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Das Eulenhaus

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»Durchlaucht«, erwiderte er schneidend, »wollen vermutlich noch einmal von mir hören, daß ich für mich ganz allein das Recht beanspruche, Leonies Erziehung zu leiten. Auf welche Weise das geschieht? Nun, ich übernehme mit Freuden die Verantwortung! Diejenige, welche Mutter des Kindes sein wird, ist in meinen Augen das edelste, das beste, das selbstloseste Wesen der Erde! Niemals sind auch nur ihre Gedanken von dem Pfade abgewichen, den Sitten und Ehre dem Weibe vorzeichnen, nie, das weiß ich. Meine Braut mag in ihrer Liebe für die kranke Freundin vergessen haben, daß tausend hämische, neidische Zungen bemüht waren, an ihrem Tun und Lassen zu deuteln und zu drehen. In meinem Herzen steht sie darum nur höher. Vor den Augen der Welt die Ehrbare zu spielen, das ist sehr leicht, Durchlaucht, aber allein, gestützt auf den Mut eines guten Gewissens, der Welt zu trotzen, die uns vernichten möchte, fest zu bleiben in dem, was man für Recht erkannt, und doch zu wissen, man wird falsch beurteilt, fest zu bleiben, indem man unter allen Umständen die Pflicht erfüllt, die man aus ehrlicher Zuneigung übernahm, und wäre es auch nur die von vielen angezweifelte Pflicht der Freundschaft, dazu gehört Seelenreinheit und ein starker Charakter, Eigenschaften, die ich bis jetzt vergeblich in–«

»Lothar!« schrie Klaudine auf. Vor ihren Augen schwankten das Kuppelgewölbe von Glas, es war, als ob der Boden, auf dem sie stand, zu wogen beginne. Dann fühlte sie sich umfaßt, und »Klaudine!« scholl es in ihr Ohr.

»Sei nicht so hart,« flüsterte sie, »sei nicht so hart! Er ist so schwer, der Gedanke, andere grollend zu wissen, wenn das Glück so allmächtig auf uns hereinbricht!«

Sie waren allein. Sie sah ihn jetzt an mit ihren blauen, in Tränen schimmernden Augen. »Kein Wort«, sagte sie und legte ihm die kleine Hand auf den Mund, »kein Wort, Lothar – jetzt ist es nicht Zeit, glücklich zu sein. Ich weiß genug und – dort drüben sitzt der Tod.«

»Aber du wirst dem Wunsche der Sterbenden nicht widersprechen?« bat er demütig.

»Ich werde nicht widersprechen.«

»Und wir fahren heim in unser stilles Neuhaus, Klaudine?«

»Nein«, erwiderte sie bestimmt, »o nein! Ich gehe nicht von ihr, die so schwer um mich gelitten, hat, solange sie am Leben ist. Ich fürchte mich nicht mehr, denn ich weiß jetzt, daß du und ich zusammengehören für immer, daß du mir vertraust und an mich glaubst, immer, ohne Wanken. Und du, du reisest indes. Noch einmal gebe ich dir Urlaub, und dann, wenn du zurückkehrst, wenn mein Herz sich wieder freuen kann, wenn ich glaube, das Recht zu haben, glücklich zu sein, dann komme ich zu dir.«

28

In den Gemächern der Herzogin hatte gegen Abend eine Trauung stattgefunden. Sie wußten es alle im Schloß, von der Leinenschließerin in der netten Mansardenwohnung bis zum Küchenjungen im Erdgeschoß, man wußte, daß der junge Ehemann gleich nach der Trauung abgereist war und daß Frau Klaudine von Gerold ihren Platz am Krankenbett der Herzogin eingenommen hatte.

Die hohe Frau befand sich sehr schwach heute abend. Bei der Feier war sie zugegen gewesen, sie selbst hatte mit zitternden Händen den Brautschleier über das schöne, blonde Haupt des Mädchens gelegt. Seine Hoheit, die Herzoginmutter und Frau von Katzenstein waren die anderen Trauzeugen gewesen. Noch im Beisein der Herrschaften hatte das junge Paar Abschied voneinander genommen.

Und nun saß neben Klaudine am Fußende des Himmelbettes eine kleine, zierliche Gestalt, und beide hatten verweinte Augen. Die Herzogin war nach der Trauungsfeierlichkeit ohnmächtig geworden, und der Medizinalrat hatte sich zum Herzog begeben und ihn flüsternd auf das Unabweisliche vorbereitet.

Da draußen waren die Schneewolken zerrissen, und die Sterne blitzten herab auf die winterliche Erde. In den Zimmern der Prinzen schien die Ampel auf schlummernde, blonde Köpfchen. Sie ahnten nichts. Sonst wachte alles in dieser Nacht. Die Lichter des Schlosses flimmerten hinaus in die Schneelandschaft, und dort unten in den Häusern der Stadt betete man für die allzeit hilfsbereite Herrin, die auf ihrem Sterbebette lag.

Im Vorzimmer ging der Herzog auf und ab. Zuweilen warf er einen Blick in das Schlafgemach seiner Gemahlin. Dann hörte er eine leise Stimme: »Adalbert, ist Klaudine fort?« – Und die junge Frau rückte geräuschlos an die Seite des Bettes. »Du bist noch da?« fragte die Kranke.

»Laß mich bei dir bleiben, Elisabeth,« bat Klaudine, »Gerold hat noch verschiedenes zu ordnen, bevor ich nach Neuhaus kommen kann.«

Die Herzogin lächelte schwach.

»Du verstehst ja nicht zu lügen, Klaudine, ich weiß, weshalb du bleibst! Armes Kind, welch traurige Hochzeit! – Ruf Adalbert!« stieß sie dann hervor. »Ist Helene da?«

Die Prinzeß kam. Dicht nebeneinander standen Klaudine und sie.

»Gebt euch die Hand«, bat die Herzogin.

Prinzeß Helene faßte die Hand der jungen Frau. »Vergeben Sie mir!« sagte sie leise weinend.

»Und nun ruft Adalbert!« forderte die Kranke.

Er kam, setzte sich auf den Rand ihres Bettes, und sie drückte ihm stumm die Hände.

»Wenn ich leben könnte, dich zu trösten, mein armer Freund!« flüsterte sie. »Es ist so schwer, entsagen zu müssen, ich weiß es. Aber – sie liebten sich nun einmal, und du, du gehst so leer aus, so leer! Ach, wenn es in meiner Macht gestanden hätte, wie glücklich solltest du werden!«

»Sprich nicht so«, sagte er. »Ich werde nur unglücklich, mein Liesel, wenn du mich verläßt!«

»Sag noch einmal ›mein Liesel‹«, bat sie und sah ihn an, und die fast erloschenen Augen flammten noch einmal in dem alten innigen Liebesschein.

»Mein Liesel!« flüsterte er mit versagender Stimme.

Sie drückte seine Hand.

»Nun geh, Adalbert, ich will schlafen, ich bin so müde – küsse die Kinder – geh!« drängte sie.

Und sie schlief.

Die junge Frau saß treu wachend an ihrem Lager. Nur einmal war es, als lege sich minutenlang eine zwingende Müdigkeit auf ihre Augen. Kaum eine Minute mochte es gewährt haben, da raffte sie sich auf, von einem Schauer erweckt. Die Herzogin lag so seltsam ruhig da, ein Lächeln auf den Lippen, die Hände gefaltet.

Klaudine faßte ihre Hand. »Elisabeth!« sagte sie angstvoll.

Sie hörte es nicht mehr.

Auch die Prinzessin trat näher und sank schluchzend vor dem Bette nieder. Der Herzog kam und der Arzt, die alte Hofdame —

Es war so still, so beängstigend still in dem hellen, prächtigen Raum.

Dann gingen sie alle, nur der Herzog und Kiaudine blieben zurück. Sie saßen am Bette der Toten, und durch die geöffneten Fenster des Nebenzimmers schollen die tiefen Klänge der Kirchenglocken herein, die an diesem kalten, dunklen Wintermorgen dem Lande verkündeten, daß seine Fürstin schlafe, den langen, ewigen Schlaf.

So hielten sie Totenwache, die beiden, die ihr die liebsten Menschen gewesen.

29

Im Garten des Eulenhauses blühten Leberblümchen, und gelbe, blaue und weiße Krokusse lugten aus der schwarzen Frühlingserde hervor. Der alte Heinemann schaffte emsig an seinen Rosenstöcken, nahm ihnen die Winterhülle und band sie an die frisch gestrichenen Pfähle. Die Sonne hatte über Mittag schon heiß auf die alten Grabsteine geschienen, und die jungen Blättchen regten und dehnten sich, sie sehnten sich nach Luft und Licht.

Hinter den blitzblanken Fensterscheiben tauchte Fräulein Lindenmeyers freundliches Gesicht auf. Zuweilen wandte sie redend den Kopf in das Zimmer zurück, dort stand die kleine, runde Ida und legte Wäsche. Die Ida war wieder hier, auf Verlangen der jungen Frau von Gerold, weil diese doch über kurz oder lang nach Neuhaus übersiedeln wollte. Wann? Ja, das wußte niemand. Der Herr Baron war noch immer auf Reisen, und seine junge Gattin trug noch tiefe Trauer um die Herzogin.

Merkwürdig, was heute die schmalen Frauenfüße für eine Unrast entwickelten. Die gnädige Frau war im ganzen Hause umhergestiegen mit dem klappernden Schlüsselbund, hatte in alle Schränke und Spinde geschaut, des Herrn Wäscheschrank nachgesehen und die Kleider des Kindes, sie hatte das Wirtschaftsbuch nachgerechnet und die kleine Haushaltungskasse. Nun schüttelte sie über sich selbst und ihre Unruhe den Kopf, sie begriff sich heute nicht. Sie hatte weder die nötige Sammlung, zu schreiben, noch konnte sie sich heute entschließen, ihr Feierstündchen am Klavier zu halten, worauf sie sich sonst den ganzen Tag schon freute. Sie meinte endlich, es sei am besten, wenn sie einen Spaziergang mache. Da sie ohnehin seit mehreren Tagen Beate und die Kleine in Neuhaus nicht gesehen hatte, beschloß sie, dorthin zu wandern. Vielleicht wußte Beate auch näheres über Lothars Reisepläne. Seine letzten Nachrichten hatte sie aus Mailand empfangen.

Sie hatten sich nicht geschrieben, Klaudine und er, die junge Frau wollte es nicht. »Wir können uns ja mündlich alles erzählen«, hatte sie gebeten, »es ist das so viel schöner. Ich erfahre ja von Beate, ob du gesund bist und wo du weilst.«

Sie band sich den Mantel um, schlug das Spitzentuch über den Kopf und ging hinauf, um sich von Joachim zu verabschieden.

»Wo willst du hin?« fragte er.

»Zu Beate, Joachim.«

Er war aufgestanden und sah sie liebevoll an. »Wie bald wird die Zeit kommen, wo du ganz fortgehst!« sagte er.

»Ich komme mir bei dem Gedanken, daß ich dich eines Tages verlassen werde, schon ganz treulos vor.«

»O mein Liebling, du ahnst nicht, wie froh ich bin, dich glücklich zu wissen!« Und er begleitete sie hinunter bis zur Gartenpforte.

Es senkte sich schon die Dämmerung über die Bäume, die Wolken zogen rasch dort oben am Himmel, aber der Wind, der sie trieb, war lind und weich, und er wehte den Schleier zurück von der weißen Stirn der jungen Frau und beugte die knospenden Äste zueinander, er fuhr über das junge Gras am Wegesrand und erzählte von kommender Herrlichkeit, von Blütenpracht und Sonnenglanz. Mit eiligen Schritten kam sie daher, so schwebend und leicht, als habe sie Flügel. Sie sah bald in die Wellen des Baches, der ihr zur Seite rauschte, das letzte Schneewasser von den Bergen führend, bald in die Wolken hinauf, und Lächeln und Ernst gingen in beständigem Wechsel über ihr Gesicht. Es war ihr so eigen zumute, und einmal sagte sie halblaut: »Wenn er schon da wäre?«

 

Am Eingang des Neuhäuser Parkes blieb sie stehen. In der Lindenallee rauschte der Wind durch die Äste und das Schloß lag so still und so dunkel. Einen Augenblick wollte mädchenhafte Scheu ihre Füße lähmen, herzklopfend und erglühend lehnte sie an dem Sandsteinpfeiler und wagte nicht, den Fuß in den Garten zu setzen. Wieder kam es wie Ahnung über sie: »Wenn er schon hier wäre?« Noch hatte niemand sie gesehen, das war gut! Sie meinte plötzlich, sie müsse umkehren.

Dann drückte sie sich ängstlich zur Seite, die Allee entlang kam ein Reiter in raschem Trabe. Sie erkannte ihn trotz der tiefen Dämmerung, sie wußte, wohin er reiten würde, und ein unaussprechliches Glücksgefühl bemächtigte sich ihrer. Aber er durfte sie nicht sehen. Dann schrie sie leicht auf, der Jagdhund, der in tollen Sprüngen das Pferd umkreiste, hatte sie erkannt und stürmte auf sie zu. Im nämlichen Augenblick stand das Pferd, sein Reiter warf sich aus dem Sattel und hielt die junge Frau umfaßt.

»Endlich!« sagte er. »Und du bist hier – hab Dank!«

Sie konnte nicht antworten, sie weinte nur. Und als sie langsam dem Hause zuschritten, da sagte sie endlich: »Ich habe gefühlt, daß du hier bist. Wann kamst du, Lothar?«

»Vor einer Viertelstunde, mein Lieb.«

»Wo wolltest du eben hin?« fragte sie, und ein schelmisches Lächeln, das dem ernsten Antlitz wunderbar gut stand, flog um ihren Mund.

»Zu dir, Klaudine«, erwiderte er einfach.

Sie lächelte ihm glückselig zu. »Und nun sollst du auch wissen, Lothar, ich habe dich schon immer geliebt. Gott sei Dank, daß er dein Herz mir zuwendete!«

»Dir zuwendete?« fragte er bewegt. »Ich habe dich geliebt seit dem Tage, wo ich dich so unerwartet im Zimmer der Herzoginmutter traf. Weißt du noch, du sangst das ›Veilchen‹ von Mozart?«

»Und nachher: ›Willst du dein Herz mir schenken‹. Oh, ob ich es weiß! Aber, Lothar, wenn du mich damals schon liebtest —«

»Frage nicht, Klaudine«, wehrte er, »es liegen so schwere, düstere Zeiten dazwischen, Jahre, in denen ich mehr gelitten habe, als ich sagen kann.«

Sie schwieg, sah wieder zu den Wolken empor und drückte sich fester an seinen Arm. Ihr zur anderen Seite ging der Hund, hinter ihnen folgte das Pferd, dessen Zügel Lothar um den Arm geschlungen hatte.

»Nur noch eines«, flüsterte sie zaghaft und sah ihm bittend in das bewegte Antlitz. »Lothar, wenn du mich liebtest, warum hast du mit schneidenden Worten mir weh getan, wo du konntest, mich vor mir selbst erniedrigt, daß ich fast verzweifeln wollte?«

Er blickte sie lächelnd an. »O du Törin, weil ich von Angst und Eifersucht gehetzt war, weil mein Herz krank war vor Sehnsucht nach dir, und weil ich sah, was kommen mußte, weil ich die Welt kannte und ihre Schlechtigkeit und wußte, daß du zu Boden geschmettert sein würdest, wenn sie hereinbrächen über dich, die Verleumdung, die Gemeinheit, weil du, trotziges Kind, es mir so namenlos schwer machtest, über dich zu wachen, endlich, weil du mich nicht verstehen wolltest. – Laß, Klaudine! Die Zeiten liegen hinter uns. Ich habe dich und darf dein Wegweiser sein auf allen Pfaden von dieser Stunde an. Gottlob!«

»Gottlob!« sprach sie ihm leise nach.

Das Pferd ging allein mit gesenktem Kopf zu den Stallungen hinüber. Die beiden stiegen die Freitreppe empor, Baron Gerold öffnete die Tür.

»Tritt ein in dein Haus, Klaudine«, sagte er bewegt, »es soll unsere Heimat bleiben, nicht die Welt da draußen, wenn du es willst!«

Sie lachte unter Tränen: »Ob ich will? Vertraust du mir noch immer nicht? Nichts will ich weiter auf der ganzen Welt!«

30

Drei Jahre sind vergangen. Im Arbeitszimmer Joachim von Gerolds sitzt Frau Beate in der Dämmerung eines Winterabends und plaudert mit ihrem Gatten.

»Wo ist Elisabeth?« fragt er.

»Aber, Schatz, du wirst immer zerstreuter! Wo soll sie wohl sein? In Neuhaus natürlich. Sie kann doch nicht leben ohne ihre Tante Klaudine, sie bettelte so lange, bis ich sie mit Heinemann hinunterschickte. Es sei so schön in der Neuhäuser Kinderstube, und so etwas süßes wie Klaudines Kindchen gebe es nicht wieder. Sie muß übrigens bald zurückkommen.«

»Hast du die Zeitung heute gelesen?« fragte sie dann. »Nein? Nun, da hast du viel versäumt. Höre zu, Joachim, ich will dir erzählen: also, erstlich steht da, daß das Gerücht von der Verlobung unseres Herzogs mit Prinzeß Helene immer mehr Glaubwürdigkeit gewinne. Ich fände es übrigens ganz passend, Joachim, denn in der Kleinen steckt neben aller Launenhaftigkeit ein guter Kern. Sie hat damals in Cannes so rührend die Herzogin gepflegt, und gegen Klaudine ist sie seitdem doch wahrhaft erfinderisch in Freundlichkeiten. Sie möchte alles gutmachen. Ich bin überzeugt, daß es keine Neigungsheirat sein würde, denn ich vermute, sie hat Lothar noch nicht vergessen, sie heiratet aber den Herzog, weil sie glaubt, eine Pflicht zu erfüllen.«

»Ich will es auch Seiner Hoheit wünschen«, sagte Joachim behaglich. »Es ist furchtbar öde, ein Leben ohne ein Paar freundliche Augen und eine weiche Frauenhand.« Und er griff nach Beates Rechten und küßte sie.

Frau Beate lacht, es ist das frische, silberne Lachen, das ihn einst betörte. Er begreift überhaupt gar nicht mehr, wie er sie mit ihrem kinderguten Herzen jemals als »barbarisch« bezeichnen konnte.

Er hat es ihr aber einmal gestanden, und da hat sie erst recht gelacht und gesagt: »Ich fühle mich zu weiter nichts gut als zur Wirtschaft, und du sahst so geisteshochmütig auf mich herunter. Ich hatte dich damals schon lieb, dich und deine Gedichte, hatte damals schon Durst nach allem herrlichen, was das trockene Leben verschönt. Aber keiner wollte es mir glauben. Da ward ich ein richtiger Wirtschaftsteufel, rechthaberisch und allzu strenge.«

Ein Weilchen blickte sie wie träumend vor sich hin.

»Gottlob, das ist vorüber. Aber nun höre weiter!« Und sie fuhr fort in ihren Neuigkeiten. »Dann steht auch noch darin, Joachim, daß Lothar Altenstein zurückgekauft hat. Der scharfsinnige Zeitungsschreiber sagt: ›Vermutlich wünscht Baron Gerold das alte Stammgut der Familie seinem zweiten, ihm vor einigen Monaten geborenen Sohne dereinst zu übergeben. Wie wir hören, wird vorderhand Baron Joachim von Gerold das einst ihm zugehörige Schloß bewohnen.‹ – Wie klug die Leute sind! Wir werden uns doch hüten, Joachim – mich bringst du nicht heraus aus dem Eulenhause, ich bin zu glücklich hier geworden.«

»Ja, ja!« sagte er rasch, »wir bleiben hier, Beate, wir haben ja völlig Platz, seit angebaut worden ist. Und es ist so still und friedlich. Hoffentlich denken die Neuhäuser nicht daran, das von uns zu verlangen.«

»O behüte, Joachim! Die denken an nichts als an sich selbst«, lächelte Beate. »Aber das soll kein Vorwurf sein, wir machen es ja auch nicht besser. Weißt du auch, Schatz, daß heute unser Verlobungstag ist?« plauderte sie. »Siehst du, wie du alles vergißt? Ja, heute sind es zwei Jahre, da saßen wir am Bettchen Elisabeths und wußten, das schwerkranke Kind ist gerettet, es schläft den Schlummer der Genesung. Und da sprachen wir flüsternd vom Tode, vom Seelenleben und von der Unsterblichkeit. Du lasest mir das Gedicht vor, das du auf den Tod deiner Gattin gedichtet, und klagtest, wie einsam du seist, nun auch Klaudine gegangen, und wie verlassen das Kind, und —«

»Und dann fragte ich dich, Beate —«

»Und ich sagte ›ja‹.«

»Und da kam es dann auch zur Sprache, wer mir damals heimlich meine Bibliothek zurückkaufte.«

»Freilich!« lachte sie, »ich hatte eben von jeher ein gefährliches Mitleid mit dem Träumer, dem unpraktischsten, hilfsbedürftigsten Menschen auf Gottes weiter Welt.« Und sie küßt ihn und nimmt ihr Schlüsselkörbchen. »Ich muß noch die alte Lindenmeyer besuchen«, entschuldigte sie ihr Fortgehen. »Sie hat nach mir verlangt, und sie sitzt da so geduldig in ihrem Lehnstuhl, die gute Alte, und strickt Kinderstrümpfchen für Klaudine. Sie muß wahrhaftig schon einen ganzen Scheffel voll haben.«

Und während sie hinuntergeht, fliegt die Haustür auf, und ein Kind, ein Mädchen, kommt an des alten Heinemann Hand über die Schwelle, um sich im nächsten Augenblick von ihm loszureißen und jubelnd der stattlichen Frau entgegenzufliegen. Die ist im Flur stehen geblieben und fängt das Kind lachend in ihren Armen auf.

»Wildfang!« sagt sie mütterlich stolz und nimmt das rosige Kindergesicht zwischen ihre beiden Hände. »War es schön bei Tante Klaudine, Töchterchen? Was habt ihr gespielt? Und war Onkel Lothar daheim?«

»Ja! Aber Onkel war böse, und Tante Klaudine auch«, sagt das Kind und sieht plötzlich ganz bekümmert zu Heinemann hinüber.

Der alte Mann hatte einen ganz verschmitzten Ausdruck in den Augen.

»Grausam hat sie sich gezankt, die Herrschaft«, bestätigt er ernsthaft und blinkt Frau Beate zu, »und gar vor mir. Just als ich hineinkam, um unserem Kind das Mäntelchen umzutun, weil der Schlitten vorgefahren war, sagte der Herr: ›Du wirst das Kleid anziehen, Klaudine, das ich dir kürzlich geschenkt habe, und mit mir nach der Residenz fahren zur Hochzeit Seiner Hoheit. Ich möchte wirklich einmal versuchen, ob ich noch immer eifersüchtig sein kann‹ – hat er gesagt.«

»Und da«, fiel die Kleine ein, »war Tante Klaudine traurig und sagte: ›Wie du willst, Lothar.‹«

»Freilich!« nickte schmunzelnd der Alte. »Und da ging’s los. – ›Nein, wie du willst!‹ rief der Herr Baron. – ›Nein, wie du gesagt hast, Lothar.‹ – ›Nein, bitte, du hast recht, Dina, was sollen wir auch da, wir bleiben daheim.‹ – ›Wenn ich nun aber gern möchte, Lothar?‹ – ›Das kenne ich schon, Dina, wir bleiben hier.‹ – So haben sie sich gezankt, gnädige Frau, eine Viertelstunde lang, endlich – — —«

»Nun?« unterbrach Beate lächelnd, »und wer behielt recht?«

»Gnädige Frau, wer allemal recht behält, wenn sich ein Ehepaar zankt«, erwiderte der Alte schelmisch. »Die Frau Baronin natürlich. Sie lassen einen schönen Gruß bestellen an die gnädige Frau, und an dem Tage, wo unser Herzog heiratet, wollten sie und der Herr Baron zu einem gemütlichen Teestündchen herüberkommen und von alten Zeiten plaudern.«