Die Status Quo Autobiografie

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Leider schien das Traffic-Jam-Projekt vom ersten Moment an unter einem schlechten Stern zu stehen. Der Track, den wir als erste und, wie sich später herausstellen sollte, auch als letzte Single veröffentlichten, erschien im Mai 1967 und stammte aus meiner Feder. Der Song hieß „Almost But Not Quite There“. Auch er wurde ein Flop, doch die Single wurde zumindest dadurch ausgezeichnet, dass die BBC sie aus dem Programm strich, weil sie zu viele zweideutige Anspielungen enthielt. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich als Songwriter am liebsten das Handtuch geworfen. Ich glaubte immer noch an die Band, aber ich dachte allmählich, dass wir es nie schaffen würden, einen Hit zu haben. Ich bekam auch extrem Druck von zu Hause. Meine Eltern meinten, ich solle endlich aufhören mit dem „Herumgammeln“ und „einer geregelten Arbeit nachgehen“. Es wäre vielleicht einfacher gewesen, diesem Druck standzuhalten, wenn ich nicht schon verheiratet gewesen wäre und ein Kind gehabt hätte.

So eigenartig das jetzt scheinen mag, aber es war im Sommer 1967, der als Sommer der Liebe in die Geschichte einging und eine sehr freizügige Ära einläutete, als ich Jean heiratete. Wir waren beide immer noch Teenager, aber ich hatte unsere Hochzeit ja schon fest geplant, als wir uns zum ersten Mal begegnet waren. Da sie damals schon im siebten Monat schwanger war, konnten wir uns nicht in einer katholischen Kirche trauen lassen, und so heirateten wir im Ruckzuckverfahren und die Hochzeitszeremonie wurde im Standesamt von Peckham vollzogen. Es war eine bescheidene Feier, der außer uns nur meine Mum, mein Dad sowie ein paar Freunde beiwohnten. Meine Eltern hatten zuerst nichts damit zu tun haben wollen. Meine Mutter war außer sich, als sie hörte, dass wir nicht kirchlich heirateten. Doch irgendwann gaben meine Eltern nach. Zu ihrem weiteren Bestürzen trug ich einen grüngelbgestreiften Blazer, ein pinkfarbenes Hemd und weiße Hosen – mehr oder minder mein Bühnen-Outfit. Jean trug einen geblümten blassgrünen Fummel. Ihr Bauch war schon ziemlich dick, aber ihre Haare sahen phantastisch aus.

Flitterwochen gab es nicht. Stattdessen zogen wir schnurstracks zu Jeans Mutter nach Dulwich. Jeans Vater war einige Jahre zuvor gestorben, und ihre Mutter war wohl froh, dass sie nun wieder ein bisschen Gesellschaft bekam. Wir schliefen im Gästezimmer und – ohne jetzt undankbar klingen zu wollen – es war die Hölle. Ich hatte nie verstanden, warum Jean vor unserer Hochzeit nie wollte, dass ich ihre Mutter kennen lernte. Nachdem wir bei ihr eingezogen waren, merkte ich wieso. Sie hockte immer mit hochgezogenem Rock in ihrem Lehnstuhl, der Saum ihrer Unterwäsche hing raus, und dabei rauchte und furzte sie. Eine echte Charakterfigur, könnte man sagen, um es etwas netter auszudrücken.

Die Hochzeit fand im Juni statt und mein erster Sohn Simon kam im August zur Welt. Das waren noch sechs Monate bis zu unserem ersten Hit, und der Druck, unter dem ich damals stand, war enorm. Ich musste mir ernsthaft überlegen, was ich aus meinem Leben machen wollte. An irgendeinem Punkt stellte Jean mich mal vor die Wahl: „Ich oder die Band!“ Ich erwiderte: „Okay, dann bin ich weg.“ Woraufhin sie meinte: „Du kannst so kalt sein.“ Und ich antwortete: „Du wusstest auch vor unserer Hochzeit schon, dass ich in einer Band spiele, und es hat dich nicht gestört. Wenn du deine Meinung jetzt geändert hast, dann ist das okay, aber für mich bleibt es dabei.“

Es klang so, als ob ich das auch so meinte, wie ich es sagte, aber mit jedem Monat, der verging, ohne dass irgendein Erfolg in Sicht war, fühlte ich mich immer mehr geneigt, die ganze Sache hinzuschmeißen und einen „richtigen“ Job anzunehmen, Jean und Simon zuliebe. Ich dachte ernsthaft darüber nach, denn als junger Mann nahm ich meine Vaterpflichten extrem ernst. Mal abgesehen von den Schwierigkeiten, die es mit sich brachte, mit ihrer Mutter unter einem Dach zu leben, war ich sehr glücklich verheiratet. Es gefiel mir, wenn mich Leute fragten, ob ich nicht noch ein bisschen jung sei, um schon verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Heute sagen sie nun das Gegenteil und werfen mir vor, ich sei zu alt, um Kinder zu haben. Sie haben beide Male Unrecht. Gott sei Dank bin ich ein fitter und gesunder Mann mit ausreichend finanziellen Mitteln, um einem Kind einen guten Start ins Leben zu ermöglichen – und so frage ich mich, warum ich nicht noch weitere Kinder haben sollte, nur weil ich jetzt in meinen mittleren Jahren bin.

Auch wenn ich stets sehr gern mit den Kindern zusammen war, gab ich mich als Vater doch ziemlich streng. Die Eltern der sechziger Jahre hatten diesen schrecklichen Irrglauben, dass man die Kinder einfach lassen machen sollte, und dass alles, was ein Kind tat, in Ordnung war. Meine Vorstellung von Kindererziehung ist eine andere. Genauso wie man ihnen was zu essen und Liebe gibt, muss man auch gewisse Richtlinien vorgeben, an die sie sich halten können. Ein Kind weiß doch erst, was es tun und lassen soll, wenn es ihm erklärt wird. Und das bedeutet, dass ein Kind gelegentlich auch mal Dinge tut, für die man es ausschimpfen muss. Wie sollte es denn sonst lernen, Recht von Unrecht zu unterscheiden?

Jean, die in dieser Hinsicht mehr mit dem Zeitgeist ging, brüstete sich immer damit, in welchem Ausmaß ihre Kinder machen durften, was sie wollten. Ich empfand das immer als totales Geschwätz und wir gerieten gewöhnlich in Streit darüber. Für mich war das nicht mehr als Drückebergerei, die sich dahinter verbarg, und ein typisches Gehabe in den sechziger Jahren. Wir wurden alle irgendwie davon in Beschlag genommen. Wir wollten nichts so lassen, wie es war, schließlich wollten wir die Welt verändern. Was wir ja auch taten. Wir stellten alles auf den Kopf. Nicht nur mit Hilfe von Drogen, sondern auch mit dieser Einstellung, dass man alles, was man haben wollte, auch immer sofort bekommen musste. Als kleines Kind träumte ich davon, einmal genug Geld zu besitzen, um den gesamten Süßigkeitenladen leerkaufen zu können. Doch wenn du älter wirst, merkst du, dass das nicht einfach nur unrealistisch, sondern auch maßlos ist. Mir kam diese Einstellung in den Sechzigern so vor, als würde man ewig in diesem Kleinkindstadium verharren, in dem man sich wünscht, dass einem die ganzen Süßigkeiten im Laden gehören. Als würde man sich weigern, erwachsen zu werden, und sei maßlos den eigenen Wünschen ausgeliefert. Es ist aber unmöglich, sich weiterzuentwickeln, wenn man keine Richtlinien hat, an denen man sich orientieren kann, was gut und was schlecht ist. In den Sechzigern schien es auf einmal so, als würde alles, woran man sich bislang orientieren konnte, über Bord geworfen. Und das ging eine ganze Weile so.

Unterdessen war es an der Zeit, noch mal einen letzten Anlauf zu nehmen und zu versuchen, einen Hit zu landen. Ich setzte alles auf eine Karte. Nach vier Singles, die gefloppt waren, wussten wir, dass unser Plattenvertrag auf dem Spiel stand und die nächste Single alles entscheiden würde. Wenn das jetzt schief ging, bedeutete das vermutlich das Aus für die Band – oder zumindest für mich.

Pat Barlow und John Schroeder hatten auch über unsere Köpfe hinweg beschlossen, noch einen weiteren Sänger in die Band zu holen. Pat meinte, dass die Stimmen in der Band kaum von Nutzen waren: „Wir brauchen noch jemand, der wirklich singen kann.“ Ich antwortete: „Vielen Dank.“ Doch als er uns mitteilte, wen er da im Sinne hatte – einen gewissen Jungen mit blonden Haaren, leicht gelockt und gleichzeitig ein Freund von uns, einen Typen namens Rick Parfitt – ging es mir gleich wieder viel besser. Es waren beinahe zwei Jahre vergangen, seitdem wir Rick im Butlin’s erstmals begegnet waren, und seit dieser Zeit waren wir mit ihm befreundet. Die anderen schienen ebenfalls erleichtert zu sein und fanden die Idee gut – sogar Alan, der mich echt damit überraschte, wie leicht er die Sache aufnahm. Woraus ich heute schließe, dass Pat schon vorab mit ihm gesprochen haben musste, noch bevor er es den anderen sagte. Denn Alan nahm alles sehr ruhig auf, und das passte eigentlich gar nicht zu ihm.

Natürlich fragte ich mich damals, ob sie mich jetzt gar nicht mehr singen lassen wollten. Aber zum Glück lief es nicht darauf hinaus. Denn wir hatten ja schon ein fertig ausgearbeitetes Set. Rick begleitete uns anfangs auf der Bühne auf der Rhythmusgitarre und klinkte sich nur gelegentlich bei den Gesangsharmonien ein, und das schien gut zu funktionieren. Mit der Zeit trat er bei einigen Stücken auch als Leadsänger auf, aber es waren vor allem die Songs, die wir gemeinsam sangen, durch die unsere Musik so viel dazu gewann. Ebenso wichtig für mich war aber, dass ich in Rick einen Geistesverwandten gefunden hatte. Er war mir in seinem Denken und Fühlen viel ähnlicher als die anderen in der Band. Damit will ich niemanden herabsetzen, aber Rick und ich hätten in der Tat Brüder sein können.

Der erste Auftritt, den wir mit ihm gemeinsam machten, war als Vorgruppe von Episode Six, einer brillanten Gruppe, aus der sich später Deep Purple rekrutierte. Rick trug die gleichen Klamotten wie ich bei meiner Hochzeit einen Monat zuvor – den grüngelbgestreiften Blazer, ein pinkfarbenes Hemd und weiße Hosen. Ich lieh ihm die Sachen für unseren Auftritt, da er selbst damals noch keine Klamotten besaß, die für die Bühne taugten.

Inzwischen hatten wir auch einen neuen Namen – The Status Quo. Das war wieder so eine Idee von Pat, mit der er versuchte, uns von dem Debakel, das wir mit Traffic Jam erlitten hatten, abzulenken. Ich wünschte, uns wäre dieser Name eingefallen, denn er passte richtig gut zu unserer Musik. Für mich passte er wie ein maßgeschneiderter Fingerhandschuh.

Sich Traffic Jam zu nennen, war echt problematisch geworden. Zum einen weil es mit der BBC wegen der Single „Almost But Not Quite There“ Ärger gegeben hatte, und zum anderen, weil Stevie Winwoods Band Traffic richtig durchgestartet war.

 

Wenn wir jetzt noch einmal unseren Namen änderten, dann sollte der neue Name wirklich zeitgemäß sein, so wie Amen Corner oder Pink Floyd. Pats erster Vorschlag war Quo Vadis, ein Name, den er auf der Innenseite eines Schuhs entdeckt hatte. Dann änderte er seine Meinung und schlug vor, wir sollten uns die Muhammed Alis nennen, weil wir dann den Slogan „They’re the Greatest“ verwenden könnten. Glücklicherweise erhielt er von Alis Management dafür keine Erlaubnis.

Irgendwann landeten wir wieder bei Status Quo. Es war eine angesagte Floskel damals, die man überall hörte. Zu Beginn der Hippie-Ära redete jeder davon, den Status Quo verändern zu wollen. Pat rechnete sich aus, dass wir bei den Leuten im Gespräch sein würden, selbst wenn sie gar nicht wüssten, dass sie über uns sprachen – oder so. Es passte jedenfalls und wir nannten uns fortan The Status Quo.

Wir hatten gerade mal ein paar Gigs mit Rick hinter uns, und schon fanden wir uns erneut im Studio wieder und nahmen die Tracks für unsere erste Single als Status Quo auf. Für die A-Seite war ursprünglich ein anderer Song, den wir aufgenommen hatten, geplant, ein Stück, das „Gentleman Jim’s Sidewalk Café“ hieß und das, ehrlich gesagt, ein ziemlicher Mist war. Für die B-Seite war hingegen ein neuer Song vorgesehen, den ich geschrieben hatte und der den Titel „Pictures Of Matchstick Men“ trug. Zu meiner großen Überraschung und zu meiner Erleichterung entschied John Schroeder in letzter Minute, dass wir die beiden Titel gegeneinander austauschten, und so landete „Pictures Of Matchstick Men“ auf der A-Seite. Eine Entscheidung, die unsere Karriere weitreichend beeinflussen sollte.

Die Idee zu „Matchstick Men“ war mir gekommen, als ich eines Tages bei mir zu Hause auf der Toilette gesessen hatte. Ich schrieb in jenen Tagen viele Songs auf dem Klo, da es der einzige Ort im Haus war, wo ich mal ungestört sein und mich von dem permanenten Lärmpegel, bestehend aus Kindergeschrei, einer keifenden Ehefrau und Hundegebell, entziehen konnte. In diesem winzigen kalten Klo und auf der harten Klobrille war es nicht gerade gemütlich und so eng, dass ich die Gitarre hochkant halten musste. Aber da hockte ich dann stundenlang, den Fuß gegen die Wand gestemmt, spielte vor mich hin, summte dazu und versuchte an etwas anderes zu denken als das, was gerade wieder draußen vor der Tür vor sich ging. Jean kam dann öfters mal an die Tür, klopfte und meinte: „Was machst du denn da drin so lange?“ „Nichts!“, schrie ich zurück. „Lass mich einfach!“

An jenem Tag aber waren sie alle außer Haus, und so kam ich vom Klo runter, nahm Platz auf unserer Couch und schrieb diesen Song zu Ende, den ich gerade angefangen hatte – „Pictures Of Matchstick Men“. Der Song war im Wesentlichen inspiriert von Jimi Hendrix’ Version von „Hey Joe“, die gerade ein Hit gewesen war. Ich hatte eine ähnliche Stimmung im Kopf, aber ich wollte auch, dass sich das Stück ein bisschen verrückter anhörte und nicht allzu sehr nach Jimi Hendrix, und so sang ich es mit einer angespannten Kopfstimme. Bis wir ins Studio gingen und John Schroeder vorschlug, ich solle es normal singen. Ich dachte zunächst, das käme zu gewöhnlich rüber, aber wir probierten es aus und, Simsalabim, wir hatten unseren ersten Hit!

Nachdem „Matchstick Men“ den Sprung geschafft hatte und im Februar 1968 in die Top 10 kam, war nichts mehr in unserem Leben so wie vorher. Wir waren derart erfreut über uns, dass wir umherliefen und sangen: „Hi ho, hi ho / We are the Status Quo / With a number one we’ll have some fun / Hi ho, hi ho …“ Ich war total aufgeregt, als ich „Matchstick Men“ ständig im Radio hörte, aber ich hatte diese freudige Erregung ja auch schon bei früheren Singles von uns gehabt. Und so beruhigte ich mich erst, als ich sah, wie das Stück in den Charts landete. Erst dann war die Sache für mich besiegelt. Ehrlich gesagt, war ich erleichtert. Nachdem ich so viele Monate lang immer dieses Gezeter hatte mit Jean und der Familie und deren Drängen, ich solle etwas Gescheites machen, hatte ich insgeheim schon beschlossen, das Ganze hinzuschmeißen und Eisverkäufer zu werden, falls diese Platte auch wieder floppte. Im Dezember 1967 hatte ich meine Fahrprüfung bestanden, sodass ich auch meinen eigenen Eis-Wagen hätte fahren können, und obwohl mir die Idee nicht wirklich gefiel, war ich zu allem bereit. Wir hatten schließlich vier Mal Anlauf genommen und es hatte nie funktioniert. Warum sollte es denn ausgerechnet dieses Mal klappen? Dann machte „Matchstick Men“ Anfang 1968 den Durchmarsch – und Gott sei Dank waren damit alle Pläne, Eisverkäufer zu werden, für immer vom Tisch. Das war knapp gewesen. Verdammt knapp.

Wir tourten gerade als Backing-Group für die Sängerin Madeline Bell, die später mit Blue Mink berühmt wurde, als wir erfuhren, dass „Matchstick Men“ in die Charts gekommen war. Diese Tour hatte Pat für uns gebucht, und zwar lange bevor wir auch nur ahnen konnten, dass die Platte so gut abgehen würde. Und obwohl wir nun alles hätten hinschmeißen können, um unsere eigene Show aufzuziehen, zogen wir das Ganze bis zum Ende durch. Madeline hatte gerade ihr erstes Album veröffentlicht, Bells A Poppin, und sie war auch eine derart liebenswürdige Person, dass wir sie auf keinen Fall im Stich lassen wollten. Und wir hatten auch Spaß bei der Show. Sie brachte gewöhnlich abwechselnd ein paar Stücke von ihrem Album und Soul- und R&B-Standards, die wir auch bei unseren eigenen Auftritten spielten. Beendet wurden die Abende jeweils damit, dass wir „It Takes Two, Baby“ im Duett sangen.

Wenn das Stück zu Ende war, gaben wir uns einen Kuss – keinen richtigen Kuss, nur einen Bühnenkuss, weil es so schön zum Song passte. Wir hatten uns irgendwann einmal ganz spontan geküsst, und im Publikum war das so gut angekommen, dass wir diesen Kuss zu einem festen Programmpunkt machten. Eines Abends spielten wir mal im Princess Domino Theatre in Manchester, und als wir bei dem Teil waren, bei dem Madeline und ich uns küssten, grölte irgend so ein Schwachkopf aus dem Publikum: „Ihr Scheißtypen! Haste das gesehen? Die Scheiß-Niggerfrau hat ihn geküsst!“ Heute weiß ich, wie man mit solchen verunglimpfenden Kommentaren umgeht – man lässt den Burschen sofort aus dem Saal werfen. Damals aber war ich so geschockt, dass ich gar nicht wusste, was ich machen sollte. Ich kannte rassistische Bemerkungen aus der Zeit, als ich noch ein Kind war, aber dann hatte ich angenommen, dass man all das hinter sich lässt, wenn man Musiker ist. Leider hatte ich mich geirrt.

Dank des Erfolgs von „Matchstick Men“ landeten wir mit unserer Musik in einer völlig anderen Liga. Da das Stück irgendwie als psychedelische Hippie-Nummer rüberkam, hielten viele uns nun für eine Band, die sich voll auf dem Psychedelic-Trip befand, was natürlich keineswegs der Fall war. Ich wusste damals nicht einmal, wie man „psychedelic“ buchstabierte. Keiner von uns in der Band nahm damals LSD. Mal abgesehen von der Tour mit den Dixie Cups wurden bei uns keinerlei Drogen konsumiert – außer vielleicht Bier und Zigaretten, und auch da lag das Hauptgewicht auf den Zigaretten. Und mal abgesehen von John Coghlan, der gern ein Bier trank, war Alkohol für keinen von uns ein Thema.

Aber man muss sich nur diesen alten, in Schwarzweiß gedrehten Clip von uns anschauen, in dem wir den Song in Top of the Pops präsentieren, um zu verstehen, warum wir anfangs in diese Schublade gesteckt wurden. So wie wir gekleidet waren, herausgeputzt in Carnaby-Street-Klamotten, hätten wir auch Syd Barretts Pink Floyd oder irgendeine andere Flower-Power-Gruppe sein können, die in den vergangenen Monaten wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Ebenso wie Punk und BritPop, die Jahre später aufkamen, war es eine brandneue Szene, die plötzlich Hochkonjunktur hatte, und alle wichtigen Bands, die sich in diesem Dunstkreis bewegten, tauchten in der gleichen Kluft auf. Bis dahin waren wir immer wie Mods ausstaffiert gewesen. Das meiste von unserem Aufzug hatten wir in Läden wie Take Six in der Oxford Street erstanden. Nun aber war alles anders, und Pat und John waren so verwegen, dass sie uns einen komplett neuen Look verpassten.

Zu verdanken hatten wir das Tim Boyle, einem hippen jungen Mann aus Arthur Howes Konzertagentur, der Pat verklickert hatte, in welchen Klamotten wir von nun an in Erscheinung treten sollten. Als „Matchstick Men“ anfing abzuheben und wir unseren ersten Fernsehauftritt angeboten bekamen, meinte er zu Pat, er solle mit uns zur Carnaby Street gehen und uns in der Boutique Carnaby Cavern einkleiden. Es war damals wohl der modischste Klamottenladen der Welt, und alle Bands gingen dorthin, um sich auszustaffieren. Man bekam dort auch immer den gleichen Typen zu Gesicht, Colin, der knallrote Haare hatte und noch abgefahreneres Zeug trug wie seine Kundschaft. Er mischte sich zudem regelmäßig als Tänzer unters Studio-Publikum von Top of the Pops, weil er sich davon Ruhm und Ansehen versprach. Wer die Sendung regelmäßig guckte, bekam Colin zu sehen, wie er vorne am Bühnenrand ausflippte.

Colin galt uns und all seinen anderen Kunden als der Inbegriff von Coolness. Er staffierte damals jeden aus. Das konnte zuweilen von Vorteil sein, sich manchmal aber auch als Nachteil erweisen. Das Gute war, du bekamst einige der neuesten und modischsten Fummel der Welt zum Anziehen. Die Kehrseite der Medaille: Du gingst zu einem Foto-Termin in einem strahlend gelben Hemd, das du am Tag zuvor bei Colin in der Cavern erstanden hattest, und der Fotograf meinte: „Nein, das kannst du nicht tragen. Letzte Woche war Jimi Hendrix hier, und er hatte genau das gleiche Ding an.“ Du hast einmal tief geseufzt und dir ein anderes übergezogen, und er meinte: „Nee, in dem Hemd hab’ ich gestern Andy Fairweather-Low fotografiert.“

Jeder trug Klamotten, die auch noch andere hatten. Um uns ein bisschen davon abzuheben, gingen Rick und ich dazu über, uns in einem Laden in Soho, bei Bona Clouts, unsere Hosen nähen zu lassen. Wir ließen sie maßanfertigen, mit einem breiten Schlag und im Schritt so eng, dass es zwickte beim Gehen. So stolzierten wir durch die Gegend, die Haare zurückgekämmt und mit Haarlack fixiert. Wir sahen so schwul aus, dass wir manchmal sogar Händchen haltend herumgingen, um Leute zu verarschen.

Obwohl der Erfolg von „Matchstick Men“ die Band auf eine andere Ebene gehoben hatte, war davon in finanzieller Hinsicht nicht viel zu merken. Die Auswirkungen entsprachen bei weitem nicht unseren Erwartungen. Wir fanden das aber erst heraus, als es schon zu spät war, um noch etwas ändern zu können. Der Vertrag, den wir bei Pye unterzeichnet hatten, war typisch für die Deals, die Gruppen wie wir damals mit Plattenfirmen abschlossen. Wir sollten ein halbes Prozent vom Einzelhandelspreis der Platte erhalten – der zur damaligen Zeit für eine Single bei 7 Schilling und 6 Pence lag, in heutiger Währung waren das etwa 35 Pence. Was bedeutete, dass wir pro verkauftem Exemplar ungefähr 0,17 Pence erhielten. Oder für den Laien ausgedrückt: Peanuts. Im Grunde sogar weniger als Peanuts, sondern nur die Krümel, die jemand der Peanuts aß, vom Teller fallen ließ. Ich rechnete mir einmal aus, dass uns vom Gewinn mit viel Glück gerade mal ein paar Riesen bleiben würden, wenn wir eine Million Singles verkauften.

Bei den Tantiemen für das Songwriting fiel für uns ein etwas größerer Brocken ab, aber selbst da steckte Valley Music am Ende den Löwenanteil ein, 60 Prozent. Und das galt nur für England. Alle Plattenverkäufe, die im Ausland getätigt wurden, sollten sogar noch geringere Dividenden abwerfen, indem entweder Valley oder Pye den Track an unzählige Independent- Labels rund um die Welt weitergaben, die dann ihrerseits wieder Deals abschlossen, bei denen sie sich selbst bevorteilten. Und dann enthielten die Verträge all diese kleingedruckten Sätze, die wir damals nicht verstanden, wie beispielsweise, worin der Unterschied zwischen steuerlichen Abzügen „nach Eingang“ bestand und jenen „an der Quelle“. Die Verträge waren total clever formuliert und extra ausgetüftelt, um Bands an der Nase herum zu führen.

Ich war der einzige in der Band, der für „Matchstick Men“ ein bisschen Geld zu sehen bekam. Auch wenn unser Anteil an den Gewinneinnahmen lächerlich klein war, mein erster Tantiemenscheck belief sich auf 1.000 Pfund – damals ganz schön viel Zaster. Ich erinnere mich, wie ich Rick den Scheck zeigte und er schier aus den Latschen kippte. Keiner von uns hatte jemals so viel Geld in der Hand gehabt, und in Wahrheit störte es für kurze Zeit das Gleichgewicht in der Band. Aber Alan und Rick machten sich unverzüglich ans Werk und fingen ihrerseits an, Songs zu schreiben. Dieser Tausender lastete offenbar schwer auf den anderen. Und wenn man sich die ersten Quo-Alben anschaut, fällt einem plötzlich auf, dass eine ganze Reihe von Songs den anderen in der Band zugeschrieben werden und es nur ein paar wenige sind, bei denen ich als Songwriter angegeben bin. Aber wir wollten damals, dass alles demokratisch zuging bei uns – was sich manchmal als Holzweg herausstellte. Zum Beispiel, als Alan und Rick aus einem Pink-Floyd-Konzert kamen und meinten, wir sollten mehr in deren Richtung gehen. Ich möchte damit nicht behaupten, dass es von Grund auf eine schlechte Idee war – Pink Floyd waren letztlich extrem erfolgreich damit –, aber das waren einfach nicht wir. Gott sei Dank konnten sie es verschmerzen und beruhigten sich schon bald wieder. Wir kehrten wieder zu unserem Business zurück und versuchten aus Quo eine wirklich authentische Band zu machen.

 

Obwohl ich einen Teil des Geldes dafür verwendete, dass Jean und Simon und ich endlich eine eigene Wohnung hatten, steckte ich den Rest wieder in die Band, kaufte neues Equipment und beglich ein paar offene Rechnungen. Im Laufe der Jahre hat sich diese Investition offensichtlich mehr als gelohnt, aber damals war es ein Lotteriespiel. Wie hätte ich denn wissen sollen, dass wir jemals wieder einen Hit haben würden? Diese 1.000 Pfund Sterling hätten auch zwei Schecks zugleich sein können – mein erster und mein letzter. Zum Glück war es das nicht, aber mit Jean im Nacken hatte ich echt das Gefühl, ich spielte total auf Risiko.

Obwohl die Single in mehreren anderen Ländern der Welt ein großer Hit wurde, zum Beispiel in Schweden, Deutschland, Holland, Brasilien, Argentinien und Kanada, war paradoxerweise das Land, wo „Matchstick Men“ am stärksten abging, auch dasjenige, wo man uns das wenigste Geld zukommen ließ: die USA. „Matchstick Men“ erreichte in den Vereinigten Staaten im Sommer 1968 Platz 8 der Charts, aber die Leute, die die Single dort herausbrachten, ein obskures Sub-Label namens Cadet Concept, schafften es, für sich einen Deal auszuhandeln, bei dem wir praktisch leer ausgingen. Was wirklich eine Schweinerei war, da „Matchstick Men“ dort bis heute unser größter Hit ist.

Sei’s drum. Es gab noch mehr, worüber wir uns damals Gedanken machen mussten, als nur um das schnöde Geld. Wir entdeckten, dass auch jede Menge Annehmlichkeiten mit sich brachte, wenn man einen Hit hatte. Und obwohl ich damals noch kein „richtiger“ Popstar war, der auf der Straße von jedem erkannt und angequatscht wird, gönnte ich mir doch ein bisschen Spaß, wo es ging.

Man musste im London der späten Sechziger kein aufstrebender junger Popstar sein, um das sexuell aufgeladene Klima für sich nutzen zu können. Natürlich liebte ich meine Frau und mein Baby, aber ich war damals im Fernsehen und so weiter, ja, und es kam vor, dass ich am nächsten Morgen im Bett irgendeiner komischen Tussi aufwachte. Ich bereute es aber immer sofort. Ich lag da, starrte an die Decke und dachte: Oh, nein, was hat mich denn da geritten, was will ich hier? Auch später, in den Siebzigern, als es in großem Stil mit den Groupies losging, war ich darin nie besonders gut. Das Abschleppen hat mir immer Spaß gemacht, wenn ich es schaffte, einem umwerfend gut aussehenden Mädchen solange Whisky einzuflößen, bis es bereit war, mit mir aufs Zimmer zu gehen. Aber sobald ich dann mit dem Mädchen allein war, stand ich fast immer im Bad, versuchte zu pinkeln und dachte: Was habe ich jetzt wieder gemacht? Ich ging raus, wild entschlossen, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden, und musste dann feststellen, dass sie schon im Bett lag, die Kleider fein säuberlich über den Stuhl gehängt. Und dann fühlte ich mich gewöhnlich verpflichtet, einfach um nicht unhöflich zu sein.

An den Dingen, die wirklich zählten, änderte sich durch den Erfolg, den wir hatten, letztendlich nicht viel. Bis dahin hatte ich immer angenommen, dass unser Leben ein einziger Rosengarten sein würde, wenn wir es erst einmal in Top of the Pops geschafft hätten, dass Mum und Dad nett zu uns wären, meine Ehe gut liefe und alles einfach rundum besser sein würde. Aber Pustekuchen! Wir verkauften ein paar Platten mehr, aber in allen anderen Bereichen verlief unser Leben weiter wie bisher. Ich war perplex. Jahrelang hatte ich auf diesen Augenblick gewartet. Warum fühlte ich mich jetzt, wo er da war, kein bisschen anders?

Zudem lastete auch noch ein neuer und unvorhergesehener Druck auf mir: Wir mussten einen Nachfolge-Hit hinbekommen. Wir waren für eine 28 Abende dauernde Package-Tour gebucht, bei der Gene Pitney Headliner war, und wir brauchten dringend eine neue Single, um daraus Kapital schlagen zu können. In dem Moment wurde mir schlagartig klar, wie dünn das Eis war, auf dem wir uns bewegten. Ein falscher Schritt, und wir waren erledigt. Ich spürte dieses schwere Gewicht auf meinen Schultern, doch als ich mich eines Tages mal diesbezüglich gegenüber John Coghlan äußerte, sah er mich einfach nur an und meinte: „Gequirlte Scheiße.“ Mir blieb die Spucke weg. Vielleicht war er ja neidisch, aber es war jedenfalls nicht die Unterstützung, nach der ich gesucht hatte.

Die Gene-Pitney-Tour lief unglaublich gut, doch leider war der Song, den ich mir für unsere nächste Single hatte einfallen lassen, eine vor Selbstmitleid triefende schwache Nummer mit dem Titel „Black Veils Of Melancholy“ – ein vollkommener Blindgänger, der es nicht einmal in die Top 30 schaffte. Ich hatte den tödlichen Fehler begangen und versucht, den gleichen Song einfach ein bisschen umzuschreiben. Die Strafe folgte auf dem Fuß.

Ich war nicht allein dafür verantwortlich. Wir versuchten alle, eine Fortsetzung von „Matchstick Men“ hinzubekommen. Das lag einfach nur nahe. Es war beim letzten Mal gut angekommen, also würde es diesmal wieder so sein. Gewöhnlich funktioniert das auch. Die Geschichte der Pop-Musik ist voll von solchen Beispielen, die von „Please, Please Me“ und „She Loves You“ von den Beatles über „Maggie May“ und „You Wear It Well“ von Rod Stewart bis hin zu Britney Spears oder Darkness reichen. Aber so etwas hinzubekommen, ist viel schwieriger, als man denkt. Insbesondere wenn der erste Hit ein wirklich großer Hit war, wie im Fall von „Matchstick Men“. Es scheint so, als liebten die Leute diesen Song so sehr, dass sie gar nichts anderes mehr hören wollen. Aber wenn man ihnen dann etwas unterbreitest, das ähnlich klingt, dann wollen sie das genauso wenig. Sie wollen buchstäblich noch mal genau das Gleiche – nur anders. Und man ist letztendlich geliefert, wenn man dem nachgibt, aber man hat auch die Arschkarte, wenn man es nicht tut.

Als wir „Black Veils“ zum ersten Mal John Schroeder vorgespielt hatten, meinte er: „Ja! Das ist es!“ Erst als die Platte schon fast fertig war, merkten wir, dass wir mehr als nur einen würdigen Nachfolger geschaffen hatten – das war „Matchstick Men Part 2“! Die Musikjournalisten wiesen natürlich auch sofort darauf hin. Es gab sogar DJs, die die beiden Platten direkt hintereinander laufen ließen, weil sie dann in der Zwischenzeit pinkeln gehen konnten. Was im Nachhinein entschuldbar ist, aber damals fühlte es sich an, als würde man Salz auf eine Wunde streuen. Es war zweifellos ein Fehler. Aber es war ein ehrenwerter Fehler eines Haufens von Teenagern, die viele Dinge eben erst noch lernen mussten.

Glücklicherweise kam keiner mehr auf mich zu und wollte, dass ich mir einen neuen Hit ausdachte. Ronnie Scott schlug ein Stück vor, das er zusammen mit dem 50er-Jahre-Popstar Marty Wilde geschrieben hatte – eine unbeschwerte kleine Flower-Power-Nummer mit dem Titel „Ice In The Sun“. Es waren kommerzielle Gründe, die dafür sprachen, und als die Single Ende Juni 1968 erschien, bescherte sie uns tatsächlich unseren zweiten Top-10-Hit. Obwohl sie auch noch in ein paar anderen europäischen Ländern in die Charts kam, hatte sie weltweit gesehen längst nicht den Erfolg wie „Matchstick Men“. Doch wir waren jetzt wieder im Fernsehen zu sehen und im Radio zu hören und hatten bewiesen, dass wir keine Eintagsfliegen waren. Die Erleichterung war groß.

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