Die NATO

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2.3.4 Agenturen

NebenAgenturen (NATO) den bisher vorgestellten Strukturen wurden vom Bündnis weitere AgenturAgenturen (NATO)en gegründet, die zentrale Dienstleistungsaufgaben bereitstellen und für konkrete Politikkoordination unter den Mitgliedstaaten sorgen. Seit der letzten Reform im Jahr 2011 gibt es über 15 Teilbereichsagenturen, die diese Zentralaufgaben wahrnehmen und bestimmte Programme koordinieren (NATO 2017e). Daraus wurden vier übergreifende AgenturAgenturen (NATO)en an verschiedenen Standorten im Bündnis gebildet: die NATO Communications and Information Agency (NCIA: IT-Systeme, Cyberabwehrcyber security, C2); die NATO Support and Procurement Agency (NSPA: gemeinsame Beschaffungsverfahren, LufttransportLufttransportkoordination); die NATO Science and Technology Organization (STO: Forschungskooperation, wissenschaftliche Beratung); und das NATO Standardization Office (NSO: Implementierung von Standardisierungsverfahren; NATO 2015d). Die NATO-AgenturAgenturen (NATO)en sollen zu mehr Kohärenz im Handeln der NATO-Institutionen und Mitgliedstaaten sorgen und dienen als ermöglichender Akteur in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen.

2.3.5 Kooperationsgremien: Der NATO-Russland-Rat

Nach dem Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs hat die NATO im Zuge der Verlagerung auf kollektive Sicherheitkollektive Sicherheitsaufgaben Kooperationsinitiativenkooperative Sicherheit mit Drittstaaten etabliert, um Sicherheit im transatlantischen Raum herzustellen oder im Rahmen von konkreten Missionen zusammenzuarbeiten (s. Kap. 5.2). Aufgrund der historischen Umstände nimmt die Kooperation mit Russland eine besondere Stellung ein. Russland wurde sowohl Mitglied im Euro-Atlantic Partnership CouncilEAPC (EAPCEAPC) als auch in dessen Partnership for PeacePartnership for Peace (PfP) (PfP)-Programm (Hill 2018, Kap. 4). Es nahm in den 1990er Jahren ebenfalls an NATO-geführten UN-Peacekeeping-Missionen auf dem Balkan teil und gewährte für die späteren AfghanistanAfghanistan(kriege)einsätze der Allianz logistische Unterstützung (NATO 2019p). Im Jahr 1997 unterzeichneten die NATO und Russland eine sogenannte GrundakteNATO-Russland-Rat (NRC/PJC) (Founding Act) über ihre Beziehungen, die festhält, dass sie sich nicht mehr als Gegner ansehen, sie Demokratie und kooperative Sicherheitkooperative Sicherheit stärken wollen, strategisch-doktrinale Transparenz herrschen und das Denken in Einflusssphären samt seiner Missachtung von nationaler Souveränität enden soll (NATO 1997a). Ein Ständiger Gemeinsamer Rat (Permanent Joint Council, PJC) sollte monatlich auf Botschafter- und zweimal jährlich auf Ministerialebene unter Beteiligung von Militärs tagen und Themen gegenseitigen Interesses, u.a. Konfliktbearbeitung, Anti-TerrorAnti-Terror, gemeinsame Operationen, RüstungskontrollRüstungskontrollee oder WMDMittelmeerdialog-Proliferation, bearbeiten. Der PJC war somit auf Zusammenarbeit und das Bilden von Vertrauen ausgerichtet, wobei die unabhängige Entscheidungsfähigkeit nicht beeinträchtigt werden sollte (Hill 2018, 136f.; Peterson Ulrich 2003, 32f.).

2002 löste der aufgewertete NATO-Russland-Rat (NATO-Russia Council, NRC) das PJC ab (NATO 2019 l). Während die NATO und Russland im Bereich des Terrorismus durchaus produktiv kooperierten, zeugten Debatten um die von der Bush Jr.Bush, George W.-Regierung initiierten RaketenabwehrRaketenabwehr (missile defense, Stationierung von neuen Abfangsystemen in Polen, Rumänien) davon, dass Russland zwar informiert, ihm aber keine Mitentscheidungsrechte eingeräumt wurden. IdeeIdeen (Konzept)n zu einer russischen Beteiligung am neuen Verteidigungssystem, das gegen Staaten wie IranIran-Atomabkommen (JCPoA) gerichtet sein und nicht etwa das russische Nuklearpotential lahmlegen sollte, wurde von den Alliierten letztlich ausgeschlagen, da dies als ein zu tiefer Einblick in militärische FähigkeitenKapazitäten (militärische) gesehen wurde (Ratti 2013, 266ff.). Es entstand der Eindruck, dass die Kooperation mit der NATO nicht auf Augenhöhe stattfand und alte Konfrontationsmuster nicht vollends überwunden werden konnten (Hill 2018, 253f.; s. auch Wæver 2014, 54ff.). (Man muss sich wohl auch fragen, ob dies so kurz nach dem Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs eine realistische Annahme war.)

Die Beziehungen zwischen Russland und den NATO-Staaten verschlechterten sich seit 2006 im Zuge der russischen Unterstützung von Unabhängigkeitsbewegungen in zwei georgischen Teilrepubliken, Abchasien und Südossetien, die bis zum militärischen Eingreifen Moskaus zum Zurückschlagen georgischer Kräfte im Jahr 2008 führte. Die USA favorisierten eine NATO-Mitgliedschaft GeorgienGeorgien(krieg)s (und der Ukraine), worauf Russland nicht gut zu sprechen war (Hill 2018, Kap. 8). NRC-Treffen wurden bis zum Frühjahr 2009 eingestellt. Zu einer noch deutlicheren Verschlechterung der Beziehungen führte die Invasion der KrimUkraine/Krim(krise) ab Februar 2014 mit ihrer völkerrechtswidrigen Annexion und der darauf aufbauende Konflikt im Osten der Ukraine. Durch die gewaltsame Veränderung von Grenzen hat sich eine neue Bedrohungsperzeption in der Allianz entwickelt. Alle Kooperationsformate mit Russland wurden von April 2014 bis 2016 komplett eingestellt. Die Arbeit des NRC läuft seit 2016 mit wenigen Sitzungen pro Jahr und der Feststellung gegenseitiger Uneinigkeit bzgl. der Ukraine, SyrienSyrien(krieg)s und RüstungskontrollRüstungskontrollee langsam wieder an (NATO 2019 l, p). Nichts kann jedoch im Moment darüber hinwegtäuschen, dass die Beziehungen auch mit Blick auf die russischen Einmischungsversuche in politische Prozesse der NATO-Staaten auf einem Tiefpunkt angelangt sind (s. Kap. 4.4, 7; Hill 2018, 370ff.).

2.3.6 Die Parlamentarische Versammlung

WenngleichParlamentarische Versammlung (NATO-PA) formal nicht Teil der NATO-Strukturen, existiert seit 1955 eine Parlamentarische VersammlungParlamentarische Versammlung (NATO-PA) (NATO-PA) aus Mitgliedern der nationalen Parlamente der NATO-Mitgliedstaaten. Seit 1979 tagt die Parlamentarische VersammlungParlamentarische Versammlung (NATO-PA) an rotierenden Orten zweimal jährlich und arbeitet ähnlich nationaler Volksvertretungen auch dazwischen in Ausschüssen. Die Grundsatzidee ist, Parlamentarier*innen in NATO-Themen einzubinden und den transatlantischen Austausch demokratisch legitimierter Vertreter*innen zu fördern, womit die Versammlung das in der Präambel und Art. 2 des NordatlantikvertragNordatlantikvertrags vorgesehene Wertefundament und transatlantische Solidarität betont. Seit 1967 bestehen formale Kontakte zur NATO durch Besuche des GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatärs und seinen Stellungnahmen zu Empfehlungen der Versammlung. Die Versammlung war eine Vorreiterin der Integration der östlichen Staaten Europas nach 1991, die früh einen Beobachterstatus bekamen (Flockhart 2004). Die NATO-PA unterhält auch Kontakte zu weiteren Staaten und Versammlungen anderer Organisationen (EU, OSZE, Europarat; Marschall 2005, 164f., 198ff.; NATO-PA o. J.-a, b).

Die Parlamentarische VersammlungParlamentarische Versammlung (NATO-PA) der NATO ist eine so genannte interparlamentarische Versammlung. Das heißt, dass ihre Mitglieder ein parlamentarisches Mandat auf höchster nationaler Ebene ausüben und in die PA proportional zu ihrer Vertretung in nationalen Parlamenten entsandt werden (Habegger 2005, 20; Marschall 2005, 22f.). 2020 gehören der NATO-PA 266 Mitglieder an, wobei die verschiedenen Nationen je nach Bevölkerungsstärke unterschiedlich starke Delegationen entsenden (Marschall 2005, 237f.; NATO-PA o. J.-b).1 Die fachliche Arbeit wird im Wesentlichen in fünf Ausschüssen geleistet:

 Zivile Sicherheitsfragen (Civil Dimension of Security);

 Verteidigung und Sicherheit (Defence and Security);

 Wirtschaft und Sicherheit (Economics and Security);

 Politischer Ausschuss (Political Committee);

 Wissenschaft und Technologie (Science and Technology).

Diese Ausschüsse sind teils weiter unterteilt und befassen sich mit Herausforderungen und Politiken der Allianz in ihren jeweiligen Kompetenzbereichen. Wie in Parlamenten üblich, verfassen diese Ausschüsse Berichte zu spezifischen Themen sowie auf der Annual Session im Herbst Handlungsempfehlungen, die an den Nordatlantikrat, den NATO-GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär und die nationalen Regierungen weitergeleitet werden (NATO-PA o. J.-b). Der NACNordatlantikrat (NAC) kann ebenfalls Anfragen zu Stellungnahmen an die NATO-PA stellen (Marschall 2005, 165). In der Regel spricht der NATO-GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär vor der Versammlung, antwortet für die Allianz auf deren Handlungsempfehlungen und unterstützt die NATO-PA mit seiner Expertise (ibid., 200f.). Die Versammlung führt zudem Seminare und Dialogforen mit Partnerinstitutionen und -ländern durch (Flockhart 2004, 371ff.; NATO-PA o. J.-b). Die PA erfüllt die wichtige Funktion, die Volksvertretungen an einer gemeinsamen Meinungsbildung im transatlantischen Raum teilhaben zu lassen und so das gesellschaftliche Fundament der Allianz zu untermauern (kritisch s. Šabič 2013, 2016).

2.4 NATO-Kapazitäten und Verteidigungsplanung: Getrennt und gemeinsam

ImKapazitäten (militärische) Gründungsmoment der NATO wurde die Schaffung gemeinsamer militärischer KapazitätenKapazitäten (militärische) zwar angedacht (s. Art. 3, 5 NordatlantikvertragNordatlantikvertrag), die akuten Umstände führten aber zunächst zum Rückgriff auf vorhandene KapazitätenKapazitäten (militärische) der Alliierten und deren Koordination. Bis heute entscheiden Nationalstaaten zwar NATO-koordiniert, aber meist unabhängig, welche militärischen KapazitätenKapazitäten (militärische) sie vorhalten wollen, ob sie z. B. FähigkeitenKapazitäten (militärische) entlang des kompletten militärischen Aufgabenspektrums – also von LandesverteidigungLandesverteidigung über KrisenmanagementKrisenmanagementmissionen bis hin zur Expeditions- und Kriegsfähigkeit1 – haben oder AtomwaffenAtomwaffen besitzen wollen. Einerseits wird so das Demokratieprinzip umgesetzt, das vor allem in der Bundesrepublik Deutschland die Streitkräfte einer strikten parlamentarischen Kontrolle unterzieht und das Budgetrecht bei den nationalen Parlamenten belässt. Andererseits entstehen durch diese nationalen Entscheidungsprozesse aber Probleme für eine gemeinsame Verteidigungsplanung. Dies kann z. B. das Fehlen bestimmter FähigkeitenKapazitäten (militärische) sein (europäische LufttransportLufttransportkapazitäten sind lange schon ein wunder Punkt), eine starke Unterentwicklung von Teilstreitkräften (wie Panzer gegenüber Russland) oder im umgekehrten Fall die Duplizierung von KapazitätenKapazitäten (militärische) (z. B. die Existenz verschiedener Waffensysteme für denselben Zweck, wie Jagdflugzeuge). Nicht zuletzt stecken dahinter nationale industriepolitische Entscheidungen oder Sorgen um die Wahrung nationaler Souveränität. Letzterer Punkt ist vor allem für Mächte wie Frankreich, Großbritannien oder die USA, die sich entschlossen haben, das volle Spektrum militärischer FähigkeitenKapazitäten (militärische) aufrechtzuhalten, relevant.

 

Aufgrund enger gewordener finanzieller Spielräume haben sich verschiedene Staaten mittlerweile entschlossen, FähigkeitenKapazitäten (militärische) gar nicht vorzuhalten, zu poolen oder gemeinsam zu entwickeln. Ein Extremfall ist IslandIsland, das mit Ausnahme einer Küstenwache komplett auf ein eigenes Militär verzichtet und von NATO-Verbündeten Unterstützung bei der LandesverteidigungLandesverteidigung erhält. Der Luftraum einiger Staaten wird von den Alliierten gemeinsam überwacht, wenn die Länder nicht über eigene Luftwaffen verfügen (NATO 2019d). Belgien und die Niederlande koordinieren ihre Marinekräfte seit den 1950er Jahren bereits sehr eng (BENESAM-Abkommen, Sauer 2015). Diese Art der Zusammenarbeit wird als pooling bezeichnet, weil die Staaten nationale KapazitätenKapazitäten (militärische) zwar erhalten (sowohl die Niederlande als auch Belgien haben Fregatten und Minenräumboote), aber sie nur noch gemeinsam nutzen und führen. Eine wiederum andere Form der Zusammenarbeit ist die bi- oder multinationale Entwicklung spezifischer Waffensysteme, wie die deutsch-französisch-spanische Kooperation für das FCAcounterinsurgencyS-Jagdflugzeug (Future Combat Air SystemFCAS-Jagdflugzeug) oder der seit den 1980er Jahren von denselben Ländern entwickelte TigerTiger-Helikopter-Kampfhubschrauber. Die Projekte unterliegen meist spezifischen Vereinbarungen. Das FCAcounterinsurgencyS ist somit nicht etwa ein von der NATO entwickeltes Kampfflugzeug, sondern eines der Mitgliedstaaten, das zudem in Konkurrenz zu Produkten anderer Alliierter steht, wie z. B. dem F35F35-Jagdflugzeug Joint Strike FighterF35-Jagdflugzeug, der unter Leitung der USA mit vielen anderen NATO-Alliierten und befreundeten Staaten entwickelt wurde. Nationale industriepolitische Aspekte (und manchmal auch PrestigePrestige, Status) werden an diesen Beispielen klar. Diese Probleme machen deutlich, dass Kooperation in einer Allianz trotz offensichtlicher Vorteile nicht konfliktfrei verläuft, was theoretischen Annahmen des InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus entspricht, der nicht von einer rein funktionalistischen Kooperationslogik (form follows function) ausgeht. Dies legt die Relevanz relativer MachtMachtlogiken nahe, wie sie die realistische Theorie für Kooperation im Sicherheits- und Verteidigungsbereich postuliert (s. nächstes Kapitel).

Um die Verteidigungsplanungen der Armeen der 30 NATO-Mitgliedstaaten dennoch ansatzweise zu koordinieren und in Übereinstimmung mit festgelegten Aufgaben zu bringen, gibt es in der Allianz den so genannten NATO Defence Planning ProcessVerteidigungsplanung (NDPPVerteidigungsplanung). In Vierjahreszyklen legt der NDPPVerteidigungsplanung mögliche Einsatzbereiche und Umfänge von NATO-Missionen fest und definiert die militärischen Mittel, die für die Durchführung der Missionen notwendig sind. Entsprechend der festgelegten Lastenverteilungburden-sharing innerhalb der Allianz tragen unterschiedliche Mitglieder unterschiedliche Lasten und bekennen sich zur Entwicklung spezifischer KapazitätenKapazitäten (militärische) (Fleischer 2015; Major 2019, 33f.). Der NDPPVerteidigungsplanung umfasst z.Zt. 14 Planungsbereiche, die alle zwei Jahre evaluiert werden:


Flugplanung Ressourcen
Konsultation, command and control
Logistik Streitkräfteplanung
Waffensysteme
medizinische Versorgung Wissenschaft und Technologie
nachrichtendienstliche Aufklärung zivile Notfallplanung

Tabelle 7:

NDPPVerteidigungsplanung-Planungsbereiche (Quelle: NATO (2018e), eigene Darstellung)

Die Unterschiedlichkeit dieser Planungsprozesse zeigt, dass die alliierte Verteidigungsplanung über Fragen der Rüstungspolitik hinausgeht und andere Aspekte von Konflikten wie Zivilschutz oder Nachrichtendienste genauso einschließt wie die Querschnittsaufgaben Standardisierung, InteroperabilitätInteroperabilität und Ressourcenausstattung. Der NDPPVerteidigungsplanung muss zivile und militärische, aber auch finanzielle und technologische Aspekte vereinen, die sehr unterschiedlichen Zeiträumen unterliegen. Daher differenziert der NDPP zwischen drei Planungszeiträumen: kurzfristig (0-6 J.), mittelfristig (7-19 J.) und Langfristvorhaben (20+ J., ibid.).2 Aufgrund des Umfangs und der Komplexität dieser Planungsprozesse stellt die permanente Existenz multilateraler NATO-Institutionen einen enormen Vorteil dar. Die im Kapazitätsentwicklungsbereich teils Jahrzehnte langen Planungsprozesse können so maßgeblich unterstützt werden.

Wegen der nationalen Hoheit über die Verteidigungsplanung hat die Allianz selbst nur ein kleines eigenes Budget von ca. $2,7 Mrd. (2019, s. NATO 2019g) für die zivile und militärische KommandostrukturMilitärstruktur sowie gemeinsame Einrichtungen und KapazitätenKapazitäten (militärische). Demgegenüber stehen VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) der Mitgliedstaaten von insgesamt ca. $971 Mrd. (2018, s. NATO 2019h). Eigene militärische KapazitätenKapazitäten (militärische) der Allianz beschränken sich auf folgende Bereiche und Waffensysteme:

Abbildung 5:

AWACSAWACS-Maschine der NATO (Quelle: NATO)

 14 Flugzeuge des Airborne Warning & Control System (AWACSAWACS), von 16 Alliierten betrieben, für Luftraumüberwachung, Kommando- und Gefechtsmanagement (NATO 2019b);

 Strategic Airlift CapabilityStrategic Airlift CapabilityLufttransport (SAC): LufttransportLufttransportflotte, von zehn Alliierten sowie Schweden und Finnland gemeinsam betrieben, die sich Anschaffungs- und Betriebskosten der Flotte teilen; Betrieb durch ein multilaterales Kommando (NSPA o. J.; Giegerich 2012a, 27);

 Alliance Ground Sourveillance (AGSAlliance Ground Surveillance (Drohnen))-DrohneAlliance Ground Surveillance (Drohnen)nsystem zur Bodenüberwachung, von 15 NATO-Mitgliedern für die Allianz angeschafft, NATO-gemeinsame Übernahme der Betriebskosten (NATO 2019a).

Diese wichtigen, aber im Verhältnis zu den im nationalen Besitz verbleibenden KapazitätenKapazitäten (militärische) verschwindend geringen NATO-gemeinsamen Systeme unterstreichen den Charakter der Allianz als Zusammenschluss souveräner Staaten, die nur wenig Kontrolle über den letztlichen Einsatz militärischer MachtMacht abgeben. Gleichzeitig sollte diese kurze Liste nicht darüber hinwegtäuschen, dass die NATO wesentliche Trainings- und Kommandozentren unterhält oder bezuschusst und Kommando- und Kontrollfähigkeiten bereitstellt, die diese und andere nationale Systeme erst für die Allianz als Ganzes adäquat nutzbar machen. Die NATO nimmt somit die ihr zugedachte Rolle als strategische Ermöglicherin (strategic enabler) von Verteidigungspolitik ein, für die sie integrierte und/oder interoperable Funktionsmöglichkeiten geschaffen hat.

2.5 Finanzen und Budgets

Die Finanzierung der NATO und ihre Budgets unterliegen verschiedenen Finanzierungsmodellen und -kanälen. Zwei wichtige Unterscheidungen müssen dabei getroffen werden: Zum einen die zwischen permanenten und projekt- oder missionsbezogenen Ausgaben und zum anderen Ausgaben der NATO selbst oder ihrer Mitgliedstaaten. Besonders letzterer Punkt gerät in der öffentlichen Debatte häufig durcheinander.

2.5.1 Militärbudgets der Mitgliedstaaten und die Rolle der USA

Die NATO hat für sich nur ein relativ kleines Budget zur Verfügung, wenn man es mit den gesamten MilitäretatVerteidigungsbudget (national)s der Mitgliedstaaten vergleicht. 29 der 30 NATO-Mitgliedstaaten1 haben nach der Berechnungsmethode der NATO im Jahr 2018 zusammen $971 Mrd. für ihr Militär ausgegeben. Neben IslandIsland, das keine MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) im engeren Sinn hat, weist Montenegro mit $76 Mio. (!) den geringsten Wehretat auf, gefolgt von Albanien ($176 Mio.) und LuxemburgLuxemburg ($355 Mio.). Im Mittelfeld liegen Staaten wie die Niederlande, Polen, Spanien oder die Türkei ($11-14 Mrd.) sowie Italien ($25 Mrd.) und Kanada ($22 Mrd.). In der Hochausgabengruppe liegen Deutschland und Frankreich (ca. $50 Mrd.) und das Vereinigte Königreich ($60 Mrd.). Spitzenreiter in den MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) sind die USA mit $672 Mrd., also mehr als dem Elffachen des MilitäretatVerteidigungsbudget (national)s Großbritanniens (NATO 2019h).


Land 2018 total % des BIP Land 2018 total % des BIP
Albanien 175,9 1,2 355,4 0,5
Belgien 4840,4 0,9 Montenegro 76,0 1,4
Bulgarien 961,3 1,5 Niederlande 11161,9 1,2
Dänemark 4558,8 1,3 Norwegen 7543,6 1,7
Deutschland 49725,4 1,2 Polen 11857,0 2,0
Estland 606,6 2,0 Portugal 3391,9 1,4
Frankreich 50459,4 1,8 Rumänien 4358,8 1,8
Griechenland 5383,0 2,5 Slowakei 1296,5 1,2
Großbritannien 60308,4 2,1 Slowenien 546,1 1,0
Italien 25003,7 1,2 Spanien 13187,4 0,9
Kanada 22400,0 1,3 Tschechien 2749,8 1,1
Kroatien 966,5 1,6 Türkei 14145,5 1,8
Lettland 724,0 2,1 Ungarn 1791,3 1,2
Litauen 1055,9 2,0 USA 672255,0 3,3

Tabelle 8:

 

MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) der NATO-Mitgliedstaaten (Quelle: NATO (2019f), eigene Darstellung)

Nach dieser Rechnung fallen in den USA 69 % der MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) aller NATO-Staaten an. Wenn in der öffentlichen Debatte also vereinfachend davon die Rede ist, dass die USA ca. 75 % der MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) der Allianz tragen, so meint dies in Wirklichkeit den Anteil der zusammengerechneten MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) der Nationalstaaten. Im Jahr 2019 sollten die MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) der Alliierten nach vereinbarten Erhöhungen auf $1.039 Mrd. ansteigen.2 Nach teils erheblichen Einsparungen im Zuge der FinanzkriseFinanzkrise (2008- ~) kann bereits seit 2016 ein steigender Trend der Ausgaben in den meisten Staaten festgestellt werden (NATO 2019h), was mit der neuen Bedrohungslage nach der russischen KrimUkraine/Krim(krise)invasion, der ISInternational Staff (IS, NATO)ISInternational Staff (IS, NATO)-Bedrohung sowie länderspezifischen Aspekten (z. B. Terroranschläge) zusammenhängt.

Besondere politische Relevanz hat in den letzten Jahren die Zahl des prozentualen Anteils am BIP, der für Verteidigung ausgegeben wird, gewonnen. Auf dem WaliserWales-Gipfel Gipfel (2014) beschlossen die Mitgliedstaaten, dass um das Jahr 2024 herum alle Mitglieder 2 % ihres BIPs für Verteidigung aufwenden sollen. Von diesen 2 % sollen wiederum 20 %, also ein Fünftel, für Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie KapazitätenKapazitäten (militärische) ausgegeben werden (NATO 2014, Art. 14). Damit wurde ein Ziel für alle Alliierten verbindlich festgeschrieben, das bereits im Jahr 2002 als Absichtserklärung zur Allianzreform und wegen des Beitritts neuer Staaten formuliert wurde (Deutschlandfunk 2019; Kamp 2019, 2). Dieser Fokus auf eine Erhöhung der VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) geht auf eine lange zurückreichende US-amerikanische Frustration gegenüber sinkenden europäischen (und kanadischen) Budgets seit dem Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs zurück, die sich nach der FinanzkriseFinanzkrise (2008- ~) und dem gestiegenen US-amerikanischen Fokus auf Asien seit ObamaObama, Barack H. (pivotpivot to Asia to Asia) zuspitzte.

Im Jahr 2018 gaben die USA 3,3 % ihres BIP für Verteidigung aus. Das 2 %-Ziel2 %-Ziel erreichten 2018 neben den USA nur Griechenland, das Vereinigte Königreich, Estland, Lettland und Polen. Deutschland und Italien haben quasi dieselben BIP-Anteile an VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) (ca. 1,2 %), das BIP der Bundesrepublik war aber 2018 fast doppelt so hoch wie das Italiens. Deutschland gab dementsprechend ca. $49 Mrd. für Verteidigung aus und Italien $25 Mrd. (NATO 2019h). Nach angekündigten Erhöhungen sollten 2019 neun von 29 Alliierten (31 %) das 2 %-Ziel2 %-Ziel erfüllen.

Abbildung 6:

Anteil VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) der NATO-Staaten am BIP in Prozent (Quelle: NATO (2019f), eigene Darstellung)

Die oben dargestellten Zahlen – und dabei vor allem die BIP-Anteile – sind der Hauptgrund für die aktuellen, auf den Vorwurf der Vorteilsnahme abzielenden Attacken von Donald TrumpTrump, Donald J. auf die NATO (s. Kap. 7). Natürlich darf beim Betrachten von BIP-Anteilen nicht vergessen werden, dass eine Erhöhung der VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) auf zwei Prozent in Deutschland oder Frankreich eine wesentlich höhere Zunahme an Ausgaben bedeuteten würde, als wenn Albanien zwei Prozent erreichte. Hierin liegt jedoch auch die unwidersprochene Wahrheit der Aussagen des US-Präsidenten, denn ein deutscher Verteidigungsetat von 2 % des BIP würde mit ca. $65 Mrd. (2015er Preise und Wechselkurse) beträchtlich höher ausfallen, als er im Moment ist. Ob dies innenpolitisch oder außenpolitisch wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt Papier und kann kontrovers diskutiert werden (s. Kap. 7.3, 7.4).3 Diese Aspekte ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass das 2 %-Ziel2 %-Ziel im Moment die in der Allianz vereinbarte Leitlinie ist. Man kann somit nicht der Frage nach dem Erfüllen von getroffenen Vereinbarungen aus dem Weg gehen.