Gegen die Vergangenheit

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Gegen die Vergangenheit
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Gegen die Vergangenheit

נגד בעבר

Ernst Meder

Für Svenja Tabea

"Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat."

(Erich Kästner, 1958)

Gegen die Vergangenheit

נגד בעבר

Ernst Meder

Gegen die Vergangenheit

Ernst Meder

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Copyright © 2012 Ernst Meder ISBN: 978-3-8442-7472-1

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Buch darf nicht – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung kopiert werden.

1. Kapitel

Der Höhepunkt der Feier stand noch bevor, als diese jäh durch sechs schwarz gekleidete Personen unterbrochen wurde. Sie hatten den Zeitpunkt ihres Eindringens ausgesprochen günstig gewählt, da sich die Mehrzahl der geladenen Gäste gerade begann, in der Halle der hochherrschaftlichen Villa zu versammeln. Nun sollte der offizielle Teil der Veranstaltung beginnen, in der die Lobrede des Lieblingsenkels nur den Beginn der Familienfeier einleitete. Mit seinem einhundertsten Geburtstag sollte der Jubilar, so die Erwartung der Familie, auch den letzten Schritt in das Privatleben vollziehen.

Am Vormittag waren bereits Mitglieder der Regierung erschienen, um ihm einen weiteren Orden zu verleihen, war es der Dritte oder Vierte, er konnte es nicht genau sagen. Trotzdem war allen bewusst, dass der Orden auch die Hoffnung beinhaltete, bei den jährlichen Spenden der Unternehmung mit einem erklecklichen Betrag berücksichtigt zu werden.

Die ursprünglich geplante Feier sah vor, dass neben der umfangreichen Familie auch engste Freunde aus Wirtschaft und Politik diesen Tag gemeinsam begehen sollten. Gerlinde, seine dritte Enkelin war von der Familie betraut worden diese Feier sowie die einzuladenden Gäste zu planen und die Ausrichtung mit einem namhaften Cateringunternehmen abzustimmen.

Dieses Familienfest stellte zugleich den familiären Höhepunkt des Jahres dar, da erwartet wurde, dass der Jubilar sich auch von dem letzten Aufsichtsratsposten zurückziehen würde. Damit war der Weg frei, den bisher mit eiserner Hand geführten Firmenbereich an seinen Nachfolger zu übergeben. Die Holding, die die Geschicke des Unternehmens leitete, sollte künftig von seinem Lieblingsenkel Sebastian geführt werden, der bereits die führenden Leitungspositionen der anderen Gesellschaften innehatte.

Zuerst hatte man in der Familie daran gedacht, die Feier mit einhundert Personen auszurichten. Diese Zahl war im Hinblick auf seinen einhundertsten Geburtstag gewählt worden, wobei die Auswahl innerhalb der Familie für Unstimmigkeiten sorgte. Während Teile der Familie ihre konservative Grundhaltung bei der Einladung der Gäste berücksichtigt wissen wollte, versuchte die Minderheit, die Gäste aus der Wirtschaft zu begrenzen.

Diesem Streit setzte der künftige Jubilar ein abruptes Ende, als er die Gästeliste zusammenstrich, sich dabei ereiferte, dass immer die gleichen Schmarotzer eingeladen werden, die er an seinem Geburtstag nicht auch noch sehen wollte. Rigoros strich er alle Gäste von der Liste, die nicht zur Familie gehörten, eine Person setzte er allerdings dazu, eine Person, die niemand aus der Familie eingeplant hatte.

Im Übrigen empfand er den immensen Aufwand als zu verschwenderisch, nur um daran erinnert zu werden, dass seine Sanduhr nur noch über einen geringen Rest an Sandkörnern verfügte. Außerdem bestand er darauf, dass die Feierlichkeiten in seinem Haus stattfinden sollten, da der Platz für die dreißig bis vierzig Personen vollkommen ausreichend sei. In diesem Haus, das inzwischen viel zu groß für ihn geworden war, konnten sich alle die aus dem Weg gehen, die sich partout nicht ausstehen konnten.

Es war keine Bitte, die er geäußert hatte, es war ein Diktat, dem sich niemand widersetzen durfte, wenn er sich nicht seinen Zorn zuziehen wollte. In seiner Vergangenheit hatten einige versucht sich ihm zu widersetzten, keinem von ihnen war es bekommen. Die Bandbreite der Bestrafungen war im einfachsten Fall der persönliche Ruin, setzte sich fort in Gefängnisaufenthalte, bei besonders aufmüpfigen Widersachern führte die Strafe in der Regel zum Tod.

Keiner hatte je in Betracht gezogen ihn damit in Verbindung zu bringen, da niemand glauben wollte, dass er tatsächlich dazu fähig sei. Jetzt hatte Gerlinde sein immer noch ausgeprägtes Machtverhalten sowie seine Arroganz erleben dürfen, es schien fast so, als wäre dies im Alter noch ausgeprägter geworden. Seine frühere Nachsicht, von der viele gehofft hatten, dass diese sich mit zunehmendem Alter in Altersweisheit wandeln würde, hatte bei ihm eine entgegengesetzte Entwicklung genommen.

Nichts und niemand konnte ihm seine Wünsche erfüllen, seine Gedanken vorhersehen, oder nachvollziehen, weshalb er bestimmte Dinge veranlasste, die jeder andere nie auch nur in Erwägung gezogen hätte. Dem einzigen Menschen, dem er bedingt vertraute, war sein Enkel Sebastian, dem er bereits seit frühester Jugend versucht hatte, seine politischen Ideen, seine wirtschaftlichen Ansichten nahe zu bringen, den er zu seinem Nachfolger erkoren hatte.

Niemand, auch er selbst nicht, hatte damit gerechnet, dass er das biblische Alter, welches sie heute feiern wollten, jemals erreichen würde. Deshalb war sein Bestreben, seinen Nachfolger in seinem Sinne zu erziehen so wichtig gewesen, dass er weder Kosten noch Mühen gescheut hatte, um dies zu erreichen.

Obwohl er immer noch der Patriarch des Unternehmens war, wollte er am heutigen Tag auch seine letzten Aufgaben und Befugnisse auf seinen Enkel übertragen. Dessen Erziehung aber auch seine Entwicklung hatte ihm Freude bereitet, wenn er denn den Begriff Freude in diesem Zusammenhang überhaupt verwenden würde.

Es war wohl mehr der Stolz über das Ergebnis seiner Ausbildung als auch die Erkenntnis, dass seine verbleibenden Tage an ein paar Händen abzuzählen war. Auch wenn diese noch im Kreise der Schmarotzer, die sich seine Familie nannte, zu verbringen musste.

Dann blickte er auf das Ergebnis seiner Lenden als auch auf deren Ergebnis, wobei er erkennen musste, dass ein großer Teil dieser Familie misslungen war. Sie reihten sich ein in die Reihe jener Gruppen der Gesellschaft, die er verachtete, die er als schwach und jämmerlich bezeichnete, auch wenn er dies nie öffentlich tat.

Er hatte lernen müssen, seine Ansichten nicht öffentlich kundzutun, sich zu verstellen, um seine Ziele zu erreichen, aber er hatte vorgesorgt. Wenn er einmal die Fäden nicht mehr in der Hand halten konnte, bestimmen, in welche Richtung sich seine Nachfahren begeben sollten, dann würden seine Auserwählten da sein, sich um alles Weitere zu kümmern.

Auch über dieses Geheimnis sollte sein Enkelsohn heute unterrichtet werden, sowie seinem Wunsch wie künftig sein politisches Erbe zu verwalten sei. Seine Sorge galt den Menschen, die in Zukunft wieder wesentlichen Einfluss darauf nehmen sollten, wie seine Heimat sich entwickelte. Und es war die Dankbarkeit, die er ihnen schuldete, weil sie für ihn da waren, wann immer er sie brauchte. Wenn er ihrer Hilfe bedurfte, um sein Lebenswerk aufrechtzuerhalten, wenn er seinen gesellschaftlichen Staus verteidigen musste.

Sie waren so etwas wie seine Ersatzfamilie geworden, die ihn über Jahrzehnte begleitet hatte, die auf ihn aufgepasst, die ihn geschützt hatte. Bisher waren sie ausschließlich sein Geheimnis, niemand hatte je davon erfahren oder ihn in Zusammenhang mit ihnen gebracht.

Er hatte Vorsorge getroffen für den Fall, dass er unverhofft seine Reise ins Nichts hätte antreten müssen, sein Vermächtnis war dokumentiert, sie wäre seinem Enkel nach seinem Tod ausgehändigt worden.

Lange hatte er diesen beobachtet, ihm besondere Aufgaben anvertraut, ihn immer wieder geprüft, ob er dereinst in der Lage wäre seine vorgegebenen Aufgaben zu erfüllen, den von ihm vorbereiteten Weg weiter zu gehen. Alle Prüfungen und Aufgaben hatte er zu seiner Zufriedenheit ausgeführt, nichts wies darauf hin, dass er nicht befähigt sein würde sein Andenken in Ehren zu bewahren.

Wie sehr hatte er gelitten, als er erkennen musste, dass sein eigener Sohn ein Schwächling und Versager war, es immer geblieben war, obwohl die genetischen Grundlagen eigentlich die besten Voraussetzungen boten, einen geeigneten Nachfolger hervorzubringen.

Seine Frau Ilse, die einen berühmten Namensvetter hatte, war nach der Geburt ihres Sohnes Michael nicht mehr fähig, weitere Kinder zu empfangen. Sie hatte sein Leiden erkannt, wenn er auf seinen Sohn blickte und erkennen musste, dass dieser eine einzige Enttäuschung bleiben würde.

Bei der Geburt hatte der Arzt es ihm gesagt, dass seine Frau keine weiteren Kinder bekommen konnte, da es Komplikationen bei der Geburt gegeben hatte. Das war damals unerheblich, da er den Sohn bekommen hatte, den er sich als seinen Nachfolger erhofft und gewünscht hatte.

Die Trauer, dass ihnen weitere Kinder verwehrt sein würden, war deshalb von kurzer Dauer, sie würden all ihre Liebe und Wünsche eben in diesen kleinen Wurm stecken. Ihn aufpäppeln, ihm die beste Erziehung und Ausbildung angedeihen lassen, sie versprachen sich auf dem Krankenbett trotz aller Widrigkeiten ewige Treue zueinander als auch zu ihrer Überzeugung.

Es fiel ihnen leicht an diesem Ort zu jener Zeit dieses Bündnis zu schließen, sich ihr Versprechen zu geben, da keiner wusste, was noch auf sie zukommen sollte. Der politische und wirtschaftliche Erfolg ging einher mit der familiären Niederlage, die begrenzt auf ein Kind sowie dessen Schmach verlief. Seine spätere Hoffnung auf einen kraftvollen Enkel und die Niedergeschlagenheit, als sein erstes Enkelkind ein Mädchen war.

 

Vorher bedurfte es noch erheblicher Anstrengungen und Drohungen, damit dieser Schwächling wenigstens die Frau heiratete, die für ihn erwählt worden war, die Tochter eines politischen Freundes seit seinen ersten Gehversuchen in der Politik. Jemand der ihm ein treuer Begleiter in schwieriger Zeit war, mit dessen Hilfe er vieles hatte abwenden können, was sonst zur Zerschlagung seines Lebenswerks geführt hätte. Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit, an den Beginn seiner aktiven Zeit, als er seinen Freund Fritz Pieper kennenlernte.

2. Kapitel

Gerade einmal zwanzig Jahre alt, war er immer auf der Suche nach einer Möglichkeit, etwas Kleingeld zu verdienen, als er eines Tages von einem Fremden zu einem Bier eingeladen wurde. Zuerst verwundert dann skeptisch hatte er diesen angestarrt, was wollte dieser von ihm. Nach seinem Aussehen als auch nach seiner Kleidung zu urteilen schien er nicht auf der Suche nach Arbeit, dem Fremden ging es eindeutig besser als ihm.

Dieser stellte sich als Fritz vor, sagte ihm, dass er ihm folgen soll, dann ging er voraus zu einem Lokal. Auf dem Weg dahin erzählte er von seiner Mitgliedschaft in einer Vereinigung, die für die Zukunft von Deutschland entscheidend sein würde. Im Lokal stellte er zu seiner Verwunderung fest, dass die meisten Anwesenden, die das Lokal bevölkerten, eine braune Unform trugen. Dazu tranken sie reichlich Bier, führten lautstarke Reden, deren Inhalt man bei dem Stimmengewirr nicht verstehen konnte.

Erst nach und nach bekam er mit, dass ein Großteil der im Lokal Anwesenden eine ähnliche Vorgeschichte wie er selbst hatte. Sie waren arbeitslos, hatten gehungert fühlten sich ausgenutzt, wenn sie denn tatsächlich einmal Handlangertätigkeiten ausführen durften. Jetzt gab es das Versprechen, dass sich ihre Situation nachhaltig ändern würde, wenn die neue Partei endlich die Macht übernehmen konnte.

Seine Zweifel wuchsen zunächst, für ihn war nicht vorstellbar, dass sich an seinen Verhältnissen etwas ändern sollte, nur weil er anfing, die Ansichten dieser Partei zu übernehmen. Es schien als hätte Fritz einen Narren an ihm gefressen, inzwischen hatte er ihm sogar seinen Nachnamen verraten, als sie wieder einmal unterwegs waren, um zu einer Versammlung zu gehen.

Pieper, ich heiße Pieper hatte er gesagt, aber wir lassen es bei Fritz, schließlich sind wir Freunde und Parteigenossen. Das war etwas Neues, obwohl er bisher noch nicht in eine Partei eingetreten war, betrachtete Fritz ihn bereits als Mitglied.

Bei einer dieser Versammlungen hatte er erfahren, wo die Schuld für seine Misere lag, wer diese verursacht und gesteuert hatte. Überzeugt hatte ihn die Rede eines von Helldorf, der als SA-Führer sich nicht scheute, die Schuldigen beim Namen zu nennen. Dieser Abend war es auch, der ihn bewog, seinen Beitritt endlich zu vollziehen, in die Partei einzutreten. Fritz, der dies hautnah miterlebte, freute sich so sehr, dass er mit ihm um die Häuser zog, um dieses Ereignis zu feiern.

Die nächsten Jahre waren geprägt von Parteiversammlungen, Schulungen aber auch mit Treffen unter Kameraden. Dabei hatten sie ihren Spaß, wenn sie gemeinsam Jagd auf Feinde machten, diese erschreckten, ihre Fenster einschlugen, damit diese auch einmal zu spüren bekamen, was Angst bedeutete. Was er zuerst nicht verstanden hatte, war die Zurückhaltung der Polizei, die sie einfach gewähren ließ, ja sich sogar rarmachte, wenn man ihnen gesagt hatte, dass etwas geschehen würde.

Die Erleichterung, als ihr gemeinsamer Führer zum Reichskanzler ernannt wurde, endlich konnten sie die Früchte ihres Kampfes ernten. Dies war auch der Beginn seines persönlichen Aufstiegs, sein bisheriger Einsatz für die Partei war überall wohlwollend zur Kenntnis genommen worden.

Dann der Sieg bei der Wahl, sie hatten gekämpft für diesen Sieg, Leute überzeugt, dass sie zu Wahl gehen müssen, dabei natürlich die richtige Wahl zu treffen hatten. Trotz der fast übermächtig erscheinenden Anzahl von Feinden, gegen die sie ankämpfen mussten, hatten sie gesiegt.

Ob es diese Kommunisten waren, die gegen seine Kameraden hetzten, oder die Sozialisten, die versuchten den Reichskanzler zu verunglimpfen, es gelang ihnen bereits vor der Wahl sie so zu schwächen, dass der Sieg vorhersehbar wurde.

Natürlich half dabei dieser Reichstagsbrand, den man diesem dummen Holländer bestimmt in die Schuhe geschoben hatte, der erst die legalen Grundlagen schaffte, die Wahl zu gewinnen. Er hatte selbst als Hilfspolizist in seiner SA-Uniform bei der Wahl mit dafür gesorgt. Als Belohnung für seinen Kampf erhielt er Arbeit bei einer Firma, hatte endlich ein geregeltes Einkommen.

Währenddessen machte sein Freund Fritz Karriere in der Partei, trug dabei seine braune Uniform mit stolz geschwellter Brust, wenn sie sich von Zeit zu Zeit trafen. Ihr gemeinsamer Kampf gegen das Weltjudentum, die bereits die Wirtschaftskrise im Jahr neunzehnhundertdreiundzwanzig verursacht hatten, war zwar noch nicht gewonnen, sie hatten aber einen ersten Sieg davon getragen. Ihren Machenschaften gegen das deutsche Volk wurde ein Riegel vorgeschoben, die Ausbeutung der Deutschen würde weiter bekämpft werden.

Stolz erzählte Fritz von den Erfolgen gegen das Weltjudentum, die in ihren weltweit angelegten Pressekampagnen einen Lügenfeldzug gegen das wieder national gewordene Deutschland führten. Nun hatten sie zurückgeschlagen, ihren Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte folgten immer mehr national gesinnte Deutsche. Manchmal musste man etwas nachhelfen, indem man SA-Kameraden vor dem Eingang platzierte, die Verräter am Zutritt hinderten.

Diese verhinderten mit ihrer Überzeugungskraft, dass in diesem Geschäft eingekauft wurde. Man hörte den Stolz in der Stimme von Fritz, wenn er davon erzählte. Oder wenn er von den Überlegungen in den Gremien der Partei sprach, wie man weiter gegen dieses Ungeziefer, wie er es nannte, vorgehen wollte.

Ihre beruflichen Wege trennten sich, während sein Freund seine politische Karriere vorantrieb, hatte er eine Anstellung in einer kleinen chemischen Fabrik gefunden, die Seifen und Waschmittel herstellte. Da er diese Anstellung auf Vermittlung der Partei erhalten hatte, wurden ihm die üblicherweise am Beginn verordneten einfachsten Arbeiten erlassen. Er wurde bereits für die Tätigkeiten angelernt, die er im Normalfall erst nach mehreren Jahren erreicht hätte.

Schnell wurde er sich seiner Macht bewusst, die er durch sein Parteibuch ausüben konnte, wenn etwas nicht nach seinen Wünschen lief. Häufig setzte er diese Macht ein, wenn eine Beförderung anstand und diese nicht von einem Parteigenossen besetzt werden sollte. Oder bei Neueinstellungen, wenn sich plötzlich der Leiter der Personalabteilung berufen fühlte, jemanden aufgrund seiner Qualifikation für eine Tätigkeit vorzusehen, unabhängig davon, ob dieser auch in der Partei Mitglied war.

Er intervenierte in all diesen Fällen erfolgreich, sodass er bald Mitspracherechte in Anspruch nahm, die keineswegs mit seiner Stellung innerhalb des Unternehmens in Übereinstimmung zu bringen war.

An einer Person biss er sich allerdings die Zähne aus, einem jungen Chemiker, dessen Genialität von niemandem bestritten wurde, auf dessen Konto alle Neuerungen sowie Verbesserungen zu verbuchen waren. Sogar er, dessen chemische Kenntnisse eher rudimentär waren, erkannte das Visionäre in seinen Erfindungen. Zu seinem Leidwesen war dieser junge Chemiker ein Jude trotzdem schien er unersetzlich für das Unternehmen.

Einem ersten Impuls folgend, forderte er die Entlassung des Juden, sogleich die Besetzung dieser Stelle mit einem deutschen Parteigenossen. Er glaubte sein Ziel bereits erreicht, als ihm der Wechsel zugesichert wurde, sofern er für adäquaten Ersatz sorgen könne, der dessen Aufgabengebiete übernahm. Seine Suche endete in einem Fiasko, keiner der Chemiker, die sich anschickten, die angebotene Stelle auszufüllen, wies auch nur Bruchteile der Kenntnisse dieses Juden auf, ganz zu schweigen, von dessen Genialität.

Nach mehr als sechs Monaten sowie achtundvierzig Bewerbern akzeptierte er, dass Ephraim Levi, der wahrscheinlich beste Chemiker war, den er, aber auch seine Kollegen je in ihrem Unternehmen gesehen hatte. Wenn ihm auf diesem Wege nicht beizukommen war, so wollte er ihn weiter beobachten, eventuell auf einem anderen Weg von dessen Kenntnissen partizipieren.

Trotz seiner Abneigung suchte er fortan immer wieder dessen Nähe, konnte ihm sogar auf die eine oder andere Art einen Gefallen erweisen. Seine Absicht war, dass dieser sich ihm verpflichtet fühlen sollte, ihm von eventuell neuen Erfindungen als Erstem zu erzählen.

Durch seine Tätigkeit in der Firma sowie diverser Gespräche mit leitenden Angestellten, begann er langsam aber stetig die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu erfassen, begann zu begreifen, wie das Weltjudentum die Weltwirtschaft knechtete.

Auf den Boykottaufruf nach der gewonnenen Wahl hatten die ausländischen jüdischen Wirtschaftslenker zum Boykott deutscher Waren aufgerufen. Mit diesem Boykott fügten sie der deutschen Wirtschaft, die gerade begann, sich von den Fehlern der Weimarer Politik zu erholen, erheblichen Schaden zu.

Es war ein schmerzhafter Lernprozess, hatte er ihnen doch gezeigt, dass die Macht der jüdischen Wirtschaft sowie deren Einfluss auf ausländische Politiker noch so groß war, dass man vorsichtiger agieren musste. Seine Diskussionen mit Fritz wurden oft sehr hitzig geführt, wobei dieser häufig von den kontroversen Gesichtspunkten innerhalb der Partei erzählte, die über die richtige Politik gegenüber jüdischen Unternehmen stritten.

Letztendlich durfte das große Ziel, die deutsche Wiederaufrüstung, nicht gefährdet werden, da die Boykottkampagnen den Handel störten, die Deviseneinnahmen verhinderten. Deshalb war es besser, zum jetzigen Zeitpunkt die Verfolgung auszusetzen, jüdische Unternehmen zeitweise nicht zu benachteiligen, damit sensible Wirtschaftszweige nicht geschädigt wurden.

Mit dem Erkennen der wirtschaftlichen Zusammenhänge waren die Diskussionen mit seinem Freund sehr häufig von dessen Meinung abgewichen, da dieser die Meinung von Streicher vehement vertrat, während er sich der Meinung ihres Wirtschaftsministers Schacht anschloss.

Diese Streitgespräche änderten nichts an ihrer Freundschaft, im Gegenteil, die Versöhnung wurde umso feuchtfröhlicher genossen, da beide die Zielsetzung nie bestritten, nur der Weg dahin wurde nur oft kontrovers diskutiert.

Seit mehr als zwei Jahren war er bereits in dem Unternehmen tätig, mit dem Beginn der wirtschaftlichen Konsolidierung war auch dieses Unternehmen inzwischen weiter gewachsen. Die vergangenen Jahre waren aufregend aber zum Teil auch erschreckend gewesen. Den größten Schreck hatte er bekommen, als er von dem Schlag gegen die SA erfuhr, für die er noch bei der Wahl als Hilfspolizist tätig gewesen war. Fritz meinte nur lakonisch, er solle froh sein, dass er nicht mehr bei diesem Verein gewesen sei, da diese versucht hatten, den Führer zu stürzen.

Das konnte und wollte er so nicht stehen lassen, schließlich hatten er und seine Kameraden bis zur Aufopferung gekämpft, einiges an Gesetzesübertretungen begangen, um dem Führer den Weg an die Macht zu ebnen. Auch jetzt bekam er noch Schweißausbrüche, wenn er daran dachte, wie es hätte ausgehen können, wenn er dabei geblieben wäre. Nachträglich beglückwünschte er sich zu seinem Entschluss, seinen Weg in der Wirtschaft und nicht in der Politik zu suchen.

Während der gesamten Zeit hatte er immer ein Auge auf Ephraim Levi, betrachtete seine Entwicklung sowie seine Fortschritte innerhalb des Unternehmens. Ihm war nicht entgangen, dass Levi neben seiner offiziellen Tätigkeit, offensichtlich auch privat forschte. Für diese Forschung, die außerhalb der Firma erfolgte, hatte er offenbar ein kleines Labor in seiner Wohnung eingerichtet.

Auch wenn es immer schwerer für ihn wurde, sich die erforderlichen Rohstoffe zu besorgen, so schien er noch ausreichend zurückgelegt zu haben, dass er seine private Forschung nicht unterbrechen musste.

Er beobachtete ihn bereits über einen längeren Zeitraum, während dieser Zeit war immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass diesem irgendwann der Durchbruch bei seiner Forschung gelingen würde. Berücksichtigte man dessen Intelligenz in Verbindung mit seiner Genialität, so musste früher oder später ein überzeugendes Ergebnis seiner Forschung zustande kommen. Seine Sorge war, dass er diesen Zeitpunkt nicht mitbekommen würde, dass ein anderer von der Genialität dieses Chemikers profitierte, ohne dass er berücksichtigt wurde.

 

Als ein weit größeres Problem, welches ihm erhebliche Kopfzerbrechen bereitete, erwies sich dessen Zugehörigkeit zum Judentum. Wie sollte er die Nähe zu diesem suchen, ohne dass er gleich als Judenfreund denunziert wurde, aufgrund dessen er seine Stellung in dem Unternehmen verlieren konnte.

Dazu kam, dass er eigentlich etwas unterstützte, was offiziell nicht erlaubt, eigentlich sogar verboten war, er war dabei, einen Juden im geheimen zu unterstützen. Darüber hinaus beging er ein noch viel schlimmeres Verbrechen am deutschen Volk, welches strengstens verboten war. Er versorgte den Juden mit den Rohstoffen, die dieser für seine Forschung benötigte, er bestahl das deutsche Volk.

Er wartete so lange, bis er sicher sein konnte, dass die anderen Chemiker das Labor bereits verlassen hatten, dass Levi allein im Labor sein würde. Dann wollte er diesem auf indirektem Weg zu verstehen geben, dass er mit seiner Unterstützung rechnen konnte.

Heil Hitler Herr Levi, die Begrüßungsformel war ein Widerspruch in sich, dies sollte ihm aber erst zu einem späteren Zeitpunkt auffallen.

Guten Tag, Levi weigerte sich, diese Form der Begrüßung zu erwidern, außerdem kannte er den vor ihm stehenden Bloch, dieser war ein strammer Nazi, wie sich bei verschiedenen Gelegenheiten gezeigt hatte.

Außerdem hatte er nicht vergessen, dass dieser seine Entlassung betrieben hatte, nur weil er Jude war. Skeptisch blickte auf ihn, dabei zeigte sich ein verkniffener Zug in seiner Mundpartie, die zeigen sollte, dass er keinen Bedarf in einem weiterführenden Gespräch sah. Was wollte er von ihm, sollte sich die schützende Hand des Inhabers zurückgezogen haben, war er jetzt zum Freiwild für diese Barbaren geworden.

Leise und freundlich, aber doch so bestimmt, sodass kein Widerspruch möglich war, sagte Bloch, ich weiß, dass Sie private Forschungen betreiben, privat ein kleines Labor eingerichtet haben.

Erschrecken überzog sein Gesicht, wer hatte ihn verraten, natürlich wusste er, dass er weder privat forschen noch Rohstoffe für diese Forschung haben durfte. Im Rahmen der Verbote für unterschiedliche Berufsgruppen waren auch Verbote veröffentlicht, die ihn betrafen. Er wollte protestieren, sich dagegen verwahren, als er unterbrochen wurde.

Mir brauchen Sie nichts vorzumachen, ich wollte ihnen nur sagen, wenn sie Rohstoffe benötigen, so können Sie diese von mir erhalten. Bedingung ist allerdings, dass niemand etwas davon erfährt, noch dass Sie mit jemandem darüber reden. Erstellen Sie eine Liste, dann lassen sie mir diese unauffällig zukommen, ich werde künftig häufiger durch das Labor gehen oder wir werden einen Termin wie heute finden.

Was wollen Sie dafür, es war undenkbar, dass diese Zuwendung ohne eine Gegenleistung gewährt wurde, natürlich kam noch eine Forderung.

Ich möchte über ihre Forschungen informiert werden, woran Sie gerade forschen, wozu Sie diese Rohstoffe verwenden wollen.

Was für ein sonderbares Angebot, dieser braune Naziknecht würde nicht ansatzweise verstehen, woran er gerade forschte, für was er diverse Rohstoffe benötigte. Einverstanden, aber die Rechte meiner Forschung bleiben bei mir, diese können nicht Eigentum der Firma werden, da ich die Erkenntnisse ausschließlich privat gewinne.

Natürlich pflichtete er ihm bei, dieser Träumer, wieso dachte er, ein Jude würde auch nur ein Patent anmelden können. Zu gegebener Zeit würde er ihm dies schon noch begreiflich machen. Er verabschiedete sich mit Heil Hitler, wartete die Antwort nicht ab, sondern wandte sich ab und ging.

Zurück blieb ein verwirrter jüdischer Chemiker, der die Welt nicht mehr verstand. Sollte dieser Bloch nur scheinbar ein Nazi sein, sein Verhalten nur vortäuschen, vielleicht sollte er ihm in nächster Zeit mehr Aufmerksamkeit schenken.

Wie konnte er diese Nazis verstehen, wenn sogar die sich eigentümlich verhielten, die er bisher als ausgesprochene Vertreter ihrer Partei sowie ihres Führers gehalten hatte. Er war überzeugt, dass dieses Schreckgespenst früher oder später zu Ende sein würde, ein derart verzerrtes Menschenbild konnten nicht einmal diese Menschen haben.

Natürlich war er betroffen ja sogar beleidigt, wenn er in Reden und Schriften der Nationalsozialisten mit Ungeziefer, Krankheitskeimen, Bazillen oder Viren gleichgesetzt wurde. Diese Ausdrücke suggerierten insbesondere bei Kleinbürgern und verarmten Angehörigen des Mittelstands die Notwendigkeit der Vernichtung. Aber weshalb, sie hatten doch niemandem etwas getan, hatten keinen verletzt.

Sei’s drum, er würde das Angebot annehmen, die fehlenden Rohstoffe oder sonstigen Gegenstände, die er für die Forschung benötigte, von diesem Bloch besorgen lassen. Im Übrigen unterschätzte ihn dieser, wenn er glaubte, dass er an seine Forschungsergebnisse kommen würde. Er war nicht so dumm, er würde alle Ergebnisse vorerst verstecken, bis dieser Nazi-Spuk vorbei war, dann würde es wieder möglich sein, dass Juden Patente anmelden konnten.

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