Die Status Quo Autobiografie

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Bei den Shows an den Samstagabenden gab es auch immer Gäste, die als Headliner auftraten. Das war toll für mich, denn so konnte ich mir ein paar Acts, die ich nur vom Hörensagen kannte, aus nächster Nähe anschauen. Die beste Zeit hatten wir, wenn Flanagan & Allen dran waren. Für die Zugabe ging unser gesamtes Ensemble mit auf die Bühne, und am liebsten erinnere ich mich daran, wie ich direkt neben Bud Flanagan stand, während er in seinem Pelzmantel und einem Hut auf dem Kopf „Strolling“ sang, was damals ihre große Nummer war. Alles Routine für den alten Hasen Flanagan. Phantastisch!

Alles lief soweit gut im Camp, doch ich hatte erst die Hälfte der Saison hinter mich gebracht, als ich allmählich Heimweh bekam. Ich hatte ja bisher immer bei meinen Eltern gewohnt und war zur Schule gegangen. Jetzt arbeitete ich auf einmal, war Sänger und Entertainer für Kids. Und das alles hatte sich innerhalb weniger Wochen vollzogen. Nun begriff ich allmählich, was für Folgen das für mich hatte. Nach außen hin sah es so aus, als hätte ich gar nicht glücklicher sein können. Doch in meinem Innern sehnte ich mich, wieder zu Hause zu sein, zumindest für einige Zeit.

Ich bekam jede Woche einen Tag frei und begann, an diesen Tagen nach Hause zu fahren. Es war eine lange Reise bis Woking, aber sie lohnte sich. Ich konnte einfach mal wieder mit meiner Mum, meinem Dad und meinen Freunden zusammen sein – wenn auch nur für ein paar Stunden. Ich fuhr gewöhnlich am Sonntag um 18 Uhr los und war am Tag darauf abends um sechs wieder im Camp. Mein erster Besuch zu Hause war einer der denkwürdigeren Art. Bis dahin hatte ich noch nie eine Zigarette geraucht und noch nie Alkohol getrunken. Doch als ich zum ersten Mal nach Hause fuhr, tat ich beides. Ich hatte eine Packung Glimmstengel in der Hand und ein paar Shilling in der Tasche, und als ich ankam, fragte ich meinen Vater, ob er Lust hätte, mit mir einen trinken zu gehen. Ich trug einen Porkpie-Hut, weiß der Geier, wo ich den aufgetrieben hatte, und hatte mich in einen richtigen kleinen Scheißer verwandelt.

Im Sunshine-Camp lernte ich auch zwei hübsche Zwillingsmädchen mit rabenschwarzen, aufgetürmten Haaren namens Jean und Gloria Harrison kennen – auf der Bühne nannten sie sich einfach Jean & Gloria. Sie waren 17, was einem 15-Jährigen unglaublich viel älter vorkommt, sehr sexy und, wie mir damals schien, schon sehr vernünftig und erfahren. Sie sangen und tanzten und hatten Songs im Programm wie „Jeepers Creepers, Where’d You Get Those Peepers“. Wenn sie „Won’t You Charleston With Me“ darboten, traten sie in neckischen Kostümen aus den zwanziger Jahren auf, in denen sehr viel Bein gezeigt wurde.

Es war wohl nicht weiter überraschend, dass ich beide auf Anhieb mochte. Das ging soweit, dass wir am Ende permanent zusammen herumhingen. Ich fand beide super, aber es war irgendwie komisch, mit zwei Tussen unterwegs zu sein, die haargenau gleich aussahen. Als ich sie besser kannte, konnte ich sie gut auseinanderhalten, aber wenn man sie zum ersten Mal sah, hatte man den Eindruck, man stünde zwei absolut identischen Puppen gegenüber.

Ein anderer Typ, der auch im Camp arbeitete und mit dem ich mich anfreundete, hieß David Giles. Er war es, der vorschlug, dass ich und die Mädels gemeinsam eine eigene kleine Show auf die Beine stellen sollten – mit Sachen wie „Island Of Dreams“ von den Springfields und „Doo Wah Diddy“ von Manfred Mann. David hatte uns proben gehört, als wir dreistimmig sangen und ich dazu auf der Gitarre schrammelte, und meinte: „Ihr drei gebt ein gutes Trio ab. Warum tretet ihr nicht mal in der Bar auf, um zu gucken, wie das Publikum reagiert?“

Und so dachten wir uns zusammen mit David einen Bühnen-Act aus, den wir Homespun nannten. Beim ersten Mal spielten wir einfach nur zwei oder drei Nummern, aber das kam so gut an, dass wir weitermachten. Das ging lawinenartig weiter und wir begannen, regelmäßig an ein paar Abenden in der Woche ein Homespun-Set darzubieten, was uns viel besser gefiel als das, was jeder für sich machte. Wir überlegten ernsthaft, ob wir nicht nur noch zusammen auftreten sollten, und hatten auch schon bald einen Namen für unseren Act – The Highlights.

Wir wollten Kontraste setzen: Die beiden Mädchen sahen umwerfend aus in ihren knappen Kostümen und mit den dunklen Haaren, und links von ihnen stand ich mit meinen blonden Haaren. Um das Bild zu vervollständigen, behauptete ich, ihr Bruder zu sein. Wir orientierten uns dabei an den Springfields, bei denen es zwei echte Geschwister gab, Don und Dusty O’Brien, und einen weiteren „Bruder“, Tim Field. Ich nahm sogar einen neuen Bühnennamen an: Ricky Harrison. Außer meiner Mum und meinem Dad hatte mich noch nie irgendjemand Ricky gerufen. Selbst in der Schule hieß ich immer Richard. Aber die Zwillinge nannten mich von Anfang an Ricky, und das kam mir wie ein Zeichen vor, dass nun ein neues und aufregenderes Leben beginnen sollte – als Profi-Entertainer. Den Namen „Parfitt“ hatte ich als Bühnennamen sowieso gehasst, denn als Wortspiel konntest du „Fart“ (Pups) daraus machen, und so was war mir als Teenager echt nicht egal. Ricky Harrison von den Highlights klang viel cooler. Und dieser Name haftete mir an, bis ich bei Status Quo einstieg.

Sobald die Sommer-Saison vorüber war und wir alle das Camp verlassen hatten, wollte ich zu den Zwillingen ziehen und mit ihnen und ihrer Familie in Plumstead, Kent, zusammenleben, da der Vater von Jean und Gloria, Sid, viele Leute im Showbusiness kannte. Leider waren mein Dad und sein Händchen in Bezug auf mein Weiterkommen damit nicht mehr gefragt. Bis dahin war er derjenige gewesen, der meine Karriere vorantrieb, aber jetzt übernahm das ein anderer, und das traf ihn hart. Aber wir setzten uns zusammen und redeten darüber. Es war definitiv die schlimmste Aufgabe, die ich bis dahin jemals zu erfüllen hatte, aber letztlich akzeptierte er, dass es für mich das Beste sein würde. Zunächst einmal war es einfach sinnvoller, wenn wir drei zusammen wohnten, weil die beiden mich sonst immer hätten abholen müssen. Außerdem hatten sie ein viel größeres Haus als wir, in dem es auch für mich reichlich Platz gab. Hinzu kam, dass Sid ein eigenes Geschäft hatte – er besaß einen Schuhladen in der High Street in Plumstead – und sich seine Zeit somit frei einteilen und sich um uns kümmern konnte. Er fuhr einen Rover mit Dreilitermotor und kaufte sich bald darauf einen Mark 10 Jaguar. Und in diesen wunderschönen Autos fuhr er uns zu den Gigs. Ich fand das großartig und wertete es als ein weiteres Zeichen für meinen Erfolg als Berufsentertainer.

Sid kannte einen Agenten in London, Joe Cohen, der überall im Land und für die unterschiedlichsten Auftrittsorte Künstler buchte. Sid war überzeugt, dass Joe der richtige Mann war, um uns in unserer neuen Verpackung als Highlights voranzubringen. Und da sollte er Recht behalten. Wir tourten schließlich durch ganz Großbritannien und traten im Opera House in Belfast oder dem Floral Pavilion in Brighton auf, eben überall an der Küste, wo es eine Bühne gab. Zudem hatten wir ein paar Auftritte im Ausland, in Italien und Frankreich, wo wir meistens in Militärbasen der USA spielten.

Wir legten gewöhnlich los mit „Whole Lotta Shakin’ Going On“ und ließen dann zwei, drei ähnliche Nummern folgen. Anschließend gingen die Zwillinge kurz von der Bühne, um sich ihre Charleston-Kostüme überzustreifen, und ich hatte die Gelegenheit, einen Song solo darzubieten, was dann immer „Baby Face“ war. Im Allgemeinen wurde das immer mit sehr viel Begeisterung aufgenommen, insbesondere von den Mamis und Omas. Einmal waren wir aber für einen Marinestützpunkt in Neapel gebucht, und ich musste mein „Baby Face“ plötzlich vor 400 amerikanischen Matrosen vortragen, die mit versteinerten Mienen dastanden. Hoppla!

Unterdessen hatte ich mich ernsthaft in Jean verknallt. Anfangs, als die beiden für mich noch total gleich aussahen, hatte ich noch Gloria favorisiert, als ich die zwei aber besser kennen lernte, schwenkte ich über zu Jean, in die ich mich schließlich Hals über Kopf verliebte. Und damit hatte ich ein Problem – weil Jean meine Gefühle nicht erwiderte. Wir unternahmen ein paar Anläufe, um zusammenzukommen, aber es endete immer in einem totalen Desaster, und am Ende war ich richtig krank vor Eifersucht. Sie und Gloria hatten in der Zeit, in der wir gemeinsam auftraten, des Öfteren mal Freunde, mit denen sie kurz liiert waren, aber nie lange. Sie waren eben beide sehr attraktiv und viele Jungs fanden sie toll, und so hatte ich manchmal die totale Krise, wenn Jean wieder mal mit irgendeinem blöden Macker ausging. Ich war so aufgebracht, dass ich sogar ein paar Hotelzimmer kurz und klein schlug. Das war lange, bevor man über ein derartiges Verhalten nachsichtig hinwegsah und es einfach als einen Teil des Rock’n’Roll erachtete. Und so bekam ich einen ordentlichen Anschiss von Sid.

Ich konnte aber nicht anders und war wirklich in einer dummen Lage. Es war dieses Mal-so-mal-so, was mich so verrückt machte. Manchmal fragte mich Jean, ob ich mit ihr ins Kino gehe, und ich war außer mir vor Freude, denn ich wäre damals überall mit ihr hingegangen, egal wohin. Nichts konnte mich glücklicher machen. Manchmal endete der Abend dann mit einem Kuss oder mit Knutschen – aber manchmal eben auch nicht. Die wenigen Male, die wir zusammen im Bett landeten, waren auch nicht gerade glücklich. Das Ganze hatte sich in meinem Kopf zu einer derart großen Sache aufgestaut, dass ich nicht einmal einen hoch bekam. Auf eine eigenartige Weise waren wir uns zu nahe. Es war furchtbar frustrierend, denn ich wollte wirklich, dass zwischen uns etwas lief, aber es klappte einfach nicht. Und wenn ich sie dann mit anderen Mackern weggehen sah, machte mich das total fertig. Sie half mir auch nicht besonders viel, damit klar zu kommen. Ich erinnere mich, wie sie einmal zu mir kam und meinte: „Du bringst es einfach nicht!“ Es war niederschmetternd. Das hinterließ wirklich Narben bei mir, und so hatte ich schließlich jahrelang Probleme damit. Ich schaffte es, irgendeine Tusse, die mir echt gut gefiel, mit aufs Zimmer zu nehmen, aber wenn es zum Äußersten kam, versagte ich. Erst als ich mich einige Jahre später mit einer wunderschönen älteren Lady einließ, fand ich Spaß am Sex und entdeckte mich als Mann.

 

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[1]Francis Rossis Großeltern Christina und Alberto Rossi.

[2]Francis im Alter von sechs Monaten, 1949.

[3]Mit seiner Großmutter Alice Traynor und Tante Agnes.

[4]Fotos aus der Kindheit (bei einigen fehlt ein Teil; Francis Rossis Mutter hatte nach ihrer Scheidung mit der Schere Hand angelegt). Francis im Alter von ungefähr fünf Jahren mit dem Weihnachtsmann.

[5]Francis mit seiner Mutter.

[6]Francis mit seiner Mutter.

[7]Im Garten.

[8]Francis freut sich über die neue Pistole.

[9]Auf dem Sankt Petersplatz in Rom.

[10]Im Alter von circa neun Jahren zusammen mit seiner Mutter.

[11]Die Spectres im Butlin’s in Minehead im Sommer 1965; von links nach rechts: Alan Lancaster, John Coghlan, Francis Rossi und Roy Lynes.

[12]Ferien in Cornwall, 1969: Francis und Jean mit Bob Youngs Ehefrau Sue und deren Sohn Simon.

[13]Francis mit Bob Young, Jean und Simon, 1970.

[14]Francis 1974 beim Stimmen seiner Gitarre.

[15]November 1976. Francis mit Simon und Nicholas im Garten des Hauses in Purley.

[16]Elizabeth mit ihrer und Rossis Tochter Bernadette, 1983 .

[17]Francis und Eileen auf dem Standesamt von Croydon im Juni 1991.

[18]Eileen zu Hause mit Fynn und Patrick.

[19]Francis mit Fynn in Jersey, 1993.

[20]Francis lässt sich am Klavier von Patrick anleiten.

[21]Francis mit der zwölfjährigen Bernadette 1995 im Heimstudio.

[22]Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1994; hintere Reihe von links nach rechts: Simon, Kiera Tallulah, Francis, Eileen, Nicholas, Keiran; vordere Reihe: Fynn und Patrick.

[23]Die jüngeren Kinder von Francis und Eileen, 2002; von links nach rechts: Fursey, Fynn, Patrick, Kiera Tallulah.


Wenn die im Butlin’s gewonnene Erfahrung in vielerlei Hinsicht dazu beitrug, dass die Band entstehen konnte, so war jener Sommer in Minehead für mich auch eine Erfahrung, die mein Leben total auf den Kopf stellte. Denn das Butlin’s war der Ort, wo wir alle zum ersten Mal Rick Parfitt begegneten – oder Ricky Harrison, wie er sich damals nannte. Er war dort für die gesamte Saison gebucht, zusammen mit Zwillingsmädels. Gemeinsam machten sie eine Cabaret-Show und nannten sich The Highlights. Die Mädchen waren die Harrison-Zwillinge und Rick schien ihr Bruder zu sein, Ricky Harrison – das war jedenfalls der Name, unter dem er sich uns vorstellte.

Er und die Mädels erschienen jeden Abend in einer Variété-Vorstellung im Gaiety Theatre des Camps, dessen Publikum hauptsächlich aus Mums und Dads bestand. Sie spielten routinemäßig Songs wie „Baby Face“ und „The Sheik Of Araby“. Dann traten die Girls ab, um anschließend in einem anderen knappen Kostüm wieder auf die Bühne zu kommen, und Rick riss einen Witz. „Meine Schwestern sind gleich wieder da“, sagte er immer. „Ich bin sicher, ihr werdet euer Vergnügen haben, viele haben sich vorher schon mit ihnen vergnügt.“ Bumm, bumm!

Rick ist noch heute viel stärker im Showgeschäft verankert als ich. Eigentlich dachten wir alle, als wir ihn kennen lernten, er sei gay. Ich auf jeden Fall. Allerdings gebrauchten wir damals noch ein anderes Wort für „gay“, bei uns hieß das „schwul“ oder „vom anderen Ufer“. Wie ich schon bald feststellte, war Rick überhaupt nicht gay. Er war einfach nur ein bisschen femininer als wir, sehr dünn und zierlich gebaut, mit flaumigem blondem Haar. Ehrlich gesagt, kam er uns ein bisschen wie ein Weichei vor; damals hatte ich noch dieses stereotype Bild im Kopf, wonach Homosexuelle unmännlich und ein bisschen verweichlicht sind. Erst Jahre später, als ich Freddie Mercury kennen lernte, merkte ich, dass Männer, die gay waren, auch sehr maskulin und bestimmend sein konnten.

Was auch immer Rick war, ich mochte ihn vom ersten Moment an, als wir miteinander sprachen, hauptsächlich weil er so locker und überhaupt nicht aggressiv war. Es war angenehm mit ihm und sehr lustig und wir kamen von Anfang an gut miteinander klar. Alan, der ja immer auf Macho machte, kannte ich zur Genüge, und so empfand ich es als eine nette Abwechslung, mal jemanden um mich zu haben, der nicht so war. Wenn ich weinte, und das konnte bei mir, als ich Teenager war, sehr schnell passieren, wenn ich verärgert oder enttäuscht war, schrie Alan mich an: „Hör auf! Du machst mich fertig!“ Wohingegen Rick mir den Arm um die Schulter legte und mich kurz drückte. Im Umarmen war Rick immer groß.

Wir begegneten uns, als Rick eines Nachmittags im Rock’n’Roll Ballroom umherstreifte, als wir gerade probten. Die Saison hatte offiziell noch nicht begonnen. Ich bemerkte plötzlich diesen blonden Jungen, der allein unten auf der Tanzfläche stand und bis über beide Ohren strahlte. Als wir fertig waren mit dem Proben, kam er zu uns hoch und stellte sich vor. Wir wurden rasch Freunde. Ganz zu Anfang war Rick fast enger mit Alan als mit mir befreundet. Oberflächlich gesehen waren die beiden wie Feuer und Wasser, aber Rick ist einfach ein derart umgänglicher Typ, dass selbst Alan in seiner Gegenwart entspannter wurde. Aber dann war Alan auch hinter den Zwillingen her – hinter einer der beiden. Und Rick war in die andere verliebt. Es ging hoch her.

Das andere folgenschwere Ereignis aus jenem schicksalhaften Sommer unter den Redcoats war, dass ich das Mädchen kennen lernte, das später meine erste Frau werden sollte. Am Tag, als wir in dem Camp ankamen, hatte ich Geburtstag. Ich wurde 16. Als „Konzessionäre“, die nicht zur festen Belegschaft im Camp gehörten, mussten wir uns zusammen mit all den anderen, die im Camp arbeiten wollten, in der Schlange vor dem Büro anstellen, wo wir alle wichtigen Informationen erhalten sollten, wo wir übernachteten und was unsere offiziellen Rechte und Pflichten waren. Es dauerte ein halbes Jahrhundert, bis wir endlich an die Reihe kamen, aber ich verkürzte mir die Wartezeit, indem ich mit diesen beiden hübschen Schwestern quatschte, die neben mir in der Schlange standen: Jean und Pat Smith. Sie waren beide reizend, aber Jean fand ich noch etwas reizender. Sie kamen wie ich aus dem südlichen London und wir schienen uns auf Anhieb zu verstehen. Ganz ehrlich, ich kann mich noch erinnern, dass ich mir, als ich Jean zum ersten Mal sah, sagte: „Die werde ich einmal heiraten.“ Und zwei Jahre später tat ich es.

 

Unsere Beziehung hatte aber einen schlechten Start. Nachdem uns meine Vermieterin zusammen im Bett erwischt hatte, warf sie mich aus meiner Bude. Diese Unterkünfte wurden von einer grimmigen, ernsten Schottin verwaltet. Für fünf Pfund bekamst du ein Bett, etwas zu essen und deine Wäsche gewaschen. Das war klasse. Fast wie zu Hause, nur dass du eben nicht zu Hause warst. Jeden Morgen kam die Schottin zu dir ins Zimmer und weckte dich zum Frühstück. Sie beugte sich über dich und legte dir die Hand auf den Po: „Hey, Rossi, Zeit zum Aufstehen, Mann!“ Wenn du geistesgegenwärtig genug warst und dich kurz, bevor sie ins Zimmer kam, auf den Rücken gedreht hast, bekam sie stattdessen deinen morgendlichen Steifen zu fassen. Das schien sie aber nicht weiter zu stören. Sie knuddelte dich immer ein bisschen. Als sie aber eines Morgens hereinkam und sah, wie ich meinerseits jemanden zu knuddeln versuchte, eben Jean, mochte sie das gar nicht.

Dabei war ich mir am Anfang auch nicht so sicher, ob Jean es wirklich mochte. Ich weiß nicht, warum die Leute immer Jungfrauen heiraten wollen. Das ist verdammt harte Arbeit. Ich habe drei Nächte gebraucht, um überhaupt mal da reinzukommen. Dann machte es schließlich plopp und ich dachte: Wow, ich bin drin! Am nächsten Morgen versuchten wir es gleich noch mal. Genau in dem Augenblick, als die Vermieterin reinkam. Achtung: Alarmstufe Rot. Zuerst einmal warf sie Jean raus, und dann forderte sie mich auf, meine Siebensachen zu packen und ebenfalls zu verschwinden. Innerhalb von fünf Sekunden war ich vom siebten Himmel direkt in die Hölle gewechselt. Und was noch schlimmer war, ich hatte keine Bleibe mehr.

Die Saison war jetzt voll angelaufen und es war nahezu unmöglich, so kurzfristig eine neue Bude zu finden und so musste ich mich einige Wochen lang mit weniger komfortablen Schlafplätzen begnügen. Die anderen in der Band schien das nicht besonders zu interessieren, aber der gute alte Ricky hatte Mitleid mit mir und leistete mir so lange Gesellschaft, bis ich eine neue Unterkunft hatte. Und so gammelten Rick und ich einige Wochen gemeinsam durch die Gegend. Wir schliefen in Telefonhäuschen oder pennten am Strand. Es war manchmal grausig, aber das war uns egal. Wir waren 16 und alles war ein großes Abenteuer für uns.

Als ich es schließlich schaffte, wieder irgendwo unterzukommen, bekam Jean auf einmal kalte Füße und suchte das Weite, gab ihren Job auf und machte sich auf und davon mit einer Freundin, einem hübschen Mädel namens Peta, um in irgendeinem anderen Küstenort zu arbeiten. Ich war außer mir, als Jean einfach von heute auf morgen abhaute. Es war das erste Mal, dass ich wegen einem anderen Menschen total traurig war. Zwei Wochen später, als ich gerade dachte, ich hätte sie für immer verloren, kam sie aber zurück. Ich wusste das damals noch nicht, aber es war wohl schon ein Vorgeschmack auf das, was folgen sollte, als wir erst einmal verheiratet waren. Wie ich entdecken musste, gab es bei ihr nur zwei Varianten: entweder sie rannte davon oder sie drohte damit.

Als wir aus dem Butlin’s zurück waren, fühlten wir uns anfangs ein bisschen verloren. Wenn du so lange in Minehead gelebt hast, war das, als würdest du vom Mond kommen. Du warst nicht nur von London total abgeschnitten gewesen, sondern auch von der ganzen Welt. Radio One gab es 1965 noch nicht, und alles was die BBC jungen Leuten an Pop-Musik zu bieten hatte, war das Light Programme. Es gab Radio Luxemburg, wenn es dir gelang, den Sender so lange reinzubekommen, bis der Song zu Ende war (was selten funktionierte). Radio Caroline und die anderen Piratensender standen noch ganz am Anfang, und so gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder du hörtest sie rauf und runter oder du wusstest nicht einmal, dass sie existierten. Wenn du wirklich wissen wolltest, was gerade angesagt war, musstest du buchstäblich unter die Leute gehen und es selbst herausfinden.

Was genau das war, was wir taten, als wir nach London zurückkamen. Und dabei fanden wir heraus, dass jetzt alle auf Soul abfuhren. Es war der Anfang der völlig überstrapazierten Mod-Ära und unser altes Rock’n’Roll-Set hörte sich an wie von vorvorgestern. Wir hatten auf einmal Probleme, an Gigs zu kommen, und ich arbeitete eine Zeit lang halbtags in einem Brillengeschäft. Sie bezahlten mir drei Pfund und zehn Shilling pro Tag. Dann fand ich beim Gartenbauamt einen Job als Gärtner für zwölf Pfund die Woche. Im Wesentlichen musste ich den Rasen mähen. Aber das dauerte auch nicht allzu lange, und so standen wir wirklich vor einer weittragenden Entscheidung: Wenn man uns auch weiterhin für Auftritte buchten sollte und wir auch weiterhin aktuell bleiben wollten, mussten wir in unseren Set auch einige von diesen obskuren Soul- und R&B-Nummern integrieren, auf die die Leute jetzt total abfuhren. Das Problem war nur, dass uns diese Art von Musik nichts sagte. Doch wir ackerten so lange und gaben unser Bestes, um zumindest den Eindruck zu vermitteln, wir wüssten, was wir tun.

Für kurze Zeit arbeiteten wir auch als Verstärkung für diverse andere Bands, darunter P.J. Proby, mit dem wir auf Tour gingen, kurz nachdem wir aus dem Butlin’s zurückgekehrt waren. Nach Weihnachten schaffte es Pat dann, uns einen Job zu besorgen, bei dem wir eine amerikanische Girlgroup zu unterstützen hatten. Die Damen nannten sich The Dixie Cups und hatten eine ganze Reihe Hits mit Songs wie „Chapel Of Love“ und „Iko Iko“. Es hat Spaß gemacht, für diese Mädels zu arbeiten. Sie waren echt talentiert. Sie hatten auch ihren eigenen Gitarristen, einen großen Schwarzen, an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnern kann, der aber ein furchtbarer Typ war. Er war der erste Mensch, den wir kennen lernten, der Drogen nahm. Wir waren bis dahin alle wirklich clean gewesen und anfangs fanden wir das ziemlich schockierend. Aber wir lernten schnell dazu, und so hatten wir das Geheimnis von Amphetaminen und Marihuana schon bald gelüftet. Das war aber unsere einzige Erfahrung mit Drogen – bis wir 1969 mit den Small Faces auf Tour gingen. Sie warfen Speed ein und kifften ohne Ende, und wir dachten, wir müssten da mitziehen, insbesondere beim Rauchen von Gras. Der Sänger von den Faces war ein echt charismatischer Typ, und er war es auch, der mich und Rick dazu brachte, schnell noch eine halbe Flasche Scotch zu leeren, bevor wir auf die Bühne gingen. Jeder blickte damals zu den Small Faces auf, und wir meinten einfach, okay, wenn das bei denen funktioniert …

Pat zog diese Gigs für uns an Land und wir traten auf, weil wir das Geld brauchten. Es war nicht gerade das, was uns vorschwebte, aber wir konnten unsere Rechnungen bezahlen und waren beschäftigt, während Pat eifrig weiter versuchte, für uns einen Plattenvertrag aufzutun. Am wichtigsten war, dass man uns live sehen konnte. Wir waren nicht wählerisch, sondern traten überall auf, wo es ein Publikum gab. Diese Strategie hatte sich schon einmal bewährt, denn so hatten wir unseren Manager gefunden. Und jetzt funktionierte sie auch wieder. Wir konnten dank dieser Auftritte ein bisschen Geld sparen und ein erstes Demo aufnehmen.

Anfang 1966 hatten wir genug Kohle beisammen, um uns einen Nachmittag in einem kleinen professionellen Studio in der Stadt leisten zu können. Wir marschierten einfach rein, spielten ein paar Songs, genau so, wie wir sie auch live spielten, dann packten wir wieder zusammen und gingen wieder – das Tape unterm Arm. Pat ließ ein paar Kopien davon anfertigen und sandte sie allen möglichen Leuten, die ihm in den Sinn kamen. Wie es der Zufall so wollte, fand eine den Weg bis auf den Schreibtisch eines Musikverlegers in Soho namens Ronnie Scott – nicht der Ronnie Scott, aber ein Songwriter, der damals eine Plattenfirma mit dem Namen Valley Music betrieb. Irgendwie hatte Ronnie Gefallen gefunden an unserem Material – was ein unglaubliches Glück war, denn es gab kein einziges originales Stück darauf, wenn ich mich richtig erinnere. Es war einfach nur eine sauber gemachte, aber völlig unspektakuläre Aufnahme von uns, wie wir ein paar Cover-Versionen aus unserem Live-Set spielten – und am Ende schaffte es Pat, mit ihm einen Deal zu machen, der dazu führte, dass wir mit dem neuen hausinternen Produzenten von Pye Records, John Schroeder, ein paar Singles einspielen konnten.

Am 18. Juli 1966 unterschrieben wir bei Pye, und direkt im Anschluss daran schickte man uns mit John Schroeder ins Studio. John war schon recht lange im Geschäft, hatte bereits als A&R-Manager, als Produzent, ja sogar als Songwriter gearbeitet (und dabei Künstlern wie Helen Shapiro, für die er „Walking Back To Happiness“ geschrieben hatte, zu Hits verholfen). Er war auch Frontman seiner eigenen Combo, dem John Schroeder Orchestra, mit dem er in den Sechzigern für TV-Serien wie The Fugitive klassische Melodien einspielte. Mit seinem herunterhängenden Schnauzer und seinem lässigen Gang sah er ein bisschen aus wie einer der Darsteller aus einer anderen TV-Show, die in den Sechzigern lief – Jason King. Aber er war eine Person, die uns sofort Respekt einflößte, und unser erster richtiger Plattenmann. Wir hatten vorher noch keinen kennen gelernt, und schon gar nicht mit einem wie ihm gearbeitet. Er war aber auch ein netter Typ und immer voller Enthusiasmus, wenn es um uns ging. Zu Pat pflegte er zu sagen: „Es fehlt gerade mal noch so ein klitzekleines Bisschen, und dann kommen die Spectres ganz groß raus.“ Und dabei schnalzte er vielsagend mit dem Finger. John bewies damit wirklich alte Schule, und wir liebten ihn dafür.

Dennoch war uns klar: Wenn wir jemals groß herauskommen und nicht nur in den Augen unserer Eltern was darstellen wollten, mussten wir schleunigst mit eigenem Material in Erscheinung treten – wie es die Beatles und die Stones vormachten. Vor ihnen war man einfach zu irgendeiner Plattenfirma wie Valley Music gepilgert, die mit Komponisten zusammenarbeitete, wie man das von der New Yorker Tin Pan Alley kannte, und hat ein paar Songs erworben, wie man mal eben ein paar Süßigkeiten aus einem Laden holen geht. Mit den Beatles veränderte sich das – Gott segne sie dafür. Sie stellten einfach alles auf den Kopf: nicht nur die Art, in der die Leute Pop-Musik konsumierten, sondern auch, wie sie über die Welt dachten und wie sie generell fühlten.

Keiner von den anderen Jungs in unserer Band zog sich indessen den Schuh an und schrieb Songs für uns. Und ich tat es auch erst, als es darum ging, einen Leadsänger zu finden. Wenn sich keiner dazu aufraffen kann, dachte ich, dann probiere ich es eben mal. Ich habe definitiv keine Ahnung, wie ich lernte, einen Song zu schreiben. Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals ernsthaft hingesetzt und etwas anderes versucht zu haben, als ein paar Sätze und Passagen von Platten anderer Musiker zusammenzutragen, die mir besonders gefielen und die ich dann irgendwie nachahmte. Ich setzte mich irgendwann einfach hin, nahm die Gitarre zur Hand und begann Songs zu schreiben.

Die erste Single, die wir unter dem Namen The Spectres veröffentlichten, war folglich eine Cover-Version des alten Ben E. King-Titels „I (Who Have Nothing)“, mit dem auch schon Shirley Bassey einige Jahre zuvor einen Hit gehabt hatte. Das Stück erschien auf dem Piccadilly-Label, einem Ableger von Pye, und war ausgewählt worden, weil es auf dem Demo-Tape dasjenige war, das sowohl Ronnie als auch John am besten gefallen hatte. Rückblickend war es natürlich eine eigenartige Wahl für eine erste Single-Veröffentlichung einer Band unseres Schlags, doch wir wussten damals ja noch gar nicht, was für eine Band wir eigentlich waren. Wir waren immer noch Kinder, die taten, was man ihnen sagte. Aber wir schlugen uns wacker. Das Stück war ganz im Stil von Barmusik, wie wir Musiker sagen, das heißt, es plätscherte so dahin. Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass es kein Hit wurde. Worüber ich heute extrem froh bin.

Auf unserer zweiten Single gab es dann einen Original-Song von uns – „original“ im weitesten Sinne. Alan hatte ihn mit einem Kumpel zusammen geschrieben, und er hieß „Hurdy Gurdy Man“ wie der spätere Donovan-Hit, aber es war natürlich nicht der selbe Song und leider auch nicht so erfolgreich. Bei unserer dritten Single versuchten wir es dann erneut mit einer Cover-Version. Mit dem Song „(We Ain’t Got) Nothing Yet“ hatten in jenem Jahr auch schon die Blues Magoos einen Top-5-Hit in den USA gelandet. Unsere Single kam im Januar 1967 heraus und verschwand – genau wie die davor auch schon – sang- und klanglos in der Versenkung. Und mit ihr schwand auch unser letztes Fünkchen Hoffnung dahin, dass wir mit den Spectres jemals den Durchbruch schaffen würden.

Die Leute kapierten es einfach nicht, und nach sechs Monaten des Experimentierens waren sie bei Pye so weit, dass sie das Intermezzo beenden wollten. John Schroeder glaubte allerdings immer noch fest an uns. Vielleicht musste er sich damit auch selbst etwas beweisen: Er war schließlich derjenige gewesen, der zugestimmt hatte, uns unter Vertrag zu nehmen, und er hatte unsere Platten produziert. Das letzte, was für ihn jetzt in Frage kam, war, die Sache als gescheitert zu erklären. Stattdessen beschloss man, das Ganze noch einmal mit einem neuen Namen aufzupolieren. Zuerst wollten wir uns Traffic nennen. Aber Stevie Winwood und Island Records kamen uns zuvor, und so benannten wir uns in letzter Minute in Traffic Jam um.

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