Die Status Quo Autobiografie

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The number is one-oh-one

I’m not really a naughty boy

Just cheeky to my mum …

Ich habe damit den Schulwettbewerb und zum ersten Mal in meinem Leben einen Preis gewonnen. Und obwohl es wirklich eine Kleinigkeit war, die ich dafür bekam, erfreute es mich doch mehr als die goldenen Schallplatten, mit denen wir später bei Status Quo ausgezeichnet wurden, weil das Gedicht vom Queen Elizabeth Way 101 handelte. Der Ort übt eben einen ganz besonderen Zauber auf mich aus.

Getoppt wurde das alles noch von einem verwilderten Waldstück und einem Sumpf hinter dem Haus. Hinter dem Sumpf lag wiederum ein Fluss, aus dem ein Stück Land herausragte, das aussah wie ein halb unter Wasser liegender Wal. Wir nannten es Moby Dick. Auf der anderen Seite des Hauses waren wir umgeben von Feldern, auf denen wir Fußball spielen konnten und auf denen es Feldmarkierungen für Cricket gab. Das Cricket-Feld konnte ich vom hinteren Teil meines Gartens aus einsehen. Es gehörte einem örtlichen Cricket-Club mit dem wunderbaren Namen Oddfellows Cricket Club – der auch auch heute noch schwer aktiv ist.

Erneut wohnten wir am Ende einer Sackgasse. Ich kehre immer noch manchmal dahin zurück, sitze einfach in meinem Auto und betrachte diesen Ort aus meiner Kindheit. Es ist unglaublich, was für Erinnerungen sich sofort bei mir einstellen. Wenn es still genug ist und ich die Augen schließe, kann ich alles richtig vor mir sehen, weil ich so glücklich gewesen war. Am liebsten habe ich Sport getrieben und mit meinen Freunden herumgealbert. Ich habe als Kind nicht besonders viel ferngesehen – höchstens typische Jungen-Sendungen wie Have Gun Will Travel. Es gab in den Fünfzigern nicht so viele Kinderprogramme im Fernsehen, und so verbrachte ich die meiste Zeit draußen mit meinen besten Freunden Freddy Wellbeloved, Terry George, Edward Brogan, Philip Stead und Nicky Gunter, um nur einige zu nennen. Wir wohnten alle in derselben Sackgasse, besuchten dieselbe Schule, die Highlands County Secondary, und spielten jeden Tag zusammen. Wir waren keineswegs böse Kinder. Aber mich schaudert heute noch, wenn ich daran denke, in was für Gefahren wir uns damals begeben haben. Ein Spiel, in das wir echt vernarrt waren, bestand darin, einen Stock zu nehmen und ihn mit einem rostigen Nagel an einen anderen kleineren Stock anzunageln, sodass das Ganze am Ende wie ein Hockey-Schläger aussah. Dann zogen wir unsere Rollschuhe mit den Eisenrädchen unten an und jagten mit den selbstgezimmerten Schlägern hinter einem kleinen hölzernen Ball her. An einem Ende der Straße war eine Abflussrinne und gleich daneben stand ein Laternenmast, das war unser Tor. Und am anderen Ende der Straße gab es wiederum eine Rinne mit einem Laternenmast, das war unser zweites Tor. „Have Ball Will Travel“, nannten wir es, und dass wir es schafften, uns bei dem wilden Herumgefuchtel mit den Stöcken nicht gegenseitig den Schädel einzuschlagen, grenzt an ein wahres Wunder.

Natürlich haben wir oft in dem Wäldchen gespielt. Wir wurden immer ermahnt, nicht so nah an den Sumpf heranzugehen, denn man konnte einsinken und ertrinken. Aber die anderen Kinder zeigten mir einen Weg, wie man über den Sumpf drüber kommen konnte. Wie sie das herausgefunden hatten, weiß ich nicht, aber der Pfad durch den Sumpf war ein Geheimnis, das nur unsere Gang kannte.

Es gab noch einen Haufen anderer Kinder. Sie kamen aus Ryden’s Way, einem anderen Teil der Wohnanlage, und sie waren unsere Feinde. Wenn sie es jemals wagten, in unseren Wald zu kommen, hüpften wir einfach über den Sumpf, wohl wissend, dass sie es niemals wagen würden, uns zu folgen. Aus den Zweigen und Ästen der Bäume bastelten wir uns unsere eigenen Pfeile und Bögen, und dann rannten wir damit durch den Wald und beschossen uns gegenseitig. Oder wir hingen in fast 20 Meter hohen Bäumen und feuerten von da oben mit Murmeln. Erstaunlicherweise hat keiner von uns jemals dabei ein Auge verloren oder sich etwas gebrochen.

Wenn uns langweilig wurde beim Versuch, uns gegenseitig zu verstümmeln, bauten wir Flöße. Wir schnürten Holzstücke an alte Ölfässer und schleppten das Ensemble rüber zum Fluss. Es war stets ein waghalsiges Unternehmen, aber wir hatten damals viel Spaß dabei. Die Strömung des Flusses trieb uns einfach weiter, doch wenn wir dabei eine Sandbank gestreift haben, drehte sich das Ölfass um und wir landeten Hals über Kopf im Wasser.

Immer am 5. November, in der Bonfire Night, wenn mit Fackelzügen an Guy Fawkes erinnert wird, jenen katholischen Offizier, der 1605 ein Attentat auf den englischen König verübte, wurde von der Gemeinde ein großes Lagerfeuer veranstaltet. Da wir unseren eigenen Wald besaßen, hatten wir natürlich immer viel Zeug zum Verbrennen. Forderungen wie „Schützt den Wald“ oder Begriffe wie „Umwelt“ kannte man damals noch nicht. Wir gingen einfach in den Wald und holzten ein paar Bäume ab, dann schleppten wir das Holz rüber zum Feld, wo wir immer spielten, und machten ein großes Lagerfeuer. Und dann haben wir natürlich auch Knallfrösche und Böller angezündet, weil sie einen so schönen Krach machten. Alles, was Lärm ergab und für Aufruhr sorgte, war mir willkommen. Wenn unsere Eltern gerade mal nicht hinsahen, zündeten wir die Feuerwerkskörper an und bewarfen uns gegenseitig damit – wie mit Granaten.

Das Loch im Boden, in dem wir uns einquartiert hatten, war eigentlich ein alter Bombenkrater. Den Rest des Jahres zogen wir diesen kratzigen alten Teppich, den wir irgendwo gefunden hatten, darüber, steckten einen Wäschepfahl in die Mitte und schon hatten wir unseren sogenannten Carpet Club. Alle Kinder hockten unter dem großen Teppich eng beisammen wie in einem richtigen Zelt. Um in die Gang aufgenommen zu werden, musste man einen Initiierungsritus bestehen: einmal durchs Abwasserrohr kriechen und die Four Irons überqueren. Die Four Irons waren die Überreste der alten Brücke, die einst über den Fluss geführt hatte, von der aber jetzt nur noch das blanke Eisengerippe übrig war – vier Träger, über die man wie auf rostigen Schienen auf die andere Seite gelangen konnte. Wer der Gang angehören wollte, musste sich trauen, auf diesen vier alten Eisenträgern, die gerade mal knapp vier Zentimeter breit waren, das Wasser zu überqueren. Das kam dem Balancieren auf einem Drahtseil gleich. Den Kandidaten wurde aber vorher nicht gesagt, dass sie, sobald sie das geschafft hatten, auf der anderen Seite der wildeste Bulle des gesamten Bezirks erwartete. Das einzige Schlupfloch, durch das man wieder hinausgelangen konnte, war ein Gatter auf der anderen Seite der Viehweide. Das war wie in einem Cartoon mit Tom und Jerry: man musste sich irgendwie bis zum Gatter retten, während der Bulle hinter einem herjagte. All anderen Kinder rannten aufgeregt am Gatter hin und her und hofften insgeheim, dass der Bulle einen erwischte. Wer das alles überstand, wurde in die Gang aufgenommen.

Wir hatten bei alledem immer derart viel Spaß, dass wir abends nicht heim wollten. Vor allem wenn wir Fußball spielten. Wir spielten immer so lange, bis es so dunkel war, dass wir den Ball nicht mehr erkennen konnten. Es ging soweit, dass wir Eltern, die ein Auto besaßen, zu überreden versuchten, das Auto am Spielfeldrand abzustellen und die Scheinwerfer einzuschalten, damit wir weiterspielen konnten – leider ließen die sich aber nie dazu breitschlagen. Es war ein anständiger, altmodischer Riemenball aus braunem Leder, mit dem wir gewöhnlich spielten. Er war entsetzlich, wenn man köpfen musste, und er war mörderisch schwer, wenn er nass und matschig war. Dennoch war es ein klasse Ball. Wir spielten im Sommer wie im Winter Fußball, bei Tag und bei Nacht. Immer so lange, bis meine Mum von der Türschwelle aus herüberrief: „Es ist Zeit für eine Teepause!“ Das war der Moment, in dem ich mich gewöhnlich schweren Herzens aus dem Spiel ausklinkte und reinging. Bis die Sache mit der Musik anfing, war das alles, was ich wollte: Rausgehen und draußen spielen.

Meine Mutter wusste wahrscheinlich immer, was gerade so abging. Aber mein Vater bekam das meiste glücklicherweise nicht mit. Er verbrachte seine Freizeit stets im örtlichen Working Men’s Club, hörte sich die Probleme der Leute an und meinte dann: „Du wirst dir doch deswegen keine grauen Haare wachsen lassen. Komm rüber an die Bar! Lass uns einen trinken.“ Das war sein Lieblingsspruch: „Du wirst dir doch deswegen keine grauen Haare wachsen lassen.“ Meistens kam er dann sternhagelvoll nach Hause.

Queen Elizabeth Way 101 war auch der Ort, an dem ich zum Teenager heranwuchs und ein junger Mann wurde. Hier bekam ich meine ersten spitzen Schuhe und Mohair-Pullover und wandte mich nach und nach vom Sport ab und der Musik zu. Und Autos. Und Mädchen.

Mein Augenmerk wurde erstmals auf die Musik gelenkt durch die Kino-Vorstellungen samstagmorgens im alten ABC-Filmatelier in Woking, wo ich jede Woche anzutreffen war. Zu Beginn, bevor es losging, wurde immer ein Song gespielten, den alle Kinder mitsingen sollten: „We are the boys and girls together / Minors of the ABC.“ Wir waren alle Mitglied im Kinder-Kino des Fernsehsenders ABC und bekamen einen speziellen Button mit einem roten Dreieck darauf, der uns als Mitglieder auswies. Als ich neun oder zehn Jahre alt war, fing ich an, jeden Samstagvormittag dort hinzugehen. Ich liebte es. Es war eine wilde Sache, wenn das Licht ausging und die Kinder in der Dunkelheit tobten. Es war, als würde man zu einem Konzert gehen, und es wurden Filme gezeigt wie Superman, Flash Gordon oder The Lone Ranger.

Am Lustigsten war der Typ, der immer die Vorstellung ankündigte. Er erschien immer in Frack und Fliege und brüllte dann: „Good morning, Minors!“

Flash Gordon war so geil. Der Ausgang einer jeden Folge bannte meine Aufmerksamkeit jedes Mal aufs Neue. Jede Episode endete damit, dass Flash aus seinem Raumschiff herausfiel und im Maul irgendeines riesigen überirdischen Drachen landete. Und man musste in der Woche darauf unbedingt wieder kommen, um anzuschauen, ob ihm das diesmal zum Verhängnis geworden war oder nicht. Ich fiel jedes Mal wieder drauf rein und dachte, dass es ihn nun aber wirklich erledigt haben musste. Hatte es aber nie. Unser guter alter Flash Gordon überlebte immer.

 

Mein Lieblingsfilm war allerdings Superman. Ich war ein großer Fan und kaufte mir auch immer die Comics. Da gab es diese klassische Episode, in der Leute die Nachrichten im Radio hörten, in denen es hieß, der Mond habe seine Umlaufbahn geändert. Dann sah man Superman auf irgendeinem Acker einen Handstand machen und merkte, dass der Mond überhaupt nicht seine Umlaufbahn verlassen hatte, sondern dass Superman dahintersteckte, der die Erde nur mal kurz aus den Angeln gehoben hatte. Damit hatte Superman mich als Fan gewonnen. Wenn er die Welt anheben konnte, konnte er alles. Und ich liebte diesen Quatsch um grünes Kryptonite, wodurch er seine Stärke verlieren konnte. Aber selbst dann war er immer noch in der Lage, einen Schnellzug anzuhalten, indem er im Kreis herumwirbelte und einen Wirbelwind erzeugte. Einfach genial! Ich liebte auch diese Werbe-Gimmicks, die man mit den Comics dazubekam und aus denen man sich eine Röntgenbrille basteln konnte. Eine zu besitzen, wäre das Größte gewesen, aber die Preise waren immer in Dollar angegeben und bestellen konnte man sie nur bei einer Adresse in Amerika. So bin ich leider nie an eine herangekommen. Schade! Ich würde mich auch heute noch darüber freuen, wenn ich so eine Brille hätte.

Mein anderer Lieblings-Comic war The Tiger, bei dem jede Woche Roy von den Rovers auf dem Cover war. Roy spielte für die Melchester Rovers, und sein bester Kumpel war Blackie Grey, der Torhüter. Sie waren die Anführer des Teams und waren nicht nur auf dem Spielfeld Partner. Dass diese Konstellation eine derartige Anziehungskraft auf mich ausübte, war aber nicht der Grund dafür, dass Francis Rossi und ich später Status Quo anführten. Um nur einen Grund zu nennen, der gegen diese Annahme spricht: Roy verlor nie ein entscheidendes Match, Status Quo schon.

Aber ich möchte nicht vorgreifen. Ich war zehn, als ich anfing, mich für Musik zu interessieren. Wie aus heiterem Himmel wünschte ich mir auf einmal eine Gitarre. Meine Eltern mochten Lonnie Donegan, und seine Platten waren auch die ersten, die ich zu hören bekam und bei denen mir klar wurde, was die Gitarre eigentlich zum Sound beitrug. Auch gern aufgelegt zu Hause wurden Kenny Ball & His Jazzmen, und eine Zeit lang nahm ich Klavier- und Saxophon-Unterricht. Aber es war Lonnie Donegan, der mich ernsthaft über eine Gitarre nachdenken ließ. Ich sollte auch mal Bert Weedon erleben, der in jenen Tagen viel im Fernsehen zu sehen war und bei dem alles so easy aussah. Er spielte auf einer glänzenden, honigfarbenen Höfner-Gitarre, die Ornamente an der Mechanik und eine Perlmutt-Blende hatte – das sah wunderschön aus!

Wie schon bei meinem ersten Fahrrad, bettelte ich meine Eltern so lange an, bis sie mir zu Weihnachten eine Gitarre schenkten. Es war eine Framus-Akustikgitarre, die sie in Maxwell’s Music Shop in der High Street von Woking kauften. Ich weiß bis heute nicht, wie viel meine Eltern eigentlich damals dafür bezahlten, aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich mein Bestes getan habe, um ihnen das Geld später einmal zurückzahlen zu können. Wie damals, als ich zum ersten Mal in Dads neuem Auto gesessen hatte, werde ich auch den Geruch nie vergessen, der mir in die Nase stieg, als ich den Gitarrenkoffer zum ersten Mal öffnete. Er war brandneu und roch berauschend nach frischem Lack. Mir wurde fast schwindelig. Und diesen Geruch kenne ich seit meiner ersten Gitarre – absolut anturnend. Sie sah somit nicht nur phantastisch aus, sondern roch auch noch tierisch gut, was mich nur noch mehr darin bestärkte, dass dies mein Ding war.

Der Gurt dazu war eine goldfarbene Kordel, ungefähr so dick wie mein kleiner Finger, die mir gewöhnlich beim Spielen in die Schulter schnitt, obwohl die Gitarre eigentlich nicht besonders schwer war. Aber es machte mir nichts aus. Ich liebte diese Gitarre einfach. Sie hatte eine Schärpe, deren puscheliges Ende von der Mechanik herabhing. Was sah die geil aus! Ich war zehn Jahre alt und mehr als zufrieden, mit einer eigenen Gitarre herumzulaufen. Und dann versuchte ich auf dem Ding zu spielen.

Ich werde niemals vergessen, wie erschrocken ich war, als ich die Gitarre zum ersten Mal umhängen hatte und sich das so erbärmlich anfühlte. Auf einmal wurde mir klar, dass ich ja gar nicht spielen konnte. Bis zu diesem Moment war mir nie der Gedanke gekommen, dass ich eigentlich gar nicht wusste, wie man Gitarre spielte. Um mich daran zu gewöhnen, hängte ich sie mir dennoch um, und es war wie ein Wunder. Ich wusste nicht einmal so recht, wie ich das Ding stimmen konnte, aber ich hämmerte Songs darauf heraus, praktisch vom ersten Moment an. Der erste Song, den ich aufgriff und durch den ich mich hindurch hangelte, war „Mary’s Boy Child“ von Harry Belafonte. Der Song war in der Weihnachtszeit die ganze Zeit im Radio gelaufen, und so glaubte ich, ihn schon in- und auswendig zu kennen – und eigenartigerweise tat ich das auch. Der Klavierunterricht hatte offenbar gefruchtet. Ich kannte die grundlegenden Dinge wie Tonleitern, Noten und so weiter, hatte zuvor aber wirklich noch nie eine Gitarre in der Hand gehabt. Ich dachte: Das ist ja leicht.

Um es gleich vorweg zu sagen, Gitarre spielen war einfach ein Hobby. Etwas für Regentage, wenn ich nicht mit meinen Kumpels rausgehen und irgendeinen Unsinn anrichten konnte. Doch bis zu meinem zwölften Lebensjahr hatte ich mir bereits ein kleines Repertoire an Songs angeeignet, die ich auf der Gitarre spielen konnte – „Baby Face“ und „Living Doll“. Ich wusste immer noch nicht, wie man sie richtig stimmte, und ich erinnere mich, dass ich unglaubliche Schwierigkeiten hatte, meine Finger zurechtzubiegen, damit ich die Akkorde greifen konnte. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich immer Melodien heraushören und die Songs dann lernen. Ich hatte schon sehr früh ein Ohr dafür, und das schon zu einem Zeitpunkt, als meine Hände noch gar nicht mitkamen – ein Talent, das ich vermutlich von meiner Mum geerbt habe, die Klavier gespielt hat.

Ohne meinen Vater hätte ich die Sache aber nicht groß weiterverfolgt, sondern nur die Familie ein bisschen unterhalten. Meine Mutter war eine wunderbare Frau, vom Kopf her wie vom Herzen, und sie hat mich eigentlich auch großgezogen, aber dass aus mir ein professioneller Musiker wurde, habe ich zweifellos meinem Vater zu verdanken. Er trieb mich stets an, aus allem, was ich gut konnte, etwas zu machen, damit daraus mehr würde als nur ein wunderschönes Hobby. Er wollte wirklich, dass ich mich reinhängte.

Meine zweite Gitarre war auch wieder eine Framus. Diesmal war sie aber rot-schwarz, auf Hochglanz poliert, und hatte einen Weichschalenkoffer. Jeden Samstagabend gingen meine Eltern und ich zusammen in den Working Men’s Club und mein Dad sagte immer, ich solle doch meine Gitarre mitnehmen. Ich wollte nie, aber er meinte: „Leg sie doch einfach in den Kofferraum, für den Fall, dass du deine Meinung änderst.“ Als wir eines Tages dort waren und mein Dad ein paar Drinks zu viel hatte, forderte er mich auf, die Gitarre zu holen. Und bevor ich wusste, wie mir geschah, stand ich da und sang und spielte „Baby Face“. Das war mein erster richtiger Auftritt vor Publikum.

Als in dem Club eines Abends ein Talentwettbewerb veranstaltet wurde, sorgte mein Dad dafür, dass ich daran teilnahm. Ich war sehr nervös und besorgt, doch als ich erst einmal auf der Bühne stand und mein „Baby Face“ hinlegte, wie ich es ja schon so viele Male vor meinem Vater und seinen Freunden getan hatte, wurde ich allmählich ruhiger und es machte mir richtig Spaß. Und das Beste war, dass ich den Wettbewerb gewann. Als Preis gab es einen Scheck über fünf Pfund. Ich war erst zwölf, aber ich fühlte mich wie ein Millionär. Ich konnte nicht glauben, dass ich dieses Geld nur damit verdient hatte, dass ich sang und Gitarre spielte. Nicht dass ich davon etwas zu sehen bekommen hätte. Mein Vater nahm den Scheck an sich und schmiss damit eine Lokalrunde nach der anderen. Was mir aber nichts ausmachte: das Geld war toll, aber was mir wirklich einen Kick gab, war die Tatsache, dass ich gewonnen hatte.

Ungefähr zu jener Zeit meldeten mich meine Eltern auch bei einem Talentwettbewerb in Butlin’s Feriencamp in Cliftonville an. Meine Oma war immer sehr gern ins Butlin’s gegangen, und wir übernachteten dort, wo sie immer übernachtet hatte, im Queen’s Hotel. Es existiert leider nicht mehr, aber es kam mir damals wie eine Märcheninsel vor, auf der ausgestopfte Papageien über dem Pool hingen. Als ich den ersten Durchgang des Wettbewerbs gewann, vervollständigte sich das Bild, das ich von diesem traumhaften Ort hatte, an dem Wünsche in Erfüllung gehen konnten. Der Preis für den Gewinner war diesmal ein Urlaub für zwei Personen in der Zeit, wenn das große Finale stattfand. Ich machte das zwei Jahre lang und gewann zweimal, sodass wir jedes Mal kostenlos Urlaub machen konnten.

Bei den Grand Finals war ich auch nicht schlecht. Ich wurde in beiden Jahren Zweiter. Beide Male wurde mir der erste Platz von einem Burschen strittig gemacht, der am Klavier saß und sang, ein gutaussehender Knabe, der immer den gleichen Song zum Besten gab. Ich habe ihn noch immer in den Ohren: „If you could buy all the stars in the sky then you could buy Killarney …“ Ich muss zugeben, er hat auch mich mit seinem Kummerbund und seiner Fliege beeindruckt. Und ich denke mal, ich gab mich taktvoll geschlagen.

Bis dahin war es völlig wurscht gewesen, ob ich gewann oder nicht. Tief in meinem Innersten wusste ich, dass ich Gitarre spielen und singen wollte. Was zur Folge hatte, dass ich in der Schule ein bisschen nachließ, weil es mir einfach nicht mehr so wichtig war. Ich wusste, dass das, was ich da lernte, in meinem Leben, wenn ich erst einmal die Schule beendet hatte, keine tragende Rolle spielen würde. Und meine Eltern setzten mich auch nicht unter Druck, meine Meinung zu ändern. Irgendwie waren wir einfach alle überzeugt, dass ich mal im Showgeschäft landen würde, auch wenn wir nicht unbedingt ahnten, dass ich einmal berühmt werden würde.

Im Anschluss an meine diversen Erfolgserlebnisse bei Talentwettbewerben trat ich gelegentlich im Londoner Nuffield Centre auf, einem Varieté-Club der Streitkräfte, wo ich ein paar echt komische Typen aus dem Theatermilieu kennen lernte, die einer Welt angehörten, die mich sehr faszinierte. Also versuchte ich, mir einen professionelleren Anstrich zu geben, und dachte mir einen neuen Look aus: ich band mir eine Seidenkrawatte um, was damals ein Knüller war, zog eine schwarzweißkarierte Hose an und drapierte kunstvoll meine Haare. Ich verbrachte den halben Tag damit, in den Spiegel zu schauen, um meine Frisur noch mehr zu perfektionieren.

Einer, der mir damals sehr geholfen hat, war Johnny, ein Komödiant, mit dem sich mein Vater ein bisschen angefreundet hatte. Im Umfeld des Working Men’s Club war Johnny sehr bekannt, und mit seiner Hilfe schaffte es mein Vater, dass ich ein paar kurze Auftritte in den anderen Clubs außerhalb von Woking absolvieren konnte, in denen auch Johnny Vorstellungen. Man buchte dort Johnny, und er erlaubte mir dann, auf die Bühne zu kommen und eine kleine Einlage zu geben, mit der seine Show eröffnet wurde.

Später fand ich heraus, dass es darüber hinaus noch ein weiteres Motiv gab, weshalb Johnny sich mir gegenüber so generös zeigte. Als wir eines Abends mal im Auto meines Vaters nach Hause fuhren, saß Johnny vorne auf dem Beifahrersitz, mein Vater fuhr, und ich saß auf dem Rücksitz. Plötzlich langte eine Hand vom Beifahrersitz aus um den Sitz herum nach hinten und fing an, an meinem Knie herumzufummeln. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und so ließ ich ihn gewähren. Ich muss damals ungefähr zwölf gewesen sein und hatte noch keine Ahnung, dass es Homosexuelle und Heteros gab. Ich dachte nur, was soll das denn jetzt.

Es kam auch nie zu mehr, Gott sei Dank, und es wäre unfair, Johnnys Rolle im Nachhinein herabzusetzen. Ohne ihn würde ich heute vielleicht gar nicht hier sitzen und mein Leben in einem Buch niederschreiben. Johnny war Mitglied in einer Organisation, die sich MEA – Metropolitan Entertainers Association – nannte. Mit seiner Unterstützung konnten mein Vater und ich dort auch Mitglied werden, und so kam ich zu meiner ersten großen Urlaubspause von der Schule.

Die Büros lagen in der Goodge Street, im West End, und man traf sich in einem verrauchten Raum über einem Pub namens Feathers, direkt an der U-Bahnstation Goodge Street. Irgendwann wurde mein Vater Schatzmeister dort. Jeden Donnerstagabend kam man im Stockwerk über dem Feathers Pub zusammen und bequatschte, was im Showgeschäft gerade so los war. Unter den Mitgliedern befanden sich sowohl etablierte Kabarett-Künstler, Sänger und Schauspieler wie auch ein paar Möchtegern-Künstler wie ich, die versuchten, die Mitgliedschaft als Sprungbrett für ihre Karriere zu nutzen. Da kreuzten auch immer mal wieder Talentsucher und Konzertagenten auf, weswegen es sich allemal lohnte, dort irgendwie mitzumischen. Man erhielt die Chance, sich als Künstler mit seinem neuen Material zu präsentieren, was „Shop Window“ genannt wurde, und dabei konnten einen die Agenten und Typen, die die Gigs buchten, begutachten und einem ein bisschen Arbeit geben – oder auch nur ein paar gute Ratschläge. Es war ein riesiger Raum und man stand in der Mitte und hat sein Ding gemacht, während alle anderen zusahen, tranken und rauchten.

 

Das ging ein paar Jahre so, bis eines Abends ein Typ meinen Dad fragte, ob ich schon 15 sei. Ich war damals erst 14, und so sagte mein Vater: „Noch nicht, aber bald. Warum?“ Der Typ hieß Gordon Mitchell und stellte sich augenzwinkernd als „the Mayor of Hayling Island“ vor. Er leitete das Sunshine Holiday Camp, eine etwas kleinere Ausgabe des Ferienclubs Butlin’s, und sprach mit breitem Akzent wie die Leute im Norden Englands. Gordon Mitchell hatte auch deren typische direkte Art, und so redete er nicht lange um den Brei herum: „Ich möchte wissen, wie alt er ist, weil ich diesen Jungen gerne für eine Sommer-Saison in meinem Ferien-Camp verpflichten würde. Wann ist er mit der Schule fertig?“

Man konnte damals frühestens mit 15 die Schule verlassen und einen Fulltime-Job annehmen. Und wie es das Schicksal wollte, war es gar nicht mehr so lange hin bis zu meinem 15. Geburtstag, sodass Gordon meinte: „Gut, denn ich würde ihn gerne anheuern!“ Und das war’s dann, ich hatte meinen ersten richtigen Job im Showgeschäft: Singen und Gitarre spielen im Sunshine Holiday Camp auf Hayling Island. Dad handelte mit Gordon die genauen Details aus. Abends musste ich auf einem Hocker in der Bar sitzen, singen und Gitarre spielen, und tagsüber bei all den anderen Unterhaltungsprogrammen und Aktivitäten aushelfen. Im Butlin’s wäre ich damit so etwas wie ein Redcoat gewesen. Aber wir waren im Sunshine und trugen gelbe Jacken, und so hießen wir die Canaries.

Es war mein erster Job und ich war total aus dem Häuschen vor Freude. Endlich konnte ich der blöden Schule den Stinkefinger zeigen! Als ich erfuhr, dass ich definitiv einen Job hatte, ließ ich die Hälfte des Unterrichts einfach ausfallen, und die letzten Monate, die ich noch in der Schule ausharren musste, vergingen entsetzlich langsam. Ich kam ständig mit neuen Ausreden an, wie zum Beispiel, dass ich meinen Finger untersuchen lassen musste, den ich mir einst in Harlow im Gartentor eingequetscht hatte. Das war der perfekte Entschuldigungsgrund. Ich schnappte mir aus unserem Apothekenschränkchen zu Hause ein bisschen Verbandszeug und band es mir um den Finger, bevor ich zur Schule ging. Ich tat alles, um nicht am Mathematikunterricht teilnehmen zu müssen.

Ich dachte nur noch an meinen neuen Job, den ich mir wie einen langen bezahlten Urlaub vorstellte. Mein Lohn bestand aus fünf Pfund die Woche. Zuerst hatte mir Gordon zehn Pfund geboten, aber dieses Angebot wurde von meinem Vater abgelehnt: „Wir wollen nicht, dass der Junge verwöhnt wird.“ Und so lief die Sache für einen Fünfer. (Das war echt rührend von dir, Dad!) Nach Abzug der Steuern blieben mir jede Woche gerade mal 4 Pfund, 16 Shilling und 4 Penny und freie Kost und Logis.

Aus meinen früheren Ferienaufenthalten im Butlin’s wusste ich ein bisschen, wie es in Ferien-Camps zuging, doch ich merkte schnell, dass das Sunshine-Camp nicht das gleiche Format hatte wie das Butlin’s. Es war ein sehr altmodisches kleines Ferienlager wie in den alten, schwarzweiß gedrehten Carry On-Filmen. Ich war vorher noch nie im Leben in Hayling Island gewesen und kannte keine Menschenseele dort, aber ich war zu gespannt auf alles, um mir deswegen einen Kopf zu machen. Dass ich zu Hause eine Menge Annehmlichkeiten gehabt hatte, von denen ich dort nur träumen konnte, kam mir erst in den Sinn, als ich wirklich vor Ort war und merkte, dass das nun ein völlig anderes Leben sein würde, eher das Leben eines Erwachsenen.

Ich bekam meine offizielle Canary-Uniform: gelbe Jacke, gelber Pullunder, weiße Hose und weiße Schuhe. Ich fühlte mich wirklich wie einer von ihnen. Mein Schlafplatz befand sich in einer Wohnung direkt über der Bar, in der ich abends spielte, in einer von mehreren kleinen Einzimmerparzellen, die sie Treetops nannten und wo alle Canaries schliefen. Jeden Morgen wurde man um sieben geweckt, die Camper ebenso wie die Canaries, indem immer wieder der gleiche blöde Song gespielt wurde, „Island In The Sun“ von Harry Belafonte. Das gesamte Camp wurde damit beschallt. Ich fing schon bald an, das Stück zu hassen. Die Canaries mussten dann bereits alle aufgestanden sein, sich angezogen haben und in smartem Outfit unten am Eingang zum Frühstücksraum warten, um die Camper zu begrüßen. Dann musste man sich mit ihnen an einen Tisch setzen, freundlich lächeln und mit ihnen tratschen bis das Frühstück vorbei war. So früh am Morgen schon so nett sein zu müssen, konnte bisweilen ziemlich nervig sein, besonders wenn es am Abend zuvor spät geworden war – wie fast immer.

Im Allgemeinen mochte ich aber den Job. Ich half beim Sport aus und bei den Aktivitäten, die für die kleineren Kinder angeboten wurden. Ich verkleidete mich gewöhnlich als Pirat. Die Kids hockten da und bekamen eine Geschichte erzählt. Dann sprang ich plötzlich von irgendwoher hervor im Aufzug von Captain Thunder. Ich hatte die ganze Ausrüstung – Piratenhut, Augenbinde, einen schwarzangemalten Zahn, das ganze Zeug. Am Ende jagten sie mich immer über die Sanddünen. Manchmal musste ich mich fangen lassen, und dann drangsalierten mich die kleinen Bastarde – einige von ihnen waren gar nicht so viel jünger als ich – mit ihren Plastikbuschmessern solange, bis ich mir vor Angst schier in die Hose machte. Dann zwangen sie mich, über die Planke zu gehen, was bedeutete, dass sie mich zu einem der Sprungbretter am Swimming-Pool zerrten. Und dann war das Spiel gewöhnlich aus, Gott sei Dank.

Ich habe das aber genossen. Ich kam so gut klar mit den Kids, dass sie mich zum Children’s Uncle kürten, was bedeutete, dass ich quasi der Chef-Entertainer für die Kids war. Es war eigenartig. Da waren Kinder darunter, die praktisch in meinem Alter waren und mich Uncle Ricky nannten, woran ich mich erst einmal gewöhnen musste. Doch es war eine wundervolle, alles umfassende Grundausbildung für eine Laufbahn im Showgeschäft und ich möchte heute keine Minute davon missen. Ich war immer noch abenteuerlustig, und so gab es nichts, was ich nicht ausprobieren wollte.

3. Abs., 4. Z.v.u.: In so einem Ferien-Camp wurde auch immer viel Wert auf Kameradschaft gelegt. Einfach ein bisschen herumlaufen, mit den Campern quatschen, gut drauf sein und ein paar Witze reißen, sogar das war eine gute Übung für das, was später kam.

Samstagabends gab es immer eine große Show in der Festhalle. Man hatte gewöhnlich 300 Leute vor sich, die alle geil darauf waren, Spaß zu haben. Wir stellten eine bunte Show auf die Beine. Alle, die in der vergangenen Woche aufgetreten waren, kamen nacheinander an die Reihe. Ich trug in der Show immer eine blaue Lamee-Jacke, die den Samstagabenden vorbehalten war, weil sie im Scheinwerferlicht glitzerte. Ich hatte auch eine spezielle schwarze Hose mit einem purpurnen Streifen an der Seite, ein frisch gebügeltes weißes Hemd und eine schwarze Fliege. Wenn ich in der Umkleide in den Spiegel sah, bevor ich auf die Bühne ging, war ich stets stolz, weil mir da ein Entertainer entgegenblickte – und das war genau das, was ich damals sein wollte. Mit Hilfe einer Handvoll Brylcreem bekam ich auch noch eine blonde Haartolle hin. Und ich hatte vor Ferienbeginn auch noch eine neue Gitarre bekommen – eine blonde Höfner, genau wie die von Bert Weedon, mit einem Perlmuttbesatz. Ich sah echt aus wie ein Profi und sang gewöhnlich zwei Songs, „Baby Face“ und ein Stück von den Four Pennies mit dem Titel „I Think Of You“. Das Publikum flippte richtig aus. Das war ein wunderbares Gefühl. Nie zuvor hatte ich so etwas erlebt.

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