Ausgeflaust - Jugendliche führen

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1.2 Rollen- und Führungsverständnis der Lehrperson

Andreas Helmke (2003, 2008) hat zehn Merkmale von Unterrichtsqualität definiert, die ein wirkungsvolles Classroom Management fördern. Es sind dies die Begriffe, die Sie in der nachfolgenden Grafik finden. Darin geht es noch einmal um eine Selbsteinschätzung, allerdings mit einem anderen Fokus, und zwar geht es nicht um die Frage, welchen Ansatz Sie am meisten pflegen, sondern diesmal um Ihren Unterricht, gewissermaßen aus der Sicht der Lernenden. Helmke hat erforscht, welche gelebten Prinzipien förderlich sind, damit die Klasse in Ruhe und Konzentration arbeitet.

Übung

Tragen Sie in der Grafik mit einer Farbe ein, welche Aspekte – und in welcher Ausprägung – Sie aktuell in Ihrem Unterricht leben. Verbinden Sie die Punkte zu einem Stern. Reflektieren Sie, welche Auswirkungen Ihre Skalierung auf das Unterrichtsgeschehen haben könnte. Nehmen Sie dann eine zweite Farbe. Zeichnen Sie den Stern so, wie Sie ihn in Zukunft haben möchten.

Überlegen Sie, was Sie verändern müssen, um dieses Ziel zu erreichen.


Abbildung 1-2

Zehn Merkmale von Unterrichtsqualität nach Helmke, die ein wirkungsvolles Classroom Management unterstützen

1.3 Aspekte der Grundordnung

Es geht beim Classroom Management, wie eingangs erklärt, letztlich immer um die Sicherung der Lernprozesse im Unterricht. Und Lernen wird »gestört«, wenn die Grundordnung aus den Fugen gerät. Dann wird die Aufmerksamkeit der Lernenden unweigerlich vom Lernstoff weg und zu den sozialen Vorkommnissen hin geleitet. Jede Unterbrechung des Lernprozesses hat zur Folge, dass viel Zeit verloren geht, bis die gleiche Lernintensität wiedererlangt werden kann. Die Grundordnung erhalten oder wiederherstellen: Beides bezieht sich auf die »Kultur«, die im Klassenzimmer gelebt werden soll. Interventionen können auf allen drei genannten Ebenen (Verhaltenskontrolle, Beziehungsgestaltung, Unterrichtsgestaltung) geschehen.

Nachfolgend finden Sie eine Liste von Aspekten, welche die Grund­ordnung sichern – bzw. ein Instrument zur Selbsteinschätzung, wie Sie für die Einhaltung der Grundordnung sorgen können, auf den drei Ebenen der Institution, des gegenseitigen Umgangs und der Lern- und Arbeitsprozesse.


Kaum Meistens Immer
Grundordnung mit Bezug auf die Institution Schule
Ich lebe nach den Regeln der Schule und halte mich an die Vereinbarungen und Weisungen.
Ich halte mich an Instanzenwege und fordere die Lernenden auf, es ebenfalls zu tun.
Ich informiere die Leitung über gravierende Vorkommnisse.
Ich halte mich zurück mit Äußerungen über Leitung oder Kollegium.
Ich ziehe mit den Kolleginnen und Kollegen, die in der gleichen Klasse unterrichten, an einem Strick.
Ich führe die Absenzenlisten sorgfältig und melde unentschuldigte Absenzen rechtzeitig weiter (Schulordnung).
Ich informiere die Kolleginnen und Kollegen der gleichen Klasse über wichtige Vorkommnisse und Vereinbarungen mit der Klasse.
Ich ergreife präventive Maßnahmen gegen Störungen, zum Beispiel durch Strategien der ­Aufmerksamkeitslenkung.
Grundordnung in Bezug auf den Umgang miteinander
Ich pflege einen respektvollen und fairen Umgang mit den Lernenden und erwarte von ihnen ­dasselbe.
Ich kommuniziere, wer wofür welche Verantwortung trägt, und übernehme meinen Teil.
Ich erarbeite mit den Lernenden zusammen Klassenregeln und achte auf deren Einhaltung.
Ich spreche die Lernenden an, wenn ihr Verhalten außerhalb der Toleranzgrenze liegt.
Ich achte darauf, dass die Würde eines jeden respektiert wird, dass auf Herabsetzung, ­Ausgrenzung und Diskriminierung verzichtet wird und dass ein angstfreies Klima herrscht.
Ich pflege einen autoritativen Führungsstil (= hohe Kontrolle und hohe Bereitschaft zu reagieren).
Grundordnung mit Bezug auf die Sicherung der Lern- und Arbeitsprozesse
Ich setze mich dafür ein, dass die meiste Zeit zum Lernen und Arbeiten genutzt wird.
Ich kommuniziere die Aufträge klar und prüfe das Auftragsverständnis und die Auftragstreue.
Ich beachte und anerkenne Leistung.
Mit einem wirksamen Störungsmanagement sichere ich die Arbeits- und Lernprozesse.
Ich etabliere Routinen für die Förderung der Lernprozesse.
Ich pflege einen undramatischen, zeitsparenden und wirksamen Umgang mit Störungen.

Beim Ausfüllen dieses Reflexionsinstrumentes werden Tendenzen sichtbar, welche Aspekte Sie in Ihrem Unterricht mehr oder weniger pflegen. Selbstverständlich kann man sich auch fragen, welche Grundhaltungen dem zugrunde liegen. Ebenfalls wäre die Frage zu diskutieren, was alles eigentlich ein positives Klassenklima fördert oder hemmt.

 

Das Thema Classroom Management ist damit selbstverständlich nicht erschöpft. In den folgenden Kapiteln finden Sie dazu viele weitere Über­legungen und Aspekte. Hier ging es vorerst nur um eine Übersicht, um die Begriffe und um eine Reflexion des Rollenverständnisses.

Dorothea Pabst

Brain-Gym

Wenn die Lernenden in meinen Unterricht kommen, sind sie mental oft nicht auf den kommenden Lernprozess eingestimmt und auch nicht sonderlich motiviert, sodass sie sich nur schwer auf das Unterrichtsthema einlassen können. Viele Dinge beschäftigen sie, sei es, dass sie gerade von einer Prüfung kommen, sei es, dass es privat nicht rundläuft. Vielleicht sind die Lernenden einfach ausgepowert und müde? So oder so: Sie sind noch nicht bereit für meinen Unterricht.

Eine einfache Möglichkeit, die ihnen hilft, sich von Vorherigem zu lösen und den Fokus auf meinen Unterricht zu bringen, ist Brain-Gym. Eine einfache Übung, die gut funktioniert, ist beispielsweise folgende: ­Abwechselnd wird mit der rechten Hand und dem linken Fuß, dann mit der linken Hand und dem rechten Fuß gleichzeitig geklopft.

Über-Kreuz-Übungen fördern das Zusammenspiel der beiden Hirnhälften, erhöhen die Aufnahmefähigkeit und das Leistungsvermögen. In unruhigen Klassen habe ich diese Übung eingeführt und bin erstaunt, wie sehr sich die Konzentration und ­Leistungsfähigkeit damit steigern lässt – auch die höheren Noten bestätigen mir dies.


2 Klassenführung zwischen Ordnung und Beziehung

Klassenführung zwischen Ordnung und Beziehung

Wenn wir von Führung sprechen, ist nicht immer und zwingend explizites Führungsverhalten gemeint, etwa eine ausdrückliche Korrek­tur oder Mahnung. »Führen« meint also nicht, dass die Lehrperson immer direkt führt und ständig für alle Lernenden sichtbar ist. Eine Klasse ist im besten Fall auch dann »geführt«, wenn jede/r Lernende sich individuell mit einer Einzelarbeit beschäftigt und die Lehrperson sich gar nicht im Schulzimmer befindet. Natürlich werden Führungsverständnis und Führungsstil einer Lehrperson am besten sichtbar, wenn sie in unmittelbarer Interaktion mit ihren Lernenden steht.

In diesem Kapitel geht es um unterschiedliche Führungsprinzipien und -stile und um die Balance zwischen Beziehungs- und Ordnungsorientierung.

2.1 Nett, streng – und fröhlich bestrafen

Dass jede Lerngruppe stets auf irgendeine Weise geführt werden sollte, zumindest implizit, wird uns dann deutlich, wenn wir Sätze hören wie: »Frau Keller hat ihre Klassen gut im Griff« oder: »Bei Herrn Wegmann machen die Lernenden, was sie wollen« oder: »Bei Frau Senn ist wohl der Unterricht völlig aus dem Ruder gelaufen«.

Dass eine Klasse gut geführt sein sollte, wird eigentlich von allen Beteiligten, Lehrenden und Lernenden, grundsätzlich vorausgesetzt. Oftmals wird aber vergessen, dass hinter einer »gut geführten Klasse« viel Sozialisationsarbeit steckt – oder sagen wir einfach: Erziehungsarbeit – und dass dies eine hohe Präsenz der Lehrperson verlangt. Diese Präsenz wird im Folgenden grundsätzlich immer im Sinne von »wohlwollender Präsenz« (vgl. Lauper & De Boni, 2013, S. 173 ff.) verstanden. Grundprinzip und Ziel der Klassenführung ist nie die Disziplinierung einzelner Lernender oder ganzer Lerngruppen, es geht immer darum, eine geordnete und kooperative Lernatmosphäre zu ermöglichen und sicherzustellen. Man kann es auf einen Nenner bringen: Vorrang hat immer die Lerngruppe – nicht die störenden und regelverletzenden Lernenden. Aus diesem Grund ist selbst bei jungen Erwachsenen im Unterricht noch viel Erziehungsarbeit zu leisten, um eine ungestörte Lernumgebung sicherzustellen. Dies ist vor allem auf der Sekundarstufe II nicht allen Lehrpersonen genügend bewusst, da man oftmals zu früh Erwachsenenkompetenzen und damit Wohlverhalten einfach voraussetzt.

In einer Lehrerweiterbildung äußerte sich ein Kursteilnehmer entsetzt über ein Vorkommnis, das für ihn, einen Informatiker, Quereinsteiger in den Lehrberuf, völlig unerwartet war. Er hatte das Schulzimmer betreten, und zwei Lernende hatten ihn mit den Füßen auf dem Pult begrüßt, lässig zurück­gelehnt und völlig entspannt dasitzend. Da er ein solches Bild aus dem Betrieb, in dem er arbeitete, nicht gewohnt war, war er erst einmal sprachlos. Ihm fehlte offensichtlich ein »inneres Drehbuch«, um ruhig und gelassen, aber auch klar und bestimmt zu reagieren. Ein anderer Aspekt, der hier deutlich wird, ist eine Fehleinschätzung von Adoleszenten im Hinblick auf erwachsenengerechtes Verhalten. Mit großer Wahrscheinlichkeit wollten die beiden Lernenden gar nicht provozieren, sie verhielten sich einfach im öffentlichen Raum wie in ihrer privaten Sphäre. Ihr Verhalten löste bei der Lehrperson so viel Unverständnis aus, weil sie davon ausging, junge Erwachsene auf der Sekundarstufe II müssten doch wissen, wie man sich benimmt, das könne man gleichsam voraussetzen. Der Hinweis, dass auch zwanzigjährige junge Erwachsene noch »Erziehungsimpulse« brauchen, war für ihn hilfreich.

Wichtig ist aber die Art und Weise, wie die Lehrperson solche Erziehungsarbeit versteht. Oftmals kann man mit Humor und Witz mehr erreichen als mit »lehrerhaftem« Disziplinieren. Mit übertriebenem Lehrergehabe wird man womöglich eher eine gewisse Reaktanz auslösen. Wie wir noch sehen werden (siehe Kapitel 7), ist in einer frühen Phase von Störungen oftmals mit ganz wenigen und ressourcenschonenden kleinen, zum Teil humorvollen Hinweisen viel erreicht. Zugleich sind aber ironische Sprüche absolut zu vermeiden. Zynismus und Ironie haben im Kontext der Schule und im Speziellen im Unterricht nichts zu suchen. Ebenso gilt es bei kleinen Interven­tionen, niemanden bloßzustellen oder vor der ganzen Klasse lächerlich zu machen. Humor darf nie auf Kosten von Beteiligten gehen. Da sich die geschilderte Szene mit den beiden Lernenden mit den Füßen auf dem Pult vor Lektionsbeginn abspielte, hätte je nach Befindlichkeit und Verfassung der Lehrperson eine mögliche Reaktion darin bestehen können, zum Lehrerpult zu gehen, ebenfalls (nun etwas provokativ) die Füße aufs Pult zu legen und die Reaktionen der beiden Lernenden abzuwarten. Eine andere Minimalreaktion wäre gewesen, die beiden beim Namen zu nennen und mit einer knappen Handbewegung darauf hinzuweisen, was erwartet wird, dazu ein Stirnrunzeln, doch stets mit freundlichem Gesicht. Da es hier um Grundanstand geht, braucht es keine belehrenden, erläuternden oder erzieherischen Worte, sondern eben nur eine Handbewegung, einen Blick oder ein Kopfschütteln. Dies gilt für sämtliche Verletzungen des Grund­anstandes und allgemeine Regelverletzungen, etwa lautes Gähnen, in Schlafstellung den Kopf aufs Pult legen, im Unterricht mit dem Handy hantieren, dreinreden, quer im Stuhl hängen usw. Dass es zahllose Möglichkeiten gibt, auf dem Stuhl zu sitzen oder zu liegen, ist uns allen schon aus der eigenen Schulzeit vertraut. Da genügt meist der Satz: »Setzen sie sich richtig hin.« Nur, was heißt eigentlich »sich richtig hinsetzen«? Zum Glück fragen die Lernenden nicht nach – man hätte einige Mühe, es exakt zu erklären! Erstaunlich ist aber, dass sie sich tatsächlich, ohne nachzufragen, zumeist »richtig« hinsetzen.

Bei der Befragung von Berufsschülerinnen und -schülern an einem Zürcher Bildungszentrum, wie sie sich eigentlich eine gute Lehrperson vorstellten, zeigte sich eine klare Tendenz zu einer konsequenten, aber fairen Lehrperson. Nicht alles durchgehen lassen, klare Anweisungen geben und hilfreich unterstützen sollte sie. An vereinbarten Regeln festhalten und un­parteiisch sein. Eine Lernende brachte es auf den Punkt: Eine Lehrerin oder ein Lehrer sollte eine gewisse Strenge mitbringen, aber »nett streng« sollten sie sein. Auf die Rückfrage, wie sich die strenge Haltung einer Lehrperson zeige, antwortete die Schülerin, die Lehrperson solle konsequent und be­rechenbar sein – man sollte wissen, woran man bei ihr ist, und sie sollte die Lernenden nicht überfordern. Eine Lehrperson wird offensichtlich dann akzeptiert, wenn sie konsequent, aber wohlwollend ist.

Hier wird die Balance zwischen den beiden Polen »Beziehung« und »Ordnung« angesprochen, auf die wir noch ausführlicher zu sprechen kommen. Die Lernenden fühlen sich in einem geordneten, geführten und gut struk­turierten Unterricht dann wohl, wenn sie von der Lehrperson in ihren Befindlichkeiten wahrgenommen und wenn sie unterstützt werden. Eine gute Beziehung zwischen Lernenden und Lehrperson garantiert eine positive Lernatmosphäre. »Zu dieser Lehrperson geht man gerne in den Unterricht, nicht weil sie nachgiebig bis permissiv ist, sondern weil sie die Lernenden mag und dennoch etwas von ihnen fordert.« Diese »wohlwollende Konsequenz« kommt, etwas auf die Spitze getrieben, auch in den folgenden Worten zum Ausdruck – der Antwort einer Berufsmaturaschülerin auf die Frage, wie man denn mit renitenten Lernenden als Lehrperson umzugehen habe: »Man sollte diese Lernenden schon bestrafen, aber fröhlich bestrafen.« Die etwas ratlosen Blicke des Fragenden vermochte sie nicht zu deuten, erklärte dann, dass die Lehrperson als Konsequenz einer Regelverletzung oder Störung halt abwechslungsreiche oder lustige Aufgaben oder Aufträge erteilen solle. In dieser Handlungsoption kommt wohl auch zum Ausdruck, dass die Maßregelung keine Machtdemonstration der Lehrperson sein darf, quasi um ihrer Autorität Nachdruck zu verleihen, sondern dass die Lernenden »zur Strafe« einen wohl sinnvollen, aber dennoch abwechslungsreichen und »interessanten« Auftrag erfüllen sollen.

Lernende auf der Sekundarstufe II realisieren recht gut, dass ein ruhig geführter Unterricht für sie lernförderlich ist. Sie bekommen die Sicherheit eines stetigen Lernzuwachses und sind dann auch zu einer gewissen Selbstdisziplinierung bereit. Rolf Arnold (2007) weist in seinem Buch »Aberglaube Disziplin« in Bezug auf die Entwicklung der Selbst- und Sozialkompetenz darauf hin, »dass sich eine Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen nur entwickeln kann, wenn bereits die Lernphase, in der die Kompetenz angebahnt werden soll, strukturell den Situationen gleicht, in denen diese Kompetenz später beherrscht und angewendet werden soll. Selbststeuerung lernt man so nur in Lernsituationen, in denen man Selbststeuerung üben ›darf‹, und ›Selbstdisziplin‹ kann sich nur in Kontexten entfalten, in denen man den Kindern und Jugendlichen bereits etwas zutraut« (S. 58). Nach Arnolds Meinung setzt Erziehung vor allem Verstehen und Verständigkeit voraus, damit sie wirksam ist. Hier spricht Arnold die Bedeutung eines Sozialisierungs­trainings an. Im Unterricht braucht es viele Gelegenheiten, mit selbstverantwortlichem und selbstgesteuertem Lernen umzugehen, ebenso braucht es für die Lernenden auch im jungen Erwachsenenalter viele Situationen, um in einer »nicht repressiven Sozialisationsumgebung« kooperatives und selbstverantwortliches Handeln zu trainieren und zu reflektieren.

2.2 Zugewandte Grenzsetzung und nicht begrenzende Zuwendung

»Nach einigen Jahrzehnten des überschäumenden Reformeifers bei Diszi­plinproblemen«, schreibt Karl Aschersleben (1999, S. 66), »hat sich die Schulpädagogik wieder darauf besonnen, dass Unterricht nicht ohne einen äußeren Ordnungsrahmen auskommen kann. Dabei erhält Disziplinierung wieder den Stellenwert, den sie in einem effektiven Unterricht nun einmal braucht, ohne dass die Lehrkraft als Despot oder Tyrann auftritt. ›Chaotischer‹ Unterricht ist eine Contradictio in adjecto, ein Widerspruch in sich. […] dazu bedarf es keiner strengen und strafenden Maßnahmen, oft genügt der Blickkontakt oder ein kurzes Ansprechen mit dem Namen«. Für Rolf Arnold (2007) können Disziplin und Disziplinierung sogar zerstörerisch wirken, vor allem dann, wenn die Lehrperson in ihren eigenen Deutungen und Gefühlen gefangen ist und so nicht mehr verstehend danach sucht, worum es eigentlich geht. Dies wiederum setzt aber eine tragfähige Beziehungsbasis voraus, in der Bindung und Begleitung möglich sind. Sind einer Lehrperson die Lernenden als Menschen wichtig und ist ihr die individuelle Entwicklung dieser ihr anvertrauten Lernenden ein zentrales Anliegen, dann werden Interventionen im Klassenverband auch vor diesem Hintergrund verstanden und akzeptiert.

 

Seinem Motto »Erziehung ist Beziehung« getreu, definiert Arnold vier wichtige Voraussetzungen einer nachhaltig wirksamen Erziehung, die vier »B«: Bindung, Begleitung, Begrenzung und Bildung.


Abbildung 2-1

Das 4-B-Prinzip nach Arnold (2007, S. 92): Voraussetzungen einer nachhaltig wirksamen Erziehung

Erziehungswirkungen basieren auf der Klarheit des Erziehungsverantwortlichen und seiner Beziehung zum Heranwachsenden. Sind diese Voraus­setzungen nicht gegeben, sucht sich der Selbstausdruck des Heranwachsenden bisweilen verschlungene, auch verzweifelte Wege. Disziplinprobleme verweisen zumeist auf einen Mangel in einem der vier B-Aspekte. Grundlage allen erzieherischen Erfolges sind die Zuwendung und die Wertschätzung. Darin kommt Bindung zum Ausdruck: Es geht um zugewandte Grenzsetzung, nicht um begrenzende Zuwendung.