Trans. Frau. Sein.

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Warum ich „Feindlichkeit“ und nicht „Phobie“ schreibe?

Leider werden Diskriminierung und Hass immer noch vorrangig als „Phobie“ benannt. So zum Beispiel als „Homophobie“, „Transphobie“ oder auch „Islamophobie“. Auch wenn dies vorwiegend nicht beabsichtigt ist, wird hierbei Diskriminierung mit einer Angst verknüpft und dadurch teilweise entschuldigt. Ich lehne diese Verknüpfung, ja auch die unbeabsichtigte, ab. Diskriminierende Einstellungen und Taten geschehen nicht aus „Furcht und Angst“, sondern aus Hass und aufgrund von bestehenden, schädigenden Normen.

Was bitte sind Cissexismus, Transfeindlichkeit und Transmisogynie?

Transfeindlichkeit bezeichnet zunächst einmal die vielschichtigen Formen des Ausschlusses von trans Personen, der Gewalt ihnen gegenüber und auch ihre Einstufung als Fehler oder Abweichung. Vielschichtig auch deshalb, weil sich diese Feindlichkeit auf unterschiedlichste Weisen in sprachlicher und physischer Gewalt zeigen kann. Auch wenn eine Differenzierung zur Analyse unbedingt erforderlich ist, darf keineswegs in „harmlos“ oder „weniger diskriminierend“ unterteilt werden. Transfeindlichkeit umfasst somit alle Begebenheiten, in den trans Personen Ausschluss und Gewalt erfahren. Zur genaueren Bestimmung und Definition dient der Begriff Cissexismus. Dieser kehrt die Problematik um und zeigt, wo die Diskriminierung ihren Ursprung hat. Sie nimmt somit die Verantwortung von trans Personen weg und weist diese cis Personen zu. Daher wäre auch der Begriff der Cisnormativität oder geschlechtlicher Biologismus denkbar. Cisnormativität, ähnlich der Heteronormativität, geht davon aus, dass alle Personen cis seien. Selbst wenn dem Großteil der Bevölkerung nicht einmal die Bedeutung dieses Begriffes geläufig ist. Daraus ergibt sich ein Othering-Prozess, der trans Personen als Abweichung vom gesetzten Normalzustand definiert. Sie gelten hiernach als eine Art Ausnahme oder gar Fehler. Das Wort Cissexismus ist natürlich angelehnt an den Begriff Sexismus. Sexismus beruft sich auf die fälschliche Herleitung von bestimmten Charaktereigenschaften, Interessen, Fähigkeiten etc. aufgrund des Geschlechts. Cissexismus greift grundlegender und leitet aus Organen, Hormonen und Chromosomen bestimmte Geschlechter ab. Im Einzelfall kann diese Zuweisung auch noch detaillierter erfolgen, ich werde später darauf eingehen. Der Kern des Cissexismus ist somit die Herleitung eines bestimmten Geschlechts, indem dieses einem Körper aufgrund vermeintlicher Eindeutigkeit zugewiesen wird. Hieraus werden dann Einschlüsse und Ausschlüsse formuliert, die einer geschlechtlichen Selbstbestimmung von Menschen zuwiderlaufen. Anders ausgedrückt wird ein Körper betrachtet und ihm aufgrund von Cissexismus ein bestimmtes Geschlecht zugewiesen. Umgekehrt wird das Vorhandensein oder nicht Vorhandensein bestimmter Organe mit einem Geschlecht verknüpft. So gilt die universelle, jedoch cissexistische Annahme, dass eine Person mit Vulvina eine Frau zu sein hat und eine Person mit Penis ein Mann sein müsse. Ich kann dir im Namen von trans Personen garantieren, dass dies nicht der Fall ist und du unabhängig vom Status von Reproduktions- und/oder Ausscheidungsorganen, oder salopp ausgedrückt „Intimbausätzen“, dein selbstbestimmtes Geschlecht innehaben kannst. Dass weiterführende Faktoren wie geschlechtliche Vorstellungen, Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und rechtliche Aspekte existieren, steht auf einem anderen Blatt.

Echt!

Wozu ist nun noch der Begriff der Transmisogynie erforderlich, wenn doch mit den vorangegangen prinzipiell alles geklärt ist? Transmisogynie soll auf die spezielle Form von Feindlichkeit gegenüber trans Weiblichkeiten, trans Frauen, Femmes, enby Personen aufmerksam machen (vgl. Serano 2007: 14; 140). Er soll die Verwobenheiten (Intersektionen) von Transfeindlichkeit und Misogynie aufzeigen. Die Geschichte der Transfeindlichkeit zeigt, dass sich Hass und Verachtung vorwiegend gegen trans weibliche Menschen entlädt. Der Kern ist somit die Ablehnung, Abwertung und der Hass auf Femininität beziehungsweise Weiblichkeit, wie auch immer sich diese äußert. Dieser Zustand und die Tatsache, als z.B. trans Frau nicht heute mal Sexismus und morgen mal Transfeindlichkeit zu erleben, macht eine besondere Benennung erforderlich. Es soll hiermit ebenso auf speziellere Ausschlüsse verwiesen werden, die trans weibliche Personen treffen, wohingegen trans männliche Personen mitunter unbeachtet bleiben. Beispielweise werden trans Frauen oftmals gezielt aus feministischen Räumen ausgeschlossen, weil sie als Männer betrachtet und misgendert werden. Dass dies für trans männliche Personen mitunter nur ein scheinbarer Vorteil ist, erläutere ich im späteren Verlauf des Buches.

Kurz: Cissexismus teilt Menschen in zwei Geschlechter ein, die vermeintlich biologisch exakt von einander zu trennen seien. Diese Einteilung erfolgt per Zirkelschluss „Körper = Geschlecht“ und umgekehrt. Hierbei schließt Cissexismus Personen von einem geschlechtlichen Label aus und zwingt gleichzeitig Menschen unter ein Label, dem sie überhaupt nicht angehören.

„Gatekeeping/Gatekeeper*innen“

Als Gatekeeper*innen werden alle Personen bezeichnet, die in entsprechenden Positionen sitzen, um über Abschnitte im Leben von trans Personen zu entscheiden. Dies können Therapeut*innen in der Begleittherapie sein, Endokrinolog*innen, die in der Regel die Hormonersatztherapie einleiten und begleiten, aber ebenso Richter*innen und Gutachter*innen, die über eine Vornamens- und/oder Personenstandsänderung entscheiden. Der Begriff „Gatekeeping“ mutet gefährlich an und ist durch die oftmals langfristigen und erniedrigenden Prozeduren begründet, die trans Personen auferlegt werden.

Der Privilegienbegriff

Ich verwende den Privilegienbegriff äußerst selten, weil es unterschiedliche Auslegungen des Begriffes und somit völlig verschiedene Formen gibt, ihn zu verwenden und ihn zu begreifen.

Wenn ICH von Privilegien spreche, meine ich prinzipiell:

„Du bist von dieser Diskriminierung nicht negativ betroffen“.

Wenn ich von Privilegien spreche, meine ich NICHT:

„Du erlebst keine negativen Situationen in deinem Leben und bist immer glücklich.“

Es geht darum, klarzumachen, dass eine Person von einer bestimmten Diskriminierung, im Fall dieses Buches hauptsächlich Cissexismus, Transfeindlichkeit, Transmisogynie, nicht negativ betroffen ist.

AFAB

Assigned female at birth: Eine Person, der bei der Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugewiesen wurde.

AMAB

Assigned male at birth: Eine Person, der bei der Geburt das Geschlecht „männlich“ zugewiesen wurde.

Beide Begriffe sollen den vermeintlich natürlichen Zustand von Geschlecht in Frage stellen. Statt von einem „biologischen“ Geschlecht zu sprechen, wird somit der Begriff zugewiesenes Geschlecht verwendet.

Non Binary/enby

Der Begriff steht für nicht binäre Geschlechter. Beispielweise agender, neutrois, genderfluid, oder auch genderqueer. Der Punkt ist, hierbei geht es um Menschen, die sich nicht oder nicht ausschließlich mit einem bestehenden binären Geschlecht (Mann oder Frau) identifizieren. Weil hierzu häufiger die Frage aufkommt: Wenn sich non binary Personen als trans verstehen, dieser Oberbegriff für sie selbst also zutreffend ist, dann sind sie es auch.

Cistem

Mit „Cistem“ wird das bestehende System der Zweigeschlechtlichkeit bezeichnet. Also das System aus binärer Geschlechterzuweisung. Darüber hinaus soll dies den strukturellen cissexistischen und transfeindlichen Normalzustand bezeichnen.

Cisfeminismus

Cisfeminismus bedeutet nicht zwingend, dass es sich ausschließlich um cisgeschlechtliche Menschen handelt. Mit diesem Begriff soll eine bestimmte Prägung und Ausrichtung benannt werden. Hierbei geht es um Feminismen, die trans Personen nicht vorsätzlich ausschließen. Es geht um verinnerlichte, erlernte Vorstellungen über Geschlechter, die unreflektiert reproduziert werden. Der Begriff cisnormativer Feminismus wäre auch denkbar.

Dyadismus/dyadisch

Dyadismus oder Interfeindlichkeit bezeichnet die Diskriminierungen und Gewalt, die sich gegen intergeschlechtliche/inter Personen richten. Diese Gewalt kann sich sowohl in falschen und entwürdigenden Darstellungen als auch in Zwangsoperationen widerspiegeln. Dyadisch bezeichnet also den Zustand, nicht inter zu sein. Ähnlich wie bei cis und trans dient der Begriff dazu, den vermeintlichen Normalzustand korrekt zu benennen.

Wozu überhaupt cis/cisgeschlechtlich/Cisgender?

Der Begriff „cis“ soll den vermeintlichen Normalzustand sichtbar machen, weil dieser bisher unmarkiert war. Hiermit soll klargemacht werden, dass cis Personen nicht „normal“, sondern eben cis sind. Dies soll die gängige Sichtweise brechen und die Bedingungen ändern, unter denen transgeschlechtliche Menschen stets als Abweichung, als Fehler begriffen werden und sich immer wieder für ihre Geschlechter rechtfertigen müssen.

 

Trans, trans*, transgeschlechtlich, transsexuell oder auch Transgender sind Begrifflichkeiten, die im weitesten Sinne dasselbe beschreiben. Jedoch werden diese Begriffe von Personen oftmals nicht gleichbedeutend verwendet oder gar als Selbstbezeichnung geführt. Besonders der Asterisk in „trans*“ wird so nicht von allen Personen verwendet. Ursprünglich sollte dieser bezwecken, auch nicht-binäre trans Personen sprachlich zu integrieren und auf sie aufmerksam zu machen. Das „trans“ oder „trans*“ kann auch als Abkürzung für „transgeschlechtlich“, „transident“ etc. verstanden werden. Ich für mich sage, dass nicht-binäre trans Personen trans Personen sind und von mir keinesfalls ausgeschlossen werden. Deshalb verwende ich ihn nicht. Trans Personen sind keine homogene Masse, sondern empfinden ihr trans Sein in vielfältiger Weise und exakt dies muss berücksichtigt werden. Kritik an verschiedenen Begrifflichkeiten erfolgt meinerseits vorwiegend in Richtung einer falschen medialen Verwendung und weniger an der Verwendung als Selbstbezeichnung. Hierbei ist zu beachten, dass auch Selbstbezeichnungen andere Personen verletzen können und sensibel mit ihnen umzugehen ist. Verschiedenste Worte haben im Laufe der Zeit Aneignungen erfahren, so zum Beispiel der Queer-Begriff. Ursprünglich eine rein homo- und transfeindliche Beschimpfung, erfuhr er ein Reclaiming als Selbstbezeichnung und als Ausdruck einer radikalen Kritik bestehender sexistischer, heteronormativer und transfeindlicher Verhältnisse. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Begriff völlig unumstritten ist. Er wird nach wie vor beleidigend verwendet und dies sollte bedacht werden. Zusätzlich erfährt der Queer-Begriff auf verschiedenste Formen Ablehnung. Mit ihm wird ebenso in feministischen Kontexten mitunter eine umfassende Macht definiert, die in der Lage sei, Personen einzuschüchtern oder gar „mundtot“ zu machen. Zumeist ist der Ausgangspunkt hierfür eine antiintersektionale Basis. Weil im Zuge von Queerfeminismus ebenso die Beteiligung von Frauen an Diskriminierungsmechanismen aufgrund bestimmter gesellschaftlicher Machtpositionen analysiert wird, entstehen hierdurch Abwehrhaltungen. Die Beteiligung weißer (cis) Frauen an nationalistischen und rassistischen Politiken wird ebenso kritisiert wie beispielsweise die Verteidigung transfeindlicher Positionen, die trans Menschen, insbesondere trans Weiblichkeiten, aus feministischen Kontexten ausschließen. Deshalb verwenden verschiedene Personen die Begriffe „queer“, „Queerfeminismus“, gerne auch „Queeraktivist*innen“, anderweitig abfällig. Massiv zugenommen hat auch die abfällige Bezeichnung als POMO oder POMO-Bubble. Das „POMO“ steht hierbei für „Postmoderne“ und versucht, vielschichtige intersektionale, also queerfeministische, antirassistische und antiableistische Strömungen als eine Art überflüssige Praktik zu definieren. In dem Zusammenhang fällt auch oftmals der Begriff der Identitätspolitik. Leider fällt letzterer Begriff häufig von antiintersektionalen linken Personen.3 Ich bezeichne sie auch als „Mono-Linke“ oder „Einschienen-Linke“, weil sie die Benennung von Diskriminierungsmechanismen mit dem vermeintlich mangelnden Wunsch, die kapitalistische, ausbeuterische Realität zu kritisieren gleichsetzen. Debatten über Haupt- versus Nebenwiderspruch werden in absehbarer Zeit nicht enden. Ebenso jedoch wird der Wunsch von trans Personen nach geschlechtlicher Respektierung und die Schöpfung und Weiterentwicklung von Begriffen allzu oft abfällig als „Luxusproblem“ bezeichnet. Dazu sei gesagt, dass dies mehrfach marginalisierten Personen unterstellt, sie würden keinerlei negative Auswirkungen des Kapitalismus auf sich selbst spüren. Zu einem solchen Schluss kann nur anhand von bewusster Ignoranz gegenüber vielen Lebensrealitäten gekommen werden. Derartige Aussagen sind auch oft der bewusste Versuch, Kritiken an strukturellen und institutionellen Diskriminierungen zu delegitimieren. Der Begriff „POMO“ ist ein Versuch, die Kritik an diskriminierenden Begriffen zu delegitimieren. Er steht zugleich als Platzhalter für ebendiese Begriffe, um sich dieser Kritik zu entziehen und sich dabei sogar den Anschein einer „seriösen Analyse“ – ja echt! – zu geben. Darüberhinaus ist der Vorwurf der „Postmoderne“ beziehungsweise der „Postmodernen Beliebigkeit“ ein Verlangen nach einer bestimmten Ordnung. Es ist das Verlangen nach einer einfach, klar und im wahrsten Sinne eindeutig strukturierten Welt. Eine Welt, die so niemals existierte. Im weiteren Verlauf des Buches werde ich beschreiben, wie sich Personen, die für diskriminierende Praktiken kritisiert werden, hierdurch selbst als unterdrückte Gruppe inszenieren, die ihre Aufrechterhaltung von zum Beispiel transmisogynen Positionen als eine Art „Befreiungsschlag“ darstellt.

Was ist Geschlecht?

Da die Kategorie Geschlecht die Basis dieses Buches ist, ist es selbstverständlich unerlässlich, eine rechtliche Definition von Geschlecht darzulegen, anhand derer die Problematiken geschlechtlicher Marginalisierung von trans Personen analysiert werden können. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass die Kategorie Geschlecht lediglich auf vermeintlich biologisch begründbarer Existenz beruht und deshalb über keinerlei rechtliche Definition verfügt (vgl. Adamietz 2012: 2). In verschiedenen Dokumenten wird die Angabe des Geschlechts verlangt, es gibt jedoch keine rechtliche Definition, was Geschlecht genau ist, wie Geschlecht definiert wird und welche Person weshalb welche Geschlechtszugehörigkeit besitzt (vgl. ebd.). Sowohl in der Geburtsurkunde, im Geburtenregister wie auch im Reisepass wird das Geschlecht aufgeführt (ebd.), jedoch besteht kein gesetzlicher Artikel, der zunächst darlegt, wie die Bestimmung des Geschlechts erfolgt. Die Zuweisung des Geschlechts wird also der Medizin überlassen und es erfolgt keinerlei weitere Definition abseits einer binär biologistischen Einteilung. Faktisch ist die Kategorie Geschlecht jedoch in verschiedenen Dokumenten und ebenso im Alltag stets gegenwärtig. Das führt zu der Annahme, dass sich die Definition von Geschlecht einzig auf die medizinischen Bestimmungen einer scheinbar eindeutigen Zweigeschlechtlichkeit stützt. Eine Zweigeschlechtlichkeit, die aufgrund anatomischer Gegebenheiten zugewiesen wird. Diesbezüglich heißt es bei Güldenring:

„Das Geschlecht eines Menschen wird in den meisten Kulturen unmittelbar nach der Geburt durch medizinische Expert_innen wie Hebammen oder Geburtshelfer_innen bestimmt. Penis oder Vulva beeinflussen als körperliche Geschlechtsmerkmale für männlich oder weiblich maßgeblich die Zuweisung des Geschlechts.“ (Güldenring 2015: 31).

Darüber hinaus beschreibt Güldenring, dass mit diesem zugewiesenen Geschlecht, kulturabhängig, eine Vielzahl von stereotypen Vorstellungen über Verhaltensweisen entsprechend der gedachten Geschlechtsrolle verbunden werden (vgl. ebd.). Ergänzend möchte ich auf Serano verweisen, die kritisch ausführt, dass allein die Existenz eines rechtlichen Geschlechts die Problematik einer geschlechtlichen Eindeutigkeit aufzeigt (vgl. Serano 2007: 24). Die rechtliche Einteilung in zwei Geschlechter verdeutliche, dass Zweigeschlechtlichkeit hierdurch erschaffen werde und nicht naturgegeben existiere. Neugeborene, die intersex /inter/intergeschlechtlich sind, fallen oftmals durch körperliche Normierung aus dieser Einteilung heraus. Die internationale Vereinigung intergeschlechtlicher Menschen (IVIM 2012) übt diesbezüglich scharfe Kritik an der grundsätzlichen geschlechtlichen Zuweisung von Kindern (vgl. IVIM 2013). Darüber hinaus kritisiert die IVIM die fortwährenden Operationen zur Herstellung geschlechtlicher Eindeutigkeit bei Neugeborenen (ebd.). An dieser Stelle möchte ich eine Kritik äußern und einen Perspektivwechsel auf die Kategorie Geschlecht ermöglichen. Geschlecht ist eine Ordnungskategorie, um Menschen aufgrund von Annahmen, die mit körperlichen Aspekten verknüpft werden, geschlechtlich in produktive und reproduktive Ebenen (Arbeitsteilung) einzuordnen (Bourdieu 2012: 22). Auch Foucault beschrieb dies gleichermaßen und ergänzte mit den Begriffen „Bio-Politik“, beziehungsweise „Bio-Macht“ (Foucault 1981/ 1985), da diese produktive und reproduktiven Ebenen im Prinzip eine staatlich organisierte Fortpflanzungs- oder Fruchtbarkeitspolitik bedeuten. Annahmen deshalb, weil zum Beispiel von einem vermuteten Organstatus fälschlicherweise auf ein bestimmtes Geschlecht geschlossen wird. Im umgekehrten Fall geschieht diese Zuweisung ebenso. Jedoch ebenso fälschlicherweise. Allein der Begriff „Geschlechtsmerkmale“ verdeutlicht das Verständnis von Geschlecht sehr gut. Dieser offenbart, dass Geschlecht kaum mit Selbstbestimmung, sondern stets mit der Begutachtung von Körpern und einer geschlechtlichen Zuweisung durch Dritte verknüpft wurde und wird. Letztendlich wird das gesamte geschlechtliche Verständnis immer wieder auf die möglichen Formen von Fortpflanzung heruntergebrochen.

Geschlechtliche Sozialisation

Im Verlauf des Buches werde ich häufiger den Begriff von „weiblicher /männlicher Sozialisation“ verwenden, oder eher darstellen. Sozialisation soll die Fülle an Prägungen im Laufe unseres Aufwachsens und Lebens beschreiben. Es gibt verschiedenste Formen davon, wie und in welchen Bereichen Menschen sozialisiert werden, zum Beispiel politisch. Als einer der stärksten und tiefgreifendsten Bereiche gilt die Zuordnung in ein bestimmtes Geschlecht (Küppers 2012). Deshalb wird der Begriff der Sozialisation besonders in Feminismen häufig aufgegriffen und anhand dessen Diskriminierungsmechanismen, erlebte und ausgeübte Gewalt und vergeschlechtlichte Verhaltensweisen erklärt. Mit dem Begriff der geschlechtlichen Sozialisation sollen Erfahrungen und Erlebnisse als etwas Strukturelles und Gesellschaftsweites dargestellt werden. Etwas, das Allgemeingültigkeit besäße. So weit, so okay. Problematisch wird es, wenn anhand bestimmter Prägungen Ausschlüsse formuliert werden. Wenn trans Frauen also zum Beispiel anhand ihrer – unterstellten – Erlebnisse abgesprochen wird, „überhaupt zu wissen“ wie es sei als Frau im Patriarchat behandelt zu werden. Beispiele folgen hierzu im Kapitel ‚Was bitte ist Terf?‘“.

Was ist geschlechtlicher Biologismus?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, geschlechtliche Aspekte mit Biologismus zu verknüpfen, also bestimmte Schlüsse zu ziehen und daraus Aussagen zu formulieren. Beispielsweise werden vermeintlich geschlechtliche Verhaltensweisen und Stereotype naturalisiert. Ihnen wird also ein Status von Normalität unterstellt, der sich von einem bestimmten Geschlecht ableitet. Derartige Vergeschlechtlichungen von Verhaltensweisen werden weitestgehend auch von cis Feminismen zu Recht auf schärfste kritisiert. Aus solchen Stereotypen heraus werden bestehende Sexismen als gerechtfertigt dargestellt, da sie mit „biologischen Tatsachen“ *räusper* verbunden werden. Ein banales Beispiel wäre, dass Frauen aufgrund von vermeintlich geringeren Konzentrationen an Testosteron im Körper ein weniger ausgeprägtes Selbstbewusstsein und geringere Durchsetzungsfähigkeiten hätten. Eine derartige Argumentation würde wohl in der überwiegenden Zahl von Feminismen umgehend kritisiert werden. Der tatsächlich zugrunde liegende zweigeschlechtliche Biologismus, der argumentiert, Geschlechter von Körpern ablesen zu können, bleibt hierbei jedoch meist unangetastet. Verhaltensweisen zu biologisieren, beziehungsweise als natürlich zu erklären, ist weitestgehend verworfen und gilt als sexistisches Mittel der Einordnung von Menschen. Geschlechtlicher Binarismus, Gleichsetzung von Organen, Hormonen und Chromosomen mit Geschlechtern, wird dennoch weiterhin als Standard aufgefasst.

Damit komme ich auch zum Kernstück des geschlechtlichen Biologismus: Dem Schluss vom Körper auf das Geschlecht und davon wiederum auf bestimmte Verhaltensweisen.

Dass diese Ansichten allerdings unweigerlich Diskriminierung und Ausschlüsse mit sich bringen, wird zu oft ignoriert, vorsätzlich verfolgt oder auch für das eigene Empowerment in Kauf genommen. Selbst wenn dabei Mehrfachmarginalisierte unsichtbar gemacht werden. Deshalb möchte ich dazu auffordern, die bestehenden Biologismen bei sich selbst und in der Öffentlichkeit zu erkennen und zu kritisieren. Ich möchte den Anstoß dazu geben, den Schluss vom Körper auf das Geschlecht in allen möglichen Facetten zu unterlassen.

 

Statt also von bestimmten Organen auf ein Geschlecht zu schließen, kann jedes Körperteil und jedes vergeschlechtlichte Organ jedem Geschlecht zugehörig sein. Eine Frau kann ausgeprägte Brüste und einen Penis haben. Sie kann diese Organe haben und sie für sich völlig anders bezeichnen, weil bestehende vergeschlechtlichte Begriffe bei der Person teilweise schwere Dysphorie auslösen können. Ich möchte hier nicht jede mögliche Konstellation einzeln ausführen. Der Punkt ist, dass die Vergeschlechtlichung von Körpern und welche Schäden dies bei Menschen anrichten kann, in unseren Köpfen überdacht werden soll.

Um es abzukürzen:

Falsch: „Ah, dieser Körper weist diese und jene Organe auf, muss also weiblich sein.“

Richtig: „Diese Person teilte mir mit, dass they eine Frau ist. Their Körper ist also der einer Frau.“

Richtig +: „Ich schließe nicht von der Erscheinung von Personen auf deren Geschlecht und erwarte/verlange auch keinerlei Auskunft darüber von einer Person.“

Ganz nebenbei: Das Geschlecht einer Person zu vermuten und falsch zu liegen, ist eine Sache. Personen ein Geschlecht zuzuweisen und deren Willen nicht zu respektieren, ist Gewalt. Es läuft der geschlechtlichen Selbstbestimmung einer Person zuwider, wenn versucht wird, eigene diskriminierende Einstellungen und Überzeugungen als wichtiger zu betrachten. Glaubt mir, Transfeindlichkeit ist nicht kreativ und auch nicht edgy, sie reproduziert nur das bestehende binäre Geschlechtersystem.

Biologismus: Schluss vom Körper auf das Geschlecht, Abweichungen werden pathologisiert oder maximal als Identität/Empfinden eingestuft.

Ich: umgekehrte Herangehensweise → Wenn Person eine Frau, dann Körper einer Frau.