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Das Eulenhaus

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16

Prinzessin Helene war in außerordentlich schlechter Stimmung nach Neuhaus zurückgekehrt. Sie hatte während der Fahrt schweigend in der einen Ecke des Landauers, Prinzeß Thekla in der anderen gelehnt, ebenso still. Komtesse Moorsleben, die in den Wagen befohlen war, wußte nur mit Mühe ein Lächeln zu unterdrücken, so ähnlich sahen sich in diesen Minuten des Verdrusses das junge und das alte Antlitz.

Erst oben, in den Gemächern des Neuhäuser Schlosses, entlud sich das Gewitter, und zwar über dem Haupt der Frau von Berg, die in das Zimmer der jungen Prinzessin befohlen ward. Die Kleine überhäufte die scheinbar schwer gekränkte Frau mit den wahnsinnigsten Vorwürfen, gerade als ob sie schuld sei, daß vor vierhundert Jahren ein alter Gerold die Idee hatte, in dieser Gegend ein festes Schloß zu bauen, das nach und nach zu diesem unausstehlichen Altenstein geworden war. Ein greulicher Aufenthalt, eine Einöde sei es, es liege ja klar am Tage, daß niemals ein vernünftiger Mensch so eine geschmacklose Erwerbung hätte machen können, wenn nicht ganz besondere Absichten damit verbunden wären.

Ob denn so etwas erhört sei, daß man öffentlich einen Verweis von Ihrer Hoheit hinnehmen müsse wegen – wegen so einer —. Sie fand in ihrem Zorn kein passendes Wort. Es habe ja gerade noch gefehlt, daß sie, Prinzeß Helene, die Hofdame Ihrer Hoheit um Verzeihung bitten solle!

»Oh!« fragte die schöne Frau, die mit gesenktem Haupt diesen Sturm über sich ergehen ließ, »um Verzeihung bitten? Durchlaucht hatten doch nichts getan?«

»Ich habe sie einfach nicht gesehen, denn ich mag sie nicht leiden«, erklärte die Prinzessin.

In Frau von Bergs Augen leuchtete es auf.

»Oh, allerdings, Durchlaucht, das war schlimm«, sagte sie sanft. »Ihre Hoheit ist wahrhaft bezaubert von dieser Freundin. Wie unangenehm mag dieser Auftritt dem Baron gewesen sein!«

»Unangenehm?« stieß die Prinzeß hervor. »Meinen Sie, Alice? Er ging nicht gerade ungern von dem Spielplatz, um auf Befehl Ihrer Hoheit seine Cousine versöhnt zurückzuführen.«

Die Prinzessin sprang nach diesen Worten aus ihrem grau und hlau geblümten Sessel empor und lief an das Fenster.

»Was sollte er denn tun, Durchlaucht?« sprach Frau von Berg. »Aber freilich, es ist nicht unmöglich, wer kennt die Männerherzen?« Und sie lächelte hinter dem Rücken der Prinzessin.

Diese wandte sich jäh, als sei sie von einer Schlange gebissen worden, sie sah noch das Lächeln um den Mund ihrer Vertrauten, im nächsten Augenblick flog etwas an dem künstlich frisierten Frauenkopf vorüber und fiel neben dem Kachelofen zur Erde. Es erwies sich zwar nur als das weiche blauseidene Arbeitsbeutelchen der Prinzessin, das eine niemals über die Anfänge hinauswachsende Stickerei Ihrer Durchlaucht enthielt, aber die Tatsache blieb bestehen: es war nach Frau von Bergs Kopf geworfen worden.

Die schöne Frau hielt sich plötzlich das Taschentuch vor die Augen und begann zu schluchzen.

»Weinen Sie nicht!« herrschte die Prinzessin sie an, »Sie wissen, daß es mich rasend macht! – Ich kenne Sie zu genau, Sie sind schadenfroh, Alice!«

»Bei Gott nicht, Durchlaucht!« beteuerte die Weinende. »Ich dachte an – man lächelt doch auch aus Mitleid.«

»Ich brauche Ihr Mitleid nicht!«

»Wer sagt denn, daß es Eurer Durchlaucht galt? Mich dauert die Herzogin! Ihre Hoheit kommt mir vor wie das Lamm, das sich den Wolf zu Gaste gebeten hat. Hoheit vergöttert ja diese Klaudine und – Durchlaucht, es ist doch traurig komisch, wenn man jemand sieht, der seinen ärgsten Feind mit Zuckerplätzchen füttert.«

Die Prinzeß antwortete nicht. Sie saß jetzt hinter dem Vorhang auf dem breiten Fensterbrett, und ihre Füße waren in hastiger Bewegung, während die Augen brennend auf die Straße starrten, die jenseits des Parkes sichtbar war.

»Was kann ich dafür, wenn die Leute blind sind«, sagte sie endlich.

»Ich glaubte, Durchlaucht liebten die Frau Herzogin?«

»Ja, sie ist gut, kindergut und hat mir immer viel Zuneigung bewiesen. Aber Mama sagt, sie ist überspannt, und das hat sie heute deutlich genug gezeigt. Ich kann ihr nicht helfen.«

Auf dem Rokokoschränkchen, dem echten alten mit blanken Messingschlössern und Henkeln, schlug die Uhr eben sieben. Die kleine Prinzessin bemerkte es ungeduldig.

»Schon so spät?« sagte sie, »der Baron vergißt, daß wir heute abend im Garten den Tanzplatz aussuchen wollten für das Fest.«

»Vielleicht befahl Ihre Hoheit ihn noch in ihren Salon«, bemerkte Frau von Berg. »Fräulein von Gerold singt jeden Abend und der Baron ist, wie Durchlaucht wissen, ein fanatischer Musikliebhaber.«

»Die Herzogin weiß aber, daß er Gäste hat!« rief die Prinzessin mit funkelnden Augen und sah ihre Peinigerin drohend an.

»Wenn aber Hoheit befehlen?« sagte diese sanft entschuldigend.

»Befehlen? Wir leben doch nicht im Mittelalter. Am Ende kann meine Cousine wohl gar noch befehlen, er soll ihren Liebling heiraten?«

Frau von Berg ging harmlos auf diesen etwas gewaltsamen Scherz ein. »Wer weiß, Durchlaucht? Wenn es der Herzenswunsch dieses Lieblings wäre?«

Das war zuviel für Prinzeß Helene. Sie lief zu Frau von Berg hinüber und faßte sie zornig an der Schulter, ihr schmales Gesicht war ganz bleich.

»Alice«, sagte sie, »Sie sind schlecht! Ich fühle es, daß Sie schlecht sind! Sie können mich bis aufs Blut peinigen, es ist entsetzlich, was Sie da sagen – aber – es ist nicht unmöglich. Alice, ich habe keine ruhige Stunde mehr, ich wollte, ich wäre tot wie meine Schwester! Die ist doch wenigstens einmal glücklich gewesen.«

»Aber, Durchlaucht, ein Scherz!«

»Nein, nein, kein Scherz – um Gottes willen, nehmen Sie es nicht als Scherz! Ich weiß nicht, was ich tun könnte vor Seligkeit, wenn sie fort wäre aus diesen Bergen! Warum ist sie nicht mit der Herzoginmutter nach der Schweiz gegangen? Warum muß sie hier sitzen?«

»Ja warum?« fragte Frau von Berg und küßte die Hand der kleinen Prinzessin.

»Armes Kind!« seufzte sie dann.

»Ach, Alice, wissen Sie keinen Weg? Nennen Sie mir einen! Ich ertrage die Zweifel nicht länger!« flüsterte das leidenschaftliche Mädchen.

»Ich, Durchlaucht? Was kann ich denn tun? Wenn da nicht ein Zufall hilft, Ihrer Hoheit die Augen zu öffnen —«

»Ein Zufall?« wiederholte die Prinzessin bitter.

»Wie denn sonst? Ihre Hoheit haben keine einzige Seele, die es gut genug mit ihr meint, um ihr einen solchen Freundschaftsdienst zu erweisen.«

»Ein schöner Freundschaftsdienst!« antwortete die Prinzeß spöttisch, »das ist schon mehr eine Henkersarbeit, denn das weiß ich, so wahr ich hier vor Ihnen stehe, Alice, daß die Kenntnis dieser Angelegenheit Elisabeths Herz brechen würde.«

»Durchlaucht würden lieber mit ansehen, wie das edelste, beste Geschöpf systematisch hintergangen wird? Ich muß gestehen, die Ansichten von Freundschaft sind sehr verschieden«, erwiderte Frau von Berg vorwurfsvoll.

»Sie haben wohl niemals einen so recht liebgehabt, Alice? So lieb, daß man eher sterben möchte, als ihn missen? Nein, das haben Sie nicht, sagen Sie es nur nicht etwa. Wo andere ein Herz haben, da haben Sie eine leere Stelle! Sehen Sie mich nicht so an, durch mich erfährt die Herzogin es nicht, Alice. Nebenbei behaupte ich nie etwas, das ich nicht zuverlässig weiß, und hier dürften vollgültige Beweise doch vorläufig fehlen.«

Frau von Berg lächelte und strich über das Haar der Prinzessin.

»Wie könnte ein so goldreines liebes Kinderherz auch an solche Schuld glauben?« sagte sie leise, »es würde selbst die Beweise nicht anerkennen.«

Die Prinzeß schüttelte die Hand ab. »Bitte, tun Sie nicht, als hätten Sie alle Taschen voll davon«, sagte sie, ärgerlich über die Berührung.

»Ich habe zwar nicht alle Taschen voll, es würde aber auch ein Beweis genügen, Durchlaucht.«

Das Gesicht des fürstlichen jungen Mädchens überzog eine flammende Röte.

»Es ist nicht wahr!« stammelte sie, »so ehrlos ist kein Weib, daß es Freundschaft heuchelt, wo es Verrat übt. Sie sind entsetzlich, Alice.«

»O Durchlaucht, Sie kennen das Leben nicht!«

Die Prinzessin faßte sich plötzlich an die Stirn und lief in ihr Schlafzimmer. Krachend flog die Tür hinter ihrer leichten Gestalt zu. Frau von Berg blieb allein in dem anmutigen einfachen Raum, sie schaute die Tür an und wieder glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann zog sie ein Notizbuch aus der Tasche und nahm ein Briefchen heraus. »Da ist es«, flüsterte sie, es liebevoll betrachtend. Einmal hatte es bereits seine Zauberkraft bewährt – da drinnen in ihrem Zimmer saß jetzt Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla und schrieb an Ihre Hoheit die Herzoginmutter einen Brief voll tugendhafter Entrüstung!

Nebenan erklang jetzt ein leidenschaftliches Schluchzen. Frau von Berg verließ das Zimmer und kam gleich darauf mit frischem Wasser und Himbeersaft zurück. Ohne weiteres betrat sie das Schlafgemach der Prinzessin. »Durchlaucht sollten sich fassen«, bat sie weich und mischte den kühlenden Trank. Sie kniete vor dem weinenden jungen Geschöpf nieder, das auf dem Sofa zu Füßen des Bettes saß, und sah sie wie um Verzeihung bittend an.

»Die roten Augen müssen fort«, sprach sie, »wenn ich nicht irre, fuhr soeben der Baron in den Hof. Auf dem Tische drinnen liegen die Maskenbilder für das Kostümfest und eine große Auswahl entzückender Stoffproben.«

Die Prinzessin erhob sich, ließ sich von Frau von Berg das Haar ordnen und die Augen kühlen. »Sehe ich sehr verweint aus?« fragte sie.

»Nein, nein, reizend wie immer!« klang es zurück.

Unten läutete jetzt die Tischglocke in vollen, lauten Tönen. Ein paar Minuten später flog die Prinzessin hinunter, als wollte sie keine Minute einer köstlichen Stunde versäumen, ihr Auge strahlte, ihr Mund lächelte. An den weit geöffneten Türen des Speisesaales, in welchem über dem blitzenden Tisch die Kerzen flammten, stand Beate in dem raschelnden grau und schwarz gestreiften Taftkleide, das sie jetzt regelmäßig bei den Mahlzeiten trug.

 

»Mein Bruder läßt Eure Durchlaucht bitten, seine Abwesenheit zu verzeihen, Seine Hoheit haben ihn für sich in Anspruch genommen, soeben kam der Wagen leer zurück«, sagte sie, sich leicht verneigend, mit ihrer zuweilen so hart klingenden Stimme.

Das Strahlende aus dem Gesichte der Prinzessin war verschwunden, sie saß still neben Beate. Die alte Prinzessin hatte sich mit plötzlich aufgetretenem Kopfweh entschuldigt.

Komtesse Moorsleben unterdrückte mühsam ein Gähnen, der Kammerherr sprach gedämpft mit Frau von Berg, sonst hörte man nichts, als das leise Klappern der Teller oder Beates Stimme, die laut und deutlich wie immer erscholl. Einmal redete sie die Prinzessin an, diese wandte auch den Kopf zu ihr herum, ohne zu antworten, aber noch ehe der Nachtisch kam, erhob sie sich, winkte der Komtesse, sie solle zurückbleiben, und lief wie ein trotziges Kind in den Garten hinaus. Als sie nach ein paar Stunden in ihr Zimmer zurückkam, war ihr Haar feucht vom Nachttau und die Augen verschwollen. Aber diese Augen sahen nicht das, was sich vor ihnen befand – sie sahen ein lauschiges Gemach und an dem Flügel ein schönes Mädchen, um dessen Blondhaar der Lichtschein eine Glorie wob, und einer lauschte den süßen, weichen Tönen, die sein Herz bestricken mußten wider Willen.

»Frau von Berg soll kommen«, sagte sie zur Kammerjungfer, »ich will kein Licht.«

Nach ein paar Minuten rauschte die Schleppe der schönen Frau über die Schwelle des dunklen Gemaches, und die kleine zitternde Hand der Prinzeß faßte nach der ihren.

»Den Beweis, Alice, geben Sie ihn mir!« flüsterte die bebende Stimme.

»Hier!« erwiderte Frau von Berg gelassen und legte den verräterischen Brief in die Rechte der Prinzessin. »Ich glaube, es lohnt der Mühe nicht. Werfen Sie den Zettel fort, Durchlaucht, wenn Sie ihn gelesen haben.«

»Es ist gut, Alice, ich danke. Sie können mich verlassen.«

Die Prinzessin ging in ihr Schlafzimmer und las beim Schein der rosa Ampel, die von der Decke herabhing. »Arme Liesel!« flüsterte sie.

Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie das Blättchen zerreißen, und hielt wieder inne. Eine heiße Blutwelle stieg ihr zum Kopf, sie holte schwer Atem. In dem Räume lag noch die Schwüle des Tages und durch das offene Fenster strömte der süße berauschende Duft blühender Linden, berauschend wie die Sehnsucht, die das Herz des Mädchens erfüllte. Sie wollte glücklich werden um jeden Preis, auch um den größten! Mit bebenden Fingern faltete sie den Brief so klein wie möglich zusammen und schloß ihn in eine goldene Kapsel, die sie am Halse trug.

»Nur für den Notfall!« flüsterte sie noch einmal und verbarg die Kapsel.

17

Fräulein Lindenmeyer schüttelte verwundert den Kopf unter der rotbebänderten Haube. Merkwürdig, was aus dem sonst so verlassenen Paulinental geworden war! In den Waldwegen leuchteten helle Damenkleider auf und schollen fröhliche Stimmen, es schien, als habe die ganze Stadt sich gerade diese Gegend zu ihren Sommerausflügen ausgewählt. Eine Menge eleganter Wagen fuhr seit kurzer Zeit vorüber, und in Xleben war kein Ei mehr zu haben. Alles ging nach Brötterode, dem kleinen Bade, eine halbe Stunde vom Eulenhause, wo, wie die Frau Försterin sagte, die fremden Herrschaften in diesem Jahre nur so wimmelten. Jede noch so kleine Wohnung sei vergeben und der Wirt in der »Forelle« zum Platzen hochmütig geworden, er habe zwei Grafenfamilien im ersten Stock, und im Hinterhause wohne eine Frau von Steinbrunn mit zwei Töchtern, alle hätten eigene Wagen mit und das sei ein ewiges Gefahre nach Altenstein und nach Neuhaus. —

Ja, der ganze Hofschwarm war den fürstlichen Herrschaften nachgezogen, man fand in diesem Sommer in den höchsten Kreisen der Residenz die heimischen Gebirge unvergleichlich schön, es war einmal etwas anderes als die Schweiz oder Tirol, als Ostende oder Norderney. In dem einfachen Speisesaal des Brötteroder Gasthofes, wo die Bilder des Herzogs und der Herzogin in wahrhaft empörendem Farbendruck die getünchten Wände zierten, wo man auf tannenen Stühlen an schmalen Tischen saß, trockenen Rinderbraten und Backpflaumen als Kompott aß und zweifelhaften Rotwein trank, herrschte trotz alledem eine angeregte Stimmung. Hatte man doch Aussicht auf Picknicks im Walde, auf Krocket und Lawn-Tennis im Altensteiner Park. Die Herzogin sollte sogar von einem Gartenfest gesprochen haben, einem Kostümball im Mondschein unter den Eichen des Schloßgartens.

Es versprach diese Sommerfrische nach allen Seiten hin eine ganz ungewöhnliche zu werden. Außer allem anderen war es auch schon höchst interessant, diese romantische Freundschaft Ihrer Hoheit zu der schönen Klaudine zu beobachten.

»Neulich hat man sie in ganz gleichen Kleidern gesehen«, berichtete Frau von Steinbrunn.

»Verzeihung! Das ist nicht der Fall. Die Herzogin trug rote Schleifen, Klaudine von Gerold blaue«, ereiferte sich ein junger Offizier in Zivil, der seinen Urlaub anstatt in Wiesbaden hier verlebte.

»Die Herzogin soll sie ja förmlich mit Schmuck und Kostbarkeiten überhäufen, sie sind den ganzen Tag beisammen, lesend, plaudernd und spazieren gehend, wahrscheinlich dichten sie auch miteinander. Prinzeß Helene hat vorgestern zu Isidore von Moorsleben gesagt, sie nennten sich >du

»Nicht möglich! Unglaublich!«

»Die Gerolds haben eigentümliches Glück!«

»Was sagt Seine Hoheit dazu?« fragte plötzlich die kecke Stimme eines jungen Diplomaten.

Die alte Exzellenz mit weißem Scheitel und würdevollem Gesicht am oberen Ende der Tafel räusperte sich vernehmlich und schüttelte mißbilligend das Haupt.

Man sah sich lächelnd und vielsagend in die Augen, trank schweigend seinen Wein aus, reichte längst zurückgewiesene Kompottschüsseln noch einmal herum, die weibliche Exzellenz begann nach einer Pause vom Wetter zu sprechen. Ein paar Gräfinnenmütter erfaßten mit einem Blick auf die Töchter begierig das neue Thema, »ob man es wagen dürfe, auf die hohe Warte zu steigen, einen der beliebtesten Aussichtspunkte der Umgegend?« – Und als die Tafel aufgehoben war, traten die älteren Damen zusammen und flüsterten und zuckten die Achseln und hielten die Taschentücher vor den Mund und lächelten dahinter.

Bis jetzt war es noch nicht gelungen, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, denn bis zu diesem Augenblick hatten sämtliche um das Befinden der hohen Frau besorgte Herren und Damen sich damit begnügen müssen, ihre Namen in das Buch einzutragen, das in einem Saale zu ebener Erde des Altensteiner Schlosses auslag. Aber man hörte doch dieses und jenes, man vermutete, man kombinierte. Man war so neugierig auf den nächsten Donnerstag, denn daß die fürstlichen Herrschaften auf dem Feste des Baron Gerold erscheinen würden, ließ sich mit Bestimmtheit annehmen, man erwartete sogar ganz sicher, an diesem Tage eine große Neuigkeit zu hören, nichts geringeres als die Bekanntmachung einer längst erwarteten Verlobung.

Ja, es konnte interessant werden! Und während aller dieser Vermutungen, während aller dieser Erwartungen lebte man auf Neuhaus und Altenstein scheinbar in aller Ruhe weiter.

18

Prinzeß Helene saß im Neuhäuser Garten und neben ihr stand das elegante Kinderwägelchen der kleinen Leonie. Ihre Durchlaucht spielte noch immer die zärtliche Tante in der stürmischen Art, wie sie alles auffaßte, was ihr durch das Köpfchen schoß. Sie schleppte die Kleine überall mit herum, sie bemühte sich mit unermüdlicher Ausdauer, ihr geliebtes Nichtchen das Wort »Papa« zu lehren, doch die scheuen schwarzen Kinderaugen sahen sie zwar groß an, aber das trotzige Mündchen blieb geschlossen. Sie wußte nicht, daß selbst das jüngste Kind schon in den Zügen zu lesen versteht, und die Ungeduld und Leidenschaft, die aus den Blicken der Prinzessin sprühten, machten das arme kleine Wesen furchtsam. Es fing gewöhnlich nach kurzer Zeit an zu schreien.

Und dann ward es mit Inbrunst getragen, beschwichtigt, geküßt und mit unmöglichen Koseworten überschüttet, so daß Beate in ihrem Zimmer die Hände rang und mit besorgter Miene lauschte, ob nicht jemand dem unglücklichen Würmchen zu Hilfe kommen wolle. Aber wer denn? Lothar saß wie vergraben in seiner Stube, wohin er sich nach beendeter Mahlzeit zurückzuziehen pflegte, Prinzeß Thelda lag meistens auf ihrem Ruhebett, gähnte oder schrieb Briefe, und Frau von Berg – nun, die bestärkte Prinzeß Helena noch in ihren Launen und Einfallen.

Die alte Kinderfrau, die erschreckt hinzulief, ward höchstens dazu benutzt, den süßen Liebling etwas zu beruhigen und ihn seiner fürstlichen Tante wiederzugeben. Beate, die bisher nicht wußte, was Nerven zu bedeuten haben, spürte zum erstenmal in diesen Tagen ein merkwürdiges Kribbeln in den Fingerspitzen. Das war, als Lothar vor dem Fest apathisch erklärte, ihm sei es ganz gleich, wie sie es arrangieren wolle. Da stand sie nun, die sich nie im Leben um derartiges bekümmert hatte, und sollte für Konzertprogramm, Tanzordnung und Kotillon sorgen. Sie hatte nicht übel Lust, dem, der da in seinem verdunkelten kühlen Zimmer so schweigend und brütend auf und ab schritt, die Wahrheit zu sagen: »Du bist hier der Herr vom Hause, und wenn du dir Gäste einladest, so habe auch die nötige Geduld, um die Pflichten des Wirtes zu ertragen.«

Aber ehe sie noch die Lippen geöffnet, wandte er sich um, und sie blickte in ein blasses Gesicht von so sorgenvollem Ausdruck, daß sie erschrak.

»Um Gottes willen, Lothar«, sagte sie und trat zu ihm, »du bist krank?«

»Nein, nein!«

»Dann hast du Sorgen!«

»Sorgen wie ein Mann, der sein ganzes Hab und Gut, seine Hoffnung, seine Zukunft auf ein gebrechliches Schiff lud und es vom sicheren Ufer aus Sturm und Wellen preisgegeben sieht, der dasteht, ohne retten zu können, und weiß, daß der Untergang gleichbedeutend ist mit Elend und Verzweiflung«, sagte er leise.

»Aber, Lothar!« rief Beate entsetzt. Sie war es nicht gewohnt, ihn in solchen Bildern sprechen zu hören und fast flehend bat sie: »Schenke mir dein Vertrauen, Lothar, erkläre dich deutlicher, du ängstigst mich!«

»O nichts, Beate, kehre dich nicht daran, es kam mir so unwillkürlich über die Lippen. Es wird überwunden werden – dann – wenn es wieder still und einsam ist hier auf Neuhaus. Habe Nachsicht mit mir.«

Aber die Schwester wich nicht. »Lothar«, begann sie entschlossen, »ich glaube, ihr Männer seid in manchen Sachen schwer von Begriff. Ich denke, du darfst auch diesmal nur die Hand ausstrecken.«

»Nein, mein kluges Schwesterchen, diesmal nicht«, erwiderte er. »Über meine geöffnete Hand hinweg streckt sich siegesgewiß eine andere, und als ich das sah, da habe ich die meine still zurückgezogen und zur Faust geschlossen. So, und nun frage nicht mehr und laß mich allein, Beate!«

»Du bist noch immer der törichte Junge von früher«, murmelte sie und wandte sich. »Bei Gott, sie läuft dir nach wie deine Diana da —« Und sie wies auf den Hühnerhund, der mit klugen Augen jeder Bewegung seines Herrn folgte.

Sie stand dann plötzlich in der Halle und sah mit finsterer Miene, wie Prinzessin Helene im lichten Morgenkleid, gefolgt von der Komtesse, die breite Treppe herunterkam, um im Garten zu verschwinden.

Beate schüttelte den Kopf und stieg die Treppe hinauf nach der großen Dachstube, wo die Wäschespinde und Truhen standen. War es denn ein Glück, das er ersehnte in Bangen und Verzweiflung? Dieses hochgeborene leidenschaftliche Geschöpf! War denn die erste Ehe ein Glück gewesen? Warum flogen Lothars Wünsche so hoch? Sie dachte seiner Zukunft an ihrer Seite, an das verlassene schlichte Haus seiner Väter, in welchem sie einsam und allein verbleiben würde, es hütend und beschützend wie jetzt. Er würde hinausgehen mit ihr in das bewegte Leben der Residenz, auf Reisen sein, wie mit der ersten Gattin, und mitunter würde er kommen, auf ein paar Tage – allein! Was sollte die erlauchte Frau auch hier? Ihre Anwesenheit jetzt bedeutete ja nur eine Ermutigung, ihr spielendes Interesse an dem Haushalt des Stammsitzes war nur ein Beweis, daß auch sie sich gern herablassen würde, wie einst ihre Schwester sich herabgelassen hatte.

Und wenn er dann kam, würden sich Bruder und Schwester in die Augen sehen und finden, daß sie gealtert seien, der eine in der schwülen, sengenden Hofluft, die andere in der Einsamkeit und in der Sehnsucht nach eigenem Glück.

Sie erschrak selbst über den schluchzenden Ton, der sich ihr wider Willen entrungen. Sie biß die Zähne zusammen und schloß mit umflorten Augen die Truhe auf, die ihr zunächst stand, und raffte eilig Teppiche und bunte gewirkte Decken heraus. Es waren köstliche Sachen, sie wollte damit die Halle schmücken lassen. Joachim hatte sie auf seinen Reisen gesammelt, diese Smyrnagewebe und türkischen Stoffe, und bei der Versteigerung hatte sie es erstanden mit ihren eigenen Mitteln. Und während sie die stimmungsvolle Farbenpracht der wundervollen Gewebe betrachtete, rollten ihr die Tränen unaufhaltsam über das stille Gesicht.

 

Was war ihr nur eigentlich? Sie kannte sich gar nicht so! Mit einer energischen Bewegung wischte sie die Tropfen ab und zwang sich, an Kotillonsträußchen und Schleifen, an unzählige Porzellanteller und Tassen, an eine Friseurin, an Eis, Mandelmilch und Gott weiß an was zu denken, und zuletzt an diese unglückliche Idee der kleinen Prinzeß, ein Kostümfest mit Tanz aus dem einfachen Kaffee machen zu wollen.

Sie eilte die Treppen wieder hinunter, gab Befehle, schickte Boten fort, sprach mit Gärtner und Mamsell, und mitten in diesen Trubel kam die Absage von Klaudine und Joachim. Auf letzteren hatte man ja kaum gerechnet, aber Klaudine? Beate suchte eilenden Schrittes ihren Bruder auf. Sie fand ihn im Garten, wo er neben Prinzeß Helene und der Komtesse auf dem Tanzboden stand, der unter den Linden hergerichtet war. Die Zimmerleute waren eben fertig geworden und ein paar Gärtnerburschen bekleideten die grob behauenen Pfähle der Einfriedung mit Tannen – grün und zogen Blumengewinde von Pfeiler zu Pfeiler.

»Lothar«, begann sie, »Klaudine sagt ab. Willst du nicht selbst hinüber und sie bitten, dennoch zu kommen?«

Er sah in diesem Augenblick noch bleicher aus. »Nein!« erwiderte er kurz.

In Prinzeß Helenes Augen blitzte es auf, sie hatte dies Blaßwerden bemerkt.

»Dann werde ich hinfahren, wenn du es erlaubst«, sprach Beate.

»So wirst du deine Schritte nach Altenstein lenken müssen. Im Eulenhause triffst du sie schwerlich.«

»Heute abend, wenn sie zurückgekehrt ist«, erwiderte Beate. »Ich komme nicht ohne ihre Zusage wieder.«

»Sie scheinen Unglück zu haben, Baron«, sagte die Prinzessin mit flackernden Augen, »wie Mama mir mitteilte, wird auch der Herzog höchstwahrscheinlich dem Feste seine Gegenwart versagen. Ihre Hoheit teilte es Mama tiefbetrübt mit.«

Auf der Stirn des Barons schwoll eine Ader. Sonst veränderte sich kein Zug seines Gesichtes, er sah gespannt den Gärtnern zu, welche rot-weiße Fähnchen an den Säulen befestigten. »Es sieht gut aus«, bemerkte er gelassen, »meinen Durchlaucht nicht auch?«

Die kleine Durchlaucht nickte.

»Warum nicht auch die Farben Ihres Hauses?« fragte sie bezaubernd liebenswürdig. »Abwechselnd das Gelb und Blau mit dem Purpur und Weiß?«

»Ich liebe diese Zusammenstellung nicht«, erwiderte er. »Es sind gesuchte Kontraste.«

Beate, die sich eben zurückziehen wollte, wandte sich erschreckt ab. Aber die Prinzessin lächelte, sie mochte einen anderen Sinn herausgehört haben als Beate.

Klaudine stand am Nachmittag dieses Tages, sich verabschiedend, am Schreibtisch ihres Bruders.

»Meine Absage ist doch besorgt?« fragte er.

Sie nickte. »Deine und meine. Leb wohl, Joachim!«

»Deine?« fragte er bestürzt.

»Ja! Ich sehne mich nicht nach derartigen Festen, sei nicht böse, Joachim!«

»Böse? Ich verstehe dich nur nicht, du wirst Beate sehr betrüben.«

Über das schöne Gesicht der Schwester flog ein leiser schelmischer Zug.

»O, ich denke, ich werde sie wieder versöhnen, Joachim, laß mich doch hier, du hast keine Ahnung, wie ich mich auf diesen Tag freue, auf den Nachmittag unter der Steineiche, auf den Abend mit dir.«

Er reichte ihr die Hand. »Wie du willst, Klaudine. Du weißt, alles ist mir recht, was du tust.«

Und Klaudine ging hinunter, küßte das Kind zum Abschied und schaute in Fräulein Lindenmeyers Zimmer. Die schlief im Lehnstuhl. Leise machte Klaudine die Tür zu und schlüpfte durch den Hausflur in den Garten hinaus, vor dessen Pforte der fürstliche Wagen hielt. Nach kaum einer halben Stunde saß sie unter den Eichen des Altensteiner Gartens und las der Herzogin vor aus Joachims Werk »Frühlingstage in Spanien«. Die Geschichte seiner Liebe war in die wundervollen landschaftlichen Schilderungen anmutig mit eingewebt.

»Klaudine«, unterbrach die Herzogin die Lesende, »sie muß sehr reizend gewesen sein, diese kleine Schwägerin! Beschreibe sie mir!«

Das Mädchen heftete ihre blauen Augen auf die fürstliche Frau. »Sie glich dir, Elisabeth«, sagte sie.

»O du Schmeichlerin!« drohte die Herzogin, »aber da bringst du mich auf eine Idee – verzeih, daß mich die interessante Lektüre zu einer Toilettefrage anregt. Wie war’s, Klaudine – ich nehme Fächer und Mantille und komme einmal >spanisch< nach Neuhaus? Es ist ein guter Gedanke, meine ich. Und du, Dina?«

»Ich habe abgesagt, Elisabeth.«

Über das Gesicht der Herzogin flog ein betrübter Zug. »Wie schade!« sagte sie langsam und nachdenklich. »Auch der Herzog hat abgesagt.«

Klaudines blasses Antlitz flammte plötzlich im Rot des Erschreckens. Die Augen der fürstlichen Freundin hefteten sich fragend auf die ihren.

»Ist dir heiß?«

»Aber weshalb will Seine Hoheit nicht teilnehmen?« erkundigte sich Klaudine ausweichend.

»Er hat mir keinen Grund angegeben«, war die Antwort.

»Elisabeth«, sagte das schöne Mädchen hastig, »wenn du es befiehlst, nehme ich meine Absage zurück, ich kann das leicht, Beate gegenüber.«

»Ich befehle es nicht, aber ich würde mich freuen«, sagte die Herzogin mit dem alten Lächeln.

»So beurlaube mich eine Stunde früher, ich möchte Beate selbst meinen geänderten Entschluß mitteilen.«

»Natürlich! So schwer es mir auch wird, dich zu missen. Aber berichte mir, warum wolltest du nicht nach Neuhaus? Ich kann mir nicht denken, Klaudine, daß du die Kleinigkeit mit Prinzeß Helene so ernsthaft genommen hast, um es deine Verwandten entgelten zu lassen.«

Die Herzogin hatte während dieser Worte die Hand der Freundin erfaßt und suchte mit ihrem Blick nach den blauen Augen.

Aber die langen blonden Wimpern hoben sich nicht und unter ihnen flammte wieder die heiße Röte auf von vorhin.

»Nein, nein!« stieß sie hervor, »das ist es nicht. Ich hatte Joachim einen stillen Abend versprochen. Ich glaubte, du würdest mich nicht vermissen in dem Glanz und Lärm des Festes.«

»Ich fühle mich nie einsamer als unter vielen Menschen«, erwiderte die Herzogin leise und hielt Klaudines Hand fest, die sie ihr entziehen wollte.

»Ich komme ja mit, Elisabeth.«

»Gern? Ich lasse dich nicht früher los.«

»Ja«, klang es zögernd und ihre Wange neigte sich gegen die der Herzogin. »Ja!« wiederholte sie noch einmal, »weil ich dich unsagbar lieb habe.«

Die Herzogin küßte sie. »Ich dich auch, Dina! Seit meiner Brautzeit habe ich nicht wieder das frohe, beglückende Gefühl gehabt wie jetzt neben dir. Und was so gut ist, in der Freundschaft kann man nicht so leicht Enttäuschungen erleben wie in der Liebe, sie gewährt ein ruhigeres Glück!«

Klaudine sah forschend in die Züge der Herzogin.

»Ja, ja, die Liebe, die Ehe bringen mancherlei mit sich, Schätzchen«, lächelte diese, »kleine Kränkungen, kleine Enttäuschungen. Denke doch, Klaudine, mit welchem Idealismus tritt so ein achtzehnjähriges Mädchen vor den Altar! Aber darum, mein Kind, bin ich doch die glücklichste Frau, denn er liebt mich. Sich geliebt zu wissen, fest auf die Liebe und Treue des Mannes zu vertrauen, darin liegt alles, was es für ein Weib gibt – und dieses Vertrauen verlieren würde für mich gleichbedeutend sein mit Sterben!«

Sie plauderte leise weiter von dem ersten Sehen des Geliebten, von jener innigen Liebe, die sie sogleich für ihn hegte, von dem Taumel, der sie ergriffen, als man ihr mitteilte, daß er um sie geworben hatte. Wie sie die Hände gefaltet und mit zitternden Lippen gefragt habe: »Mich? Mich will er?« Sie erzählte, wie sie täglich während des kurzen Brautstandes an ihn schrieb, wie sie mit einem Glücksgefühl, einem Stolz ohnegleichen nach der Vermählung mit ihm auf den Balkon des väterlichen Schlosses trat, um ihren schönen ritterlichen Gemahl den Tausenden von Menschen zu zeigen, die den großen Platz dort unten füllten, und wie sie dann so heimlich beide in dem unscheinbaren Wagen durch die Frühlingsnacht nach dem stillen Schlößchen in der Nähe der Residenz fuhren, wo sie ihr erstes junges Glück verbergen wollten.