Sprachenlernen und Kognition

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Aus der Reihe: Kompendium DaF/DaZ #1
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Eine weitere Technik zur Untersuchung, welche Regionen während der Verarbeitung spezieller Stimuli aktiv sind, ist die Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Im Gegensatz zur funktionellen Magnetresonanztomographie setzt die Positronen-Emissions-Tomographie die Injektion einer kleinen Menge Flüssigkeit mit einem radioaktiven Element in den Blutkreislauf voraus. Diese injizierte Substanz sammelt sich in den Gehirnregionen an, die abhängig von der in sie einfließenden Blutmenge sind. Dies wird wiederum von der Kamera aufgezeichnet. Leider dauert es ungefähr eine Minute, um den Anstieg des so genannten regionalen zerebralen Blutflusses (rCBF) zu messen. Während die räumliche Auflösung von funktioneller Magnetresonanztomographie und Positronen-Emissions-Tomographie relativ gut ist, ist die zeitliche Auflösung deutlich schlechter als bei der Elektroenzephalographie oder der Magnetenzephalographie. Außerdem ist sie aufgrund der invasiven Elemente umstritten.

Die funktionelle Magnetresonanztomographie und die Positronen-Emissions-Tomographie können insbesondere Fragen in Bezug auf Mehrsprachigkeit beantworten, beispielsweise ob die Sprachen einer multilingualen Person in denselben oder in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns repräsentiert sind. Wenn dieselben Bereiche im Gehirn aktiv sind, kann das auf die Aktivität derselben Mechanismen zurückgeführt werden. Wenn unterschiedliche Teile des Gehirns aktiv sind, kann das die Aktivierung unterschiedlicher Mechanismen wiederspiegeln.

Um solche Fragen zu untersuchen, vergleichen fMRI- und PET-Studien üblicherweise hämodynamische Reaktionen unter Versuchsbedingungen, die Kontrollbedingungen beinhalten. Die zwei Bedingungen werden so ausgewählt und konzipiert, dass sie bis auf einen kritischen Aspekt sehr ähnliche kognitive Prozesse erfordern. Es könnten zum Beispiel Probanden und Probandinnen gebeten werden, lautlos Bilder zu benennen, woraufhin die aktiven Regionen mit der Gehirnaktivität während einer Ruhephase verglichen werden können. Das fMRI-Signal würde alle fünf Sekunden aufgezeichnet, während die Probanden und Probandinnen 30 Sekunden lang Bilder benennen und danach 30 Sekunden pausieren. Die Regionen, die aufgrund des Blutflusses nur während jener 30 Sekunden aufleuchten, in denen die Personen Bilder benennen (und nicht während der Ruhephasen), könnten die Areale sein, die für das visuelle Erfassen von Bildern, das Abrufen der entsprechenden Bezeichnung aus dem Lexikon und das nachfolgende lautlose Benennen der Bilder auf Basis der korrekten Bezeichnungen verantwortlich sind.

Die meisten Forscherinnen und Forscher würden sich bei der Lokalisierung der Regionen für die funktionelle Magnetresonanztomographie entscheiden, weil die Methode nicht invasiv ist und nicht voraussetzt, dass den Versuchsteilnehmern und Versuchsteilnehmerinnen eine radioaktive Substanz gespritzt wird. Außerdem ist sowohl die räumliche als auch zeitliche Auflösung von fMRI-Scans (einige wenige Sekunden) besser als die räumliche Auflösung von PET-Scans. Wenn man allerdings den zeitlichen Verlauf der Verarbeitung der (Zweit)Sprache untersuchen möchte, eignet sich dafür ein Elektroenzephalograph oder Magnetenzephalograph besser, da diese über eine zeitliche Auflösung im Millisekunden-Bereich verfügen.

Wie wir bereits in der Einheit 1.2 erläutert haben, weisen die meisten funktionellen Neuroimaging-Studien bis heute darauf hin, dass die unterschiedlichen Sprachen bei einer mehrsprachigen Person nicht in verschiedenen Regionen des Gehirns verortet sind, sondern dass die Aktivierungsmuster einander überlappen (vergleiche zum Beispiel Vingerhoets, Van Borsel, Tesink, Van den Noort, Deblaere, Seurinck, Vandemaele & Achten 2003). In den meisten Studien wird vermutet, dass das Aktivierungsmuster bei der Verarbeitung der weniger gut beherrschten oder später erlernten Sprache diffuser ist als bei der Muttersprache. In Studien zur Kontrolle der L2-Kompetenzstufe ist es nicht gelungen, Unterschiede aufzuzeigen, die die Aktivierungsmuster beider Sprachen von frühen und späten Zweitsprachenlernern bei semantischen Aufgaben, wie beispielsweise das Anhören von Geschichten (vergleiche Perani, Paulesu, Galles, Dupoux, Dehaene, Bettinardi, Cappa, Ferruccio & Mehler 1998), betreffen. Im Gegensatz dazu scheint das Alter des Spracherwerbs sogar bei L2-Lernern mit hoher Kompetenzstufe Einfluss auf die grammatische Verarbeitung zu nehmen (Wartenburger, Heekeren, Abutalebi, Cappa, Villringer & Perani 2003).

Deshalb wird davon ausgegangen, dass das Alter des Spracherwerbs die grammatikalischen Repräsentationen beeinflusst. Die Kompetenzstufe in der L2 ist demnach ein aussagekräftigerer Bestimmungsfaktor für die Organisierung der Sprachen einer multilingualen Person in Bezug auf die semantische Verarbeitung (Abutalebi 2008).

Verfahren zur Stimulation des Gehirns

Einige mehr oder weniger invasive bildgebende Verfahren werden ebenfalls manchmal verwendet. Eines davon ist die elektrische Stimulation des Gehirns (EBS). Sie wird üblicherweise in Vorbereitung auf die Entfernung eines Gehirntumors angewandt oder um zu prüfen, welche Teile des Gehirns mit verschiedenen kognitiven Fähigkeiten in Verbindung gebracht werden können. Einige Studien, in denen die elektrische Stimulation des Gehirns verwendet wird, unterstützen die oben erwähnten Erkenntnisse nicht, dass Bereiche des Gehirns für unterschiedliche Sprachen einander überlappen. Die Prozedur bei Verfahren, die die elektrische Stimulation des Gehirns nutzen, sieht ungefähr so aus: Zuerst werden die für Sprache verantwortlichen Bereiche mittels bildgebende Verfahren aufgespürt. Danach wird die Schädeldecke entfernt und Elektroden werden auf Teilen des Cortexes platziert, woraufhin kleine Mikrovolt-Stromstöße zur Stimulation des Gehirns ausgelöst werden. Der Patient beziehungsweise die Patientin befindet sich während dieser Phase im Wachzustand (im Gehirn befinden sich keine Schmerzrezeptoren) und muss verschiedene Aufgaben erfüllen. Dazu gehören auch Aufgaben zur Sprachverarbeitung. Wenn die Sprachverarbeitung unterbrochen wird, während ein bestimmter Bereich im Gehirn stimuliert wird, geht man davon aus, dass dieser Teil des Gehirns eine zentrale Rolle für die Sprachverarbeitung einnimmt und deshalb nicht ohne Schaden entfernt werden kann.

Lucas, McKhann & Ojeman (2004) haben im gesamten kortikalen Bereich keine Unterschiede zwischen der L1 und der L2 gefunden; sie erläutern, dass eine zweite Sprache keine größere kortikale Darstellung voraussetzt. Sie weisen ebenfalls sowohl sprachspezifische Bereiche als auch geteilte Bereiche im Gehirn nach. Es gibt also Unterschiede zwischen den Ergebnissen der kortikalen Gehirnstimulation und den Ergebnissen aus den bildgebenden Verfahren – und das ist problematisch. Es scheint keine Grundlage dafür zu geben, der einen oder der anderen Technik den Vorzug zu geben, obwohl Lucas, McKhann & Ojemann (2004) behaupten: »(our) results underscore the fact that fMR imaging can be used to visualize areas in the cortex involved in language processing but not necessarily those areas essential for it« (Lucas et al. 2004: 455). Es sollte erwähnt werden, dass sich all diese Studien nur mit zwei Sprachen befassen und dass aus den Berichten nicht ersichtlich wird, ob die getesteten Patienten und Patientinnen nicht noch weitere Sprachen beherrschten. Bello, Acerbi, Giussani, Baratta, Taccone, Songa, Fava, Stocchetti, Papagno & Gaini (2006) legen Daten über mehrsprachige Patienten und Patientinnen vor und sie kommen direkt zu der Schlussfolgerung: »Sites for each language were distinct and separate« (Bello et al. 2006: 125), was wiederum in absolutem Widerspruch zu den Daten aus bildgebenden Verfahren steht.

Ein Problem bei den Studien, die die elektrische Stimulation des Gehirns nutzen, ist, dass sie üblicherweise an Patienten und Patientinnen durchgeführt werden, die schwerwiegende epileptische Anfälle erlitten haben. Diese können Auswirkungen auf die Architektur und die Verarbeitungsmechanismen ihres Gehirns gehabt haben. Dieses Problem könnte durch die Verwendung einer ähnlichen, aber nicht-invasiven Technik namens transkranielle Magnetstimulation (TMS) gelöst werden. Obwohl dabei keine Flüssigkeit injiziert werden muss, kann es für die Teilnehmenden durchaus beängstigend sein, sich dieser Prozedur zu unterziehen, denn bei diesem Verfahren werden Gehirnläsionen imitiert. Ein ziemlich starker elektrischer Strom wird unter Verwendung eines Gerätes erzeugt, das an eine bestimmte Stelle am Kopf des Probanden oder der Probandin gehalten wird. Der Strom erzeugt ein magnetisches Feld, das die darunterliegenden Neuronen von ihrer Tätigkeit abhält. Genauso wie bei EBS ist die Funktion, für die dieser Teil des Gehirns normalerweise zuständig ist, für den Probanden oder die Probandin nicht verfügbar. Diese Technik wurde noch nicht oft dafür verwendet, zweisprachige oder mehrsprachige Sprachverarbeitung zu untersuchen, aber sie könnte dafür eingesetzt werden, die möglichen Unterschiede zwischen den Regionen zu untersuchen, die in Zusammenhang mit der Verarbeitung verschiedener Sprachen bei einer multilingualen Person stehen.

1.3.3 Fazit

Die meisten Studien, die bildgebende Verfahren verwenden, weisen darauf hin, dass sich die Unterschiede zwischen der Verarbeitung und der Aktivierung von Regionen bei den Sprachen eines mehrsprachigen Menschen verringern. Die Ergebnisse von Neuroimaging-Studien sollten jedoch mit Vorsicht interpretiert werden. Wie in einer ausführlichen Rezension von de Groot (2011) erwähnt wird, muss der Beantwortung dieser Frage mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden: Was sorgt dafür, dass eine Region im Gehirn in bestimmten Situationen aktiviert wird? Eine geringere Aktivierung muss nicht notwendigerweise auf weniger Mitwirkung hindeuten, sondern könnte auch ein Indikator dafür sein, dass die Aufgabe in diesem Areal effektiver verarbeitet wird. Ungeachtet dessen haben die Neuroimaging-Studien wesentlich zu unserem aktuellen Wissen und Verständnis des (mehrsprachigen) Gehirns beigetragen.

 

1.3.4 Zusammenfassung

 Bildgebende Verfahren werden vermehrt dafür genutzt, die Sprachverarbeitung und die Sprachenaktivierung bei zwei- und mehrsprachigen Personen zu untersuchen.

 Wenn der zeitliche Verlauf der Sprachverarbeitung untersucht werden soll, kann das Verfahren zu ereigniskorrelierten Hirnpotentialen dafür verwendet werden, Gehirnaktivitäten auf die Millisekunde genau zu visualisieren.

 Wenn eine Forschungsfrage sowohl eine hohe zeitliche Auflösung voraussetzt als auch eine relativ hohe räumliche Auflösung, kann das magnetische Gegenstück der Verfahren zu ereigniskorrelierten Hirnpotentialen herangezogen werden: die Magnetoenzephalographie.

 Bei Studien, die sich mit den in der Sprachverarbeitung involvierten Gebieten beschäftigen, kann die Positronen-Emissions-Tomographie genutzt werden, bei der der Sauerstoff im Gehirn lokalisiert wird – oder alternativ die transkranielle Magnetstimulation, um Gehirnläsionen zu imitieren.

 Ein nichtinvasives Verfahren, das eine sogar noch genauere räumliche Ortung der Quelle ermöglicht, ist die funktionelle Magnetresonanztomographie. Dieses Verfahren wird am häufigsten dafür genutzt, aktive Areale im Gehirn bei den Sprachen von multilingualen Personen zu vergleichen.

1.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle

1 Welche zwei Hauptarten der strukturellen Bildgebung gibt es? Erklären Sie, wie sie funktionieren.

2 Wozu wird die strukturelle Bildgebung in der Sprachforschung verwendet?

3 Welche Vorteile hat die Mehrsprachigkeit für das Gehirn?

4 Was ist die funktionelle Bildgebung? Welche Unterschiede gibt es zwischen ihren Verfahren?

5 Wie wird die elektrische Stimulation des Gehirns durchgeführt und welche Erkenntnisse werden dadurch gewonnen?

2. Konzepte, Bilder und Bildschemata

Beim Sprechen bedienen wir uns oft körperlicher Erfahrungen, die wir aus unserem täglichen Umgang mit der Umwelt kennen, um abstrakte Konzepte auszudrücken. Das ist zum Beispiel der Fall bei metaphorischen Ausdrücken wie zwischen zwei Stühlen sitzen oder jemandem unter die Arme greifen. Dass aber solche körperlichen Erfahrungen ebenfalls die Grundlage für viele Bereiche der Grammatik bilden, fällt uns beim Sprechen nicht immer auf. In der Tat lassen sich viele Bereiche der Sprache im Kontext der kognitiven Linguistik anhand von Prinzipien der Perzeption sowie Prozessen des bildlichen Denkens beschreiben. So nutzen wir zum Beispiel bei Ausdrücken wie wir haben den Termin vorverlegt oder nach hinten verschoben räumliche Konzepte wie VOR und HINTEN, um uns auf das abstrakte Konzept der Zeit zu beziehen. Auch andere Grammatikbereiche wie die Modalverben lassen sich durch die körperlichen Erfahrungen der Kraft und der Dynamik beschreiben: Das Modalverb müssen im Satz jeder muss die Steuern zahlen kann beispielsweise als eine Art Druck verstanden werden, der uns zu einer (fiktiven) Fortbewegung zwingt. Mit diesen Beispielen wird sofort klar, dass die Sprache und das bildliche Denken sehr eng miteinander verbunden sind. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns daher mit der Frage, wie sich die Sprache anhand solcher bildhaften Konzepte beschreiben lässt und wie diese qualitativ andere Wege für die Sprachvermittlung eröffnen.

2.1 Bildschemata und Metaphorisierung

Im Fremdsprachenunterricht wird oft versucht, undurchsichtige Bereiche der Sprache anhand von bildhaften Darstellungen anschaulicher zu machen. Zu diesem Zweck werden zum Beispiel fliegende Satzteile zur Darstellung der Endverbstellung und farbliche Markierungen zur Unterscheidung der Kasusendungen eingesetzt. Obwohl sich viele Lehrkräfte einen Mehrwert davon versprechen, führen diese methodischen Unterrichtsmaßnahmen in den meisten Fällen lediglich zu einer leichteren Verdauung von Regelhaftigkeiten der Sprache, ihre Beliebigkeit und fehlende Kohärenz kann jedoch den Lernern nicht verborgen bleiben. In dieser Einheit soll daher der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich die Sprache anhand von bildhaften Darstellungen beschreiben lässt. Zu diesem Zweck werden wir uns zunächst ansehen, in welcher Form sich die Nutzung bildhafter Konzepte in der Sprache manifestiert. Danach wird auf die Nutzung körperlicher Erfahrungen in der Metaphorisierung näher eingegangen. Schließlich werden wir uns mit Aspekten der Verarbeitung von Metaphern beschäftigen und daraus einige Konsequenzen für die Vermittlung einer metaphorischen Kompetenz im Unterrichtskontext formulieren.

Lernziele

In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

 die Rolle der Bildhaftigkeit in der Sprache beschreiben können;

 die verschiedenen Arten von Metaphern erläutern können;

 den Verarbeitungsprozess von Metaphern und die mitwirkenden Faktoren erklären können;

die Wichtigkeit der Metaphern im Fremdsprachenerwerb und Förderungsmöglichkeiten begründen können.

2.1.1 Bilder in der Sprache

Im ersten Kapitel haben Sie die wichtigsten Postulate der kognitiven Linguistik kennen gelernt. Unter anderem geht die kognitive Linguistik davon aus, dass Sprache mit der allgemeinen menschlichen Kognition eng verbunden ist (vergleiche Evans & Green 2006: 193). Das bedeutet also, dass sich viele Aspekte der Sprache und Grammatik anhand von Organisationsprinzipien der allgemeinen Perzeption sowie körperlicher Erfahrungen erklären lassen. So werden meteorologische Phänomene wie der Regen oder die Sonne im Deutschen vorwiegend als Behälter konzeptualisiert (im Regen, in der Sonne etc.), während sie in anderen Sprachen wie dem Spanischen oder Französischen als Entitäten über uns beschrieben werden (bajo el sol/bajo la lluvia; sous le soleil/sous la pluie). Andere Sprachen wie das Russische kombinieren sogar mehrere körperliche Erfahrungen zur Beschreibung desselben Phänomens: Neben der Konzeptualisierung der Sonne als Behälter können sich Sprecher des Russischen auch dafür entscheiden, die besonnte Oberfläche auf dem Boden zu profilieren (Russ. Я стою на солнце; Dt. ich stehe auf der Sonne). Es wird aber noch spannender, wenn Sie sich anschauen, wie systematisch bestimmte abstrakte Bereiche der Sprache von körperlichen Erfahrungen geprägt sind. So nutzen viele Ausdrücke beispielsweise die Vertikalität (OBEN, UNTEN), um Machverhältnisse zwischen Entitäten oder Personen zu beschreiben: Man steht unter Druck, leidet unter bestimmten Bedingungen oder steht unter Kontrolle, wenn man einer mächtigeren Person oder Entität ausgesetzt ist. Im Gegensatz dazu können die Personen oder Entitäten, die in einer mächtigeren Position sind oder sich einfach anderen gegenüber durchsetzen können, andere Personen oder Entitäten überwachen oder Schwierigkeiten überwinden. Andere Bereiche der Sprache wie die idiomatischen Redewendungen nutzen bildhafte Vorstellungen auf eine sehr offensichtliche Weise, wie zum Beispiel in den Sätzen: Der griechische Minister nimmt kein Blatt vor den Mund oder Die Parksituation in der Stadtmitte von München ist zum Mäuse melken. Jeder von uns erkennt sofort, dass die Ausdrücke im übertragenen Sinne zu verstehen sind, auch wenn wir uns dessen beim Sprechen oft nicht immer bewusst sind.

Solche körperlichen Erfahrungen und mentalen Bilder werden zwar in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich verwendet, allen Sprachen ist jedoch der Prozess der Metaphorisierung gemeinsam, nach dem ein bestimmter konzeptueller Inhalt von einer Quellendomäne auf eine Zieldomäne übertragen wird (Lakoff & Johnson 1980; Roche & Roussy-Parent 2006). Oft sind die Quellendomänen konkrete Konzepte, wie zum Beispiel Druck, Kraft, Vertikalität etc., und die Zieldomänen abstrakte Konzepte, wie zum Beispiel die Teilnahme an einer Diskussion oder der Stresszustand wegen der vielen Abgabetermine. Die Projektionsrichtung wird als unidirektional von der Quellendomäne auf die Zieldomäne ausgerichtet verstanden, da die Quellendomäne stärker an die physikalische Erfahrung gebunden ist. Bei Metaphern handelt es sich nach Grady (2007: 188) nicht um rein linguistische Konventionen, sondern um konzeptuelle Assoziationen. Daraus lässt sich schließen, dass jeder Sprecher durch entsprechende konzeptuelle Prozesse neue Metaphern schaffen und bereits vorhandene weiter entwickeln kann. Von einem solchen kreativen Umgang mit Metaphern in der Fremdsprache zeugt der folgende Auszug eines Gesprächs zwischen verschiedenen Lernern des Englischen als Fremdsprache über ihre bisherigen Lernerfahrungen. Dabei wird die Metapher SPRACHENLERNEN IST EINTAUCHEN INS WASSER zugrunde gelegt und weiter elaboriert (Littlemore & Low 2006a: 279):


S1It is best for the students to be showered in a lot of English.
S2But we don’t want to throw them in the water.
S1We are not throwing them in the water, they are just in the shower.
S2We need to get them used to the water before swimming.
S1But grammar teaching is like sitting on the tatami mat, and not getting in the water.
S3And there is few [sic] water in Japan, this is why the classroom atmosphere is more important.

Metaphern sind also dynamisch und produktiv, und können sich in allerlei Kontexten als ein wichtiges Mittel zum Ausdruck komplexer abstrakter Sachverhalte erweisen. Da aber beim Verstehen solcher metaphorischen Elaborationen auch der soziokulturelle und der pragmatische Kontext eine wichtige Rolle spielen, kann ihre erfolgreiche Erschließung nicht alleine durch konzeptuelle Prozesse sichergestellt werden (vergleiche De Cock & Suñer im Druck; Kövecses 2015: 15; vergleiche auch Yu 2008). Vielmehr situieren sich unbekannte Metaphern auf einem Kontinuum, das einerseits aus universellen körperlichen Erfahrungen und andererseits aus kontextbedingter Variation besteht (vergleiche Kövecses 2015: 14; vergleiche auch Kövecses 2010). Für eine erfolgreiche Erschließung sollte also der konzeptuelle Inhalt der Metapher mit beiden Polen vereinbar sein. Wie die konzeptuellen Metaphern aber genau entstehen, soll im nächsten Abschnitt behandelt werden.