Experiment Ella

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Und womit verdienst du deine Brötchen?“ Sie tupfte sich die Lippen ab, ließ ihn nicht antworten und fuhr fort. „Ach, lass mich raten, du hypnotisierst Passanten und ziehst ihnen das Geld aus der Tasche.“ Zuckersüß lächelte sie ihn an, als hätte sie ihm ein Kompliment gemacht und war froh, dass ihr doch noch etwas Passendes eingefallen war.

„Na, jedenfalls hat dir diese ganze Geschichte nicht die Sprache verschlagen. Auf den Mund bist du ja nicht gefallen.“ Und dann, als hätte er ihre bissige Bemerkung überhört, antwortete er: „IT-Branche. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass wir uns um unsere Jobs noch Gedanken machen müssen.“

„Wieso? Ich meine, wie kommst du darauf?“

„Tot. Du und ich sind für die Welt da draußen nicht mehr existent.“

Sprachlos sah sie ihn an. Dann fand sie ihre Stimme wieder. „Woher willst du das wissen?“

„Oh, auf einmal so einsilbig?“ Er sah sie aufmerksam an und sprach dann weiter: „Sie haben es mir brühwarm zum Frühstück serviert. Eine Aufnahme meiner Beerdigung aus nächster Nähe.“

Er wirkte jetzt sehr ernst und sie glaubte in seinem Blick einen Hauch von Angst ausmachen zu können. Nun war ihr der Appetit doch noch vergangen. „Du glaubst, dass es bei mir genauso ist?“

Wenn man in einem Gesicht wie in einem offenen Buch lesen konnte, dann war es wohl ihres. Immer schon hatte ihr Gefühlsleben sich darin gespiegelt und ihrem Gegenüber gezeigt, wie sehr sie etwas bewegte. So war es jetzt offenbar auch, denn plötzlich legte er seine Hand auf ihre und sah sie bedauernd an.

„Mach dir keine falschen Hoffnungen. Glaube mir, nach uns sucht niemand.“

Sie musste schlucken und ihr war nicht entgangen, wie sich seine Gesichtszüge erneut verhärteten. Das hier war kein angenehmes Abendessen, es glich eher einem Albtraum. Es war noch nicht einmal eine Stunde vergangen und sie hatte die größte Spanne ihrer Gefühle durchlebt. Hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, schreiend davonzulaufen und ihn tröstend in die Arme zu schließen, sah sie zu ihm rüber. Fast glaubte sie an eine unsichtbare Verbindung, denn es kam ihr vor, als durchflutete sie Kraft und Zuversicht, und das nur durch die Berührung seiner Hände.

„Und, Ella, welche Fähigkeiten besitzt du, außer alle Männer um den Verstand zu bringen?“

Seine Stimme war warm und durchdringend und schickte ihr eine ganze Flut Wärme und elektrisierendes Vibrieren über den Körper. Ob er wirklich mit Medikamenten ruhiggestellt war? Oder war es eine Schutzbehauptung, und sie war schon von ihm eingelullt und geriet deshalb immer mehr aus dem Gleichgewicht? Manipulierte er sie mit seinen Fähigkeiten? Wenn es so war, was konnte sie dagegen tun? Es war wohl der sinnlichste Mund den sie je gesehen hatte. Und sie schaffte es kaum, die Vorstellung zu unterdrücken, ihn zu küssen.

Als hätte er einen Hebel betätigt, der ihren Verstand aussetzen ließ, kam es ihr in den Sinn. Ella wurde der Mund so trocken, dass sie nicht glaubte, ihm antworten zu können. Die Muskeln seines Bizeps zeichneten sich, unbeabsichtigt oder nicht, durch das Hemd ab. Sie schluckte noch einmal, bevor sie ihm stockend die Geschichte erzählte, die ihr Sauer Stunden zuvor offeriert hatte. Er hing an ihren Lippen und machte die eine oder andere Bemerkung. Am Ende streichelte er mitfühlend über ihre Handgelenke. Die Berührung beruhigte und verunsicherte sie gleichermaßen. Es war verrückt, aber sie fühlte sich wie von einem Magneten angezogen.

„Und, was treibst du sonst so?“ Ihr Tonfall sollte desinteressiert und kühl wirken. Irgendwie musste sie Abstand zwischen sich und ihn bringen, und wenn es räumlich nicht möglich war, dann wenigstens emotional.

Der Kellner servierte den zweiten Gang. Ein saftiges Stück Fleisch, Kartoffeln und Bohnen im Speckmantel wurden vor ihrer Nase platziert.

Endlich ließ er ihre Hände los und sie atmete erleichtert auf.

„Was willst du wissen?“

„Mich interessiert zum Beispiel“, ob du überall so durchtrainiert bist, dachte sie und ertappte sich erneut dabei, wie ihr Blick auf seinem Oberkörper verweilte.

„Ja, was interessiert dich denn nun? Raus mit der Sprache.“

Verdammt, ob er bereits wusste, was sie bei seinem Anblick dachte? „Was du sonst so machst und woher du kommst“, kam es ihr endlich über die Lippen.

„Sport und Hamburg. Wenn man wie ich den ganzen Tag vor dem PC sitzt, braucht man einen entsprechenden Ausgleich. In meiner Freizeit gehe ich gerne im Stadtpark laufen.“ Er zuckte mit den Schultern als müsste er sich dafür entschuldigen. „Und du? Lass mich raten. Ich tippe auf rhythmische Tanzgymnastik.“

„Du willst mich auf den Arm nehmen. Rhyth-mi-sche Tanz-gym-nas-tik? Sehe ich etwa so aus?“ Sie hatte jede Silbe betont. „Vergiss es. Bisher hatte ich für Sport keine Zeit. Naja, keine Lust wäre wohl treffender. Wenn ich von der Arbeit komme, ist die Luft raus.“ Nun zuckte sie mit den Schultern und lächelte. „Außerdem besitze ich ja nun ganz offiziell Super-Gene. Mein Körper sieht auch ohne entsprechende Betätigungen knackig aus.“ Sie glaubte, ihn schlucken zu sehen.

„Ella, da werde ich dir jetzt nicht widersprechen. Allerdings behalte ich mir ein endgültiges Urteil vor, wenn die Verpackung weg ist. Ich hatte schon genügend Mogelpakete in den Händen.“

Sie und ein Mogelpaket? So wenig, wie sie trug, was sollte sich unter diesem hautengen Kleid wohl verbergen? Frechheit. Bevor sie noch etwas erwidern konnte, fragte er schon weiter.

„Aber ein Hobby hast du, oder?“ Er sah sie abwartend an und legte den Kopf leicht zur Seite.

„Natürlich. Canasta spielen, klöppeln, backen und sticken.“ Sollte er doch denken, was er wollte. Das war ihr alles zu doof. Sie dachte an ihren Garten. Ella verbrachte dort viel Freizeit. Es gab immer etwas zu tun und wenn sie fertig war, legte sie sich in die Hängematte, um zu lesen oder Musik zu hören. Ein Stich in ihrem Herzen machte sich bemerkbar. Wenn er recht behielt, sah sie den Garten nie wieder. Erneut stieg Panik in ihr auf. Sie war kurz davor, aufzuspringen und dem Typen neben dem Aufzug das benutzte Messer in die Brust zu rammen. Raus, nur raus. Ella glaubte zu ersticken. Die Finger verkrampften sich um den Griff, die Muskeln spannten sich, dann erst nahm sie seine Stimme wahr.

„Schneckchen, atmen. Du musst Luft holen, du läufst schon blau an.“ Wieso war er ihr so nah? Wann war er aufgestanden und zu ihr rübergekommen? Vorsichtig entwand er ihr das Messer und rüttelte sie an den Schultern. Endlich machte sie einen tiefen Atemzug.

„Gut, und nun schau mich an. Du schaffst das. Ich bin bei dir.“ Er hielt ihr das Glas an die Lippen. „Trink einen Schluck. Es macht das Ganze zwar nicht besser, aber es entspannt.“

Sie nickte und nahm hastig einen Schluck. Über den Rand des Glases hinweg beobachtete sie den Pavian, der zu ihnen rüber starrte und unentschlossen von einem Fuß auf den anderen trat. Vermutlich war er kurz davor, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Sie musste sich dringend zusammennehmen. Wenn sie isoliert in einem dieser Krankenzimmer wäre, könnte sie mit John keine Ausbruchspläne schmieden. Und sie wollte hier raus, alles in ihr schrie nach Freiheit.

Seine warme Hand auf ihrem Rücken nahm sie erst jetzt wahr. Es durchströmte sie eine wohlige Vertrautheit, fast als wären sie schon lange befreundet und diese Intimität die normalste Sache der Welt.

„Danke, alles okay.“

„Sicher?“, raunte er dicht neben ihrem Ohr.

„Ganz sicher.“ Ella spürte, wie er in einer letzten Bewegung über ihr Rückgrat weiter hinabstreichelte. Eine Berührung, die sie alles andere als kalt ließ. Und da realisierte sie erst: Hatte er sie gerade Schneckchen genannt? Sie seufzte und dachte, wenn es doch so wäre, dann könnte sie sich jetzt in ihrem Schneckenhaus verkriechen und wäre sicher vor der bösen Welt da draußen.

Endlich setzte er sich wieder. Irgendwer servierte das Dessert. Kurz sah sie auf den süßen Berg vor sich, dann wieder in seine Augen. Am besten, sie schaufelte dieses Zeug in sich hinein, das würde diese peinliche Stille überbrücken. Aber der Stein in ihrem Magen machte es unmöglich, auch nur noch einen Bissen hinunter zu bringen. Eigentlich dachte sie gerade jetzt an etwas Härteres. Sie brauchte unbedingt einen Magenbitter oder Ähnliches. Auch wenn sie wusste, dass der nicht wirklich half, aber der Gedanke, etwas gegen die aufsteigende Übelkeit zu unternehmen, machte alles ein wenig erträglicher. „Ich brauch einen Schnaps.“

John nickte. „Ich auch.“ Er rief den Kellner, oder was immer dieser in Wirklichkeit war, und bestellte zwei Aquavit. Ella lächelte dankbar und erlangte langsam ihre Fassung zurück.

„Ich komme mir vor, als wäre ich in einem falschen Film.“

„Jep, ich weiß, was du meinst. Ich versuche auch schon seit ein paar Tagen aufzuwachen.“ Er erhob das Glas und prostete ihr zu.

Einen Trinkspruch verkniff er sich. Was hätte er auch sagen sollen? Auf uns oder auf die Freiheit oder etwas so Abwegiges wie auf die Liebe? Das Zeug brannte in der Kehle und plumpste direkt in den Magen, in dem sich wohlige Wärme ausbreitete. „Grauenhaftes Zeug.“ Sie verzog den Mund, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.

Die Zeit war wie im Fluge verronnen. Ein Blick auf die Uhr ließ ihre Nackenhärchen aufstellen. Wie lange blieb ihnen wohl noch, bis es ans Eingemachte ging? Was, wenn es schon heute Nacht dazu kommen sollte? Ihr wurde heiß und kalt. Der Tisch wurde abgeräumt, und wie auf Knopfdruck erschienen die beiden Paviane am Tisch. Hinter ihnen kam Sauer zum Vorschein. Beinahe hätte sie ihn übersehen, da er schmächtig neben den beiden Hünen wirkte. Sein schmallippiges Grinsen hätte sie ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen.

„Wie es aussieht, habt ihr den Abend genossen.“ Seine kalten Augen leuchteten. „Wenn man euch Turteltäubchen zusieht, könnte man meinen, dass ihr es gar nicht erwarten könnt, übereinander herzufallen.“

 

Wäre ihr nicht so elend zumute, hätte sie erst laut aufgelacht und ihm anschließend die Augen ausgekratzt. Das Ganze glich einer Schmierenkomödie. Sie wusste genau, warum er dieses Essen inszeniert hatte. Er war ein kleiner perverser Typ, der sich an dem hier aufgeilte. Sie konnte es an seinem geifernden Blick erkennen. Kleine Männer mussten ihre Körpergröße durch Machtspielchen ausgleichen. Vermutlich hatte er das Essen mit irgendwelchen Mittelchen manipuliert. Sie hatte schon von solchen Sexdrogen gelesen, aber sicher hatte er viel bessere Medikamente. Plötzlich wusste sie, an wen er sie erinnerte. Rumpelstilzchen. Dieser Vergleich war gleich doppelt zutreffend, denn auch er wollte ihr Kind.

„Es wird Zeit, in eure Quartiere zu wechseln. Oder soll ich euch gleich in das Schlafzimmer bringen?“

Sein Lachen war anzüglich und unpassend und ließ ihr Herz in die Hose rutschen. Sie überlegte hin und her und wog die Möglichkeiten ab. Wenn sie jetzt getrennt würden, wie sollten sie sich über Fluchtpläne unterhalten? Gab es dafür in den nächsten Tagen noch Gelegenheit? Was, wenn sie keine Minute mehr allein sein würden? Unter ständiger Beobachtung stehend konnte man schlecht solche Pläne schmieden. Oder war das nur ein Test? Was, wenn sie darauf bestand, mit ihm untergebracht zu werden? Wie würde John darauf reagieren? Vermutlich dachte er, sie wäre scharf auf ihn. Sie stand unsicher auf. Mit den Händen krallte sie sich am Tisch fest, damit sie nicht umfiel.

Warten

Bis zu Ellas empfänglicher Phase dauerte es noch ein paar Tage. So konnten die zwei sich noch ein wenig beschnuppern. Je mehr sie sich zueinander hingezogen fühlten, desto besser war die Aussicht auf einen baldigen Züchtungserfolg. Falls sie sich innerlich dagegen wehrte … Er wusste, wozu ein weiblicher Körper fähig war. Die verabreichten Pheromone zeigten erste Wirkung, denn er selbst fühlte sich zu Ella hingezogen. Das Zeug hatte nichts mit dem billigen Spray aus den Sexshops gemein. Bis zur vollen Entfaltung dauerte es nicht mehr lange. Egal, wie sehr sie sich dagegen wehrten, am Ende war John die Motte und Ella das Licht. Unmöglich, voneinander zu lassen. Ihre Nähe brächte jeden Mann um den Verstand. Und auch sie würde mehr als empfänglich für männliche Nähe sein. Das Timing war perfekt. Sauer hatte die beiden per Monitor aus dem angrenzenden Zimmer überwacht. Das Zeug wirkte schon jetzt, da war er sicher. Die beiden flirteten eindeutig. Vermutlich hatte John bereits einen Dauerständer und konnte an nichts anderes denken, als Ella zu beglücken. Auch Ella reagierte wie erwünscht. Er dachte an die vorangegangenen Versuche und er erinnerte sich nur zu gut, wie auch er den geimpften Frauen erlag. Als wenn ein Rüde eine läufige Hündin wittert. Die hohe Erfolgsaussicht war wissenschaftlich fundiert und es gab nur wenige Männer, die nicht dafür empfänglich waren. Für diese Ausnahmen gab es andere Mittel, aber das wäre erst der zweite Schritt.

Natürlich könnte er ihnen einfach Eizellen und Sperma abzapfen, aber warum sollte er weiterhin fremde Leute für das Austragen und die Aufzucht der Kinder bezahlen? Sollten sich die Probanden doch selbst um ihre Brut kümmern. Bezugspersonen waren immer schon ein wichtiger Teil in diesem Experiment, und leibliche Eltern waren die besten Aufpasser. Die Fluchtgefahr würde dadurch auch auf ein minimales Maß herabsinken. Die wenigsten Eltern würden ohne ihr Kind eine Flucht in Erwägung ziehen. Durch verschiedenste Experimente hatten sie die bestmöglichen Partner ausgesucht. Die Wahrscheinlichkeit, dass daraus außergewöhnliche Früchte hervorgingen, betrug neunzig Prozent. Außerdem hatte er überall Kameras installiert, insgeheim freute er sich bereits, die Aufnahmen auszuwerten. Bei diesen beiden Exemplaren brauchte er sich anscheinend keine Gedanken mehr zu machen, denn die Blicke, die sie sich am Tisch zugeworfen hatten, sprachen Bände. Ella sah blass aus. Offensichtlich nahm sie das Ganze mehr mit, als er es erwartet hatte. Vielleicht waren es aber lediglich die Nachwirkungen des Betäubungsmittels.

Heute war er zufrieden, alles entwickelte sich nach seinen Vorstellungen. Er war ein Kämpfer. Klein, aber oho, und am Ende hätte er es allen gezeigt. Seiner Familie, die ihn immer müde belächelte. Seinen damaligen Mitstudenten, die meinten, ihn auf seine Körpergröße reduzieren zu müssen. Und den Miststücken von Frauen, die ihn nie eines Blickes gewürdigt hatten. Allen wollte er beweisen, wie groß er in Wirklichkeit war. Nur Marie hatte es vom ersten Augenblick erkannt. Er lächelte, wandte sich vom Monitor ab und ging hinaus. Nun dauerte es nicht mehr lange. Die Wissenschaftler würden weltweites Ansehen mit der neuen Herrenrasse erlangen. Die über Jahre gesammelten Forschungsergebnisse könnte man profitabel an den Mann bringen. Und er stünde endlich über all den beschränkten Kleingeistern seiner Vergangenheit. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.

*

Als er bemerkte, wie Ella zu schwanken begann, war John schnell bei ihr und fing sie im letzten Moment auf. Besorgt sah er die schlaffe Gestalt in seinen Armen an. Als sie endlich die Augen aufschlug, blickte sie verwundert zu ihm auf.

„Der Schnaps hat dich glatt aus den Schuhen gehauen.“ Verdammt, er versuchte, der Situation eine komische Note zu verleihen, sie sollte nicht merken, dass Ella ihm einen Heidenschreck eingejagt hatte. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre mit dem Kopf aufgeschlagen. Langsam kehrte die Farbe in Ellas bleiches Gesicht zurück. So gut konnte keiner schauspielern. Bis eben war er sich nicht sicher, ob sie auf Sauers Seite war und zu seiner Truppe gehörte. Ein weiterer seiner Tests. Aber das hier wäre beinahe schiefgegangen. Ella war wie ein gefällter Baum umgekippt. Entweder war sie wütend über seine taktlose Bemerkung oder zu durcheinander, um etwas zu erwidern. Er brauchte Zeit und eine Möglichkeit mit ihr zu reden, ohne dass einer mithören konnte. Natürlich könnte er erneut versuchen, von hier zu verschwinden. Ohne ihn, was hätte sie da für eine Chance? Sie war viel zu schwach und zart, um sich auch nur gegen einen dieser Kerle auflehnen zu können. Außerdem hatte sie etwas an sich, das ihn neugierig machte. Sie war ungewöhnlich, und irgendwie fand er sie niedlich. Nein, das traf es nicht wirklich. Er fand sie interessant. Ob das bereits die Wirkung auf eines der verabreichten Medikamente war? Sauer hatte irgendwann einmal erwähnt, dass sie genügend Mittel zur Verfügung hatten, um ihn gefügig zu machen. Eigentlich hatte er in diesem Zusammenhang nur an das Ruhigstellen gedacht. Mittlerweile war er sich da nicht mehr so sicher. Ein Mann in seiner Situation sollte doch eigentlich andere Gedanken haben. Er war sich bisher noch nie schwanzgesteuert vorgekommen, aber er hatte trotz des Schrecks eine Latte. Verdammt, er würde sich doch durch diese Sexdrogen nicht beeinflussen lassen, oder etwa doch? Da müsste schon etwas anderes passieren. Wenn er sie sich nackt vorstellte vielleicht, aber nur der betörende Geruch von Flieder beförderte sein Gehirn eigentlich nicht umgehend in seinen Schwanz. Ja, sie war schön. Aber eine Frau musste ihn normalerweise auf mehr als eine Art ansprechen. Jedenfalls, bevor er sich und alles andere vergaß. Ihm müsste es momentan einzig und allein darum gehen, von hier zu verschwinden. Wenn es einen Weg gab, dann fand er ihn. Und ob Ella nun in diesen Plan passte oder nicht, er würde sie nicht einfach zurücklassen. „Wir werden einen Weg hier raus finden“, flüsterte er ihr ins Ohr, bevor er sie langsam zurück auf die Füße stellte. Sie schwankte noch ein wenig, als er sie losließ. Und obwohl es nicht in seine Pläne passte, musste er sich eingestehen, dass sich sein Beschützerinstinkt regte. Wenn er sie jetzt damit überfuhr, in einem Zimmer untergebracht werden zu wollen, könnte sie auf eine von zwei Arten reagieren: Entweder sie wurde zickig, weil sie ihn für einen schwanzgesteuerten Macho hielt, der an nichts anderes dachte, als es ihr ordentlich zu besorgen. Oder sie hatte sich darüber selbst schon den Kopf zerbrochen und wusste, dass sie nur so eine Chance hatten, einen Plan auszuhecken. Sauers Hüsteln riet ihm, eine Entscheidung zu treffen. Fest sah er Ella in die Augen.

„Sie haben recht. Wenn Ella nichts dagegen einzuwenden hat, könnten wir schon heute unser gemeinsames Schlafquartier beziehen.“

Das wilde Funkeln in ihren Augen war ihm nicht entgangen. Entweder brach gleich eine Tirade los oder sie spielte sein Spielchen mit. Gebe Gott, dass sie wirklich einen so klugen Kopf hatte, wie Sauer immer wieder beteuerte. Er sah, wie sie schluckte und ihn fixierte. Dann nickte sie, straffte die Schultern und sagte: „Ich kann es kaum erwarten.“

Wow, eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, aber das machte die ganze Sache um einiges leichter. Er legte den Arm um ihre Taille und spürte im gleichen Augenblick, wie sie sich versteifte. Okay, vielleicht war das jetzt etwas dreist von ihm, aber letztendlich kam es nur darauf an, dass Sauer getäuscht wurde. Und so, wie er dessen geifernden Blick interpretierte, hatte er den Köder geschluckt.

„Gut, ich will dem jungen Glück nicht im Wege stehen. Ich hätte allerdings nicht damit gerechnet, dass ihr es nicht einmal ein paar Tage abwarten könnt.“ Sauer machte eine einladende Handbewegung in Richtung Aufzug.

Dem kleinen Scheißer würde er früher oder später einen Strich durch die Rechnung machen. Ja, er hatte einen Menschen mit besonderen Gaben in die Welt gesetzt, aber machte nun den Fehler, seine Schöpfungen zu unterschätzen. Eigentlich hätte er ihm mehr Grips zugetraut. Wenn man so etwas wie das hier durchzieht, müsste man auf alles gefasst sein. John würde ihm die Hölle auf Erden bereiten und entweder persönlich Sauers kleine vertrocknete Nüsse den Eichhörnchen zum Fraß vorwerfen oder jemand anderen damit beauftragen. John war in der Stimmung, ihn gleich hier an den Eiern zu packen, wusste aber, dass er diese Aktion vertagen musste. Er nahm den Arm von Ellas Rücken und reichte ihr die Hand. Sie war kalt und zitterte leicht. Nur wenige Minuten trennten sie von ihrem Ziel und auch ihm war mulmig zu Mute. Was, wenn er sich doch nicht so im Griff hatte wie er es sich immer einzureden versuchte? Was, wenn Sexdrogen ihn wirklich zu einem vor Geilheit sabbernden Macho mutieren ließen? Allein der Gedanke, dass er heute Nacht nur wenige Zentimeter von ihr entfernt lag, machte ihn unruhig. Allerdings mussten sie Sauer ein glaubhaftes Schauspiel liefern. Irgendwie brauchte er jetzt eine Dusche, um den Kopf frei zu bekommen. Das war sowieso die einzige Möglichkeit, die sie hatten, um ungestört zu reden. Er spekulierte darauf, dass Sauer alles verwanzt und mit Kameras bestückt hatte. Seine Augen und Ohren wären allgegenwärtig. Es war eine Herausforderung, aber so etwas war eine willkommene Abwechslung zu dem eintönigen Wandangestarre der vergangenen Tage. Denn nach jeder Gegenwehr hatte man ihm Vergünstigungen wie Bücher, Fernsehen und Radio gestrichen. Am Ende lag er in einem kleinen Raum mit einem Klo und einer harten Pritsche. Vermutlich hatte eine Zelle der hiesigen Polizei dafür die Vorlage geliefert. Es fehlte nur noch die Klappe, unter der sie das Essen durchschoben. Alles war besser als dorthin zurückzukehren. Da wurde man nach kürzester Zeit bekloppt und begann Selbstgespräche. Eine Gänsehaut überzog seinen Rücken. Dann doch lieber mit einer heißen Frau das Bett teilen. Die süße Folter wollte er gern auf sich nehmen.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und er zusammenzuckte, stellte er fest, dass sie allein waren. Sie drehte sich zu ihm um, doch bevor sie auch nur einen Satz sagen konnte, verschloss er ihr den Mund mit einem Kuss. Dieser hatte jedoch nichts Leidenschaftliches und diente einzig und allein dem Zweck, dass sie nichts Falsches sagen konnte. Kurz sah er sich um und sondierte die Lage. Das Bad musste sich hinter der nächsten Tür befinden. Er drängte sie in diese Richtung und hielt sie dabei so eng umschlungen, dass sie keine Wahl hatte, als sich weiter von ihm küssen zu lassen. Er wusste, wenn er sie freigab, konnte er sich warm anziehen. Sie versuchte sich aus seinem festen Griff zu entwinden, aber das konnte er auf keinen Fall riskieren.

Aua, das kleine Biest biss ihm in die Lippe. Kurz darauf schmeckte John das Blut auf seiner Zunge. Da war endlich die ersehnte Duschkabine. In voller Montur schob er sie darunter und mit einer schnellen Bewegung setzte er das Wasser in Gang. Anschließend ließ er ihre Handgelenke los und gab ihren Mund frei.

„Spinnst du?“ Sie schnappte nach Luft.

 

Er hielt den Zeigefinger vor den Mund und sah kurz zur Decke, an der ein weiteres Kameraauge zu sehen war. Er hoffte, dass es schnell vom Kondenswasser beschlug und unscharfe Bilder lieferte, verlassen wollte er sich aber nicht darauf. Vorsichtig näherte er sich Ella erneut, legte seinen Kopf dicht neben ihren Hals und tat so, als würde er sie küssen. „Bevor du mir den Kopf abreißt, dieser Ort ist der einzige, der uns die Möglichkeit zum Reden bietet.“ Er griff um sie herum und öffnete ihren Reißverschluss. „Wir müssen eine glaubwürdige Show liefern, sonst trennen sie uns und eine gemeinsame Flucht wird aussichtslos. Nicke, wenn du einverstanden bist.“

Langsam neigte sie den Kopf vor und zurück, blieb aber steif und kam ihm nicht entgegen. Vermutlich hatte sie Angst, er könnte sie wirklich in der Dusche vögeln. Irgendwie machte ihn das wütend. „Verdammt, könntest du so tun, als würdest du mitmachen?“, zischte er.

„Tschuldigung, dass ich mich nicht gleich von dir vernaschen lasse“, entgegnete sie, legte ihre Arme um seinen Oberkörper und zog das Hemd aus seiner Hose.

Ging doch. Okay, it‘s Showtime. Er streifte ihr die Träger von den Armen. Die Locken lösten sich aus ihrer Hochsteckfrisur und er zog nach und nach die Spangen aus ihrem Haar, bis sich ein Schleier über ihren Rücken ausbreitete. Sie hatte Mühe, ihm das Hemd über den Kopf zu zerren, weil sie die Knöpfe der Manschetten nicht geöffnet hatte. Nun war er gefangen. Er riss an den Ärmeln, bis der nasse Stoff nachgab und außerhalb der Duschwanne landete. Als ihre Zähne sich in seinen Hals gruben, zuckte er zusammen.

„Hey, bist du ein Vampir?“ War sie sauer auf ihn? So sehr er sich dagegen wappnete, sie machte ihn scharf wie Peperoni. Als dann auch noch ihre Fingernägel über seinen Rücken kratzten, war er kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es ihr Spaß machte, ihn zu foltern. Vermutlich war das die Revanche für den Kuss und die unfreiwillige Dusche. Je mehr er sich einredete, gegen derartige Berührungen gefeit zu sein, umso wackliger wurde seine Selbstbeherrschung. Spätestens, wenn sie die Knöpfe seiner Hose öffnete, wüsste sie, dass es ihn nicht kalt ließ. Er stellte den Brausekopf so ein, dass sie beide nicht mehr zu ertrinken drohten. Als sie ihren Mund an sein Ohr legte, musste er die Luft anhalten.

„Ich hoffe, du bist zufrieden mit diesem Theaterstück. Und denk gar nicht daran, deinen … also, behalt ihn bei dir, sonst kann ich nicht garantieren, dass er anschließend noch funktionstüchtig ist. Ist das klar?“

Er nickte. „Keine Angst, ich kann mich zusammenreißen.“

„Also, wie ist dein Plan? Und helfe dir Gott, wenn du keinen hast.“

In diesem Moment rutschte das Kleid bis zu den Knöcheln und gab einen ungehinderten Blick auf ihren Körper frei. Gerade eben hatte er einen Gedanken, der Sauer gut ins Konzept passen würde. Er musste grinsen und schlucken, denn das, was er da zu sehen bekam, war heiß und brachte sein Kopfkino auf Hochtouren. Die Bilder überschlugen sich förmlich und ließen ihn stöhnen. Am liebsten wäre er sofort aus der Duschwanne gesprungen, um mehr Platz zwischen sich und den fleischgewordenen Männertraum zu bringen. Ihre Drohung hallte in seinen Ohren wider. Sie stieg aus der Öffnung des Kleides und schleuderte es zusammen mit den durchweichten Schuhen in die nächste Ecke. Oh Mann, was für ein Anblick. Sie griff nach seinem Hosenbund, augenblicklich legte er seine Hände auf ihre und zog sie fort.

Sie blickte ihn provozierend an und lächelte: „Angst vor der giftigen Kegelschnecke?“

Er reagierte nicht und gab stattdessen vor, sie zu küssen, während er zu reden begann: „Nachts haben wir die besten Chancen. Dann befindet sich nur das nötigste Personal im Gebäude, außer den Wachmännern ist niemand anwesend. Wenn wir es hinbekommen, sie zu überrumpeln, können wir es vielleicht schaffen. Nur nicht heute.“

„Warum nicht?“ Sie knabberte erneut an seinem Hals.

„Ich brauche noch mehr Zeit. Irgendwie kompensiert mein Körper die Medikamente, die meine Begabung ruhigstellen sollen. Offensichtlich kehren sie trotz der Sedierung nach und nach zurück. Ich kann es spüren und kleine Versuche zeigten erste Erfolge. Aber es reicht nicht, um mehrere Personen innerhalb kürzester Zeit außer Gefecht zu setzen. Also müssen wir noch etwas abwarten. Außerdem sind die Aufpasser besonders auf der Hut, wenn Neuzugänge ins Haus gekommen sind. Und jetzt müssen wir denen wohl oder übel eine überzeugende Show liefern. Spiel einfach mit. Dreh dich zur Wand. Keine Angst, ich kann mich beherrschen.“ Wenn Ella wüsste, wie viel Kraft ihn diese Beherrschung kostete, hätte sie ihn sicher nicht mehr in ihre Nähe gelassen.

Sie blieb stumm. Er hatte mit einer Drohung gerechnet, aber das stille Einvernehmen machte ihn noch nervöser. Allerdings schien sie sich bei seiner Berührung zu versteifen. Hatte er in ihren Augen interessiertes Funkeln gesehen, oder hatte er das auch falsch verstanden? Wer wusste schon, was in dem Kopf einer Frau vorging? Dann kam ihm eine andere Idee. Mimte sie nur die Unnahbare, um das Gesicht zu wahren? War das eine Art Spiel? Eine Form der Herausforderung, um zu sehen, wie weit er gehen würde? Ihm kam eine andere Idee: Was, wenn er es auf einen Versuch ankommen ließ? Ob sich die Wildkatze dann wohlig schnurrend in eine Schmusekatze verwandelte?

Ihre Schminke war verlaufen und verlieh ihrem Gesicht etwas Furchteinflößendes, aber auch etwas Zerbrechliches. Die Gegensätze brachten ihn ins Schwanken. Am liebsten hätte er sie in seine Arme genommen, um sie zu trösten. Vorsichtig hob er die Hände und wischte ihr die Schminke unter den Augen weg. „Du weißt, dass wir es irgendwann tun müssen. Sauer wird sich nicht lange von unserem Schauspiel täuschen lassen.“ Er wusste nicht, was er schwerer ertrug: ihr schockiertes Gesicht oder das Schweigen, das wie eine undurchdringbare Wand zwischen ihnen stand. „Ich werde dir nicht wehtun. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Er streichelte über ihr Gesicht und küsste sie sanft und dann fordernder auf den Mund. Erst reagierte sie nicht, aber als sie ihre Lippen öffnete und seiner Zunge Einlass gewährte, freute er sich, dass sie es offenbar genoss. Sie lehnte sich an ihn und wurde weich in seinen Armen. Als er sie wieder freigab, wankte sie leicht. Also doch, stellte er fest. Der Augenblick war schnell vorüber und schon wirkte Ella wieder gefasst.

„Könntest du dich bitte ein bisschen beeilen? Ich will endlich hier raus.“

Er öffnete die Hose und bevor sie einen Blick nach unten werfen konnte, drehte sie sich an die Wand. Ella spürte, wie sich sein harter Penis an ihren Po drängte. Die mechanischen Bewegungen dienten nur dem Schauspiel, aber der Gedanke, dass er nur wenige Zentimeter von ihrer Mitte getrennt war, stellte auch für einen willensstarken Mann eine Herausforderung dar. Es war wie eine süße Folter. Ella stöhnte wie ein Profi und er musste nichts vorspielen. Sein Schaft rieb sich an ihrem nackten Hintern, schickte prickelnde Lust sein Rückgrat hoch. Noch ein paar Stöße und er würde explodieren, ohne auch nur in ihr gewesen zu sein. Er versuchte, an etwas Unerotisches zu denken, aber sein Hirn wollte seine Zeit nicht mit Denken verplempern. Kurz bevor sich der Sturm in seinen Hoden zusammenbraute und ihn zutiefst erniedrigen würde, zog er sich zurück.

Der nüchterne Gedanke brachte ihn zur Besinnung. Er stöhnte auf, ließ den Kopf hängen, gerade so, als hätte er seinen Höhepunkt erreicht. Danach stieg er aus der Dusche. und versteckte seine unverändert steife Männlichkeit rasch unter einem Handtuch. Er musste schnellstens hier raus, bevor er sich vergaß und über sie herfiel. Wem versuchte er hier eigentlich etwas vorzumachen? Die nächsten Tage in ihrer Nähe würden die Hölle werden. Es war, als hätte er den Hauptpreis gewonnen, ohne gespielt zu haben. Und verdammt, er war auf diesen Gewinn scharf. Er ließ sich aufs Bett fallen und starrte die Decke an. Und er wusste jetzt schon, dass es sich lohnte, auf den Preis zu warten. Am Ende sollte sie ihn um mehr anbetteln und er wäre gerne bereit, ihrem Wunsch nachzukommen. Aber ohne Publikum, nur sie beide. Nicht, dass er eingebildet war … er hatte sie durchschaut. In diesem schwachen Moment in seinen Armen hatte sie ihm gezeigt, wie es wirklich in ihr aussah.