Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman

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Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman
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Ewa A.

Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

1770 England

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Weitere Werke von Ewa A.

Impressum neobooks

Widmung

Lord of the Lies

Ein schaurig schöner Liebesroman

von Ewa A.

*

Impressum

Texte: © Copyright by

E. Altas

Bundesstr. 6

79423 Heitersheim

ewa.xy@web.de

https://www.facebook.com/EwaA.Autorin

*

Cover :

Design:

Dream Design – Cover and Art

http://www.cover-and-art.de

Bildquellen:

www.shutterstock.com

*

Korrektorat:

https://korrektoratia.jimdosite.com

*

Alle Rechte vorbehalten.

*

Obwohl sich diese Geschichte an historische Kriminalfälle (Giftaffäre um die Marquise de Montespan/Kindermorde des Gilles de Rais) anlehnt, ist sie sowie ihre Figuren, deren Handlungen, und Orte fiktiv.

*

Das Buch erhebt keinerlei Anspruch auf geschichtliche Authentizität.

*

Für meine Freunde

und meine treuen Leser,

ohne die das Leben

nur halb so schön wäre.

*

Triggerwarnung

In diesem Roman werden blutige, verstörende Szenen,

körperliche und sexuelle Gewalt beschrieben.

1770 England

Irgendwo außerhalb Londons

Sie schwebte in einer schwerelosen Leere. Da war nichts, außer … Dunkelheit und dem Schmerz, der ihren Kopf stechend quälte. Nach und nach spülte sich Übelkeit in ihr Bewusstsein. Der ekelhafte Geschmack auf ihrer pelzigen Zunge ließ sie aufstöhnen. Sie schluckte gegen die Trockenheit in ihrem Mund an und atmete durch. Zunehmend wurde ihr schlechter, denn ein widerlicher süßer Geruch lag in der Luft, nach Verwesung, Rauch und … Metall. Ein tiefes, fortwährendes Gemurmel drang an ihre Ohren und, so sehr sie sich bemühte, sie konnte die einzelnen Worte nicht verstehen. Ihre Lider waren träge. Überhaupt war sie müde, so entsetzlich müde und doch musste sie wach werden. Schnell. Unbedingt. Sie wusste nicht warum, aber sie spürte die Notwendigkeit dazu. Etwas tief in ihr warnte sie vor einer Gefahr. Bloß welcher?

Es war kalt. Ein Frösteln überzog das fünfzehnjährige Mädchen und ließ ihren schmalen Körper zittern. Sie wollte die Arme und die Beine an ihre Brust ziehen, um sich zu wärmen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Ketten rasselten. Panik brach in der jungen Frau aus. Nur mit Mühe gelang es ihr endlich, die Augen zu öffnen. Über ihr, in dämmernder Finsternis, konnte sie die Decke erkennen, die aus grob gemeißelten Steinblöcken bestand.

Wo war sie bloß? Sie konnte sich erinnern, mit ihren Eltern auf einer Abendgesellschaft gewesen zu sein. Ihr war schlecht geworden und sie war in den Garten hinausgegangen, um frische Luft zu schnappen … Ab diesem Zeitpunkt verlor sich jedoch ihre Erinnerung in einem undurchdringlichen Nebel.

Die Lider des Mädchens fielen wieder zu, aber sie kämpfte sich in die Wirklichkeit zurück. Hechelnd wand sie ihren Kopf und entdeckte die Gestalten, die neben ihr standen. Es waren zwei Personen in weiten Kutten, deren Stoff rot glänzte. Ihre Gesichter lagen unter den großzügigen Kapuzen im Schatten. Kerzen auf goldenen Kandelabern erhellten mit ihren zuckenden Flammen die düstere Szenerie, die der jungen Frau ungeheure Furcht einjagte. Angstschweiß kroch aus ihren Poren, denn sie bemerkte, dass noch weitere Kuttenträger um sie Stellung bezogen hatten. Vollkommen nackt, mit gespreizten Beinen und ausgestreckten Armen hatte man sie auf einem steinernen Tisch angekettet, der die Form eines X’ hatte. Vier vermummte Gestalten hatten sich jeweils an ihren Hand- und Fußgelenken platziert, ein fünfter hinter ihrem Kopf und ein sechster zwischen ihren Beinen. Lauthals begann das Mädchen zu schreien und zerrte wild an ihren Ketten, um sich zu befreien.

Doch keiner der Kuttenträger scherte sich darum. Nur derjenige, der zwischen ihren Beinen verharrte und die seltsamen Worte murmelte, in einer Sprache, die sie nicht verstand, hob sacht seinen Kopf. Sie konnte das grausame Lächeln ausmachen, das seine gelben Zähne freilegte. Er war anscheinend der Anführer der Kuttenträger, denn er hielt ein schwarzes Buch in der Hand, aus dem er vorlas und das er schließlich zur Seite legte.

Als er verstummt war, wimmerte das Mädchen atemlos in seine Richtung: »Bitte! Bitte, lasst mich gehen!«

Da sie sich selbst nicht von den eisernen Fesseln befreien konnte, hatte sie beschlossen, um ihr Leben zu betteln. Mit nach vorn gebeugtem Kopf flehte die junge Frau ihren Entführer unter Tränen an: »Ich werde alles tun, was Ihr von mir verlangt. Lasst mich bitte nur gehen! Bitte!«

Doch der Anführer setzte ungerührt seine Zeremonie fort und holte eine Hostie hervor. Starr vor Angst beobachtete das Mädchen, wie er die Oblate in einer feierlichen Geste emporhob und dabei unverständliche Silben murmelte. Im nächsten Moment senkte er seine Hände. Sie spürte, wie er die Hostie in ihre Scheide einführte, und begann, hysterisch zu kreischen. Dies hielt den Anführer jedoch nicht auf. Fortwährend seinen Sermon aufsagend zog er die Oblate wieder aus ihrem Körper heraus. Voller stummem Entsetzen konnte die junge Frau nur dabei zusehen, wie er die entweihte Hostie in Stücke zerbrach und unter seinen Begleitern aufteilte. Gleichzeitig verspeisten alle Kuttenträger mit geflüsterten Worten ihren Anteil der Oblate.

Das Mädchen heulte währenddessen jämmerlich: »Bitte, lasst mich nach Hause gehen. Bitte! Ich werde auch niemandem etwas verraten. Ich verspreche es.«

Ihre Brust bebte vor unbändiger Furcht, aber die Kuttenträger kannten keine Gnade. Indessen der Anführer seine rote Kutte entknotete und beiseite schlug, unter der er keine sonstige Kleidung trug, zogen die anderen aus ihren weiten Ärmeln silberne Dolche.

 

Abermals versuchte das Mädchen, sich schreiend loszureißen, bäumte sich unter den Ketten auf und warf ihren Leib hin und her. Doch sie vermochte nichts auszurichten, außer dass sie sich ihre Haut an den scharfen Kanten ihrer Metallfesseln blutig schabte und ihr Rückgrat wegen des harten Steinaltars schmerzte. Ihre fünf Peiniger stimmten derweil im Chor einen monotonen Singsang an. Jeder der vier, die jeweils an ihren Hand- und Fußgelenken standen, schnitt ihr in erbarmungsloser Lethargie die Pulsadern auf.

Mit einem beißenden Brennen öffneten sich die Adern des Mädchens, das ohnmächtig ertragen musste, wie das Blut aus ihren Wunden heraussickerte und von den Kuttenträgern in goldenen Kelchen aufgefangen wurde. Noch während der Lebenssaft aus der jungen, unschuldigen Frau herausfloss und sie sich weiterhin wehrte, verging sich der Anführer an ihr, mit brutaler Gewalt, begleitet von dem rhythmischen Gezeter seines Zirkels.

Vier der Teufelsanbeter ergötzten sich an der Gräueltat ihres Meisters und masturbierten laut atmend auf den geschundenen Körper der jungen Frau. Nur der fünfte Kuttenträger verharrte scheinbar reglos hinter ihrem Kopf. Erst als ihm der Anführer ein Zeichen gab, trat er neben sie und holte seinen silbernen Dolch hervor. Während er ihr mit der rechten Hand ganz langsam die Kehle durchschnitt, fasste seine linke nach seinem Glied. Sein animalisches Keuchen hallte durch die finstere Gruft.

Allmählich schwanden dem Mädchen die Kräfte. Das Letzte, was es sah, bevor sein Lebenslicht endgültig erlosch, waren die zahllosen abgeschlagenen Kinderköpfe. Fein säuberlich aneinandergereiht, prangten sie aufgespießt und angemalt an den Wänden.

Kapitel 1

Acht Wochen später

Londoner Stadthaus der Familie Stuart Clifford

»Und du bist sicher, dass ich nicht bei dir bleiben soll? Du siehst krank aus, Kolton. Ich mache mir Sorgen um dich.« Kummervoll betrachtete Pearlene den dreizehnjährigen Jungen, der vor ihr im Bett lag. Sie strich seine widerspenstigen blonden Locken zur Seite. Seine Stirn war feucht und die dunklen Augenringe hoben seine Blässe noch stärker hervor.

Die Baroness Clifford liebte ihren Bruder, der fünf Jahre jünger als sie war, über alle Maßen. Dieser war das Abbild ihres Vaters und hatte leider nicht nur dessen Aussehen vermacht bekommen, sondern auch dessen schwache Gesundheit. Langsam schien sich herauszukristallisieren, dass Kolton die gleiche Anfälligkeit des Vaters geerbt hatte, sich stets eine Erkältung oder andere Krankheiten einzufangen, die ihm stärker zusetzten als anderen Menschen. Seit Monaten kämpfte ihr Vater immer wieder mit Schwächeanfällen, gegen die seine Ärzte nichts auszurichten vermochten. Kuren und Bäder zeigten für kurze Zeit Besserung, die jedoch nicht von Dauer war. Immer wieder musste Duke Clifford das Bett hüten, weil er zu schwach war, sich auf den Beinen zu halten.

Kolton griff ermattet nach der Hand seiner Schwester und hielt sie fest. »Mir ist nur ein wenig schlecht, Pearlene. Auf keinen Fall wirst du deswegen diese Abendgesellschaft verpassen. Onkel Stuart und Tante Deana haben uns extra mit in die Stadt genommen, damit du auf Bräutigamsuche gehen kannst. Und außerdem ist Reeva schon ganz aufgeregt, weil du sie begleitest.« Müde legte er sich in die Kissen zurück und schloss die Augen.

Pearlene sah, wie ihr Bruder schluckte, und überprüfte sogleich, ob man ihm eine Schüssel bereitgestellt hatte, falls er sich übergeben musste. Doch Tante Deana hatte wie immer an alles gedacht. Tee und sogar kühles Wasser mit einem Tuch hatte sie bereitlegen lassen. Pearlene befeuchtete jenes und legte es Kolton auf die Stirn.

»Ja. Unsere Cousine schwärmt mir schon seit Wochen von dem Ball der Shutterfields vor, der die hiesige Ballsaison eröffnet. Der Marquess hat für diesen Abend den Beaumont Park nur gemietet, um seiner Tochter einen glanzvollen Debütantinnenauftritt zu ermöglichen. Kannst du dir vorstellen, was das kostet? Warum gibt man für so etwas ein Vermögen aus?« Mit ihren großen grünen Augen starrte Pearlene ihren Bruder missmutig an.

Leise hörte sie ihn nuscheln: »Du weißt doch, was Vater immer sagt: Der Londoner Adel liebt es, sich in pompöser Pracht darzustellen. Und wenn Shutterfield einen reichen, einflussreichen Bewerber für seine Tochter sucht, ist das gewiss nicht der verkehrte Weg, sie damit anzulocken.«

Die Baroness schüttelte seufzend den Kopf. »Du bist viel jünger als ich und dennoch viel klüger.« Erneut tauchte sie das Tuch in das Wasser und betupfte sanft Koltons Gesicht, der leicht grinste.

»Nein, ich werde lediglich seit Jahren auf Vaters Nachfolge gedrillt. Den Clifford Dukes wird nachgesagt, stets weise und nachsichtig zu handeln. Anscheinend zeigt meine Erziehung ihre ersten Erfolge.«

Kolton öffnete seine Lider und betrachtete seine Schwester, die mit der Hochsteckfrisur aus ihren weißblonden Locken an diesem Abend besonders hübsch aussah. Zu Pearlenes Verdruss waren ihre Haare normalerweise aalglatt und nur ein Lockeneisen zwang sie in diese Form, was sie fortwährend bedauerte. Aber Kolton liebte Pearlenes Haar, das ihr weit über die Hüften reichte und wie eine Schneedecke in der Winternacht glitzerte, wenn sie es offen trug. Ihre großen Augen, welche ihn mit ihrem Hellgrün immer an die Frühlingsblumen erinnerten, verbargen sich hinter den trüben Gläsern eines schwarzen Nasenzwickers. Dieser stellte, nach Pearlenes Meinung, einen weiteren Makel dar, den sie aus tiefster Seele hasste. Sie glaubte, wenn ihre schlechte Sehfähigkeit keinen Mann abschrecken würde, dann erst recht der Nasenzwicker, weshalb sie jegliche Feste und Empfänge scheute. Kolton fand jedoch, dass der Umstand ihrer Kurzsichtigkeit sie nur noch entzückender erscheinen ließ, denn wenn sie etwas nicht erkennen konnte, kräuselte sie auf herrliche Weise ihre Nase. Bestimmt würde ein Mann, der Gefallen an ihr fand, sich nicht von den Augengläsern abhalten lassen, um ihre Hand zu bitten. Es war wirklich an der Zeit, dass Pearlene einen Ehemann suchte, weil ihre Selbstzweifel immer schlimmer wurden. Zu allem hin war sie mit ihren achtzehn Jahren älter als die gewöhnlichen Debütantinnen, die zum Teil schon mit fünfzehn in die Gesellschaft eingeführt wurden, was ihr die Sache noch weiter erschwerte.

Der Junge bemühte sich, Pearlene aufzumuntern, weil er sich denken konnte, was ihn ihrem Kopf vor sich ging. »Pass auf dein Kleid auf, Schwesterherz! Nicht dass du es mit Wasserflecken ruinierst. Es steht dir nämlich ausgezeichnet.«

Mürrisch verzog sich Pearlenes Mund und sie schaute unglücklich auf den glänzenden weißen Brokatstoff, der sich in weiten Lagen über dem Reifrock bauschte. Ihr Mieder trug dasselbe pastell-rosa Blumenmuster, das mit silbernen Stickereien durchwirkt war. Eine filigrane Spitze zierte den weiten Ausschnitt, der ihr Dekolleté betonte, und die Ärmel ihres silbernen Überkleides, welches außerdem eine faltenreiche Schleppe besaß.

»Ach, ein paar Flecken spielen keine Rolle. Was soll die Schönheit eines Kleides denn schon bewirken, wenn es der Trägerin umso mehr daran mangelt?«

»Pearlene …«, schnaubte Kolton resignierend, wurde jedoch von dem Auftauchen seiner Tante unterbrochen, die in einer dunkelgrünen Festrobe in sein Zimmer hineinrauschte.

»Kolton, mein Lieber, wir sind so weit. Wir werden jeden Moment aufbrechen. Kann ich dir noch irgendetwas ans Bett bringen lassen?«, fragte die ältere Frau mit einem gütigen Lächeln.

Während sich Pearlene erhob, antwortete Kolton: »Nein danke, Tante Deana. Falls ich etwas benötige, habe ich ja noch die Glocke, um nach dem Personal zu läuten.«

Zärtlich strich Deana über Koltons Schopf und küsste ihn auf den Haaransatz. »Wie du meinst. Schlaf gut, mein Herz. Wir kommen nicht allzu spät nach Hause. Morgen geht es dir bestimmt besser.«

»Sicher!«, bestätigte Kolton und Pearlene verabschiedete sich ebenfalls von ihm mit einem Kuss auf die Wange.

»Träum süß, Brüderchen. Wir sehen uns morgen in der Früh.«

Kolton lächelte spitzbübisch. »Gute Nacht, Pearlene, und … viel Vergnügen.« Sein abschließendes Augenbrauenzucken bedachte diese mit einem gespielten grimmigen Blick und schloss schweren Herzens die Tür.

Gewöhnlich sahen alle Mädchen ihrem ersten Ball, auf dem sie in den Heiratsmarkt eingeführt wurden, in freudiger Erwartung entgegen, doch bei Pearlene hatte sich ein Unwohlsein breitgemacht, das mehr und mehr zunahm. Ihrer Ansicht nach war sie weder jung noch schön genug, um mehrere Bewerber anzulocken, unter denen sie wählen konnte. Allein ihr Vermögen und ihr familiärer Hintergrund, so vermutete sie, würde ihr die Aussicht auf einen, wenn sie viel Glück hatte, vielleicht auch auf drei Bewerber ermöglichen. Dass diese wahrscheinlich eher habgierige Mitgiftjäger sein würden als heißbegehrte Junggesellen des englischen Hochadels, die sich nach ihr verzehrten, versüßte ihr die Angelegenheit noch weit weniger.

Da ihr Vater die letzten Jahre zu oft ans Bett gefesselt gewesen war, waren seine Aufgaben und Pflichten ihrer Mutter obliegen geblieben, die diese zusätzlich zu bewältigen hatte. Zwar hatten Onkel Stuart und Tante Deana ihren Eltern geholfen, wo es ging, da die Familie stets zusammenhielt, aber auch sie selbst hatte ihre Mutter die ganze Zeit über tatkräftig unterstützen müssen. Dies hatte nicht nur die Pflege des Vaters betroffen, sondern auch die Haushaltsführung und die Verwaltung der Güter und Ländereien. Dabei war die Suche nach einem Ehemann für sie ins Hintertreffen geraten. Allerdings musste Pearlene zugeben, dass sie diese nicht forciert hatte. Sie war sich schon immer über ihr bescheidenes Äußeres und den daraus resultierenden Chancen auf dem Heiratsmarkt im Klaren gewesen. Nein, sie war gewiss keine Schönheit, so, wie ihre jüngere Cousine Reeva, die in der Eingangshalle mit ihrem Vater, Onkel Stuart, bereits auf Deana und sie wartete.

Reeva sah wunderhübsch aus, in ihrem lindgrünen Kleid, das jede Kurve ihrer üppigen Figur betonte, welche ganz dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Pearlene beneidete ihre Cousine, besonders um die braunen Naturlocken, die sich elegant um ihren Hals ringelten. Im Gegensatz zu Reeva hatte sie weder eine zierliche Stupsnase noch einen kleinen, süßen Mund, sondern einen langen, schmalen Nasenrücken, der über einem genauso überdurchschnittlich breiten Mund thronte. So hinreißend Reeva ihr erschien, so farblos und altbacken kam sich Pearlene neben ihr vor. Hellblond, zierlich und dann noch mit den Augengläsern auf ihrer langen Nase, würden die Herren sie wohl für den schlechtesten Fang des Abends halten.

Vorsichtig stiegen die beiden Frauen die Treppe hinab, um nicht über ihre ausladenden Röcke zu stolpern. Onkel Stuart musterte die Frauen mit einem stolzen Lächeln.

»Myladies, es ehrt mich euer Begleiter sein zu dürfen. Ihr seht allesamt bezaubernd aus.«

Als zwei Diener Pearlene und Deana die Capes umlegten, griff Reeva indessen nach dem Arm ihres Vaters. »Papa, gib sie ihr doch bitte jetzt, damit sie sie genau anschauen kann. In der Kutsche ist es zu dunkel, als dass man erkennt, wie wunderschön sie gearbeitet ist.«

Verwundert spickte Pearlene zu ihrer Cousine, die sie gespannt anlächelte. Auch Deana und Stuart war anzusehen, dass sie etwas vor ihr geheim hielten. Schließlich holte ihr Onkel, mit einem Grinsen, eine Schachtel hinter seinem Rücken hervor, die er Pearlene reichte.

»Reeva hat Recht. Hier kannst du dein Geschenk in Ruhe und vor allem in genügend Licht betrachten.«

»Ein Geschenk? Für mich?«, stammelte Pearlene überrascht und nahm die Schachtel strahlend entgegen.

Reeva eilte an ihre Seite. »Schnell, mach es auf! Ich will wissen, ob es dir gefällt. Es war meine Idee. Ich habe Mutter beim Aussuchen geholfen.«

Noch neugieriger als zuvor begann Pearlene, das Geschenk zu öffnen, und zum Vorschein kam eine Schatulle, in der eine Brille steckte, die sie in dieser Art noch nie gesehen hatte. Die Brille hatte einen herausklappbaren Griff, an dem man sie sich vor das Gesicht halten konnte. Die Gläser waren von weißem Perlmutt eingefasst, das herrlich schimmerte und sich in golden bemalten Schnörkeln kunstvoll weiterrankte. Mehrere winzige, klar funkelnde Edelsteine machten aus der Brille mehr ein Schmuckstück als einen Gebrauchsgegenstand. Sie sah beinahe aus wie eine venezianische Halbmaske. Vor allem freute sich Pearlene jedoch darüber, dass sie sich nun nicht mehr ständig den Nasenrücken einquetschen müsste, sondern die Brille bloß vor die Augen zu halten brauchte, wenn sie in der Ferne etwas genauer sehen wollte. Mit dieser extravaganten Brille würde sie sich nicht völlig zum Gespött des Abends machen.

 

Tränen der Rührung vernebelten Pearlene die Sicht, als sie glücklich ihre Cousine anlächelte. Vor einer kleinen Ewigkeit hatte sie Reeva ihre Ängste anvertraut, wegen ihrer Makel keinen Ehemann zu finden. Dieses Geschenk zeigte, dass sie Reeva ernst genommen und nicht vergessen hatte, mehr noch sogar, dass sie ihre ältere Cousine liebte.

»Sie ist … wundervoll. O mein Gott, Reeva. Ihre Form … Sie ist fantastisch! Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei euch bedanken soll?«

Reeva hüpfte aufgeregt. »Oh, sie gefällt dir. Ich ahnte es. Es ist eine Stielbrille, man nennt sie auch Lorgnette. Wir fanden sie in der Auslage eines Brillenmachers. Sie ist ein Einzelstück und so elegant, dass ich mir am liebsten auch eine anfertigen lassen würde.«

Pearlene lachte laut. »Danke vielmals, dass ihr an mich gedacht habt. Ihr habt mir eine unglaubliche Freude bereitet. Oh, Reeva …«

Sie bedankte sich bei ihrer Cousine und deren Eltern mit einer herzlichen Umarmung. Alle drei versicherten ihr, dass es ihnen ein Vergnügen bereitete, sie glücklich zu sehen.

Mit bebenden Fingern entfernte Pearlene den alten hässlichen Nasenzwicker aus ihrem Gesicht und verstaute ihn, sowie die Schatulle, die ihre neue Brille vor Kratzern schützen würde, in ihrem Retikül. In bester Laune hakte sie sich bei Reeva ein und kichernd folgten die Mädchen den Älteren zur Kutsche, die vor dem Haus bereitstand und sie zum Ball der Shutterfields fahren würde.