Die NATO

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2.5.2 Finanzierung der NATO

Während die nationalen Verteidigungsbudgets häufig als indirekte Finanzierung der NATO bezeichnet werden, überweisen die Mitgliedstaaten ebenfalls einen kleinen Anteil aus ihren Verteidigungsbudgets zur Finanzierung der Strukturen und ihrer Aufgaben direkt an die NATO. Hierfür gibt es eine Faustregel von ≤ 0,5 % des nationalen Verteidigungsetats,1 realiter einigen sich die Staaten aber untereinander, nach ihren jeweiligen Möglichkeiten zum Allianzbudget für zivile (2019: ca. $266 Mio.) und militärische Strukturen und KapazitätenKapazitäten (militärische) (ca. $1,6 Mrd.) sowie zum NATO Security Investment Programme (NSIP, ca. $785 Mio.), einem Fonds für strategische und taktische, zivile und militärische Infrastruktur, beizutragen. Hieraus ergibt sich ein aktueller Finanzbedarf von jährlich ca. $2,7 Mrd. für die permanenten Ausgaben der Allianz (NATO 2019g).

Bis ins Jahr 2020 sind auch bei dieser direkten NATO-Finanzierung die USA mit 22,1 % die größten Lastenträger. Dahinter folgen Deutschland mit 14,8 % der Ausgaben sowie mehrere große Staaten (Frankreich, UK) mit ca. 10 %, während Polen oder die Niederlande um 3 % liegen. Auch IslandIsland steuert 0,06 % bei und liegt damit noch vor Montenegro (0,03 %, alle Zahlen NATO 2019g).


Mitgliedstaaten Vereinbarte Kostenverteilung Anteile in Prozent (%)
2018-19 2020 2021-24
Albanien 0,08 0,08 0,09
Belgien 1,95 1,95 2,10
Bulgarien 0,34 0,34 0,37
Dänemark 1,22 1,22 1,31
Deutschland 14,76 14,77 16,34
Estland 0,12 0,12 0,12
Frankreich 10,50 10,50 10,49
Griechenland 0,98 0,98 1,06
Großbritannien 10,46 10,46 11,28
0,06 0,06 0,06
Italien 8,14 8,14 8,78
Kanada 6,38 6,38 6,88
Kroatien 0,28 0,28 0,30
Lettland 0,15 0,15 0,16
Litauen 0,24 0,24 0,26
0,16 0,16 0,17
Montenegro 0,03 0,03 0,03
Niederlande 3,20 3,20 3,45
Nordmazedonien* - 0,07 0,08
Norwegen 1,65 1,65 1,78
Polen 2,77 2,77 2,99
Portugal 0,97 0,97 1,05
Rumänien 1,14 1,14 1,23
Slowakei 0,48 0,48 0,52
Slowenien 0,21 0,21 0,28
Spanien 5,55 5,55 5,99
Tschechien 0,98 0,98 1,06
Türkei 4,38 4,38 4,73
Ungarn 0,70 0,70 0,76
USA 22,14 22,14 16,34
* Nordmazedonien ist erst im März 2020 NATO-Mitglied geworden. Die Beiträge der anderen Staaten werden dadurch kaum verändert.

Tabelle 9:

Kostenverteilung direktes NATO-BudgetNATO-Budget(s) (Quelle: (NATO 2019g, inkl. pdfs), eigene Darstellung).

Ende des Jahres 2019 gab es eine Einigung auf eine neue Kostenaufteilung für das direkte Budget der Jahre 2021-2024 in Höhe von $2,38 Mrd., die vor allem den deutsch-amerikanischen Streit um zu geringe deutsche MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) und Beiträge zur NATO mildern sollte (von Salzen 2019; Welt.de 2019). Nach dieser Einigung werden ab 2021 Deutschland und die USA jeweils gleich viel – 16,34 % – zum direkten NATO-BudgetNATO-Budget(s) beitragen (NATO 2019g). Dadurch steigt der deutsche Beitrag von $351 Mio. auf $388 Mio., während der amerikanische um $138 Mio. im Jahr geringer ausfällt. Die verbliebene Differenz aus dem geringeren US-Anteil zahlen alle Alliierten außer Frankreich, das wegen einer grundsätzlichen Ablehnung dieses Deals auf gleichem Level bleibt (von Salzen 2019).2 Der Konflikt bezüglich der weitaus gewichtigeren indirekten Finanzierung der NATO – sowohl, was die nationalen Verteidigungsetats angeht als auch die indirekten Kosten durch Truppenstellung und die Teilnahme an Missionen – wird dadurch jedoch nicht gelöst.

 

2.5.3 NATO-Budgets

DieNATO-Budget(s) oben beschriebene Kostenaufteilung der direkten Beiträge zur NATO macht nur einen Teil des Budgets der Allianz aus, das sich zudem auf zivile und militärische Ausgaben und Aufgaben erstreckt. Es gibt in der NATO viele weitere Finanzierungsmechanismen, die sich grob anhand von vier Kategorien unterscheiden lassen: zivile Ausgaben, militärische Permanentausgaben, militärische Projektausgaben und Missionsausgaben (NATO 2019g).

 ziviles Budget: Kosten für administrative, politische Governance (ISInternational Staff (IS, NATO)-Ausgaben); Gebäudeinfrastruktur und Sicherheit;1

 gemeinsames militärisches Budget: Kosten für die integrierte KommandostrukturMilitärstruktur (inkl. IMSInternational Military Staff (IMS), ohne Sold); 35 Unterbudgets, inkl. AWACSAWACS, Operationshauptquartiere;

 projektbezogene Budgets: Verwaltung von nationalen Geldern durch NATO(-AgenturAgenturen (NATO)en), z. B. Rüstungsprojekte; NATO Security Investment Programme, kritische gemeinsame Infrastruktur;

 indirektes Budget: Missionskosten, von truppenstellenden Staaten getragen (außer NATO-Infrastruktur, s. gemeinsames Budget). Fälschlicherweise hierunter oft auch Diskussion über nationale Verteidigungsetats (s. o.; NATO 2019g)

Zusammenfassend hängt die budgetäre Ausstattung der NATO somit von drei Faktoren ab. Erstens ist die Allianz bei der Durchführung kollektiver Sicherheitkollektive Sicherheitsmissionen (indirekte Ausgaben) stark von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten abhängig, Missionen auszuführen und dafür Kosten zu übernehmen. Zweitens ist das direkte Budget der NATO vom Gelingen von Aushandlungsprozessen zwischen allen 30 Mitgliedstaaten abhängig. Zwar gibt es einen allgemein anerkannten Kostenaufteilungsschlüssel, doch sind diese Aushandlungsprozesse politischen Konjunkturen von Einheit und Missstimmungen unterworfen. Drittens und abschließend ist der Unterschied der nationalen Verteidigungsetats der 29 europäischen Alliierten und Kanadas einerseits und der USA andererseits eklatant. Dies hängt natürlich zunächst mit der globalen Rolle zusammen, die die USA sicherheitspolitisch weit über die NATO hinaus innehat, spielt in der aktuell politisch angespannten Situation aber in die Hände derer, die eine 69:31 %-Aufteilung (USA/Rest) der VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) als nicht länger tragbar ansehen. Die Angleichung des direkten Budgetfinanzierungsanteils der NATO zwischen Deutschland und den USA ändert hieran nichts. Letztlich sagt die Höhe der VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) zumindest mittelbar etwas über die Einsatzfähigkeit einer Armee für die Allianz aus.

2.6 Zusammenfassung: Die NATO als Vehikel amerikanischer Hegemonie versus die Macht der Institution

DiesesHegemonie (USA) Kapitel hatteMacht den Zweck, seine Leser*innen mit den institutionellen Grundlagen, die die Allianz organisatorisch definieren, und damit verbundenen politischen Aspekten vertraut zu machen, die das Bündnis in seinem täglichen Handeln prägen. Unter Mithilfe des NeoliberalLiberalismusen InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus konnte verdeutlicht werden, warum die NATO in einigen Bereichen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik intensiv zusammenarbeitet und einzigartige kooperative Institutionen, Praktiken und Politiken in diesen politischen Feldern geschaffen hat. Trotzdem bleibt die NATO eine zwischenstaatliche Institution, deren Strukturen in ihrer Existenz und ihrem Handeln an die Vorgaben der Mitgliedstaaten, Kooperationswillen und Einstimmigkeit gebunden sind. Es besteht allerdings eine verbindliche KulturKultur der Konsenssuche (Pouliot 2016, 90). Diese Konstellation hat zur Folge, dass der Großteil militärischer KapazitätenKapazitäten (militärische) und Entscheidungen auf nationalstaatlicher Ebene verbleibt. Vor allem im Bereich der Kapazitätsplanung und Beschaffung wären noch große Zuwächse an Kooperation und Integration möglich, die Kosten reduzieren und die gemeinsame Handlungsfähigkeit und InteroperabilitätInteroperabilität vergrößern würden, aber letztlich sind hier zentrale Fragen der nationalen Souveränität, des technologischen Knowhows und der Unabhängigkeit sowie der Industriepolitik miteinander verknüpft, die bereits nationalstaatlich nicht einfach zu lösen sind.

Die Diskussion der Grundlagen der Allianz, vor allem bezüglich der Finanzen, hat auch das große Gewicht der USA herausgestellt. Seit der Gründung 1949 sind die US-Amerikaner*innen der militärisch stärkste Bündnispartner. Die europäischen Staaten akzeptierten in Anbetracht der Blockkonfrontation daher einen gewissen Grad an Gefolgschaft gegenüber den USA. Auch nach dem Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs hat sich an dieser MachtMachtverteilung nichts geändert, da die finanzielle Lastenverteilungburden-sharing noch einseitiger wurde. Mit dem Willen und den Mitteln, ein sicherheitspolitischer Akteur globaler Reichweite zu sein, haben die USA automatisch eine Führungsposition in der NATO, die sich z. B. in der Tradition äußert, dass der SACEURSACEUR stets ein US-Amerikaner ist. Weitere Merkmale dieser Führungsposition sind auch die Ausrichtung von NATO-Doktrinen an amerikanischen Vorlagen, die hohen US-amerikanischen Truppenkontingente bei gemeinsamen Missionen wie in AfghanistanAfghanistan(kriege) oder die Tendenz der USA, Rüstungsprojekte und -produkte eigener Firmen in der Allianz bzw. bei den Alliierten platzieren zu wollen. Weder kleine Bündnispartner noch größere spielen hier in derselben Liga wie die USA – und dies in vollem Bewusstsein. Man kann den USA also auch nicht verübeln, dass sie führen, wenn andere das nicht können oder wollen.

Gleichwie gibt es jedoch Grenzen der Gefolgschaft, die wir z. B. in der französischen Entscheidung zum Verlassen der Militärstrukturen 1966 oder im IrakIrakkriegkrieg 2003 gesehen haben, und Momente, in denen die US-Amerikaner*innen in ihrem Führungsanspruch über die Stränge schlagen. Trotzdem ermöglicht gerade in solchen Situationen die NATO mit ihren Strukturen, dass auch die Positionen anderer, kleiner wie großer Staaten gehört werden und berücksichtigt werden müssen, wenngleich die USA mit ihrer MachtMacht und Expertise Entscheidungen in ihre Richtung lenken können (Rösch 2016, 171ff.). Die Probleme und Leistungen dieser Kooperation sollen in den nächsten Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven vertieft werden.

2.7 Diskussionsfragen und weiterführende Literatur

Diskussionsfragen:

 Welche Sicht hat der InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus auf die Möglichkeiten und Chancen internationaler Kooperation?

 Wie verändern Institutionen internationale Politik?

 Welche verschiedenen Interessen mussten bei der Gründung der Allianz und der Auswahl der Mitglieder unter einen Hut gebracht werden?

 Welche Bedeutung kommt der Existenz gemeinsamer politischer und militärischer Strukturen in der NATO zu? Wobei helfen sie ihr, was machen sie möglich, was erschweren sie?

 Welche Vorzüge und Nachteile hat das Konsensprinzip?

 Welche Rolle kann der GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär in der NATO spielen? Worauf muss er bei seinen Initiativen Rücksicht nehmen?

 Welche Faktoren spielen bei der Budgetplanung und den Finanzen der NATO eine Rolle und wo liegt Konfliktpotential?

 Warum hat die NATO nur wenige eigene KapazitätenKapazitäten (militärische) und wie funktioniert dann die Verteidigungs-/ Einsatzplanung? Auf welche Probleme stößt sie durch den notwendigen Rückgriff auf nationale KapazitätenKapazitäten (militärische)?

Weiterführende Literatur:

Dülffer, Jost (1999). Jalta, 4. Februar 1945 – der Zweite Weltkrieg und die Entstehung der bipolaren Welt. München: dtv.

Ehlert, Hans, Christian Greiner, Georg Meyer und Bruno Thoß, Hrsg. (1993). Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956: Band 3, Die NATO-Option. München: Oldenbourg.

Haftendorn, Helga, and Otto Keck, Hrsg. (1997). Kooperation jenseits von Hegemonie und Bedrohung. Sicherheitsinstitutionen in den internationalen Beziehungen. Baden-Baden: Nomos.

Haftendorn, Helga, Robert O. Keohane, and Celeste A. Wallander, Hrsg. (1999). Imperfect Unions. Security Institutions over Time and Space. Oxford and New York: Oxford University Press.

Harbutt, Fraser J. (2010). Yalta 1945: Europe and America at the crossroads. Cambridge (UK): Cambridge University Press.

Hendrickson, Ryan C. (2006). Diplomacy and War at NATO: The Secretary General and Military Action After the Cold War. Columbia (MO): University of Missouri Press.

Krell, Gert und Harald Müller, Hrsg. (1994). FriedenFrieden und Konflikt in den internationalen Beziehungen. Festschrift für Ernst-Otto Czempiel, Studien der Hessischen Stiftung FriedenFriedens- und Konfliktforschung, Bd. 26. Frankfurt am Main: Campus.

Wallander, Celeste A. (1999). Mortal Friends, Best Enemies: German-Russian Cooperation after the Cold War. Ithaca et al. (NY): Cornell University Press.

3 Kollektive Verteidigung während des Kalten Kriegs: Beistand, Bipolarität, Atomwaffen und Krisen

DiesesKalter Krieg Kapitel besprichtPolarität die kollektive Verteidigungkollektive Verteidigungsstrategie und dieAtomwaffen daraus erwachsenden Handlungen und Praktiken des transatlantischen Bündnisses während des Kalten KriegsKalter Krieg mit der Sowjetunion. Dazu werden zunächst der NeorealisRealismus (Neo-)mus und die neorealistische AllianztheorieAllianztheorie vorgestellt, die als zentrale Theorien zur Erfassung sicherheitspolitischen Handelns von Staaten gelten und mit Bezug zur NATO auch den Aspekt der US-HegemonHegemonie (USA)ie diskutieren (3.1). Diese Theorien sollen die folgenden Ausführungen rahmen. Abschnitt 3.2 befasst sich mit dem Aufbau der kollektiven Verteidigung zwischen 1949 und 1955. Den Veränderungen der kollektiven Verteidigung durch die deutsche WiederbewaffnungWiederbewaffnung im Jahr 1955 wird in Abschnitt 3.3 nachgegangen. Zentral für das Verständnis der Blockkonfrontation während des Kalten KriegsKalter Krieg sind zudem Fragen der NuklearstrategieNuklearstrategie (3.4) und der AbrüstungAbrüstung (3.5). Dabei werden zentrale Krisen wie die KubaKuba(krise)- und Berlinkrisen oder der NATO-DoppelbeschlussNATO-Doppelbeschluss dargestellt, die als heiße Episoden der Auseinandersetzung gelten. In Abschnitt 3.6 wird ein kurzes Résumé über den betrachteten Zeitraum seit 1949 gezogen, bevor sich Abschnitt 3.7 mit dem vorläufigen Schlussstrich unter die Blockkonfrontation, dem Ende des Kalten Krieges seit dem deutschen Mauerfall im Jahr 1989 und dem darauffolgenden Ende der Sowjetunion bis 1991 befasst.

3.1 Neorealismus und neorealistische Allianztheorie

Der NeorealisRealismus (Neo-)mus, undAllianztheorie vor ihm der Klassische RealismusRealismus, Klassischer (Carr 1939; Herz 1951; Morgenthau 1948), gilt seit den 1980er Jahren trotz einer mittlerweile deutlich ausdifferenzierteren Theorielandschaft und grundlegender Kritik (Keohane 1986; Lebow und Risse-Kappen 1995) nach wie vor als Basistheorie der Internationalen Beziehungen, vor allem im Feld Sicherheit. Wenngleich gerade die NATO mit ihrer Langlebigkeit und ihrer AnpassungsfähigkeitTransformation zur Theoriebildung über Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit jenseits neorealistischer Erklärungen beigetragen hat (Risse-Kappen 1996; Tuschhoff 1999; Wallander 2000; Wallander und Keohane 1999), so ist der NeorealisRealismus (Neo-)mus dennoch hilfreich, um grundlegende Allianzdynamiken und -probleme zu verstehen.