Facebook zur Telekollaboration im Kommunikativen Fremdsprachenunterricht

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1.4 Chancen und Herausforderungen von CMC für den Fremdsprachenunterricht

Wie bereits erwähnt, konzentrieren sich viele der frühen Studien auf einen Vergleich von sprachlichen Entwicklungen und Besonderheiten in elektronischen Diskussionen und vergleichen diese mit dem traditionellen mündlichen Unterrichtsdiskurs. Diese Studien stellen die Steigerung von authentischen Möglichkeiten zur Übung schriftlicher Sprachkompetenzen (DiMatteo, 1990; Kelm, 1996; Kern, 2000; Warschauer, 1997) durch CMC dar. Im Vergleich zum traditionellen Fremdsprachenunterricht erweitert der virtuelle Austausch mittels einer sozialen Interaktion mit Gleichaltrigen und Muttersprachler_innen außerhalb des Unterrichts die Diskursoptionen sowie die Rolle der Lernenden (Warschauer, 1996b) und gilt als lernerzentrierter Ansatz (Kelm, 1996). Zudem werden authentische Kommunikationsanlässe kreiert (Goertler, 2009), was zu einer verbesserten allgemeinen Sprachkompetenz führen kann (Belz, 2007b; Belz & Kinginger, 2003; Thorne, 2003). Weitere Vorteile von CMC liegen in hoher Lernmotivation (O’Dowd, 2006) und gesteigerter Interaktion (O’Dowd, 2007; Smith 2012; Thorne, 2006), gesteigertem Output (Beauvois, 1992; Chun, 1994; Smith, 2012), Möglichkeiten zur Reflexion von Sprache (O’Dowd, 2006) und gesteigerter Kontaktzeit mit der Zielsprache (O’Dowd, 2007). Untersuchungen zeigen, dass elektronische schriftliche Diskussionen zu einer erhöhten Sprachproduktion und beinahe ausschließlichem Gebrauch der Fremdsprache führen und dass der verwendete Sprachstil komplexer als in vergleichbaren mündlichen Diskussionen ist (Beauvois, 1998; Kern 1995; Warschauer, 1996b). Zudem kann synchrone CMC die Aufmerksamkeit der Lernenden für linguistische und grammatische Formen fördern und ihre Bereitschaft steigern, in der Fremdsprache sprachliche Risiken einzugehen (Smith, 2004, 2012). Auf der Grundlage der Interaktionshypothese argumentiert, bietet synchrone CMC die Möglichkeit der Wahrnehmung von sprachlichen Umformulierungen (recasts), von Bedeutungsaushandlungen und korrektivem Feedback (Salaberry, 2000; Smith, 2004, 2012). Verschiedene Studien, die Eye-Tracking Technologien nutzten, konnten zeigen, dass Lernende ungefähr 60 % der Umformulierungen in synchroner CMC bewusst wahrnehmen und lexikalische Umformulierungen einfacher wahrzunehmen, aufzunehmen und anschließend in schriftlichen Tests wiederzugeben sind als grammatische (Smith, 2010). Des Weiteren zeigen diese Untersuchungen, dass Lernende Umformulierungen aus unterschiedlichen linguistischen Kategorien zwar gleichermaßen ausgesetzt sind, das bedeutet, in der synchronen Kommunikation kommen sie zwar genauso häufig vor, aber semantische und syntaktische Aspekte werden eher wahrgenommen als morphologische (Smith, 2012). Diese Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Umformulierungen bieten Chancen für ein authentisches Lernen der Fremdsprache.

Jedoch bringt CMC im Fremdsprachenunterricht nicht nur Vorteile mit sich und auch die negativen Aspekte müssen bei einem Einsatz berücksichtigt werden. Obwohl Lernende in westlichen Ländern meistens guten Zugang zu internetfähigen Computern haben, fehlen oftmals die für Audio- und Videokommunikation notwendige Hardware wie Kameras, Mikrofone und Kopfhörer (Winke & Goertler, 2008). Darüber hinaus verfügen Lernende generell zwar über grundlegende Computerkenntnisse, die sie zur Nutzung des Internets und zum Verfassen von Text benötigen, jedoch können sie eher selten komplexere multimediale Vorgänge durchführen wie beispielsweise eine Webseite zu erstellen oder Videomaterial zu editieren (Goertler, Bollen & Gaff, 2012). Dies ist in der Auswahl der Kommunikationsformate zu berücksichtigen.

Viele Forschungsprojekte beziehen sich auf einzelne Formate oder Anwendungen wie E-Mail (Belz, 2005; Schenker, 2012a), Chat-Kommunikation (Kost, 2008; L. Lee, 2001, 2002; Marques-Schäfer, 2013; Tudini, 2007; Wilden, 2007) und den Einsatz von Blogs (Ducate & Lomicka, 2008; L. Lee, 2009), Podcasts (L. Lee, 2009) und Diskussionsforen (Schuetze, 2008; Poorman & Schenker, 2013).

In einem von der Forscherin zuvor durchgeführten Austauschprojekt, welches zwischen einer Universität in den USA und Deutschland stattfand, wurden mehrere Formate eingesetzt, um herauszufinden, welche von den Lernenden als besonders geeignet für eine Online-Kommunikation eingeschätzt werden. Die Studie zeigte, dass die Teilnehmenden generell die Verwendung aller Anwendungen (E-Mail, Text-Chat, Voice-Chat, Diskussionsforen und Videokonferenzen) positiv bewerteten, aber die Nutzung des Text-Chats als besonders geeignet für ihren Sprachlernprozess evaluierten (Schenker & Poorman, 2017).

Allgemein haben sich im Einsatz von CMC im Fremdsprachenunterricht zwei grobe Forschungsbereiche herauskristallisiert (Heim & Ritter, 2013): erstens die Auswirkung von computervermittelter Kommunikation auf interkulturelle Lernprozesse (Belz, 2005; Müller-Hartmann, 2000; O’Dowd, 2006, 2011; Schenker, 2012a, 2012b) und zweitens die Effekte, die CMC auf die Entwicklung von Sprachkompetenzen hat (O’Dowd & Ware, 2009; Payne & Whitney, 2002; Schenker, 2016), wobei viele der Forschungsarbeiten beide Aspekte einbeziehen und untersuchen.

Die Forschungsergebnisse für Untersuchungen zur Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenz zeigen, dass CMC auf besondere und direkte Art und Weise Möglichkeiten für interkulturelles Lernen ermöglicht (Heim & Ritter, 2013; Schenker, 2012a). Besonders im Bereich Telekollaboration sind hierzu viele Studien durchgeführt worden (Belz, 2005, 2007a; Belz & Thorne, 2006; Müller-Hartmann, 2000; Murphy et al., 2009; O’Dowd, 2006, 2011).

Der andere Forschungsbereich konzentriert sich auf die sprachlichen Auswirkungen einer Kommunikation durch CMC. Da sich die vorliegende Arbeit in den Forschungsstrang der sprachlichen Auswirkungen eingliedert, wird im Folgenden genauer auf diesen Aspekt eingegangen.

1.5 Sprachliche Auswirkungen von CMC

Die frühen Untersuchungen eines Einsatzes von CMC auf die sprachlichen Kompetenzen der Lernenden sind in den 90-er Jahren anzusiedeln. Zum Beispiel untersuchte Chun (1994) die Auswirkungen auf die Entwicklung von interaktiver Kompetenz und schlussfolgerte, dass Lernende im CMC-Setting öfter die Initiative ergriffen, als im traditionellen Unterrichtsdiskurs und diverse Kommunikationsstrategien verwendeten und dass CMC ihnen die Möglichkeit bot, ihre kommunikative Kompetenz auszubilden. Auch Beauvois (1997) verglich in ihrer Studie eine CMC-Gruppe mit Lernenden, deren Unterrichtsmethode der traditionelle Unterrichtsdiskurs gewesen war und analysierte die Auswirkungen auf deren Aussprache und syntaktische und lexikalische Richtigkeit im Mündlichen. Dabei konnte sie feststellen, dass die CMC-Gruppe sich im Vergleich zur anderen Gruppe signifikant verbessert hatte. Kern (1995) untersuchte die Zunahme von grammatischer Kompetenz in Online-Diskussionen und zeigte, dass die erhöhte Sprachproduktion durch CMC möglicherweise zu einer Verschlechterung der grammatischen Korrektheit führte. Dieser Annahme wurde durch andere Studien widersprochen (Pellettieri, 2000; Salaberry, 2000), in denen festgestellt wurde, dass Lernende in der computervermittelten Kommunikation Bedeutungen und grammatische Formen durchaus thematisierten und sich mit korrektivem Feedback beschäftigten. Diese Thematisierungen werden als Sprachbezogene Episoden (Language-Related Episodes) bezeichnet und können sowohl explizit als auch implizit auftreten (Heift & Vyatkina, 2017).

Die Mehrheit der Studien, die untersuchen, welche CMC-Formate und Aufgaben sich zur Förderung von Sprachbezogenen Episoden eignen, zeigen, dass vor allem unmoderierte Interaktionen eher wortschatzbezogene Episoden oder Umformulierungen triggern als grammatische (Heift & Vyatkina, 2017). Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass synchrone CMC bessere Effekte auf die Entwicklung der grammatischen Richtigkeit hat, als persönliches Feedback durch die Lehrkraft (Salaberry, 2000). Dies kann durch die aktive Teilnahme der Lehrperson an der Online-Diskussion sowie durch korrektives Feedback gesteigert werden (Ene, Goertler & McBride, 2005). Wenn Lernende und Lehrende explizit dazu aufgefordert werden, korrektives Feedback zu geben, ist der Anteil von wortschatzbezogenen und grammatischen Episoden eher ausgeglichen oder es überwiegen sogar die grammatischen Episoden (Bower & Kawaguchi, 2011; Smith, 2009; Ware & O’Dowd, 2008). Dabei deuten einige Studien darauf hin, dass sich asynchrone Formen mehr zur Förderung von grammatischen Episoden zu eignen scheinen als synchrone (Bower & Kawaguchi, 2011; Heift & Vyatkina, 2017).

Payne und Whitney (2002) untersuchten ob synchrone CMC positive Auswirkungen auf mündliche Sprachkompetenz hat, indem sie die Entwicklung kognitiver Mechanismen untersuchten, die auch konversationellem mündlichem Sprachgebrauch unterliegen. Sie analysierten dabei die Auswirkungen auf Verständlichkeit, Flüssigkeit, Wortschatzverwendung, Syntax und Grammatik sowie Aussprache. Die Ergebnisse zeigen, dass die Verwendung von synchroner CMC mündliche Sprachkompetenzen fördern kann. Auch für die Menge an Output bieten sich synchrone Kommunikationsformen mehr an als asynchrone oder persönliche Diskussionen (Abrams, 2003), jedoch konnte eine Studie von Abrams (2003) keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen für die Entwicklung von lexikalischer und syntaktischer Komplexität feststellen. Eine andere Studie hingegen zeigte, dass Lernende, die über synchrone CMC kommunizierten, sich signifikanter in grammatischer Richtigkeit verbesserten als Lernende, die sich über asynchrone Formen austauschten, aber dass die asynchrone Gruppe im Vergleich zur synchronen Gruppe einen größeren Zuwachs in syntaktischer Komplexität aufwies (Hirotani, 2009).

 

Diverse Meta-Studien der vergangenen Jahre haben die Ergebnisse der Untersuchungen von CMC auf das Fremdsprachenlernen zusammengefasst und vor unterschiedlichen Faktoren analysiert. Eine dieser Meta-Analysen analysierte zehn quasi-experimentelle oder experimentelle Studien über textbasierte synchrone CMC und zeigte einen kleinen Effekt von CMC im Vergleich zu persönlichen Unterrichtssettings (W.-C. Lin, Huang & Liou, 2013). In einer anderen Meta-Studie, die experimentelle oder quasi-experimentelle Untersuchungen der Auswirkungen von CMC auf das Fremdsprachenlernen darstellte, wurden die Ergebnisse von 59 Studien analysiert und diese Meta-Analyse zeigte einen mittleren Effekt von CMC im Vergleich zu persönlichen Settings, und einen kleinen Vorteil von asynchroner CMC über synchrone CMC und Settings, die asynchrone und synchrone Kommunikationsformen vereinbarten (H. Lin, 2014). Eine weitere Meta-Analyse verglich die Studien über synchrone CMC, die in der Interaktionshypothese verankert waren und konnte einen kleinen Vorteil von synchronen CMC-Settings feststellen (N. Ziegler, 2015). Zu einem anderen Ergebnis kam wiederum eine größere Meta-Studie, die unter anderem die Ergebnisse von 83 Untersuchungen im Bereich CMC zusammenfasste und auswertete und in der festgestellt wurde, dass die Vorteile von CMC im Vergleich zu persönlichen (face-to-face) Unterrichtskontexten auf die Förderung von fremdsprachlichen Kompetenzen nur sehr gering war und möglicherweise auch nur ein Teil der Lernenden im Fremdsprachenunterricht davon profitieren könnten (Plonsky & N. Ziegler, 2016). Das grundsätzliche Problem an den Ergebnissen der Meta-Studien ist, dass die unterschiedlichen Studien aus diversen Gründen, wie beispielsweise der verwendeten Faktoren, der Zielsprache, des Kontexts oder der Stichprobe, nur bedingt miteinander vergleichbar sind (Plonsky & N. Ziegler, 2016).

Zusammenfassend kann jedoch festgehalten werden, dass CMC positive Auswirkungen auf die Entwicklung sprachlicher Kompetenz haben kann, dass die Wirksamkeit jedoch stark von unterschiedlichen Faktoren abhängt (Heift & Vyatkina, 2017). Für alle CMC-Anwendungen gilt, dass die möglichen positiven Ergebnisse beim interkulturellen Lernen sowie der Förderung von Sprachkompetenzen nicht automatisch mit dem Einsatz von CMC einhergehen. Sie sind dabei auch durch die didaktische und methodische Planung im Vorfeld sowie die reflektierte Betreuung der Lehrkraft bei der Umsetzung bedingt. Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor sind die gewählten CMC-Aufgaben. Diese sind besonders motivierend für Lernende, wenn sie einen starken Lebensbezug haben, das heißt, wenn sie von sozialer oder professioneller Bedeutung für die Teilnehmenden sind (Warschauer, 1998).

Eine Möglichkeit, CMC-Aufgaben eine Bedeutung zu geben, ist, Lernende aus unterschiedlichen Kursen oder Institutionen mit dem gemeinsamen Ziel, eine Sprache zu lernen oder mehr über kulturelle Hintergründe zu erfahren, miteinander zu verbinden und die Kommunikationsanlässe somit so authentisch wie möglich zu gestalten. Die Umsetzung erfolgt in Virtuellen Austauschprojekten. O’Dowd (2007) definiert einen virtuellen Austausch als eine Aktivität, in der Lernende mit Austauschpartner_innen (anderer Kulturen) in kollaborativer Projektarbeit involviert werden und sich online durch Kommunikationswerkzeuge und Programme wie E-Mails, Videokonferenzen und Diskussionsforen oder, wie in der vorliegenden Arbeit, über Soziale Netzwerke austauschen. In der Fachliteratur gibt es für das Konzept virtueller Austauschprojekte eine Vielzahl von Begriffen, die teilweise synonym verwendet werden, auch wenn sie unterschiedliche Konnotationen haben. Eines dieser Konzepte geht auf die bereits beschriebenen frühen Anfänge des Einsatzes von CMC zurück und wird als Network-Based Language Teaching (Warschauer & Kern, 2000) bezeichnet. Dieser Begriff bezieht sich auf netzwerkbasierte Verbindungen von Computern und wird in den heutigen Studien kaum noch verwendet, da sich vorwiegend internet-basierte Konzepte durchgesetzt haben. Der Terminus Internet-Mediated Intercultural Second Language Education (IC2LE) wird benutzt, um den Gebrauch von CMC-Applikationen im Kontext des Fremdsprachenlernens und dem Austausch mit Lernenden anderer Kulturen zu betonen (Thorne & Black, 2007). Thorne (2006, S. 7-9) beschreibt Telekollaboration, Tandem-Lernen, die Verbindung von lokalen Experten und Expertinnen mit Lernenden und Internet Communities als vier unterschiedliche Modelle innerhalb von IC2LE-Konzepten. Telekollaboration hat sich als Begriff zur Beschreibung von virtuellen Austauschprojekten mit dem Gebrauch von CMC-Anwendungen – vor allem in der englischsprachigen Literatur – durchgesetzt (Schenker, 2012a). Allerdings werden in Deutschland auch Begriffe wie E-Tandems, e-pals, keypals und Internet-Mediated Communication häufig verwendet, um ähnliche Konzepte oder Projekte zu beschreiben. Jeder dieser Begriffe hat seine eigenen Eigenschaften und Implikationen und hängt von dem Kontext ab, in dem das Konzept eingebettet ist, sowie von der Methodik, die zum Einsatz kommt.

1.6 Telekollaborative Projekte

Für die vorliegende Untersuchung wird mit den Begriffen telekollaboratives Austauschprojekt und Telekollaboration gearbeitet, die in anderen Studien zum Einsatz von Web 2.0-Anwendungen auch Telekollaboration 2.0 genannt werden (Guth & Helm, 2010). Diese Form telekollaborativer Projekte hat sich durch das Aufkommen internet-basierter Kommunikationsformen und der daraus folgenden Weiterentwicklung von Telekollaboration im Fremdsprachenunterricht herausgebildet, deren Anfänge sich bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen lassen (Müller-Hartmann, 2007).

1.6.1 Überblick über die Entwicklung Telekollaborativer Projekte

Wie beschrieben, lässt sich das Konzept kollaborativer Austauschprojekte im Fremdsprachenunterricht bis in das frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgen. Damals waren es Freinet (1924) in Frankreich und Lodi (1960) in Italien, die die damals vorhandenen Technologien wie das Druckwesen nutzten, um Inhalte zu erstellen und sich mit anderen Klassen (per Post) auszutauschen (zitiert nach Cummins & Sayers, 1995). Im Jahr 1986 formten dann die Spanischlehrkräfte Solís in Connecticut und Gonsalves in Kalifornien zwischen ihren vierten Klassen eine Partnerschaft und nutzten die Computer im Klassenzimmer, um sich über E-Mail auszutauschen. Die Klassen kollaborierten bei der Erstellung von Zeitungen und tauschten per Post „kulturelle Päckchen“ aus, in denen auch kleine Videobotschaften verschickt und die von den Lernenden „Video-Briefe“ genannt wurden (Cummins & Sayers, 1995).

Kurz nach dem verbreiteten Aufkommen des Internets als Lernmedium in den frühen 1990er Jahren wurden virtuelle Austauschprojekte im Fremdsprachenunterricht vermehrt erprobt und erforscht (O’Dowd, 2011). In den USA berichtete Riel (1992) von einem Projekt, welches von einer amerikanischen Telekommunikationsfirma finanziert wurde und Klassen aus verschiedenen Ländern entsprechend der Klassenstufe und Lehrplanthemen in Gruppen (Learning Circles) einteilte und miteinander mit dem Ziel verband, gemeinsam an einer Aufgabe zu arbeiten und die Ergebnisse anschließend zu publizieren. Jedoch stellten sowohl die hohen Kosten für Hardware als auch die schlechten Internetanbindungen in Schulen und Hochschulen zu dieser Zeit ein großes Hindernis dar. Deswegen blieb der Einsatz von virtuellen Austauschprojekten bis zur Mitte der 1990er eher eine Seltenheit (O’Dowd, 2011).

Mit der Veröffentlichung Virtual Connections von Warschauer im Jahre 1995 wurde eine Sammlung von Praxisberichten zur virtuellen Vernetzung von Fremdsprachenlernenden veröffentlicht, die deutlich machte, dass sich diese Methode im innovativen kommunikativen Fremdsprachenunterricht langsam etablierte (O’Dowd, 2011). Seither wurden unterschiedliche Modelle virtueller Austauschprojekte unter Anwendungen diverser Aufgabenstellungen, der Nutzung verschiedener Kommunikationsformen sowie der Austausch zwischen verschiedenartigen Partner_innen realisiert und untersucht, was im Forschungskontext von CMC ein weiteres Forschungsfeld eröffnete. Jedoch ist diese Methode bis heute keineswegs fester Bestandteil von Fremdsprachenunterricht, und besonders im universitären Kontext sind virtuelle Austauschprojekte eher selten zu finden (O’Dowd, 2011).

1.6.2 Chancen und Herausforderungen Telekollaborativer Projekte

Telekollaborative Projekte werden oft auch als Virtuelle Austauschprojekte oder Telekollaboration (Belz, 2003; O’Dowd & Ritter, 2006), Internet-mediated Intercultural Foreign Language Education (Belz & Thorne, 2006) oder Online Intercultural Exchange (O'Dowd, 2007) bezeichnet. Aufgrund der vielen verschiedenen Formen, die Telekollaboration annehmen kann, schlägt Dooly (2017) vor, den Begriff zu nutzen, um sprachliche Austausche zu beschreiben, die in formellen Settings umgesetzt werden und diese außen vorlässt, die auf individueller Ebene in dafür designierten Plattformen wie beispielsweise auf Babbel stattfinden. Laut Cunningham (2016) lassen sich die unterschiedlichen Definitionen telekollaborativer Projekte auf die Gemeinsamkeit der Beteiligung von mindestens zwei geographisch voneinander getrennten Parteien zurückführen, die CMC zum Zweck der Förderung sprachlicher und interkultureller Kompetenzen nutzen.

Argumente für einen Austausch sind oftmals gleichzusetzen mit den Forschungserkenntnissen, die für den Einsatz von CMC sprechen – mit dem Unterschied, dass CMC vor allem in den frühen Einsatzszenarien oftmals kursintern eingesetzt wurde. Bei Telekollaborationen geht es jedoch vorwiegend um die Verbindung von Lernenden anderer Länder oder Kulturen und Muttersprachler_innen. Ein solcher Austausch bietet dem fremdsprachlichen Unterricht viele Vorteile: mehr Kontaktzeit mit der Zielsprache und Übungsmöglichkeiten (Kötter, 2003), erhöhte Lernerautonomie (Donaldson & Kötter, 1999), verstärkte soziale Interaktion mit anderen Lernenden und kognitive Entwicklung (Arnold & Ducate, 2006), gleichberechtigte Lernbeteiligung (Warschauer, 1996b) und Chancen für Bedeutungsaushandlungen (Bower & Kawaguchi, 2011; Kötter, 2003, Schenker, 2015). Der Austausch mit anderen Lernenden kann zu einer Wortschatzerweiterung (Kabata & Edasawa, 2011), verbessertem Leseverständnis, erhöhter pragmatischer Kompetenz (Belz, 2007b; Belz & Kinginger, 2003; Cunningham, 2014, 2016) und einer generellen Verbesserung des Sprachbewusstseins (Vinagre, 2007) führen.

Durch die Verbindung von Lernenden mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund, ist bei Studien über virtuelle Austauschprojekte die Förderung der interkulturellen Kompetenz und der interkulturellen kommunikativen Kompetenz (ICC) zu einem Schwerpunktthema geworden (Belz, 2007a; Müller-Hartmann, 2000; O’Dowd, 2003, 2011; Ware & Kramsch, 2005; Schenker, 2012a). Ein Konsens besteht darin, dass virtuelle Austauschprojekte bei durchdachter und konzeptionierter Durchführung durchaus zu einem Zuwachs interkultureller kommunikativer Kompetenz führen können.

Neben den zahlreichen Chancen, die telekollaborative Projekte für das Fremdsprachenlernen bietet, gibt es auch diverse Studien, die auf die Nachteile dieser Methode hinweisen. Im Bereich des interkulturellen Lernens wird darauf hingewiesen, dass Missverständnisse nur schlecht aufklärbar sind (Belz, 2001, 2003) und durch die Online-Kommunikation schwierige Themen oftmals besser vermieden werden können als in persönlichen Kommunikationssituationen (Ware, 2003). Hinzu kommen unterschiedliche Anforderungen der Institutionen oder Lehrkräfte an die Lernenden (Belz, 2001; Ware, 2005). O’Dowd und Ritter (2006) benennen vier Ebenen auf denen unterschiedliche Faktoren zu Problemen beitragen: (a) Auf der individuellen Ebene der Lernenden, (b) der unterrichtlichen, (c) institutionellen und (d) auf der Ebene der Interaktion. (a) Auf der individuellen Ebene spielen unterschiedliche Lernvoraussetzungen, unterschiedliche Einstellungen und Unterschiede in der Lernmotivation zwischen Partner_innen sowie unterschiedliche Lernziele zu Spannungen, die von den Lernenden als frustrierend wahrgenommen werden können (Ware, 2005) und zu einem Scheitern der Kommunikation führen können (O’Dowd & Ware, 2006). (b) Die unterrichtliche Ebene beschreibt potenzielle Schwierigkeiten zwischen den kollaborierenden Lehrkräften, den Aufgabenstellungen, der Zusammensetzung der Partner_innen sowie der Gruppendynamik. (c) Auf institutioneller Ebene können sich Unterschiede in Zeit- und Semesterplänen, Präsenzzeit, der Menge an Arbeit für die Lernenden sowie der Evaluation ihrer Leistung problematisch gestalten. (d) Auf der Ebene der Interaktion werden kulturelle Unterschiede in der Art und Weise der Kommunikation wie beispielsweise unterschiedliche Einstellungen zu non-verbaler Kommunikation, dem Gebrauch von Humor und Ironie, identifiziert (O’Dowd & Ritter, 2006). Weitere Herausforderungen liegen in den Unterschieden in der kommunikativen Kompetenz der Teilnehmenden, mangelnde Unterstützung der Institutionen für einen Austausch, mangelnde Zeit der Teilnehmenden zum Erfüllen der Aufgaben sowie unterschiedliche Ziele und Zugänge der beteiligten Lehrpersonen (Helm, 2015). Diese Herausforderungen sollten bedacht werden und können durch eine sorgfältige Planung und Umsetzung größtenteils vermieden werden.