Experiment Ella

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Leon saß in der Überwachungszentrale, hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt und amüsierte sich köstlich. Er hatte sich nicht ohne Grund für die heutige Nachtschicht einteilen lassen. Das hier war die spannendste Doku-Soap, die es gab. In den vergangenen Tagen waren immer wieder neue Paare zusammengeführt worden, und es hatte wirklich seinen Reiz, dabei zuzusehen, auch wenn er eigentlich nicht deshalb hier saß. Die beiden glaubten wirklich, mit ihrem niedlichen Täuschungsversuch durchzukommen. Leon nahm die Füße vom Tisch, reckte sich und begann dann damit, die pikante Duschszene aus den Aufzeichnungen zu löschen. Später würde er die Aufzeichnungen aus der folgenden Nacht einfach um die fehlende verlängern. Wie naiv waren diese beiden eigentlich? Sie wollten also flüchten. Überraschung! Vermutlich hatte Hypno-John die Idee mit dem Wasserrauschen aus einem alten Krimi. Moderne Mikros ließen allerdings zu, auch jede noch so störende Sequenz herauszufiltern. Damit war es unmöglich, dass sie sich unbehelligt unterhalten konnten.

Der Sex unter der Dusche war die Krönung des schlechten Schauspiels. Beinahe hätte er laut aufgelacht. Für zwei überaus intelligente Personen stellte das schon fast eine Beleidigung dar. Wie wenig sie in der Lage waren, sich etwas Glaubhafteres einfallen zu lassen! Hypno hätte sie einfach ficken und Koitus Interruptus praktizieren sollen. Trottel, ließ sich das Beste entgehen. Das hätte keiner gemerkt, nicht mal der Spanner Sauer hätte Lunte gerochen.

Als sein Kollege Daniel Maler ihm auf die Schulter tippte, schrak er zusammen. Beinahe wäre er beim Löschen der Daten erwischt worden. Okay, er musste also zwei Probleme lösen. Erstens durfte Ella morgen auf keinen Fall gynäkologisch untersucht werden. Er könnte dem Arzt vielleicht etwas ins Essen mischen, damit er nicht arbeitsfähig war. Und zweitens musste er die Nachtschichten so aufteilen, dass beide eine Chance hatten, zu entkommen. Genau das war der Zweck, warum er sich hier eingeschleust hatte.

Er wollte sie alle befreien.

Aber nicht auffällig, sondern einen nach dem anderen. Nach und nach sollte dieses Gespinst aufgedeckt werden. Bis alles letztendlich ans Licht kam, und man weltweit von Sauer und den verantwortlichen Wissenschaftlern jede Einzelheit erfahren hatte. Es war ein riesiges Komplott, selbst das Militär hatte seine Finger im Spiel. Hohe Politiker und Geldgeber wussten von dieser zum Himmel stinkenden Angelegenheit. Ihm fehlten noch einige Namen, aber im Großen und Ganzen war er gut vorangekommen. Nun würde er Sauer aber in die Quere kommen. Das dumme Gesicht des kleinen Giftzwergs wollte er auf keinen Fall verpassen, wenn er von Ellas und Johns Ausbruch erfuhr. Und er musste dafür sorgen, dass er auch die nächsten Aufzeichnungen der beiden sichtete, bevor womöglich Daniel von der Geschichte Wind bekam. Er hatte auch schon eine glaubhafte Ausrede parat, sodass dieser nicht misstrauisch wurde. Dafür müsste er in der Kneipe einen ausgeben. Und vielleicht füllte er Daniel bei der Gelegenheit so ab, dass dieser das Passwort rausrückte, damit er endlich die letzten Geheimnisse lüften konnte.

*

Umgezogen

Das gemütlich eingerichtete Schlafzimmer hatte nichts von der sterilen Atmosphäre der vorigen Räume oder denen des kitschigen Restaurants. Das riesige moderne Bett war mit zart schimmernder schwarzer Bettwäsche bezogen. Ein leichter Limettenduft hing im Zimmer. Stimmungsvolles Licht und leise Hintergrundmusik, die weder kitschig noch aufdringlich wirkte, sorgten für eine angenehme Atmosphäre. Sie hatte sich in ein Badelaken gehüllt und sah sich genauer im Zimmer um.

Das mit der Dusche war zugegebenermaßen eine gute Idee gewesen. In diesem Fall war sie froh, dass sie kein Mann war, denn seine Erregung war nur zu deutlich spürbar. Vielleicht sollte sie das nächste Mal aus Versehen den Wasserstrahl auf kalt stellen.

Sie schmunzelte und sah zum Bett. Da lag er und tat so, als bemerke er sie nicht. Dabei könnte sie schwören, dass sie seine Blicke in ihrem Rücken gespürt hatte. Jedenfalls prickelte ihre Haut bei dem Gedanken, von ihm beobachtet zu werden. Wenn sie an die Dusche mit ihm zurückdachte, zog es in ihrer Mitte sehnsüchtig. Ob er gemerkt hatte, wie erhitzt sie in Wirklichkeit gewesen war? Sein praller Schaft an ihrem Po war unglaublich erregend gewesen. Irgendwie fühlte es sich unanständig an und war zugleich unbeschreiblich geil, gestand sie sich ein. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihre Beherrschung verloren. Sein Kuss war einfach wow gewesen. Sie hatte kleine Sterne hinter ihren Augenlidern tanzen sehen und die Beine hatten innerhalb kürzester Zeit die Konsistenz von Wackelpudding angenommen. Am liebsten hätte sie ihn angebettelt, er solle nicht aufhören und sie endlich nehmen. Aber so etwas bei laufender Kamera? Ella war zwar nicht prüde, aber die Vorstellung, es vor Publikum zu tun, war einfach undenkbar. Der Gedanke, dass sich das Wachpersonal ihre Show wie einen Porno ansehen und sich dabei einen runterholen würde, kühlte ihre Erregung augenblicklich ab. Allerdings überlegte sie, wer von ihnen beiden mehr darunter litt. Bei dem Gedanken, dass sie heute Nacht so dicht neben ihm liegen würde, erhöhte sich ihre Herzfrequenz erneut.

Ella schob die Falttüren der Schrankwand auf. Damit hätte sie nicht gerechnet. Es war alles vorhanden, was ein Frauenherz begehrte, zarte Unterwäsche, Strümpfe, Schuhe, Sportbekleidung und sogar Negligees für die Nacht. Eines dieser zarten Spitzenteile zog sie hervor und ließ es durch ihre Finger gleiten. Allein die Berührung dieses erotischen Stück Stoffes war verwirrend, denn es zauberte Bilder in ihren Kopf, die alles andere als schicklich waren. Nie hätte sie sich so etwas zugelegt. Sie war es gewohnt, in einem langen T-Shirt zu nächtigen. Wenn sie sich vorstellte, in dem unerotischen lila Teil neben diesem Mann zu ruhen, war das ein ziemlich abtörnender Gedanke. Sich mit diesem scharfen Teil neben ihn zu legen, wäre ein Spiel mit dem Feuer. Ob er sich dann immer noch beherrschen könnte? Er war ja jetzt schon scharf auf sie. Es würde dem armen Kerl noch mehr einheizen. Vielleicht sollte sie ihm nicht auch noch das antun. Aber allein für das Schneckchen hätte er es schon verdient.

Seine Beine baumelten aus dem Bett, und der Gedanke, dass er unter dem Handtuch nackt und eben noch so dicht bei ihr gewesen war, zauberte schamhafte Röte auf ihr Gesicht. Die ganze Situation war abwegig. Sie legte den Hauch von Nichts so schnell zurück in den Schrank, als hätte sie sich daran verbrannt und zog eines der Herren-T-Shirts hervor. XL sollte den Zweck erfüllen. Schnell zog sie sich ein Höschen über und ging dann zu Bett.

Vermutlich schmolzen Gletscher dahin, wenn er auf diese Art lächelte, aber Ella versuchte, unbeeindruckt zu bleiben. Sonst würde sie sich die ganze Nacht unruhig neben ihm hin und her wälzen. Außerdem war er nur ein Mittel zum Zweck. Sie musste hier rauskommen und nur aus diesem Grund würde sie in diesem Theaterstück mitspielen. John kuschelte sich hinter sie und legte einen Arm um ihre Hüften. In dieser Stellung konnte sie seine Erektion im Rücken spüren. Wie sollte sie so schlafen können? Er wünschte ihr leise eine gute Nacht. Er atmete ruhig und gleichmäßig, trotz seines Ständers. Wie schafften Männer so etwas?

Sie hatte sich bemüht, in den Schlaf zu finden, aber es wollte einfach nicht funktionieren. Seine Nähe hatte es auch nicht einfacher gemacht. Die Leuchtziffern der Uhr an der Wand schrien sie an: 01:49 Uhr. Wenn sie nicht schlafen konnte, dann sollte er es verdammt noch mal auch nicht. Dann könnten sie vielleicht reden oder Musik hören. Sie drehte sich absichtlich plump um und stieß ihn dabei mit dem Ellenbogen an.

Die Aktion blieb nicht unbemerkt. Er brummte und machte das Licht an. Irritiert sah er sie an. Sein Haar war verwuschelt und seine Augen hatten einen schläfrigen Glanz. Sie musste schlucken und rutschte einige Zentimeter von ihm fort. Weiter ging es nicht, sonst wäre sie zwangsläufig aus dem Bett gefallen.

„Kannst du nicht schlafen, Schneckchen?“

Schneckchen! Er trieb das Theater wirklich auf die Spitze.

Das konnte sie auch. Irgendwie machte er sie wütend. „Nein, Liebling, mir geht so viel im Kopf herum.“

Jedenfalls war sie nicht emotional verkrüppelt und konnte das alles so hinnehmen, sich auf die Seite rollen und wie ein Murmeltier schlafen, dachte sie und verkniff sich einen pampigen Kommentar. Das Schauspiel durfte nicht durch ihr angeknackstes Nervenkostüm in Gefahr gebracht werden.

„Können wir reden?“

„Reden? Es ist mitten in der Nacht.“ Ella tat, als hätte sie die Bemerkung überhört.

„Ich möchte wissen, was du alles über das Experiment weißt. Was sie dir über mich erzählt haben. Eigentlich will ich alles wissen, was mir hilft, das hier zu begreifen.“

Er stöhnte: „Okay, aber meinst du nicht, dafür ist morgen früh noch genug Zeit?“

„Vermutlich, aber ich möchte es gerne jetzt wissen.“

„Ella, in vier Stunden wecken sie mich, um mir die nächste Injektion zu verpassen und vermutlich wirst du auch nicht ungeschoren davonkommen. Wir sollten wirklich besser schlafen.“ Er machte Anstalten, das Licht auszumachen.

„Bitte.“ Sie griff nach seinem Arm und hielt ihn davon ab.

„Ich bin echt todmüde. Die letzten Nächte konnte ich wegen der Schmerzen kaum schlafen. Und wer weiß, welche Tests sie wieder mit uns vorhaben.“ Er gähnte.

Jetzt hatte sie ein schlechtes Gewissen. Und noch mehr Angst. Das Gespräch war kontraproduktiv und hatte genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie bezweckt hatte. Adrenalin pumpte durch ihre Adern und ihr Herzschlag hatte sich verdoppelt. Sie hatte sich noch nicht erlaubt, darüber nachzudenken, dass sie wie ein Versuchskaninchen diesen Wahnsinnigen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Sie sah sich festgezurrt auf einem OP-Tisch liegen, über sie beugten sich Männer mit steriler Kleidung und riesigen Nadeln, bereit auf sie einzustechen, um irgendwelche Proben von ihr zu nehmen. So musste sich der Alien in Area 51 gefühlt haben. Unwillkürlich begann sie zu zittern und legte die Arme enger um ihre Schultern.

 

„Hey, es wird schon nicht so schlimm. Schließlich sind wir wichtig für das Gelingen ihrer abstrusen Versuche.“ Er rutschte näher und legte einen Arm um sie. „Ich weiß, du hast Angst, und für dich ist es vermutlich noch viel schlimmer als für mich. Es ist eine schreckliche Situation, aber ich werde bei dir sein und wir bekommen das schon irgendwie geregelt. Sieh mich an.“

Er legte seinen Zeigefinger unter ihr Kinn, hob es an und blickte ihr in die Augen. Die Aufrichtigkeit, die sie darin erkennen konnte, war entwaffnend und beruhigend. Auch wenn es ihr nicht wirklich besser ging, so schöpfte sie dennoch Hoffnung.

„Okay“, sagte sie. Dann legten sich seine Lippen ganz vorsichtig und zart auf ihre. Sofort durchflutete sie Wärme, und ein Gefühl von Geborgenheit breitete sich in ihrem Bauch aus. Als er sich von ihr löste, hätte sie am liebsten protestiert, aber sie blieb ruhig und genoss nur das Nachklingen dieser köstlichen Berührung.

Er machte das Licht aus, kuschelte sich wieder neben sie, diesmal ohne sie fast aufzuspießen, und Ella versuchte zu schlafen, auch wenn die Aussichten darauf schlecht waren. Denn nun sehnte sie sich nach seinen Küssen, dass es fast wehtat.

Am nächsten Morgen vermochte sie nicht mehr zu sagen, wann sie der Schlaf übermannt hatte. Als die Tür aufgerissen wurde und die beiden Paviane begleitet von zwei unbekannten Männern, nach ihrer Einschätzung Ärzte oder Wissenschaftler, das Zimmer betraten, entfuhr ihr vor Schreck ein Schrei. John schien bereits an das Szenarium gewöhnt zu sein, denn er hielt still, als der eine ihm eine Injektion in den Oberarm setzte. Ella hasste Spritzen, und allein der Gedanke, dass man sie damit malträtieren könnte, bescherte ihr eine Gänsehaut. Nach einem Ausweg suchend, sah sie sich um. Das Badezimmer. Die Tür konnte man abschließen, oder nicht? Verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern. Die Paviane hatten Stellung neben dem Ausgang bezogen. Die anderen beiden kümmerten sich um John. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Mit einem Hechtsprung stürzte sie in Richtung Badezimmer. Ob die Paviane ihr folgten, bekam sie nicht mit, denn kurz darauf flog die Tür hinter ihr zu und sie stellte fest, dass ihr Versuch umsonst gewesen war. Kein Schlüssel oder anders gearteter Absperrmechanismus war vorhanden. Es klopfte an der Tür und sie sah sich verzweifelt um. Erst dann dämmerte es ihr, wie lächerlich diese Idee, sich zu entziehen, gewesen war. Sie schob es auf den Schlafmangel und suchte einen Ausweg, der es ihr halbwegs ermöglichte, das Gesicht zu wahren.

„Frau Bräuer, geht es Ihnen gut? Wir würden gern eine Blutprobe nehmen und Ihre Temperatur kontrollieren. Kommen Sie raus oder sollen wir reinkommen?“

Was sollte sie antworten? Sie wollte weder das eine noch das andere. Wenn sie jetzt das bockige kleine Mädchen raushängen ließ, wäre sie schneller in einer Einzelunterbringung als ihr lieb war und verdarb jeglichen weiteren Gedanken, eine Flucht zu planen.

Schnell setzte sie sich auf die Toilette, erledigte, was sowieso zu erledigen war, und betätigte die Spülung.

„Ich bin gleich fertig!“, rief sie. Als sie kurz darauf widerstrebend das Badezimmer verließ, musste sie all ihren Mut zusammennehmen, um sich nichts anmerken zu lassen. Sie setzte sich aufs Bett und spürte Johns Blicke. Hoffentlich dachte er nicht, sie wäre eine ängstliche Pute. Als die Nadel durch ihre Haut stach, zuckte sie zusammen. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn und beschwor die Bilder des vergangenen Abends wieder herauf.

„Wir möchten Sie nun darum bitten, sich anzukleiden und sich fertig zu machen. In einer halben Stunde werden Sie zum Frühstück und für weitere Tests abgeholt. Und Herr Sauer möchte mit Ihnen sprechen.“

Erwarteten die, dass sie darauf etwas erwiderte? Schön, ich freue mich auch, dass ich als Testperson zur Verfügung stehen darf? Und was war mit John? Ließen sie ihn in Ruhe? Oder wartete auf ihn auch eine neue Runde Mäuseroulette? Ella brauchte sich um eine Antwort keine Gedanken zu machen, denn kurz darauf waren sie alle verschwunden. Sie fühlte sich wie unter einer Glocke. Erst als John sie an den Schultern rüttelte, erwachte sie aus ihrer Benommenheit.

„Hey, alles okay? Du siehst aus, als wäre dir schlecht.“

„Ich hasse Spritzen. Mich stört nicht der Anblick von Blut, nicht mal Horrorfilme bringen mich zum Schlottern, aber wenn man Nadeln in mich hineinsteckt, könnte ich schreiend davonlaufen. Wenn sie glauben, sie können das jetzt täglich bei mir machen, müssen sie sich etwas einfallen lassen. Ich mache das nämlich nicht mit. Na ja, jedenfalls nicht freiwillig.“ Jetzt grinste sie ihn an. Und auch, wenn sie sich wie zerschlagen fühlte, weil die paar Stunden Schlaf nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen waren, so fühlte sie sich bei Johns Anblick gleich wieder viel besser. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geschmiegt und so getan, als wäre nichts gewesen. Aber das konnte sie sich aus dem Kopf schlagen, denn gleich wollte man sie wieder abholen und weiß Gott was für Tests mit ihr machen.

Ihr fiel eine Begebenheit aus ihrer Kindheit ein. Sie war im Krankenhaus und man machte irgendwelche Tests mit ihr, nahm diverse Blutproben. Und es fiel Ella wie Schuppen von den Augen. Es war nach dem eingetroffenen Todesfall ihres Onkels. Der Traum war Realität geworden. Deshalb also all diese Tests damals, und nun wusste sie, dass Sauer recht hatte. Ihre Eltern steckten mit drin.

„Gehst du duschen?“, fragte John, im Begriff, sich die Decke wieder über den Oberkörper zu ziehen. Er hatte bereits die Augen geschlossen und dachte offensichtlich nicht daran, aufzustehen.

Während sie irgendwelche Tests über sich ergehen lassen sollte, wollte er weiterschlafen? Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Noch geschockt von der gerade gewonnenen Erkenntnis fasste sie einen Plan. „Liebling“, säuselte sie und legte sich wieder zu ihm unter die Decke. Sie kraulte seine Haare und küsste seinen Nacken. Sie wusste, dass sie jetzt seine ganze Aufmerksamkeit hatte, und auch wenn es gemein war, sie zog ihm die Decke weg. „Duschen, jetzt!“ Sie sprang aus dem Bett und lockte ihn mit dem Zeigefinger.

Er sah sie mit seinen großen Augen an, dann schien es ihm zu dämmern. Irgendwie wirkte er auf einmal sehr wach und machte Anstalten, aus dem Bett zu kriechen. Sie wartete nicht darauf, bis er sich vollständig erhoben hatte, sondern ging voraus ins Bad, zog das T-Shirt aus, stieg aus dem Höschen und unter die Dusche. Es dauerte weniger als eine Minute, bis er bei ihr war. Eigentlich hätte sie sich schamhaft abwenden müssen, aber was sollte das? Schließlich mussten sie eh gleich wieder so tun, als hätten sie Spaß miteinander. Und alleine der Gedanke, dass er sein Geschlecht erneut gegen ihren Po reiben könnte, machte sie zittrig.

„Was ist los?“, fragte er unvermittelt und küsste sie vorsichtig, als er um sie herum zum Shampoo griff.

„Ich kann das nicht. Wer weiß, was die alles mit mir anstellen. Heute Nacht! Keinen Tag länger bleibe ich in diesem Irrenhaus. Also, wie ist der Plan?“

„Das ist sehr riskant, wir gehen ein zu hohes Risiko ein.“

„Ist mir egal, ich schaffe es nicht überzeugend, so zu tun, als hätte ich mich mit der Situation arrangiert. Ich will nach Hause. Bitte lass mich nicht im Stich. Sag, dass wir es versuchen.“

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Kräfte schon ausreichen. Meinst du nicht, dass du es noch ein paar Tage ertragen kannst? Nur so lange, bis ich mir sicher bin?“

„Wenn sie mich heute gynäkologisch untersuchen, fliegt alles auf. Was ist, wenn sie herausbekommen, dass wir nur so tun als ob? John, bitte, ich habe Angst. Ich mach alles, was du willst. Na ja, fast alles“, ruderte sie zurück.

„Schon gut, schon gut. Ich lasse mir etwas einfallen.“ Er nahm ihren Kopf in seine Hände und küsste sie erneut. Sein nasses Haar wirkte so schwarz wie die Federn einer Krähe. „Du kannst dich auf mich verlassen, ich schaffe uns hier raus, aber du musst die Aufpasser ablenken. Meinst du, dass du das hinbekommst?“

Sie nickte schnell und küsste ihn vor Erleichterung gleich noch einmal. Als sie sich an seine breite Brust drückte, vergaß sie dabei ganz, dass sie nackt waren. Sein Begehren erwachte just in diesem Augenblick, was sie teils amüsiert, teils peinlich berührt quittierte. Er räusperte sich und versuchte, einen Zentimeter von ihr wegzukommen. Es war ihr egal, dieser Moment war einfach zu schön. An seiner starken Brust fühlte sie sich sicher. Sie griff in sein Haar und zog ihn dichter zu sich herunter. Dabei kam ihr ein Gedanke: Diesen intimen Moment wollte sie nicht wieder mit Sauer teilen. Sie griff zur Shampoo-Flasche, drückte einen großen Klecks auf ihre Hand, schäumte das Ganze auf und kleisterte die weiße Pracht an das Video-Auge an der Decke. Als sie sein Grinsen sah, und er sie an seine Brust zog, vergaß sie einen Moment die Situation, in der sie sich befand. Ella genoss den köstlichen Augenblick seiner Berührungen. Sacht streichelte er mit den Fingerkuppen über ihre steifen Knospen, weiter hinab zu ihrem Bauch, in dem das Kribbeln überhandnahm. Er war zärtlich und achtete auf jede ihrer Reaktionen, denn sobald sie sich versteifte, ließ er von ihr ab und küsste sie an einer anderen Stelle. Dieses erste Erkunden war aufregend und unbeschreiblich schön.

Ella hätte noch stundenlang mit ihm unter der Dusche verbringen können, aber das ging nicht. Ihr entfuhr ein leises Stöhnen, als sich seine Lippen um ihre Brustwarze schlossen. Das süße Saugen zog wie flüssige Lava durch ihren Körper bis hinab in ihren Schoß. Nur widerwillig löste sie sich von ihm und verließ den warmen Kokon, der für einen kurzen Moment all ihre trüben Gedanken fortgewischt hatte.

Die Zeit drängte, denn lange dürfte es nicht mehr dauern, bis man sie abholte. Deshalb stieg sie aus der Dusche und ließ John zurück.

Als die Paviane erschienen, war Ella angezogen und hatte das nasse Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Sie hatte sportliche Kleidung gewählt, die Leggins und die Turnschuhe waren bequem. Die Schultern gestrafft, ging sie aus der Tür. Keiner sollte sehen, wie es in ihr aussah.

*

Sie war kurz davor, ihn in den Wahnsinn zu treiben. Gut, jedenfalls war die Anziehungskraft nicht nur einseitig. Eigentlich hatte er das ja bereits geahnt. Ihm war unter der Dusche so heiß geworden, dass er seine Hände und seinen Mund am liebsten auf noch ganz andere Körperstellen gedrückt hätte. Wie gern hätte er sie von seinen Qualitäten überzeugt.

„Was für eine Scheiße!“ Er raufte sich die Haare und stellte die Dusche auf kalt, denn vor der Kamera selbst Hand anzulegen, hatte er sich bisher verkniffen und würde daran auch nichts ändern.

Vielleicht würde sein Gehirn durch das kalte Wasser wieder die Kontrolle übernehmen. Und heute Abend brauchte er seinen Verstand, um den Plan so gut wie möglich umzusetzen. Eigentlich konnte es nur in die Hose gehen. Sie hatten weder Waffen noch Geld und auch keinen Verbündeten. Wenn es hier noch andere Gefangene gab, dann waren sie von diesen Versuchspersonen isoliert worden. Er war stets allein zum Essen geführt worden. Auch bei den Untersuchungen war nie jemand anders als Sauers gehirnamputierte Riesenbabys anwesend, die darauf achtgaben, dass er dem wissenschaftlichen Personal nicht unangemessen zu nahe trat.

In diesem Zimmer befand sich nichts, was sich zur Waffe umfunktionieren ließ. Nicht einmal Haar- oder Deospray standen im Bad. Er sollte die Zeit nutzen, um sich etwas einfallen zu lassen. Wer wusste, was heute auf dem Programm stand. Er musste so viel Kraft wie möglich mobilisieren, um eine kleine Chance zu haben, hier rauszukommen. Gut, dass sie nicht wussten, dass die Dosierung der Medikamente nicht mehr reichte, um seine Kräfte komplett auszuschalten. So hatte er hoffentlich ein entscheidendes Überraschungsmoment auf seiner Seite. Wenn das schiefging, war alles im Eimer. Eine weitere Möglichkeit würde sich so schnell nicht mehr bieten, dafür würde Sauer sorgen. Warum hatte er sich darauf eingelassen? Ging sie ihm jetzt schon derart nah? Er lächelte vor sich hin und dachte an ihre weiche Haut, die sich so wunderbar an seiner Brust angefühlt hatte. Die Antwort, die ihm sein zuckender Schwanz gab, ließ ihn stöhnen.

 

*

Ellas Geduld war am Ende. Genauso hatte sie es sich vorgestellt. Das Frühstück und das Mittagessen waren okay gewesen, aber alles andere war der reinste Horror und hätte gut mit Dr. Frankensteins Versuchslabor mithalten können. Und diese lästigen Fragen immer und immer wieder. Wie ein Aufnahmegerät, das immerzu von vorn abgespielt wird. Was haben Sie geträumt? Versuchen Sie, sich zu erinnern. Dabei trug sie eine Badekappe mit dusseligen Elektroden am Kopf. Sie kam sich vor wie auf dem elektrischen Stuhl, fehlten nur noch die Stromstöße bei einer Verweigerung einer Antwort.

Messen und wiegen waren die harmloseren Untersuchungen, die sie über sich ergehen lassen musste. Zahnarzt und Augenarzt waren auch noch erträglich, aber es folgte eine Ganzkörperbetrachtung des Hautarztes und des Orthopäden. Es hätte nur noch gefehlt, dass man sie zwang, sich gynäkologisch untersuchen zu lassen. Aber so weit kam es hoffentlich nicht. Jedenfalls nicht heute, aber das hatte nichts zu bedeuten. Denn wenn sie sich vergewissern wollten, dass die Paarung vollzogen war, ließen sie sich bestimmt nicht davon abhalten. Damit hatte ihre fürchterliche Angst, dass man ihren Trick entdecken könnte, für heute seinen Schrecken verloren. Zwar hatte sie keine Ahnung von Diagnosemedizin, aber wenn man einen Abstrich untersuchte und kein Sperma vorfand, war sie sicherlich geliefert. Außerdem war es schon später Nachmittag und sie war müde. Der Schlafmangel der vergangenen Nacht war nicht spurlos an ihr vorbeigegangen.

Als sie völlig erledigt in ihr Zimmer gebracht wurde, erwartete sie dort schon ein Abendessen. Und John! Sie musste schlucken, als sie ihn betrachtete, wie er in den Jeans und dem taillierten Hemd lässig im Bett lag und fernsah. Verdammt, er war wirklich ein sehr charismatischer Mann. Er strahlte so viel Sexappeal aus, dass es ihr schwerfiel, ihn nicht unablässig anzustarren. Vermutlich hatte er schon reichlich sexuelle Erfahrung mit Frauen. In seiner Gegenwart fühlte sie sich unruhig und unsicher. Ihre Hände waren feucht. Schnell wischte sie diese an der Hose ab und schlüpfte ins Bad. Hatte er überhaupt aufgesehen, als sie den Raum betreten hatte? Sie versuchte sich zu erinnern und wusch sich die Hände, als ob sie dreckig von der Gartenarbeit gewesen wären. Danach erfrischte sie ihr Gesicht und betrachtete kurz ihre erröteten Wangen im Spiegel. Die Umstände waren alles andere als ideal. Wollte sie sich auf das Spiel einlassen? War sie dem gewachsen? Was, wenn sie neben ihrer Freiheit auch noch ihr Herz verlor? Wenn es so weit kam, hätten sie sie in der Hand, denn dann wäre sie noch leichter manipulierbar.

Zerknirscht verließ sie das Bad, setzte sich an den Tisch und sah zu ihm rüber. „Willst du nichts essen?“ Die belegten Brötchen sahen gut aus, und als er nicht gleich antwortete, griff sie zu und biss hinein.

„Doch, natürlich. Es ist sowieso gleich Halbzeit.“

Er stand auf und kam zu ihr rüber. Jeder Schritt und jede Bewegung wirkte erotisierend auf sie. Ob er es ihr ansah, dass er sie ganz und gar nicht kalt ließ? Schnell wandte sie sich wieder dem Brötchen zu und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. „Und wer gewinnt? Ich meine, wer spielt denn überhaupt?“ Sie hatte von Fußball nicht die leiseste Ahnung.

„HSV führt.“ Er grinste breit, als wäre er an diesem Umstand beteiligt. Er nahm sich ein Schinkenbrötchen. „Magst du Fußball?“

„Nein. Aber wenn es dir gefällt, dann lass dich nicht stören.“ So‘n Quatsch, es nervte sie total, dass er sich offensichtlich mehr mit dem Spiel beschäftigte als mit ihr. Es rumorte in ihr. Eigentlich hätte er sie stürmisch begrüßen oder sonst etwas tun müssen, um den Anschein eines Liebespaares zu wahren. Vielleicht hätte sie das machen müssen? Sie hatte darin ja überhaupt keine Übung. Mist, vielleicht sollte sie ihm von Sauers Drohung erzählen. So eine Nummer wie heute Morgen mit dem Schaum durfte sie nicht noch einmal abziehen, Sauers Warnung war unmissverständlich gewesen. Er hatte es nur nebenbei erwähnt, aber genau das zeigte, dass er sie die ganze Zeit über im Auge behielt. Und wie ein verliebtes Paar wirkten sie gerade ganz bestimmt nicht.

Auch wenn sie vom Tagesgeschehen mehr als genervt und erledigt war, wollte sie ihre Wut auf Sauer einen Moment nach hinten schieben und versuchen, John an das Theaterstück zu erinnern. Wenn sie ehrlich war, konnte sie es kaum abwarten, dass er sie in den Arm nahm. Ella erinnerte sich an den Anblick seiner feuchten Haut und wie lässig das Handtuch um seine Hüften gelegen hatte. Zu gerne wollte sie seinen Geruch einatmen und die erregende Männlichkeit an ihrem Bauch spüren. Der Gedanke, seinen Mund zu erkunden schickte ein wohliges heißkaltes Schaudern über ihre Haut.

Könnte es sein, dass man ihr irgendwelche Mittel gab? Jetzt war sie fast sicher, dass man an ihr herummanipulierte. Wie viel wusste John darüber? Vielleicht wusste er, was man ihr gegeben hatte. Oder war er ahnungslos, was sie betraf? So ein Quatsch. Warum sollte Sauer derartige Dinge mit John besprechen? Völlig unlogisch. Was redete sie sich da ein? John war selbst ein Opfer und wurde manipuliert. Irgendwie hatte sie das Verlangen, unter die Dusche zu gehen. Ihr Blut kochte und ihr war schrecklich heiß. Aber sie konnte nicht schon wieder duschen. Andererseits hatten sie so viele Menschen angefasst, dass sie das dringende Bedürfnis verspürte, sich am ganzen Körper zu waschen. Nachdem sie den letzten Bissen heruntergewürgt hatte, sprang sie auf und verschwand im Bad.

„Ich geh mal kurz unter die Dusche“, kommentierte sie ihren plötzlichen Abgang und schloss die Tür.

„Liebling, soll ich mitkommen?“

„Nein danke, ich komme schon zurecht.“ Vielleicht hätte sie Ja sagen sollen? Aber das wäre dann wohl wirklich zu viel des Guten gewesen. Irgendwie mussten sie sich mehr Mühe geben. Wenn Sauer den Braten roch, war es vorbei. Aber jetzt brauchte sie erst mal Abstand von allem. Als sie nach einer knappen Viertelstunde aus der Dusche stieg, glaubte sie, vor Kälte bereits blau angelaufen zu sein, aber ein Blick in den Spiegel zeigte das Gegenteil. Geradezu erfrischt mit rosigen Wangen und glänzenden Augen sah sie ihr Spiegelbild an. Okay, vielleicht war es besser so. Er musste ja nicht sehen, dass sie eine kalte Dusche nötig hatte. Nun hieß es, mit Macht den Schein zu wahren und die Inszenierung bis zum Erbrechen durchzuziehen. Wenn Sauer oder seine Leute schon zusahen, dann sollten sie jedenfalls glauben, dass sie fantastischen Sex hatten. Das Badelaken um sich gewickelt, verließ sie das Badezimmer, ging zum Schrank und zog dieses aufregende Negligee hervor. Nur kurz musste sie die Schublade nach dem passenden String durchsuchen. Der Spiegel im Bad war zu klein, um das Resultat zu betrachten, aber auch so war sie sicher, dass es seine Wirkung nicht verfehlte. Ein letztes Mal zog sie die Bürste durch ihre feuchte Lockenpracht, dann öffnete sie klopfenden Herzens die Badezimmertür. Wenn er einen doofen Spruch brachte …

Vermutlich hatte es ihm die Sprache verschlagen, denn als die Fernbedienung aus seinen Fingern glitt, stand sein Mund offen. Aber es waren nur Sekunden, bis er aus seiner Erstarrung erwachte und reagierte.

„Wow, du siehst umwerfend aus, Süße.“

Auch wenn sie sich noch so sehr dagegen wehrte, spürte sie, wie das Blut in ihre Wangen schoss.

„Und ist dir der Fußball immer noch wichtiger?“, fragte sie lasziv.

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