Die Väter-Casting-Liste

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Kapitel 5




Hannahs Musiklehrerin war krank. Deshalb hatte sie auch am folgenden Tag erst um neun Uhr Schule. Heute war der Platz neben dem netten Mann natürlich besetzt – so viel Glück hatte man nicht zweimal und erst recht nicht zweimal hintereinander!



Während der Fahrt schob sich Hannah unauffällig näher an seinen Sitz heran. Er hatte einen schmalen, schwarzen Aktenkoffer bei sich, der auf seinem Schoß lag. Seine Hände waren auf dem Aktenkoffer gefaltet. Hannah schaute genauer hin. Er trug keinen Ehering. Ha! Da würde Patrick aber dumm gucken, dass sie das so schnell herausgefunden hatte!



Sie geriet ins Träumen. Sie stellte sich vor, der nette Mann wäre ihr Vater. Sie saßen nebeneinander im Bus. Sie zeigte ihm die komische Frisur der Frau vorne rechts: an der einen Seite lang und an der anderen kurz. „Da kriegt sie im Winter ein kaltes Ohr, es sei denn, sie trägt eine halbe Mütze“, sagte er und sie kicherten klammheimlich zusammen. Sie erzählte ihm, wie blöd sie Mützen fand, dass Mama aber darauf bestand, dass sie im Winter eine anzog. Er versprach, mit ihrer Mutter darüber zu reden.



Ach ja, schön wär’s, wenn sie solch einen Vater hätte. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Ein sehr weiter.



„Er ist nicht verheiratet“, rief sie Patrick triumphierend entgegen, kaum dass der nachmittags zur Tür hereinkam.



„Wer, wie, was?“ Patrick war mal wieder furchtbar begriffsstutzig.



„Na, der Mann im Bus!“



„Aha. Und woher weißt du das?“



„Er hat keinen Ring am Finger.“



„Das ist kein Beweis. Viele tragen keinen, obwohl sie verheiratet sind. Und Mama hat sogar zwei, ihren eigenen und den von Papa, und sie ist nicht verheiratet.“



Das mit Mama stimmte zwar. Aber gab es das wirklich, dass Verheiratete keinen Ring am Finger hatten?



Frau Berggrün kam gerade nach Hause. Hannah lief zu ihr hin. „Gibt es Ehemänner ohne Ehering?“, erkundigte sie sich.



„Du stellst aber merkwürdige Fragen! Warum willst du das denn wissen?“



Hannah fiel auf die Schnelle nur eine einzige Antwort ein: Ich muss herausfinden, ob ein Mann, den du heiraten sollst, schon verheiratet ist. Da sie das aber nicht sagen konnte, schwieg sie. Zum Glück lenkte Patrick Mama ab. „Wir haben einen neuen Englischlehrer“, erzählte er. „Der ist einsame Spitze! Alle Mädchen sind in ihn verknallt. Und der hat keinen Ring an.“



„Das heißt nichts“, erwiderte Frau Berggrün. „Opa zum Beispiel hat nie einen getragen. Sein Ehering lag immer in Omas Schmuckkasten. Da liegt er, glaube ich, heute noch.“



„Warum wollte er keinen Ring?“



„Ich glaube, er störte ihn.“



Patrick konnte das verstehen. Er hätte auch nicht gern dauernd so ein Ding am Finger.



Vorm Zubettgehen berichtete er seiner Schwester mehr von seinem Englischlehrer. „Der Gerhold ist klasse, der wäre bestimmt was für uns“, schwärmte er. „Er ist unheimlich witzig. Mit dem würden wir viel zu lachen kriegen.“



„Das hört sich gut an“, bemerkte Hannah.



„Übrigens weiß ich genau, dass er nicht verheiratet ist“, fuhr Patrick fort. „In einer Kennenlernstunde durften wir ihm Fragen stellen. Das war das Erste, was die Mädchen von ihm wissen wollten. Er hat uns außerdem erzählt, dass er viel Sport macht. Er joggt zum Beispiel regelmäßig im Wald, schwimmt gern, und im Winter fährt er Ski.“



Hannah war darüber wenig begeistert. „Aber Mama ist kein bisschen sportlich“, wandte sie ein.



„Wenn sie ihn erst mal kennt, macht sie ihm zuliebe sicher mit“, wiegelte Patrick Hannahs Bedenken ab und fügte hinzu: „Ich jedenfalls würde gern Ski fahren.“



„Ja, du! Aber was Mama will, zählt mehr.“



„Was wir wollen, ist auch wichtig.“



Dem mochte Hannah natürlich nicht widersprechen.



Wegen des Geredes über Herrn Gerhold und den Mann im Bus hätte sie Leons Vater beinahe vergessen. „Was ist übrigens mit Herrn Schafmeister?“, erkundigte sie sich.



„Ich habe Leon gefragt, was er davon hält, wenn sein Vater und unsere Mutter heiraten würden.“



„Bist du verrückt? Das kannst du doch nicht einfach so herausposaunen!“



„Klar kann ich das! Immerhin ist Leon mein bester Freund. Und er hat oft gute Einfälle.“



Selbst wenn – aus irgendeinem Grund störte es Hannah, dass Patrick den blöden Kerl in ihre geheimen Pläne eingeweiht hatte.



„Leon findet die Idee nicht übel“, setzte Patrick hinzu. „Er denkt darüber nach und sagt mir am Montag Bescheid.“



Hannah stöhnte. Sie hatten gerade erst damit angefangen, ihre Mutter zu verheiraten, aber diese ständige Warterei und Ungewissheit gingen ihr schon jetzt gehörig auf die Nerven!





Kapitel 6




Am Samstag wollte Frau Berggrün sauber machen. „Geht ein bisschen draußen spielen“, schlug sie vor, „damit ihr mir unter den Füßen weg seid.“



„Immer stören wir dich nur“, beschwerte sich Hannah.



Ihre Mutter drehte sich zu ihr um. „Komm mal her, du“, sagte sie leise. Sie nahm Hannah ganz fest in die Arme. „Ihr stört mich überhaupt nicht“, flüsterte sie. „Ihr seid mir das Liebste, was ich habe auf der Welt. Ich möchte es uns doch nur schön machen. Und das geht schneller, wenn ich allein bin.“



Patrick kam hinzu. „Wir könnten dir helfen“, schlug er vor. „Hannah wischt Staub. Und ich putze die Böden.“



„Das ist lieb von euch. Aber lasst mal. Das mache ich besser selbst. Wenn ihr mir helfen wollt, könnt ihr eure Zimmer picobello aufräumen, bevor ihr rausgeht.“



Einen Augenblick ärgerte sich Hannah über ihren Bruder, weil er diesen lästigen Vorschlag gemacht hatte. Sie hatte überhaupt keine Lust aufzuräumen, zumal gerade im Moment ziemlich viel bei ihr herumlag. Andererseits sie sah ein, dass sie ihrer Mutter nicht die ganze Arbeit allein überlassen durften. Und als sie mit dem Aufräumen angefangen hatte und zusehen konnte, wie es um sie herum ordentlicher wurde, machte es ihr sogar halbwegs Spaß.



Ihre Mutter war begeistert über die Zimmer. „Das sieht prima aus“, lobte sie. „Jetzt habt ihr euch das Spielen draußen redlich verdient.“



Sie nahmen die Tischtennisschläger und Bälle mit. Vielleicht hatten sie Glück und die Tischtennisplatte im Park war frei.



Sie hatten keins. Zwei Mädchen hatten die Platte in Beschlag genommen. Patrick und Hannah setzten sich auf eine Bank und schauten zu, wie sie spielten.



Es sah nicht so aus, als ob die beiden bald aufhören würden. Hannah wollte Patrick gerade vorschlagen, zum Spielplatz hinüberzugehen, als ein stämmiger, schokoladenbrauner Hund auf sie zugestürzt kam. Sein Fell glänzte wunderschön in der Sonne. Er stellte seine Vorderpfoten auf die Bank und wedelte heftig mit seinem Stummelschwanz.



„Wie süß!“, rief Hannah entzückt und streichelte ihn.



Patrick kraulte ihn mit beiden Händen hinter den Ohren.



Dem Hund gefiel das. Er leckte abwechselnd über Hannahs und Patricks Arm und sprang schließlich auf die Bank.



Ein Pfiff ertönte.



Der Hund wandte den Kopf und lauschte.



Wieder hörte man den Pfeifenton.



Der Hund machte einen Satz von der Bank und rannte auf einen Mann zu, der bestimmt fast zwei Meter groß war. Der tätschelte ihm den Kopf und gab ihm ein Leckerchen. Anschließend lockte er den Hund auf die Wiese und warf einen gelben Tennisball. Wie irre jagte das Tier hinterher und brachte ihn seinem Herrchen zurück. Dafür bekam er wieder eine Belohnung, über die er sich offenbar ungeheuer freute, denn er hüpfte auf und nieder und wedelte wie wild mit dem Schwanz.



Beim nächsten Mal brachte der Hund den Ball zu der Bank, auf der Hannah und Patrick saßen. Hannah wollte ihn aus seinem Maul nehmen, doch der Hund gab ihn nicht her. Erst als sein Herrchen rief, ließ er den Tennisball fallen und rannte zu ihm hin.



Patrick und Hannah hoben den gelben Ball auf und schlenderten über die Wiese, um ihn dem Mann zurückzugeben. Er bedankte sich freundlich. Seine Augen waren genauso braun wie die seines Hundes.



„Darf ich auch mal werfen?“, bat Patrick.



„Nur zu!“



Patrick schleuderte den Ball über die Wiese. Das Tier brachte ihn zurück und ließ ihn vor die Füße des Mannes fallen. Hannah fiel auf, dass er nicht nur riesengroß war, sondern auch riesengroße Füße hatte.



Er hockte sich hin und streichelte den Hund. „Fein“, lobte er, „du bist ein ganz feiner Hund“, und gab ihm erneut ein Leckerchen.



Hannah dachte, dass er möglicherweise der liebste Hundebesitzer der Stadt war, wenn nicht der Welt.



„Wie heißt Ihr Hund?“, erkundigte sie sich.



„Mia.“



„Und wie alt ist er?“



„Mia ist erst sechs Monate. Sie muss noch einiges lernen.“ Der Mann kraulte den Kopf des Hundes, der brav neben ihm saß.



„Was für eine Hunderasse ist das?“, wollte Patrick wissen.



„Ein Labrador.“



„Ich hätte unheimlich gern einen Hund“, seufzte Hannah sehnsuchtsvoll. „Er könnte immer bei mir sein, außer in der Schule, und nachts dürfte er mit in meinem Bett schlafen.“



„In mein Bett darf Mia nicht“, erwiderte der Mann. „Übrigens ist sie ein Mädchen.“



„Ich weiß. Mia ist ja ein Mädchenname. Ich habe nur ‚er‘ gesagt, weil ich an ‚Hund‘ gedacht habe.“



„Ich verstehe.“ Der Zwei-Meter-Mann lachte.



Patrick schleuderte den Tennisball erneut. Er landete im Erdreich unter den Bäumen. Mia packte ihn mit den Zähnen und versuchte, ihn zu verbuddeln. Mit den Pfoten scharrte sie, dass die Erdklumpen nur so flogen. Patrick rannte hin, grabschte den Ball und warf ihn dem Mann zu, der ihn geschickt auffing.

 



Sie spielten noch eine Weile zu dritt mit dem Hund. Schließlich schaute der Besitzer, der Herr Kirchkamp hieß, auf die Uhr. „Oh, schon fast eins! Danke, dass ihr mit Mia gespielt habt. Das hat ihr viel Spaß gemacht.“



„Kommen Sie öfter hierher?“, platzte Hannah heraus.



„Das kommt aufs Wetter an. Wenn es regnet, haben wir keine Lust spazieren zu gehen und drehen nur eine kurze Runde durch den Park.“



„Dürfen wir beim nächsten Mal wieder mit Mia spielen?“



„Na klar! Also bis bald!“



Nachdem er gegangen war, nickte Patrick Hannah zu. Ohne Worte waren sie sich einig. Mias Herrchen kam ebenfalls als Vater in Frage. Definitiv!



Als sie nach Hause kamen, erzählte ihre Mutter: „Ich habe übrigens eben unseren neuen Nachbarn kennengelernt. Er heißt Herr Fasel.“



„Fasel!“ Patrick brach in Gelächter aus. „Was hat er denn alles gefaselt?“



„Herr Fasel faselt“, prustete Hannah.



Ihre Mutter schüttelte den Kopf, aber sie schmunzelte dabei. „Ihr seid albern. Allerdings muss ich zugeben: Fasel möchte ich auch nicht unbedingt heißen.“



„Jessica Fasel“, keuchte Patrick, „stellt euch das vor!“



„Abgesehen von dem Namen macht Herr Fasel einen guten Eindruck auf mich“, fuhr Frau Berggrün fort. „Er war sehr höflich.“



„Hat er Kinder?“, wollte Hannah wissen.



„Das weiß ich nicht. Aber hier wohnt er allein.“



„Schade“, meinte Hannah und dachte gleichzeitig: „Oder gut für uns. Vielleicht kann der Mama heiraten.“



Patrick dachte wahrscheinlich dasselbe. „Hast du ihm gesagt, dass du allein mit uns wohnst?“, fragte er.



„Ich habe was Derartiges erwähnt. Warum?“



Patrick ging nicht darauf ein. „Was ist er denn von Beruf?“, erkundigte er sich stattdessen.



„Keine Ahnung. Ich habe nur kurz mit ihm gesprochen.“



„Ich geh jetzt in mein Zimmer“, verkündete Patrick und warf seiner Schwester einen Blick zu, der bedeutete: „Komm mit, wir haben was Wichtiges zu besprechen.“



Natürlich wollte er über den neuen Nachbarn reden.



„Warum interessiert es dich eigentlich, was er von Beruf ist?“, fragte Hannah.



„Weil Mama bestimmt keinen Loser heiratet.“



„Einen Loser möchte ich auch nicht zum Vater haben“, erwiderte Hannah. „Aber wie kriegen wir raus, ob er einer ist?“



„Wir beschatten ihn.“



„Was bedeutet das?“



„Zum Beispiel beobachten wir ihn heimlich und folgen ihm unauffällig, wenn er aus dem Haus geht. Wie Detektive halt.“



Das klang spannend! Hannah war sofort Feuer und Flamme. „Bald sind Osterferien“, rief sie. „Da können wir ihn beschatten, so viel wir wollen.“



„Ich hätte niemals gedacht, dass es dermaßen viel Mühe macht, seine Mutter zu verheiraten“, stöhnte Patrick. „Nun müssen wir auch noch Leute beschatten! Aber wer A sagt, muss auch B sagen. Jetzt ziehen wir es durch.“






Kapitel 7




Am nächsten Tag gingen Patrick und Hannah wieder in den Park in der Hoffnung, Herrn Kirchkamp mit seinem Labrador zu treffen. Sie setzten sich auf die Bank, von der aus sie einen guten Blick auf die Hundewiese hatten.



„Ich hätte solche Lust, mit Mia zu spielen!“, seufzte Hannah.



„Ich auch.“



„He, guck mal!“, zischte sie plötzlich. Mit dem Kopf wies sie auf einen Mann, der gerade an ihnen vorbeiging. „Das ist der nette Mann aus dem Bus.“



Patrick maß ihn mit kritischen Blicken. „Hm“, meinte er. „Der wäre mir jetzt nicht besonders aufgefallen.“



„Du siehst doch bloß seinen Rücken, du Depp!“, gab Hannah zurück.



„Okay. Wir beschatten ihn.“ Patrick sprang auf und sprintete los.



Hannah rannte hinter ihm her. „Warte! Ich komme mit!“, rief sie lauthals.



„Pst! Er darf uns nicht bemerken.“



Auf leisen Sohlen liefen sie hinter dem Mann her zum Parkausgang. Am Fußgängerüberweg blieb er stehen, weil die Ampel auf Rot schaltete. Patrick und Hannah verharrten ein Stück hinter ihm.



Hannah hatte keine Ahnung, warum, aber sie musste plötzlich fürchterlich kichern. Je mehr sie versuchte, es zu unterdrücken, desto schlimmer wurde es.



Patrick schaute sie wütend an.



Darüber musste sie erst recht lachen, und zwar ziemlich laut.



Der Mann drehte sich um und schaute sie direkt an. „Oh, hallo!“, sagte er.



„Hallo“, murmelte Hannah. Mit einem Schlag war ihr das Lachen vergangen.



„Heute treffen wir uns zur Abwechslung mal nicht im Bus“, stellte er fest und zwinkerte ihr zu.



Sie nickte stumm.



„Na, dann vielleicht bis morgen.“



Jetzt fiel ihr zum Glück etwas ein, was sie erwidern konnte. „Ich fahre nur dienstags und donnerstags um Viertel nach acht“, schnatterte sie drauflos. „An den Tagen habe ich nämlich zur zweiten Stunde. Die fängt um Viertel vor neun an. Nein, um zehn vor neun. Fünf Minuten sind Pause. Nach der ersten Stunde. Sonst fahre ich schon um halb acht, weil ich um acht in der Schule sein muss.“ Patrick stieß sie in die Seite, aber Hannah ratterte unbeirrt weiter: „Nur wenn der Lehrer, den wir in der ersten Stunde haben – oder gehabt hätten –, fehlt, weil er krank ist oder weil – was weiß ich – fahre ich ... äh... fahre ich ...“ Nun hatte sie vollständig den Faden verloren.



Der Mann schmunzelte. „Alles klar. Also bis übermorgen.“



„Bis übermorgen“, wiederholte Hannah erleichtert.



Die Ampel sprang auf Grün. Er hob grüßend die Hand und überquerte die Straße. Sie folgten ihm in einigem Abstand.



„Wie findest du ihn?“, wollte Hannah wissen.



„Dass er sich dein Gelaber angehört hat, ohne schreiend davonzulaufen, rechne ich ihm hoch an.“



Eine Antwort in der Art hatte Hannah erwartet. „Und sonst?“, fragte sie.



„Den sollten wir uns auf jeden Fall näher angucken. Mal sehen, wo er wohnt.“



Der Mann strebte mit weit ausholenden Schritten auf das Hochhaus Breslauer Straße 12 A zu und verschwand im Eingang. Patrick und Hannah warteten einen Augenblick, bevor sie ebenfalls auf die Haustür zusteuerten. Sie betrachteten die vielen Klingelschilder – mindestens zwanzig.



„Hihi!“ Patrick zeigte auf ein Schild mit der Aufschrift „Brocken“. „Da denkt doch jeder gleich an Kotzbrocken.“



„Ich nicht.“



„Hannah Kotzbrocken“, fuhr Patrick fort. „Das wäre ein passender Name für dich!“



„Und wie findest du Patrick Kotzbrocken?“, schoss seine Schwester zurück.



Sie legte ihren Zeigefinger auf ein Schild, auf dem „Marienfeld“ stand. „Der Nachname gefällt mir.“



„Auf jeden Fall besser als Kotzbrocken“, stimmte Patrick zu.



„Ich könnte mir gut vorstellen, dass der nette Mann so heißt“, setzte Hannah hinzu. „Ich wünschte, mein Name wäre Hannah Marienfeld. Das klingt schön! Hoffentlich heiratet Mama den Mann aus dem Bus!“



„Bis du doof, oder was? Selbst wenn Mama ihn heiraten sollte, würdest du weiter Hannah Berggrün heißen.“



„Wenn wir eine Familie wären, hätten wir auch denselben Namen“, protestierte Hannah.



„Quatsch! Wir haben einen in der Klasse, den Timo. Der hatte am Anfang einen anderen Nachnamen als seine Mutter. Er hat uns das erklärt. Seine Mutter bekam den Namen von ihrem neuen Mann und Timo behielt seinen alten. Eines Tages hieß er dann genauso wie seine Mutter und sein Stiefvater. Weil der ihn nämlich adoptiert hatte.“



„Bestimmt würde Herr Marienfeld uns auch adoptieren!“, stellte Hannah im Brustton der Überzeugung fest.



Patrick packte sich an den Kopf. „Nun mach aber mal halblang! Erstens wissen wir gar nicht, ob der Mann tatsächlich Marienfeld heißt. Und zweitens ist keineswegs sicher, dass er Mama überhaupt heiraten will oder sie ihn.“



In dem Augenblick wurde die Haustür aufgerissen. Die Kinder fuhren erschrocken zurück. Zum Glück war es nicht Herr Marienfeld – oder wie immer er auch heißen mochte –, sondern eine ältere Frau, die mit einem Einkaufswagen auf Rollen herauskam. Sie warf ihnen einen misstrauischen Blick zu.



Schnell machten sie sich aus dem Staub.



Als sie im Treppenhaus ihres Hochhauses ankamen, war der Aufzug unterwegs. „Sollen wir die Treppen rauflaufen?“, schlug Hannah vor.



„Dafür bin ich nach der anstrengenden Beschatterei zu kaputt.“



Hannah schnaufte durch die Nase. „Du und deine faulen Ausreden!“



Man hörte den Aufzug heranrumpeln. Wie gewöhnlich dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis sich die Türen öffneten. Der neue Nachbar trat heraus. „Guten Tag, Herr Fasel“, grüßten sie ihn höflich.



„Tag, Kinder.“



Sie schauten ihm nach, bis er auf die Straße trat.



„Wie findest du ihn?“ Patrick flüsterte, obwohl Herr Fasel außer Sicht- und Hörweite war.



„Es geht.“



„Ich fand ihn ganz okay.“



„Er hat so böse geguckt“, entgegnete Hannah. „Und durch den dunklen Bart sieht er ein bisschen unheimlich aus. Fast wie ein Verbrecher.“



Patrick tippte sich an die Stirn. „Du spinnst! Nicht jeder, der einen Bart hat, ist deshalb gleich ein Verbrecher. Und nicht jeder Verbrecher hat einen Bart!“



„Nein“, musste Hannah zugeben. „Trotzdem: Der Mann aus dem Bus gefällt mir besser.“



„Mir auch. Aber wir dürfen nicht voreilig sein. Möglicherweise sieht er nur nett aus und ist in Wirklichkeit ein A...“



„Wir müssen sowieso noch mehr über die Kandidaten herausfinden“, fiel ihm Hannah ins Wort. „Aber langsam verliere ich den Überblick.“



Inzwischen waren sie vor ihrer Wohnungstür angekommen. „Weißt du was?“, rief Patrick. „Wir machen eine Liste. In die tragen wir die Kandidaten ein und was wir über sie wissen. Die, die nicht in Frage kommen, streichen wir wieder aus, bis am Ende nur noch einer übrig bleibt.“



Selbst wenn Patrick oft blöd war, eins musste man ihm lassen: Ab und zu hatte er ganz brauchbare Ideen.



Kurz darauf erschien Hannah in seinem Zimmer. Sie hatte ihr allerschönstes Heft mitgebracht, das sie sich für eine besondere Gelegenheit aufgehoben hatte: eins mit roten Herzchen auf dunkelblauem Grund.



„Ziemlich kitschig“, meinte Patrick abschätzig.



„Wieso? Herzchen und heiraten – das passt wie geschmiert!“



„Na ja“, brummte Patrick, „wenn du meinst ...“ Zur Feier des Tages holte er seinen Füller hervor. Auf die erste Seite schrieb er:





Liste







für das Väter-Casting





„Was meinst du mit ‚Casting‘?“, erkundigte sich Hannah.



„Das kennst du doch, aus dem Fernsehen. Wenn sie jemanden für eine bestimmte Sache suchen, zum Beispiel einen Sänger oder ein Model. Die Kandidaten müssen vorsingen oder sich was anziehen und damit herumlaufen. Und wir suchen eben einen Vater. Deshalb ist das bei uns ein Väter-Casting.“



„Okay“, erwiderte Hannah. „Und müssen unsere Kandidaten auch was machen, um zu gewinnen? Stellen wir sie auf die Probe oder so?“



„Das kommt drauf an. Vielleicht, wenn wir uns nicht zwischen ihnen entscheiden können.“



Patrick wendete das Blatt um. Auf die nächste Seite setzte er:





Kandidat Nummer 1:







Der Mann aus dem Bus





Sie überlegten gemeinsam, was sie über ihn wussten:





- fährt morgens um 8 Uhr 16 in die Stadt







- nimmt den 732iger







- wohnt im Hochhaus Breslauer Straße 12 A





„Wir müssen noch dazuschreiben, dass er nett ist“, meinte Hannah.



„Das ist eh klar! Sonst würden wir ihn wohl kaum in unsere Liste aufnehmen.“



„Gib’s zu: Du bist bloß zu faul zum Schreiben.“



„Überhaupt nicht! Ich habe nur keine Lust, mir wegen solch einem Mist die Finger wund zu schreiben.“ Patrick schlug die folgende Seite auf und begann mit dem nächsten Eintrag:





Kandidat Nummer 2:







Herr Schafmeister







- Leons Vater





„Das ist genauso überflüssig“, protestierte Hannah.



„Soll ich es wegkillern?“



„Nee, lass es von mir aus stehen“, antwortete sie großzügig. „Sonst sieht es nachher nicht schön aus. Mach weiter.“



„Was müssen wir denn noch über ihn aufschreiben?“



„Dass er geschieden ist.“



„Eigentlich wissen wir das auch“, wandte Patrick ein. „Aber na gut. Damit wir überhaupt was da stehen haben.“ Unter „Leons Vater“ ergänzte er:





- geschieden





Auf die nächste Seite schrieb er:





Kandidat Nummer 3:







Herr Kirchkamp



 





- Herrchen von Mia





„Du könntest hinzufügen, dass Mia ein Hund

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