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Der Widerspenstigen Zähmung

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Und mit gewohnter Tatkraft hatte sie sogleich mit dem Umräumen begonnen. Sie brauchte dazu keinen Dienstmann, ihre robusten Arme bewältigten die schwersten Kisten und Kästen mühelos.

Adolfs Habseligkeiten wanderten treppabwärts in die kleine

Dreizimmerwohnung, und des Vaters kleine Schätze stiegen hinauf in den

Giebel.

Bei dieser günstigen Gelegenheit unterzog sie das Eigentum ihres Papas einer gründlichen Musterung, und sie machte dabei allerhand überraschende Entdeckungen. Nicht nur stieß sie zu ihrer Wut in einer Westentasche auf zwei Kinobillets, die für den gleichen Tag gültig waren und auf zwei nebeneinander gelegene Plätze lauteten, sondern sie fand auch die kleine Bibliothek, die sich der verschwenderische »alte Esel« zugelegt hatte.

Um ihn nicht in falschen Verdacht zu bringen, sei festgestellt, daß diese Bücherei nur aus drei Werken bestand, nämlich: »Der bayrische Hiasl«, »Das Geschlechtsleben des Menschen« und »Was muß der Jüngling vor der Ehe wissen?«

Und noch etwas anderes fand sie: einen Mahnbrief der Firma, die ihm das Holz für seine Drechslerarbeiten lieferte. Wann sie endlich ihr Geld bekommen werde, frug sie an und drohte in unerquicklichen Wendungen mit einer Klage.

Im ersten Augenblick dachte Katharina, die niemals sprachlose, daran, ihrem Vater eine Szene zu machen, eine jener Szenen, die sich bei ihr zu einem fünfaktigen Monolog auszuwachsen pflegten und beim geringsten Widerspruch sogar zu einer Trilogie anschwollen.

Aber sie befürchtete eine Trübung ihres Brautstandes, denn die weibliche Zungenfertigkeit ist etwas, was der Jüngling #nicht# vor der Ehe zu wissen braucht.

Sie begnügte sich daher damit, in großen Bleistiftzügen unter den Brief zu schreiben: »Gelesen. Katharina.«

Dann legte sie ihn wieder in die Schublade, in der sie ihn gefunden hatte. Das genügte. Nun würde der Vater schon merken, daß sie eine neue Waffe gegen ihn besaß, und sein Verhalten danach einrichten.

Hierin täuschte sie sich allerdings. Der alte Sünder empfand keineswegs das Bedürfnis, den Mahnbrief wiederholt zu lesen, und ließ ihn ruhig in der Schublade schlummern, bis ihn die Mäuse fraßen.

So war es gekommen, daß Vater Bindegerst sein eigener Zimmerherr wurde.

Er hatte damals, als er Adolf die Dachhöhle anpries, viel Gutes von der

Behausung da droben zu erzählen gewußt und sie »e schee Zimmerche«

genannt, – nun, da er selbst darin wohnen mußte, fand er, daß sie ein

Saustall ersten Ranges sei.

Ihm mangelte die edle Selbstbescheidung seines Schwiegersohnes, er verspürte nicht die geringste Lust, seinen Kopf zum Dachfenster hinauszustrecken und an den Anblick der kleinen Menschlein da unten philosophierende, lächelnde Betrachtungen zu knüpfen. Er benutzte das Fenster lediglich dazu, manchmal höchst unbekümmert hinauszuspucken. Für den Mondschein hatte er gar nichts übrig, und den musikalischen Katzen konnte ein so hervorragender Sänger wie er, schon aus künstlerischem Grundsatz nicht wohlgesinnt sein.

»Wann nor der Blitz die ganz Bud' zusammehaage wollt'!« dachte er, wenn er in dem wackeligen Bett lag. »Nächstens quardiert mich mei liewenswerdig Dochter noch in eme #Luftballon# ei'! Odder se zieht merr e Schnor dorch die Nos unn läßt mich als Drache steie! Die Kränk soll se kriehe! Awwer gleich!!«

Nun, Gott sei Dank, jetzt hatte er vorerst seine Ruhe vor dem vermaledeiten Familienglück!

Gerade hatte Bindegerst in seiner festlich beleuchteten Werkstatt wieder traute Zwiesprache mit seiner heimlichen Geliebten gehalten und wischte sich den Schnabel ab, um seiner schnapsologischen Ernährungstheorie Ausdruck zu geben, als es leise an die Türe klopfte.

»Erei, wer drauße is!« rief er.

Und herein schlich die klägliche Gestalt seines Schwiegersohns.

Quer über der Stirne prangte eine breite Kratzwunde und sein rechtes

Auge war merkwürdig verschwollen.

Mit gesenktem Kopf blieb er in der Türe stehen.

Erstaunt sah Bindegerst von seiner Arbeit auf und gab heimlich mit dem

Fuß seiner stillen Liebe einen Tritt, damit sie tiefer unter die

Drechslerbank schlupfe.

»Ich bin widder da!« seufzte Adolf tonlos.

»Ich guck's!« bestätigte der Alte, und ein boshaftes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er bedurfte keiner Erläuterung, er erriet alles. Nicht ohne Spott frug er: »Unn wo is dann 's Kättche?«

Hilflos zuckte Adolf die Achseln.

Ein Engel ging durchs Zimmer, – eine in dieser Behausung höchst ungewohnte Erscheinung. Bindegerst wartete, ob sein Schwiegersohn nicht anfangen würde, die Geschichte seiner unterbrochenen Hochzeitsreise zu erzählen.

Aber Adolf schien völlig geistesabwesend. Er empfand nicht einmal das Beschämende seiner tragikomischen Lage; nur traurig war ihm zu Mute, traurig wie einem Kind, dem ein böser Hund die Lieblingspuppe entrissen hat und in Fetzen beißt.

Beinahe leid tat er seinem Schwiegervater.

»No, komm nor her!« sagte Bindegerst schließlich. »Vor #mir# braachstde kaa Angst zu hawwe: ich kratz net! Unn scheniern braachstde Dich #aach# net: die Handschrift is aach schonn uff #mei'm# Kopp zu lese gewese! Wann aach net mit so große Aafangsbuchstawe! – Wie is'n des komme?«

Adolf machte eine müde, abwehrende Handbewegung.

Er wollte nicht darüber sprechen. Er hätte auch gar nicht so genau sagen können, wie sich die Unglücksszene entwickelt hatte. Mit einem ganz unbedeutenden Wortwechsel war es angegangen, er hatte die Unvorsichtigkeit besessen, in einer nebensächlichen Angelegenheit anderer Ansicht zu sein als das ihm angetraute Turteltäubchen, und plötzlich sah er sich einer tobenden Furie gegenüber und hörte zum ersten Mal den Aufschrei: »Prinze unn Korferschte hätt' ich heierate könne, unn Dich Schlappschwanz muß ich nemme!!« Und ehe er noch dazu kam, einzulenken, die grundlos Erregte zu beruhigen, und alles, was er gar nicht gesagt hatte, zurückzunehmen und um Verzeihung zu bitten, spürte er schon zehn Fingernägel im Gesicht.

Als er die Augen, seine erschrockenen blauen Kinderaugen, wieder öffnete, war Katharina verschwunden.

Da war er traurig zum Bahnhof gewankt und hatte sich eine Fahrkarte nach

Offenbach gelöst.

Mit dem Wirt hatte er nicht erst abzurechnen brauchen, denn die Kasse führte Katharina.

Während der ganzen Eisenbahnfahrt hatte er zum Fenster hinausgestarrt, aber er hatte nichts gesehen von den Dörfern, Städten, Wiesen, Wäldern und Bergen, die vorbeihuschten.

Wie ein Fiebernder das Buch, das aufgeschlagen auf seiner Bettdecke liegt, liest, ohne daß die gedruckten Buchstaben sich seinem wirren Geiste zu Worten und Sätzen verbinden, so starrte er in das weitaufgeschlagene Bilderbuch der Natur und ward sich keines Schauens bewußt.

Ein Riesenspielzeug war die weite Landschaft, aufgestellt von der täppischen Hand eines Gigantenjungen, und ein hämischer Kobold blies nun das schöne Spielzeug mit dicken Backen um, so daß es in tollem Wirbel an dem Eisenbahnzug vorbeisauste.

Ein Traumwandler, ging Adolf durch die Straßen Offenbachs, instinktiv den Weg nach Hause findend, und nur einmal, in der Nähe der Schloßstraße, war er zu dem erschreckten Gedanken erwacht: »Wann Dich nor niemand aus'm Geschäft guckt! Was dhäte die sonst denke!«

Und schnell war er in eine Seitengasse eingebogen.

Und nun stand er in seiner Wohnung, die ihm mit einem Mal so fremd vorkam, und wurde von einer unbeschreiblichen Sehnsucht zerrissen, sich an eine mitfühlende Brust zu werfen, um sich den Schmerz von der Seele zu weinen.

Aber der alte Bindegerst mit seiner heimlichen Geliebten war dazu nicht die geeignete Persönlichkeit. Das empfand der arme Adolf nur allzu deutlich. Und so harrte er in der Türe, mit den Tränen kämpfend, und ihm war, eine eherne Faust würge ihm die Gurgel.

»Mach wenigstens die Dhür zu!« forderte ihn Bindegerst auf und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. »Zugluft is net gut for so'n Schwerverwundete!«

Mechanisch gehorchte Adolf Borges und trat neben ihn an die

Drechslerbank, stumpf seinem Beginnen zuschauend.

Vater Bindegerst war mit dem Einsetzen der Glasaugen fertig, er gab jetzt seinem Meisterwerk den letzten Glanz, indem er den Affenkopf mit Sandpapier abrieb. Er ließ sich Zeit dazu, und als er die Arbeit für vollendet hielt, hob er stolz den Spazierstock seinem Schwiegersohn unter die Nase und frug selbstbewußt: »No, for was for e Viech hältstde des?«

Dabei fiel sein Blick in Adolfs Augen und entrüstet fuhr er fort:

»Bistde iwwergeschnappt? Ich glaab gar, Du willst flenne? Bistde e

Mannsbild odder bistde e Schulbub, dem der Vadder 's Loch versohlt hat?

Waastde, was #ich# an deiner Stell dhät?«

Adolf wußte es nicht.

Und deshalb belehrte ihn der alte Bindegerst, der sich dank der Abwesenheit seiner Tochter und durch den eingehenden Umgang mit seiner stillen Geliebten in sehr heldenhafter Stimmung befand, weiter: »Soll ich Derrsch sage? – Baß emal uff!«

Und er ließ den Spazierstock mit dem

Affen-Kaninchen-Bulldoggen-Rehbockkopf sausend durch die Luft pfeifen.

»Verschdehstde 's? Bedappelstde 's? #So# mußtde 's mache! Mobilisier Dich, Adolf! Des is die aanzig vernimftig Nadurheilmethod! Haag se, daß die Lappe fliehe! Mein Sege hastde derrzu! Gebb'r die Prichel zurück, net mit fimf Prozent, net mit zeh Prozent, sonnern verdreifach'r des Kapital! Verklopp se, bis ihr Buckel schillert wie e Regeboge! Sonst kriehstde Dei Lebtag in Deiner Eh' kaan Sonneschei!«

Und er begann eine Schimpfrede auf seine Tochter, eine Racherede, wie sie selbst der selige Cato senior in seinen besten Stunden nicht gegen Karthago zusammengebracht hat, er ließ kein gutes Haar an Katharina, nicht einmal ihren Quetschekuche ließ er mehr gelten, und er schloß seine Predigt mit der, durch einen Faustschlag auf die Drechslerbank unterstrichenen Pointe: »Hättstde liewer dem Deiwel sei Großmudder geheierat' statt dem Satansweib! Ihr ganz Mudder is se! Die war grad so aane! Gott, was ich mit der Fraa ausgestanne habb! No, der Deiwel habb se selig!«

 

Adolf Borges verstand von diesem ganzen Vortrag kein Wort.

Seine feuchten Kinderaugen starrten unverwandt auf den Fußboden, als erwarte er, daß jeden Augenblick aus einer Ritze des Fußbodens ein Zwerg hervorschlüpfen müsse, ein weißbärtiger, greiser Märchenzwerg mit einem goldenen Krönlein auf dem Kopf, um zu sprechen: »Adolf, das alles ist gar nicht Wirklichkeit! Hokuspokus tickeltackel, geh hinauf ins Schlafzimmer, dort wirst Du Dein liebes Weibchen im Bett finden, die schon lange auf Dich wartet, um Dich abzuküssen!«

Aber kein Zwerglein kam hervorgekrochen, und als Adolf endlich in das

Schlafzimmer ging, da war es leer, und ach, so still.

Ein einziges Mal regte sich etwas, aber das war nicht im Schlafzimmer, sondern ein Stockwerk tiefer: Vater Bindegerst hatte im Schwips seine Schnapsflasche fallen lassen und war gegen die Drechslerbank getaumelt.

Am nächsten Vormittag traf Katharina ein.

Sie tat, als sei gar nichts vorgefallen, stellte das Handköfferchen auf den Vorplatzschrank, legte Hut und Mantel ab, schlüpfte in einen alten Rock und begann in der Küche zu wirtschaften.

Adolf war schon frühzeitig aufgestanden, er saß zerknirscht im Wohnzimmer, nachdenkend darüber, mit welchem Kitt er seine in die Brüche gegangene Ehe wieder zusammenheften könne.

»Ach Gott«, sagte er sich bekümmert, »was hilft des jedz alls? Unn wann ich se mit der zähste Zärtlichkeit zusammebabb, so hat #doch# en Sprung unn bleibt invalid! Ich habb merr die Eh' vorgestellt wie en wunnerscheene Borzellandeller, von dem ich mit meim Kättche nix wie lauder Sießigkeite fresse wollt', – unnn jedz is der Deller kapores, unn e Eck is abgestumbt, unn merr derf'n vor fremde Leut gar net mehr gucke lasse! Unn die Sießigkeite, – ach, ich glaab als, 's werd nix wie Handkäs, unn Handkäs eß ich gar net gern…«

Plötzlich war es ihm, als höre er in der Küche Jemanden hantieren. Ein freudiger Schreck elektrisierte ihn, er sprang auf und eilte hinaus.

Da stand Katharina am Herd und rührte einen brodelnden Kochtopf.

»Kättche!« frohlockte er, glückselig, sie wieder zu sehen, »mei lieb Kättche, wannstde wißt, was ich for Angst um Dich gehabbt habb! Bistde dann gut gefahrn? Willstde Dich net e bissi umlege? Du werst mied sei'!«

Aber Katharina würdigte ihren Gatten keiner Antwort. Mit einem verächtlichen Seitenblick auf ihn rührte sie weiter den Kochtopf.

»Willstde merr net wenigstens Gu'n Morsche sage?« bat Adolf.

»Gu'n Morsche, Hansworscht!« sagte Katharina. Aber nicht scherzhaft, sondern bissig und gehässig, in einem Tonfall, der keine Fortsetzung des Gesprächs zuließ.

Da schlich Adolf geknickt wieder ins Wohnzimmer.

»Was habb ich'r nor gedhaa?« jammerte er vor sich hin. »Ich habb'r doch kaa aanzig bees Wörtche gewwe! – No ja, ich bin kaa Kavalier, ich kann kaa so scheene Sprüch mache wie die nowle Leut, ich kann kaa Affedänz uffiehrn unn erumhippe wie die Judde ums goldene Kalb, – awwer des hat se doch #vorher# gewißt!

Unn daß ich se lieb habb, des #muß# se doch spiern! Ich habb's doch #aach# gespiert, wie se merr uff de Kopp gehaage hat!

Unn die Lieb is doch, waaß Gott, e dausendmal stärker Instrument als wie e Faust! Unn ich maan als, so e werklich Lieb als wie die meinigt, die #muß# se doch merke!

Wann merr in so e Menscheherz ereiruft: »Ich lieb Dich!«, dann kann doch des Echo net zurickrufe: »Steih merr de Buckel enuff!« Des wär doch gege die ganz Nadurgeschicht!

Awwer vielleicht habb ich se #doch# beleidigt, unn waaß es gar net? Vielleicht is merr doch erjend so e Wörtche erausgerutscht, was ich besser erunnergeschluckt hätt, unn was err weh gedhaa hat? Der Mensch babbelt ja soviel dumm Zeug, unn aach der Keenig Salomo hat gewiß in seim Lewe 'n ganze Haufe Stuß geredt, – es steht bloß net in der Biwel drin. Awwer was kann ich'r bloß Verkehrtes gesacht hawwe?«

Er sann und sann und kam zu keinem Ergebnis. Er trat vor den Spiegel und betrachtete wehmütig seine Kratzwunde an der Stirn und das verschwollene Auge und flüsterte: »Schee guck ich aus! Wunnerschee! Wann des so weitergeht, laß ich mich bei meiner silwerne Hochzeit in Spiritus setze!«

Und da Katharina nicht zu ihm hereinkam, tappte er die Treppe hinunter in die Werkstatt seines Schwiegervaters und meldete: »Gu'n Morsche, Vadder! Unn se wär' widder da!«

»E Erdbewe wär merr liewer!« sagte Bindegerst.

Aber Adolf wunderte sich schon nicht mehr über diese liebenswürdige väterliche Äußerung. Er hockte sich auf einen Schemel, stützte den Kopf in die Hände und frug erschöpft: »Is se immer so?«

»Immer!« bestätigte der Alte. »Immer! Nor manchmal net! Manchmal is se noch schlimmer. Bis jedz hastde se nor Schottisch danze sehe, awwer baß emal uff, wann se erscht Galopp danzt! Da kannstde Dei blau Wunner erlewe! Des Rezept zu dem Danz hat se von ihrer selig Mudder geerbt, grad wie des Rezept zum Quetschekuche! Ich sag Derrsch, Adolf, des Lewe is e Gemeinheit! E groß Gemeinheit! Zeit wärsch, daß e neue Sintflut komme dhät, awwer #ohne# Arche Noah! Vier Woche sollt's nix als wie Schnaps regne, daß merr all drin versaufe, – des wär wenigstens e scheener Dod!«

Es entstand eine Pause, die Bindegerst dazu benutzte, seiner stillen

Geliebten zuzusprechen. Er genierte sich jetzt gar nicht mehr vor seinem

Schwiegersohn.

»Warum hastde merr dann des net frieher gesacht?« stöhnte Adolf.

Bindegerst lachte dröhnend. »Warum ich Derr des net frieher gesacht habb? – Guck Derr emal den ahle Schrank in der Eck aa! Des Schloß is kabutt, unn in der Rickwand is e Mordsriß, ich habb'n bloß e bissi zugebabbt. Wann jedz e Kundschaft käm unn wollt den Bawel kaafe, maanstde, ich wer' sage: »Lasse Se die Finger dervoo! Der Schrank is de Transbort net wert!« Maanstde, ich bin so meschugge? Naa, mei Liewer! Aapreise wer' ich'm de Schrank unn hunnert Jahr Garandie geww ich'm, dem Olwel! Unn so mach ich's mit #alle# Möwel, – aach mit de lewennige! Braach ich mit #fremde# Aage zu gucke? Ich guck mit meine eigne nix!«

Da fühlte Adolf Borges, daß er auch von seinem Schwiegervater verlassen war.

Das Herz krampfte sich ihm zusammen und er hatte ein bitteres Wort auf der Zunge.

Aber noch ehe er es aussprechen konnte, kreischte eine Stimme von oben:

»Macht, daß'r enuffkimmt! Der Kaffee is fertich!«

Es war Katharina, deren Ahnungsvermögen ihr gesagt hatte, daß sie es nicht zu einem Bündnis der beiden Männer kommen lassen dürfe, und daß es unklug sei, sie zu lange allein beisammen zu lassen.

Ein schweigsames Frühstück war es. Keines wollte ein Wort sprechen. Nur der alte Bindegerst bemerkte einmal zwischen zwei Schlucken Kaffee: »Im Odewald soll's frieher Hexe gewwe hawwe!«

Da warf ihm Katharina einen bitterbösen Blick zu. Erst kaute sie den

Bissen fertig, den sie im Mund hatte, dann erwiderte sie: »Unn in

Offebach, da gibbts sogar heut noch Rindviecher!«

Jede dieser Bosheiten Katharinas, auch wenn sie nicht gegen ihn selbst gerichtet war, verwundete Adolf wie ein Schlangenbiß. Er konnte es begreifen, daß ein Mensch in plötzlicher Erregung sich vergaß, schrie und tobte, wie das zuweilen der dicke Herr Schröder tat, wenn er seinen nervösen Tag hatte, aber unfaßbar war ihm diese sich ewig gleichbleibende, kaltblütige Bosheit.

Wie konnte ein Mensch so bis zum Rande vollgeladen sein mit Tücke und

Streitsucht? Und gar ein weibliches Wesen?

Die wenigen Frauen, die er, der Frauenfremde, bisher hatte beobachten können, waren alle ganz anders gewesen.

Da waren die Geschäftsfräuleins, kleine Kücken, die sorglos-heiter herumpiepsten und in dem großen Hof des Lebens nach Liebschaften pickten; da waren die Gattinnen seiner Chefs, solide gutgenudelte Hennen, die würdevoll gackerten und herablassend mit dem Kopf zu nicken verstanden; da waren die Damen der Kundschaft, Federvieh von allen Sorten, jeden Alters und jeder Rasse, – aber so ein giftgeschwollener Truthahn wie Katharina war ihm noch nie unter die Augen gekommen.

Als das Frühstück abgeräumt war und er wieder allein im Zimmer saß, grübelte er von neuem über sein Schicksal nach. Und mit der kindlichen Gutmütigkeit, die ihn für jede menschliche Schlechtigkeit eine Entschuldigung suchen ließ, redete er sich ein: »Vielleicht kann se gar nix dafor, daß se so is? Ihr Mudder soll ja e bees Reibeise' gewese sei', unn iwwer ihrn Vadder geht merr aach allmählich e Petroliumlamp uff! Wie hätt des arm Mädche da annerschter wern könne? In eme Eisschrank kann kaa Veilche gedeihe. Wer waaß, wie se mei Kättche mit Schmiß unn Schenne uffgezoge hawwe! Unn jetz hält se die ganz Welt for e Generalversammlung von Verbrecher und Bösewichter. Ich muß recht lieb zu err sei unn recht gut, dann werd se sich gewiß ännern. Geduld muß ich hawwe, daß se Vertraue zu merr krieht! Unn wann se erscht merkt, ich maan's werklich gut mit err, ich will se net ausnitze, dann werd zuerscht e Wandlung mit ihrm #Herzche# vor sich gehe, unn dann, so Gott will, aach e Wandlung mit ihr'm #Schnawwel#!«

Und er begann sogleich, einen Versuch auf diesem Wege zu machen; leise schlich er in die Küche hinaus, trippelte auf den Zehenspitzen von hinten an Katharina heran und drückte blitzschnell einen Kuß auf ihren Nacken.

Ein heftiger Ellbogenstoß in die Magengegend war die Antwort. »Du bist wohl net bei Trost? Was soll dann des haaße? Scher dich zum Deiwel, Faulenzer!«

Dieses Wort verletzte Adolf Borges tief. Faulenzer hatte ihn noch niemand genannt. Daß ihn Herr Feldmann und der eklige Kassierer mit allerhand Kosenamen aus Brehms Tierleben belegten, war er gewohnt, aber Faulheit, – nein, dieses Laster hatte ihm noch niemand vorgeworfen.

Hatte er nicht sein Leben lang geschafft wie ein Packesel? Und jetzt sagte seine eigene Frau …

»Ja, glotz mich nor aa!« schrie Katharina. »Du hast mich wohl noch net richtich beguckt? Soll ich Derr e Fodografie schenke? – Jawohl, e Fauldier bistde! Was gehstde net in Dei Geschäft?«

»Awwer Kättche«, verteidigte sich Adolf, »awwer Kättche, ich habb doch noch fimf Däg Urlaub! Was solle se dann von merr denke, wann ich mitte in meiner Hochzeitsreis zurickkomm!«

»Die wern schonn sowieso wisse, was se von Derr zu denke hawwe! Bildste

Derr vielleicht ei', ich will Dich die fimf Däg hier erumlungern hawwe?

Zum Nixdhun haww ich Dich net geheierat!«

Und plötzlich im Ton umschlagend fing sie an zu jammern: »O Gott, ich unglicklich Fraa! Prinze unn Korferschte hätt ich hawwe könne, unn so en Schlappschwanz, so'n draurige, muß ich nemme!«

Adolf wartete nicht, bis der Ton zum zweiten Mal umschlug und wieder die keifende Roheit zum Vorschein kam. Er ging hinaus, setzte seine Mütze auf und lief ins Geschäft.

Und als er vor dem Geschäftshaus stand und in die großen Schaufenster blickte, in denen die Modellpuppen standen, die er so oft abgestaubt hatte, da war ihm, als sei dieses Haus seine eigentliche Heimat, als sei #hier# seine Familie, und sein Heim bei Katharina sei nur eine Schlafstätte, in der er aus Mitleid geduldet wurde.

Er ward beinahe gutgelaunt, als er vor den erstaunten Herrn Schröder hintrat, um sich zurück zu melden. Er freute sich auf die erlösende Arbeit.

Und es ging ihm durch den Kopf: »Die Arweit is doch des wahre Baradies! Unn die ganz Geschicht mit dem Ebbelbaam, die glaaw ich iwwerhaapts net! Die Sach werd ganz annerschter gewese sei'. Der Adam-selig hat sich aafach #gelangweilt# in dem baradiesische Palmegarte unn hat zum liewe Gott gesacht: »Mensch«, hat'r zum liewe Gott gesacht, »Mensch, ich komm um vor Langweil! Schmeiß mich enaus aus dem Garte, odder ich vertrampel Derr 's Gras!« Unn weil der liewe Gott e gescheider Mann is, hat er erwiddert: »Adamche, ich will Derr e Uniwersalmedizin erfinne gege die Langweil unn gege jeddes Unbehage unn jedde Unzufriddenheit!« Unn er hat die #Arweit# erfunne. Unn da war die Schöpfung erscht richtich fertich!«

»No??« sagte Herr Schröder. »No, schonn widder zurick? Was is dann?«

»Ach, wisse Se«, meinte Adolf verlegen, »es war so schleecht Wetter, da bin ich liewer widder haam!«

»Hm!« machte Herr Schröder bedenklich. »Hm … ich habb immer gemaant, bei Regewetter liebt sich's am scheenste!«

Aber weil der dicke Herr Schröder mit Recht fand, Adolfs Privatangelegenheiten gingen ihn eigentlich nichts an, forschte er nicht weiter.

Weniger zartfühlend waren die Angestellten der Firma. Sie kicherten, als sie das »scheppe Adolfche« wieder auftauchen sahen, sie machten Witze, daß die Damen rot wurden, und der erste Reisende stichelte, mit einer Anspielung auf Adolfs Stirnwunde: »Merr sollt dem Odewald widder emal die Fingernägel schneide! Maane Se net aach?«

 

Der eklige Kassierer aber grinste: »E schee Aussicht misse Se gehabbt hawwe vom Melibokus! Ihr Aag is #jedz# noch ganz geschwolle!«

An diesen schmerzhaften Stichelreden beteiligte sich nur ein einziges Mitglied der Firma nicht, der zweite Buchhalter Heinrich Baldrian. Das war überhaupt ein eigentümliches Männlein, eines von den Menschenkindern, denen das Leben so ziemlich alles schuldig geblieben ist, und die dennoch mit einer Miene herumlaufen, als seien sie selbst jedermann etwas schuldig. Dieses alte Buchhalterchen war ein unglückseliges Geschöpf, ein Kunstenthusiast, dessen Talent zu seinem großen Schmerz nicht ausreichte, selbstschöpferisch zu sein. Er hatte in seinen jungen Jahren dicke Hefte voll Gedichte geschrieben, ja sogar Dramen verfaßt, und hatte wohl auch eine Zeitlang, ermuntert durch den Beifall kritikloser Freunde, an sich geglaubt wie der Schneider von Ulm an seine Flügel.

Bis ihm mit zunehmendem Alter die Erkenntnis dämmerte, daß er in den Gärten der Poesie auf geliehenen Stelzen herumstolperte. Da hatte er seine sämtlichen Werke verbrannt. Aber seine große Sehnsucht hatte er nicht mitverbrennen können.

Heinrich Baldrian war ein einsamer Mensch geworden; stolz und unglücklich zugleich in seiner Einsamkeit. Das Wissen, das er sich durch fieberhaftes Lesen angeeignet hatte, die stille Würde, die die Beschäftigung mit ewiger Kunst dem Jünger verleiht, ließen ihn die Beteiligung an den billigen Späßen der übrigen Angestellten verschmähen; Adolf Borges war einer der wenigen Menschen, in denen er verwandte Anlagen zu ahnen glaubte. Von dem aber trennte ihn die tiefe Kluft des Bildungsunterschiedes. Er mußte sich damit begnügen, dem »scheppe Adolfche« stets ein freundliches Benehmen zu zeigen und im unvermeidlichen geschäftlichen Umgang ihm jene kleinen Höflichkeiten des Herzens zu beweisen, die so wohl tun.

Adolf kümmerte sich nicht um die Spötteleien, die ihn empfingen. Mit einer wahren Wollust stürzte er sich in seine Arbeit. Noch nie war ihm das Paketschnüren so köstlich erschienen.

Ihm war zumute wie einem verlaufenen Hund, der wieder heimgefunden hat.

Und als er bei der Arbeit in einem der hohen Wandspiegel zufällig seine Kratzwunde erblickte, lächelte er vor sich hin: »Guck emal: e Kron haww ich aach! Mit zwaa Zinke! Der aa Zinke is schonn fast verheilt! Wie weit's der Mensch doch bringe kann!«

Und als ihn Herr Feldmann zum ersten Male wieder ein Kamel nannte, da war ihm wie einem aus der Fremde Heimgekehrten, der zum ersten Mal die Muttersprache wieder hört.

»Alles uff der Welt is Gewohnheit!« sagte er sich. »Unn ich wer' mich schonn aach am Kättche sei Grobheite geweehne! Ich habb mich ja aach an des Gekrisch von dene Katze geweehnt! Unn wer waaß: vielleicht is es beim Kättche gradso wie bei de Katze, unn se kreischt bloß #aus Lieb# so? – Gewohnheit is alles, unn ich bin iwwerzeigt: wann der Mensch mit Zahnweh uff die Welt käm', dhät 'r se gar net spiern, sonnern er käm' sich krank vor, wann er emal #kaa# Zahnweh hätt'!«

Einige Tage später erlebte Adolf Borges eine neue eheliche Überraschung.

Als er abends aus dem Geschäft heimkam, empfing ihn Katharina mit der kurzen, aber vielsagenden Frage: »No??«

»Was is, lieb Kättche?« fragte Adolf.

»Wannsde noch emal »Lieb Kättche« sagst, haag ich Derr 'n Kochlöffel uff die Schnut!« gab Katharina diese Zärtlichkeit zurück. »Des dumm Gebabbel mecht mich ganz nervös! Nächsdens kimmstde noch mit Glacehandschuh unn Frack in die Kich! Des misse ja schee iwwerspannte Weiwer gewese sei', mit dene Du Dich frieher erumgedriwwe hast!«

»Awwer Kättche, ich schwör Derrsch: Du bist des erscht weiblich Wese, des wo —

»Halt's Maul! Heut is doch Gehaltsdag gewese? Wo is 's Geld?«

»Awwer Kättche, – «

»Gebb's Geld eraus! Maanstde vielleicht, ich kann von der #Luft# wertschafte? Mach kaa lange Umschdänd, des kann ich net verdrage!«

Adolf sah ein, daß sie nicht von der Luft wirtschaften könne. Widerspruchslos zog er seine Geldbörse hervor und zählte den Inhalt auf den Tisch.

»Is des alles?«

»Ja! Mehr haww ich net!«

»For so en schäwige Gehalt dhät ich dene was peife! S' is zum Haar-Ausroppe! Prinze unn Korferschte hätt' ich heierate könne! – Da sin fimf Mark, des muß lange! Merk Derrsch!«

So ähnlich muß es den Kaufleuten im 16. Jahrhundert zu Mute gewesen sein, wenn Herr Götz von Berlichingen oder ein anderer Raubritter sie auf der Landstraße ausplünderte.

Aber lange hielt die Bitterkeit bei Adolf Borges nicht an. Er war ja eine der harmlosen Seelen, die sogar zu einem Raubritter gesagt hätten: »Von Ihr'm Standpunkt hawwe Se recht! Entschuldige Se nor, daß ich net mehr bei merr habb! Könnte Se merr vielleicht sage, Herr Raubridder, wie ich am schnellste widder haamkomm?«

»Des Kättche hat vielleicht ganz recht«, dachte er. »Sparsamkeit is e

Dugend. Vielleicht is des Geld bei ihr besser uffgehowwe wie bei mir. Es is ja aach als Mann mei Plicht unn Schuldigkeit, daß ich se ernähr.

Dadafor soll ich aach ihr Herr sei'!«

Aber unbehaglich war es doch, nicht mehr frei über seine Einnahmen verfügen zu können und über jeden Pfennig Rechenschaft ablegen zu müssen. Fünf Mark, – das reichte ja kaum, das Fläschchen Bier zum Frühstück und zur Vesper zu bezahlen. Fünf Mark, damit konnte er doch unmöglich seine kleinen Ausgaben bestreiten. Wie würde das werden, wenn er einmal eine neue Mütze brauchte oder einen neuen Hosenträger? Sollte er dann Katharina um Geld bitten? Um das Geld, das er selbst verdient hatte?

Er nahm sich vor, nur einen Teil der Trinkgelder, die er hie und da bekam, an Katharina abzuliefern und den Rest für sich zu behalten. Die ganzen Beträge seinem kleinen Geheimfond einzuverleiben, hätte ihm sein Gewissen nie erlaubt. Wie eine Unterschlagung wäre ihm das erschienen.

Und dann hatte er ja auf der Sparkasse noch etwas über viertausend Mark stehen. Katharina wußte wohl darum, aber es wurde nie davon gesprochen, so wenig, wie je von einer Mitgift die Rede gewesen war.

Und doch kam im dritten Jahre seiner Schmerzensehe die Rede auf diese Ersparnisse: der alte Bindegerst war es, der sich plötzlich lebhaft für das Sparkassenguthaben Adolfs interessierte.

Ihm bekam die Ehe seines Schwiegersohnes ausgezeichnet. Einen besseren Blitzableiter für die häuslichen Gewitter hatte er sich gar nicht wünschen können. Mit einer gewissen inneren Befriedigung sah er mit an, wie sich alle die Donnerwetter und Hagelschläge, denen bisher er selbst preisgegeben gewesen war, auf Adolfs Haupt entluden, während er im Trockenen saß. Er machte sich sogar das Vergnügen, heimlich ein bißchen zu hetzen, indem er einerseits Katharinas Ansprüche aufstachelte, andrerseits seinem Schwiegersohn soufflierte: »Laß Derr nix gefalle! Mach en Stormaagriff! Soll ich merr e Trombet' kaafe unn zor Attack blose? Mensch, du blamierst unser ganz Geschlecht!«

Da Katharina nicht viel Zeit und Lust fand, sich um den Alten zu kümmern, wurde er geradezu übermütig. Eines Tages heftete er an die Treppentüre seiner Werkstatt ein Plakat: »Weibern ist der Eintritt strengstens verboten!«

Und amüsierte sich königlich, als Katharina diesen, auf sie gemünzten

Zettel wütend in tausend Fetzen riß.

Aber wenn er der Knechtschaft seiner Tochter entronnen war, so war er dafür um so schimpflicher unter eine andere Tyrannei geraten: unter die Knute seiner stillen Geliebten. Er trank nicht mehr, er soff.

Er feierte an seiner Drechslerbank und oben im Dachstübchen stille

Gelage, trank dem Mann im Monde und den Katzen zu und hielt mit sich selbst Volksversammlungen ab, in denen er das Thema: »Das Leben ist eine

Gemeinheit!« von allen Seiten beleuchtete.

Überkam ihn der Weltschmerz, so sang er mit den Katzen Duette, die erst ein Ende nahmen, wenn zwei Fäuste an die Türe donnerten und die bissigste Katze des Hauses schrie: »Willstde Dei Maul halte, ahl Volleul! Schämstde Dich net vor der Nachbarschaft?«

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