesem Befehl ohne Gegenworte nach. Kaum zwei Sekunden später sahen sie, was ›Versiegeln‹ bedeutete.

Einer der Spezialeinheit warf etwas, das nach einer Granate aussah, in den Raum und baute ein Schutzfeld vor dem klaffenden Loch auf. Keinen Moment zu spät, denn die Granate zündete nur eine Sekunde danach. Doch anstelle einer Explosion, ploppte die Granate völlig unspektakulär auf und eine weiße, wabernde Masse strömte heraus, wurde schneller, begann, in Fontänen in alle Richtungen zu schießen. Bis daraus eine komplette Flutung von Woods Räumen wurde. Nach sechs oder sieben Sekunden war alles vorbei. Ein Knacken und Ächzen der Wände deutete darauf hin, dass sich die Flüssigkeit verfestigt hatte.

Die wabernde Wand hatte sie beschützt. Was nichts daran änderte, dass sie gefangen waren. Mit dem bisschen Luft, das sie noch in ihren Lungen trugen.

Tricks

Wood atmete zuerst aus.

»Puh, Glück gehabt!«

Frankie und Holly taten es ihm gleich.

»Wieso …?«, hob Holly an.

»Ich war mir nicht sicher, ob die Wand das aushalten würde«, unterbrach ihn Wood. »Dieses Zeug frisst die Luft und wird dadurch schneller und fester.«

Er deutete nach draußen. Zumindest dorthin, wo aus Sicht der Wand einmal draußen gewesen war.

»Und nun?«, wollte Frankie wissen.

»Der Vorgang ist reversibel. Und zu unserem Glück trifft es mich nicht unvorbereitet.«

»Was bedeutet?«, fragte Holly mit einer Spur Gelangweiltheit in der Stimme.

Frankie registrierte amüsiert diesen kleinen Schritt des Toys zur Menschlichkeit.

»Was bedeutet, dass in dieser Wand außer euch auch das Gegenmittel für dieses Zeug darauf wartet, meine Räume wieder in ihren Urzustand zu versetzten«, strafte Wood den Toy ab.

»Und wir warten auf …?«, hakte jetzt Frankie nach.

»Na, zumindest sollten diese Special Forces nicht mehr vor der Tür rumlungern«, antwortete Wood genervt. »Nachdem sich das Zeug verfestigt hat, können sie ihren Kraftfeldgenerator einpacken und abziehen.«

»Sie werden sich direkt zum Hangar begeben«, mutmaßte Holly.

»Das werden sie zweifelsohne. Was bedeutet, dass wir sie sowieso nicht überholen können und so wiederum alle Zeit der Welt haben.«

»Na ja, ich würde mal grob überschlagen, die Luft hier drinnen reicht für uns drei …«, begann Holly eine staubtrockene Kalkulation ihrer Chancen, als Wood wortlos das Gegenmittel aktivierte.

 

Er bückte sich nicht, drückte keinen Schalter, bediente keinen Mechanismus – er stand einfach da, griff durch die Wand hinaus in die weiße Masse und es begann.

Wieder gab es ein leises Ächzen, ein Bersten und Splittern, ein Knacken. Aus der festen Form wurde eine flüssige, und der Pegelstand der flüssigen Form nahm ab. Genau wie die Entstehung war auch die Umkehrung eine Sache von wenigen Momenten. Und während dieser paar Sekunden wuchs der kleine Karenadier. Nur ein wenig, sieben bis acht Zentimeter vielleicht, aber doch deutlich erkennbar.

Wood trat aus der Wand heraus, ging in die Knie und saugte die letzten Tropfen der weißen Flüssigkeit vom Boden auf.

Seine beiden Gäste folgten ihm und sahen, wie die ›Versiegelung‹ bis auf wenige Ecken komplett verschwunden war.

»Respekt!«, kommentierte Frankie das, was sein nicht mehr ganz so kleiner Freund eben vollbracht hatte.

»Danke. Aber das war keine Zauberei. Die weiße Masse stammt von Karenadia. Sie ist sozusagen wie Dünger für mich. Aber zuviel davon ist auf Dauer auch nicht gut, Ihr entschuldigt mich also kurz?«, fragte Wood und suchte seine Toilette auf.

Holly und Frankie blickten ihm eine Weile schweigend und staunend nach.

»Meine CORONA«, seufzte Frankie schließlich, als wäre er aus einem Traum erwacht.

»Wir finden sicherlich einen Weg!«, sagte Holly und Frankie war versucht, diesen tröstenden Worten Glauben zu schenken. Im selben Augenblick kam ihm der Gedanke, dass er sich nicht sicher sein konnte, ob Holly das Prinzip Trost überhaupt geläufig war. Die zwangsläufige Folge dieser Überlegung ließ ihn neue Hoffnung schöpfen. Holly war sich wirklich sicher, dass es einen Weg gab, die CORONA zu retten.

Derweil war Wood von der Toilette zurückgekehrt und hatte seine ursprüngliche Größe zurückerlangt.

»Wow, das war unglaublich!«, ließ Frankie dem Karenadier abermals seine Anerkennung zukommen.

»Wie hast du das gemacht?«

Wood überlegte einen Moment.

»Schwer, das zu erklären. Weißt du, wie die Photosynthese abläuft?«

Frankie nickte.

»So ähnlich«, antwortete Wood und die Betonung seiner Worte erklärte dieses Gespräch damit für beendet. »Lasst uns deinen Hangar aufsuchen. Die CORONA wird dort nicht ewig auf uns warten«, lenkte er vom Thema ab.

»Wenn sie uns fangen wollen … Warum sollten sie dann die CORONA aus dem Hangar entfernen? Sie ist der perfekte Köder«, sinnierte Frankie.

»Aus deiner Sicht. Weil du diese Mühle liebst. Für dieses Eingreifkommando ist es hingegen nur ein potentieller Fluchtweg. Und den werden sie uns über kurz oder lang entziehen.«

»Hast du eben ›uns‹ gesagt?«, hakte Frankie nach.

»Hast du verpasst, was hier eben passiert ist? Ich befürchte, ich bin auf Clarion Prime nicht mehr sehr willkommen. Also falls du auf der CORONA noch ein Plätzchen frei hättest …«

Frankie lächelte.

»Noch muss ich nicht anbauen.«

Er stellte sich zwischen seinen Copiloten und seinen ältesten Freund, legte die Arme auf ihrer beider Schultern und schob sie sanft in Richtung Tür. Es war ein eigenartiges Bild: Ein muskulöser Riese, ein hölzerner Zwerg und dazwischen ein zwar durchtrainierter, aber eben nur normal großer Mensch.

»Dann, meine Freunde, auf zu den Sternen!«, sagte Frankie feierlich. In seinem Bauch stellte sich ein Gefühl von Glück und Zuversicht ein.

Sie gingen hinaus auf den Laubengang und es war, wie Wood vorhergesagt hatte. Kein Kraftfeld hielt sie auf. Die Forces hatten ihren Generator eingepackt und waren lange fort.

Hollys und Frankies Miet-Hopper wartete 200 Stockwerke tiefer auf sie. Sie fuhren in einem der Standardlifts hinunter. Frankie hatte den Hopper in einem Schwebezustand zwei Stockwerke über Null geparkt, um ihn sauber zu halten. Denn der gesamte Dreck und Schmutz der Stadt senkte sich in diese dunklen Winkel und bedeckte die Gassen mit einem klebrigen Film.

»Wir benötigen zehn Minuten, um zum Hangar zu gelangen. Habt ihr schon irgendeine Idee, wie wir auf die CORONA kommen können?«, fragte Frankie, während er den Hopper startete und die Vierfach-Scheinwerfer einschaltete.

»Wir müssen erst einmal herausfinden, ob wir tatsächlich dort erwartet werden«, sagte Holly.

»Dann sehen wir weiter«, bestätigte Wood die Einschätzung des Toys.

»Okay«, sagte Frankie und lenkte den Jet mit sparsamen Bewegungen durch die engen, schwarzen Gassen.

Clarion Prime war ein dicht besiedelter Planet. Hier in der Centralstadt war Wohnplatz rar und teuer. Die Blocks schossen bis zu 250 Etagen in die Höhe und die unteren hundert Stockwerke sahen kaum die Strahlen der nahen Sonnen. Wie um die Tristesse zu verstärken, bestand jede Wand aus dem schwarzen, Licht schluckenden Verbundstoff. Und so befanden sie sich beinahe auf einem Nachtflug, zumindest, bis Frankie den Hopper hinauf in die Hunderterebenen manövriert hatte.

»Du hast nichts verlernt«, lobte Wood Frankies Flugkünste.

»Hey, das ist mein Job. Alles tägliches Training.«

»Aber sonst fliegst du im Stream und die KI übernimmt die komplette Steuerung.«

»Nicht immer«, widersprach Frankie. »Manchmal schicke ich die KI schlafen und fliege manuell.«

»Im Stream?« Wood konnte es kaum glauben. »Ich dachte, das ist nicht möglich?«

»Wer es nicht versucht …«, antwortete Frankie schmunzelnd.

Vor ihnen tauchte der Raumhangar auf.

»Ups, wir sind fast da«, unterbrach er sich und lenkte den Hopper eilig hinab in den Schutz der Häuserschluchten.

»Den Rest des Weges sollten wir besser zu Fuß erledigen«, sagte Holly.

Frankie hielt den Hopper zirka zwei Meter über dem Boden – oder was sich als Boden ausgab – und öffnete seine Tür.

Leer. Wie ausgestorben.

Niemand war hier unten. Selbst der Abschaum hielt sich nicht hier auf. Niemand wollte sich mit irgendetwas aus dem klebrigen, alles bedeckenden Schwarz infizieren.

Frankie griff hinter den Pilotensitz und holte einen Booster hervor. Dabei handelte es sich um nichts anderes als einen handlichen Flammenwerfer. Standardausstattung. Zum Glück.

Mit der linken Hand hielt er den Booster aus der Tür und auf den Boden gerichtet, und mit der rechten drehte er den Hopper auf der Stelle.

Als er den Booster zündete, fraß sich die Flamme in das Schwarz unter ihnen und verbrannte es. Bis er auf diese Weise einen ausreichend großen Kreis geschaffen hatten, um sicher landen zu können.

Kaum hatte er aufgesetzt, sprangen die Drei hinaus. Das Schwarz trat sofort den Beweis an, zumindest ansatzweise flüssig zu sein und versuchte, verlorenen Boden zurück zu gewinnen.

Frankie orientierte sich kurz, richtete den Booster aus und zündete ihn erneut, um das Schwarz auf ihrem Weg zu verbrennen.

»Hier entlang!«, sagte er und ging zügigen Schrittes vor.

Tatsächlich befanden sie sich nur zweihundert Meter vom Hangar entfernt.

Aus dem zügigen Gehen wurde rasch ein Laufen, denn was Frankie auf ihrem Weg verbrannte, wurde hinter ihnen sofort wieder ersetzt. Man hätte meinen können, sie bewegten sich in einem lebenden Organismus.

Frankie dirigierte seinen kleinen Tross um eine Ecke.

»Wir sind gleich da.«

»Und dann? Werden sie uns nicht kommen sehen?«

»Sie werden sicherlich nicht auf den Boden achten«, antwortete Frankie und schob leise nach, »Hoffe ich.«

Da erhob er sich vor ihnen. Der Raumhangar. Einer von sieben auf Clarion Prime. Eine riesige Salatschüssel aus schwarzen Wänden. Und darüber das Funkeln und Leuchten der Positionslichter und Triebwerke der ankommenden und abfliegenden Raumschiffe. Das war der Ort, an dem Prime noch lebte, atmete. Hier schlug eines der sieben Herzen des Planeten.

Frankie regelte die Flamme des Boosters auf das Minimum herunter.

»Wie kommen wir rein?«, fragte Holly.

»Es gibt meines Wissens alte Belüftungsschächte. Aus der Zeit, als der schwarze Brei noch nicht hier unten war«, informierte sie Wood.

»Zur Belüftung? Die werden sie wohl still gelegt haben«, meinte Holly.

»Solange sie nicht komplett verschlossen sind, kann uns das egal sein«, gab Frankie zurück und wurde von Wood am Ärmel gezupft.

»Frankie, wärst du bitte so freundlich?«, fragte Wood und zeigte auf die Brühe zu ihren Füßen, die sie gleich wieder berühren würde.

Frankie warf den Booster erneut an und zog einen größeren Bannkreis um sie.

»Vorsichtig!«, empörte sich Wood, als sein Kumpel ihm mit den Flammen etwas zu nahe kam. »Ich bin nicht feuerfest!«

Holly musste lachen.

»Wer ist das schon?«

Da grinste auch Frankie, aber er achtete tunlichst darauf, dass Wood das nicht bemerkte.

»Lasst uns hingehen und nach einem der Lüftungsschächte suchen. Hier wird uns die schwarze Pampe irgendwann fressen«, nahm der Karenadier das Heft in die Hand.

Frankie nickte und schickte die Flammen des Boosters voran.

Der Boden unter der riesigen Salatschüssel stieg glücklicherweise an, je näher sie dem Fundament kamen. Mit jedem weiteren Schritt nahm die Menge des zu verbrennenden Schwarz um sie herum ab, bis es schließlich ganz zurück blieb. Trotzdem ließ Frankie die Flamme zumindest auf Minimum vor sich hin flackern. Anderenfalls wäre um sie komplette Finsternis gewesen.

Endlich trafen sie auf den Fuß des Hangars, wandten sich nach rechts und begannen, das Fundament zu umrunden.

»Wenn es nur zwei Schächte gibt, wird das ein sehr weiter Weg«, gab Wood zu Protokoll. Er war schon immer ein Skeptiker gewesen.

»Es sei denn, wir haben Glück«, sagte Holly und wies nach vorn.

Frankie konnte nichts entdecken.

Er schaute Holly fragend an, doch der machte ein Gesicht, als stünden sie direkt davor. Wood schaute kurz an der Flamme des Boosters vorbei.

»Na gut«, sagte er, als wäre er enttäuscht, dass sein Kassandra-Ruf sofort verhallt war.

»Was seht ihr da?«, fragte Frankie, der, sosehr er sich und sein Augenlicht mühte, rein gar nichts erkennen konnte, das nach einem Lüftungsschacht aussah.

Sie gingen weiter, bis Holly schließlich stehen blieb.

Wood blieb ebenfalls stehen.

Frankie wäre weiter gegangen, stoppte nun jedoch auch. Er blickte zur Wand und sah … schwarz. Einheitliches, dunkelstes Schwarz.

»Wo?«, fragte er hilflos.

»Es ist mir ein Rätsel, wie ihr euch so über das Universum ausbreiten konntet!«, stellte Wood fest.

»Mit ihr meinst du die Menschheit?«, fragte Frankie zurück. »Nur weil ich momentan von Blindheit geschlagen bin?«

Wood versuchte so etwas wie ein Lachen. Ein auf Karenadia eher unübliches Konzept.

Holly war derjenige, der lösungsorientiert dachte.

»Sieh her«, sagte er zu Frankie und fuhr mit dem Zeigefinger an der Wand entlang. Ein kaum wahrnehmbares Knistern, das von einem feinen Funkenregen begleitet wurde.

»Ein Kraftfeld«, sagte Frankie staunend.

Erst einen sehr langen Moment später wurde ihm klar, was das bedeutete.

»Ihr habt das Kraftfeld gesehen? Beide?«

»Es ist eher ein Fühlen«, antwortete Wood beschwichtigend.

»Also bei mir ist es auch eher Fühlen«, sagte Holly und schob sogleich nach, »und ein Schmecken auch … irgendwie.«

Frankie lächelte.

»Ein Glück, dass wir im selben Team spielen. Wie groß ist der Eingang?«

Holly bemaß den schwarzen Schacht in der schwarzen Wand mit einem abmessenden Blick. Oder er fühlte die Größe. Wie auch immer …

»Groß genug. Zwei Meter hoch und einen Meter breit.«

»Und das Kraftfeld? Kann man es unterbrechen?«, erkundigte sich Wood.

»Ich könnte die Zuleitung kappen. Aber wir wissen nicht, ob dadurch ein Alarm ausgelöst werden würde. Deshalb präferiere ich die Variante, das Kraftfeld nur kurzzeitig zu verkleinern«, sagte Holly.

»Und du glaubst, du kannst das von hier aus bewerkstelligen?«, hakte Frankie nach.

Statt einer Antwort erhielt der Pilot der CORONA eine Gegenfrage: »Du hast mich nie gefragt, wie ich auf unserem Flug nach Pächnidhia aus dem verriegelten Frachtraum entkommen konnte. Warum nicht?«

Frankie lächelte.

»Weil ich immer hoffe, dass die Menschen mir irgendwann von selbst ihre kleinen Geheimnisse anvertrauen. Manchmal braucht es eben seine Zeit. So wie du die deine gebraucht hast, nicht wahr?«

 

Im schwachen Licht der herunter geregelten Booster-Flamme sah Frankie, dass sein Copilot nickte.

»Nun ist es soweit. Wie ihr euch vielleicht erinnert, bin ich lediglich ein aufrecht gehender Nano-Schwarm.«

Frankie hob die Hand und bewegte seinen Zeigefinger zur Verneinung leicht hin und her.

»Du, Holly, hast bewiesen, dass du viel mehr als nur das bist.«

Der Toy neigte seinen Kopf leicht zur Seite und schaute ihn tatsächlich strafend an.

»Worauf ich hinaus wollte …«, begann er, nahm seine Add-Ons von der Schulter, drückte sie Frankie in die Hände und trat dann ohne ein weiteres Wort neben dem Kraftfeld in die Wand. Kein Brechen des schwarzen Verbundwerkstoffes. Holly verschwand in der Wand, als wäre sie bestenfalls aus Wasser.

Frankie war sprachlos. Selbst Wood war baff.

»Okay …«, stammelte Frankie schließlich, als nach zirka fünfzehn Sekunden sich immer noch nichts weiter ereignet hatte. Doch dann kam dort, wo Holly ihm zuvor die Existenz des Kraftfeldes bewiesen hatte, eine Hand direkt aus der Wand. Hollys Hand.

Frankie gab seinem Copiloten dessen Add-Ons zurück und wartete geduldig, bis der die Zusatzbefähigungen wieder mit seinem Körper verbunden hatte.

»Ich habe die Ausmaße des Kraftfeldes verringert. Steigt hier herein. Und duckt euch!«, sagte Holly schließlich.

Erst jetzt – im Licht des Boosters – erkannte Frankie die Wände des Schachts. Vorsichtig stieg er über die Kante, die sich ungefähr fünfzig Zentimeter über dem Boden befand und half danach Wood hinauf.

Nachdem sie beide im Innern waren, widmete sich Holly einer kleinen Aussparung in der Wand, in der einige Kabel eher zu erahnen als zu sehen waren.

»Hättest du auch direkt durch das Kraftfeld gehen können?«, wollte Frankie wissen.

Holly verneinte.

»Die Struktur eines Kraftfeldes ist in steter Bewegung. Schwer, dort hindurch zu gelangen. Erst wenn die Dichte abnimmt, hätte ich eine Chance.«

»Wie auf der CORONA? Als du dich durch den Schild portiert hattest?«

»So ist es.«

»Und eine Wand ist …«

»Löchrig. Ruhiger. Leicht zu durchdringen.«

»Aber du könntest dich auch an eine Wand lehnen?«

»Ohne ungewollt hindurch zu rutschen?«

Holly lachte, während er damit beschäftigt war, das Kraftfeld wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen.

»Es ist meine freie Entscheidung, ob ich meine Naniten bündele oder sie soweit voneinander entferne, dass sie als einzelne Teilchen durch die Freiräume einer Wand dringen können. Wobei die Bündelung den vorprogrammierten Grundzustand darstellt.« Holly hatte seine Arbeit beendet und sie wandten sich nun dem Inneren des Kaninchenbaus zu.

»Der Hangar hat einen Durchmesser von ungefähr sieben Kilometern. Könnte ein längerer Fußmarsch werden«, mutmaßte Frankie und stampfte voran.

Das Licht des Boosters zeigte ihnen den Weg.

Geradeaus. Einfach immer geradeaus. Und auf jedem Meter geringfügig ansteigend.

Zu ihrem Glück war es hier drin weitestgehend sauber. Ob es am Kraftfeld lag, dass es die schwarze Pampe hier nie herein geschafft hatte?

Sie schritten eilig voran und erreichten bald eine Abzweigung. Linkerhand befand sich ein Gang, der bereits wenige Meter hinter der Öffnung zu einer Treppe führte. Einer Treppe nach oben!

»Manchmal ist der kürzeste auch der beste Weg«, orakelte Wood. Hinter dieser Bemerkung verbarg sich wohl die Hoffnung, nicht mehr allzu weit laufen zu müssen. Der Karenadier war mit seinen kurzen Beinen bei ihrem Fußmarsch klar im Nachteil.

»Dieser Weg ist so gut wie jeder andere«, sagte Frankie. »Letzten Endes müssen wir sowieso nach oben. Also nehmen wir diesen Weg.«

Holly stimmte dem zu und so war es beschlossene Sache. Wieder machte Frankie den Anfang. Der Booster erhellte die Treppe soweit, dass auch der letzte – das war Wood – die Stufen erkennen konnte.

Zuerst hatten sie noch darauf geachtet, nicht zu viel Lärm zu verursachen. Doch mit jeder erstiegenen Stufe nahm ihre Kondition ab. Und damit die Contenance.

»Bei so vielen Stufen sind wir schon zu Fuß auf halben Weg zum Orbit«, fluchte Wood schwer atmend.

Da hörten sie das ferne Dröhnen von Triebwerken.

Es jagte Frankie einen Schauer über den Rücken. Das war die Musik, die er hören wollte. Zugleich musste er an seine geliebte CORONA denken.

»Wir sollten gleich oben sein«, beschwichtigte er Wood und keuchte selbst dabei. Insgeheim nahm Frankie sich vor, wieder mehr zu trainieren. Überhaupt etwas zu trainieren.

Endlich erreichten sie das Ende der Treppe. Der Klang des Raumhafens war jetzt ganz nah. Über ihnen, in zweieinhalb Meter Höhe, befand sich eine erschreckend schmale Auslassöffnung. Helles Licht drang zu ihnen herunter.

»Das dürfte eng werden«, sagte Wood, nachdem er mit leichter Verspätung die letzte Stufe überwunden hatte.

»Ich denke, ich passe da durch«, schätzte Frankie. Er war schlank, aber nicht so schlank wie Wood. Und Holly zählte bei der Bewältigung des Problems nicht mit. Zumindest solange seine Add-Ons durch die Öffnung passten.

Mittlerweile waren sie wieder alle zu Atem gekommen und konnten die nächste Etappe angehen.

»Okay«, sagte Holly und tippte Wood auf die Schulter. »Du zuerst. Danach Frankie. Zuletzt ich.«

Er entledigte sich abermals seiner Add-Ons.

Frankie wollte zuerst einen leicht ironischen Kommentar abgeben, verbiss ihn sich jedoch angesichts der Tatsache, dass Holly nicht antworten konnte.

Wood hielt dem fast doppelt so großen Holly seine Arme hin, wie ein kleiner Junge, der von seinem Papa hochgenommen werden wollte.

Der Toy hob den Karenadier hoch und gab ihm auf seinen Schultern den notwendigen Halt, damit Wood sich durch die Öffnung schieben konnte.

Der Karenadier entschwand für einen Moment ihren Blicken. Holly und Frankie warteten. Dann tauchte der kleine, hölzerne Kopf wieder auf.

»Alles klar. Ihr könnt kommen.«

Frankie legte den Booster ab, weil er davon ausging, ihn nicht mehr zu benötigen. Und weil er jegliche Art von Waffen hasste.

Dann hievte Holly ihn hoch und bot auch ihm die Schultern, um sich durch die Öffnung quetschen zu können. Es gelang. Um Haaresbreite.

Oben empfing Frankie … Licht. Saubere, blendende Helligkeit. Unendlich weit entfernt vom Schwarz der Straßen unter ihnen. Er schaute zu Wood und wusste, dass der Karenadier sich trotz der Situation hier oben besser fühlte. Ihm selbst ging es ebenso. Doch dieser Moment währte nur wenige Sekunden.

Frankie griff durch die Öffnung. Er nahm Hollys Add-Ons und reichte sie an Wood weiter. Danach streckte er die Hand abermals nach unten, in der Hoffnung, Holly bei dessen Aufstieg helfen zu können. Und zu seiner Überraschung griff der Toy tatsächlich zu. Frankie stütze sich ab und zog Holly zumindest so weit hoch, dass der sich festhalten und selbst nach oben ziehen konnte. Was Frankie dann zu sehen bekam, überraschte ihn zwar nicht mehr, war jedoch ein faszinierender Anblick.

Holly schob sich durch die für ihn viel zu schmale Öffnung, indem er sich verformte. Zuerst schlanker wurde. Schultern, Brust, Bauch, Beine. Und danach wieder breiter. Und – so fand zumindest Frankie – dabei sogar ansatzweise durchsichtig wurde.

Schließlich waren sie alle drei oben angelangt. Holly ließ sich von Wood seine Add-Ons geben und verband sich mit den kybernetischen Einheiten.

»Es fühlt sich gut an, wieder komplett zu sein.«

Frankie nickte ihm zu. Er glaubte zu verstehen, wie der Toy sich gerade fühlte. Im Grunde ging es ihm ebenso, seit er erfahren hatte, dass er sein Raumschiff verlieren könnte.

Die CORONA komplettierte ihn. Oder er die CORONA.

»Parkbucht 117«, sagte Frankie mehr zu Wood als zu Holly.

Vorsichtig spähten sie um die Ecke.

»Hier ist die 89«, sagte Holly, »Wir haben Glück. Keine dreißig Buchten bis zu deinem Schiff.«

»Unserem Schiff«, verbesserte Frankie ihn.

Wood schaute sie beide von unten an.

»Und ihr seid absolut sicher, dass da nichts zwischen euch läuft?«

Holly winkte nur ab. Und Frankie schlich bereits davon. Sie hatten wahrlich Wichtigeres zu tun.

Natürlich war er nicht so blauäugig zu glauben, dass sie unentdeckt auf ihr Schiff gelangen könnten. Diese Einsatztruppe würde über das technische Equipment verfügen, ihre Annäherung festzustellen. Die Frage war allerdings, wie eng sie den Ring um die CORONA gezogen hatten. Auf einem Raumhafen herrschte immer Betriebsamkeit. Alles war irgendwie in Bewegung. Das Personal – Roboter gab es in den äußeren Systemen nur sehr selten – führte vieles sozusagen noch von Hand aus. Was vor allem der Tatsache geschuldet war, dass die Raumschiffstypen der einzelnen Rassen, die das Clarion-System besuchten, sehr unterschiedlich sein konnten. Manche Energiezellen konnten von außen eingesetzt werden, andere mussten dafür über Rampen ins Innere eines Raumschiffs gebracht werden. Manchmal brauchte man Adapter, manchmal KI-Interpreter – und all das erforderte flexibles Personal. Und die sechsarmigen Polmarier waren ein sehr effizientes und bewegliches Personal.

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