Schicksalsnetz - Ein romantischer Episodenroman

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Kapitel 6

Gefühle sind wie Pralinen, manche sind köstlich, manche sind schrecklich

Ja, sie hatte es geschafft. Sie hatte Mark nie wieder zu Gesicht bekommen, bis heute. Dabei hatte sie so lange gebraucht diese Schmach, diese furchtbare Peinlichkeit zu verdrängen, zu verstecken und zu vergraben im hintersten Stübchen ihres Kopfes. Wie oft hatte sie mit Lillian darüber gesprochen? Unzählige Male. Lillian hatte sie angefleht, sich wieder mit ihr und den anderen Freunden zu treffen, doch sie hatte es rundweg abgelehnt, sobald Mark oder Theresa dabei waren.

Lillian war eine gute Freundin, denn sie überraschte sie niemals mit einer hinterhältigen Falle, in der sie ihr Mark oder Theresa plötzlich gegenüber stellte. Ganz im Gegenteil, da Lilian wusste, wie schwer Marks Verhalten sie verletzt hatte, informierte sie sie immer rechtzeitig bevor er auftauchte, damit sie sich zügig in Luft auflösen konnte.

Lillian und Emerald hatten geheiratet und pflegten noch immer ihre Freundschaften zu der alten Clique, auch zu Mark. Es war Glück, aber auch ein bisschen Weitsicht und Planung nötig, damit sie ihm in all den Jahren nie vor die Füße gelaufen war. Ab und zu hatte Lilian ihr von ihm erzählen wollen, aber seit jenem Vorfall wollte sie nichts mehr von ihm wissen.

Und jetzt saß er da und behauptete, sie gehörten zusammen, das war der Gipfel der Frechheit. Nur um Lillian nicht länger warten zu lassen, ging sie auf seinen Vorschlag ein. Aber zu mehr war sie nicht bereit. Niemals.

Mark fuhr sich durchs Haar. „Die Straße, die du genannt hast, dort wohnen doch Emerald und Lillian. Du triffst dich mit Lillian? Ich wusste nicht, dass ihr euch noch seht. Emerald hat mir nie davon erzählt.“

Die junge Frau hätte am liebsten laut geschnaubt. Natürlich wusste er nichts davon, denn der gute alte Emerald hatte ja ein absolutes Redeverbot verpasst bekommen. Wie Lillian das angestellt hatte, wollte sie gar nicht wissen.

Jenny sah stur geradeaus, ein Blick auf Mark wollte sie nicht riskieren, denn sonst würde ihr Herz wieder stolpern. Nein, danke!, dachte sie und sagte betont leger: „Ab und zu verabreden wir uns.“

„Wusstest du, dass ich noch mit ihnen befreundet bin?“, fragte Mark empört aus seiner Sitzbank-Ecke.

„Ich hab nie danach gefragt.“ Gelangweilt schaute Jenny zu ihrem Fenster raus.

„Verdammt, Jenny! Kannst du mir jetzt mal in die Augen schauen?!“, platzte Mark daraufhin der Kragen.

Mark wollte ihr ins Gesicht sehen, diesen herrlichen Mund und diese zart-braunen Kulleraugen bewundern, die wunderschön waren. Endlich schaute sie ihn an und er fühlte wie sein Magen sich zusammenzog. Angst lag in ihrem Blick, aber auch Wut. Oder bildete er sich das nur ein?

„Warum? Was willst du von mir?“, fuhr sie ihn ungehalten an, schaute aber nun zu ihm rüber.

Und ohne es wirklich zu wollen, sagte Mark die Wahrheit. „Weil ich dein schönes Gesicht sehen will.“

Unecht lachte Jenny auf. „Ohja, sicher. Hör zu, ich fahr jetzt hier mit dir, in einem Taxi, aber das heißt nicht, dass wir uns unterhalten müssen oder so tun müssen, als wären wir gut befreundet.“

Diesmal wandte sie ihm sogar den Rücken zu und doch sah Mark wie aufgeregt ihr Atem ging. Jetzt war offensichtlich kein guter Zeitpunkt ihr näher kommen zu wollen, er müsste das besser durchdacht angehen und vor allem langsamer. Verflucht nochmal, was hatte er denn angestellt? Er konnte sich nicht erinnern, dass er sie verärgert hatte. Die Zeit mit der Clique war schön gewesen. Als sie jung waren, hatten sie miteinander geflirtet und sogar Küsse getauscht. Nicht mal unterhalten wollte sie sich mit ihm? Wie konnte er ihre Aufmerksamkeit erlangen, wenn sie sich so quer stellte?

Dabei brachte sie ihn ganz durcheinander, sein Körper reagiert in einer Weise auf sie, dass es schon unangenehm wurde. Hitze und Kälte wechselten sich ab.

Ihre Lippen erinnerten ihn an eine pralle, glänzende Erdbeere. Eine leuchtend, rote Frucht, die einfach makellos war, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ, von der man auf der Stelle kosten wollte, weil man wusste, dass sie unvergleichlich süß schmecken würde.

Eine sengende Wärme stieg in Mark auf. Als er sich jedoch ausmalte, wie ihre Lippen seinen Körper berühren könnten, bekam er eine Gänsehaut. Er musste sie unbedingt wieder sehen.

Jenny blubberte wie ein kochender Pudding vor sich hin. Ha, schönes Gesicht! Warum musste er sowas sagen? Klar, wahrscheinlich quatschte er jede Frau so voll, immer noch. Verdrehte ihnen reihenweise die Köpfe und ließ sie dann stehen, genauso wie er es mit ihr getan hatte. Wieso hatte er an seiner Wirkung auf sie nichts eingebüßt? Sie konnte ihn trotzdem nicht leiden. Nicht die Bohne. Ihr Magen mochte ihn eindeutig nicht, denn der hielt sich im Moment für einen Hubschrauber und rotierte ununterbrochen um die eigene Achse.

Jenny wurde immer ärgerlicher über Mark, aber noch mehr über sich selbst. Schweigend saß sie da und konnte fühlen wie seine Augen auf ihr lagen, spürte seine Anwesenheit mit jeder ihrer Hautzellen, die wie kleine Antennen auf ihn ausgerichtet waren. Irgendwie wurde das Taxi kleiner und die Sitzbank schrumpfte zusammen. Mark begann den ganzen Platz im Auto und in ihrem Kopf einzunehmen. Jennys Hände wurden feucht und krallten sich krampfhaft an den Taschen fest, die neben ihr lagen. Nach einer Unendlichkeit kam das Taxi an seinem Ziel an. Jenny streckte dem Fahrer einen Geldschein entgegen.

„Lass nur, ich zahle das“, meldete sich Mark und legte seine Finger sachte auf Jennys Hand.

Ein Mikro-Feuerwerk fand augenblicklich auf Jennys Handrücken statt, wo er sie berührte. Nun hatte Mark es geschafft, dass sie ihm direkt ins Gesicht sah, was sie hatte vermeiden wollen. Ihr Körper ließ sie umgehend spüren, dass er ein Verräter war und sie sehr wohl gut daran tat, ihn nicht nochmal ansehen zu wollen. Rote, blaue, grüne Raketen wurden in ihren Nervenbahnen wild hin und her geschossen und alles in ihrem Innern jubelte laut bei Marks Anblick.

„Nein. Ich begleiche meine Rechnungen selbst, danke“, lehnte Jenny ab und versuchte rigoros die Zündschnur ihres persönlichen Lichterfestes zu kappen, was schwerer war als vermutet.

Mark nickte und seine Augen offenbarten ihr seinen Appetit, was Jenny dahinschmelzen ließ, wie in vergangen Zeiten. Man sah ihm diese Gefühle so deutlich an, dass es einem ausgesprochenen Kompliment gleich kam. Er musste ein lausiger Pokerspieler sein, denn Bluffen zählte sichtlich nicht zu seinen Talenten.

Mit einem frechen Schmunzeln erwiderte Mark: „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“

Unbewusst schüttelte Jenny ihre roten Wellen, als sie eilig versuchte aus dem Auto zu entkommen. Sie musste sich beherrschen nicht das zu sagen, was ihr Verstand schrie: ‚Da kannst du lange darauf hoffen, mein junger Pavian. ‘ Sie begnügte sich mit einem halbherzigen Abschied.

„Lebwohl, Mark.“

Mark grinste und beobachtete, wie Jenny voll bepackt mit ihren Sachen die Wagentür zu knallte und davon tippelte. Die Straßenlaterne warf ein weiches Licht auf ihr sinnlich schwingendes Hinterteil, das schließlich in der Nacht verschwand. Lebwohl?! Oh, nein, so einfach würde er sich nicht abhängen lassen. Sie glaubte allen Ernstes, sie könnte ihn aus ihrem Leben ausschließen und ihm ihren Erdbeermund vorenthalten? Bald würde sie ihr blaues Wunder erleben.

Kapitel 7

Nicht jedes Feuer lässt sich mit Wasser löschen

Das Martinshorn schrillte laut in Garretts Ohren, während das Blaulicht von den Hauswänden reflektiert wurde, an denen sie vorbei rasten. Ein Nachteinsatz war kein Zuckerschlecken. Nicht nur der Rauch nahm einem im brennenden Gebäude die Sicht, sondern auch die Dunkelheit, weil fast immer der Strom ausfiel und kein Licht mehr funktionierte. Mark, der unbedingt mit ihm die Schicht hatte tauschen wollen, würde ihm ein Bier zahlen müssen. Er hasste Nachteinsätze.

Es war weit nach Mitternacht, als sie vor dem großen brennenden Gebäude zum Stehen kamen. Sofort sprangen die Feuerwehrmänner aus ihren Einsatzfahrzeugen und jeder ging seiner zugeteilten Aufgabe nach. Garrett gehörte dem Angriffs- und Rettungstrupp an. Der eine der risikoreichsten Aufgaben hatte, nämlich den Brand im Innern eines Hauses zu bekämpfen und Überlebende zu retten. Er legte mit seiner Truppe die Atemschutzmasken an, als der Melder kam.

„Die Wärmekamera lässt vermuten, dass der Brandherd in der zweiten Etage ist. Da es ein Mehrfamilienhaus ist, sind noch mehrere Menschen im Gebäude. In den Wohnungen neben und über dem Brandherd waren Personen zu sehen. Eine Rettung der Überlebenden von außen über die Leiter ist nicht möglich, die Flammen schlagen zu stark zu den Fenstern hinaus. Sobald der Druckbelüfter den Überdruck erzeugt hat und der Rauch raus ist, könnt ihr rein, dann habt ihr einigermaßen freie Sicht. Viel Glück Jungs.“

Der Schlauch war angeschlossen, gelegt und das Wasser floss. Garretts Trupp bekam das ‚Ok‘ für den Einsatz. Aufgrund seines Trainings und der Erfahrung war Garrett nicht aufgeregt, er blieb so ruhig wie immer. In voller Feuerschutzmontur, mit Ausrüstung, Helm und Atemmaske, die das Sichtfeld einschränkte, liefen die Männer die Treppen hoch. Es war ein altes Haus und nur ihre Helmlampen beleuchteten den engen Gang. Rußgeschwärzte, verängstigte Menschen kamen den Männern im Dunkeln entgegen, doch sie zogen den Wasserschlauch weiter, bis in den zweiten Stock, wo die Hitze am größten war. Rauch waberte überall in den Fluren und Flammen züngelten an allen möglichen Stellen hervor.

 

Während ein Teil mit der Löschung begann, musste Garrett mit den anderen Feuerwehrkollegen in den höherliegenden, letzten Stock, um die Personen zu suchen, die noch in Lebensgefahr schwebten. Der Qualm bildete eine undurchsichtige Mauer, nur die lodernden Feuersbrunst, die von außen an der Hauswand entlang zu den Fenstern eindrangen, erhellten leicht, zuckend die Finsternis. Die Feuerwehrmänner teilten sich auf, um die Wohnungen geschwind durchsuchen zu können. Die Türen waren verschlossen, weshalb sie sich mit ihren Äxten Einlass verschafften. In vielen Wohnungen brannte es bereits, da die Bewohner wegen der warmen Temperaturen die Fenster offen gelassen hatten, wo das Feuer seinen Weg fand.

Auch in der Wohnung, die Garrett betrat, schlug ihm die Hitze eines Brandes entgegen. Es gab keine Diele, Garrett stand gleich in einer Wohnküche, dessen Sofa, das am Fenster stand, bereits ein Flammenmeer war. Er beeilte sich und schaute in die angrenzenden Zimmer. Der Duschvorhang im Bad brannte ebenfalls, denn das Fenster war durch die sengende Gluthitze, der darunter glühenden Flammen, zersprungen. Das Bad war leer und Garrett hastete zur nächsten Tür. Es war ein Schlafzimmer, in dem noch nichts Feuer gefangen hatte, was aber nur noch eine Frage von Sekunden war.

Eine Person lag schlafend im Bett, die sich langsam aufrichtete. Es war eine junge Frau, die von seiner Helmlampe geblendet wurde und ihn entgeistert anstarrte. Wie sie bei dem Krach der Sirenen, dem lauten Tosen und Knistern des Feuers schlafen konnte, war Garrett unverständlich. Er schritt auf sie zu, zog sie aus dem Bett und wollte sie schnell aus der Gefahrenzone bringen.

Plötzlich fing die Frau wie wahnsinnig an zu schreien, versuchte sich von ihm loszureißen und schlug auf ihn ein. Garrett hatte schon viele Menschen gerettet, viele hatten Furcht oder waren panisch vor Angst gewesen, aber keiner von ihnen hatte bisher versucht, ihn zu vermöbeln.

„Beruhigen Sie sich, ich tue Ihnen nichts. Es brennt, wir müssen sofort das Gebäude verlassen“, dröhnte Garretts Stimme hinter seinem Atemschutz. Doch die Frau schien ihn nicht zu hören, sondern riss sich los, verzog sich in eine Zimmerecke und begann ihn tatsächlich, hustend, mit Gegenständen zu bewerfen. Immer mehr Rauch zog in das Zimmer hinein, doch das nahm sie nicht wahr.

Das war eine Irre, vermutliche eine gehörlose, aber auf jeden Fall eine Irre. Nichtsdestotrotz war sie eine Frau, die seine Hilfe brauchte.

Ohne sich um die seltsamen Wurfgeschosse zu kümmern, die ihm um die Ohren flogen, welche aus Buch, Kissen, Cremetube, Pillendose und Ähnlichem bestand, wollte er sie in Sicherheit bringen. Garrett schnappte die Blondine mit einer festen Umklammerung. Da ihr nun die Hände gebunden waren, weiteten sich ihre Augen vor Schreck und sie begann abermals zu kreischen. Ohne sich weiter um ihre Schreie zu scheren trug Garrett sie durch die Räume zur Treppe. Schlagartig verstummte sie, denn das Feuer, das sie in ihrer Wohnung wüten sah, machte ihr letzten Endes klar, in welcher lebensbedrohlichen Lage sie sich befand.

„Es brennt?! Großer Gott, es brennt!“, rief sie erschrocken, worauf Garrett nur lakonisch unter seiner Maske nuschelte.

„Ach was! Darauf wäre ich nie gekommen.“

Mit großen Augen schaute sie ihn an und obwohl Hektik, Rauch und Feuer um ihn herrschte, spürte Garrett einen Stups in seinem Herzen. Die Frau fühlte sich gut an in seinen Armen, nicht wie ein Fremdkörper, sondern eher, als würde sie genau dort hingehören. Sie war leicht und im Gegensatz zu seiner steifen Schutzkleidung fühlte sie sich weich an, was eine besondere Wirkung auf ihn hatte, über die er nicht weiter nachdenken wollte. Es bereitete ihm keine Mühe sie bis nach unten zu tragen. Immer wieder, wenn sie von einem Hustenanfall geschüttelt wurde und er sie besorgt anschaute, sah er ihren verblüfften beinahe bewundernden Blick. Garrett musste grinsen, was sie wegen der Maske jedoch nicht sehen konnte.

Notärzte und Krankenwägen waren mittlerweile eingetroffen, so dass Garrett sie in medizinische Betreuung übergeben konnte. Verrückterweise fiel Garrett schwer, sie aus seinen Armen zu entlassen. Langsam setzte er die blonde Frau auf einer Krankentrage ab, löste aber nicht die Umarmung. In einem zarten Nachthemd saß sie vor ihm und wirkte überaus zerbrechlich. Da Garrett wusste, dass sie taub war, fragte er sie mit einer erhobenen-Daumen-Geste, ob alles okay sei. Als sie stumm nickte, entfernte er sich zögernd von ihr und suchte einen Sanitäter auf.

„Hey, die junge Frau dort drüben ist gehörlos. Sie hat keine Verbrennungen, aber möglicherweise eine Rauchvergiftung“, informierte er den Helfer über die Blondine, die auf der Trage saß und sich ängstlich umschaute.

Garrett widerstand dem Drang sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Er hatte weiß Gott Wichtigeres zu tun, als diese hübsche Kleine anzuhimmeln.

Kapitel 8

Wenn alle verrückt sind, ist doch alles normal

Christina war heilfroh, als sie Zuhause ankam. Nach der Doppelschicht hatte sie ihren freien Tag bitter nötig.

Noch immer musste sie an die arme Diana denken. Manche Frauen hatten es wirklich nicht leicht in ihrem Leben.

Im Grunde konnte sie sich glücklich schätzen, sie hatte Freunde, Eltern und eine Schwester, die für sie da waren, wenn sie mal Probleme hatte. Sie liebte ihren Job, in dem es immer etwas zu tun gab, manchmal sogar zu viel. Wie fast überall, herrschte auch in ihrem Krankenhaus Pflegepersonalmangel. Da sie aber weder Freund noch Kinder hatte, sondern eine alleinstehende Vierundzwanzigjährige war, waren die zusätzlichen Schichten eine willkommene Aufstockung ihres Lohnes.

Nach einer ausgiebigen Dusche machte sie sich einen ruhigen Fernsehabend und ging danach früh ins Bett, um sich richtig auszuschlafen. Sie schlief tief und fest, aber dennoch spürte sie eine Erschütterung. Ihr Unterbewusstsein ließ sie erwachen, sie fühlte instinktiv, dass ein Fremder in ihrer Wohnung war. Als ihre Lider sich öffneten, wurde sie sofort von einem Licht geblendet.

Sie stütze sich auf ihren linken Ellbogen und mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie zu erkennen, woher das Leuchten kam. Voller Schreck sah sie, dass ihre Zimmertür geöffnet war und eine riesenhafte Gestalt vor ihr stand. Nebel beherrschten den Raum, abgesehen von dem schwachen, unwirklichen Licht, das die kleine Lampe ausstrahlte, die der Riese auf seinem Kopf trug. Zu Christinas großem Entsetzen hatte der Eindringling eine Maske auf und eine Axt bei sich. Alles wirkte wie in diesem Horrorfilme, den sie abends hinter vorgehaltenen Kissen angeschaut hatte. Benommen vor Müdigkeit wankte ihr halb-liegender Oberkörper.

Immer wieder fielen Christinas Augen vor Müdigkeit zu und ihr Verstand arbeitete im Schlummermodus. Das was sie sah, war nicht real, das passierte nicht wirklich. Sie war bestimmt noch im Schlaf und träumte.

Doch der Mann kam schnell auf sie zu und riss sie unsanft aus dem Bett, quer durchs Zimmer. Christina glaubte weiterhin an einen Traum, bis sie seine behandschuhten Finger an ihrem Arm spürte. Dann allerdings übermannte sie sofort hysterische Angst und alles in ihr sackte zehn Etagen hinab, denn der Druck und das Zerren seiner Hände fühlten sich überaus wirklich an.

Es war kein Traum, es geschah tatsächlich. Ein perverser Killer stand in ihrer Wohnung! Doch sie würde sich von dem Geistesgestörten nicht kampflos zerhacken lassen. Auf keinen Fall! Sie würde sich wehren.

Schreiend versuchte Christina sich von dem Mann loszureißen, was ihr jedoch nicht gelang, denn sein Griff war zu fest. Erst nachdem sie auf ihn einschlug, ließ er sie endlich los.

Der Wahnsinnige mit der Axt trug schon einen Plastikanzug, damit er sich nicht mit ihrem Blut bespritzen würde. Wahrscheinlich hatte er in seiner Wohnung bereits alles mit Folie ausgelegt. Oder wollte er sie womöglich in ihrem eigenen Bad in Einzelteile zerlegen?

Christina flüchtete in eine Ecke, griff zuerst nach einem Kissen und dann wahllos nach irgendwelchen Gegenständen, die auf ihrem Nachtisch standen, um sie dem Meuchelmörder entgegenzuschleudern.

Verdammt, wie sollte sie diesen Killer verletzen, wenn sie nur mit Kissen und Cremetuben nach ihm warf? Gleich Morgenfrüh würde sie ein Fleischermesser unter ihrem Bett verstecken. Falls es ein Morgen gab.

Christina dachte gerade darüber nach, an ihm vorbeizurennen, als er flink wie ein Kaninchen, sie mit einer eisernen Ganzkörperumarmung bewegungsunfähig machte. Sie schrie aus voller Kehle, denn sie befürchtete, dass er sie bald mit seiner Axt bearbeiten würde, die er mittlerweile an seinem Gürtel verstaut hatte. Sie hoffte inständig, dass das Ding nicht stumpf war.

Ohne größere Kraftanstrengung, schaffte der potentielle Serienkiller sie aus ihrem Schlafzimmer. Während er sie weiter in Richtung Treppe schleppte, verging Christina allerdings das Schreien.

Völlig perplex hatte sie bemerkt, wie ihr Sofa lichterloh vor sich hin brannte und die Flammen sich weiter in ihrer Wohnung verbreiteten. Kriechend kam ihr Verstand vollends auf die Beine und erkannte in Zeitlupen-Tempo, dass es sich ganz anders verhielt, als sie im Halbschlaf gedacht hatte.

„Es brennt?! Großer Gott, es brennt!“, begriff Christina letztendlich.

Der vermeintliche geisteskranke Axtmörder war ein Feuerwehrmann?! Ein Feuerwehrmann, der sie vor dem Flammentod rettete.

Gebannt starrte sie in das Gesicht des Mannes, der sie in seinen Armen trug. Durch die Atemmaske war der Großteil seines Gesichtes verdeckt, außer dem Augenpaar, das sie ab und zu musterte, während er das Treppenhaus hinabstieg.

Es waren beunruhigende Augen, die eine Farbe hatten, wie sie sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Seine Iriden waren golden, fast gelb. Das konnte nur von den ungewöhnlichen Lichtverhältnissen herrühren. Kein Mensch hatte eine gelbe Iris.

An seinen mächtigen Brustkorb gedrückt, brachte der Feuerwehrmann sie sicher aus dem Haus. Ihr Husten, den sie zuvor wegen ihrer Panik nicht wahrgenommen hatte, wurde immer stärker.

Ihr Retter setzte sie vorsichtig auf einer Liege ab und beobachtete sie eingehend. Mit erhobenem Daumen stellte er ihr eine stumme Frage, die Christina nur mit einem geschockten Nicken beantworten konnte.

Dann, ohne ein Wort, ließ er sie einfach sitzen und ging zu einem Sanitäter. Enttäuscht fragte sich Christina, warum er nicht bei ihr blieb, obwohl sie wusste, dass er seiner Arbeit nachgehen musste, dass sie nur ein Job war, den er soeben erledigt hatte. Ohne ihn fühlte sie sich nicht mehr behütet. Seine wärmende Umarmung war dahin, wie auch das Gefühl der Geborgenheit, das ihr nun umso mehr fehlte. ‚Reiß dich zusammen, Christina‘, ermahnte sie sich vergebens.

Der Sanitäter kam auf sie zu und sein Mund bewegte sich, als spräche er, aber sie konnte keinen Ton hören. Überhaupt war alles um sie herum lautlos. Es herrschte trotz dem regen Treiben absolute Stille. Linkisch sah Christina sich um und nach kurzem Überlegen, zog sie peinlich berührt ihre beiden Ohrstöpsel heraus.

„Ach, Sie sind gar nicht taub!“, lachte der Sani, bevor er weiter sprach. „Haben Sie Verbrennungen?“

Gedankenverloren schüttelte Christina ihren Kopf, so dass ihre blonden Haare hin und her flogen.

Verdammt, wie hatte sie die Stöpsel in den Ohren vergessen können? Wegen der lauten Musik von ihrem Nachbarn und dem Krach auf der Straße hatte sie die Dinger vorm Schlafen-gehen rein gemacht und dann vor lauter Schreck und Angst total vergessen. Hatte der gelbäugige Feuerwehrmann mit ihr gesprochen? Was würde er jetzt von ihr bloß denken? Tja, nach ihrem Benehmen zu urteilen wahrscheinlich, dass sie eine Irre war. Taub, aber irre, ganz sicher!

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