Die Status Quo Autobiografie

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Bei der nächsten Teestunde unterbreitete ich Dominic meinen Plan, wie wir die Welt erobern konnten, und fragte ihn, was er dazu meinte. Zu meiner Erleichterung sagte er, dass er das für eine großartige Idee hielt, und so wünschten wir uns in jenem Jahr zu Weihnachten von unseren Eltern Gitarren. Als sie zugestimmt hatten, dachte ich, ja, jetzt kann uns nichts mehr in die Quere kommen! Dann änderte Dominic im letzten Moment seine Meinung und wünschte sich stattdessen eine Eisenbahn. Ich hätte ihn umbringen können! Was ich auch gemacht hätte, wenn meine Mutter nicht gewesen wäre. Denn mein Traum von uns als den neuen Everly Brothers war damit mit einem Schlag geplatzt. (Ein paar Jahre später rächte ich mich aber, indem ich mir von ihm die Eisenbahn auslieh – und sie kurzerhand verkaufte.)

Mein Dad meinte, ich solle den Kopf nicht hängen lassen – immerhin hätte ich ja jetzt eine Gitarre. Und so klimperte ich eine Weile für mich alleine darauf herum, bis sie mich nach Lewisham brachten, wo es einen Laden namens Len Styles Music gab, der nicht nur Instrumente verkaufte, sondern auch Gitarrenunterricht anbot. Len Styles Music war der angesagte Laden am Ort für angehende Musiker, und so knüpfte ich große Erwartungen daran, was ich da lernen konnte. Stattdessen entpuppte sich das Ganze aber als die reinste Farce. Das einzige Mal, als ich dort war, sah mich der Typ, der den Unterricht gab, an und sagte: „Was willst du denn gerne lernen, Junge – Foxtrott oder Walzer?“ „Junge“ – so nannten einen die Sportlehrer. Damit wurden gleich zu Anfang die völlig falschen Signale gesendet. Und ich hatte auch null Interesse daran, irgendwelche Foxtrotts oder Walzer zu lernen. Ich erwiderte: „Nun, ich würde gerne ein paar Stücke von den Everly Brothers lernen und all so was.“ Er stierte mich nur an und meinte: „Diesen Kram machen wir hier nicht, Junge!“ Ich stand auf, ging zur Tür raus und schwor mir: da gehst du nie wieder hin. Damit endete meine Musikerziehung.

Danach erschien es mir lange Zeit so, als sei schon allein der Versuch, etwas zu lernen, dem „Establishment“ zuzuordnen. Als ich erst einmal meine erste Band gegründet hatte, war an Üben gar nicht mehr zu denken. Sobald der Gig vorbei war, stellte ich die Gitarre wieder in die Ecke, irgendwohin, wo ich sie erst gar nicht sah, bis ich sie für den nächsten Auftritt wieder zur Hand nahm. Und das alles nur, weil ich enttäuscht worden war, als ich zum ersten Mal ernsthaft Interesse gezeigt hatte, etwas zu lernen. Was echt traurig war. Heute will ich andauernd etwas dazu lernen, doch diese erste schlechte Erfahrung hatte mich auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte blockiert. Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass ich trotzdem ein professioneller Musiker wurde, weil ich das schon vorher beschlossen hatte. Aber ich frage mich, wie vielen Kindern, die in all den Jahren dort hingegangen sind, man total die Freude genommen hat, überhaupt ein Instrument zu lernen.

Das ist ein großer Fehler, den wir aber auch heute noch machen. Sobald ein Kind Interesse an Musik bekundet – wodurch auch immer der Funke übergesprungen sein mag, egal ob durch Britney oder Beethoven – sagen Eltern oft: „Oh, bleib uns damit vom Leib.“ Denn sie können darin keinen direkten Nutzen erkennen. Sie sehen darin keinen Job, der ihnen in Aussicht gestellt wird. Wenn die Eltern sich nicht selbst für Musik oder Kunst interessieren, ermutigen die wenigsten ihre Kinder, überhaupt etwas über Musik erfahren zu wollen. Oder wenn sie es doch tun, dann wollen sie, dass die Sprösslinge „ernste“ Musik machen, was für ein neunjähriges Kind in gleicher Weise abturnend sein kann. Kinder kommen auf die Idee, ein Instrument zu lernen, weil sie denken, dass es unwahrscheinlich viel Spaß macht – was ja auch stimmt. Aber stattdessen müssen sie sehr schnell feststellen, dass sich damit Arbeit verbindet, so als bekäme man zusätzlich Hausaufgaben auf. Kein Wunder, dass so viele Kinder die Sache wieder an den Nagel hängen, noch bevor sie richtig begonnen hat. Bei Kindern, die Foxtrott mögen, ist das selbstverständlich was anderes.

Das andere Extrem ist, wenn Kinder gedrillt werden und man ihnen vermittelt, dass nur die kompliziertesten Sachen auch wirklich gut seien. Was ein anderes schwerwiegendes Missverständnis ist. Da ist zum Beispiel Charlotte – oder Charlie, wie ich sie nenne. Charlie ist Pianistin und hat eine klassische Musikerziehung genossen. Im Moment arbeiten wir auf lockerer Basis zusammen. Ihre Lehrerin, eine sehr gute Freundin von mir namens Mrs. Theobold, hatte sie während der Grundschulzeit und im Gymnasium musikalisch betreut, und vor kurzem kam sie darauf, dass es vielleicht ganz interessant wäre, mal zu sehen, was einer wie ich aus ihrer Schülerin machte.

Ich war glücklich und erklärte mich einverstanden. Und sobald Charlie anfing zu spielen, merkte ich natürlich, dass sie eine brillante Musikerin ist. Aber sie kam mit diesem schrecklichen, aufgeplusterten Stück an, das sie komponiert hatte, und ich musste ihr geradewegs sagen: „Sorry, meine Liebe, aber das ist Bullshit.“ Sie nahm es gelassen hin. Wenn du ein Künstler bist, egal was für einer, musst du immer darauf gefasst sein, dass du auch mal eine volle Breitseite Kritik abbekommst. Ich zähle schon gar nicht mehr, wie oft mir genau das von Kritikern und sogar von meiner eigenen Band vorgehalten wurde, wenn ich mal wieder ein neues Stück geschrieben hatte, von dem ich dachte, es sei großartig oder bedeutsam.

Im Fall von Charlie war das gar kein schlechtes oder gar uninteressantes Stück, das sie da komponiert hatte. Und sie hat es natürlich auch wunderschön vorgetragen. Aber es klang einfach nach etwas Einstudiertem, als versuchte sie, die Erwartungshaltung anderer zu erfüllen, und nicht nach etwas, das sie wirklich fühlte. Ich sagte zu ihr: „Was ich hören möchte, ist etwas, das mehr aus deinem eigenen Herzen kommt, das über dich etwas aussagt, darüber wer du bist – und nicht, was für eine gute Erziehung du am College genossen hat.“

Mrs. Theobold, die nicht so engstirnig ist wie die meisten anderen Leute, die klassisch geschult sind, stimmte mir zu, und später schickte sie mir Charlie noch einmal vorbei, damit sie bei mir Gitarre lernte – und jetzt spielt sie bereits besser als ich! Noch wichtiger aber ist, dass sie jetzt auch viel entspannter am Klavier sitzt und freier spielt. Sie kommt jetzt auch schon mal mit wirklich guten und bewegenden eigenen Stücken an. Wenn sie heute zu mir rüberkommt, bin ich immer schon total gespannt und kann es gar nicht abwarten, zu hören, was ihr wieder alles eingefallen ist.

Um auf meine eigenen ersten Ausflüge auf der Gitarre zurückzukommen: Ich beschritt einen völlig anderen Weg, indem ich niemals wirklich Unterricht nahm. Ich lernte einfach dadurch, dass ich die Songs von den paar Schallplatten, die wir zu Hause hatten, nachspielte, Zeug von Guy Mitchell, auf den meine Mutter total abfuhr, und von Connie Francis, für die ich schwärmte. Mir wird immer noch ganz weich in den Knien, wenn ich eine ihrer alten Platten höre, auf denen sie mit ihrer Stimme all diese herzzerreißenden Töne hervorbringt, die sich anhören, als würde sie weinen. Für mich war das alles einfach Popmusik, wie ich sie von den Everly Brothers kannte. Erst als ich Jahre später zum ersten Mal nach Amerika kam, merkte ich, dass das, was ich mir die ganze Zeit über angehört hatte, eigentlich Country Music war. Das hatte zur Folge, dass ich auch heute noch Country Music mag. Sie berührt mich einfach.

Mit zwölf hatte ich dann aber meine absolute Rock’n’Roll-Phase. Meine Lieblingsmusiker waren Little Richard, Jerry Lee Lewis, Gene Vincent und Eddie Cochran – all die alten amerikanischen Rock’n’Roller. Und dann gab es da noch Cliff Richard and the Shadows, die ich auch sehr mochte. Aber ganz vorne lagen bei mir immer die Everly Brothers. Als ich die entdeckt hatte, war das wirklich ein Wendepunkt für mich. Das ist der Grund, warum viele von den Sachen, die ich geschrieben habe, um drei oder vier simple Akkorde herum aufgebaut sind – und ich schreibe das in vollem Bewusstsein dessen, dass es für einige Leute nur neuer Stoff sein wird, um ihr Bild von Status Quo als „Three Chord Wonders“ zu untermauern. Doch wie ich den Leuten, die meistens selbst noch nie ein Instrument in der Hand hatten, aber trotzdem denken, dies sei ein guter Witz, stets zu erklären versuche: Gewisse Stücke aus der klassischen Musik, die jedem im Gedächtnis haften bleiben, sind vornehmlich auf drei Akkorden aufgebaut. Wird es etwa ein besserer Song, wenn ich einen Finger mehr bewege und noch einen Akkord hinzufüge, was mir ein Leichtes wäre?

Wie viele Akkorde haben die Beatles benutzt? Sie waren die innovativste Pop-Gruppe aller Zeiten und sie haben im Laufe der Zeit sicherlich mehr als drei Akkorde zum Einsatz gebracht. Doch sie konnten von „I Am The Walrus“ bis „Yellow Submarine“ alles machen und niemand zerriss sich das Maul. Egal welchen Wandel sie mit ihrer Musik durchlaufen haben, es war immer diese Einfachheit, die ihre Songs so erinnerungswürdig machte. Und das ist der Grund, warum so viele von uns diese Songs auch heute noch singen und spielen.

Das Bedauerliche ist, dass nach den Beatles jeder in eine Schublade gesteckt wurde – Rock-Band, Pop-Gruppe, Soul-Group oder was auch immer. Man konnte sich einfach nicht mehr vorstellen, dass Deep Purple „When I’m Sixty Four“ spielten oder die Bay City Rollers „Lucy In The Sky With Diamonds“. Obwohl die Beatles den Beweis geliefert hatten, dass man alles machen kann, solange es den Leuten gefällt. Denn am Ende geht es doch nur um Melodien – Songs, die ins Ohr gehen. Das, was den Milchmann am Morgen beim Milchausfahren vor sich hin pfeifen lässt. Wenn einem so etwas gelungen ist, dann hat man es geschafft. Aber ich muss Sie warnen: Es ist nicht so einfach, wie man denkt. In meinem Fall ist es so, dass ich zwar nicht so gut gewesen sein mag im Üben von Tonleitern und im Notenlesen, aber ich war großartig darin, einfach mit der Gitarre herumzusitzen und ihr Harmonien zu entlocken. Um wirklich gut zu sein, muss man sich der Sache voll widmen. Das war für mich offensichtlich. Doch um einfach mal einen Anfang zu machen, bedurfte es keiner großen Anstrengung. Ein paar Grundakkorde auf der Gitarre konnte man in einer einzigen Unterrichtsstunde lernen – und als ich erst einmal den Anfang hatte, kam für mich kein Ende mehr in Frage.

 

Als die Beatles ihren ersten großen Hit hatten, erinnerten sie mich an die Everlys, nur dass sie eine voll elektrische Band waren und ihr Sound deshalb noch gewaltiger und aufregender war. Als sie auf den Markt kamen, war damit der Beweis erbracht, dass eine britische Gruppe ebenso gut sein konnte wie eine aus den USA. Und dies bestärkte mich noch mehr darin, meine eigene Band zu gründen. Da ich aber damals keinen wirklichen Schimmer davon hatte, wie man so etwas anstellt, schloss ich mich erst einmal dem Schulorchester an.

Unglücklicherweise hatten sie da überhaupt keine Verwendung für einen Gitarristen und so fing ich an, Trompete zu spielen. Womit ich mich vom Rock’n’Roll natürlich so weit entfernte, wie es nicht mehr weiter ging. Allerdings muss ich dazu sagen: Ohne dieses Vorhaben, Trompete lernen zu wollen und ins Schulorchester zu gehen, hätte ich Alan Lancaster und Alan Key, die beiden Jungs, mit denen ich später meine allererste Band gründete, nie kennen gelernt. Dieser Schritt markierte sozusagen den Anfang der allerersten Status-Quo-Besetzung. Was nur zeigt, wie es nun mal kommen kann. Es gibt ein Sprichwort: Strebe nach der Sonne und du kannst dir sicher sein, du landest auf dem Mond. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wir spielten alle im Schulorchester, aber wir waren alle auch verrückt nach Rock’n’Roll, und darauf gründete unsere Freundschaft. Ich mochte Alan Lancaster, aber er war sehr dominant, sagte immer offen, was ihm passte und was nicht. Er betrachtete die Band immer als seine Band, und wir waren gezwungen, nach seiner Pfeife zu tanzen – um des lieben Friedens willen. Ein oder zwei Mal habe ich opponiert und gesagt: „Guck mal, du bist hier nicht der Anführer. Niemand ist das hier.“ Denn wir hatten schon ganz zu Anfang abgemacht, dass es keinen Bandleader geben sollte. Aber er kapierte das einfach nicht und wir keiften uns deshalb am Ende schrecklich an, wir trugen sogar richtiggehend Kämpfe aus. Ich wusste damals noch nicht, dass Alan Lancaster nie zurücksteckt, egal wobei. Er behauptete sich immer, so war er eben.

In Wahrheit war Alan Key der eigentliche Anstifter. Alles begann damit, dass er und Alan Lancaster neben dem Orchester noch ihre eigene kleine Gruppe zusammenstellten. Sie suchten nach einem dritten Mann, der sich ihnen anschloss, nach einem Typen, der spielen, aber auch singen konnte. Wodurch es mir gelang, mich ins Spiel zu bringen. Mal davon abgesehen, dass ich von jedem einzelnen Hit der Everly Brothers den Text auswendig kannte, hatte ich mich bis dahin nie als Sänger gesehen. Aber ich war geil darauf, in einer Band mitzumachen – egal in welcher, und so beschloss ich damals einfach: Ich bin Sänger. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich kein Frank Sinatra war. Aber da war auch weit und breit kein anderer, der die Rolle hätte übernehmen können, und so hatten sie keine andere Wahl, als mich zu nehmen. Aus dem reinen Nichts heraus war ich plötzlich Sänger in einer Band. Guck mal, Mama. Ich fahr’ freihändig!

Kenner von richtig schwerem Rock werden das Folgende vielleicht aus dem Gedächtnis streichen wollen, aber ganz am Anfang waren wir eigentlich eine Blaskapelle. Alan Key und ich spielten beide Trompete und Alan Lancaster Posaune. Gelegentlich setzte ich die Trompete kurz ab, gerade lange genug, um ein oder zwei Verse zu singen. Wir musizierten im Stil von Kenny Ball & his Jazzmen, die damals ständig im Fernsehen zu sehen waren. Das ging soweit, dass wir sie komplett kopierten, oder so gut wir es eben hinbekamen, sie und ihren großen Hit „When The Saints Go Marching In“.

Über Alan Lancasters Schlafzimmer sind wir allerdings nie hinausgekommen, und so wurde uns schon bald langweilig mit den verdammten „Saints“ und deren ollem „Marching in“. Wir wollten etwas anderes versuchen, eine andere Art von Songs, poppiger sollten sie sein und mehr in Richtung Rock’n’Roll gehen. Wir wussten natürlich, dass uns die Trompeten dabei herzlich wenig nutzten. Und so erwähnte ich, dass ich eine Gitarre besaß. Woraufhin Alan Lancaster sofort loszog, um sich auch eine zu besorgen. Er erstand einen hellgelben Höfner-Bass, der hübsch aussah, es sei denn, er schleppte ihn in einer durchsichtigen Polyäthylen-Tüte überall mit hin, weil er sich den Instrumentenkoffer dazu nicht mehr hatte leisten können. Währenddessen spielte Alan Keys Bruder in einer richtigen Band, in Rolf Harris’ Backing-Group, die The Diggeroos hieß. Alan hatte daher Zugriff auf die Fender Stratocaster seines Bruders – was für ein Dusel. Und da waren wir dann zum ersten Mal eine Rock’n’Roll-Gruppe und spielten all diese großartigen Gitarreneinlagen nach, die wir uns von den Shadows abguckten, Songs wie „F.B.I.“ und „Wonderful Land“.

Wir nannten uns The Scorpions, doch wir hatten eigentlich nie einen richtigen Auftritt. Wir kamen einfach ein paar Mal pro Woche zusammen und probten. Das ging ungefähr ein Jahr lang so, bis wir alle ungefähr 14 waren. Dann, gerade als wir dachten, wir seien jetzt soweit, dass man uns auf die Welt loslassen könnte, verkündete Alan Key, er wolle die Band verlassen. Er sehe ja, wie wir uns der Sache voll und ganz hingaben, um aus der Band echt etwas zu machen, meinte er, aber er für seinen Teil habe beschlossen, das hübsche Mädchen aus der Nachbarschaft zu heiraten, sobald es das Gesetz erlaube. Und daher sei es besser, wenn er jetzt ausstiege, bevor das mit der Musik wirklich ernst würde. Ein Mann seines Schlags hielt natürlich Wort, und sobald er 16 war, heiratete er seine Angebetete, Gott segne ihn. Ich habe später festgestellt, dass dies den meisten professionellen Musikern so ging – dass sie irgendwann vor der Wahl standen, das Mädchen ihrer Träume zu heiraten und sich häuslich niederzulassen oder sich voll und ganz in die Musik reinzuhängen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann einmal den Durchbruch schafften. Alan Key entschied sich für die eine Variante, und ich für die andere. Das Wunderbare daran ist: Es sieht so aus, als hätten wir beide die richtige Wahl getroffen. Ich höre gelegentlich von ihm, und er ist immer noch mit dem Mädchen seiner Träume zusammen und so glücklich, wie man nur sein kann. Und ich gehe davon aus, dass man das auch von mir sagen kann. Die meiste Zeit jedenfalls.

Als Alan Key damals wegging, war das ein Schlag für mich. Er war immer einer gewesen, zu dem ich aufgeschaut hatte – einfach ein super netter Typ. Mir war damals jeder willkommen, der freundlich und ruhig und nicht aggressiv war. Ich bin von so vielen Psychopathen umgeben aufgewachsen, dass es für mich die reinste Wohltat war, als ich Alan Key kennen lernte – für mich war er eine Oase in der Wüste. Die Schule, in die wir damals alle gingen, die Segdhill Gesamtschule in Beckenham, beheimatete Kids aus einigen der rauesten Gegenden von London. Das Höchste, wovon die Jungs dort träumten, war, wie man einem Lehrer einen derartigen Knockout verpassen konnte, dass er durchs Klassenzimmerfenster flog. Wer das schaffte, war der King. Jeder, der auch nur die geringsten Anstalten machte, etwas zu lernen, wurde sofort als Streber behandelt. Je wuchtiger und aggressiver man war, desto größere Chancen hatte man, in Ruhe gelassen zu werden.

Alan Lancaster war einer der taffesten Jungs. Er musste so sein, denn in Peckham, wo er aufwuchs, konnte man nur überleben, wenn man sehr taff war. Ich hatte Glück und bin zwischen Italienern aufgewachsen. Bevor ich ein Teenager war, kam ich quasi überhaupt nie raus – und was war das dann für ein Erwachen! Alan Lancaster, ein echter Rowdy, erschien mir wie aus dem Off: hart wie Kruppstahl. In all den Jahren, in denen ich ihn kannte, habe ich es niemals erlebt, dass er zu Boden ging. Und es hatte in all den Jahren einige Keilereien gegeben. Von Alan wollte keiner was. Keiner. Das war schon eine starke Leistung. Als die Zeit weiter voranschritt und wir alle älter wurden, fragte ich mich allmählich, wie viel von alledem eigentlich er selbst war und wie viel davon nur aufgesetzt, weil er glaubte, so sein zu müssen. Dieses permanent aggressive Gehabe schien irgendwann auch auf mich abzufärben, und nachdem das erst einmal passiert war, wurde es natürlich schwieriger, das alles noch so richtig ernst zu nehmen. Er behauptete immer von sich, ein Rudeltier zu sein. Ich bin auch ein Rudeltier, doch es bedeutet nicht, dass ich jemanden gleich k.o. schlagen muss, nur wenn es mal nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle.

Nachdem Alan Key den Abgang gemacht hatte, brach für die Band eine harte Zeit an. Nun hieß es wahrlich: Vogel friss oder stirb. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Sache jetzt einfach zu vergessen. Doch da war dann der Moment, wo Alan Lancasters Rowdy-Charakter positiv zum Tragen kam. Alan, der noch nie in seinem Leben einen Kampf aufgegeben hatte, trieb mich dazu an, nicht aufzugeben. Es gab auch schon einen Keyboarder, Jess Jaworski, ein Junge aus der Schule, der eigentlich Akkordeon spielte und den wir mehr oder weniger zwangen, dass er für uns Keyboard lernte. Und wir hatten schon einen Drummer. Er hieß Barry. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wo er herkam. Ich glaube, ich kannte auch nicht einmal seinen vollen Namen. Ich wusste nur, dass er Barry genannt wurde und dass er Schlagzeug spielte.

Wir probten auch nicht mehr in Alan Lancasters Schlafzimmer, sondern in der Lordship Lane in Dulwich, in einer alten Garage gleich um die Ecke vom Süd-Londoner Headquarter des Air Training Corps (ATC) – in der Gegend besser bekannt als Basisstation für Offiziersanwärter der Luftfahrt. Ich glaube, Barrys Vater hatte das irgendwie für uns arrangiert, was echt nett war von ihm. Leider erinnere ich mich auch daran, dass ich mich klammheimlich mit Barrys Freundin eingelassen habe, was wiederum weniger nett war – von mir. Aber ich konnte auch gar nicht viel dagegen machen. Sie war ein gestandenes Frauenzimmer und konnte ganz schön ungemütlich werden, wenn sie nicht bekam, was sie wollte. Ich war in Bezug auf Sex noch gänzlich unbedarft und als sie mir das erste Mal einen blasen wollte, hatte ich gar keine Ahnung, was sie da machte – und rannte weg, weil ich Schiss bekam. Ich dachte, sie wollte mir den Schwanz abbeißen.

Wie auch immer. Eines Tages probten wir jedenfalls in der Garage in der Lordship Lane, als wir plötzlich einen fürchterlichen Lärm von irgendwoher hörten und feststellten, dass da anscheinend noch eine andere Band war, die in der Nachbarschaft spielte. Wir zogen los, um der Sache auf den Grund zu gehen, und stellten fest, dass das Kadetten-Corps von nebenan seine eigene kleine Formation hatte, die sich sinnigerweise The Cadets nannte und im Nachbarraum probte. Darin, dass sie auch noch nicht so viele Auftritte gehabt hatten, glichen uns die Jungs aufs Haar. Aber anders als wir, spielten sie auch schon richtig gut. Insbesondere der Drummer. Als wir so dastanden und ihnen zusahen und zuhörten, merkten wir schnell, dass er derjenige war, der alles zusammenhielt und die Band antrieb. Schnell und gleichmäßig, ohne viel Kinkerlitzchen – das war es. Bis er uns dann seinerseits entdeckte. Da legte er auf einmal los und wollte zeigen, was er drauf hatte. Ich für meinen Teil war jedenfalls schwer beeindruckt. Obwohl er fast noch ein Kind war, spielte er fast schon wie ein Profi.

Nach ihrer Probe stellten wir uns vor. Der Schlagzeuger hieß John Coghlan. Sie waren alle richtige Offizierskadetten. John war damals voll drauf. Als er hörte, dass wir auch eine Band waren, fragte er, ob er mal zu uns rüberkommen könne, nur um zu gucken. Es endete damit, dass er sich mal kurz an unser Schlagzeug setzte – und das war unglaublich. Er war zweifellos der beste Drummer, mit dem wir je gespielt hatten. Nachdem Barry an jenem Abend nach Hause gegangen war, sprachen wir über das Ganze. Armer Barry, er tat mir Leid. Aber als Schlagzeuger spielte er einfach nicht in der gleichen Liga wie John. Und so verrissen wir uns das Maul hinter seinem Rücken, wie das Bands in so einer Situation eben tun – und boten John den Job an.

Wir gingen aber nicht direkt auf John zu, obwohl wir wirklich geneigt waren, das zu tun. Zunächst gaben wir uns recht cool und luden ihn einfach ein, mal zum Vorspielen zu uns rüberzukommen. Aber John war uns in Sachen Coolness noch um Einiges voraus. Und ich werde nie vergessen, wie er zum ersten Mal zu unserer Bandprobe auftauchte: Er fuhr in einem Wagen mit Chauffeur vor. Wie sich später herausstellte, war sein Dad ein total scharfsinniger Typ. Er hatte ihm einen Taxifahrer engagiert, um zu uns zu kommen. „Das macht was her, mein Sohn“, hatte er ihm gesagt – und das tat es wahrlich. Es machte verdammt Eindruck auf uns. Sogar sein Drum-Set war cool: ein Second-Hand-Schlagzeug der Marke Slingerland, das einst Louie Bellson, dem Drummer von Duke Ellington, gehört hatte und bei dem auf zwei der Bass-Becken immer noch dessen Initialen „LB“ blinkten. Wir spielten ungefähr zwei Songs, bevor wir die Katze aus dem Sack ließen und ihn baten, bei uns einzusteigen.

 

Als Mensch war John gar nicht mal so der Kracher. Wenn man überhaupt etwas über ihn sagen konnte, dann, dass er zuweilen recht still war. Er war so bodenständig, dass man manchmal schon meinen konnte, er befände sich bereits unter der Erde. Wie wir bald merken sollten, war John ein finsterer und bierernster Zeitgenosse, der sich nie dazu hinreißen ließ, über einen Witz zu lachen – es sei denn, er fand ihn wirklich witzig, was aber so gut wie nie vorkam. Er war ein Eigenbrötler, auch als Teenager. Aber er spielte phantastisch Schlagzeug und mit ihm in der Band hatten wir jetzt wirklich das Gefühl, dass es voranging. Wir hatten sogar einen großartigen neuen und der Stimmung angemessenen Namen für uns: The Spectres.

Unser erster Gig als The Spectres, den Alan Lancasters Vater Harry für uns arrangiert hatte, fand auf dem Samuel Jones Sports Ground statt. Das klingt vielleicht großartig, doch es war nur ein kleiner zugiger Verschlag am hinteren Ende eines alten lausigen Sportplatzes. Aber wir spielten dort ein paar Monate lang ziemlich regelmäßig und gewannen allmählich immer mehr Vertrauen in uns. Wir hatten nie sehr viele Zuschauer, aber alle Freunde und unsere Familien tauchten natürlich jedes Mal auf. Mein Vater fuhr uns immer und transportierte auf der Ladefläche seines Eiswagens unser gesamtes Equipment. Die Band durfte nie anfangen, solange ich nicht sicher war, dass wirklich alle da waren, insbesondere Alans Mutter May, die ich einfach wundervoll fand. Harry war auch ein toller Typ. Er hatte früher geboxt, dann aber die Boxhandschuhe wieder an den Nagel gehängt. Ich mochte sie einfach beide sehr. Sie waren immer so gut zu mir und behandelten mich, als gehörte ich zur Familie.

Am Anfang spielten wir fast nur Cover-Versionen, größtenteils Instrumentalstücke von den Shadows und den Tornados – im Grunde einfach das Zeug aus den Charts. Wir spielten gewöhnlich 20 Minuten, und schon waren wir wieder weg. Eines Abends kam ein Typ nach dem Auftritt zu uns auf die Bühne und meinte: „Ich würde euch gerne managen.“ „Wenn Sie das tun wollen“, erwiderten wir. Und so hatten wir auf einmal einen Manager. Sein Name war Pat Barlow. Er war Monteur von Beruf und rackerte so lange, bis er seine eigene kleine Firma hatte. Er war kein Millionär, aber er war auch nicht gerade arm, wie man so schön sagt, und er war verrückt danach, wie er es ausdrückte, „sich ins Geschäft mit dem Rock’n’Roll einzuklinken“. Keiner von uns hatte so etwas je gemacht, aber Pat gab uns mit seinem Geld die Chance dazu, und wir Grünschnäbel, die wir noch ganz am Anfang unserer Karriere standen, bedeuteten für ihn eine Chance. So lief das damals bei vielen Musikgruppen ab. Anfang der Sechziger steckte alles noch in den Kinderschuhen. Die Leute ergriffen jeden Strohhalm, der sich ihnen bot.

Was Pat an Erfahrung fehlte, machte er mehr als wett durch seine Beharrlichkeit. Und er hatte ein dickes Fell. Schon bald wurde er zu einem zweiten Vater für uns. Da er sich schon in seinem eigenen Geschäft bewährt hatte, war er natürlich sehr souverän am Telefon und als Verhandlungspartner. Er hatte ein Gespür dafür, wie er für uns das Letzte herausholen konnte. Auf diese Weise verschaffte er uns nach und nach die verschiedensten Gigs, für die wir gut bezahlt wurden, die aber nicht gerade um die Ecke lagen – wie etwa der Club El Partido in Catford. Sein größter Coup war, dass er für uns eine feste Auftrittsmöglichkeit für die Montagabende im Café des Artistes in Chelsea an Land zog. Wir waren erst 14, aber wir spielten bis zwei Uhr früh. Dann fuhr uns Pat nach Hause, wo wir uns ein paar Stunden Schlaf holten, bevor wir aufstanden, um in die Schule zu gehen.

Ein bisschen Geld kam rein. Nicht so viel, aber genug, um uns ein besseres Equipment leisten zu können. Ich erstand für mich eine halbakustische Guild-Gitarre, während Alan stolzer Besitzer eines knallig aussehenden Burns-Basses wurde. Und wir fingen an, echte Kleider-Freaks zu werden. Es war die Ära der Beat-Gruppen, und man musste sich auch als solche ausweisen, wie die Beatles. Und so trugen wir alle die gleichen blauen Anzüge. Wir ließen sie speziell für uns anfertigen, von einem Typen auf dem Lambeth Walk, der zwölf Pfund für so ein Teil verlangte. Nur für Alan nicht. Der ließ sich ein ganz besonderes Modell schneidern, für 25 Pfund.

Als wir erst einmal ein paar regelmäßige Gigs hatten und unser Look stimmte, stand als nächstes natürlich die Veröffentlichung einer Platte an. Wir hatten noch kein Demo-Tape aufgenommen und versuchten deshalb zuerst, Leute von den Plattenfirmen dazu zu bewegen, bei einem Auftritt vorbeizuschauen. Denkste! Es schien, als würden die Leute von den Plattenfirmen immer nur zu den Bands gehen, die schon einen Namen hatten oder irgendwie gerüchteweise im Gespräch waren. Um diese Hürde zu nehmen, kam Pat auf die Idee, uns als Vorgruppe der Hollies auftreten zu lassen, die damals ganz hoch im Kurs standen. Das Konzert fand in der Orpington Civic Hall in Kent statt, irgendwann Anfang 1965, und man nahm an, dass einige führende Persönlichkeiten aus dem Musik-Business im Publikum sein würden. Zumindest sagte man uns das so, kurz bevor wir auf die Bühne gingen. Grober Fehler! Unsere Nerven lagen blank vor Aufregung, sodass wir einen erbärmlichen Auftritt ablieferten, was uns damals nicht oft passierte. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass sich niemand die Mühe machte, uns am nächsten Tag zu kontaktieren. Oder am übernächsten.

Der große Durchbruch sollte aber kommen, als Pat uns für ein Vorspielen in Butlin’s Minehead in Somerset buchte – jenem Ort, in dem in vielerlei Hinsicht die Story von Status Quo begann. Ich dachte zuerst, wir hätten keine Chance da, denn damals waren alle Bands, die in Butlin’s Minehead spielten, bereits Größeres gewohnt. Aber wir waren damals gar nicht schlecht aufgestellt für einen Haufen Schulkinder – und sieh an, wir bekamen den Gig! Wir konnten es nicht fassen. Es war, als ob wir jetzt endlich eine richtige Band waren, so als hätten wir eine höhere Ebene erreicht. Was wir vermutlich auch hatten.

Jess sah es jedenfalls so und stieg sofort aus. Wie Alan Key damals. Er konnte spüren, wie entschlossen wir anderen waren, entschlossen, es zu schaffen. In Butlin’s Minehead zu spielen, bedeutete, für vier Monate von zu Hause weg zu sein – und dazu war er einfach nicht bereit. Er wollte in der Schule weiterkommen und später studieren, und so schlug er den ehrbaren Weg ein und zog sich von uns zurück. Wir wünschten ihm alles Gute und sahen uns schleunigst nach einem Ersatz für ihn um. Pat fand schließlich jemanden für uns, einen Typen namens Roy Lynes, den er mal in einem Pub hatte Orgel spielen sehen. Roy war Qualitätsprüfer für Autoteile von Beruf und sieben oder acht Jahre älter als wir. Eine riesige Zeitspanne, wenn du selbst gerade mal 15 bist. Aber er hatte sein eigenes Equipment, war sofort verfügbar und konnte spielen. Mit dem drohenden Aus im Hintergrund brauchten wir gar nicht mehr zu wissen. Roy war engagiert.

Weitere Bücher von diesem Autor